Julia Ärzte zum Verlieben Band 148

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NUR EINE NACHT MIT DR. RYDER? von CAROLINE ANDERSON

Kate kennt nur seinen Vornamen, als sie nach einem Strandspaziergang eine Nacht mit dem attraktiven Sam verbringt. Bis sie den neuen Chirurgen auf ihrer Station sieht: Dr. Sam Ryder ist der Mann, der sie so heiß geliebt hat - dem sie dringend ein Geständnis machen muss!

DU BIST DER ANFANG VOM GLÜCK von DEANNE ANDERS

Heute erfüllt sich ihr größter Wunsch: Hebamme Lana wird ihre kleine Pflegetochter Maggie adoptieren. Doch kurz vor dem Gerichtstermin erscheint Maggies leiblicher Onkel, Kinderarzt Trent Montgomery. Zerstört er Lanas Traum vom Familienglück - oder macht er ihn doppelt wahr?

MEHR LIEBE, ALS DER ARZT VERSCHREIBT von ALISON ROBERTS

Seinen Trauma-Patienten kann Dr. Isaac Cameron helfen. Seine eigenen Dämonen dagegen kann er nicht besiegen! Bis die hübsche Liv in die Kleinstadt zurückkehrt. Ist ausgerechnet sie, die Tochter seines Chefs, diejenige, die die Mauer um sein Herz einreißt?


  • Erscheinungstag 05.02.2021
  • Bandnummer 148
  • ISBN / Artikelnummer 9783751501552
  • Seitenanzahl 384
  • E-Book Format ePub
  • E-Book sofort lieferbar

Leseprobe

Caroline Anderson, Deanne Anders, Alison Roberts

JULIA PRÄSENTIERT ÄRZTE ZUM VERLIEBEN BAND 148

CAROLINE ANDERSON

Nur eine Nacht mit Dr. Ryder?

In Yoxburgh, dem idyllischen Städtchen am Meer, will Sam Ryder einen Neuanfang machen, ein trauriges Erlebnis verarbei- ten. Aber nichts hat den attraktiven Arzt darauf vorbereitet, dass er kurz nach seiner Ankunft mit einer schönen Fremden eine heiße Nacht verbringt! Mit Folgen, die seine sorgfältig ausge- dachten Zukunftspläne durcheinanderwirbeln …

DEANNE ANDERS

Du bist der Anfang vom Glück

Dr. Trent Montgomery sucht nach der kleinen Tochter seines verstorbenen Bruders – und findet sie in Miami, betreut von der liebevollen Pflegemutter Lana. Auf den ersten Blick verliebt er sich in sie, und eine gemeinsame Zukunft scheint zum Greifen nah. Bis Trent ihr gesteht, was sein ursprünglicher Plan mit Maggie war. Entsetzt wendet Lana sich von ihm ab …

ALISON ROBERTS

Mehr Liebe, als der Arzt verschreibt

„Kommen Sie! Sonst ist es zu spät.“ Ein alarmierender Anruf erreicht Liv. Sie muss ihren Vater sehen, bevor er stirbt, muss sich mit ihm versöhnen! Doch es ist der Anrufer, der ihr Herz milde stimmt: Dads Kollege Dr. Isaac Cameron. Sie spürt, dass Isaac, genau wie sie, mit der Vergangenheit hadert. Und noch viel mehr verbindet sie auf den ersten Blick – Liebe …

1. KAPITEL

„Versetzt worden?“

Die tiefe Stimme ließ Kate erschauern und jeden Nerv in ihrem Körper vibrieren. Sie wusste, zu wem diese Stimme gehörte – zu dem Mann, der am anderen Ende der Bar gesessen und Kate seit ihrem Eintreffen beobachtet hatte.

Er war ihr sofort aufgefallen – attraktives Gesicht und ein unwiderstehlicher Körper –, aber auf diese Art Problem war sie nicht aus, daher hatte sie ihn ignoriert, auch wenn sie ihn mit jeder Faser ihres Körpers spüren konnte. Jetzt steckte sie ihr Handy in die Gesäßtasche ihrer Jeans und legte den Kopf in den Nacken, um ihm in die Augen sehen zu können.

Blau – ein helles, eisiges Blau, seltsam durchdringend und beunruhigend.

In den Augenwinkeln Krähenfüße – vielleicht vom Lachen oder von zu viel Zeit in der Sonne. Vielleicht auch beides. Er besaß dieses gesunde Aussehen, das Menschen kennzeichnete, die sich viel an der frischen Luft aufhielten. Dazu strahlte er eine so pure Männlichkeit aus, dass ihr ein Schauer über den Rücken lief. Schnell senkte sie den Blick und konzentrierte sich auf seinen Mund, der wie fürs Küssen gemacht war …

Nein! Auf keinen Fall. Nie wieder! Entschlossen sah sie ihm wieder in die beunruhigenden Augen.

„Da habe ich schon bessere Anmachsprüche von einem Zehnjährigen gehört.“

Ihre Stimme klang kühler als beabsichtigt, aber er lachte einfach nur, wodurch seine Augen gleich weniger bedrohlich wirkten.

„Entschuldigung. Ich wollte Sie nicht anmachen. Aber Ihr Gesichtsausdruck eben, als Sie telefoniert haben, sah aus wie ‚Und was mache ich jetzt?‘. Und genau diese Frage habe ich mir auch gerade gestellt.“

Als ob sie ihm das glaubte. Ein so attraktiver Mann wusste nicht, was er an einem Samstagabend anstellen sollte? Nicht, dass sie interessiert war … Doch dann zuckte dieser sündhafte Mund leicht, und etwas in ihr geriet ins Taumeln.

„Ist Ihre bessere Hälfte heute Abend beschäftigt?“, fragte Kate und sagte sich gleichzeitig, dass die Antwort vollkommen irrelevant war, denn aus ihnen beiden würde bestimmt nichts werden. Er presste die Lippen aufeinander, und für einen Moment dachte sie, er würde nicht antworten. Dann setzte er ein reumütiges Lächeln auf, das seine Augen nicht erreichte.

„Es gibt keine bessere Hälfte“, antwortete er leise, und in seiner Stimme schwang Traurigkeit mit, die sie dazu brachte, ihm zu glauben. „Die Freunde, die ich gerade besuche, hatten heute etwas anderes vor, und ich muss bis morgen durchhalten, also schlage ich eigentlich nur die Zeit in einer fremden Stadt tot. Was ist mit Ihnen?“

„Ich wollte mich mit einer Freundin treffen“, erwiderte sie widerstrebend, „aber sie wurde zur Arbeit gerufen.“

„Ah. Meine Freunde haben da mehr Spaß. Sie sind auf einer Party.“

Nun schenkte er ihr ein leicht ironisches Lächeln, setzte sich auf den Barhocker neben ihr und gab dem Barmann ein Zeichen. „Also darf ich Sie auf einen Drink einladen? Da wir ja beide Zeit haben.“

Die hatte sie, aber sie wollte ihre Zeit nicht mit einem Mann verbringen, und schon gar nicht mit einem, dem das Wort Probleme praktisch ins Gesicht geschrieben stand. Diesem Typ Mann hatte sie für den Rest ihres Lebens abgeschworen – und dank ihrer lausigen Menschenkenntnis wahrscheinlich auch jedem anderen Mann. Sein gutes Aussehen reichte nicht, um ihren Entschluss ins Wanken zu bringen – gebranntes Kind scheut das Feuer. Aber sie gab ihm Punkte für seine Hartnäckigkeit und dafür, dass er Single war. Das war schon mal eine Verbesserung.

Aus diesen Gründen akzeptierte Kate die Einladung mit einem Schulterzucken. Ein Drink würde nicht schaden, vor allem, wenn sie zur Abwechslung mal einen klaren Kopf behielt. Außerdem wartete zu Hause nur der Wäscheberg in ihrem Schlafzimmer auf sie.

Erneut sah sie ihm in die Augen. Diese seltsam hellen Augen, wunderschön, aber nervenaufreibend, hielten ihren Blick gegen ihren Willen fest. Sie fühlte sich verletzlich und entblößt, so als könnte er ihre tiefsten Geheimnisse sehen.

Weswegen es eine wirklich schlechte Idee ist, etwas mit ihm zu trinken.

„Mineralwasser, bitte.“

Er zog eine Augenbraue hoch, nickte dann aber dem Barmann zu und bestellte zwei. Also trank er auch nicht.

„Ich bin übrigens Sam.“ Er streckte ihr eine Hand entgegen.

„Ich bin Kate“, erwiderte sie, und weil er ihr eigentlich keine Wahl ließ, ergriff sie seine Hand. In diesem Moment schien ihr ganzer Körper aufzuwachen. Ihre Blicke begegneten sich, und nach einem atemlosen Augenblick ließ er ihre Hand los. Nervös rutschte sie auf dem Barhocker herum und unterdrückte den Drang, mit der Hand über ihren Oberschenkel zu reiben, um das Kribbeln von ihrer Hand zu wischen.

„Also Kate, wie kommt es, dass du in Yoxburgh wohnst?“

„Was macht dich so sicher, dass ich nicht wie du auf der Durchreise bin?“

Um seine Mundwinkel zuckte es. „Nur eine Vermutung. Allerdings kennt dich der Barmann. Er hat dich wie eine alte Freundin begrüßt, als du reingekommen bist.“

Sein Lächeln war so unwiderstehlich, dass sie es unbewusst erwiderte. „Wohl kaum wie eine alte Freundin, aber erwischt. Ich wohne tatsächlich hier. Warum ist das so schwer zu glauben?“

Sam zuckte mit den Schultern, und seine Augen funkelten amüsiert. „Weil du noch jung bist …“ Vielsagend schaute er auf ihren Ringfinger. „… offensichtlich Single und das hier ein verschlafenes, kleines Kaff im Nirgendwo ist?“

Für sie strahlte der Ort Sicherheit aus. Und sie hatte gehofft, ihr Herz hier aus Schwierigkeiten raushalten zu können. Nur hatte das leider nicht geklappt.

Sicherheitshalber ignorierte sie die Bemerkung über ihren Beziehungsstatus und konzentrierte sich auf Yoxburgh. „Eigentlich ist es ein großartiger Ort. Hier ist es lange nicht so ruhig, wie du vielleicht denkst, und außerdem bin ich gern am Meer.“

„Ich auch. Die letzten Tage waren toll. Ich hatte ganz vergessen, wie sehr mir das Meer gefehlt hat.“

„Wie lange bist du noch hier?“, fragte sie und vergaß ganz, dass sie kein Interesse zeigen wollte.

„Nur bis morgen früh. Ich habe heute Nachmittag ein Boot entdeckt, das zum Verkauf steht, aber der Verkäufer kann es mir erst morgen zeigen.“

„Was für eine Art Boot?“ Kate redete sich ein, dass sie nur höflich war und gar nicht wissen wollte, um was für ein Boot es sich handelte. Oder wo er übernachtete. Oder wie er die nächsten zwölf Stunden verbringen wollte …

„Ein altes Segelboot, ein Peter-Duck-Holzboot …“ Lächelnd unterbrach er sich. „Du hast davon keine Ahnung, oder?“

„Stimmt.“ Sie musste über sein ironisches Schmunzeln lachen. „Erzähl weiter.“

„Nein. Ich will dich nicht langweilen. Jedenfalls muss daran noch viel getan werden, aber das ist nicht schlimm. Es vertreibt die Zeit, und mir macht harte, körperliche Arbeit nichts aus.“

Sie konnte sich gerade noch davon abhalten, seinen Körper nach verräterischen Muskeln abzuscannen.

„Und was tust du, wenn du keine alten Segelboote rettest?“, fragte sie wider besseres Wissen.

Sein lässiges Schulterzucken sorgte dafür, dass sie ihren Blick von seinem verführerischen Mund auf seinen kräftigen Oberkörper richtete, der wie dafür gemacht schien, ihren Kopf anzulehnen.

„Nichts Aufregendes. Den Großteil meiner Zeit verbringe ich in einem Büro damit, unerreichbaren Zielen nachzujagen. Und wann immer ich die Gelegenheit dazu bekomme, gehe ich segeln, was aber viel zu selten ist. Darum das Boot. Du bist dran.“

„Ich?“ Sie lachte kurz auf und verlagertes unbehaglich das Gewicht. Aus irgendeinem Grund wollte sie ihm die Wahrheit nicht erzählen. Vielleicht, weil sie keine Krankheitssymptome hören wollte oder weil sie es satthatte, dass Männer darüber fantasierten, wie sie in ihrer Arbeitskleidung aussah, sobald sie erzählte, dass sie Krankenschwester war. Oder hatte es mit ihrem letzten Fehltritt zu tun, der sich einen hirnlosen, aber überaus sexy Ersatz gesucht hatte, nachdem sie ihn abserviert hatte, weil er verheiratet war? Was es auch war, sie sagte das Erste, was ihr einfiel.

„Ich bin Glamourmodel.“ Seine Augenbrauen schossen überrascht nach oben.

„Das ist mal was anderes“, murmelte er, und sie rechnete ihm hoch an, dass sein Blick nicht tiefer wanderte und ihren Körper musterte, so wie sie es bei seinem tun wollte. „Macht es dir Spaß?“

Nein. Sie hatte es die ganze, zum Glück nur kurze Zeit, über gehasst, nachdem sie unsanft in der Realität gelandet war. Ein weiterer Fehler, geboren aus Hunger und Verzweiflung.

„Es zahlt die Rechnungen“, erwiderte sie. Das hatte es, damals zumindest.

„Das tun viele Tätigkeiten.“

„Höre ich da Missbilligung?“

„Das steht mir nicht zu. Ich kann mir nur nicht vorstellen, warum jemand mit einem funktionierenden Gehirn so etwas tun wollen würde.“

„Vielleicht funktioniert meins ja nicht?“

Als Antwort schnaubte er nur leise, dann nahm er sein Glas in die Hand. „Das glaube ich nicht.“ Er lehnte sich an die Bar. „Und wenn du nicht halb nackt durch die Gegend hüpfst, was tust du dann zum Spaß?“

Kate zuckte die Schultern. „Mich mit Freunden treffen, lesen, spazieren gehen, Kuchen backen und mit zur Arbeit nehmen …“

„Kuchen? Du nimmst Kuchen mit ins Studio?“

Verdammt, sie war so eine hoffnungslose Lügnerin. „Warum nicht?“, entgegnete sie leichthin. „Jeder mag Kuchen.“

„Ich dachte, Models hungern.“

Äh. „Nur die Laufstegmodels“, improvisierte sie. „Einer der Gründe, warum ich das niemals tun könnte. Von Glamourmodels wird erwartet, dass sie …“ Schlagartig verstummte sie und hätte sich am liebsten in den Hintern gebissen.

„Kurven haben?“, murmelte er, und sie spürte, dass sie errötete.

„Genau.“

Diesmal senkte er den Blick, und sie verspürte den Drang, den Bauch einzuziehen. Dabei war er damit beschäftigt, ihr Dekolleté zu mustern.

Hastig wandte er den Blick ab und trank sein Glas aus. „Hast du schon gegessen? Das Gerede über Kuchen hat mich daran erinnert, dass ich am Verhungern bin.“

Sie wollte wieder lügen, aber sie hatte einen Bärenhunger, und wenn sie nicht bald etwas aß, würde sie noch vom Barhocker fallen.

„Nein, habe ich noch nicht. Warum?“

„Weil ich überlegt habe, ob ich mir hier etwas von der Barkarte bestelle oder allein in ein Restaurant gehe. Was mich nicht sonderlich gereizt hat. Aber jetzt könnten wir zusammen essen. Was meinst du: Scampi und Pommes frites hier, oder gehen wir irgendwo hin, wo es netter ist, und arbeiten an deinen Kurven? Es wäre eine Schande, sie dahinschwinden zu lassen.“

Das war eine leichte Entscheidung. Sie war am Verhungern, und ihr Kühlschrank war komplett leer. „Nur Abendessen, keine Hintergedanken“, warnte sie nach seiner Bemerkung über ihre Kurven.

„Meine Güte, so schnell bin ich nicht“, antwortete er grinsend. „Vorschläge für ein nettes Restaurant?“

Nett? Da kam ihr nur ein wirklich tolles Lokal in den Sinn, und nach dem Kaschmirpullover unter der ramponierten, aber zweifellos teuren Lederjacke zu urteilen, konnte er sich das leisten. Aber sie wusste, dass James und Connie im Zaccharelli’s waren, und sie hatte keine Lust, am Montag von ihrem Chef ausgefragt zu werden. Außerdem würden sie ohne Reservierung sowieso keinen Tisch bekommen.

Sein Handy piepte. Eine Entschuldigung murmelnd, zog er es aus der Tasche und scrollte einen Moment. Das gab ihr die Möglichkeit, ihn zu genauer zu mustern. Ihr gefiel, dass er kräftige, gepflegte Hände und einen leichten Bartschatten hatte. Wie gern würde sie diese Stoppeln über ihre Haut kratzen spüren, bevor sie mit den Fingern durch seine dunklen, kurzgeschnittenen Haare fuhr und seinen Kopf zu sich herunterzog, um diesen köstlich dekadenten Mund zu küssen …

„Entschuldige. Ich habe es jetzt ausgestellt.“ Als er das Handy wieder in die Hosentasche steckte, folgte sie der Bewegung mit ihrem Blick, und mit einem Mal war ihr Mund ganz trocken. „Also irgendwelche Vorschläge?“

Ihr Körper schrie vor Vorschlägen, aber das ignorierte sie. „Gegenüber gibt es ein nettes chinesisches Restaurant. Eigentlich gibt es einige gute Restaurants hier, da sollten wir irgendwo einen Tisch finden.“

„Na dann los.“ Sam stand auf und reichte ihr die Hand, um ihr vom Barhocker herunterzuhelfen. Etwas überrascht von der altmodischen Höflichkeit der Geste nahm sie die Hilfe an, und als ihre Hände einander berührten, schoss ein Blitz durch ihren Körper.

Schnell zog sie ihre Hand zurück, nur um einen Moment später eine leichte Berührung am Rücken zu spüren, als er sie zur Tür dirigierte. Die Wärme seiner Hand breitete sich in ihrem gesamten Körper aus.

Warum hatte sie nicht Nein gesagt? Das war so ein Fehler!

„Laufen oder fahren? Mein Auto steht um die Ecke am Hotel.“

„Oh … laufen. Ich weiß, es ist kalt, aber für Januar ist es ein schöner Abend, und es ist nicht weit.“ Und im Auto wäre es viel zu intim und gefährlich.

„Okay. Du wirst mich führen müssen. Ich bin ganz in deinen Händen.“

Schön wär’s …

Kate holte tief Luft und ging dann in Richtung Küste, und er passte sich ihren Schritten auf dem Weg durch das Stadtzentrum an. Ihr Atem bildete kleine Wölkchen in der kalten Nachtluft.

„Wie ist es so, in Yoxburgh zu leben?“, fragte Sam beiläufig, während er in Schaufenster guckte, als könnte er in ihren dunklen Tiefen die Antwort finden.

„Ganz in Ordnung. Es ist zwar ziemlich ruhig, aber trotzdem ist immer was los. Mir gefällt die Atmosphäre hier. Die Stadt passt zu mir.“

Er drehte sich um und musterte sie fragend. „Du wärst nicht lieber in London?“

Auf keinen Fall. Fast ihr ganzes Leben hatte sie in London verbracht, hatte dort auch während ihrer Ausbildung gearbeitet und jede Sekunde gehasst. „Nein. Du?“

„Oh nein, ich hasse es. Ich arbeite schon eine Weile dort und kann es gar nicht erwarten, wegzuziehen. Ich brauche eine Küstenstadt mit guten Segelmöglichkeiten, wie die, in der ich aufgewachsen bin.“

„Dann würdest du es hier lieben. Es gibt hier viele Segeltypen.“

Sam grinste sie an. „Ich weiß nicht, ob ich mich so bezeichnen würde. Ich beschäftige mich nur gern mit Booten. Vermutlich versuche ich nur, meine verlorene Jugend nachzuholen.“

Lachend schüttelte Kate den Kopf. „Ich wette, du warst ein richtiger Satansbraten.“

Um seine Mundwinkel zuckte es. „Meine Eltern würden dir da sicher zustimmen, auch wenn sie nicht mal die Hälfte wissen. Die wichtigste Lektion, die ich in meiner Kindheit gelernt habe, war, dass du jede Regel brechen kannst, solange du nicht erwischt wirst. Was ist mit dir?“

Was sollte mit ihr sein? Sie hatte während ihrer Katastrophenkindheit jede Regel gebrochen, aber das würde sie ihm nicht erzählen, und schon gar nicht beim ersten Date. „Ich hatte meine Höhen und Tiefen.“

„Haben wir die nicht alle?“, fragte er lachend. „Ich wurde mit zehn aufs Internat geschickt.“

Das unterstreicht nur die Unterschiede zwischen uns, dachte Kate. Nicht, dass das etwas änderte, denn sobald sie gegessen hatten, würde sie gehen, und das wäre es dann.

Vor dem Restaurant blieb sie stehen. „Da sind wir, aber es sieht ziemlich voll aus.“

„Die Stadt brummt.“ Sam wirkte überrascht.

„Es ist Samstagabend. Unter der Woche ist es ruhiger. Nebenan gibt es ein Café, wenn hier kein Tisch frei sein sollte – dort gibt es leckere Kuchen und Pasteten und wirklich guten Kaffee … Oh, warte, dort steht jemand auf. Wir könnten Glück haben.“

Er hielt ihr die Restauranttür auf, und sie wurden zu dem Fenstertisch geführt, den das Paar gerade geräumt hatte.

„Das war gutes Timing. Ich bin wirklich am Verhungern, und es riecht hier unheimlich gut. Was würdest du empfehlen?“, fragte er und schlug die Karte auf.

„Es gibt ein gutes Menü für zwei, aber das ist ziemlich viel. Meist schaffen wir das gerade so zu dritt. Hier.“

Sie beugte sich vor und deutete auf die Karte. Er überflog die Stelle und nickte. „Sieht gut aus. Lass uns das nehmen. Ich bin sicher, zusammen schaffen wir das. Wollen wir uns dazu eine Flasche Wein teilen, da wir ja nicht mehr fahren müssen?“

„Gut, aber ich trinke nur ein Glas“, antwortete sie und ignorierte die kleine Stimme, die ihr sagte, dass es immer so anfing.

„Das war wunderbar. Danke. Ich habe viel zu viel gegessen.“

„Ach was, du musst deine Kurven erhalten“, erwiderte Sam und sah in ihre großen grauen Augen, die misstrauisch wirken wollten, es aber nicht schafften. Sein Blick glitt weiter zu dem sanften Schwung ihrer Lippen, die so weich und verführerisch aussahen.

Wer war sie?

Kein Glamourmodel, da war er verdammt sicher, aber darüber hinaus wusste er gar nichts. War es wichtig? Schließlich war er auch nicht gerade mitteilsam gewesen.

Er beugte sich zu ihr und gab ihr einen Kuss auf die Wange. Unter seinen Lippen spürte er ihre zarte Haut, dazu atmete er den Hauch eines Dufts ein, der seine Sinne reizte und ihn dazu verführte, mehr zu wollen.

Viel mehr.

Eigentlich sollten sie sich jetzt verabschieden und getrennte Wege gehen, aber das wollte er nicht. Er wollte sie nicht gehen lassen, denn dann würde er sie vermutlich nie wiedersehen.

„Hast du Lust auf einen Spaziergang an der Küste?“

Kurz zögerte sie, dann lächelte sie. „Warum nicht? Ich liebe das Rauschen des Meeres bei Nacht.“

„Ich auch.“

Es schien das Natürlichste der Welt zu sein, den Arm um ihre Schultern zu legen und sie an sich zu ziehen. Bei jedem Schritt hörte er das Klacken ihrer roten Stiefeletten auf der Promenade, und es machte ihn wahnsinnig.

Rote Schuhe, keine Unterwäsche …

Die Bilder, die in ihm aufstiegen, reizten seine Fantasie.

Im gedämpften Licht der Promenadenlampen konnte er gerade noch ihre Gesichtszüge ausmachen, als er stehen blieb.

„Hör mal“, sagte er.

Sie legte den Kopf schief und lauschte mit ihm dem beruhigenden Klang der Wellen.

„Das Meer ist ruhig heute Nacht“, sagte Kate leise. „Manchmal ist es ziemlich stürmisch. Das liebe ich. Wild und gefährlich und frei.“

„Hm.“ Er schaute ihr in die Augen, dann hob er eine Hand und strich ihr eine Haarsträhne aus dem Gesicht. Ihre Haut fühlte sich kühl an unter seinen Fingerspitzen. Sanft strich er über ihre Wange, legte einen Finger an ihr Kinn und hob es an, bevor er langsam den Kopf senkte und sie küsste.

Leise stöhnend öffnete sie den Mund und gewährte ihm Einlass. Wie köstlich sie schmeckte, nach Pfefferminzcreme und dunkler Schokolade.

Bereits beim Essen hatte sich die Erregung in ihm ausgebreitet, und die zufälligen Berührungen ihrer Hüfte auf dem Spaziergang sowie das sinnliche Klacken ihrer Stiefel auf der Promenade ließen diese Erregung ins Unermessliche steigen.

Atemlos lehnte er sich zurück, suchte in ihrem Gesicht nach Hinweisen, aber es war zu dunkel, um den Ausdruck in ihren Augen lesen zu können. Dafür konnte er das leichte Zittern in ihrem Atem spüren, als dieser sanft über seine Haut strich.

„Verbring die Nacht mit mir“, sagte er spontan. Sie zögerte so lange, dass er bereits die Enttäuschung im Magen spürte. Doch dann schenkte sie ihm ein ironisches, beinahe trauriges Lächeln, als hätte sie einen inneren Kampf verloren, und nickte.

„Zu dir oder bei mir?“, murmelte sie.

Sie gingen zu seinem Hotel.

Neutraler Boden und ganz sicher ordentlicher als ihre Wohnung. Außerdem war Kate noch nicht bereit, so viel von sich preiszugeben. Ihr Körper war eine Sache. Ihr Zuhause eine ganz andere. Also hatte sie vorgegeben, dass ihre Wohnung weiter weg wäre, womit die Entscheidung für sein Hotel gefallen war.

Das Hotel war einer dieser anonymen Orte, die es überall auf der Welt gab: nichtssagend, aber funktional und sauber. Das Bett mit den gestärkten, weißen Laken, die ordentlich festgesteckt waren, dominierte den Raum.

Es war kaum romantisch, aber das war egal.

Was zählte, waren sie beide und das Verlangen, das aus dem Nichts aufgetaucht war und dem sie sich nicht verweigern konnten.

Ihre Sachen landeten auf dem Boden – Jacken, ihr Schal. Sam zog sich seinen Pullover über den Kopf, und der Anblick seiner breiten Brust raubte Kate den Atem.

Mit den Fingerspitzen fuhr sie die straffen Muskeln nach, die sich unter ihrer Berührung anspannten. Sanft umfasste Sam ihr Kinn, hob ihr Gesicht an und schaute ihr lange in die Augen, bevor er zurücktrat.

„Zieh dich für mich aus“, sagte er mit rauer Stimme, ohne ihren Blick loszulassen.

Das Herz pochte wie wild in Kates Brust, als sie die Realität wie ein Schlag traf. Er hielt sie für ein Glamourmodel. Was sollte sie jetzt tun? Sich für ihn ausziehen mit dem Selbstvertrauen einer Frau, die den Lebensunterhalt mit ihrem Körper verdiente? Sie konnte sich nicht einmal daran erinnern, welche Unterwäsche sie nach dem Duschen angezogen hatte!

Zueinander passende Dessous waren es auf jeden Fall nicht. Der BH war knallpink, das wusste sie, weil die Spitze kratzte. Sie trug ihn nur, wenn sie sich dem Boden ihrer Unterwäscheschublade näherte. Was für ihr Höschen nichts Gutes ahnen ließ.

Während Sam sie weiter beobachtete, schälte Kate sich langsam aus ihrem Oberteil. Er atmete hörbar aus und streckte die Hand vor, als wollte er nach ihr greifen. In letzter Sekunde schien er es sich anders zu überlegen, denn er nahm den Arm herunter und seine Hand verschwand in der Hosentasche neben einer verräterischen Beule, bei deren Anblick Kate die Knie weich wurden.

Schnell setzte sie sich auf das Bett und zog die Stiefeletten aus, bevor sie wieder aufstand, um den Reißverschluss ihrer Jeans zu öffnen und sich die Hose über die Hüften zu schieben. Dabei erhaschte sie einen Blick auf ihr Höschen – marineblaue Spitzenshorts, eingefasst mit einer pinkfarbenen Schleife. Wenigstens irgendwie passend. Es könnte deutlich schlimmer sein.

Erleichtert atmete sie auf und wollte die Jeans weiter nach unten schieben, aber sie hing fest, und es gab keinen sexy Weg, sie auszuziehen.

„Warte. Lass mich.“

Sam hockte sich vor sie und befreite erst ein Bein, dann das andere. Dabei strich sein heißer Atem über die zarte Haut ihrer Oberschenkel, sickerte durch die Spitze, die nur eine Handbreit von seinem Mund entfernt war. Er umfasste ihren Po, senkte den Kopf und hauchte einen Kuss auf ihre Mitte.

„Das war’s dann mit dieser Fantasie“, murmelte er.

„Welche Fantasie?“, fragte sie unsicher.

„Frauen, die rote Schuhe tragen …“

„… tragen keine Unterwäsche“, beendete Kate seinen Satz und atmete erleichtert auf.

„Aber das können wir beheben“, sagte er rau. Doch als er die Hand nach ihrem Slip ausstreckte, hielt Kate ihn auf.

„Du bist dran“, erwiderte sie, um Zeit zu gewinnen. Er lächelte verrucht und ließ Geldbörse, Schlüssel und Handy auf den Nachttisch fallen, bevor er seine Schuhe abstreifte und danach Socken und Jeans auszog.

Seine eng anliegenden Jerseyshorts waren nichts Ungewöhnliches oder Bemerkenswertes, aber der Inhalt …

„Mach weiter“, bat sie.

Ganz langsam entledigte er sich seiner Shorts und ließ sie auf den Boden fallen, um dann vollkommen nackt und unbefangen vor ihr zu stehen.

Wie wundervoll es sein muss, so selbstbewusst zu sein, dachte sie, als er sie vorsichtig aufs Bett drückte und den Spitzenslip vorsichtig über ihre Hüften, ihre Beine und ihre Füße streifte …

„Schon besser.“ Sein heißer Blick schürte das Feuer in ihr, sodass sie die Knie zusammenpresste, damit die Glut sie nicht verbrannte. Doch er drückte ihre Beine sanft wieder auseinander, und seine geschickten Finger fuhren den Weg nach, den zuvor sein Blick über ihren Körper genommen hatte. Beinahe quälend sanft strich er über die Innenseite ihres Oberschenkels, bis er sein Ziel gefunden hatte.

Diese Intimität schockierte und erregte sie gleichzeitig. Mit jeder Berührung wuchs die Spannung in ihrem Körper immer weiter an, bis er sich auf einmal zurückzog und sie entblößt und innerlich nach Erlösung schreiend zurückließ.

„Sam …?“

„Zwei Sekunden.“

Sie hörte ein leises Rascheln, dann war er zurück. Ein Kondom, registrierte sie. Gott sei Dank dachte einer von ihnen klar.

„Rutsch rüber“, forderte er sie auf, was sie auch tat. Dann legte er sich zu ihr und fing an, kleine Muster auf ihre Haut zu malen, bevor er eine Hand unter sie schob, um den BH zu öffnen. Er schob den dünnen Spitzenstoff beiseite und senkte den Kopf. Heiße Lippen pressten sich auf ihre eine Brust, während er die andere mit seiner großen, warmen Hand umfasste.

Sanft drückte er ihre Beine mit seinem Knie auseinander. Kate leistet keinen Widerstand, denn ihr Körper sehnte sich nach seinem. Sie bog sich ihm entgegen und flehte ihn stumm um etwas an, das gerade außerhalb ihrer Reichweite war.

„Langsam“, murmelte er, und dann war er ganz nah bei ihr, füllte sie aus, während er ihr Gesicht umfasste und sie küsste. Sein Mund war heiß, süß und lockend, sein Körper fest und so unglaublich geschickt. Sie spürte den Druck wachsen, versuchte, ihm zu widerstehen, es aufzuhalten, denn mit einem Mal schien es ein zu großer Schritt zu sein, ihm so viel von sich zu geben, sich einem Fremden gegenüber so verletzlich zu zeigen, auch wenn dieser Fremde auf ihrem Körper spielte wie auf einem Instrument.

Immer mehr vereinnahmte er sie, eroberte ihren Körper, ließ nicht zu, dass sie vor dem flüchtete, wonach sie sich gesehnt hatte und wovor sie sich jetzt fürchtete, weil es ihre Schutzmauer einreißen und sie verletzlich zurücklassen würde.

„Sieh mich an, Kate“, verlangte er weich, und als sie es tat, hielt er ihren Blick mit seinem fest und trieb sie beide immer weiter an den Abgrund, bis sie schließlich gemeinsam hineinstürzten.

2. KAPITEL

Auf einen Ellbogen gestützt, beobachtete Sam die schlafende Kate. Ihre Haare waren zerzaust, ihr Körper weich vor Erschöpfung.

Endlich war ihrer beider Verlangen gestillt, aber dazu hatte er ihr jeden möglichen Seufzer abringen, sie beide immer wieder an ihre Grenzen bringen müssen. Es war unglaublich gewesen. Unwiderstehlicher als alles, was er je zuvor erlebt hatte.

Deswegen plagten ihn Schuldgefühle, doch er schob sie beiseite. Es war nur Sex, nur eine spontane, verrückte Nacht. Es war doch sicherlich erlaubt, ab und zu etwas Spaß zu haben, um für ein paar Stunden zu vergessen?

Er strich ihr eine Locke aus dem Gesicht, vorsichtig, um sie nicht zu stören. Auch wenn sie schlief wie ein Murmeltier …

Langsam setzte er sich auf und schwang die Beine über die Bettkante. Es war erst sechs Uhr dreißig, aber der Mann, dem das Boot gehörte, wollte vor neun Uhr mit den Gezeiten auslaufen, darum hatten sie ausgemacht, sich um sieben zu treffen. Um acht könnte er zurück in der Stadt sein, spätestens um neun. Vielleicht könnten er und Kate sich dann noch mal treffen?

Ihre Jeans lag auf dem Boden, ihr Handy daneben. Er hob es auf, nahm sein eigenes, ging ins Bad und rief sich mit ihrem Telefon an, um ihre Nummer zu bekommen, dann schrieb er ihr eine Nachricht.

Treffen wir uns zum Frühstück? Gegen neun im Café neben dem Restaurant? S

Dann legte er die Handys weg, duschte, putzte die Zähne und legte spontan die Notfallzahnbürste bereit, die er noch in seinem Kulturbeutel gefunden hatte. Beim Anziehen gab er sich alle Mühe, leise zu sein, auch wenn Kate weiterhin tief und fest schlief. Wenn er an der Rezeption darum bitten würde, sie um acht Uhr zu wecken, hätte sie eine Stunde, um sich fürs Frühstück fertig zu machen.

Kurz zögerte er, dann beugte er sich über sie und atmete den Duft von warmer Haut und Sex ein, als er ihre gerötete, vom Schlafen verknitterte Wange küsste.

Dann nahm er seine Sachen, legte ihr Handy so hin, dass sie es sehen würde, und verließ leise das Zimmer.

Das Klingeln eines Telefons riss Kate aus dem Schlaf.

Mit geschlossenen Augen tastete sie danach. „Hallo?“

„Dies ist Ihr Weckruf. Es ist jetzt acht Uhr“, meldete sich eine schrecklich fröhliche Stimme.

Weckruf? Warum …?

Sam, fiel ihr ein, als sie sich in dem leeren Zimmer umsah. Seine Sachen waren weg. Er musste zu seinem Treffen gegangen sein. Aber warum hatte er sich nicht verabschiedet? Nach allem, was sie geteilt hatten, war er einfach ohne ein Wort gegangen?

Langsam schaltete sich ihr Gehirn ein. Sie ließ den Hörer wieder auf die Gabel fallen und sich zurück in die Kissen.

Verdammt, lerne ich es denn nie?

Verschlafen stolperte sie aus dem Bett, zog sich an und schob ihr Handy in ihre Tasche. Sie war so hundemüde. Am besten fuhr sie nach Hause, duschte und ging wieder ins Bett …

Da klingelte ihr Handy. Sie zog es aus der Hosentasche – ihre Stationsleiterin. Das konnte nur eins bedeuten.

„Hi, Jill.“

„Kate, es tut mir so leid, dass ich dich an deinem freien Tag störe, aber kannst du vielleicht kommen?“

Schon wieder? Ihr wurde schwer ums Herz. „Kannst du keine Schwester von der Zeitarbeitsfirma rufen? Ich habe sieben Tage durchgearbeitet …“

„Ich habe es versucht, aber auf die Schnelle haben die niemanden. Bitte, Kate? Jane hat sich krank gemeldet … Der Norovirus hat sie auch erwischt, und wenn wir nicht mehr Personal ranschaffen, müssen wir die Notaufnahme schließen. Ich würde nicht fragen, wenn ich nicht verzweifelt wäre.“

Sie gab nach. Seit Wochen fegte der Norovirus durch das Yoxburgh-Park-Krankenhaus, deswegen war ihre Freundin Petra gestern Abend auch zur Arbeit gerufen worden. „Okay, ich bin auf dem Weg. Ich muss nur duschen und frühstücken …“

„Eine kurze Dusche. Ich mache dir ein Toast, wenn du hier bist. Wir brauchen dich wirklich sofort.“

Oh, verdammt. „Okay, okay, ich komme. Gib mir zehn Minuten.“

Nichts mit umziehen. Wenigstens war sie gestern nicht im kurzen Kleid und Stilettos ausgegangen, sonst würde es peinlich werden.

Seufzend zog sie sich aus und ging ins Bad, wo sie dankbar sah, dass Sam ihr eine frische Zahnbürste mit etwas Zahnpasta darauf hingelegt hatte.

Sie putzte sich die Zähne und sprang kurz unter die Dusche. Mit den Fingern wischte sie sich die Mascaraflecken unter den Augen weg, nahm sich die vom Hotel bereitgestellten Kekse und das Wasser und ging.

Kate kam nicht.

Beinahe hätte Sam sie angerufen, tat es dann aber doch nicht. Sie musste seine Nachricht gesehen haben. Hatte sie kein Interesse? Wobei … letzte Nacht hatte sie durchaus sehr interessiert gewirkt.

Nach einer Stunde warten und drei Bechern Kaffee gestand er sich das Offensichtliche ein und gab auf.

Wahrscheinlich ist es besser so, sagte er sich und unterdrückte das lächerliche Gefühl der Enttäuschung. Er stieg in sein Auto und sah erneut auf sein Handy. Immer noch nichts. Vielleicht hatte sie seine Nachricht noch nicht gelesen?

Frustriert warf er das Handy auf den Beifahrersitz und fuhr los.

Es war zwanzig Uhr, als Kate endlich die Stufen zu ihrer Wohnung hinaufstieg. Nachdem sie die Tür geöffnet hatte, war sie doppelt froh, dass sie sich am Vorabend für sein Hotel entschieden hatten.

Eigentlich hatte sie heute putzen und Wäsche waschen wollen, doch dazu war sie jetzt zu erschöpft. Sie zog sich aus und versuchte, dabei nicht daran zu denken, wie sie sich gestern Nacht für Sam ausgezogen hatte. Oder an all die Dinge, die er mit ihr und sie mit ihm angestellt hatte. Und sie wollte auch nicht an die Gefühle denken, die er in ihr ausgelöst hatte.

So eine Nacht hatte sie noch nie in ihrem Leben gehabt, und das lag nicht nur am Sex, obwohl der unglaublich gewesen war. Sondern an ihm. An Sam, der so warm und lustig, so sanft und geschickt war. Er hatte ihr das Gefühl gegeben, etwas Besonderes zu sein. Gewollt zu werden. Es hätte ewig so weitergehen können, aber wie alle guten Dinge hatte es viel zu früh geendet, und er hatte nicht einmal den Anstand gehabt, sich von ihr zu verabschieden.

Sie zog ihr Handy aus der Hosentasche, um es aufzuladen, und sah eine Nachricht von einer unbekannten Nummer.

Treffen wir uns zum Frühstück? Gegen neun im Café neben dem Restaurant? S

„Neeeiin!“ Kate ließ sich auf ihr Bett fallen und konnte nur mit Mühe einen Frustschrei unterdrücken. Wie hatte sie die Nachricht übersehen können?

Weil sie einfach keine Zeit gehabt hatte. In ihrer einzigen Pause am Nachmittag war sie im Schwesternzimmer eingeschlafen. Hätte sie die Nachricht gesehen, hätte sie ihn anrufen oder ihm wenigstens antworten und erklären können, dass sie arbeiten musste. Doch so hatte sie nicht gewusst, dass er ihr geschrieben hatte, ganz zu schweigen davon, wie er an ihre Nummer gekommen war.

Indem er sich von ihrem Handy aus angerufen hatte, stellte sie fest, als sie ihren Anrufverlauf überprüfte.

Verdammt. Also war er nicht einfach verschwunden. Und dabei hatte sie ihn den ganzen Tag für seine Feigheit gehasst.

Aber vielleicht war es auch besser so. Er hatte hier nur Freunde besucht, also hätte nichts daraus werden können. Sie sollte sich besser nicht in einen Mann verlieben, den sie nie wiedersehen würde.

Und außerdem hatte sie den Männern abgeschworen. Oder?

Erst zögerte sie, doch dann löschte sie die Nachricht und den Anrufverlauf.

So. Das war erledigt.

Nur wieso fühlte es sich so falsch an. Wieso verspürte sie auf einmal einen traurigen, dumpfen Schmerz? Egal. Der würde vergehen. Das wusste Kate aus bitterer Erfahrung.

Zu müde, um sich noch weiter Gedanken darüber zu machen, krabbelte sie ins Bett und schlief ein, sobald ihr Kopf das Kissen berührte.

Eine Stunde später wachte sie mit rasenden Kopfschmerzen und Magenkrämpfen und der deprimierenden Erkenntnis auf, dass sie sich ebenfalls das Virus eingefangen hatte, das in ihrer Abteilung wütete …

Erst fünf Tage später ging Kate wieder zur Arbeit … Tage, in denen sie Gewicht verloren, den Anblick ihrer Wohnung hassen gelernt und endlich ihren Wäscheberg in Angriff genommen hatte, während sie die vorgeschriebenen achtundvierzig Stunden wartete, nachdem die Symptome abgeklungen waren.

Im Krankenhaus schien die schlimmste Krise überstanden. Das war ganz gut, da ihr noch immer schwindelig und übel war. Das Schwindelgefühl hielt sie mit Schokolade unter Kontrolle, aber gegen ihre Träume konnte sie nichts tun.

Jede Nacht suchte Sam sie heim, erinnerte sie an diese wenigen Stunden, die sie zusammen verbracht hatten, weckte Bedauern in ihr, weil sie ihn nicht angerufen hatte, um sich zu entschuldigen und alles zu erklären. Nun war es zu spät, denn sie hatte seine Nummer und seine Nachricht gelöscht.

Anfang April, zwei Monate nach ihrer Nacht mit Sam, betrat sie den Schockraum, um die Medikamentenschränke aufzufüllen, und fand Annie Shackleton über einem Tisch zusammengesunken, den Kopf in die Hände gestützt.

Im Laufe der Zeit war aus ihrer engen Zusammenarbeit eine tiefe Freundschaft entstanden, deshalb war Kate von Anfang an in Annies Schwangerschaft und die damit einhergehenden Probleme eingeweiht gewesen. Da Annies Mann Ed das Huntington-Gen in sich trug, hatte sie sich einer künstlichen Befruchtung unterzogen, und Kate hatte als eine der Ersten die wunderbare Neuigkeit erfahren, dass es geklappt hatte und sie Zwillingsjungs erwartete.

An diesem Morgen war Annie zu einer Routinevorsorgeuntersuchung gewesen, und deshalb wusste Kate, dass etwas nicht stimmte.

„Hey, was ist los?“, fragte sie leise und ging vor ihrer Freundin in die Hocke.

Annie hob den Kopf. „Ich habe Präeklampsie“, antwortete sie zittrig.

„Oh, Annie, das tut mir so leid. Wie geht es jetzt weiter?“

„Ich muss quasi sofort aufhören zu arbeiten.“

„Natürlich musst du das, aber es wird alles gut! Du musst dich nur ausruhen. Wirst du stationär aufgenommen?“

„Nicht sofort, aber es wird mir schwerfallen, es locker angehen zu lassen. Wer kümmert sich um die Mädchen? Ich kann nicht erwarten, dass meine arme Mutter noch mehr tut. Sie unterstützt mich schon, seit die Mädchen auf der Welt sind, weil ich anfangs auf mich allein gestellt war. Inzwischen muss sie nur an den drei Tagen helfen, an denen ich arbeite, aber jetzt stehen die Osterferien vor der Tür, und da sind die Mädchen den ganzen Tag zu Hause. Ed kann sich auch nicht freinehmen. Das Timing könnte nicht schlechter sein …“

Ihre Stimme brach, und Kate zog sie in ihre Arme.

„Annie, deine Mum schafft das schon. Sie liebt die Mädchen, und die beiden machen keinen Ärger. Sie werden sich überschlagen, um sich um dich zu kümmern, und Ed wird da sein, um sie zu wecken und ins Bett zu bringen. Es wird alles gut, Annie. Wirklich. Du und die Babys kommt zuerst, und der Rest findet sich.“

Langsam nickte Annie. „Ich weiß, aber ich lasse die Abteilung hängen. Wie wollen sie so kurzfristig eine Vertretung finden? Ich wollte bis zur sechsunddreißigsten Woche arbeiten, und jetzt bin ich erst in der zweiunddreißigsten.“

„Na und? Sie finden schon jemanden. Das ist nicht dein Problem. James Slater ist der klinische Leiter, lass ihn das regeln, und du kümmerst dich um dich und die Babys. Hast du es ihm schon gesagt?“

Annie stand auf. „Nein, aber das muss ich. Du hast recht, die Vertretung ist nicht mein Problem. Ich gehe jetzt gleich zu ihm.“

„Und danach fährst du direkt nach Hause, okay? Ich kümmere mich um deinen Spind.“ Kate richtete sich auf, umarmte ihre Freundin erneut und schaute ihr dann hinterher. Ihre Kehle war mit einem Mal ganz eng. Nicht nur, weil sie den warmen, sanften Humor von Annie vermissen würde, sondern auch, weil sie das schreckliche Gefühl hatte, dass sie nicht wiederkommen würde.

Aber das war egoistisch. Hier ging es nicht um sie.

Sie hatte gerade die Medikamente aufgefüllt, als James hereinsah. „Annie geht nach Hause.“

„Ich weiß. Sie macht sich Sorgen, dass sie dich hängen lässt.“

„Sie hat keine andere Wahl, und wir kommen schon zurecht. Wenn nötig, springe ich ein. Sie hat etwas davon gesagt, dass du ihren Spind für sie ausräumst. Bringst du die Sachen bitte in mein Büro, dann bringe ich sie ihr heute Abend auf dem Heimweg vorbei.“

„Kannst du eine Vertretung für sie organisieren?“

Er zuckte mit den Schultern und fuhr sich durch die Haare. „Vielleicht. Connie hat einen Freund, der im Moment scheinbar Däumchen dreht. Sie soll ihn anrufen und ihm die Daumenschrauben anlegen. Vielleicht holt er dann auch endlich sein verdammtes Boot aus unserer Einfahrt. Keine Ahnung, warum er das gekauft hat … Aber hey, wer bin ich, darüber zu urteilen? Ich will es nur loswerden, damit wir das Haus verkaufen können, bevor das Baby kommt.“

Doch Kate hatte bei „Boot“ aufgehört, zuzuhören. Zufall? Sam hatte sich ein Boot angesehen. Und seine Freunde waren zu einer Party gegangen, am selben Abend, als James und Connie im Zaccharelli’s zu einem vierzigsten Geburtstag gewesen waren.

Aber Sam war kein Arzt … oder?

„Wie lange steht es denn schon da?“, fragte sie beiläufig, obwohl ihr Herz raste.

„Ein paar Monate? So, ich muss weitermachen. Vergiss Annies Spind nicht.“

„Wird sofort erledigt.“

Ein paar Monate? Konnte es sein, dass Sam Arzt war? Und wenn ja, was würde er davon halten, mit ihr zusammenzuarbeiten?

Ihr Herz hüpfte vor Aufregung, als sie zum Personalraum ging und Annies Sachen in einen Karton packte.

Würden sie dort weitermachen, wo sie aufgehört hatten?

Sie klopfte an James’ Tür. Er telefonierte gerade, winkte sie jedoch herein und flüsterte: „Danke.“ Kate hatte gerade den Karton auf den Schreibtisch gestellt, als er den Anruf beendete und sie fröhlich angrinste.

„Erledigt. Meine wunderbare Frau hat ihn gerade geknackt. Am Montag fängt ein erstaunlich hochqualifizierter Facharzt für Unfallchirurgie bei uns an.“ Nachdenklich legte er den Kopf schräg und musterte sie. „Eine kleine Warnung, Kate. Er ist emotional gebrochen, also lass dich nicht von seinem Charisma einfangen. Das würde direkt ins Verderben führen.“

Das Wort „wieder“ hing unausgesprochen zwischen ihnen in der Luft, und Kate unterdrückte ein Seufzen. „Ich werde es mir merken“, antwortete sie mit einem aufgesetzten Lächeln und hoffte eindringlich, dass der neue Arzt nicht Sam war, denn dann kam die Warnung viel zu spät.

Am nächsten Tag hatte Kate frei und schaute bei Ed und Annie vorbei, um zu sehen, wie es ihrer Freundin ging.

„Bevor du fragst, es geht ihr gut“, sagte Ed lächelnd, als er sie hereinließ. „Ich verwöhne sie von vorne bis hinten. Sie hasst es.“

„Ich wette, das stimmt nicht. Ich habe ihr zur Aufmunterung Blumen mitgebracht.“

„Danke. Sie ist mit den Mädchen im Garten. Geh durch. Ich wollte uns gerade Kaffee kochen. Wie magst du ihn?“

„Kann ich Tee haben?“, fragte sie. „Ohne Zucker?“

„Sicher. Wir haben auch Kuchen. Ich bringe alles raus.“

Annie saß auf einer dick gepolsterten Hollywoodschaukel. Sie hatte die Füße hochgelegt und beobachtete die Mädchen, die durch den Garten tobten. Kate ging zu ihr und umarmte sie zur Begrüßung, bevor sie ihr die Blumen reichte.

„Oh, du Liebe! Sie sind so hübsch. Danke. Ich bitte Ed, sie ins Wasser zu stellen. Dann hat er etwas zu tun, statt wie eine Glucke um mich herumzurennen.“

Sie zog die Beine an, um Platz zu machen. Kate setzte sich und bedeutete ihr, die geschwollenen Füße auf ihren Schoß zu legen.

„Also, wie geht es dir? Du siehst absolut zufrieden aus.“

Annie lächelte. „Das bin ich auch. Es ist wunderbar … und noch besser, seit ich weiß, dass James eine gute Vertretung gefunden hat. Ed macht mich ein bisschen wahnsinnig, aber die Mädchen waren ganz brav, und wenn die Babys aufhören würden, mich zu treten, könnte ich mich wirklich entspannen. Fühl mal! Als ob sich ein Fußballteam aufwärmt. Da merkt man, dass es Jungs sind.“

Lachend legte Kate ihre Hand auf Annies Bauch. „Meine Güte.“

„Mit Zwillingen wird es ein bisschen eng. Bei den Mädchen war es dasselbe, aber ich glaube, diese beiden sind größer. Bringt Ed dir Kaffee?“

„Ja … na ja, Tee. Seit ich das Virus hatte, vertrage ich keinen Kaffee.“

„Das war vor Monaten! Du bist doch wohl nicht schwanger, oder?“, zog ihre Freundin sie auf.

Kate lachte. „Wie sollte ich denn schwanger sein? Ich habe den Männern abgeschworen – außerdem nehme ich die Pille. Mir schmeckt Kaffee einfach nicht mehr. Ich glaube, ich hatte zu viel davon.“

Lachend verdrehte Annie die Augen. „Von Schokolade hat dich das nicht abgebracht!“

„Oder von Kuchen.“ Kate lachte. „Nein, es ist nur das Virus.“

Aber als Ed das Tablett brachte und direkt neben ihr abstellte, ließ sie der Geruch des Kaffees würgen.

Könnte Annie recht haben? Wie wahrscheinlich war es, dass sie sich zwei Monate später noch immer krank fühlte? Nicht sehr …

Aber sie konnte nicht schwanger sein. Es sei denn …

„Kuchen?“, fragte Ed. „Der berühmte Zitronenkuchen meiner Großmutter.“

„Danke. Das klingt wunderbar“, antwortete Kate abwesend.

Als ihnen die Kondome ausgegangen waren, hatten sie gedacht, dass es in Ordnung wäre, schließlich nahm Kate die Pille. Und ohne das Virus wäre es das auch gewesen. Deshalb hatte sie, als er ihr wieder besser gegangen war, vorsichtshalber einen Schwangerschaftstest gemacht, der negativ ausgefallen war.

Die Mädchen liefen zu ihrem Spielhaus, und Ed ging, um das Tablett ins Haus zu bringen, aber Kate bekam davon nichts mit, bis Annie sie leicht schüttelte.

„Kate? Geht es dir gut? Du siehst aus, als hättest du einen Geist gesehen.“

Oder erkannt, dass ihr schlimmster Albtraum wahr geworden sein könnte …

Annie riss die Augen auf, und Kate konnte sehen, wann ihre Freundin ihre Gedanken ahnte. „Oh nein. Du bist nicht schwanger, oder?“

Sie wollte den Kopf schütteln, doch dann zuckte sie mit den Schultern. „Ich weiß es nicht. Ich habe mein leichtes Unbehagen auf das Virus geschoben, aber es ist möglich …“

„Oh Kate. Willst du einen Schwangerschaftstest machen? Ich habe noch einen oben in unserem Bad.“

„Ich habe vor einer Ewigkeit bereits einen gemacht und der war negativ … Und überhaupt, ich kann doch nicht einfach in euer Schlafzimmer marschieren!“

„Das ist in Ordnung, ich begleite dich. Ich muss die Blumen ins Wasser stellen, und wenn Ed fragt, zeige ich dir das Kinderzimmer.“

Also gingen sie hinein und stellten auf dem Weg die Blumen in einer Vase ab. Kate nahm den Test, den Annie ihr reichte, schloss die Badezimmertür und biss sich auf die Lippe. Wollte sie das wirklich tun? Himmel, ja, sie musste es wissen, und zwar so schnell wie möglich.

Kate starrte auf das Stäbchen. Schwanger. Es war Anfang April, und sie hatte Sam Ende Januar getroffen. Also vor beinahe neun Wochen … Sie musste den anderen Test zu früh gemacht haben …

„Kate? Kate, geht es dir gut?“

Zitternd öffnete sie die Tür und zeigte Annie das Teststäbchen. „Du hattest recht.“ Ihre Stimme klang selbst in ihren Ohren hohl. „Oh Gott, Annie, was soll ich nur tun?“

Sie spürte, wie sie umarmt wurde, wie sich Annies schwangerer Bauch an sie presste. Sie spürte das Treten der Babys und erkannte geschockt, dass sie das sein würde, wenn sie nichts unternahm – dann würde ein Kind in ihr wachsen.

Und dann? Wie sollte sie eine Mutter sein? Sie wusste überhaupt nicht, was eine echte Mutter ausmachte.

Ein Zittern breitete sich in ihrem Körper aus, und Annie führte sie ruhig zum Bett, wo sie sich neben sie setzte, einen Arm um sie legte und sie sanft wiegte. Kate konnte sich erinnern, dass ihre Pflegemutter das getan hatte, als sie sechzehn gewesen und ihre Welt auf den Kopf gestellt worden war.

Jetzt fühlte es sich genauso an.

„Ich kann das nicht, Annie. Ich kann das nicht allein …“

„Weißt du, wer der Vater ist?“

Sie nickte. „Aber ich habe seine Nummer nicht mehr, und er würde es sicher auch nicht wissen wollen, es war nur eine Nacht. Oh Gott, ich war so dumm! Warum …?“

„Shh, shh“, hauchte Annie, wiegte sie sanft. „Es wird alles gut. Du kannst das. Ich habe das auch allein geschafft.“

„Nein, hast du nicht, du hattest deine Mum, ich nicht …“

„Aber du hast mich. Ich helfe dir. Du wirst nicht allein sein, Kate. Du kannst das, wenn du dich dafür entscheidest. Es wird alles gut.“

Und wenn sie das nicht wollte?

Wenn Sam wirklich der Vertretungsarzt war, musste sie es ihm sagen, und dann würde er mitreden wollen. Was wäre, wenn sie sich gegen das Baby entschied, er aber wollte, dass sie es bekam? Und was, wenn der neue Arzt nicht Sam war? Dann, würde sie es ihm nicht sagen können, weil sie keine Kontaktdaten von ihm hatte.

Was bedeutete, wenn sie es behielt, musste sie ganz allein damit klarkommen.

Aber das war in Ordnung. Sie war fast ihr ganzes Leben allein gewesen, und es gefiel ihr so. Sie hatte genug davon, schikaniert, manipuliert und belogen zu werden.

Nicht, dass Sam das unbedingt tun würde, aber es war besser, ihm diese Möglichkeit gar nicht erst zu geben.

Vorausgesetzt, Sam war der Vertretungsarzt.

Er war es.

Das wusste Kate, sobald sie zwei Tage später am Montagmorgen um sieben die Abteilung betrat. Sie hörte sein Lachen über die Hintergrundgeräusche, hörte James etwas sagen und dann ein weiteres Lachen, als sie um die Ecke bog.

Geschockt blieb sie stehen. Als er sie sah, riss er überrascht die Augen auf.

Sie sah ihn an, verlor sich erneut in seinem attraktiven Gesicht und erinnerte sich dann an all die Gründe, warum sie es bedauern musste, ihn je getroffen zu haben. Speziell einen Grund …

„Ah, Kate. Das ist Sam Ryder, unser Vertretungsarzt. Sam, das ist Kate Ashton, eine unserer besten Oberschwestern.“

„Hallo Kate“, sagte Sam leise, aber die Sprache hatte sie verlassen, und sie wünschte, der Boden würde sich unter ihr auftun.

„Kennt ihr euch?“, fragte James in die unbehagliche Stille.

„Ja …“

„Nein!“

Sie antworteten gleichzeitig, und James zuckte leicht zusammen, bevor er von ihr zu Sam und zurück schaute. „Was denn nun?“

Nun war es Sam, der verstummte. Aber Kate fasste sich schnell wieder. „Wir sind uns vor ein paar Monaten einmal begegnet“, erklärte sie.

Ein Muskel zuckte in seinem Kinn, ansonsten blieb Sams Gesicht regungslos. Kein Lächeln, keine gerunzelte Stirn … nichts. Nur dieser anklagende Blick.

Ihr wurde übel. Was nichts Ungewöhnliches war. So langsam hatte sie sich daran gewöhnt.

Ein piepsender Pager unterbrach die Stille. James zog seinen aus der Tasche und las die Nachricht.

„Entschuldigt, ich muss los. Sam, ich überlasse dich für den Moment Kate, sie kann dich rumführen. Sie hat viel mit Annie gearbeitet, also ist sie wirklich eine Expertin. Komm zu mir, wenn du mit der Personalabteilung fertig bist.“

Damit klopfte James ihm auf die Schulter und ging. Sam schaute ihm nach, bevor er Kate ansah. Sie hatte ganz vergessen, wie durchdringend sein Blick sein konnte.

„Du hast mir nicht gesagt, dass du Krankenschwester bist.“

„Du hast mir nicht gesagt, dass du Arzt bist.“

„Zumindest habe ich nicht gelogen.“

Sie spürte, wie sie errötete. „Etwas zu verschweigen, ist auch nicht besser.“

„Da gibt es Abstufungen. Und ich habe nicht geleugnet, dass ich dich kenne.“

„Ich dachte nicht, dass ihn unser …“

„Unser Verhältnis? Unser One-Night-Stand? Unser zufälliges …“

„Unser Privatleben etwas angeht. Und außerdem kennst du mich nicht. Wir hatten nur Sex.“

Etwas flackerte in diesen eisblauen Augen auf, etwas Wildes, Ungezähmtes und Beängstigendes. Dann wandte er den Blick ab.

„Offensichtlich.“

Sie holte tief Luft und straffte die Schultern. Irgendwann musste sie ihm sagen, dass sie schwanger war, aber nicht hier, nicht jetzt und nicht so. Wenn sie dieses Kind bekamen, würden sie sich kennenlernen müssen. Aber jetzt wartete die Arbeit auf sie, und Kate würde ihre Gefühle zurückstellen und dem Drang wegzulaufen, widerstehen.

Energisch riss sie sich zusammen und straffte die Schultern. „Sollen wir dann mit der Führung weitermachen? Was hast du schon gesehen?“

„Das Büro von James. Sonst eigentlich nichts.“

„Okay. Dann lass uns am Empfang anfangen mit der Route, die die Patienten nehmen, danach kannst du zur Personalabteilung hoch. Ich gebe dir einen Plan des Krankenhauses mit.“

Und mit etwas Glück würden ihre Beine erst hinterher unter ihr nachgeben …

„Wir müssen reden.“

Sam hielt inne, während er die Papiere für den letzten Patienten ausfüllte. „Müssen wir?“

Ihre Abfuhr im Januar nagte noch immer an ihm, ganz zu schweigen davon, dass sie James gegenüber geleugnet hatte, ihn zu kennen. Den ganzen Morgen über hatte er versuchte, seinen verräterischen Körper unter Kontrolle zu bringen, der sich über ihr plötzliches Wiederauftauchen in seinem Leben zu freuen schien. Eigentlich war sie zur Hälfte der Grund gewesen, warum er die Vertretungsstelle angenommen hatte, für den unwahrscheinlichen Fall, dass er ihr in der Stadt noch einmal über den Weg laufen würde. Nie hätte er damit gerechnet, dass sie im gleichen Krankenhaus arbeitete.

Er zwang sich, ihr in die Augen zu sehen, statt ihrem Blick auszuweichen.

„Ich hätte nicht gedacht, dass wir uns etwas zu sagen hätten.“

Sie zuckte leicht zusammen, hielt aber stand.

„Es gibt eine Menge zu sagen.“

„Zum Beispiel, warum du nicht auf meine Nachricht geantwortet hast?“

Er sah, wie sie schluckte. „Ich habe sie nicht gesehen … Also erst sehr viel später.“

„Das ist eine Lüge. Ich habe sie auf deinem Handy gesehen, als ich sie geschickt habe, also weiß ich, dass sie angekommen ist.“

„Aber ich habe sie nicht gesehen. Ich hatte keine Zeit nachzusehen, bis ich zu Hause war … Ich wurde an dem Morgen zur Arbeit gerufen.“

„Na klar.“

„Warum denkst du das Schlechteste von mir? Ich lüge nicht, und es gibt Aufzeichnungen darüber.“ Kate biss sich auf die Unterlippe, aber ihre Augen wirkten besorgt, und sie seufzte frustriert. „Hör mal, Sam, ich will das nicht hier machen. Können wir uns später treffen? Bitte?“

Er lehnte sich an den Tisch, die Hände in den Taschen seiner OP-Kleidung vergraben, damit er sie nicht nach ihr ausstreckte, und musterte sie. Doch er konnte ihren Gesichtsausdruck nicht deuten. „Okay“, gab er schließlich nach. „Wann hast du Schluss?“

„Um drei. Und du?“

„Theoretisch um fünf, aber vielleicht auch später. Wir könnten in einen Pub gehen“, bot er widerstrebend an, aber sie schüttelte den Kopf.

„Nein, kein Pub. Wo wohnst du?“

„Bei James und Connie, aber da treffen wir uns auf keinen Fall.“

Sie runzelte die Stirn. „Nein, definitiv nicht.“

„Dann wo?“

Sie biss sich erneut auf die Unterlippe, und beinahe hatte er Mitleid mit ihr. „Meine Wohnung?“, schlug sie schließlich widerwillig vor. „Komm vorbei, wenn du Schluss hast. So gegen achtzehn Uhr?“

Er nickte, erleichtert, dass sie sich unter vier Augen treffen würden. „Okay. Gib mir die Adresse. Oh, und besser auch deine Nummer, falls ich aufgehalten werde.“

Obwohl sie nickte, wirkte sie misstrauisch. Beinahe … gehetzt?

„Kate, ich verstehe, dass das ein One-Night-Stand war“, sagte er leise. „Und ich wollte auch nicht mehr. Das will ich immer noch nicht“, fügte er hinzu, obwohl ihn bei dieser Lüge leichte Schuldgefühle überkamen. „Aber du hättest auf meine Nachricht antworten können.“

„Und wie? Danke für die tolle Nacht, entschuldige, dass ich mich nicht verabschiedet habe, als du dich aus dem Hotelzimmer geschlichen hast?“

„Ich bin kaum geschlichen …“

„Du hättest mich wecken können. Du hättest mich einfach fragen können …“ Sie brach ab, seufzte ungeduldig und zog ihr Handy aus der Tasche. „Sag mir deine Nummer.“

Sie tippte sie ein, und kurz darauf vibrierte sein Handy. „Okay, ich habe sie“, sagte er und speicherte sie in seinen Kontakten. „Ich rufe dich an, wenn ich fertig bin.“

„Ich schicke dir dann meine Adresse. Es ist die Wohnung ganz oben. Nummer 3.“

Nach kurzem Zögern wandte sie sich ab und ließ ihn verwirrt und fasziniert zurück.

Wahrscheinlich will sie ein paar Regeln für unsere Zusammenarbeit festlegen, überlegte Sam.

Nun, das war einfach. Hände weg. Das konnte er.

Er machte sich wieder an die Arbeit.

3. KAPITEL

Kate stand am Schlafzimmerfenster und sah, wie Punkt achtzehn Uhr ein Auto vor ihrem Haus hielt. Schnell lief sie nach unten und öffnete die Eingangstür.

„Hast du mich gut gefunden?“, fragte sie, aber Sam lächelte nur.

„Das ist keine Raketenwissenschaft. Ich habe ein Navi.“

Natürlich. Ohne ein weiteres Wort drehte sie sich um und führte ihn über die enge Wendeltreppe ins Obergeschoss des großen, viktorianischen Stadthauses. Irgendwann war es einmal elegant gewesen. Jetzt wirkte es heruntergekommen, als hätte es schon sehr lange niemand mehr richtig geliebt, und sie fragte sich, was Sam wohl davon hielt. Nicht, dass seine Meinung wichtig war.

Oben bat sie ihn hinein, und er folgte ihr an der engen Küche vorbei ins Wohnzimmer, das mit ihm darin plötzlich viel zu klein wirkte. Aber dank der letzten beiden Stunden hektischer Aktivität war es zumindest aufgeräumt und sauber, abgesehen von den Regalen in den Nischen, die vor Büchern überquollen.

„Möchtest du etwas trinken?“, fragte sie, auf Zeit spielend, und er nickte.

„Ja, danke … Für einen Kaffee würde ich töten.“

Kaffee? Auf keinen Fall. Sie deutete in Richtung Sofa. „Mach es dir bequem. Das Wasser kocht schon. Ich bin gleich wieder da.“

Sie ging in die Küche, schloss die Tür und holte tief Luft, um sich zu sammeln und ihren Herzschlag zu beruhigen.

„Du kannst das“, flüsterte sie sich zu, aber sie wusste nicht, ob sie jemals bereit sein würde, die Worte auszusprechen, die ihre Leben für immer verändern würden.

Sam sah sich um und versuchte, ihren Charakter zu verstehen, aber es gab nichts, was etwas Persönliches über Kate verriet. Weder Deko noch Fotos.

Er musterte ihre Bücher – Biografien, Reiseführer, Liebesromane, Krimis, historische Sagas, eine Sammlung Kochbücher – und ein zerschlissenes, vermutlich heiß geliebtes Kinderbuch mit Eselsohren.

Worüber will sie mit mir sprechen?

Als er sie zurückkommen hörte, drehte er sich zu ihr um und musterte ihr Gesicht, fand jedoch keine Hinweise. Sie stellte das Tablett ab und reichte ihm eine Tasse.

Er schnupperte. „Ist das Tee?“

„Entschuldige, mir ist der Kaffee ausgegangen. Außerdem hast du schon den ganzen Tag über Kaffee getrunken. Tee ist besser für dich.“

Überrascht blinzelte er. „Versuchst du, mich zu bemuttern?“ Damit musste er einen wunden Punkt erwischt haben, denn sie atmete scharf ein und wandte den Blick ab.

„Mach dich nicht lächerlich. Warum sollte ich das tun?“

„Was weiß ich. Kate, worüber wolltest du mit mir reden?“

Sie sah ihm in die Augen, bevor sie den Blick abwandte und sich innerlich zu wappnen schien. „Okay. Ich habe Kaffee, aber ich ertrage den Geruch im Moment nicht.“ Ihr Blick war gleichzeitig trotzig und ängstlich, und ihre nächsten Worte nahmen ihm jeden Wind aus den Segeln.

„Ich bin schwanger.“

So. Sie hatte es ausgesprochen.

Und nach seinem Gesichtsausdruck zu urteilen, hatte Sam damit absolut nicht gerechnet.

Er wandte sich ab, stellte seine Tasse auf den Kaminsims und umklammerte das Regalbrett so fest, dass seine Knöchel weiß wurden.

„Wie?“

Seine Stimme klang rau, spröde, als würde er sich mit purer Willenskraft zusammenhalten. Das verstand Kate gut. Nichts anderes tat sie, seit sie es herausgefunden hatte, und sie fühlte sich, als hätte sie seit Tagen nicht richtig geatmet.

„Uns sind die Kondome ausgegangen, erinnerst du dich? Beim letzten Mal.“ Das Mal, bei dem sie ihm versichert hatte, dass es sicher war. Die Ironie entging ihr nicht.

Im Spiegel sah sie, wie er die Stirn runzelte. „Aber du hast gesagt, es wäre okay. Dass du die Pille nimmst … oder war das auch eine Lüge?“

„Nein! Ich nehme sie wirklich … zumindest habe ich das. Aber gleich nach der Arbeit lag ich mit dem Norovirus flach und konnte tagelang nicht einmal Wasser bei mir behalten.“

„Bist du sicher? Du bist nicht einfach …“

„Ich bin sehr sicher. Und glaub mir, ich bin genauso begeistert wie du.“

„Du weißt nichts über mich oder meine Gefühle“, knurrte er und hob den Kopf, um ihren Blick im Spiegel aufzufangen. „Gar nichts.“

„Ich weiß, dass du nichts dagegen hast, die Regeln zu brechen, solange du nicht erwischt wirst.“

Einen Moment hielt er ihrem Blick stand, dann sah er weg. „Nicht diese. Bei Verhütung bin ich fanatisch.“

„Offensichtlich nicht fanatisch genug.“

Seufzend streckte sie eine Hand nach ihm aus, ließ sie dann jedoch wieder sinken. „Sam, lass uns nicht streiten. Das verschwindet nicht einfach, nur weil es uns nicht gefällt.“

Kurz raufte er sich die Haare, dann drehte er sich zu ihr um. „Bist du absolut sicher, dass es meins ist?“

Kate wurde blass. „Natürlich bin ich sicher …“

„Wirklich? Denn du bist ziemlich schnell mit mir ins Bett gegangen und hast offensichtlich schon vorher die Pille genommen.“

„Womit ich ein genauso loses Ding bin wie du. Denn wenn ich mich richtig erinnere, hattest du Kondome in deiner Geldbörse.“

Er zuckte zusammen, und sie nickte. „Nicht schön, oder? Aber es ist die Wahrheit. Keiner von uns wusste etwas über den anderen, aber wir haben ein Baby gemacht, Sam.“ Ihre Stimme brach. „Ich bin in der elften Woche schwanger, und wir müssen eine Entscheidung treffen …“

Sein Kopf zuckte zurück, als hätte sie ihn geschlagen, und er schluckte. „Du willst es abtreiben?“

Kate wurde blass. Die Worte waren so schonungslos, aber ihre Gefühle waren vollkommen verwirrt, chaotisch. „Nein … Ich weiß es nicht. Ich wünschte, es wäre nie passiert, und glaub mir, wenn ich die Zeit zurückdrehen könnte, würde es nie passieren, aber das ist es, und …“

„Warum hast du mich nicht angerufen? Warum hast du bis jetzt gewartet, um eine Entscheidung zu treffen? Das ergibt keinen Sinn.“

„Ich wusste es nicht! Ich habe es erst vor zwei Tagen herausgefunden.“

„Das glaube ich nicht. Du musst doch deinen Zyklus kennen …“

„Ich habe keinen, ich nehme die Pille durchgehend! Nach dem Virus habe ich einen Schwangerschaftstest gemacht, der negativ war … Und außerdem hatte ich deine Nummer nicht mehr. Ich wusste nicht, wer du bist. Ich kannte nur deinen Vornamen.“

„Bist du sicher? Denn heute Morgen hast du nicht gerade überrascht gewirkt, mich zu sehen.“

„Ich hatte keine Ahnung, bis James vor ein paar Tagen erwähnt hat, dass der neue Vertretungsarzt endlich das Boot aus seiner Einfahrt holt. Ich dachte mir, dass du das sein könntest, aber da er keinen Namen genannt hat, wusste ich es erst mit Sicherheit, als ich dich heute früh gesehen habe. Wie hätte ich das auch ahnen können? Du hast mir ja nicht gesagt, dass du Arzt bist. Du hast mir kaum etwas erzählt …“

Sie brach ab, weil ihr die Worte ausgingen, der Atem, jede Hoffnung auf eine einfache Lösung. „Ich kann das nicht, Sam.“ Kate kniff die Augen zu, um die Tränen aufzuhalten, doch sie liefen ihr über die Wangen, legten ihre Seele bloß. „Ich kann das nicht. Ich weiß nicht wie. Ich möchte einfach nur, dass alles verschwindet …“

Wieso hatte er das nicht kommen sehen?

Sam wünschte, er wäre nach dem Essen im Restaurant gegangen … oder noch bevor er das Gespräch angefangen hatte, das mit einem Baby geendet hatte …

Jetzt drehte Kate ihm den Rücken zu, aber er hatte die Angst in ihren Augen gesehen, die Tränen, die sie versucht hatte zu unterdrücken. Er wollte sie trösten, aber wie, wenn er selbst innerlich schrie? Was konnte er sagen, um es besser zu machen? Nichts.

Nur mit einer Fehlgeburt oder Abtreibung würde es verschwinden, und selbst dann würden sie bis an ihr Lebensende die Narben spüren.

„Kate …“

Er brach ab, weil er nicht wusste, was er sagen sollte. Aber er konnte auch nicht einfach nur dastehen und zusehen, wie ihre Schultern bebten unter dem Schluchzen, das sie nicht zurückhalten konnte. Seine Füße bewegten sich wie von selbst, er zog sie in seine Arme, drückte sie an seine Brust und fragte sich, welcher Gott ihm … ihnen das angetan hatte.

Das hier war sein Traum. Es war alles, was er und Kerry geplant hatten. Aber dass er sich mit einer Frau erfüllte, die er nicht kannte, nicht liebte, während die Frau, die er liebte, in einem kalten Grab lag …

„Komm, setz dich“, sagte er schroff und führte sie zum Sofa.

Ihm war nicht bewusst gewesen, dass er noch Schmerz empfinden konnte, dass noch etwas den tiefen, dunklen Ort in ihm, den Kerrys Tod hinterlassen hatte, berühren könnte, aber er fühlte sich, als würde er in Schmerz ertrinken.

Kate wusste nicht, wie lange sie so saßen, spürte nur die Anspannung in ihm, sein kontrolliertes Atmen, das reflexhafte Streicheln seines Daumens auf ihrer Schulter.

Was dachte Sam?

Vorsichtig löste sie sich von ihm. Sein Arm fiel von ihrer Schulter, als sie aufstand, zum Fenster ging und hinausstarrte, die Arme um ihren Bauch geschlungen.

Irgendwann hatte es angefangen zu regnen, und sie sah zu, wie das Wasser an der Fensterscheibe entlanglief, und fragte sich, wie sie das quälende Schweigen zwischen ihnen durchbrechen sollte.

„Und was jetzt?“, fragte er mit vor Gefühlen rauer Stimme.

Jetzt? „Ich habe keine Ahnung“, erwiderte sie hölzern. „Ich versuche immer noch, damit klarzukommen. Ich hatte noch keine Gelegenheit, wirklich darüber nachzudenken.“

„Weiß es sonst jemand?“

„Nur Annie Shackleton.“

„Die Frau, für die ich einspringe?“

Sie nickte. „Es war der Kaffee. Normalerweise trinke ich den literweise, und jetzt wird mir davon übel. Sie hat es als Witz gemeint, aber es hat sich als nicht so lustig herausgestellt.“

Die Untertreibung des Jahrhunderts.

Sie hörte, dass er sich bewegte, sah ihn in der Scheibe, als er auf sie zukam und schräg hinter ihr stehen blieb. Die Hände hatte er in die Gesäßtaschen seiner Hose geschoben, und seine Haltung wirkte abwehrend. „Was willst du tun? Du hast gesagt, du kannst das nicht … War das nur die Angst, oder meinst du das wirklich?“

Im Fenster konnte Kate seine Augen nicht sehen, also drehte sie sich um. Doch dann wünschte sie, sie hätte es nicht getan, denn sie sah den schwachen Schimmer ungeweinter Tränen, und in seinem Kinn zuckte ein Muskel, als würde er sich mühsam zusammenreißen.

Als sie eine Hand ausstreckte und sein Gesicht berührte, zuckte er zusammen und drehte den Kopf weg. Sie ließ den Arm sinken und biss sich auf die Unterlippe.

„Was willst du, dass ich tue?“, fragte sie hohl.

Er gab einen Ton von sich, der nicht ganz nach einem Lachen klang, und als sie ihn nun ansah, waren seine Augen trocken und seltsam frei von Gefühlen.

„Das willst du wirklich wissen? Ich möchte, dass du dich in Luft auflöst, nie existiert hast. Ich wünschte, ich wäre nie in diesen Pub gegangen, du wärst nie gekommen, dass ich nie mit dir gesprochen hätte, mit dir essen gegangen wäre, dich mit in mein Hotel genommen und die Nacht mit dir verbracht hätte. Aber das kann ich nicht haben. Du bist schwanger mit meinem Kind, und ob es uns gefällt oder nicht – und ich vermute, keinem von uns gefällt es –, wir bekommen ein Baby. Also werde ich tun, was ich tun muss. Ich werde dir beistehen und am Leben meines Kindes teilhaben, weil ich keine andere Wahl habe. Ich kann nicht weggehen und den Rest meines Lebens so tun, als wäre nichts passiert. Ich kann dich nicht davon abhalten, es abzutreiben, wenn es das ist, was du willst, aber ich werde alles in meiner Macht Stehende tun, um dich davon zu überzeugen, es nicht zu tun. Wenn nötig, ziehe ich es auch allein groß, aber ich werde das Richtige tun, für dich und mein Kind.“

Erstaunt starrte Kate ihn an. „Das würdest du? Das Baby allein großziehen?“

„Natürlich. Und du würdest das auch tun, wenn du einen Funken Anstand hast.“

Bei dem Gedanken erfüllte sie Panik. Sie griff hinter sich und umklammerte den Fensterrahmen.

„Sam, ich … ich könnte das nicht. Ich habe keine Ahnung, wie ich mich um ein Kind kümmern soll. Es bemuttern. Ich weiß ja nicht mal, was eine Mutter ist! Was, wenn ich versage? Wenn ich etwas Schreckliches tue und dem Kind einen Schaden fürs Leben zufüge? Was, wenn ich eines Tages erkenne, ich kann das nicht, und einfach weggehe und es zurücklasse – was dann? Was würde aus dem Kind werden?“

„Ich wäre da“, sagte er fest. „Immer. Jeden Tag. Und du würdest nicht versagen …“

„Woher willst du das wissen? Weißt du, wie es ist, wenn deine Mutter einfach weggeht? Dich mit fünf Jahren einfach in die Obhut Fremder gibt?“

Sie spricht über sich selbst. Lieber Gott …

„Kate …“

Sam zog ihren zitternden Körper in seine Arme, hielt sie an seine Brust gedrückt. Er wollte es nicht, aber er konnte es tun, und er würde es tun, denn so war er nun mal. Gut, er hatte oft die Regeln gebrochen, aber schlussendlich hatte er immer gewusst, was seine Pflicht war. Und er kannte sie auch jetzt.

„Wir schaffen das. Irgendwie finden wir einen Weg. Ich passe auf dich auf …“

„Auf mich musst du nicht aufpassen!“, protestierte Kate und schob ihn von sich weg. „Um mich mache ich mir keine Sorgen! Sondern um das Baby! Ich kann nicht zulassen, dass ihm etwas Schlimmes passiert …“

„Genauso wenig wie ich. Also passen wir gemeinsam darauf auf …“

„Wie? Du bist nur für ein paar Monate hier, ein Jahr höchstens. Du wirst mich allein lassen …“

„Ich werde dich nicht verlassen.“

„Das sagen alle, und dann tun sie es doch. Alle verlassen mich …“

„Ich nicht, Kate. Wenn ich hier in der Gegend keine Arbeit finde, nehme ich euch beide mit. Wir gehen irgendwohin, wo es dir auch gefällt, und wir werden zurechtkommen.“

Sie schaute ihn an, als wäre er verrückt. „Du redest, als wären wir verheiratet!“ Sam fühlte, wie die formlose Angst zu einem festen Klumpen in seiner Brust wurde.

„Vielleicht sollten wir das sein“, sagte er vorsichtig. Zu seiner Überraschung lachte sie nur und drehte sich wieder zum Fenster um, um in die Dunkelheit hinauszustarren.

„Du bist verrückt.“ Ihre Stimme zitterte leicht, und er konnte sehen, dass ihr Tränen über die Wangen liefen.

„Vielleicht. Oder ich bin einfach nur ehrlich. Das schaffen wir nur zusammen, und vielleicht ist das der beste Weg.“

Mit einer Hand wischte sie die Tränen weg. „Du kennst mich nicht, Sam. Mit mir kann man nicht leben.“

Er lachte kurz und freudlos auf. „Ich war jahrelang in der Armee, Kate. Glaub mir, ich kann mit jedem leben.“

Mit jedem, außer mit Kerry, der einzigen Person, mit der ich leben will …

Sanft legte er ihr eine Hand auf die Schulter. „Kleine Schritte, Kate. Warum fangen wir nicht an, indem wir einander besser kennenlernen, hm?“

Sie schüttelte seine Hand ab. „Das ist nicht so leicht …“

„Warum nicht? Wir hatten Spaß in dieser Nacht, Kate. Es war nicht nur Sex. Wir haben geredet und gelacht … und es hat sich echt angefühlt. Es hat sich gut angefühlt.“

So gut, dass sie im Bett gelandet waren und er die Nacht noch immer nicht aus dem Kopf bekam. Die Nacht, die dieses Baby hervorgebracht hatte.

Erneut berührte er ihre Schulter. „Wir müssen es wenigstens versuchen.“

Die Muskeln in ihrer Schulter spannten sich kurz an und wurden dann wieder weich, als der Kampfgeist sie verließ. „Okay“, gab sie nach. „Eine Woche. Ich gebe uns eine Woche, und wenn ich dann denke, ich kann es nicht …“

„Dann reden wir noch einmal.“ Sam schwor sich, dass sie auf keinen Fall an diesen Punkt kommen würden. Niemals würde er zulassen, dass sie ihrem Kind etwas antat.

Aber … eine Woche? Wie zum Teufel sollte er sie innerhalb einer Woche davon überzeugen, dass sie es gemeinsam schaffen würden? Das Knurren seines Magens holte ihn in die Gegenwart zurück, und er steckte die Hände in die Hosentaschen.

„Hast du schon gegessen?“

„Gegessen?“ Sie schüttelte den Kopf. „Nein. Ich habe keinen Hunger.“

„Du musst essen …“

„Dem Baby geht es gut!“, fuhr Kate fauchend herum und funkelte ihn an. Er zog überrascht eine Augenbraue hoch.

„Ich bin nicht wegen des Babys besorgt, ich denke an dich. Du hast den ganzen Tag gearbeitet, die Wohnung riecht nach Möbelpolitur und Bleiche, also hast du geputzt, als du nach Hause gekommen bist, und ich habe auch nicht gegessen. Also … bestellen wir etwas oder gehen wir irgendwo hin?“

Sie schaute aus dem Fenster. „Wir werden patschnass.“

„Nein, werden wir nicht. Mein Auto steht direkt vor der Tür, und wir suchen uns ein Restaurant mit Parkplatz.“

„Erwartet dich Connie nicht zum Essen?“

„Nein. Ich habe ihnen gesagt, dass ich mich selbst darum kümmere.“

Lange stand sie da und starrte in den Regen hinaus, bevor sie nickte.

„Okay. Aber ich zahle für mich selbst.“

Sam wollte protestieren, schwieg dann aber und hielt ihr ihren Mantel hin. Selbst dieser Geste verweigerte sie sich und nahm ihm den Mantel einfach ab, um ihn allein anzuziehen. „Dann komm, wenn es denn sein muss.“

Autor

Alison Roberts
Alison wurde in Dunedin, Neuseeland, geboren. Doch die Schule besuchte sie in London, weil ihr Vater, ein Arzt, aus beruflichen Gründen nach England ging. Später zogen sie nach Washington. Nach längerer Zeit im Ausland kehrte die Familie zurück nach Dunedin, wo Alison dann zur Grundschullehrerin ausgebildet wurde.
Sie fand eine Stelle...
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Alison Roberts
Alison wurde in Dunedin, Neuseeland, geboren. Doch die Schule besuchte sie in London, weil ihr Vater, ein Arzt, aus beruflichen Gründen nach England ging. Später zogen sie nach Washington. Nach längerer Zeit im Ausland kehrte die Familie zurück nach Dunedin, wo Alison dann zur Grundschullehrerin ausgebildet wurde.
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Deanne Anders
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