Julia Ärzte zum Verlieben Band 206

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DAS KLEINE GLÜCK AUF DER KINDERSTATION von SUE MACKAY

Kinderkrankenschwester Anna liebt ihren Beruf. Ihr kleiner Lieblingspatient ist der behinderte Jordan, Sohn des Kinderchirurgen Eli Forrester – der Mann, der Annas Herz schneller schlagen lässt! Doch Eli ist so überfürsorglich, dass er nicht einmal Annas Kompetenz vertraut …

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  • Erscheinungstag 26.07.2025
  • Bandnummer 206
  • ISBN / Artikelnummer 8031250206
  • Seitenanzahl 384

Leseprobe

Sue MacKay, Alison Roberts, Luana DaRosa

JULIA PRÄSENTIERT ÄRZTE ZUM VERLIEBEN BAND 206

Sue MacKay

1. KAPITEL

„Eli, das Nähen solltest du vielleicht dem Assistenten überlassen. Dein Sohn ist auf der Kinderstation, ihm wurde der Blinddarm entfernt.“

„Wie bitte?“ Chirurg Eli Forrester starrte seinen Freund Duncan an. „Warum hast du mir das nicht eher gesagt?“ Jordan war operiert worden und Eli wusste nichts davon? Er hatte sein Handy im OP natürlich nicht dabei, deshalb konnte seine Schwester Liz ihn nicht anrufen. „Wer hat ihn operiert?“

„Ich. Es war ein Dilemma. Ich wusste, dass du bei ihm sein wollen würdest, aber gerade im OP warst. Ich konnte nicht warten.“

Eli zitterte leicht. Sein Sohn war operiert worden und er war nicht für ihn da gewesen. Er konnte Duncan die Entscheidung nicht verübeln. Eli hatte gerade eine schwierige dreistündige OP beendet. Eine Unterbrechung hätte ernsthafte Konsequenzen für seinen Patienten haben können. Er wusste das und respektierte die Entscheidung seines Freundes. Und trotzdem, in erster Linie war Eli Vater. Sein Magen zog sich schmerzhaft zusammen. „Ich bin froh, dass du es warst“, räumte er ein. Duncan wäre auf jeden Fall der Chirurg seiner Wahl gewesen, wenn er eine gehabt hätte.

„Jordan hat alles gut überstanden und erholt sich jetzt. Also los, geh zu ihm.“

Eli zog sich die Handschuhe von den zitternden Händen und wandte sich an den Chirurgen, der den Eingriff mit ihm durchgeführt hatte. „Schaffst du den Rest allein?“

„Natürlich. Dein Sohn braucht dich.“

Eli ging und rief über die Schulter: „Danke.“ Warum hatte Liz ihn nicht sofort angerufen, als sie merkte, dass etwas nicht stimmte? Sie arbeitete montags nicht und hatte Jordan sicherlich ihre ungeteilte Aufmerksamkeit geschenkt. Wann war ihr aufgefallen, dass er Bauchschmerzen hatte? Er war seit sieben Uhr morgens bei ihr, es musste doch irgendwelche Anzeichen gegeben haben. Doch da Jordan das Down-Syndrom hatte, war es nicht immer leicht zu verstehen, was mit ihm los war und ob wirklich etwas war.

Der Aufzug nach oben zur Kinderstation brauchte ewig. Hoffentlich war Jordan noch im Halbschlaf von den Nachwirkungen des Anästhetikums.

„Leanne, wie geht es Jordan?“, fragte Eli die Krankenschwester, die am Empfangstresen der Station saß.

„Er war quengelig und wollte zu dir, aber Anna hat ihn beruhigt.“

Anna. Die Krankenschwester, für die alle schwärmten. Jordan war diesbezüglich wohl keine Ausnahme. Verflixt, wenn sie nicht gerade schnippisch war, fühlte sich selbst Eli zu ihr hingezogen, und das wollte etwas heißen. Manchmal musste er ihr den Rücken zudrehen, bevor ihm etwas rausrutschte wie: „Wollen Sie mit mir Mittag essen gehen?“ Vernünftig zu sein und alle Gefühle für eine Frau zu unterdrücken war unbedingt erforderlich, um seinen Sohn zu schützen – und sich selbst.

„Annas Schicht ist eigentlich zu Ende, aber sie ist für Jordan hiergeblieben. Wir sind unterbesetzt.“

Kein Wunder, dass sie so beliebt war. Hatte sie keine Familie, die zu Hause auf sie wartete? „In welchem Zimmer?“

„Drei.“

Eli drehte sich um und ging zu Zimmer drei. Er musste Jordan unbedingt sehen, ihn in den Arm nehmen und ihm versichern, dass alles in Ordnung war. Ihm und sich selbst. Obwohl es so klang, als hätte Anna das bereits erledigt. Eli wollte über Nacht bleiben, denn sein Sohn würde sicherlich aufwachen und Panik bekommen, wenn er merkte, dass er nicht in seinem Schlafzimmer war. Nun verstand Eli die Angst, die die Eltern seiner jüngeren Patienten durchlebten, plötzlich sehr gut.

Mit großen Schritten betrat er Zimmer drei und ließ das Bild, das sich ihm bot, auf sich wirken. Schwester Anna saß auf der Bettkante und las mit weicher, verführerischer Stimme eine Geschichte vor, ihre roten Haare lagen in einem wie immer ordentlich geflochtenen Zopf auf ihrem Rücken. Eli spürte ein unbekanntes Kribbeln. Lust? Anziehung? Wohl kaum. Obwohl er dieses Gefühl schon oft gehabt hatte, wenn er ihr bei einem Gespräch über einen Patienten zu nahekam. Bisher war es ihm stets gelungen, einfach weiterzuarbeiten und zu ignorieren, was ihre Nähe mit ihm machte, doch das wurde immer schwieriger.

Jordie schien von Anna fasziniert zu sein, er saugte jedes Wort auf. Elis Herz stockte. Das wurde ihm zu viel. Ohne es zu wissen, weckte Anna zu viele Gefühle in ihm, er konnte sie nicht mehr ignorieren. Aber er musste. Er näherte sich dem Bett von der anderen Seite und lächelte. „Hey, Jordie. Wie geht es dir?“

„Dad“, kreischte Jordan. „Schwester Anna liest mir meine Lieblingsgeschichte vor.“ Die Worte purzelten so schnell aus seinem Mund, dass Eli sie nicht verstanden hätte, wenn er nicht an die Sprachschwierigkeiten gewöhnt wäre, die mit dem Down-Syndrom seines Sohnes einhergingen.

„Da hast du aber großes Glück, hm?“ Er beugte sich hinunter, legte vorsichtig den Arm um Jordans kleinen Körper und umarmte ihn. Als er ihm einen sanften Kuss auf den Kopf gab, spürte er, wie die Anspannung langsam nachließ, die er in sich trug, seit Duncan ihm von der Operation erzählt hatte. „Danke, dass Sie geblieben sind, Anna. Das bedeutet mir sehr viel.“ Das hätte sie wirklich nicht tun müssen. „Neue Situationen können Jordan schnell überfordern und diese hier war wahrscheinlich sehr beängstigend für ihn.“

„Kein Problem. Er war ganz aufgewühlt und rief nach Ihnen, deshalb wollte ich sehen, was ich tun kann, um ihn zu beruhigen. Geschichten über Hundewelpen gefallen ihm offenbar.“

„Das sind momentan seine Lieblingsgeschichten.“ Eli saß auf dem Bett, den Arm immer noch um Jordan gelegt, und versuchte, Annas fürsorgliches Lächeln zu ignorieren, was ihm nicht gelang. Er konzentrierte sich auf seinen Sohn. „Du solltest jetzt ein bisschen schlafen, Kleiner.“

„Nein. Ich habe schon ganz lange geschlafen.“

Das stimmte wohl. „Ich lege mich zu dir.“ Eli würde versuchen müssen, sich morgen einen Teil des Tages freizuhalten. Bei einem vollen OP-Plan würde das nicht leicht werden, aber er hoffte, dass seine Kollegen einspringen würden, wie sie es immer füreinander taten.

„Er hat sich beruhigt und ziemlich oft heimlich gegähnt, Sie könnten Glück haben mit der Schlafidee.“ Nun lächelte Anna ihn an und sein Magen zog sich noch stärker zusammen.

Kein Wunder, dass sie hier so beliebt war, wenn sie alle auf diese Weise anlächelte. Wahrscheinlich versuchte die Hälfte der männlichen Angestellten verzweifelt, ihre Aufmerksamkeit auf sich zu ziehen. War sie Single? Komisch, darüber hatte er noch gar nicht nachgedacht. Er sah keinen Ehering, aber das musste ja nichts bedeuten. Die meisten Mitarbeiter trugen im Dienst keinen Schmuck. Sie könnte ja auch in einer festen Beziehung sein. Warum zerbrach er sich jetzt den Kopf über ihren Beziehungsstatus? Er hatte kein Interesse. Er musste an Jordan denken und dazu gehörte auch, ihn vor jeder Frau zu schützen, der er nahekam und die seinem Sohn nicht die nötige Unterstützung geben würde. „Ja, gut. Danke noch mal. Sie wollen jetzt bestimmt nach Hause gehen.“ Er antwortete kurz angebunden und schroff, um zu verbergen, was er wirklich fühlte.

Anna warf ihm einen stechenden Blick zu, bevor sie aufstand. „Gute Nacht, Jordan. Wir sehen uns morgen, Kleiner.“ Dann verließ sie den Raum ohne einen Blick zurück.

„Idiot“, murmelte Anna auf dem Weg zum Empfangstresen. Eli Forrester eilte der Ruf voraus, unverblümt zu sein. In ihren Augen war er eher unhöflich. Es hatte schon einige Auseinandersetzungen mit den Krankenschwestern gegeben wegen seiner schroffen Art. Er war ein hervorragender Chirurg, aber das Handbuch für einen freundlichen Umgang mit dem Personal hatte er wohl nie gelesen. Er schien zu erwarten, dass sich in seiner Gegenwart alle unterordneten. Doch auch das hielt Anna nicht davon ab, ihn etwas genauer zu beobachten, wenn er auf der Station war. Er sah nicht nur gut aus, seine Unnahbarkeit hatte etwas an sich, das sie faszinierte. Er hatte sich bedankt, dass sie bei Jordan geblieben war. Ein kleiner Schritt in Richtung Freundlichkeit? Wahrscheinlich eine einmalige Sache.

Das Bild seines Gesichts, als er Jordan im Arm hielt und ihn auf den Kopf küsste, ließ Anna blinzeln und erfüllte sie mit einem Gefühl der Zärtlichkeit für Eli, das sie bisher nicht für möglich gehalten hätte. Ihr gegenüber war er schroff gewesen, doch wenn es um seinen Sohn ging, war er weich wie ein Marshmallow. Er liebte den Jungen offensichtlich über alles. Wie alle Eltern es taten. Oder tun sollten.

Es war bestimmt ein Schock für Eli gewesen, zu erfahren, dass sein Sohn wegen einer Blinddarmentzündung operiert werden musste. Kein Wunder, dass Eli so erschöpft aussah. Er wollte unbedingt nach Jordan sehen und sich vergewissern, dass es ihm gut ging, deshalb hatte er sich bestimmt keinen Kaffee und auch nichts zu essen geholt.

Wieso war Eli mit seinem Sohn allein? Es war nicht die Rede von einer Mutter gewesen, die bei ihm sein könnte. War Eli alleinerziehend? Sie kannte ihn nur als Chirurgen mit Spezialisierung auf Kinderchirurgie, der äußerst attraktiv, wenn auch unnahbar war.

„Hey, du solltest verschwinden, solange du noch kannst.“ Leanne blickte vom Computer auf.

„Ich bin schon unterwegs. Mr. Forrester sagt, dass er über Nacht bei Jordan bleibt.“

Leannes Augen funkelten. „Warum hast du ihn Mr. Forrester genannt und nicht Eli, wie sonst?“

„Weil er mich genervt hat.“ Seine schroffe Art machte Anna zu schaffen.

„Ich weiß, das ist nichts Ungewöhnliches, aber er kommt nicht gut damit klar, dass Jordan operiert wurde und er nichts davon wusste.“

Anna seufzte. „Ja, das verstehe ich.“ Nun, das würde sie, wenn sie eine Mutter mit einem kleinen Kind wäre. Eine Mutter für ihren Sohn. Genug davon. Der Schmerz darüber, dass sie ihren Sohn zur Adoption hatte freigeben müssen, war immer da und quälte sie. „Trinkt Eli Tee oder Kaffee?“ Sie wollte nett sein.

Leanne riss die Augen auf. „Willst du ihm einen holen?“

„Ich kann ja auch mal nett sein.“ Zur Belohnung könnte sie noch einen Blick auf seinen attraktiven Körper werfen, der sich jetzt zweifellos auf dem Bett ausbreitete. Danach würde sie nach Hause gehen und ihn vergessen.

„Ich glaube, er trinkt Kaffee mit Milch und Zucker. Bringst du mir einen schwarzen Tee mit?“

„Na klar.“ Sie konnte auch gleich den Pie aufwärmen, den sie sich als Mittagessen mitgebracht, aber nicht gegessen hatte. Bestimmt würde Eli sich nichts zu essen holen. Es gab zwar einen kleinen Kiosk, aber sie würde ihm die Mühe ersparen. Sie lachte innerlich. Vielleicht übertrieb sie es ein wenig mit ihrem Vorhaben, nett zu dem Idioten zu sein, aber sie war dafür bekannt, anderen zu helfen. Und heute brauchte Dr. Eli eine helfende Hand.

Zehn Minuten später hatte sie Leanne einen Tee gebracht und ging mit einem Tablett in Zimmer drei.

Eli blickte von der Geschichte auf, die er Jordan vorlas, der offenbar am Einschlafen war. „Ich dachte, Sie wären schon längst weg.“ Eli flüsterte, um Jordan nicht zu wecken. Sein müder Blick wanderte zu dem Tablett. „Was haben Sie denn da?“

„Kaffee, Pie und Salat. Sie haben doch wahrscheinlich schon lange nichts mehr gegessen“, antwortete sie ebenso leise und reichte ihm das Tablett.

„Was ist das für ein Pie?“ Er starrte fassungslos auf den Teller. Bot ihm sonst nie jemand etwas zu essen an?

„Sind Sie gegen irgendwelche Lebensmittel allergisch?“, fragte Anna. Es war ihr Spezialpie mit Speck, Eiern, Pilzen, Tomaten, Käse und Petersilie.

„Nein.“

„Dann lassen Sie ihn sich schmecken. Das war mein Mittagessen, für das ich keine Zeit hatte.“ Sie hatte das Gefühl, dass er ihr großzügiges Angebot nicht annehmen wollte. Warum hatte sie sich überhaupt die Mühe gemacht?

„Anna.“ Eli zögerte, was so untypisch für ihn war, dass Anna sich ein Lächeln verkneifen musste.

Sie sah ihn direkt an und ihr Herz pochte. „Ja?“

„Vielen Dank. Ich weiß das wirklich zu schätzen. Ich habe seit Stunden nichts mehr gegessen.“ Plötzlich war er gar nicht mehr distanziert. Stattdessen machte er ein freundliches Gesicht und sein Blick war ruhig.

Annas Herz entspannte sich und ließ ihn etwas näher an sich heran, als ihr lieb war. „Es ist nichts Besonderes, aber so müssen Sie nicht hungern.“

Eli blickte auf Jordan hinunter und dann wieder zu ihr. „Jordie findet übrigens, dass Sie die Größte sind.“

Das zog auf jeden Fall bei ihr. Sie liebte Kinder. Wenn sie doch nur … Nein, genug davon. Nichts konnte die Vergangenheit ändern oder ihr ihren Sohn zurückbringen. „Er ist toll.“

„Das finde ich auch, aber ich bin wohl voreingenommen“, sagte Eli mit dem sanftesten, liebevollsten Lächeln, das sie je bei ihm gesehen hatte.

Verflixt, wenn er öfter so lächelte, würde das ganze Krankenhaus nach seiner Pfeife tanzen. Anna hätte er jedenfalls sicher in der Hand und das Gefühl mochte sie nicht. Wenn sie an seiner Seite arbeitete, spürte sie oft ein sehnsüchtiges Kribbeln unter der Haut. Doch dann sagte er meistens etwas in seinem selbstgefälligen Tonfall und das Kribbeln verschwand blitzschnell.

„Sind das nicht alle Eltern?“ Was für eine dumme Frage. Ihre waren es nicht gewesen. Ihrer Meinung nach hätte sie alles genau so machen müssen, wie sie es wollten, als sie einen riesigen Fehler gemacht hatte und mit fünfzehn schwanger geworden war. Aber ihre Eltern hatten sich selbst immer an die erste Stelle gesetzt. Leider hatte Anna tun müssen, worauf sie bestanden hatten, weil sie keine andere Möglichkeit gesehen hatte, ihrem Kind ein anständiges Leben zu ermöglichen. Ein Leben, das sie ihm allein nicht hätte bieten können.

Ein Schatten zog über Elis Gesicht. „Die meisten, nehme ich an.“

Autsch. War sie ins Fettnäpfchen getreten? Sie fragte nicht nach.

„Ich gehe jetzt. Wir sehen uns morgen.“ Wenn Eli die Nacht bei Jordan verbrachte, würde er wahrscheinlich hier sein, wenn ihre Schicht um sieben begann. Frühstück würde sie ihm aber nicht mitbringen. Sie hatte schon genug geholfen. Morgen, wenn es ihm besser ging, könnte er für sich selbst sorgen. Oder?

„Gute Nacht, Anna.“ Ihr Name klang auf seiner Zunge wie geschmolzene Schokolade, daran könnte sie sich nur allzu leicht gewöhnen.

Sie winkte ihm über die Schulter zu und verließ das Zimmer. In der Nähe seines Sohnes war er definitiv ein anderer Mann – liebevoll und verletzlich. Diese Verletzlichkeit war eine Überraschung. Jedenfalls die Tatsache, dass Eli sie zeigte. Was sich wohl sonst noch hinter diesem faszinierenden Gesicht verbarg?

Anna war offenbar nicht so immun gegen einen attraktiven Mann, wie sie gedacht hatte. Nicht immun oder einfach nur so zermürbt, dass sie den Versuch aufgegeben hatte, einen Mann zu finden, in den sie sich verlieben und mit dem sie eine Familie gründen konnte, nach der sie sich so sehr sehnte. Bisher war es jedenfalls nicht passiert und Anna war gerade vierunddreißig geworden. Sie wurde jedes Mal nervös, wenn sie einem Mann näherkam, und wusste nicht, ob und wie sie ihm von ihrem Sohn erzählen sollte, denn zweimal hatte sie es dem Mann in ihrem Leben erzählt und war als egoistisches Weibsbild und Schlimmeres beschimpft worden. Das machte es für Anna viel schwieriger, offen über ihre Vergangenheit zu sprechen, und verstärkte ihre Unsicherheit, ob sie gut genug war für einen Mann, der mit ihr eine Familie gründen wollte. Ja, sie hatte ihren Sohn weggegeben, als er vierundzwanzig Stunden alt war. Sie hatte keine Wahl gehabt. Wenn sie die Zeit zu diesem Tag zurückdrehen könnte, würde sie alles genauso wieder tun. Für ihren Sohn, nicht für sich selbst.

Es war das Richtige gewesen. Das redete sie sich jedenfalls seitdem immer wieder ein, denn wie sonst könnte sie jeden Morgen aufstehen? Bei der Geburt ihres Sohnes war sie gerade sechzehn gewesen und da ihre Eltern gedroht hatten, sie zu enterben, wenn sie ihn behielte, hatte sie keine Wahl gehabt. Sie war noch zur Schule gegangen und hätte, selbst wenn sie einen Job gefunden hätte, nicht für sich und ihren Sohn sorgen können. Ihr Herz war in so viele Stücke zerbrochen, als die Krankenschwester ihr das Baby aus den Armen nahm. Nicht alle Stücke hatten ihren Weg zurück an ihren Platz gefunden. Aus diesem Grund liebte Anna ihre Arbeit als Kinderkrankenschwester so sehr. Sie konnte für Kinder sorgen, sie zum Lachen bringen und sie dann in dem Wissen zu ihren Familien nach Hause gehen lassen, dass sie sie nicht im Stich gelassen hatte. Bei ihrem Sohn könnte sie nie etwas wiedergutmachen, aber sie konnte ihr Bestes geben, um sich um andere Kinder zu kümmern.

Mit ungewöhnlich schwerem Herzen blickte Eli Anna nach. Sie hatte so mühelos sein Innerstes berührt. Er konnte es nicht leugnen. Er hatte sie schon oft genauer angeschaut und in ihrer Nähe alle möglichen Emotionen verspürt, aber er konnte seine Gefühle nicht offenbaren, er musste so viel beschützen. Wenn die Mutter seines Sohnes einfach so aus ihrem Leben verschwinden konnte, wie könnte er dann einer anderen Frau vertrauen, dass sie für ihn und Jordan da sein würde? Bisher war er immer in der Lage dazu gewesen, einen neutralen Gesichtsausdruck aufzusetzen und weiterzuarbeiten. Heute Abend nicht. Er konnte es auf die Erschöpfung nach dem anstrengenden Tag schieben und darauf, dass Jordan ihn in der Nacht davor lange wachgehalten hatte.

Es gefiel Eli, wie Schwester Anna dafür gesorgt hatte, dass Jordan glücklich war. Anna, die nicht einmal im Dienst gewesen war, hatte sich gedacht, dass Eli sich nicht die Zeit nehmen würde, sich etwas zu essen zu holen, weil er unbedingt bei seinem Sohn sein wollte, und hatte ihm Essen und Kaffee gebracht. Dafür mochte er sie sehr. Aber das war dann auch schon alles. Er suchte keine Partnerin fürs Leben.

Das stimmt nicht, Eli.

Es stimmte wirklich nicht. Ihm schien es unmöglich zu sein, sich in eine wunderbare Frau zu verlieben, mit der er alles teilen könnte. Teilen war hier das Schlüsselwort. Melissa hatte nicht gewusst, was das bedeutete. Ihre Schwangerschaft war ungeplant gewesen, da sie beide noch studiert hatten. Melissa hatte sich damit sehr schwergetan. Noch schwieriger war es für sie gewesen, zu akzeptieren, dass Jordan das Down-Syndrom hatte. Kurz vor seinem zweiten Geburtstag hatte sie die Scheidung eingereicht und erklärt, sie müsse ins Ausland gehen, um ihr Modedesign-Studium abzuschließen, und es wäre nicht fair, Eli und Jordan zuzumuten, sie begleiten zu müssen. Sie hatte also ihr Ehegelübde gebrochen und ihren Sohn im Stich gelassen. Das einzig Gute daran war, dass Eli das alleinige Sorgerecht bekommen hatte. Außerdem hatte er gelernt, sehr vorsichtig zu sein, wenn es darum ging, sich zu verlieben. Solange sein Sohn noch zu Hause lebte, und das würde noch viele Jahre der Fall sein, würde das nicht mehr passieren.

Eli lehnte sich zu Jordie hinunter. Er liebte ihn so sehr, dass es wehtat. Es war ihm unbegreiflich, wie Melissa ihren Sohn hatte aufgeben können. Wie konnte eine Mutter das tun? Oder auch ein Vater. Eli wusste nur zu gut, wie es sich anfühlte, von der einen Person verlassen zu werden, die die Bindung zu ihrem Kind niemals trennen sollte. Seine Mutter hatte ihn dem Jugendamt übergeben, als er sechs Monate alt gewesen war, weil es zu anstrengend gewesen war, ihn bei Laune zu halten, und sie etwas Besseres zu tun gehabt hatte. Er hatte großes Glück gehabt, als Jackie und Kerry ihn adoptierten. Sie liebten ihn ebenso sehr wie ihre beiden Töchter, seine Adoptivschwestern, die ihn ebenfalls schnell ins Herz geschlossen hatten. Er war in dem Wissen aufgewachsen, dass er grenzenlos geliebt wurde und immer so geliebt werden würde. Doch es machte ihm immer noch zu schaffen, dass seine leibliche Mutter nichts mit ihm zu tun haben wollte, selbst jetzt nicht. Er verlangte ja gar nichts von ihr, er wollte nur ein kleiner Teil ihres Lebens sein.

„Der Pie wird kalt.“ Leanne stand am Ende des Bettes. „Sie wollen doch nicht, dass Anna erfährt, dass Sie ihn nicht gegessen haben.“

Er blickte zu ihr auf. „Ich war mit meinen Gedanken ganz woanders.“

„Das habe ich gesehen. Wollen Sie sich vielleicht auf den Stuhl setzen, während ich Jordans Temperatur und seine Vitalwerte messe?“

Eli rutschte vorsichtig vom Bett, um Jordie nicht zu sehr zu stören, und setzte sich auf den Stuhl. Er genoss den Geschmack, der sich auf seiner Zunge ausbreitete, und seufzte zufrieden. „Dieser Pie ist unglaublich gut. Hat Anna ihn selbst gemacht?“ Als Eli sie gefragt hatte, was darin war, war sie verärgert gewesen. Er musste sie um Entschuldigung bitten.

„Wahrscheinlich. Sie kocht gern. Pst, Jordan. Bleib schön still liegen.“

Jordies Augen waren offen und er schaute sich um, als hätte er vergessen, wo er war. Eli stellte das Tablett beiseite und stand auf, um Jordans Hand zu halten, während Leanne ihre Arbeit beendete.

„Alles in Ordnung. In einer Stunde gebe ich ihm noch Antibiotika.“

„Danke, Leanne. Für alles.“

Ihre Augen weiteten sich, als sei sie es nicht gewohnt, dass er so freundlich war, was, wie er zugeben musste, auch stimmte. Er pflegte keine Freundschaften mit seinen Kollegen, abgesehen von ein paar Chirurgen, die er schon lange kannte. Er kam zur Arbeit, um Patienten zu helfen, und ging dann nach Hause, um bei Jordan zu sein. Da blieb nicht viel Energie übrig.

Leanne sagte: „Ich mache nur meine Arbeit. Wenn Sie über Nacht bleiben wollen, sollten wir Ihnen ein Bett besorgen.“

„Darf ich zuerst den Pie aufessen? Ich möchte keinen Krümel davon verschwenden.“

Leanne lachte. „Da ich nicht diejenige sein möchte, der Anna die Schuld dafür gibt, dass Sie ihn nicht aufgegessen haben, sollten Sie sich lieber wieder dem Pie widmen.“

Eli konnte sich nicht vorstellen, dass Anna jemals auf irgendjemanden böse sein könnte – außer auf ihn. Die Erfahrung hatte ihn gelehrt, wie es sich anfühlte, wenn Anna ihm seine knappen Anweisungen übel nahm. Er legte sich neben Jordie, streckte die Beine bis zum Ende des schmalen Bettes aus, entspannte sich und genoss das Essen, während er an Anna Passau dachte, weil er nicht anders konnte. Sie war einfach hinreißend.

Heute war sie ihm mehr denn je unter die Haut gegangen. Anna hatte Jordan beruhigt und Eli etwas zu essen gebracht. Ganz zu schweigen von ihrem unglaublichen Lächeln. Er konnte es sich nicht leisten, sein Herz zu verlieren, doch sie machte es ihm schwer, sich von ihr fernzuhalten. Er wollte nicht erneut enttäuscht werden, nachdem seine leibliche Mutter und Melissa ihn verlassen hatten. Er sollte sich nicht so fühlen, denn seine Adoptivfamilie hatte ihm immer all die Liebe und Unterstützung gegeben, die man von seiner Familie bekommen konnte, aber es war schwer zu vergessen, dass er den beiden anderen Frauen einfach nicht wichtig genug gewesen war.

Anna mit ihren roten Haaren und ihrem Lächeln, bei dem sich sein Magen zusammenzog, war das absolute Gegenteil dieser Frauen. Könnte sie die eine besondere Frau für ihn sein? Schon allein diese Frage. Morgen würde er wieder zu seiner gewohnten Distanziertheit zurückkehren müssen. Doch das fühlte sich jetzt falsch an. Anna war nur nett und freundlich gewesen. Sogar Leanne hatte mit ihm gelacht. Wenn er sich besser mit den anderen Angestellten verstand, wären seine Arbeitstage bestimmt fröhlicher. Er hatte gelernt, allen gegenüber distanziert zu sein, nachdem zwei Krankenschwestern sich ständig mit ihm verabreden wollten und ihn immer mehr bedrängten, als sie erfuhren, dass Michelle ihn verlassen hatte. Keine von ihnen hatte verstanden, was ein Nein bedeutete, und Eli hatte seinen Umgang mit dem gesamten Personal geändert, insbesondere mit den Frauen.

Er stellte das Tablett beiseite und drehte sich um, um seinen Sohn zu betrachten, und sein Herz schlug stärker, als Jordie im Schlaf lächelte. Er war ein zäher kleiner Bursche. Mit der Hilfe seiner Familie gab Eli sich große Mühe, Jordan die gleiche liebevolle Umgebung zu bieten, in der er selbst aufgewachsen war.

Das Geräusch eines Bettes, das durch den Flur gerollt wurde, lenkte ihn ab. Gut. All diese Gedanken brachten nichts, sie führten nur zu vielen Fragen, auf die er keine Antworten hatte. Eli stand auf und der Pfleger stellte das Bett an die richtige Stelle. Offenbar halfen ihm gerade alle. Besonders Anna. Ein Grinsen breitete sich auf Elis Gesicht aus. Anna war wirklich eine Nervensäge, so oft, wie sie ihm in den Sinn kam.

Doch dieses Gefühl war gar nicht so schlecht. Für den Moment nahm er es jedenfalls gern in Kauf.

2. KAPITEL

„Guten Morgen allerseits.“ Anna kam am Morgen nach Jordans OP schon vor sieben Uhr gut gelaunt auf die Station. Sie liebte ihren Job und sie hatte gut geschlafen, trotz der Unterbrechungen durch die Bilder, die ihr Gehirn von Dr. Forrester abrief. „Wie war die Nacht?“, fragte Anna die Krankenschwestern, die sich am Empfangstisch versammelt hatten und nach dem Ende der Nachtschicht so schnell wie möglich nach Hause wollten.

„Nicht schlecht, wenn man bedenkt, was für einen Nachmittag ihr gestern hattet“, antwortete Debbie. „Keine neuen Patienten. Und alle waren relativ ruhig, bis auf das Mädchen, das gestern Morgen den Autounfall hatte. Jordan Forrester ist ein paar Mal aufgewacht und war quengelig, aber sein Vater hat ihn sofort beruhigt.“

„Es geht nichts über die Nähe eines Vaters“, sagte Anna. Außer vielleicht die Nähe einer Mutter. Hör auf, Anna. Das bringt dich nicht weiter. „Ist Eli noch hier oder ist er frühstücken gegangen?“

„Ich habe geduscht und mich für die Arbeit umgezogen, die dank der Hilfe meiner Kollegen, die mir einige kleinere Fälle abnehmen, etwas leichter geworden ist, damit ich tagsüber ab und an bei Jordan sein kann. Jetzt gehe ich ins Café und stärke mich“, antwortete Eli, der plötzlich vor ihr stand. Er sah heute Morgen viel entspannter aus. Die Falten um seine Augen herum waren verschwunden, seine Schultern waren wieder an ihrem Platz und füllten sein Hemd perfekt aus.

Annas Herz machte einen kleinen Satz. „Sie haben hier offenbar gut geschlafen. Wie geht es Jordan heute?“

„Er ist wach und bereit, aufzustehen und den Laden zu zerlegen.“ Eli lachte. Laut und ungezwungen.

Das hatte sie noch nie gehört. „Ich gehe gleich zu ihm.“

„Er hat schon nach Ihnen gefragt. Und er will wissen, warum er heute nicht in die Vorschule gehen kann.“ Das Lachen in Elis Augen verblasste. „Haben Sie darauf eine Antwort? Diese Frage hören Sie hier doch bestimmt oft.“

„Ich lasse mir etwas einfallen. Also wenn ich für ihn zuständig bin.“ Sie drehte sich zu Leanne um, die gerade ankam und augenscheinlich völlig durch den Wind war. „Ist alles in Ordnung?“

„Ja. Luca wollte nicht in den Kindergarten gehen und wir hatten beim Aussteigen eine kleine Auseinandersetzung.“ Sie schüttelte den Kopf. „Ich habe gewonnen. Bestechung wirkt manchmal Wunder, aber jetzt muss ich unbedingt daran denken, ihm später ein Buch über Polizisten zu kaufen.“

„Manchmal hat man einfach keine andere Wahl“, erwiderte Eli.

Meine Güte, der Kerl öffnete sich wirklich. Könnte es daran liegen, dass er eine Nacht mit seinem Sohn auf der Station verbracht und selbst gesehen hatte, wie hart sie alle arbeiteten und wie gut sie sich um die Kinder kümmerten? Aber das wusste er doch. Wahrscheinlich hatte er einfach eine freundliche, sanfte Seite, die sein Sohn leicht zum Vorschein brachte. Eine andere Seite an ihm, die Annas ohnehin schon gute Laune noch steigerte. „Womit bestechen Sie Jordan?“, fragte sie und erwartete eigentlich keine Antwort.

„Mit Schokoladenfischen.“ Er lächelte und zuckte mit den Schultern. „Das funktioniert immer.“

„Das kann ich mir vorstellen. Für einen Schokoladenfisch würde ich mich wahrscheinlich auch gut benehmen. Oder nein, nur für eine ganze Tüte.“

Eli lachte wieder. Es war, als wären sie die Einzigen auf der Station, aber das waren sie nicht. Als Anna sich umschaute, holte sie tief Luft. Alle beobachteten sie, als ob hier etwas Lustiges vor sich ginge. Also lachte sie auch, denn es war ja wirklich witzig. Elis entspannter Umgang mit ihr war neu. Sein entspannter Umgang mit allen Schwestern.

„Also gut, fangen wir an.“ Leanne war vernünftig, doch in ihren Augen lag ein freches Funkeln, als ob sie dachte, dass da mehr zwischen Anna und Eli war. „Erzählt uns alles über die Nacht und verschwindet dann. Eli, dafür brauchen wir Sie nicht mehr. Ich nehme an, Sie wissen über Jordan Bescheid?“

„Ja. Jetzt, wo er sich besser fühlt, wird er unruhig sein, nur als kleine Vorwarnung“, antwortete er mit einem besorgten Blick in seinen grauen Augen, denen, wie Anna wusste, nichts entging.

„Wir schaffen das schon“, sagte Anna. „Sein Unterleib wird noch eine Weile empfindlich sein, aber ihm wird es gut gehen, versprochen.“

„Da bin ich mir sicher.“ Eli sah nicht so aus, als würde er sich selbst glauben.

Sie stellte sich direkt neben Leanne und hörte zu, wie die Patienten den Krankenschwestern zugewiesen wurden. Anna atmete erleichtert auf, als Jordan ihr zugeteilt wurde. Der Kleine hatte irgendetwas in ihr ausgelöst, was sie dazu brachte, mehr Zeit mit ihm verbringen zu wollen. Genau wie sein Vater. Vorsicht. Das durfte nicht passieren. Jede Art von Beziehung zu einem Chirurgen, mit dem sie zusammenarbeitete, konnte in ihren Augen nur zu Problemen führen.

Der Kinderarzt, mit dem sie eine Zeit lang zusammen gewesen war, hatte sich von ihr getrennt, nachdem er erfahren hatte, dass sie ein Kind zur Adoption freigegeben hatte, und allen gesagt, dass sie nicht gut genug für ihn war. Eine andere Krankenschwester, die eine ähnliche Erfahrung mit ihm wegen etwas aus ihrer Vergangenheit gemacht hatte, hatte kurz darauf dafür gesorgt, dass alle wussten, wer nicht gut genug war, und das war weder sie noch Anna. Nun, sie hatte jedenfalls nicht vor, sich auf mehr als eine Freundschaft mit Eli einzulassen, und selbst das war unwahrscheinlich, da sich alles normalisieren würde, sobald Jordan entlassen werden würde und Eli sich keine Sorgen mehr um ihn machen müsste.

„Anna, Louisa Crane kommt gleich aus der Notaufnahme. Ich möchte, dass du sie übernimmst. Wir bringen sie in Jordans Zimmer, momentan sind keine anderen Betten frei, das müsste also gut gehen für dich.“

„Kein Problem.“ Louisa hatte Mukoviszidose und war regelmäßig da. Hoffentlich würde Jordan nicht zu aktiv sein, sonst müssten sie einen der beiden in ein anderes Zimmer verlegen. „Ich gehe jetzt zu Jordan.“ Der Tag konnte beginnen.

„Schwester Anna, mir geht es wieder gut“, rief Jordan, als sie sein Zimmer betrat.

„Jordie, schrei nicht so. Du bist im Krankenhaus und andere Kinder sind krank“, sagte Eli streng.

Anna war nicht auf den plötzlichen Hitzeschub vorbereitet, der ihre Adern durchfuhr. Als sie zu Eli hinüberblickte, war sie verwirrt. Seinetwegen wurde ihr schwindlig und sie war skeptisch. Was war hier los? „Ich dachte, Sie wollten frühstücken gehen.“

„Ich bin schon auf dem Weg. Jordan hat mit meinem Handy mit seiner Oma telefoniert.“

„Oma besucht mich heute.“ Jordan hüpfte auf seinem Bett und schrie plötzlich auf. „Autsch!“ Er fasste an die Operationswunde an seinem Bauch.

„Du darfst dich nicht so schnell bewegen.“ Anna nahm seine Hand von der Wunde und hob das Schlafanzugsoberteil an. „Sonst tut es noch mehr weh.“

„Ich mag es nicht, wenn es wehtut.“

„Das glaube ich dir. Ich lege dir einen neuen Verband an und dann kannst du frühstücken.“

„Was gibt es?“

„Das ist eine Überraschung.“

„Vorsicht“, warnte Eli sie. „Er ist sehr wählerisch beim Essen.“

Wie sein Vater? fragte Anna sich und dachte daran, wie Eli sie gefragt hatte, was in dem Pie war, den sie ihm gestern Abend gebracht hatte. „Ich schaffe das schon.“

„Übrigens, der Pie war köstlich. Danke, dass Sie mit mir geteilt haben.“

Sie selbst hatte nicht einen Bissen von diesem Pie gegessen. „Sie haben alles bekommen.“

„Ich weiß.“ Seine Mundwinkel zuckten. „Was haben Sie stattdessen gegessen?“

Sie hatte ihn auf den Arm genommen. „Den zweiten Pie, den ich gleichzeitig gebacken hatte. Es lohnt sich nicht, nur einen zu backen.“

„Kochen Sie gern?“

„Es macht mir großen Spaß, ja.“ Aber die Mühe erschien Anna oft sinnlos, wenn sie niemanden hatte, mit dem sie die Ergebnisse ihrer Arbeit teilen konnte. Die Kuchen und Kekse, die sie oft mitbrachte, waren sehr beliebt.

„Ich sollte jetzt wirklich gehen, sonst schaffe ich es nicht mehr, nach Jordan zu sehen, bevor ich mich für den OP fertig machen muss.“

Warum klang das so sexy? Sich für den OP vorzubereiten war das Langweiligste überhaupt und hatte nichts mit erhöhten Herzfrequenzen zu tun. Doch der Gedanke daran, wie Eli das tat, brachte Annas Blut in Wallung. Sie konzentrierte sich auf ihren Patienten und wartete darauf, dass ihr Herzschlag sich wieder normalisierte. „Zeig mir mal deinen Bauch, Jordan.“

Er hatte sein Oberteil heruntergezogen. „Nein. Der tut weh.“

„Deshalb will ich ihn ja sehen.“ Sie glaubte nicht, dass etwas nicht stimmte, aber sie musste das überprüfen. Vorsichtig löste sie das Oberteil aus Jordans Faust. „Ich nehme jetzt den Verband ab“, erklärte sie Jordan.

„Warum?“

„Weil du einen frischen brauchst.“

„Warum?“

„Damit du schneller gesund wirst.“

„Wie denn?“

Hörte dieses Kind jemals auf mit seinen Fragen? „Du hast eine Schnittwunde am Bauch. Sie wird wieder zusammenwachsen und wir müssen ihr dabei helfen, indem wir dafür sorgen, dass der Verband immer sauber ist.“ Anna schaute sich um und sah, dass Eli gegangen war. Sie wandte sich wieder Jordan zu und grinste. „Du wirst dort eine dünne Linie haben, die du deinen Freunden zeigen kannst. Dann sind sie neidisch.“

„Hurra!“ Er hob die Faust hoch. „Das gefällt mir.“

Hoffentlich könnte sie ihn genauso leicht überreden, sein Frühstück zu essen.

Als Eli vom Frühstück zurückkam, saß Jordan lächelnd im Bett und schaute sich ein Bilderbuch an. „Hey, Kumpel, du siehst glücklich aus.“

„Schwester Anna hat mir dieses Buch aus einem Schrank geholt. Sie hat gesagt, dass es das beste Buch über Elefanten ist.“

Wieder rückte Schwester Anna in den Vordergrund. „Was hat sie noch gesagt?“

„Dass ich zuerst die Cornflakes und die Pfirsiche essen muss.“

Clever, Anna.

Sie setzte also auch auf Bestechung, genau wie er, dachte Eli grinsend. Hätte sie Kinder, wäre sie bestimmt Meisterin darin, das zu erreichen, was sie wollte. Hatte sie Kinder? „Und das hast du gemacht.“ Sonst würde Jordan das Buch nicht in den Händen halten.

„Ich muss auf meinen Bauch aufpassen. Dad, wusstest du, dass ich eine Linie auf der Haut habe? Ich zeige sie allen, wenn ich in die Schule gehe.“

Die Dinge, über die Kinder sich freuen. „Das ist eine Narbe, ja.“ Hoffentlich eine sehr kleine. Obwohl Jordan momentan sicherlich froh wäre, wenn sie möglichst groß wäre. Schwester Anna konnte seinen Sohn für alles begeistern. Eli wollte nicht, dass Jordan dachte, sie würde ein Teil ihres Lebens werden. Das tat er oft bei Menschen, die er mochte. Manchmal entstanden dadurch Probleme, wenn er merkte, dass sie nicht für immer bleiben würden. Mit etwas Glück und wenn alles nach Plan verlief, könnte Eli ihn heute Abend nach Hause bringen und Anna würde in seinem Leben keine Rolle mehr spielen.

„Liest du mir vor?“, fragte Jordan mit hoffnungsvollem Gesicht.

Eli enttäuschte ihn nur ungern, aber er hatte keine Wahl. „Tut mir leid, Jordie, aber ich muss jetzt anfangen zu arbeiten. Ich komme später wieder her.“

Jordie machte ein enttäuschtes Gesicht. „Das ist nicht fair.“

„Du weißt doch, dass ich den Menschen helfen muss, damit sie gesund werden.“

„So wie Schwester Anna?“

Er musste jetzt wirklich gehen. „Ja.“ Schwester Anna hatte seinem Sohn ordentlich den Kopf verdreht. Hoffentlich tat sie das nicht auch bei ihm. Eli war es die ganze Nacht nicht gelungen, sie aus seinen Gedanken zu verdrängen. Das lag sicherlich daran, dass er die Nacht dort verbracht hatte, wo sie arbeitete, und nicht daran, dass sie ihn ablenkte und sein ganzer Körper bei einem ihrer Blicke heiß wurde. „Bis später, Kleiner.“ Er küsste Jordan auf den Kopf.

Als Eli zum Aufzug ging, hörte er Anna lachen. Sein Mund verzog sich zu einem fröhlichen Lächeln. Ihr Lachen war ansteckend.

Der Aufzug klingelte und die Tür glitt auf.

Eli trat ein, drückte den Knopf für den OP und lehnte sich an die Wand.

„Warten Sie.“ Anna flog durch die sich schließenden Türen und drückte auf die 2, bevor sie sich umdrehte und mit ihm zusammenstieß.

Eli hielt sie fest, damit sie nicht umfiel. „Vorsicht.“

Sie blickte zu ihm auf. „Oh, Eli, Entschuldigung.“

„Wohin denn so eilig?“ Er löste seine Hände nicht von ihren Armen, nahm einfach ihre Wärme auf und blickte in die Augen, die ihn letzte Nacht bis in den Schlaf verfolgt hatten.

„Zur Apotheke.“ Sie klang überrascht, als hätte sie vergessen, was sie da wollte. Ihre Augen wurden größer, aber sie wich nicht zurück.

Er spürte, wie er sich in ihrem Blick verlor. „Anna.“ Ihr Name schoss ihm durch den Kopf. Eli ließ die Hände sinken und trat zurück. Er stieß gegen die Wand. Anna war innerlich und äußerlich schön. Und sie weckte etwas in ihm. Viel zu schnell, wenn man bedachte, dass Jordan erst gestern operiert worden war und Eli noch gar keine Zeit gehabt hatte, darüber nachzudenken, was vor sich ging. Doch sein Körper kribbelte vor lauter Lust. Er musste seine gesamte Selbstbeherrschung aufbringen, um nicht die Hand auszustrecken und Anna an sich zu ziehen und ihre sensationellen Lippen zu …

Ping. Die Türen gingen auf.

Eli richtete sich augenblicklich auf und holte tief Luft. Was zum Teufel hatte er sich nur dabei gedacht? Sie waren bei der Arbeit. Und sie waren kein Paar. Anna war unfassbar attraktiv, aber das war alles. Er fuhr sich mit den Fingern durch die Haare.

Konzentriere dich. Geh zu deinen Patienten. Vergiss diese Hitze.

War das so einfach? Wohl kaum. Schlimmer noch, jetzt wusste er, dass Anna sogar noch freundlicher und großzügiger war als gedacht. Doch er musste seinen Sohn und sein eigenes Herz beschützen.

Anna stürmte aus dem Aufzug.

„Bis später“, sagte Eli leise, als sie verschwand und andere Leute den Platz einnahmen, den sie verlassen hatte. Niemand raubte ihm den Atem, wie Anna es plötzlich tat. Niemand. Er setzte sein professionelles Gesicht auf, lehnte sich an die Wand und wartete geduldig darauf, dass der Aufzug noch eine Etage tiefer fuhr, damit er seinen Tag ohne verwirrende Ablenkungen, die ihn um den Verstand brachten, fortsetzen konnte.

Verflixt, Schwester Anna. Sie sind etwas Besonderes und es verunsichert mich, wie leicht Sie den Sicherheitsabstand, den ich zu Frauen einnehme, durchbrechen.

Ping.

Dem Himmel sei Dank. Eli verließ den Aufzug und ging zum OP, zur Arbeit, zu seiner Anlaufstelle, wenn er mit Problemen nicht zurechtkam.

Anna ist kein Problem.

O doch, das war sie, wenn sie ihn so leicht aus dem Konzept bringen konnte.

„Guten Morgen, Schlafmütze.“ Phil, der Anästhesist, mit dem Eli zusammenarbeitete, tippte auf den Computerbildschirm, als Eli in den OP kam. „Millie Lewis ist bereit, es kann losgehen, sobald du fertig bist.“

„Es war schwer, Jordan allein zu lassen.“

„Alles gut. Millie wurde gerade erst hergebracht. Wie geht es dem Kleinen?“

„Gut. Er ist viel zu aktiv, aber Anna scheint ihn leicht beruhigen zu können.“

Phil lachte. „Das ist ja keine Überraschung.“

Annas Ruf als hervorragende Krankenschwester war wohl allgemein bekannt. Eli musste sich auf die Operation konzentrieren und Anna vergessen. Er führte ein kurzes Gespräch mit Millie und sagte dann: „Phil, gib ihr bitte etwas Stärkeres. Wir reden später, Millie!“ Er wartete, bis der Anästhesist nickte und ihm mitteilte, dass die Narkose wirkte, und nahm dann das Skalpell in die Hand. „Sind alle bereit?“

Das Nicken von allen Seiten gab ihm grünes Licht. „Gut, legen wir los.“

Mit dem Medikament in der Hand nahm Anna die Treppe zurück zur Station, um nicht wieder auf Eli zu treffen, falls dieser beschloss, nach Jordan zu sehen, bevor er in den OP ging. Gerade war Eli der letzte Mensch, den sie sehen wollte. Bisher hatte sie es immer geschafft hatte, die Aufregung zu unterdrücken, die sie oft spürte, wenn er in der Nähe war. Doch im Fahrstuhl hätte sie sich am liebsten an ihn gelehnt, ihn berührt, diesen unglaublichen Körper an ihrem gespürt. Sie verlor wohl langsam den Verstand.

Und was jetzt? Sie konnte Eli ja nicht aus dem Weg gehen. Sie konnte nicht die ganze Schicht damit verbringen, nach ihm Ausschau zu halten und sich dann in der Wäschekammer zu verstecken, bis er die Station verließ. Also würde sie weiterhin ignorieren, welche Emotionen er in ihr hervorrief, als würde er sie nicht interessieren. Diese Gefühle hatten nichts zu bedeuten. Sie waren Arzt und Krankenschwester in demselben Krankenhaus. Arzt und Krankenschwester! Ha. Das klang wie eine Zeile aus einem Liebesroman.

Doch diese Romanze konnte nicht beinhalten, dass Anna sich in einen Mann verliebte, der einen Sohn hatte, da zwei ihrer Beziehungen in die Brüche gegangen waren, als der betreffende Mann erfahren hatte, dass sie ihr Baby weggegeben hatte. Keiner von beiden hatte akzeptiert, dass sie keine andere Wahl gehabt hatte. Bei Eli wäre es sicher genauso, wenn sie sich näherkämen und sie ihm ihre Geschichte erzählte.

Eli nach einer möglichen Beziehung zu verlieren wäre schon schlimm, aber den unschuldigen kleinen Jordan zu verletzen, der in dieser Sache nichts zu sagen hätte, wäre furchtbar. Natürlich waren ihre Gedanken etwas vorschnell, das passte gar nicht zu ihr. Sie hatten keinerlei Beziehung zueinander, aber diese Überlegungen waren ein deutliches Zeichen dafür, dass Eli sie bereits in seinen Bann gezogen hatte. Sie hatte schon lange nicht mehr so über einen Mann nachgedacht.

„Du siehst aus, als hätte jemand dir das Mittagessen vor der Nase weggeschnappt.“ Leanne lachte, als Anna die Station betrat.

Das Problem mit besten Freundinnen war, dass sie einen zu gut kannten. „Wenn es doch nur so einfach wäre.“ Hatte sie das wirklich gerade gesagt? „Ich musste die Treppe nehmen, weil die Aufzüge voll waren.“

„Versuch es noch mal. Du nimmst mindestens einmal am Tag die Treppe.“

Anna sagte nichts. Sie nahm eine Akte und tat so, als würde sie sie lesen.

„Es hat nicht zufällig etwas mit dem attraktiven Arzt zu tun?“

„Warum sollte es?“, erwiderte Anna schnippisch. Auffälliger ging es wohl nicht.

Leanne lachte wieder. „Ich wusste es. Du musst dich mehr anstrengen, wenn das so weitergehen soll.“

Anna ließ sich auf einen Stuhl fallen und atmete tief aus.

„Soll es nicht.“ Wieder ein eindeutiges Zeichen. Sie verlor wirklich langsam den Verstand. „Er ist zu unnahbar für mich.“ Dieser intensive Blick, mit dem er sie im Fahrstuhl angesehen hatte, jagte ihr einen heißen Schauer des Verlangens über den Rücken.

„Eli ist so verschlossen. Er gibt nie etwas von sich preis. Bestimmt ist er etwas lockerer geworden, weil wir Jordan hierhaben“, meinte Leanne. „Es hat ihn beeindruckt, wie du mit dem Kleinen umgegangen bist. Deshalb hat er sich ein bisschen entspannt. Jetzt hält er immer nach dir Ausschau.“

„Was für ein Unsinn.“ Aber wenn Leanne recht hatte, wäre Anna vielleicht doch bereit dazu, etwas mehr darüber herauszufinden, wie der Mann tickte. Wollte sie das Risiko wirklich eingehen? Es könnte – und würde höchstwahrscheinlich – schiefgehen und die Dinge hier sehr unangenehm werden lassen. Denn egal, was in ihrem Privatleben passierte, diesen Job würde Anna nicht aufgeben. Sie liebte ihn, sie liebte es, den Kindern anderer Leute zu helfen. Das war eine kleine Wiedergutmachung dafür, dass sie ihren Sohn hatte gehen lassen.

„Er ist ein toller Kerl. Warum lernst du ihn nicht besser kennen? Du hast es verdient, Anna. Du solltest jemanden haben, zu dem du nach Hause gehen kannst. Jemanden, mit dem du mehr als nur die Arbeit teilen kannst.“

Ein weiteres Problem mit besten Freundinnen war, dass sie nicht wussten, wann es genug war. „Hör auf damit. Ich bin noch nicht bereit dafür.“ Was eine Lüge war. Anna war mehr als bereit, aber sie hatte noch keinen Mann gefunden, der sie so akzeptierte, wie sie war, ohne sie zu verurteilen für das, was sie getan hatte. Außerdem glaubte sie nicht, dass sie ein solches Glück verdiente, nachdem sie ihren Sohn im Stich gelassen hatte. Aber vielleicht war es an der Zeit, das hinter sich zu lassen? Konnte sie das? Plötzlich sah sie Eli vor sich, wie er sie im Aufzug angesehen hatte. Warum sollte sie nicht einen Versuch wagen? Ganz einfach. Ihr Herz konnte keinen weiteren Schlag verkraften.

„Du bist auf jeden Fall bereit.“ Leanne nahm das Medikament, das Anna ihr hingestellt hatte. „Jetzt lass uns weiterarbeiten.“

Erleichtert ging Anna zu einer elfjährigen Patientin, der gestern eine Platte an ihrem gebrochenen Knöchel eingesetzt worden war. „Hey, Jenna. Wie geht’s?“

„Mein Knöchel tut weh. Beim Physiotherapeuten musste ich Übungen machen.“

Zurück zur Normalität. Damit konnte Anna umgehen. Viel besser als damit, mehrere Minuten mit Dr. Sexy in einem Aufzug zu verbringen. Verflixt. Sie war enttäuscht, dass diese neuen Gefühle, die Eli bei ihr hervorrief, zu nichts führen würden. Es war zu riskant.

3. KAPITEL

Am Freitag ertönte die Notfallklingel. Eli sprang vom Computer auf, an dem er gerade die Patientennotizen durchging. „Zimmer vier“, sagte er laut, während er die Station hinunterlief, damit alle Anwesenden ihn hören und ihm helfen konnten.

Leanne war direkt neben ihm. „Vor zwei Stunden haben wir einen elfjährigen Jungen aufgenommen, nachdem er aus dem OP kam, wo man ihm Flüssigkeit aus der Lunge entnommen hat. Aber es sind auch noch zwei andere Jungen in Zimmer vier.“

Als Eli das Zimmer betrat, sah er als Erstes, wie Anna verzweifelt einen Jungen festhielt, der versuchte, aus dem Bett aufzustehen. „Was ist los?“

„Eine unerwünschte Nebenwirkung“, sagte Anna angestrengt. „Er kämpft schon seit ein paar Minuten gegen mich, ich musste einen der anderen Jungen darum bitten, den Notfallknopf zu drücken“, keuchte sie.

Eli legte seine Hände auf die Schultern des Jungen. „Ich übernehme.“

„Anthony, kannst du mich hören?“, fragte Anna, die den Jungen immer noch festhielt. „Er antwortet nicht. Ich weiß nicht, ob er mich hört.“

Typisch für einen Anfall, danach sah es aus. „Welches Analgetikum hat er nach dem Eingriff bekommen?“ Für gewöhnlich hatten Schmerzmittel nicht diese Wirkung, doch manchmal konnte das passieren. Anthony atmete flach und schnell.

Anna sagte es Eli und fügte hinzu: „Außerdem bekommt er ein Medikament gegen Hyperventilation.“

Na toll. „Leanne, holen Sie den Defibrillator, nur für alle Fälle.“

„Schon unterwegs.“

Anna legte eine Hand auf Anthonys Handgelenk und versuchte, seinen Puls zu messen. „Nicht einfach, wenn er so zappelt. Beruhige dich, Anthony. Wir versuchen, dir zu helfen.“

„Er ist schweißgebadet. Autsch.“ Ein Ellbogen knallte in Elis Seite.

Anna hielt den Arm des Jungen fest.

„Das ist wirklich ein heftiger Anfall.“

„Ich konnte seinen Puls nicht richtig messen, aber er ist schnell.“

„Das hatte ich befürchtet. Verflixt.“

Anthonys Körper war plötzlich schlaff geworden. Sein Mund stand offen und sein Brustkorb war still.

„Kein Puls“, sagte Anna ruhig.

Eli legte die Hände auf die Brust des Jungen und drückte. Eins, zwei. „Wo ist der Defibrillator?“ Drei, vier.

„Gleich da.“ Anna stand bereit, um dem Jungen Luft in die Lunge zu blasen, wenn die erforderliche Anzahl von Kompressionen erreicht wurde.

„Hier.“ Leanne stellte das Gerät auf den Ständer und reichte Anna die Elektroden.

„Neunundzwanzig, dreißig“, sagte Eli ruhig.

Anna legte die Elektroden beiseite, holte tief Luft und atmete zweimal in Anthonys Mund, bevor sie sich wieder aufrichtete und die Elektroden auf der entblößten Brust platzierte. Anna nickte Leanne zu und sagte: „Bereit.“

„Zurücktreten“, erwiderte Leanne.

Eli beendete die Herzdruckmassage und trat einen Schritt zurück.

Der Körper des Jungen schnellte hoch und fiel wieder zurück auf die Matratze. Der Defibrillator zeigte eine grüne Linie, die sich auf und ab bewegte.

Erleichterung erfüllte Eli. „Das war knapp. Gut. Schauen wir mal, wie es um ihn steht.“

Anna fühlte bereits Anthonys Puls und atmete auf. Sie machte wirklich keine halben Sachen. Als sie sah, dass Eli sie anschaute, nickte sie. „Ruhig und stärker als vorher. Immer noch schnell, aber nicht mehr so wie zuvor.“

„Seine Brust ist auch ruhiger. Seine Haut ist heiß.“ Eli nahm das Thermometer, das Anna in der freien Hand hielt, und hielt es an Anthonys Ohr. „Achtunddreißig Komma drei. Wer ist für ihn zuständig?“

„Hillary. Sie ist in der Ambulanz.“

„Ich rufe sie an.“ Nun, da Anthonys Zustand stabil war, stand es Eli nicht zu, die Behandlung zu übernehmen. „Er braucht ein Beruhigungsmittel und keine der Medikamente mehr, die er vorher bekam.“

Anna nickte scharf, doch Eli nahm es ihr nicht übel. Sie wusste das alles, akzeptierte aber, dass er sie darauf hinweisen musste. „Ich bleibe bei ihm. Drücken wir die Daumen, dass er nicht noch einen Anfall bekommt.“ Sie lächelte traurig. „Der arme Junge. Das war wirklich beängstigend.“

„Geht es Ihnen gut? Er hat sich heftig gewehrt, als Sie versucht haben, ihn festzuhalten. Haben Sie nicht auch einen Schlag abbekommen?“

Sie schüttelte den Kopf und ihr Pferdeschwanz schwang über ihren Rücken.

Elis Finger kribbelten, als er sich vorstellte, wie sich die roten Locken über ihrer Haut ausbreiteten. Ganz ruhig.

„Nein. Das Pech hatten nur Sie.“

„Das war nicht so schlimm. Eher überraschend. Ich komme wieder, wenn ich mit Hillary gesprochen habe.“ Er verließ das Zimmer und verzichtete darauf, sich noch einmal umzudrehen, um Anna anzusehen. Er war bei der Arbeit.

Als er in Zimmer vier zurückkehrte und sah, wie Anna behutsam Anthonys Körper abwischte, um den Schweiß zu beseitigen, überkam Eli ein Anflug von Sehnsucht. So war sie in der letzten Nacht auch mit Jordie umgegangen. So sanft und fürsorglich. Eli wollte auch so behandelt werden. Ruckartig richtete er sich auf, unterdrückte ein Aufstöhnen und sagte: „Hillary kommt gleich.“

„Gut.“ Anna löste ihren Blick von Anthony und sah Eli direkt an. „Er ist wirklich ein Glückspilz.“

Weil Sie geholfen haben, ihn zu retten.

„Ja, das ist er.“

Am Ende der Nachtschicht, etwas mehr als eine Woche nachdem sie und Eli Anthony das Leben gerettet hatten, rieb Anna sich den Rücken und seufzte. „Gut, dass das vorbei ist.“ Die Nacht auf der Station war arbeitsreich gewesen.

„Geh ruhig“, sagte Gabrielle. „Ich habe deine Notizen gelesen, weitere Erklärungen brauche ich nicht.“

Anna schenkte ihrer Kollegin ein müdes Lächeln. Wenigstens etwas. Außerdem war heute Samstag und sie hatte zwei Tage frei. „Ich hoffe, deine Schicht wird nicht zu stressig. Ich brauche jetzt erst mal etwas zu essen.“ Sie drehte sich um und stieß fast mit Eli zusammen. Ruckartig wich sie zurück und sagte: „Oh, hallo.“

„Hi.“ Er ergriff ihren Arm, damit sie das Gleichgewicht nicht verlor, und zog sie von den anderen weg. „Es freut mich, zu hören, dass Sie hungrig sind, denn ich bin hier, um Ihnen vorzuschlagen, im Café ein Stück die Straße herunter mit mir frühstücken zu gehen.“

Warum tat er das, wenn er ihr doch seit dem unangenehmen Moment im Aufzug letzte Woche so gut wie möglich aus dem Weg gegangen war, sofern es nicht um einen Patienten ging? „Sind Sie sicher?“

Sein Mund zuckte amüsiert. „Sonst würde ich nicht fragen.“

Gut. Aber wollte sie außerhalb der Arbeit Zeit mit ihm verbringen? Es könnte schwierig sein, zusammen an einem Tisch zu sitzen. Es könnte aber auch dazu beitragen, die Kälte zwischen ihnen aufzutauen. Also erwiderte Anna: „Gern. Aber ich muss Sie warnen. Eine Scheibe Toast hilft bei meinem Hungergefühl wenig.“

Er lachte unbeschwert und sinnlich. „Es geht nichts über ein gutes Frühstück.“

Als sie mit dem Aufzug ins Erdgeschoss fuhren, bemühte Anna sich um eine lockere Unterhaltung. „Warum sind Sie so früh hier?“

„Ich musste nach einem Patienten sehen.“

„Wussten Sie, dass ich Nachtdienst habe?“

„Deshalb bin ich hergekommen, um Sie zu fragen, ob Sie mich begleiten wollen.“

So langsam klang es wie ein Date, obwohl es keins war. Es konnte keins sein. Nicht, nachdem sie in letzter Zeit so unbeholfen miteinander umgegangen waren. „Sie haben meine Nummer nicht. Wieso sollten Sie auch?“

„Stimmt. Aber jetzt hätte ich sie gern. Wer weiß, wann ich den Drang verspüren könnte, Sie anzurufen?“ Seine Worte schienen ihn selbst zu überraschen.

Anna war auf jeden Fall überrascht. Sie hätte nie gedacht, dass Eli Forrester so etwas sagen würde, wenn er nicht vorher gut darüber nachgedacht hatte. Ein gutes Zeichen? Hatte sie ihn ein wenig verunsichert? Gut. Denn er hatte sie mehr als nur ein wenig aus dem Konzept gebracht, es war also nur fair, dass er auch leiden musste. „Ich gebe sie Ihnen beim Frühstück, wenn Sie mir auch Ihre geben.“ Anna konnte sich zwar nicht vorstellen, ihn ohne guten Grund anzurufen, aber wer wusste schon, was ein guter Grund sein könnte? Vielleicht wollte sie einfach nur seine tiefe, heisere Stimme hören. Oh, ja.

Er lächelte sie an. „Abgemacht.“

Nun lachte Anna, frei und fröhlich. Sie ging mit einem Mann frühstücken, von dem sie nie geglaubt hätte, dass er auch nur im Geringsten an ihr...

Autor

Alison Roberts
<p>Alison wurde in Dunedin, Neuseeland, geboren. Doch die Schule besuchte sie in London, weil ihr Vater, ein Arzt, aus beruflichen Gründen nach England ging. Später zogen sie nach Washington. Nach längerer Zeit im Ausland kehrte die Familie zurück nach Dunedin, wo Alison dann zur Grundschullehrerin ausgebildet wurde. Sie fand eine...
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Luana Da Rosa
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