Julia Ärzte zum Verlieben Band 212

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  • Erscheinungstag 10.01.2026
  • Bandnummer 212
  • ISBN / Artikelnummer 9783751540872
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Leseprobe

Janice Lynn, Alison Roberts, Deanne Anders

JULIA PRÄSENTIERT ÄRZTE ZUM VERLIEBEN BAND 212

Janice Lynn

1. KAPITEL

Savannah Carter stand vor dem Spiegel im Schlafzimmer und betrachtete ihren flachen Bauch. Wenn sie sich in einem bestimmten Winkel drehte, konnte sie sich fast vorstellen, dass er sich schon ein wenig gerundet hatte.

Sie war schwanger!

So lange hatte sie von diesem Moment geträumt.

Jahre lang. Ihr Leben lang.

Sie hatte immer Kinder gewollt. Immer.

Natürlich hatte sie sich vorgestellt, dass sie dafür verheiratet sein würde, aber dieser Wunsch war nicht in Erfüllung gegangen. Dennoch konnte sie sich nicht beschweren, denn sie hatte einen guten Mann in ihrem Leben.

Charlie Keele war wunderbar – als Mensch und als Arzt, und wenn ihr Baby die Hälfte seiner Gene abbekommen hatte, war das ein guter Anfang.

Charlie war brillant, gut aussehend, sportlich. Seit etwa einem Jahr waren sie zusammen, und er respektierte ihre Unabhängigkeit und Überzeugungen.

Von Anfang an waren sie unzertrennlich gewesen. Sie machten gemeinsam Sport, nahmen meist zusammen ihre Mahlzeiten ein, arbeiteten zusammen im Krankenhaus und wohnten praktisch zusammen. Sie wartete nur noch darauf, dass er sie bat, bei ihm einzuziehen, oder ihr einen Heiratsantrag machte.

Charlie besaß ein hübsches Haus mit viel Platz in einem guten Viertel. Der umzäunte Garten war perfekt für eine kleine Familie. Bald würde der Mietvertrag ihrer eigenen Wohnung auslaufen, und falls Charlie sie bis dahin nicht gefragt hatte, würde sie ihn darauf ansprechen.

Das hatte sie zumindest gedacht. Aber jetzt war sie schwanger, und die Sache wurde dringender. Was ihr gar nicht gefiel – denn er sollte sie natürlich eigentlich erst fragen, wenn er selbst so weit war und sich nicht mehr vorstellen konnte, sein Leben, ohne sie zu verbringen.

Aber sie hatte keinen Zweifel daran, dass sich ihre Beziehung in diese Richtung bewegte, und so machte ihr auch die versehentliche Schwangerschaft keine Sorgen.

Sie wollte Charlie, und sie wollte sein Baby.

Vor Charlie war sie mit anderen Männern zusammen gewesen, aber keiner war so wie er. Sie hatte noch nie so starke, klare Gefühle für einen Mann gehabt. Hatte sich noch nie so wertgeschätzt gefühlt wie bei ihm.

So musste es auch ihren eigenen Eltern gegangen sein, bevor ihr Dad gestorben war, als Savannah sieben Jahre alt gewesen war. Sie hatte immer gewusst, dass sie auf genau so eine Beziehung warten würde. Sie war gern selbstständig, aber den passenden Mann gefunden zu haben, das tauchte ihr ganzes Leben in ein sonniges Glück.

Sie legte sich eine Hand auf den Bauch und stellte sich vor, das Leben darin zu spüren.

Charlies Baby.

Eine Miniaturversion von Charlie und ihr selbst wuchs in ihrem Bauch heran.

Savannah lächelte, während sie ihrer Fantasie freien Lauf ließ: Seine braunen Haare und Augen und ihre helle Haut? Oder seine kräftigen, schönen Gesichtszüge mit dem Grübchen im Kinn und ihre blauen Augen? Oder vielleicht ihre roten Haare und seine dunklere Haut? Oder … die Möglichkeiten waren endlos. Aber ihr Baby würde auf jeden Fall hübsch sein. Und geliebt werden. Ihr Baby würde ihre ganze Welt sein.

Sie hatten noch nicht über Kinder gesprochen, aber natürlich würde Charlie sich freuen. Er liebte sie. Das hatte er noch nicht laut ausgesprochen, aber Savannah wusste es. Sie erkannte es daran, wie er sie ansah, wie er sie berührte und küsste, wie er sie behandelte – als wäre sie der Mittelpunkt seiner Welt. Charlie Keele war in sie verliebt und würde sich wie verrückt über diese Neuigkeit freuen.

Sie sah auf die Uhr. In ein paar Stunden würde er hier sein, und sie konnte ihm die gute Neuigkeit verkünden. Er würde sie küssen und herumwirbeln, vielleicht sogar einen Heiratsantrag machen.

Sie machte sich etwas sorgfältiger zurecht als sonst. Im Alltag trug sie einen Pferdeschwanz und nur ein wenig Mascara, aber heute wollte sie besonders hübsch für ihn sein.

Vielleicht sollte sie ihm erst nur ein paar Hinweise geben, sich irgendetwas Kreatives einfallen lassen, sodass er schließlich selbst darauf kam. Einen rosafarbenen und einen blauen Cupcake kaufen? Oder sie könnten in einen Spielwarenladen fahren, mit der Ausrede, dass Savannah ein Geschenk für Joss kaufen wollte, den kleinen Sohn ihrer Freundin Chrissie. Dann könnten sie durch die Babyabteilung streifen, und sie würde die winzige Kleidung bewundern. Oder sie könnte sein Auto bis zur Decke mit rosafarbenen und blauen Ballons füllen. Oder … Die Ideen sprudelten.

Wie überrascht er sein würde, wenn er es erfuhr.

Aber in Wahrheit hatte sie noch nie mit einer Neuigkeit hinter dem Berg halten können. Sie konnte es ja schon jetzt kaum erwarten. Er musste sie nur kurz ansehen und würde Bescheid wissen.

Bestimmt hatte sie dieses typische Strahlen einer schwangeren Frau.

Savannah lachte laut auf, und der fröhliche Klang kam als Echo von den Wänden ihres Badezimmers zurück.

Sie bekamen ein Kind.

Ein Kind! Das war verrückt.

Sie war so energiegeladen, dass sie unbedingt rauswollte. Schnell versteckte sie den Schwangerschaftstest. Sie wollte dabei sein, wenn er es erfuhr. Dann schnappte sie sich ihre Handtasche und fuhr zum nächsten Kaufhaus. Sie wollte unbedingt ein paar rosafarbene und blaue Sachen kaufen.

Dr. Charlie Keele blickte stirnrunzelnd auf den Vertrag, der auf seinem Schreibtisch lag.

Er hatte es getan.

Während der letzten Wochen hatte er viel hin und her überlegt, aber jetzt hatte er es getan und würde einen neuen Job antreten.

Der war zwar zwei Stunden entfernt, aber es war eine tolle Gelegenheit, die er sich nicht entgehen lassen konnte.

Warum er überhaupt gezögert hatte, war klar: Savannah.

Sie war ein so wichtiger Teil seines Lebens geworden, und es würde schwer sein, Chattanooga und die beeindruckendste Frau zu verlassen, die er je gekannt hatte.

Aber immer, wenn er überlegt hatte, die neue Stelle sausen zu lassen, hatten sich Erinnerungen an die Vergangenheit bemerkbar gemacht.

Er hatte den Vertrag nicht nur für sich, sondern auch für Savannah unterzeichnet. Sogar mehr für sie als für sich.

Savannah war eine unglaubliche Frau. Er hatte schon vor ihr ein paar längere Beziehungen gehabt, aber trotzdem war es ihm nie schwergefallen, diese Frauen hinter sich zu lassen. Das war hier anders. Und je länger er blieb, desto schwerer würde es sein.

Savannah war die unabhängigste Frau, die er je gekannt hatte, und er hätte nie gedacht, dass sich ihre beiden Leben so eng ineinander verschlingen würden.

Lass es niemals zu, mein Sohn, dass eine Frau zwischen dir und deinen Träumen steht.

Wie oft er das gehört hatte. Sein Vater hatte Medizin studieren und für Ärzte ohne Grenzen arbeiten wollen. Sein Leben sollte der Medizin gehören. Stattdessen war seine Freundin schwanger geworden, und er hatte sein Studium abgebrochen und eine Arbeit im Bergbau angenommen, um seine kleine Familie zu unterstützen.

Und jeden einzelnen Tag hatte er es bereut.

Charlies Mutter und Charlie selbst hatten seinen Traum niemals ersetzen können, und sein Vater war von Jahr zu Jahr bitterer geworden. Sobald Charlie laufen und sprechen konnte, hatte sein Vater alles dafür getan, ihn für Medizin zu begeistern. Hatte ihm erzählt, wie toll es war, Arzt zu sein, und dass man Menschen auf der ganzen Welt helfen konnte.

Kein Wunder, dass Charlie immer das Gefühl gehabt hatte, sich den Stolz seines Vaters erarbeiten zu müssen. Vielleicht würde er dann liebevoller zu ihm selbst und seiner Frau sein. So hatte Charlie immer alles gegeben – aber nichts war gut genug gewesen.

Im Grunde hatte Rupert Keele immer nur an sich gedacht.

Und Charlies Mutter war nicht besser gewesen: Sie hatte Charlie für ihr unglückliches Leben verantwortlich gemacht.

Manchmal fragte Charlie sich, ob er kein Arzt geworden wäre, wenn er sich nicht seit seiner Geburt dieser Gehirnwäsche hätte unterziehen müssen. Wenn er nicht so verzweifelt versucht hätte, das Wohlwollen seines desinteressierten Vaters zu erlangen, in der Hoffnung, dass damit alles besser wurde.

Aber da war noch ein Aspekt gewesen: Als Charlie elf gewesen war, hatte sich der Herzfehler seines Großvaters mütterlicherseits verschlechtert, und Charlie hatte sich entschieden, Kardiologe zu werden, statt mit den Ärzten ohne Grenzen durch die Welt zu reisen. Er wollte sich um die Herzen der Menschen kümmern, wenn er schon die bitteren Herzen seiner Eltern nicht heilen konnte.

Seitdem hatte er davon geträumt, als Chefarzt einer Kardiologie-Abteilung vorzustehen. Nun war ihm genau solch ein Posten angeboten worden.

Und wenn er eines von seinen Eltern gelernt hatte, dann dass man seine Träume nicht aufgeben durfte. Denn sonst wurden alle Beteiligten unglücklich.

Deshalb würde er Chattanooga hinter sich lassen und Savannah freigeben, auch wenn er ihr damit wehtun würde. Nein, er musste ihr sogar wehtun, damit sie ihn hasste und gehen ließ.

Wenn er nach seinen bisherigen Erfahrungen ging, sollte das kein Problem darstellen.

Savannah schob gerade die letzten Einkaufstüten in den Schrank und schloss die Tür, als es klingelte.

Charlie.

Endlich.

Er hatte einen Schlüssel, aber kam trotzdem nicht einfach herein, obwohl sie ihn so oft darum gebeten hatte. Sie drehte sich einmal um sich selbst und entdeckte ein Paar winzige Babyschuhe auf dem Bett.

Ups.

Sie schnappte sie sich, genoss einen Moment lang das Gefühl der weichen Baumwolle in ihren Händen und legte die Schühchen dann zu den anderen Sachen in den Schrank. Sie würde einfach eine Hand auf den Bauch legen und ihn selbst herausfinden lassen, was sie damit meinte. Sie würde die Überraschung und dann die Freude in seinem Gesicht sehen. Sie selbst war so glücklich, dass sie innerlich zitterte.

„Alles klar?“, fragte Charlie, als sie die Tür öffnete. „Wobei habe ich dich denn gestört?“

Statt ihm zu antworten, schlang sie ihm die Arme um den Hals und küsste ihn.

Sofort zog er sie eng an sich. Eintausend Schmetterlinge flatterten in ihrem Bauch herum, und die hatten nichts mit dem neuen Leben zu tun, das in ihr wuchs – und alles mit diesem Mann, der ihr Herz zum Rasen brachte.

„Hmmm“, sagte er und sah sie verwirrt an. „Wofür war denn das?“

„Brauche ich einen besonderen Grund, um dich zu küssen?“ Sie klimperte mit den Wimpern. Am liebsten wollte sie es ihm einfach sagen, auf und ab springen und in die Welt hinausbrüllen, dass sie ein Baby bekam – Charlies Baby. Aber wahrscheinlich sollte sie ihn erst einmal in die Wohnung lassen und die Tür schließen.

„Normalerweise begrüßt du mich nicht so.“

„Das sollte ich aber.“

Abwartend sah er sie an.

Sie atmete tief ein und genoss seinen Duft, den sie jedes Mal völlig in sich aufnehmen wollte. „Ich habe gute Neuigkeiten.“

Aber er reagierte nur halb auf ihre Worte. Sein Gesicht sah müde aus, kein Lächeln war zu sehen, und er zog sich zurück. „Ich muss dir auch etwas sagen.“

„Ach ja?“ Sie zog ihn hinter sich her ins Wohnzimmer.

Doch er wollte sich nicht setzen, sondern lief auf dem Teppich auf und ab.

„Aber vielleicht fängst du an.“ Er fuhr sich mit den Händen durch die Haare und sah sie sorgenvoll an.

Den ganzen Nachmittag hatte sie sich wie auf Wolken gefühlt, aber mit einem Mal waren sie verschwunden, und Savannah sank ziemlich schnell zurück auf den Boden.

Heute Morgen hatten sie sich vor der Arbeit noch gesehen. Sie waren zusammen gelaufen und dann eine Stunde im Fitnessstudio gewesen. Als er sie danach zum Auto gebracht hatte, war er bester Laune gewesen und hatte sie so lang und ausführlich geküsst, dass sie ihn am liebsten auf den Rücksitz gezerrt hätte.

Er war einfach unwiderstehlich. Manchmal konnte sie immer noch kaum glauben, dass sie ihn ansehen und berühren und küssen und festhalten und …

Sie schüttelte den Kopf. „Was ist los?“

„Ich wollte nicht gleich damit anfangen“, sagte er, ging zum Bücherregal hinüber und nahm ein gerahmtes Foto in die Hand, das sie beide auf dem Lookout Mountain zeigte. Sie strahlten beide, aber Charlie sah das Bild so an, als hätte er es noch nie gesehen und wüsste nicht, wer diese Personen überhaupt sein sollten. „Aber gut, so ist es wohl sowieso besser.“

Er war einer der direktesten Menschen, die sie kannte, und so hatte sie ihn noch nie erlebt.

„Charlie?“

Er stellte das Foto wieder ab und drehte sich zu ihr um. Sein Gesichtsausdruck schien etwas zu verbergen, obwohl er sonst nie versuchte, seine Gefühle zurückzuhalten. Warum auch? Er wusste, dass sie genauso verrückt nach ihm war wie er nach ihr.

Allerdings sah das in diesem Moment ganz anders aus. Es sah aus, als zerrisse ihn innerlich etwas. Als würde er gleich etwas Schlimmes sagen.

Jetzt stieg die Angst in Savannah hoch, und sie musste tief durchatmen, um genug Sauerstoff in die Lunge zu bekommen.

„Charlie?“, wiederholte sie drängender.

„Setz dich bitte, Savannah.“

Langsam ließ sie sich auf dem Sofa nieder. Das gefiel ihr alles ganz und gar nicht. Schon zur Begrüßung hatte er nicht gelächelt. Wo war der liebevolle, großzügige, offene Mann hin, mit dem sie das letzte Jahr verbracht hatte? Der Mann, dessen gesamtes Gesicht sich aufhellte, wenn er sie sah? Der Mann, dessen Augen sie verschlangen? Der sie wie durch Zauberhand glücklich machte?

Er konnte ihr nicht einmal in die Augen sehen. War er krank? Tödlich krank? Ihre Hände fingen an zu zittern. Bitte, bitte nicht.

„Ich ziehe um.“

Drei Wörter, die plötzlich im Raum herumschwebten, ohne dass Savannah sie aufnehmen konnte.

„Was?“ Ihr Brustkorb verengte sich schmerzhaft, während sie immer noch überlegte, ob er krank war. „Was meinst du damit?“

Er verzog keine Miene und zuckte mit den Schultern. „Ich bleibe nicht in Chattanooga. Ich habe eine Stelle am Vanderbilt Medical Center in Nashville angenommen, als Kardiologe im Bereich Herzversagen. Ich fange so schnell wie möglich an. Meine Kündigung habe ich heute schon eingereicht.“

In ihren Ohren summte und dröhnte es. Das ergab doch keinen Sinn. „Du hast im Krankenhaus gekündigt?“

Er nickte. „Und ich habe zwei Monate Kündigungsfrist, aber noch freie Tage. Ich werde also währenddessen schon nach Nashville umziehen.“

„Aber … dein Haus …“ Das Haus, in dem sie ihr gemeinsames Kind hatte großziehen wollen! Der große Garten dahinter. Das gute Stadtviertel mit seinen guten Schulen.

„Das verkaufe ich. Ich habe es auch damals nur gekauft, weil ich mir schon dachte, dass es an Wert zunimmt. Ich wollte ohnehin nie lang bleiben – es ist doch viel zu groß für mich.“

Wollte ohnehin nie lang bleiben. Viel zu groß. Savannah war schwindelig.

Er hatte nie bleiben wollen.

Das ergab keinen Sinn. Nicht nach dem Versprechen, das sie jeden Tag in seinen Augen gesehen und in seinen Berührungen gespürt hatte.

„Du hast immer gewusst, dass du nicht lang in Chattanooga bleibst?“

Sie mochte die Stadt. Die Berge. Den Fluss. Das Nachtleben. Die Menschen. Chattanooga war ihr Zuhause, hier wollte sie bleiben.

„Ich habe noch nie länger als ein paar Jahre irgendwo gelebt, und wenn ich nach einiger Zeit ein besseres Angebot bekomme, werde ich wieder wechseln. Ich folge meiner Karriere.“

Ihr Gehirn hatte Schwierigkeiten, das alles zu verarbeiten. Vielleicht waren es die Hormone. Vielleicht lag es auch daran, dass er ihr gerade den Boden unter den Füßen weggezogen hatte.

„Es geht um deine Karriere?“, fragte sie langsam. Sie musste sichergehen, dass sie alles richtig verstanden hatte.

Weil sie nämlich gar nichts verstand. Er war doch glücklich in Chattanooga. Warum wollte er freiwillig gehen? Warum hatte sie nicht gewusst, dass er das immer vorgehabt hatte?

„Ich habe eine Lehr- und Forschungsstelle an der Universität übernommen und gleichzeitig eine gute Position am Krankenhaus. Das ist eine große Chance für mich.“

Das klang wirklich gut. Irgendwie. „Und dafür ziehst du nach Nashville?“

Er nickte. „Das Krankenhaus bezahlt den Umzug. Ich hoffe, dass ich schnell eine Wohnung finde, zum Mieten oder zum Kaufen. Vielleicht sogar schon, bevor ich mit der Arbeit anfange.“

Er ging also wirklich. Nie hatte er auch nur ein Wort darüber gesagt, dass er das vorhatte oder nach einem neuen Job suchte.

„Warum hast du mir nie etwas davon gesagt? Ich will nicht mehrere Stunden von dem Mann entfernt wohnen, mit dem ich zusammen bin“, sagte sie, um ihm das Offensichtliche noch einmal deutlich zu machen. „Ich will dich jeden Morgen sehen und mit dir ins Fitnessstudio gehen. Ich will dich nach der Arbeit sehen und mit dir essen gehen und jeden Abend einen Gutenachtkuss von dir bekommen.“ Klang sie jämmerlich? Pech. Sie fühlte sich jämmerlich. Und war wütend. Wie konnte er eine Stelle in Nashville annehmen? „Soll ich einfach hierbleiben und auf dich warten, bis du zu Besuch kommst? Oder soll ich nach Nashville pendeln?“

Er sah sie lange an, aber sein Gesicht verriet nichts. „Das erwarte ich nicht von dir.“

Es war wie ein Messer in ihrer Brust.

Aber nein, das konnte er nicht meinen.

Und doch – er hatte nicht einmal erwähnt, dass er an einen Stadtwechsel dachte. An einen Stellenwechsel. Allein die Tatsache, dass er ihr das nicht erzählt hatte, sagte eigentlich alles.

Er machte also mit ihr Schluss.

Sie starrte ihn an.

Sie war schwanger, und Charlie würde gehen.

Wie hatte sie ihn nur so falsch einschätzen können?

Er verschränkte ungeduldig die Arme. „Vielleicht habe ich nie gesagt, dass ich gehen will, aber ich habe bestimmt auch nie gesagt, dass ich bleiben will.“

Das stimmte wohl. Sie hatte es einfach angenommen, und das war falsch gewesen. Sie schwieg.

Er lief erneut auf und ab, blieb dann wieder stehen und sah sie hart an. „Himmel, Savannah, ich habe einen großartigen Job angeboten bekommen. Freu dich doch für mich.“

In ihren Augen brannten Tränen. Sie schüttelte den Kopf. „Das kann ich nicht. Nicht jetzt, nachdem du es mir auf diese Weise erzählt hast. Wir waren monatelang zusammen. Du hättest mir etwas sagen müssen. Das ist eine große Sache.“

Er biss die Zähne zusammen. „Ich brauche wohl kaum deine Erlaubnis, um eine neue Arbeitsstelle anzunehmen.“

Falls jemand nachsehen sollte, würde er wohl ein großes Loch in ihrer Brust finden, denn Charlie hatte ihr gerade das Herz aus der Brust gerissen.

„Ich wollte nie“, sagte er, „dass du glaubst, ich würde in Chattanooga bleiben.“

Und mit ihr zusammen – das meinte er damit wohl.

Was für eine Idiotin sie war. Sie hatte geglaubt, dass er sie liebte. Sie hatte sich von dem Licht in seinen Augen blenden lassen. Es war wohl nur ihre eigene Wunschvorstellung gewesen. Mit anderen Männern hatte sie dieses Gefühl nie gehabt, aber vielleicht hatte sie einfach den großartigen Sex mit Liebe verwechselt. Sie war bestimmt nicht die erste Frau, der so etwas passierte.

Sie wusste nicht, ob sie vor allem wütend oder einfach nur innerlich zerstört war.

Sie sah ihm in die Augen und weigerte sich, den Blickkontakt zu brechen. So weh es auch tat. Das war’s. Für sie hatte alles perfekt gewirkt, und er hatte schon längst seinen Abschied geplant.

„Geh jetzt besser“, sagte sie. Lange würde sie sich nicht mehr zusammenreißen können, und das sollte er auf keinen Fall sehen.

Sie würde zusammenbrechen.

Er wollte noch etwas sagen, die Schultern gestrafft, das Kinn nach oben gereckt, aber sie unterbrach ihn.

„Dass du diese Entscheidung ohne mich getroffen hast, sagt mir alles, was ich über unsere Beziehung wissen muss, Charlie. Offenbar habe ich das nie verstanden. Meine Schuld. Aber jetzt ist ohnehin Schluss. Geh jetzt. Das war’s.“

2. KAPITEL

Charlie lächelte die kleine, alte Frau an, die er während seiner Zeit als ihr Kardiologe lieb gewonnen hatte. „Keine Sorge, Mrs. Evans. Dr. Flowers ist ein mindestens genauso guter Arzt wie ich.“

„Aber Sie kennen mich“, sagte die Frau, die alles andere als glücklich über seinen Weggang war. „Wenn Nashville nur nicht so weit weg wäre … und ein großer Berg dazwischen …“

„Ich fühle mich geschmeichelt, dass Sie überhaupt darüber nachdenken, aber Sie brauchen wirklich keinen Kardiologen in zwei Stunden Entfernung, ob mit oder ohne Berg.“

„Dann sollten Sie wohl einfach bleiben.“

Wenn er das jemals ernsthaft in Erwägung gezogen hätte, dann gestern Abend bei Savannah. Sie hatte sich belogen und betrogen gefühlt, und ihr Schock war kaum zu ertragen gewesen. Aber er hatte genau das getan, was er sich vorgenommen hatte: Er hatte ihr ihre Freiheit zurückgegeben und sie die wichtigen Worte aussprechen lassen. Es war Schluss.

So musste es sein.

Er war allein und konnte Entscheidungen treffen, ohne dass eine Frau sich einmischte. Und sie war ihn und sein ganzes schweres Gepäck los.

Die letzten Worte seines Vaters: Charlie solle sich niemals von dem steuern lassen, was er in der Hose hatte. Keine Frau war es wert, seine Träume für sie aufzugeben.

„Eine Ehe und Kinder, das saugt dir regelrecht das Leben aus, mein Sohn“, hatte er gesagt. „Folge deinen Träumen, lass sie Wirklichkeit werden. Du wirst der beste Arzt des ganzen Landes, und dabei soll dir keine Frau im Weg stehen. Egal, wie hübsch sie ist. Langfristig wird sie dir deine Seele stehlen – bis du sie schließlich verachtest.“

Genau das hatte er gesagt. Und nicht nur auf dem Sterbebett, sondern sein ganzes Leben lang. So hatte er nämlich seine eigene Frau gesehen. Und Charlie selbst.

Mit Savannah war er viel zu lang zusammen gewesen. Aber das war jetzt vorbei.

Nicht nur wegen seines Vaters, sondern weil er nicht noch einmal die gleiche Hölle durchleben wollte wie in seiner Kindheit. Er war eine Last für seine Eltern gewesen und hatte ihr Leben ruiniert. Er hatte seine Mutter nicht vor der Gewalt seines Vaters schützen können. Vor all dem Elend. Charlie würde nie heiraten oder Kinder bekommen. Niemals.

„Hören Sie etwas, Doc?“

Charlie nahm das Stethoskop vom Brustkorb der alten Frau. Wie unprofessionell, dass er während der Arbeit über seine Vergangenheit nachdachte, aber dieser Umzug schien ihn an all das zu erinnern, das er bislang lieber verdrängt hatte.

Er lächelte gezwungen. „Es hört sich alles gut an. Ihrem Herzen geht es heute offenbar sehr gut.“

Er verabschiedete sich von ihr und kümmerte sich den Rest des Vormittags um weitere Patienten. Danach war er bislang immer auf der Intensivstation vorbeigegangen, um seine Lieblingskrankenschwester dort zu fragen, ob sie Zeit für eine kurze Mittagspause hatte.

Er hatte sich viel zu sehr an Savannah gewöhnt.

Es war für sie beide richtig, dass er den Job in Nashville angenommen hatte. Wahrscheinlich war ihr das noch nicht klar, aber er hatte ihr letztendlich einen großen Gefallen getan.

„Du bist komisch heute.“

Savannah blickte auf. Sie hatte im Aufzug tatsächlich auf den Boden gestarrt und lief nun schweigend neben Chrissie her. Chrissie war die leitende Schwester ihrer Abteilung und gleichzeitig eine gute Freundin. Sollte sie ihr die Wahrheit sagen?

Und wie viel davon?

Der Mann, mit dem ich den Rest meines Lebens verbringen wollte, hat mir gestern gesagt, dass er umzieht? Oder: Ich bin schwanger von einem Mann, nach dem ich verrückt war, aber den ich gerade nur noch erwürgen will?

Das hatte bei der Arbeit alles nichts zu suchen. „Mir geht’s gut.“

Chrissie zog die Augenbrauen hoch. „Normalerweise schwebst du durch die Gegend. Und ich habe dich heute noch kein einziges Mal lächeln gesehen.“

Savannah versuchte zu lächeln und zeigte doch nur ihre Zähne.

Chrissie seufzte. „So schlimm?“

Savannah nickte. „Noch schlimmer.“

„Hast du dich mit Charlie gestritten?“

Gestritten? Nein. Er hatte ihr einfach nur gesagt, dass er wegzieht, und sie hatte mit ihm Schluss gemacht.

„Ich habe gestern gehört, dass er seine Kündigung eingereicht hat. Ich wollte nichts sagen, bevor du selbst damit anfängst, aber du siehst so elend aus …“

Es war also allgemein bekannt. Charlie würde sie verlassen.

„Ich weiß nicht, was ich sagen soll, Chrissie. Mein Freund – mein Ex-Freund – verlässt die Stadt. Ich war schockiert und habe mich noch nicht davon erholt.“

Chrissie runzelte die Stirn. „Du hast es nicht gewusst?“

„Du hast es offenbar sogar schon vor mir gehört.“

Chrissie machte große Augen. „Er hat dir nicht einmal erzählt, dass er über Nashville nachdenkt?“

Sie schüttelte den Kopf. „Keinen Mucks.“

„Uff. Das muss man doch zusammen bereden. So eine riesige Entscheidung.“

Savannah war froh, dass Chrissie es genauso sah. Vielleicht hatte sie doch recht gehabt. Er hätte zumindest sagen müssen, dass er darüber nachdachte.

„Und du sagst ‚Ex-Freund‘?“, fragte Chrissie und hakte sich teilnahmsvoll bei ihr unter. „Ist es vorbei?“

Savannah musste sich bewusst davon abhalten, sich eine Hand auf den Bauch zu legen. Mit ihr und Charlie würde es niemals völlig vorbei sein. Sie waren aneinander gebunden.

Durch ein Kind.

Aber sie brauchte ihn nicht. Sie würde es nicht zulassen, dass sie ihn brauchte. Manche Menschen lernten nie dazu, aber sie war anders.

Sie zuckte mit den Schultern und sagte die Wahrheit: „Als Paar ist es mit uns vorbei.“

Charlie hielt inne. Keine der beiden Frauen hatte mitbekommen, dass er im Flur hinter ihnen gewesen war. Sollte er sich räuspern oder so?

Er hatte ja nicht lauschen wollen. Wenn sie etwas Geheimes besprachen, sollten sie das vielleicht nicht mitten auf der geschäftigen Station machen.

„Tut mir echt leid, das zu hören“, sagte Chrissie zu Savannah und umarmte sie schnell. „Ich fand euch zwei einfach perfekt zusammen.“

Ja, sie waren perfekt zusammen gewesen, aber so war das doch immer in neuen Beziehungen, oder? Alle waren glücklich, Schmetterlinge, Regenbogen, blabla. Nur nach einer Weile änderte sich das eben.

Und er ging einfach frühzeitig, bevor die Hölle ausbrach und Menschen starben.

Charlie würde nicht sein wie sein Vater. Definitiv nicht.

Der hatte so oft gejammert, dass er seine Karriere in der Medizin hatte aufgeben müssen, dass er Charlies Mutter damit fertiggemacht hatte, bis zu ihrem Tod durch einen Autounfall, als Charlie fünfzehn gewesen war. Der Unfall war nach einem besonders schrecklichen Streit der beiden passiert, den Charlie noch hatte beenden wollen. Er würde es sich nie verzeihen, dass er seine Mutter nicht vor seinem Vater hatte schützen können. Immer wieder hatte er es versucht und war gescheitert. Und dann hatte sie vor seinem Vater fliehen wollen – und war gestorben.

Warum seine Eltern überhaupt zusammengeblieben waren, war ihm bis heute ein Rätsel. Sie hätten sich scheiden lassen sollen. Sie hätten niemals heiraten sollen.

Charlies Mutter wäre es tausend Mal besser gegangen, wenn sein Vater einfach gegangen wäre, statt sie zu heiraten und sie jeden Tag dafür zu beschimpfen, dass sie schwanger geworden war.

Aber er war geblieben und hatte Charlie eingebläut, dass es nur im Elend enden konnte, wenn man seine Träume wegen eines anderen Menschen aufgab. Und seine Mutter hatte das bestätigt. Nicht einmal für ihren Sohn hatte sie am Leben bleiben wollen. Charlie hatte sie nicht glücklich machen und hatte sie nicht vor diesem schlimmen Leben schützen können.

Zum Glück hatte er Savannah verlassen, bevor ihre Beziehung zu weit gegangen war. Sie wären nur ins Elend gestürzt.

Er hoffte, dass die kommenden zwei Monate schnell vorbeigehen würden.

Savannah musste sich gar nicht umdrehen, um zu wissen, dass Charlie hinter ihnen herging. Sie merkte es immer, wenn er in der Nähe war, und in diesem Moment machte dieses Wissen völlig unmögliche Dinge in ihrem Körper.

„Alles Gute hat irgendwann ein Ende“, sagte sie ihrer Freundin, um irgendetwas zu sagen. Wenn sie sich nur dieses Mannes hinter ihnen nicht so bewusst wäre.

Irgendwann würde sie sich nicht einmal mehr an seinen Namen erinnern, sagte sie sich. Sie musste den rohen Schmerz in ihrem Herzen beruhigen, musste wütend bleiben. Wut war einfacher als Trauer.

„Und mit einer Fernbeziehung wollt ihr es nicht versuchen?“

Sie schüttelte den Kopf. „So etwas mache ich nicht.“

Unter den richtigen Umständen hätte man darüber nachdenken können, aber es war alles schiefgegangen.Er hatte sie mit seiner Entscheidung überfallen und emotional zerstört zurückgelassen.

Chrissie sah sie erschrocken an. „Du bleibst aber doch hier in Chattanooga, oder?“

„Natürlich. Er hat mir ja nicht einmal angeboten, mitzukommen, aber selbst dann wäre ich geblieben. Ich renne doch keinem Kerl hinterher. Ich bin hier zu Hause. Und wenn er nicht für mich bleiben will, dann eben nicht.“

Diese Worte waren vor allem für Charlie gedacht, der immer noch hinter ihnen ging. Aber deswegen waren sie ja nicht falsch.

Sie taten nur eben sehr weh. Machten sie wütend.

„Als deine Vorgesetzte bin ich sehr froh, das zu hören. Als deine Freundin bin ich traurig, dass ihr euch getrennt habt. Es schien immer etwas Besonderes zwischen euch zu sein, und ehrlich gesagt war ich immer ein bisschen neidisch.“

„So kann man sich täuschen.“

Sie war ja auch getäuscht worden. Sie hatte ihm und seinen Gefühlen geglaubt, aber das war dumm und naiv gewesen und ihre eigene Schuld.

Andererseits – warum hatte er so verliebt getan? Für sie hatte es immer gewirkt, als wäre sie die Kerze, die seiner Welt das Licht spendete. Sie waren ein ganzes Jahr zusammen gewesen. Ein ganzes verdammtes Jahr.

Ein Jahr ihres Lebens. Ein Jahr seines Lebens. Alles sinnlos, alles vergebens.

Nur dass das auch nicht stimmte, weil etwas aus diesem Jahr entstanden war und nun in ihr wuchs.

Sie verfluchte ihn innerlich dafür, dass er den glücklichsten Tag ihres Lebens zu einem Alptraum gemacht hatte.

Sie hatte genug geweint, sie hatte gestern ganze Ozeane geweint, aber hier und jetzt hätte sie gleich wieder in Tränen ausbrechen können.

Nein. Ein Mann, der sie so einfach verlassen konnte, war es nicht wert.

„Wenn man vom Teufel spricht“, sagte sie und drehte sich um, damit Charlie wusste, dass sie ihn bemerkt hatte. Vor ihm würde sie ganz bestimmt nicht weinen. Wenn es nach ihr ging, würde sie nie wieder um ihn weinen. „Guten Tag, Dr. Keele.“

Er verzog das Gesicht, als sie ihn so formell ansprach.

Gut so. Das hatte er sich nach gestern verdient. Wie sollte sie sonst reagieren? Sollte sie lächeln und sagen: Wie schön, dich zu sehen?

„Du bist wahrscheinlich wegen Mr. Roberts hier. Er ist in Zimmer 336 und hat immer noch regelmäßiges Vorhofflimmern, aber davon abgesehen ist er stabil und wird seit seiner Einlieferung heute Morgen über eine Infusion versorgt.“

Ganz professionell. Ging doch.

Egal, dass er sie sonst immer so angelächelt hatte, dass sie sich wie der wichtigste und wunderbarste Mensch der Welt gefühlt hatte.

Egal, dass er sie vorvorgestern noch überall am Köper geküsst hatte, Dinge mit ihr getan hatte, die sie heute noch spüren konnte. Egal, dass er sie danach im Arm gehalten hatte.

Egal, dass sie sein Baby unter dem Herzen trug.

Egal, dass er ihr gestern das Herz heraus- und in winzige Fetzen gerissen hatte.

Egal, dass sie ihn dafür hasste.

Er würde gehen.

Sie waren nicht mehr zusammen.

Sie sah ihn nicht mehr durch diese rosarote Brille.

Er war Arzt. Sie war Krankenschwester. Sie konnte professionell bleiben, bis zum bitteren Ende. In zwei Monaten würden er verschwunden sein.

So musste es jetzt wohl sein, dachte Charlie, als er sich auf den Weg zu seinem Patienten machte.

Aber in die Augen der Frau zu blicken, mit der er das ganze letzte Jahr zusammen gewesen war, und darin nur kalte Verachtung zu sehen – darauf war er nicht vorbereitet gewesen.

Er hatte Wut erwartet. Dass sie ihn anschrie, ihn anbrüllte, er sei wertlos. Hass. Das alles kannte er, und es wäre deutlich einfacher gewesen als dieser abschätzige Blick.

Der machte ihn fertig.

Er untersuchte den bewusstlosen Patienten, sah sich die Vitalwerte an und machte sich eine Notiz, um die Behandlung anzupassen. Morgen konnten sie seine Betäubung hoffentlich verringern und ihn langsam von der Beatmung nehmen.

Hinter ihm betrat jemand den Raum, aber es war nicht Savannah. Wenn sie in seiner Nähe war, spürte er immer ein Summen im ganzen Körper.

„Soll ich deine Patientinnen und Patienten jemandem anders zuweisen?“, fragte Chrissie.

Er schüttelte den Kopf. „Ich bin noch zwei Monate hier und werde mich so lange um sie kümmern.“

Sie zog die Augenbrauen hoch, um ihm zu zeigen, dass sie das so nicht gemeint hatte. „Und dass Savannah sich mit dir um deine Patienten kümmert, ist kein Problem?“

„Für mich nicht.“ Er schob das Stethoskop zurück in die Tasche und desinfizierte sich die Hände. Methodisch rieb er sich die Flüssigkeit in die Haut, bis sie einzogen war. Bemüht locker fragte er: „Hat sie dich gebeten, sie zu versetzen?“

Chrissie schüttelte den Kopf. „Das würde sie nie machen. Dafür ist sie zu professionell.“

„Dann sollten wir beide dieses Gespräch hier auch nicht führen.“

Aber sie gab nicht auf, im Gegenteil – sie hob ihr Kinn ein Stück, um trotz ihrer geringen Körpergröße stärker zu wirken. „Da magst du recht haben, aber es ist mein Job, sicherzustellen, dass hier alles gut läuft. Ich will nicht, dass es zu Problemen kommt.“

„Wenn es nach mir geht, gibt es keine Probleme. Ich bin in zwei Monaten weg.“

Sie verengte ihre dunklen Augen, doch statt etwas Negatives zu sagen, beglückwünschte sie ihn: „Gratuliere übrigens zu deinem neuen Job. Das scheint ja ein großer Sprung auf der Karriereleiter zu sein.“

„Ja, danke.“

Einen Moment lang zögerte sie, doch dann sah sie ihn noch einmal ganz direkt an. „Bist du denn sicher, dass du das willst?“

„Natürlich bin ich sicher. Es ist eine sehr renommierte Stelle.“

„Es ist nur nicht so einfach, sich mit einer renommierten Stelle gemütlich zum Abendessen hinzusetzen und sich mit ihr zu unterhalten.“

Sie glaubte also, dass er ein Idiot war, weil er einen tollen Job angenommen, aber dafür mit Savannah Schluss gemacht hatte. Sollte sie das nur glauben. Ihm war das egal. Seine Entscheidung war richtig, auch für Savannah. Gerade für Savannah.

Er tat so, als ob ihm ihr mitleidiger Blick nichts ausmachte, und zuckte mit den Schultern. „Ich werde bestimmt nicht einsam sein.“

Enttäuscht sah sie ihn an. „Nein, das kann ich mir auch nicht vorstellen. Noch einmal meinen Glückwunsch. Ich hoffe, du findest in Nashville das, wonach du suchst.“

„Ich suche nach gar nichts“, gab er zurück, während sie schon den Raum verließ.

Charlie griff mit beiden Händen um die Stange am Fußende des Betts und starrte lange Zeit vor sich hin. Es war richtig gewesen, die Stelle in Nashville anzunehmen. Richtig für alle Beteiligten. Und es war von Anfang an falsch gewesen, sich so sehr auf eine Frau einzulassen. Das würde ihm nicht noch einmal passieren.

In naher Zukunft sah er die Gefahr aber auch nicht. Neben Savannah verblassten sowieso alle anderen Frauen. Wie sollte es anderen gelingen, einen ganzen Raum zum Leuchten zu bringen, so wie Savannah es konnte? Wie sollte es anderen gelingen, so zu lächeln, dass ihr ganzes Gesicht und ihre Augen strahlten? Wie sollte er die Gedanken einer anderen Frau so lesen können wie Savannahs? Sie hatten dieselben Interessen und liefen gern gemeinsam in der Dämmerung am Tennessee River entlang, ganz in der Nähe ihrer Wohnung.

Keine Frau würde sich jemals mit Savannah messen können, da war er sich sicher. Er wollte weder seine Tage noch seine Nächte mit einer anderen verbringen.

Sie war perfekt. Und das sollte sie auch bleiben.

Und deswegen hatte er sie verlassen müssen.

3. KAPITEL

„Herzalarm! Herzalarm!“

Savannah eilte in das Zimmer des Patienten, bei dem gerade der Herzschlag ausgesetzt hatte. Sie war auf der Toilette gewesen, als der Alarm über die Sprechanlage ausgegeben worden war. Ihre Blase hielt nicht mehr so lang durch wie vor der Schwangerschaft.

Chrissie war schon mit den Wiederbelebungsmaßnahmen beschäftigt, als Savannah mit dem Gerätewagen ankam. Der Mann hing ohnehin schon am Beatmungsgerät und bekam Sauerstoff, sodass Chrissie nur die Herzdruckmassage ausführte.

Charlie kam hinter Savannah ins Zimmer geeilt. Ein Mitarbeiter stand dabei, der alle Maßnahmen aufzeichnete.

„Gib ihm Epi“, wies Charlie an, der in seiner Stellung die Verantwortung für den Einsatz übernahm.

Savannah folgte seinen Anweisungen und bereitete dann den Defibrillator vor, den sie an der Brust des Mannes anbrachte.

„Alle zurücktreten“, befahl Charlie, und sie gehorchten.

Savannah drückte den Kopf, um das Gerät zu starten. Der Körper des Patienten zuckte, und sein Herz machte einige unregelmäßige Schläge.

„Sag mir, wenn er neu geladen ist“, sagte Charlie und übernahm die Massage von Chrissie.

„Jetzt“, sagte Savannah.

„Alle zurücktreten“, sagte er erneut, wieder drückte Savannah den Knopf, und der Mann bekam einen weiteren Schock verabreicht.

Sein Herz tat einen verrückten Sprung und kehrte dann zu einem Rhythmus zurück – noch keinem normalen, aber es reichte, um am Leben zu bleiben.

„Ich bringe ihn ins Kardio-Labor. Er braucht eine Ablation des abnormalen AV-Knotens, einen Schrittmacher und einen permanenten Defibrillator. Und zwar sofort.“

„Ja, Chef.“

Andere Mitarbeitende waren inzwischen angekommen, und Savannah und ein Krankenpfleger schoben den Patienten in seinem Bett ins Labor. Charlie lief neben ihnen her. Als sie den Mann ordnungsgemäß übergeben hatten, wollte Savannah wieder gehen, aber Charlie hielt sie zurück.

„Savannah?“

Langsam drehte sie sich zu ihm um und sah ihm in die Augen. Sie wollte einfach nur verschwinden.

Er musterte sie und schien nach etwas zu suchen. Sein Gesicht schien Bedauern auszudrücken. Was sie verstand – sie bedauerte auch viel. Dass sie so viel Zeit mit ihm verplempert hatte, zum Beispiel. Das war so dumm gewesen.

„Du hast gute Arbeit geleistet“, sagte er schließlich wie ein Roboter.

Sie musste schlucken, um die Übelkeit zu vertreiben. Am liebsten wollte sie brüllen. Sie hatten Schluss gemacht. Er musste nicht nett zu ihr sein. Wenn er jetzt noch vorschlagen würde, dass sie doch Freunde bleiben könnten, würde es hier gleich noch einen Notfall geben.

Sie sah ihn nur mit zusammengekniffenen Augen an und drehte sich weg.

Draußen vor dem Labor lehnte sie sich an die kalte Betonwand und kämpfte dagegen an, in aller Öffentlichkeit zusammenzubrechen oder sich zu übergeben. Sich wie ein Baby zusammenzurollen und all den Schmerz an die Oberfläche zu lassen.

Zwei Monate.

Das würde sie doch irgendwie durchhalten, oder?

Wenn da nur nicht das Kind wäre, das in ihr wuchs und die Verbindung zu Charlie ihr ganzes Leben lang aufrechterhalten würde.

Kurz war sie deshalb glücklich gewesen, aber jetzt … wie konnte sie glücklich sein, wenn der Vater des Kindes sie nicht wollte? Würde er sich freuen über dieses Baby? Wann sollte sie ihm das sagen? Bevor er ging? Danach? Bevor das Baby kam? Danach? Oder niemals?

Aber er würde es irgendwann herausfinden – sie hatten zu viele gemeinsame Freunde und Freundinnen. Und sie würde auch mit solch einem Geheimnis nicht leben können. Es bestand ja zumindest eine kleine Chance, dass er sich für das Kind interessieren könnte, und dann durfte sie es ihm nicht vorenthalten.

Ob er glauben würde, dass sie ihn dadurch zum Bleiben zwingen wollte? Aber das war ganz und gar nicht der Plan – wenn er sie nicht wollte, dann würde sie ihn auch nicht wollen, nur weil sie schwanger war.

Sie ließ ihren Kopf gegen die Wand sinken.

Was sollte sie nur tun?

Einen Monat später. Charlie trug einen Karton mit Savannahs Sachen in einer Hand, mit der anderen wollte er an ihre Wohnungstür klopfen. Doch stattdessen stand er einfach da, wie eingefroren.

Er musste verrückt sein.

Vorhin hatte sie ihm geschrieben und gefragt, was sie mit seinen Sachen machen sollte. Er wusste gar nicht mehr, was er bei ihr gelassen hatte, vielleicht ein paar Sportsachen und Kopfhörer, ein paar Klamotten. Statt ihr zu sagen, dass er es abholen kommen würde, hätte er sie einfach bitten sollen, es wegzuwerfen.

Aber er hatte ja auch noch etwas von ihr, Kosmetik, ein paar Kleidungsstücke. Die hatte er in einen Karton gelegt, froh darum, sie nicht mehr sehen zu müssen.

Und nun stand er hier und dachte daran, wie er letztes Mal hergefahren war, um ihr von seinem neuen Job zu erzählen.

Sie war so glücklich gewesen, als sie ihm die Tür geöffnet hatte. Hatte gelacht und ihm gesagt, sie habe gute Neuigkeiten. Aber die hatte sie ihm niemals erzählt, weil er vorgeprescht war und alles kaputt gemacht hatte.

Sie hasste ihn. Das sah er in ihrem Blick, wenn sie sich im Krankenhaus über den Weg liefen. Sie wollte nichts mehr mit ihm zu tun haben. Sein Plan war also aufgegangen.

Auch heute hatten sie sich bei der Arbeit gesehen. Sie war kurz angebunden gewesen und hatte ihm sofort von einem seiner Patienten berichtet. Ihre Augen waren dunkel gewesen, ihr Gesicht reglos, nichts funkelte und glitzerte an ihr, wie es sonst gewesen war. Das komplette Gegenteil zu dem Moment, als sie ihm vor einem Monat die Tür aufgemacht hatte. Als sie ihn umarmt und geküsst hatte.

Was war es nur gewesen damals, was sie so glücklich gemacht hatte?

Einfach nur er selbst? Ja, sie hatten bis dahin eine gute Beziehung geführt, aber nur, weil er keine Erwartungen an sie gehabt und sie kein Versprechen von ihm eingefordert hatte, das er ohnehin später gebrochen hätte.

Noch immer hielt er den Arm zum Klopfen erhoben.

Er schloss die Augen.

Er konnte das nicht. Er konnte nicht der Blödmann sein, der er ihr gegenüber sein musste, damit sie ihn weiter hasste. Dabei wollte er sie wirklich gern fragen, was sie ihm damals hatte sagen wollen. Wollte noch einmal die Freude in ihren Augen sehen. Aber das konnte er nicht riskieren. Savannah sollte nicht so enden wie seine Mutter.

Er drehte sich um und ging.

Am liebsten hätte sie die Tür gleich wieder zugeknallt. Savannah starrte dem Mann hinterher, der sich auf dem Korridor von ihr entfernte. Doch er musste sie gehört haben und drehte sich um.

Sein Blick war voller Emotionen – und sie sollte die Tür nicht nur zuknallen, sondern gleich mehrfach hinter sich verschließen.

„Meine Nachbarin hat angerufen und gesagt, dass sich jemand vor meiner Tür herumtreibt“, sagte sie zur Erklärung. Denn geklopft hatte er nicht. „Sie hat gefragt, ob sie die Polizei rufen soll.“

„Was hast du ihr geantwortet?“

„Dass sie sie unbedingt anrufen soll“, log sie. „Damit sie dich einsperren und den Schlüssel wegwerfen.“

„Dachte ich mir.“

Sie zog die Augenbrauen hoch und wartete. Sie würde ihn bestimmt nicht in die Wohnung bitten. Garantiert nicht.

Ihr war den Großteil des Tages übel gewesen, aber dann hatte sie doch etwas zu essen gemacht, weil das Baby doch Nährstoffe brauchte. Aber das Käsebrot lag ihr schwer im Magen. Dass jetzt auch noch Charlie auftauchte, half nicht.

„Du sahst vorhin im Krankenhaus nicht gut aus“, sagte er.

„Es war ein langer Monat“, sagte sie. Obwohl sie müde war, fuhr ihr das Adrenalin durch den Körper, und sie musste sich zusammenreißen, um ihn nicht anzuschreien. Aber das würde nichts bringen. Er würde gehen, und als sie ihm vorgeworfen hatte, dass sie darüber hätten reden sollen, hatte er ihr ganz klar gezeigt, was er von ihr hielt. Sie hatte überhaupt kein Mitspracherecht. Sie war ihm überhaupt nicht wichtig gewesen.

Und so stand sie jetzt hier im Türrahmen und sah den Mann an, mit dem sie den Rest ihres Lebens hatte verbringen wollen.

„Gibt es sonst noch irgendetwas?“, fragte sie schließlich so genervt wie möglich.

Er sah sich um, als ob er wirklich erwartete, dass gleich die Polizei auftauchte. Er nahm den Karton auf den anderen Arm und fuhr sich mit der Hand durch die dunklen Haare. „Ich habe dir deine Sachen mitgebracht.“

Ihr juckten die Finger, weil sie ihm so gern die Haare wieder in Ordnung gebracht hätte. Aber das würde sie niemals mehr machen. Sie vergrub die Hände in den Taschen.

„Gut“, sagte sie. Das Essen in ihrem Magen hielt sie davon ab, große Bewegungen zu machen. „Stell sie einfach hin. Ich hole dein Zeug, damit du endlich verschwinden kannst.“

„Ich war ja schon dabei. Du hast doch die Tür geöffnet.“

Sein Frust war hörbar, aber sie schüttelte den Kopf. „Weil du so lange im Hausflur standest, dass Mrs. Henry Angst bekommen hat.“

„Die war schon immer viel zu neugierig.“

„Ich dachte, du magst sie.“

„Tu ich auch.“ Er fuhr sich erneut durch die Haare.

Sie konnte ihn nicht mehr ansehen, drehte sich um und hielt sich die Hand vor den Mund, damit alles blieb, wo es war.

„Alles in Ordnung?“, fragte er hinter ihr.

Sie biss die Zähne zusammen, um ihn nicht anzuschreien. Wahrscheinlich würde Mrs. Henry sonst wirklich die Polizei rufen.

„Mir geht es großartig.“

Man konnte ein gebrochenes Herz heilen, aber die Narben würden bleiben. Ohne Charlie würde sie eine andere sein. Die Magie, diese zauberhafte, glückliche Blase, in der sie gelebt hatte, war verschwunden. Für immer.

Sie hatte ihm vertraut. Und er ihr doch auch. Aber dann hatte er einsam und allein seine Entscheidung getroffen und ihre Beziehung zerstört. Ohne sich auch nur schuldig zu fühlen! Wie sollte sie sich jemals selbst wieder vertrauen, wenn sie seine Gefühle und Taten so falsch eingeschätzt hatte? Wie sollte sie sich jemals auf einen anderen Mann einlassen?

Plötzlich war sie so erschöpft, dass sie kaum noch aufrecht stehen konnte. „Bist du immer noch da? Dein Zeug steht da neben der Tür. Nimm es dir einfach.“

Er sollte verschwinden. Doch stattdessen hörte sie, wie er die Wohnung betrat. Nahm er sich jetzt seinen Karton?

„Welche gute Neuigkeit wolltest du mir verraten?“

Erschrocken drehte Savannah sich um. Ihr Magen protestierte.

„Sag mir, was du mir letzten Monat verraten wolltest, Savannah.“

Kurz überlegte sie, es ihm wirklich zu sagen. Aber sie war einfach noch nicht so weit. Sie fühlte sich nicht stark genug, um mit seiner Reaktion – wie auch immer die ausfallen würde – zurechtzukommen. Nicht heute Abend.

Sie straffte die Schultern. Keine Schwäche zeigen. „Vielleicht hättest du das fragen sollen, bevor du eine neue Stelle in einer neuen Stadt angenommen hast.“

„Das hatte überhaupt nichts mit dir zu tun“, sagte er und klang verärgert.

„Das hätte es aber“, sagte sie so leise, dass sie nicht wusste, ob er sie überhaupt gehört hatte.

„Wer sagt das?“

„Ich.“ Sie sah ihn an. Er sollte es nur wagen, ihr zu widersprechen.

Sie sah, wie er die Zähne zusammenbiss und offensichtlich mit sich kämpfte. „Warum solltest du das festlegen dürfen?“

„Aus denselben Gründen, aus denen du festgelegt hast, dass es keine Rolle spielt.“

Er atmete langsam aus. Dann trat er einen Schritt auf sie zu und sah ihr direkt in die Augen. „Ich hätte das Angebot also ablehnen sollen?“

Ihr Magen rumorte, und sie ballte die Hände zu Fäusten. „Das habe ich nicht gesagt.“

„Was sagst du denn sonst?“

„Dass ich wichtig genug hätte sein sollen, damit du mich überhaupt nach meiner Meinung fragst.“

Einige lange Sekunden betrachtete er sie. „Meine Karriere bedeutet mir alles“, sagte er monoton, fast kalt. „Niemand stellt sich mir in den Weg.“

Autsch.

Und das hatte sie ein ganzes Jahr lang nicht erkannt. Ja, er arbeitete viel und lang, aber sie doch auch. Es hatte niemals Probleme wegen der Arbeit gegeben. Sie hatten immer Zeit füreinander gefunden. Sie hatte gedacht, sie beide wären das Wichtigste füreinander. Aber für Charlie war es wohl einfach nur nett und praktisch. Aber eben nicht wichtig.

Sie war damals nicht sofort mit ihm ins Bett gegangen, aber doch recht schnell. Zwischen ihnen hatte einfach die Chemie gestimmt. Und auch jetzt, nach allem, was passiert war, und mit ihrem unruhigen Magen konnte ihr Körper nicht anders, als auf seine Nähe zu reagieren. Ihr Herz raste, ihr Atem wurde schneller, ihre Brustwarzen richteten sich auf. Er ließ sie lebendig werden. Jedes einzelne ihrer Nervenenden lebendig werden.

Und sie hasste das. Er sollte diese Macht über ihren Körper nicht mehr haben.

Er war so anders als der Mann, den sie kennengelernt hatte. Diesen Mann hatte es offenbar niemals wirklich gegeben. Sie hatte ihn sich nur zurechtgedacht – wahrscheinlich gerade weil der Sex so gut war. Sie hatte sich der Illusion hingegeben, dass mehr dahinterstecken musste als nur das Körperliche.

Es war vorbei.

Und sie wusste nicht, wie ihre Zukunft aussehen würde. Und die Zukunft ihres Babys. Aber in diesem Moment war ihr eine Sache sehr, sehr klar.

Sie sah Charlie in die Augen und verspürte eine innere Stärke, die sie selbst überraschte. Ja, wahrscheinlich würde sie immer körperlich auf ihn reagieren. Er sah gut aus und männlich, und sie erinnerte sich nur zu gut daran, was er mit ihr machen konnte. Aber wie er da so stand in der grauen Realität, hatte er nichts davon verdient, was sie ihm hatte geben wollen.

„Du hast hier nichts zu suchen“, sagte sie. „Nicht in meiner Wohnung. Nicht in meinem Leben.“

Nie wieder.

Savannahs Worte trafen ihn tief in der Brust – an Orten, die gar nicht mehr hätten zugänglich sein sollen. Die nicht hätten verletzlich sein sollen. Denn in der Vergangenheit war er dort viel zu oft getroffen worden.

Er tat einen Schritt zurück.

Eigentlich wollte er sich gern bei ihr entschuldigen, aber er musste gehen. Sie vergessen. Sie hatte recht – er hatte hier nichts zu suchen. Weder jetzt noch in Zukunft.

Das hatte er doch immer gewusst.

Und sie hatte ihn es kurz vergessen lassen.

Savannah sah erschöpft aus, ging zum Sofa und setzte sich. „Ich kann das nicht noch einmal, Charlie. Tut mir leid, aber ich kann es nicht.“

Sie war fahl im Gesicht und verschränkte die Arme vor dem Bauch.

„Du siehst blass aus.“

Sie antwortete nicht und wurde nur noch grauer. Mit den Händen immer noch vor dem Bauch beugte sie sich nach vorn und stöhnte.

Auch wenn sie ihn hier nicht haben wollte, ging er auf sie zu. „Geht es dir nicht gut?“

Sie schüttelte den Kopf, ohne aufzublicken. „Alles in Ordnung. Nimm dein Zeug und geh.“

Er war hin- und hergerissen. Sie wollte, dass er verschwand, das konnte er in ihrer Stimme hören. Aber wie konnte er das tun, wenn sie krank war?

Da sprang sie auf. Mit einem panischen Ausdruck im Gesicht rannte sie ins Bad. Charlie folgte ihr, nahm sich ein kleines Handtuch und hielt es unter kaltes Wasser, während Savannah sich über die Toilettenschüssel beugte und ihren Mageninhalt loswurde. Er nahm ihr das Haar aus dem Gesicht und legte ihr den angefeuchteten Lappen auf die Stirn.

Als das Würgen nachließ, sah sie mit tränenverschmiertem Gesicht zu ihm auf. Sein Brustkorb zog sich zusammen.

„Du sollst mich nicht so sehen“, sagte sie.

Er kniete sich neben sie und wischte ihr mit dem kleinen Handtuch das Gesicht ab. „Ich bin Arzt, Savannah, ich habe schon viel Schlimmeres gesehen.“

Sie seufzte lang gezogen. „Nicht bei mir.“

Savannah sah verloren aus, wie ein kleines Kind, und er wollte ihr so gern helfen. ...

Autor

Alison Roberts
<p>Alison wurde in Dunedin, Neuseeland, geboren. Doch die Schule besuchte sie in London, weil ihr Vater, ein Arzt, aus beruflichen Gründen nach England ging. Später zogen sie nach Washington. Nach längerer Zeit im Ausland kehrte die Familie zurück nach Dunedin, wo Alison dann zur Grundschullehrerin ausgebildet wurde. Sie fand eine...
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Deanne Anders
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