Julia Ärzte zum Verlieben Band 155

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LIEBESABENTEUER AUF HAWAII von JULIE DANVERS
Verzweifelt schwimmt Kat gegen die Strömung vor Hawaii an – und hat Glück: Ein breitschultriger Fremder rettet sie! Es knistert heftig zwischen ihr und dem sexy Sanitäter Jack Harper. Aber soll die junge Ärztin nach ihrer schmerzlichen Trennung wirklich ein Abenteuer riskieren?

DIE KLINIK UNTER GRÜNEN PALMEN von ANN MCINTOSH
Nach einer schweren Verletzung wird Chirurgin Mina nie wieder operieren können. Alles scheint verloren – bis ihr bester Freund Dr. Kiah Langdon vorschlägt, dass sie in seiner Inselklinik unterrichtet. Doch unter dem karibischen Himmel gerät ihre Freundschaft in Gefahr …

LEINEN LOS FÜR DIE GROSSE LIEBE von ALISON ROBERTS
Noch bevor das Kreuzfahrtschiff abgelegt hat, flirtet ein unverschämt attraktiver Mann heiß mit Schwester Lisa. Kurz darauf erfährt sie, wer er ist: der Arzt an Bord – ihr Boss! Auf keinen Fall darf sie mit Playboy-Doc Hugh Patterson in den Wellen der Leidenschaft versinken …


  • Erscheinungstag 20.08.2021
  • Bandnummer 155
  • ISBN / Artikelnummer 9783751501620
  • Seitenanzahl 384
  • E-Book Format ePub
  • E-Book sofort lieferbar

Leseprobe

Julie Danvers, Ann McIntosh, Alison Roberts

JULIA PRÄSENTIERT ÄRZTE ZUM VERLIEBEN BAND 155

JULIE DANVERS

Liebesabenteuer auf Hawaii

„Keine Angst. Sie sind in Sicherheit.“ Beruhigend redet Jack auf die junge Frau ein, die in der Brandung gefährlich abgetrieben ist. Auf starken Armen bringt er die erschöpfte Schönheit zurück an den Strand. Sie gehört ins Krankenhaus! Nicht nur wegen ihrer Verletzungen. Sondern auch, weil sie die neue Ärztin der Klinik ist, in der er arbeitet …

ANN MCINTOSH

Die Klinik unter grünen Palmen

Was ist stärker – alte Freundschaft oder verbotene Liebe? Dr. Kiah Langdon kann nicht mit ansehen, wie traurig seine gute Freundin Mina ist. Entschlossen bietet er ihr an, auf der idyllischen Karibikinsel, die auch sein Zuhause ist, einen Neustart zu machen. Niemals hätte er gedacht, dass eine unberechenbare Leidenschaft zwischen ihnen alles zu zerstören droht!

ALISON ROBERTS

Leinen los für die große Liebe

Immer vernünftig und vorsichtig – Schwester Lisa passt so gar nicht in die glamouröse Welt des Kreuzfahrtarztes Hugh Patterson. Doch als sie gemeinsam einer Passagierin das Leben retten und an der herrlichen Côte d’Azur einen romantischen Abend verbringen, beginnt er zu verstehen: Manchmal ist das, was am abwegigsten erscheint, das Begehrenswerteste …

1. KAPITEL

Dr. Katherine Murphy stieg in Honolulu aus dem Flugzeug. Beim Start in Chicago waren ihre Stiefel und ihr Mantel noch voller Schnee gewesen. Ein paar Tröpfchen hatten den Flug überlebt, und nun schüttelte Kat sie genüsslich ab. Zu Hause waren die Temperaturen unter dem Gefrierpunkt, und der Schnee lag mehrere Zentimeter hoch. Hier auf Hawaii jedoch raschelten die Blätter der Palmen in einer gleichbleibend sanften Brise.

Auf Wiedersehen, Eis und Kälte, dachte sich Kat und blinzelte in die frühmorgendliche Sonne. Zwar trug sie noch immer Wintersachen, doch ihr Handgepäck enthielt sechzehn Badeanzüge, einen Schlapphut, eine Sonnenbrille und mehrere Paar Flipflops. In letzter Minute hatte sie noch daran gedacht, ihren weißen Arztkittel und ein Stethoskop einzupacken, bevor sie den Reißverschluss des kleinen Koffers zugezogen hatte. Der Rest ihrer Sachen war bereits separat zu ihrer neuen Wohnung auf der Insel Oahu transportiert worden.

Sie konnte es nicht fassen, dass sie noch bis vor drei Wochen eine der angesehensten Ärztinnen in Chicago gewesen war. Sie war fest davon ausgegangen, dass man sie zur Leiterin der Abteilung für Innere Medizin im Chicago Grace Memorial befördern würde – die renommierte Klinik, in der sie ihre Assistenzzeit absolviert und der sie ihre Karriere größtenteils zu verdanken hatte. Vor drei Wochen war ihr die Zukunft noch sicher und vorhersehbar erschienen.

Da hatten Kat und Christopher nur noch wenige Tage von ihrer Hochzeit getrennt. Kat musterte die blasse Stelle an ihrem Finger, die der Verlobungsring hinterlassen hatte. Noch immer spürte sie einen dicken Kloß im Hals, wenn sie an die Trennung dachte.

Tränen verschleierten ihr den Blick, doch Kat kämpfte dagegen an und versuchte zu lächeln, als eine Mitarbeiterin des Flughafens sie herzlich empfing und ihr einen wunderschönen Lei, eine Kette aus violetten Orchideenblüten, über den Kopf streifte. Kat schüttelte die Tränen ab und reckte das Kinn. Ihr neuer Job als Internistin und Spezialistin für Infektionskrankheiten am Oahu General Hospital war ihre Chance für einen Neubeginn, und es hatte keinen Sinn, der Vergangenheit nachzutrauern. Leb wohl, altes Leben, dachte sie. Und leb wohl, Christopher.

Dass sie eines Tages ihr geordnetes, vorhersehbares Leben in Chicago verlassen und nach Hawaii ziehen würde, hätte Kat sich früher niemals träumen lassen. Aber sie hätte auch nie geglaubt, dass sie sowohl ihren Job, ihre Chance auf eine Beförderung als auch ihren Verlobten an ein und demselben Tag verlieren würde. Sie nannte ihn den „Tag des Verderbens“.

Vor drei Wochen hatte sie sich unter einer Daunendecke in ihrer Wohnung verkrochen, während die Welt draußen unter einer dicken Schneeschicht verborgen war, und hatte fieberhaft überlegt, wie sie es jemals wieder schaffen sollte, sich der Welt zu stellen. Alles, wofür sie gearbeitet hatte – ihre medizinische Karriere, ihre Hochzeit, die Träume und Hoffnungen, die ihre Familie für sie gehegt hatte –, hatte sich mit einem Mal in Luft aufgelöst.

Gerade hatte sie begonnen, darüber nachzudenken, wie lange sie sich noch in ihrer Wohnung verstecken könnte, bevor sie sich etwas zu essen besorgen musste, als sich ihre beste Freundin aus Studienzeiten mit einem interessanten Angebot meldete. Selena war die Leiterin eines kleinen Krankenhauses auf Hawaii und rief an, um sich zu erkundigen, ob Kat irgendjemanden kannte, der daran interessiert wäre, für ein Jahr in Honolulu zu arbeiten und an der Erforschung und Behandlung einer seltenen Art von Grippe mitzuwirken.

Zu ihrer eigenen Überraschung meldete Kat sich freiwillig für die Stelle. Ihre Mutter und ihre Freunde in Chicago waren nicht weniger überrascht, und Kat konnte es ihnen nicht verdenken. Spontane und impulsive Entscheidungen zu treffen, gehörte nicht gerade zu ihren Stärken. Seit sie sich mit sechzehn dazu entschlossen hatte, Ärztin zu werden, war jede ihrer Entscheidungen das Ergebnis sorgfältiger Planungen und Recherche gewesen. Alles in ihrem Leben, von ihrer Karriere bis zu ihren engsten Beziehungen, ruhte auf einem Fundament aus logischen und praktischen Erwägungen.

Kats Freunde fanden, dass sie „nachweislich eine Typ-A-Persönlichkeit“ war, und Kat musste zugeben, dass sie richtiglagen. Niemals unternahm sie etwas Hals über Kopf. Doch das war die alte Kat, die nicht im Geringsten geahnt hatte, wie sehr sich das Leben innerhalb eines einzigen Tages ändern konnte.

Sie hatte immer geglaubt, dass sie sich mit ihrer vorsichtigen, planvollen Lebensweise vor unangenehmen Überraschungen schützte. Sie war überzeugt, dass sie mit allem umgehen konnte, wenn sie nur auf alles vorbereitet war. Doch nun, als sie die leere Stelle an ihrem Ringfinger spürte, begriff sie, dass es stimmte, was man über sorgfältige Planung sagte: Man konnte planen, so viel man wollte, aber man wusste trotzdem nie, was als Nächstes geschehen würde.

Ja, meine Liebe, du hast definitiv einen Tiefpunkt erreicht, dachte sie sich, als sie den Flughafen verließ.

Plötzlich stockte ihr der Atem. Noch nie in ihrem Leben hatte sie eine so üppige und wunderschöne Landschaft gesehen. Rosafarbene und gelbe Frangipaniblüten säumten den Gehweg. Ihr Duft wehte zu Kat und vermischte sich mit dem der Orchideenkette um ihren Hals. In der Ferne türmten sich Berge vor einem wolkenlosen blauen Himmel auf. Sämtliche Wege waren von hohen Palmen gesäumt, deren Blätter sich sanft in der kühlen Brise wiegten.

Kat hielt inne und atmete langsam und tief ein. Es roch nach Blumen, und sie wollte den Duft genießen. Plötzlich fragte sie sich, wann sie zuletzt innegehalten hatte, um so tief durchzuatmen. Sie wusste es nicht. Nach dem Studium hatte sich ihr ganzes Leben nur noch um die Hektik in der Notaufnahme gedreht. Irgendjemand hatte immer Zeit oder Aufmerksamkeit von ihr verlangt, und das sofort. Doch jetzt, zum ersten Mal seit Jahren, gab es keinen Notfall, um den sie sich kümmern musste. In diesem Augenblick erwartete niemand etwas von ihr. Sie musste keine Entscheidungen über Leben und Tod fällen. In diesem Moment war Atmen alles, was sie tun musste.

Sie blinzelte und wunderte sich über sich selbst. Erst seit dreißig Sekunden war sie auf Hawaii, und schon blieb sie stehen und schnupperte an den Rosen – beziehungsweise am Hibiskus. Es war ausgesprochen untypisch für sie, und dennoch hatte sie zum ersten Mal seit Wochen wieder das Gefühl, sie selbst zu sein.

Nach allem, was geschehen war, hatte sie kaum noch gewusst, wer sie eigentlich war. Jetzt aber, während sie auf die märchenhafte Landschaft hinausblickte, empfand sie etwas, das sie schon seit Wochen vermisst hatte. Etwas, das ihr seit dem Tag des Verderbens unbemerkt abhandengekommen war: Hoffnung. Und mehr noch: Freude.

Die entfernten Berge standen für endlose Möglichkeiten, und Kat schloss die Augen und bemerkte, dass das sanfte Rauschen im Hintergrund nicht nur vom Wind kam. Das Meer machte sich ebenfalls bemerkbar. Kat war auf dem besten Weg, sich auf den ersten Blick in Hawaii zu verlieben.

Vielleicht bin ich ja doch nicht an einem Tiefpunkt angelangt, dachte sie sich. Vielleicht ist dies der Anfang von etwas Neuem.

Während sie die schöne Natur ringsum bewunderte, wurde ihr klar, dass sie nicht gleich zu ihrer neuen Wohnung fahren wollte, um sich dort einzurichten. Das war etwas, das die alte Kat getan hätte. Die alte Kat hätte ihre Sachen sorgfältig geordnet und die neue Nachbarschaft nach grundlegenden Dingen wie Supermärkten und Postläden abgesucht. Die neue Kat jedoch, so beschloss sie, würde andere Prioritäten setzen. Und Entspannung stand bei ihr ganz oben auf der Tagesordnung. Aber wie sollte sie das anstellen?

Es war schon so lange her, seit sie zuletzt einen Moment für sich gehabt hatte, dass sie absolut nicht wusste, was Entspannung überhaupt bedeutete. In all den Jahren ihres Studiums, in den Vorlesungen über Chemie, Anatomie und Physiologie hatte sie eine wichtige Sache übersehen: Sie hatte vergessen zu lernen, wie man sich entspannte.

Kat widerstand dem Impuls, auf ihrem Handy die Definition von „Entspannung“ zu googeln. Das habe ich jetzt davon, dass ich immer nur gearbeitet und mir niemals Freizeit gegönnt habe.

Von klein auf hatte sie davon geträumt, Ärztin zu werden, und die Erfüllung ihres Traums hatte sie viel Arbeit und Selbstdisziplin gekostet. Sie war so auf ihre Karriere als Medizinerin fokussiert gewesen, dass sie nie dazu gekommen war, eine wilde und sorglose Jugend zu erleben.

Nun, vielleicht wurde es jetzt Zeit dafür. Konnte man mit Ende zwanzig noch eine wilde Jugend haben? Kat beschloss, dass sie es, verdammt noch mal, versuchen würde. Das Jahr auf Hawaii war ihre Chance, zu lernen, wie man loslassen und spontan sein konnte. Ihr ganzes Leben hatte sie damit verbracht, verantwortungsbewusst zu sein, und wohin hatte es sie geführt? In die Arbeitslosigkeit.

Sie war fallen gelassen worden – quasi direkt vor dem Altar. Wenn ihre ganze Planung, ihre endlosen Pro- und Kontra-Listen und ihre sorgfältigen Entscheidungsprozesse zu so viel Kummer geführt hatten, vielleicht wurde es dann Zeit, sich eine andere Einstellung zuzulegen.

Ihr blieb nur ein Jahr. Ein Jahr weit weg von den Menschen, die sie kannte, weit weg von deren Erwartungen und vorgefassten Meinungen. Bestimmt gab es keinen besseren Ort als diese traumhafte Insel, um zu lernen, wie man sich entspannte und für den Moment lebte.

Wieder hörte sie das leise Rauschen des Ozeans und fühlte sich umso entschlossener. Sie würde ihren Aufenthalt nicht nur dazu nutzen, um über Christopher hinwegzukommen. Sie wollte auch die alte Kat hinter sich lassen.

Aber wie lernte man, sich zu entspannen? So schwer kann es nicht sein, dachte sie. Wenn ich organische Chemie gemeistert habe, dann schaffe ich auch das. Kat würde dieselbe Herangehensweise wählen, mit der sie alle schwierigen Vorlesungen bewältigt hatte. Sie würde eine detaillierte Liste all ihrer Ziele schreiben und anschließend jeden einzelnen Punkt abarbeiten.

Eine leise Stimme in ihrem Hinterkopf flüsterte ihr zu, dass dies eine absolute Typ-A-Methode war, um sich dem Thema Entspannung zu nähern, doch Kat ignorierte sie.

Wie man sich auf einer paradiesischen Insel entspannt, während man sich von einer schlimmen Trennung erholt. Erster Schritt: einen Strand finden.

Frustriert blickte Kat auf ihre Schneestiefel hinab. Wenn man die Kälte in Chicago und im Flugzeug bedachte, waren die Stiefel die vernünftige Wahl gewesen. Hier jedoch wirkten sie lächerlich. Ihre Füße wurden regelrecht von ihnen erstickt, und Kat konnte es nicht erwarten, endlich Sand unter den Zehen zu spüren.

Unter der schweren Winterkleidung trug sie ihren blau-gelb gestreiften Lieblingsbikini. Sie hatte davon geträumt, an ihrem ersten Tag auf Hawaii schwimmen zu gehen, doch sie war davon ausgegangen, dass sie zuerst zu ihrer neuen Wohnung fahren würde. Nun aber, da sie wirklich hier war, konnte sie unmöglich noch länger warten.

Eine kurze Suche im Internet ergab, dass der nächste Strand nur „einen angenehmen zwanzigminütigen Fußmarsch vom Flughafen entfernt“ lag. Bestimmt konnte sie sich dort irgendwo umziehen.

Sie hängte sich die Reisetasche über die Schulter und ging in Richtung Wasser. In ihrer Miene zeichnete sich Entschlossenheit ab. Sie würde lernen, sich zu entspannen, oder bei dem Versuch sterben.

Jack Harper war für gewöhnlich kein Frühaufsteher, aber er wanderte schon seit der Morgendämmerung am Strand entlang. Noch immer hielt er den zerknüllten Brief seines Vaters in der Faust.

Viele medizinische Hochschulen lassen jederzeit Bewerber zum Studium zu. Ich könnte ein paar Anrufe machen, damit du problemlos zum Wintersemester anfangen kannst.

Frustriert fuhr Jack sich mit der Hand durchs Haar. Er war gerne Sanitäter, verdammt. Doch es spielte keine Rolle, wie oft er seinem Vater erklärte, dass er nie wieder an die Uni zurückkehren würde. Seine Eltern würden seine Entscheidung einfach nicht verstehen.

Es wird Zeit, dass du dich anstrengst. Du hattest deinen Spaß auf Hawaii. Aber jetzt solltest du ins reale Leben zurückkehren.

Für Jacks Vater spielte sich das reale Leben in Lincoln, Nebraska, ab. Jack konnte sich keinen Ort vorstellen, der sich stärker von Hawaii unterschied. Lincoln war eine schöne Stadt, doch Jack war froh, dass er die Maisfelder, Kühe und kalten Winter seiner Kindheit gegen die saftige, bergige Landschaft um Honolulu eingetauscht hatte. Seine Eltern, sein Großvater und seine beiden Brüder lebten noch immer in Lincoln und waren allesamt Ärzte. Jacks Eltern waren hoch angesehene, weltberühmte Forscher. Sein jüngerer Bruder Todd war in der kleinen Familienpraxis des Großvaters tätig, und sein älterer Bruder Matt war Chirurg.

Fünf Ärzte in der Familie. Fünf Typ-A-Persönlichkeiten, die davon überzeugt waren, dass sie immer recht hatten. Fünf Menschen mit Egos, größer als die hawaiianischen Berge, die den Ozean überragten.

Jack fand, dass fünf Ärzte in der Familie genug waren. Drei Jahre an der medizinischen Fakultät hatten gereicht, um ihn davon zu überzeugen, dass ein Leben als Arzt nicht das Richtige für ihn war. Als Sanitäter war er viel glücklicher – erst recht hier auf Oahu.

Nachdem er sein Medizinstudium abgebrochen hatte, um sich bei den Navy SEALS zu bewerben – noch eine Entscheidung, die seine Eltern missbilligt hatten –, hatte er seine Grundausbildung auf Hawaii absolviert. Noch nie zuvor hatte er sich irgendwo so zu Hause gefühlt wie hier. An einem Tag rettete er ein Brandopfer, am nächsten half er bei der Geburt eines Babys, und das alles auf einem Inselparadies, das ihm mehr bedeutete als jeder andere Ort auf der Welt.

Er liebte seinen Job – einerseits wegen des Adrenalinkicks, andererseits, weil er Leben retten konnte. Seine Eltern aber nahmen weder seine Berufswahl ernst noch seinen Wunsch, auf Hawaii zu leben, und taten weiterhin so, als würde er nur einen ausgedehnten Urlaub machen. Jack und seine Eltern waren sehr unterschiedlich. Und es zeigte sich nirgends deutlicher als im letzten Absatz des Briefs, den sein Vater ihm geschickt hatte.

Du bist jetzt einunddreißig. Du musst endlich anfangen, an deine Zukunft zu denken. In Nebraska gibt es genug Frauen, die eine Familie gründen wollen, und deine Mutter wird älter und würde sich über weitere Enkel freuen …

An dieser Stelle hörte Jack auf zu lesen. Er konnte es nicht fassen, dass sein Vater das Thema Eheschließung ansprach, nachdem Jack so von Matt hintergangen worden war. Matt – der Goldjunge der Familie.

Jack prustete. Vier Jahre war es her, dass er mit Matt und Sophie gesprochen hatte, doch er spürte noch immer einen Stich im Herzen, wann immer er an sie dachte. Nachdem er von den beiden wichtigsten Menschen in seinem Leben betrogen worden war, war eine neue Beziehung das Letzte, was er wollte.

Jack war überzeugt, dass Beziehungen stets mit Kummer einhergingen, und er war nicht bereit, so etwas erneut durchzumachen. Oh, er hatte genug Dates gehabt, und viele Frauen waren gewillt, eine Nacht oder auch mehrere mit ihm zu verbringen. Es gab zahlreiche Touristinnen, die sich von Jack die Erfüllung ihrer Fantasie einer exotischen Inselaffäre im Urlaub erhofften, und Jack tat ihnen den Gefallen nur allzu gern.

Doch dabei achtete er stets darauf, sich nie zu eng an jemanden zu binden. Wenn er wachsam und auf Distanz bleiben musste, um sein Herz zu schützen, nahm er es in Kauf.

Ein letztes Mal strich Jack den Brief glatt, dann zerknüllte er ihn wieder in seiner Hand, widerstand jedoch dem Impuls, ihn ins Meer zu werfen. Der Himmel war klar, das Wasser ruhig und perfekt, und es hatte keinen Sinn, am Strand über eine Vergangenheit nachzugrübeln, die er ohnehin nicht ändern konnte. Zwischen Jack und Sophie war es aus, und zwar schon seit Langem. Alles, was sich zwischen Jack, Matt und Sophie abgespielt hatte, war längst vorüber. Aber warum quälte ihn die ganze Geschichte dann immer noch so sehr?

Manchmal fragte sich Jack, ob seine Art, alle Menschen emotional auf Distanz zu halten, daran schuld war, dass er sich von der Trennung von Sophie nicht erholte. Doch es war zu schmerzlich, sich den Erinnerungen zu stellen. Er hatte nicht nur Sophie verloren, sondern auch seinen Bruder. Den einzigen Menschen, von dem er geglaubt hatte, dass er immer auf ihn würde zählen können.

Das Aufwachsen in einer Arztfamilie brachte eine ganz bestimmte Art von Druck mit sich. Manchmal kam es Jack vor, als hätte er die hohen Erwartungen seiner Familie schon seit seiner Geburt gespürt. Doch so sehr er auch unter Druck gestanden hatte, im Studium und im Beruf erfolgreich zu sein, war es doch nichts im Vergleich zu dem, was Matt durchgemacht hatte.

Matt war zwei Jahre älter als Jack, und ihre Eltern hatten ganz besonders große Hoffnungen in Matt gesetzt, weil er ihr ältester Sohn war. Stets hatten sie von ihm erwartet, auf Jack aufzupassen, und Matt hatte diese Verantwortung als Kind äußerst ernst genommen. Wann immer Jack sich verletzt hatte, wann immer er Ärger mit Freunden oder Probleme in der Schule gehabt hatte, war er damit zu Matt gegangen.

Im Gegenzug hatte Jack seinen großen Bruder während ihrer gemeinsamen Kindheit wie einen Helden verehrt. Wenn Jack ehrlich war, dann hatte er auch als Erwachsener noch lange zu Matt aufgeschaut.

Stets hatte Jack geglaubt, dass sie zueinanderstehen würden, was auch immer geschah. Doch nachdem Matt ihm die Affäre mit Sophie gestanden hatte, ertrug Jack es nicht mehr, auch nur im selben Zimmer zu sein wie er. Vier Jahre waren vergangen, seit sie zuletzt miteinander gesprochen hatten.

Ein entfernter Hilfeschrei riss Jack aus seinen Gedanken, und mit dem geschulten Blick eines Sanitäters spähte er aufs Wasser hinaus. Da – eine Frau schwamm im Meer, weit vom Ufer entfernt. Zu weit. Und sie trieb noch weiter hinaus. Sie war von einer Strömung erfasst worden und würde bald erschöpft sein, wenn sie weiter versuchte, dagegen anzuschwimmen.

Jack rannte los. Es war einer der ruhigeren Strände, und es war niemand von der Badeaufsicht da. Er wählte den Notruf und teilte der Zentrale mit, was er vorhatte. Dann ließ er das Handy fallen, streifte sein T-Shirt ab und entblößte seinen muskulösen Brustkorb und die kräftigen Arme eines ehemaligen Navy SEAL.

Ein paar Kinder, die an der Brandung gespielt hatten, versammelten sich am Strand, weil sie bemerkt hatten, dass die Frau in Gefahr war.

„Das leihe ich mir“, sagte er zu einem der Jungen und schnappte sich dessen Bodyboard, ohne die Antwort abzuwarten.

Jack rannte ins Wasser und ließ sich von der Strömung zur Schwimmerin hinaustreiben. Als er sie endlich erreicht hatte, erkannte er, dass er recht gehabt hatte. Sie versuchte, gegen die Strömung anzukämpfen, anstatt parallel zum Ufer zu schwimmen. Und sie war sichtlich verängstigt. Jack wusste, dass er die Frau und sich selbst in Sicherheit bringen konnte, aber zuerst musste er sie beruhigen.

Obwohl die Frau panisch war, kam er nicht umhin, ihr feurig rotes Haar zu bewundern. Rothaarige hatte er schon immer gemocht …

Konzentrier dich, rief er sich gedanklich zurecht. Sie muss sich beruhigen. Hilf ihr, sich zu entspannen.

„Sieht so aus, als wären Sie etwas weiter nach draußen geschwommen, als Sie ursprünglich vorhatten“, neckte er sie und versuchte, ihr die Angst zu nehmen. „Ihnen ist hoffentlich klar, dass Sie unmöglich den ganzen Weg bis zum Festland zurückschwimmen können, oder? Dafür müssten Sie schon einen Flug buchen.“

Die Frau hustete und schnappte nach Luft. Jack spürte, dass sie mit aller Kraft versuchte, ihre Angst im Zaum zu halten. Das respektierte er. Bei Rettungseinsätzen im Wasser verbrachte er für gewöhnlich die meiste Zeit damit, das Opfer davon abzuhalten, in Panik auszubrechen und damit alles nur noch schlimmer zu machen. Diese Frau jedoch tat ihr Bestes, um seinen Anweisungen zu folgen.

„Die Strömung …“, keuchte sie. „Sie ist zu stark. Wir schaffen es nie bis ans Ufer.“

Jack zwang sich dazu, ruhig zu bleiben, obwohl die Strömung sie weiterhin aufs offene Meer hinaustrieb. „Natürlich schaffen wir es“, versicherte er. „Aber zuerst möchte ich, dass Sie sich entspannen.“

Er bemühte sich um einen möglichst warmen und zuversichtlichen Tonfall, doch aus irgendeinem Grund weiteten sich die Augen der Frau panisch, sobald er das Wort „entspannen“ aussprach – als hätte Jack ihr gerade erklärt, dass sie nur überleben würde, wenn sie Fliegen lernte.

Er wollte versuchen, seine Arme um sie zu legen – je früher sie aufhörte, gegen die Strömung anzukämpfen, desto besser.

„Ich greife Ihnen jetzt unter die Arme, in Ordnung?“, fragte er. Dann schwamm er hinter sie, streckte einen Arm aus und legte ihn ihr um den Oberkörper. Er gab der Frau Halt, und es zeigte die gewünschte Wirkung: Als er ihren Körper an sich drückte, hörte sie auf, gegen die Wellen anzukämpfen, und erlaubte es Jack, sie über Wasser zu halten.

„Können Sie sich daran festhalten?“ Er hielt ihr das geliehene Bodyboard hin, und sie klammerte sich daran.

„Gut“, lobte er. Ihre Panik schwand zusehends. Jack bewunderte, wie rasch sie ihre Selbstbeherrschung zurückerlangte. Die meisten anderen Menschen würden jetzt immer noch wild strampeln und Meerwasser verschlucken.

„Wie ist Ihr Name?“, fragte er.

„Kat“, antwortete sie und rang nach Luft.

Gut, dachte Jack. Wenn sie sprechen kann, dann ist ihre Luftröhre noch frei.

„Kat, ich möchte, dass Sie mir gut zuhören“, fuhr er fort. „Wir werden überleben, aber Sie müssen mir vertrauen. Wenn Sie alles tun, was ich sage, dann verspreche ich Ihnen, dass wir es bis ans Ufer schaffen. Aber als Erstes müssen Sie ruhig werden.“

„Ich versuch’s“, erwiderte sie.

Er schmunzelte. „Ich kann spüren, dass Sie zittern.“ Sie warf ihm einen feindseligen Blick zu, und er sagte schnell: „Es ist völlig in Ordnung, Angst zu haben, aber das brauchen Sie nicht, weil wir es schaffen werden. Sind Sie zum ersten Mal in eine Strömung hineingeraten?“

Sie nickte. „Ich schwimme zum ersten Mal im Ozean. Eigentlich ist heute mein erster Tag auf Hawaii.“

Offenbar versuchte sie, sich mit ihren Worten selbst zu beruhigen, und gab sich Mühe, einen kühlen Kopf zu bewahren. Sie hatte Nerven wie Drahtseile. Außerdem bemerkte Jack ihre schlanke Figur, als sie sich an ihn klammerte.

Das Wichtigste zuerst, dachte er sich. Sie sollten zuerst an Land zurückkehren, bevor er versuchte, mehr über sie herauszufinden. Bestimmt gehörte sie zu den Tausenden von abenteuerlustigen Touristen, die jeden Monat herkamen, ohne auf die Gefahren des Ozeans im Geringsten vorbereitet zu sein.

„Na dann: Aloha und willkommen auf Oahu, Kat. Können Sie sich vorbeugen und sich auf das Bodyboard legen? Wenn Sie sich auf die Arme stützen, kann ich uns an Land paddeln. Keine Sorge, ich lasse Sie nicht los.“

Aus irgendeinem Grund wusste Kat, dass er die Wahrheit sagte. Anfangs hatte sie Panik gehabt, und während die Wellen über ihrem Kopf zusammenschlugen, fiel es ihr schwer, einen Blick auf den Fremden zu erhaschen, der zu ihr geschwommen war, um ihr zu helfen. Alles, was sie spürte, war eine muskulöse, maskuline Präsenz und eine feste Stimme, so warm und beruhigend wie ein Löffel Honig. Doch er hatte sie unerwartet schnell erreicht, und Kat vertraute darauf, dass er wusste, was er tat.

Er gab ihr mit seinem Körper Halt, sodass Kat auf das mitgebrachte Schwimmbrett klettern konnte. Sobald sie sich darauf ausgestreckt hatte, ließ er ihre Taille los, um neben ihr her zu schwimmen, und Kat bedauerte es, dass er seine starken Arme von ihr löste.

„Prima“, sagte er. „Der schwierigste Teil ist geschafft. Halten Sie sich jetzt einfach nur fest, während ich Sie ziehe. Ehe Sie sichs versehen, sind wir wieder an Land.“

Er schwamm weiterhin neben ihr her und zog das Brett, sodass sie sich parallel zum Ufer bewegten. Eine kräftige Welle traf sie unvermittelt, und ein scharfer Schmerz durchzuckte Kats Bein.

Sie musste wohl aufgeschrien haben, denn der Mann packte sie sofort wieder an der Taille.

„Was ist?“, fragte er besorgt.

„Mein Bein“, antwortete sie. „Irgendetwas muss mich getroffen haben. Ich glaube aber nicht, dass es schlimm ist.“

„Halten Sie einfach durch“, erwiderte er. „Wir sind fast wieder am Ufer.“

Zu Kats großer Erleichterung kam das Ufer immer näher, bis sie endlich spürte, wie die Wellen sie in Richtung Strand trieben, anstatt sie aufs Meer hinauszuziehen.

Am Ufer angekommen, brach sie kraftlos auf dem Sand zusammen. Der Mann sank neben ihr zu Boden, während er noch immer einen Arm schützend um ihren Körper geschlungen hielt. Einen Moment lang blieben beide erschöpft liegen. Der Fremde war nah genug, sodass Kat die Wärme seines Körpers spürte.

Sie wandte sich ihrem Retter zu, um sich bei ihm zu bedanken. Draußen auf dem Meer war sie froh über seine Kraft gewesen, aber jetzt, da sie wieder sicher an Land war, wusste sie noch viel mehr an ihm zu schätzen. Seine Augen hatten die Farbe des hawaiianischen Meeres: ein leuchtendes Türkis. Er war muskulös, trotzdem war sein Körper so schlank wie der eines Läufers. Strähnen seines dunklen Haars fielen ihm in die Stirn, und Kat musste dem plötzlichen Drang widerstehen, mit den Fingern hindurchzustreichen. Ihre Blicke trafen sich, und für einen Moment spürte Kat ein elektrisches Knistern zwischen ihnen.

Noch immer lag sein Arm schützend auf ihr. Der Mann blickte auf sie hinab, um sicherzugehen, dass es ihr gut ging. Sie versuchte zu sprechen, brachte jedoch nur ein Husten heraus. Es würde noch ein paar Minuten dauern, bis sie sich erholt hatte.

„Keine Sorge“, sagte er. „Das ist nur der Schock. Lassen Sie sich Zeit und atmen Sie erst einmal durch.“

Kat setzte sich auf. Der Mann nahm seinen Arm von ihr fort und lehnte sich zurück. War es Wunschdenken, oder bewegte er sich nur langsam, als wäre er noch nicht bereit, Kat loszulassen?

Während sie langsam wieder zu Atem kam, wurde sie sich nach und nach ihres Aussehens bewusst. Nasser Sand klebte an ihr, sie hatte Wasser gespuckt, und feuchte Strähnen hingen ihr ins Gesicht. Doch sie war am Leben, und das hatte sie dem Mann neben sich zu verdanken, wer auch immer er sein mochte. Aus seinem Blick sprach Besorgnis, und er klopfte ihr sanft auf den Rücken, während sie gemeinsam darauf warteten, dass ihre Luftröhre wieder ganz frei wurde.

„Mir geht’s gut“, versicherte Kat, sobald sie wieder ruhig atmen konnte. „So viel Vorsicht ist wirklich nicht nötig. Aber ich muss Ihnen dafür danken, dass Sie mir das Leben gerettet haben, Mister …?“

„Jack Harper“, antwortete er.

„Nun, Mr. Harper, vielen Dank.“

„Nicht der Rede wert“, erwiderte er. „Geben Sie Ihrem Körper einfach nur die nötige Zeit, die er braucht, um sich zu erholen.“

Kat hatte die Knie angewinkelt, und ihre Fußsohlen ruhten flach auf dem Sand. Sie hielt den Kopf gesenkt und versuchte, ihre Atmung zu verlangsamen. So wurde sie von der Tatsache abgelenkt, dass ihr Retter noch immer ziemlich dicht neben ihr saß. Sein muskulöser Körper strahlte Hitze aus, und Jack musterte Kat besorgt.

„Ich weiß nicht, wie Sie so locker damit umgehen können“, bemerkte sie. „Ich war mir sicher, dass wir beide sterben würden.“

„Es war gefährlich, aber Sie sind ruhig geblieben, und das war die halbe Miete“, erklärte er.

Sie erschauderte und dachte daran, dass sie kurz davor gewesen war, aufs offene Meer hinauszutreiben. „Vielleicht habe ich ruhig gewirkt, aber ich habe mich definitiv nicht so gefühlt. Ich dachte immer, ich wäre eine gute Schwimmerin, aber auf diese Strömung war ich nicht vorbereitet. Ich habe versucht, parallel zum Ufer zu schwimmen, aber ganz egal, wohin ich geschwommen bin, die Strömung wollte mich jedes Mal in eine andere Richtung ziehen.“

„Sie sind nicht der erste Mensch, der von der Stärke eines hawaiianischen Brandungsrückstroms überrascht wurde. Es ist eine Schande, dass Sie gleich bei Ihrem ersten Strandbesuch fast ums Leben gekommen wären – und das auch noch am ersten Tag. Das ist keine schöne Art, auf der Insel anzukommen.“

„Wirklich? Und ich dachte schon, es wäre eine Art Tradition, dass man an seinem ersten Tag hier ertrinkt.“ Sie lachte. Und bevor sie sich bremsen konnte, fügte sie hinzu: „Vielleicht sollte ich meine Ankunft auf Hawaii und meine Rettung feiern, indem ich meinen Retter zum Abendessen einlade.“

Sie konnte es nicht fassen, dass sie das gesagt hatte. Dabei war sie längst noch nicht bereit, mit anderen Männern auszugehen. Doch sie hätte nichts dagegen, diese tiefe, wohlklingende Stimme noch öfter zu hören. Oder wieder seine starken Arme um sich zu spüren. Am besten in einer Situation, in der sie nicht kurz vor dem Ertrinken war.

Wie man lernt, sich zu entspannen, meldete sich ihr Gehirn zu Wort. Zweiter Schritt: Finde einen heißen Typ von der Insel, der dir dabei hilft, deine schlimme Trennung zu vergessen.

Schluss damit, sagte sie sich. Gerade erst war sie am Altar stehen gelassen worden – nun, genau genommen war es drei Tage vor der Hochzeit passiert, aber es hatte sich angefühlt, als wäre es direkt am Altar passiert. Sich gleich wieder auf irgendeinen Mann einzulassen, war das Letzte, was sie jetzt gebrauchen konnte. Was hatte sie sich nur dabei gedacht, ihm ein gemeinsames Abendessen vorzuschlagen?

Kat zwang sich dazu, den Blick von seinem sonnengebräunten Körper abzuwenden. Jetzt ist nicht die richtige Zeit für solche Ablenkungen, sagte sie sich entschieden. Um ein Haar wäre sie eben aufs offene Meer hinausgetrieben, und noch immer erschauderte sie beim Gedanken an das, was vielleicht passiert wäre, wenn Jack nicht zufällig da gewesen wäre, um mit ihr zurück ans Ufer zu schwimmen. Sie musste den Kopf freikriegen und sich orientieren. Außerdem musste sie einen Weg finden, ihre Aufmerksamkeit von Jack Harpers straffer Haut und seinen ausgeprägten Muskeln abzuwenden und sich stattdessen auf das zu konzentrieren, was er sagte.

„Ich weiß das Angebot zu schätzen, aber es ist nicht nötig, mir zu danken“, antwortete Jack. „Das gehört zu meinem Job.“ Er deutete auf einen entfernten Punkt am Strand, von dem sich ein Rettungswagen näherte.

„Sind Sie Arzt?“, erkundigte sie sich.

„Sanitäter“, erwiderte er. „Und ich muss Ihnen leider mitteilen, dass irgendwelche Pläne für das Abendessen warten müssen – bevor Sie irgendetwas anderes machen, müssen wir Sie in die Klinik bringen und untersuchen lassen. Wir sind nicht weit vom Oahu General Hospital entfernt – ich begleite Sie.“

„Oahu General? O nein. Da kann ich nicht hin.“ Nun, da Kat nicht mehr um ihr Leben fürchtete, war ihr der Wirbel, den ihre Rettung verursacht hatte, zutiefst peinlich. Auf keinen Fall wollte sie in eine Klinik gebracht werden, erst recht nicht ins Oahu General. Sie konnte sich kaum etwas Peinlicheres vorstellen, als an ihrem neuen Arbeitsplatz als Patientin im Bikini zu erscheinen. Und sie war sich absolut sicher, dass es keine gute Idee wäre, noch mehr Zeit in Jacks Nähe zu verbringen.

Wenn sie nicht aufpasste, würden seine Stimme und seine Blicke bald eine gewisse Wirkung auf sie haben. Und sie hatte nicht vor, sich mit dem erstbesten Mann, dem sie auf Hawaii begegnete, Hals über Kopf in eine Affäre zu stürzen – ganz egal, wie sehr die Farbe seiner Augen der des Meeres ähnelte.

„Ehrlich, mir geht’s gut“, behauptete sie.

„Sie bluten“, widersprach er.

„Was?“ Überrascht blickte Kat auf ihr Bein hinab und entdeckte eine knapp drei Zentimeter lange, blutende Wunde. „Oje. Das muss passiert sein, als ich mir im Wasser das Bein verletzt habe. Für mich sieht es aber nicht weiter schlimm aus.“

In Wahrheit glaubte sie, dass die Wunde genäht werden musste, doch das würde sie Jack nicht wissen lassen.

Als er sich zu ihr beugte, nahm sie seinen Duft wahr: eine maskuline Mischung aus Sonnencreme, Salzwasser und Sand. Er roch wie das Meer, wie die salzige Brise, die Kat mit so großer Freude erfüllt und zum Strand gelockt hatte, als sie aus dem Flugzeug gestiegen war. Sie musste sich definitiv von Jack fernhalten, so gut es ging, wenn sie sich nicht zum Narren machen wollte.

„Es tut nicht mal besonders weh“, beharrte sie, obwohl sie die Zähne aufeinanderbiss, weil sich der stechende Schmerz nun deutlich bemerkbar machte.

„Das glaube ich gern, aber das ist es ja gerade“, erwiderte Jack. „Sie wären fast ums Leben gekommen. Im Moment fühlen Sie sich wahrscheinlich vollkommen fit, aber das ist nur das Adrenalin. Es kann viele Probleme verschleiern, darunter auch Schmerzen. Vielleicht denken Sie, alles wäre in Ordnung, aber glauben Sie mir – es ist das Beste für Sie, wenn wir Sie ins Krankenhaus fahren, damit wir Sie nähen können.“

„Das ist wirklich nicht nötig“, entgegnete Kat schroff. Doch sie erkannte, dass Jack nicht so leicht aufgeben würde. „Hören Sie, ich will ehrlich sein. Ich bin Ärztin und kann mich selbst darum kümmern. Montag ist mein erster Arbeitstag im Oahu General, und ich möchte wirklich nicht, dass mein erster Eindruck dort … das hier ist.“ Sie deutete auf ihren Stringbikini.

War es bloß Einbildung, oder hatte sich sein Ausdruck verändert, als er hörte, dass sie Ärztin war? Für den Bruchteil einer Sekunde hatte sich seine Miene verdunkelt. Die meisten Menschen entspannten sich in ihrer Nähe, wenn Kat ihren Beruf verriet, doch Jack wirkte beinahe … enttäuscht?

Doch dann seufzte er. „Ärzte sind immer die schlimmsten Patienten.“

Oh. Da hatte er nicht ganz unrecht. Als Ärztin fiel es Kat immer schwer, die Rolle der Patientin einzunehmen, und sie kannte viele Kollegen, denen es genauso ging. Es war schwer, sich zurückzulehnen und von jemand anderem behandeln zu lassen, wenn man gleichzeitig den Drang verspürte, die Situation unter Kontrolle bringen zu wollen. Außerdem hasste sie es, im Mittelpunkt der Aufmerksamkeit zu stehen.

Als sie den durchdringenden Blick aus seinen blauen Augen bemerkte, wusste sie, dass es besser wäre, nicht im Mittelpunkt von Jacks Aufmerksamkeit zu stehen. Ihre Knie zitterten noch immer, und sie hatte das Gefühl, dass es nicht nur das Anzeichen einer beginnenden Unterkühlung war.

Sie hoffte, dass es ihm nicht auffallen würde. Doch natürlich bemerkte er es. Er war bestimmt ein hervorragender Sanitäter, und Kat vermutete, dass ihm kaum etwas entging.

„Ihre Knie zittern“, stellte er fest. „Sie sollten doch am besten wissen, dass Unterkühlung das größte Risiko nach einem Badeunfall darstellt, ganz egal, welche Temperatur das Wasser hatte. Sie sollten nirgendwo hingehen, bis wir ganz sicher sind, dass Ihre Temperatur nicht zu niedrig ist.“

Kat stöhnte innerlich. Gegen seine Sturheit kam sie nicht an, und er ließ sich auch nicht von ihrem Doktortitel einschüchtern. Sie war sich nicht sicher, ob sie seine Entschlossenheit nervig oder attraktiv finden sollte. Ein wenig von beidem, dachte sie sich. Und es half auch nicht, dass die kleine, rebellische Stimme in ihrem Kopf ihm in jedem Punkt zustimmte. Sicher gab es Schlimmeres, als mit Jack etwas Zeit in einem beengten Rettungswagen zu verbringen.

Steig einfach ein!, rief die Stimme. Dieser Mann könnte deine nächste impulsive Entscheidung sein!

Schluss damit, sagte Kat sich. Obwohl sie sich eingestehen musste, dass Jacks gebieterische Ausstrahlung erfrischend wirkte. Sie begriff, dass er sie in die Klinik mitnehmen würde, ganz egal, wie lange sie mit ihm diskutierte oder ob sie dabei schreiend um sich trat.

Als angesehene Fachärztin für Innere Medizin war sie nicht daran gewöhnt, dass irgendjemand anderer Meinung war als sie. Ihre Entscheidungen wurden von ihrem Team so gut wie nie infrage gestellt. Dass jemand plötzlich darauf bestand, sich zur Abwechslung einmal um sie zu kümmern, war eine vollkommen neue Erfahrung. Es war sogar fast ein bisschen sexy.

„Ist das wirklich nötig?“, fragte sie, obwohl sie sich die Antwort bereits denken konnte.

„Sie wissen, dass es nötig ist“, antwortete er. Sein Tonfall war der eines entschlossenen Mannes, der keinen Widerspruch duldete.

Kat sah, dass Jack stur die Zähne zusammenbiss, und ihr wurde klar, dass sie in ihrem jetzigen Zustand an ihrem neuen Arbeitsplatz eintreffen würde. Sie war an der Grenze zur Unterkühlung, nasser Sand klebte an ihr, sie trug einen Stringbikini – und wurde von einem der attraktivsten Männer begleitet, dem sie je begegnet war.

Dies war nun wirklich das Gegenteil von Entspannung.

2. KAPITEL

Der Rettungswagen hielt hinter ihnen. Kat überlegte sich, dass sie mit Jack verhandeln würde, wenn es ihr schon nicht gelang, ihn zu überzeugen.

„Ich komme mit, wenn Sie unbedingt darauf bestehen, aber lassen Sie mich wenigstens etwas anderes anziehen“, schlug sie vor. Es wäre schon schlimm genug, mit Jack im Rettungswagen mitzufahren, während sie nur einen Bikini trug, aber sie würde alles tun, um bei ihren neuen Kollegen nicht halb nackt und klatschnass aufzutauchen.

„Haben Sie etwas dabei, das Sie sich anziehen könnten?“, wollte Jack wissen.

„Oh!“ Kat fiel etwas ein. „Mein Gepäck! Es liegt gleich da drüben am Strand.“

Sie wollte aufstehen, doch Jack bedeutete ihr entschieden, sitzen zu bleiben. Dann holte er eine Decke aus dem Rettungswagen, wickelte Kat fest darin ein und stopfte ihr den Saum unter die Beine, als wäre sie ein Kind. Ihre Wangen brannten. Sie wollte protestieren, aber Jack unterbrach sie.

„Ich gehe kein Risiko ein, nur weil Sie Ärztin sind und glauben, Sie wüssten es besser als ein Sanitäter. Bleiben Sie ruhig sitzen, dann bringe ich Ihnen Ihr Gepäck.“

Er überquerte den Strand, während Kat vor Wut schäumte. Zwar wollte sie es nicht zugeben, doch insgeheim war sie froh, dass Jack sie wieder hingesetzt hatte. Ihre Beine fühlten sich wie Wackelpudding an, und es wäre ihr schwergefallen, aufrecht zu stehen. Außerdem war es schön, eine Decke zu haben. Doch Jack musste begreifen, dass Kat als Ärztin absolut in der Lage war zu entscheiden, was für sie das Beste war.

Als er mit ihren Sachen zurückkehrte, sagte sie: „Hören Sie mal, es ist sehr nett von Ihnen, aber so ein Theater ist wirklich unnötig. Ich bin eine hervorragende Ärztin. Ich war die jüngste Funktionsoberärztin der Abteilung für Innere Medizin, die das Chicago Grace Memorial Hospital jemals hatte.“

Jack rollte mit den Augen. „Da bin ich mir sicher.“

„Und meinen Abschluss an der Northwestern University habe ich nach nur drei Jahren gemacht. An der medizinischen Fakultät war ich unter den fünf Besten.“

„Klingt so, als wären Sie ziemlich intelligent.“

Nun brannten ihre Wangen, weil ihr etwas anderes peinlich war. Glaubte er etwa, dass sie mit ihren Errungenschaften prahlte? Warum tat sie das? Sie wollte nicht nur vor einem potenziellen neuen Kollegen kompetent wirken. Aus irgendeinem Grund, den sie sich nicht erklären konnte, war ihr Jacks Meinung wichtig.

„Ich will einfach nur sagen, dass Sie meinetwegen nicht so viel Wirbel zu machen brauchen. Sie müssen mich nicht wie eine Patientin behandeln“, beharrte sie.

„Weil Ärzte es immer am besten wissen, richtig?“

Kat war durcheinander. „Also … ja. Ganz offen gesprochen, besitze ich von uns beiden die größere medizinische Kompetenz. Ich glaube, ich bin qualifiziert genug, um festzustellen, ob mit mir alles in Ordnung ist.“

Jack sah ihr direkt in die Augen, und Kat verspürte ein heftiges Prickeln. Sein Blick war wirklich fesselnd.

„Was mich betrifft, sind Sie meine Patientin“, entgegnete er. „Ganz egal, was Ihr medizinischer Hintergrund ist – im Moment bin ich dafür verantwortlich, mich um Sie zu kümmern, und ich habe vor, genau das zu tun.“

Seine Stimme klang entschieden, aber zugleich warm und angenehm, und Kat spürte, wie ihr Widerstand unter seinem Blick dahinschmolz. Dieser Stimme hätte sie den ganzen Tag lang zuhören können … Noch einmal versuchte sie, halbherzig zu protestieren, doch als er weitersprach, blieben ihr die Worte im Halse stecken.

„Vielleicht glauben Sie, dass es Ihnen gut geht, aber wie ich schon sagte, liegt das nur am Adrenalin. Sie haben da draußen viel Wasser geschluckt, und ich lasse Sie nicht allein, bis ich sicher bin, dass Sie stabil sind.“

Nachdem dies geklärt war, hob er ihr Gepäck in den hinteren Teil des Rettungswagens und durchwühlte es.

„Hey!“, rief Kat. „Das sind meine Sachen! Schon mal was von Privatsphäre gehört?“ Was fiel ihm bloß ein, dass er ihre persönlichen Dinge durchsuchte?

„Na also“, sagte er und zog ihren weißen Arztkittel unter einem Durcheinander aus Badeanzügen und Flipflops hervor. „Sieht so aus, als wäre Ihr Pullover voller Sand. Den wollen Sie bestimmt nicht noch mal anziehen. Aber das hier können Sie tragen.“

Kat zog sich den weißen Kittel über den Bikini und wickelte sich darin ein. „Sind Sie immer so stur und rechthaberisch?“

„Leider ja“, erwiderte er. „Erst recht, was meine Patienten angeht – ganz egal, wie gut sie im Medizinstudium abgeschnitten haben.“

So sehr er sie auch nervte, musste Kat doch seine Hartnäckigkeit bewundern. Jack Harper mochte seine Macken haben, aber ein zu lascher Umgang mit Patienten gehörte offenbar nicht dazu. Seine Sturheit ärgerte und faszinierte sie zugleich. Wer war nur dieser einnehmende Mann mit den starken Armen, die so perfekt um ihre Taille passten?

Kat hatte zumindest einen Hinweis: das Tattoo in fließender Schrift auf seinem Arm. „‚Der einzig leichte Tag war gestern‘“, las sie laut vor. „Sie waren bei den Navy SEALs?“

Er nickte und war sichtlich überrascht. „Die meisten Leute kennen das Motto nicht.“

„Mein Großvater war SEAL“, erklärte sie. „Er hat immer gesagt, Angehörige der Navy würden die besten Verehrer abgeben.“

Kat errötete noch mehr. Warum sagte sie so etwas? Sie klang ja schon regelrecht mannstoll. Es war alles Jacks Schuld, denn er hatte eine besondere Wirkung auf sie. Sie wollte ihn ohrfeigen und sich ihm gleichzeitig in die Arme werfen.

Erneut beschloss sie, sich von ihm zu entfernen. „Hören Sie, es ist sehr freundlich, dass Sie mir eine Fahrt im Rettungswagen anbieten, aber ich komme schon alleine zurecht“, behauptete sie.

„Wie Sie wollen“, antwortete er, hatte jedoch offenbar etwas ganz anderes im Sinn. „Aber nur, damit Sie es wissen: Es ist ein langer Weg, und wir werden die ganze Zeit neben Ihnen herfahren.“

„Das ist Ihr gutes Recht.“ Sie erhob sich, um den Strand zu verlassen – und sank augenblicklich in sich zusammen. Ihre Beine zitterten. Sie bebte am ganzen Körper.

Kurz, bevor sie auf dem Sand landete, fing Jack sie auf. Kat war selbst überrascht, wie erleichtert sie sich plötzlich fühlte, als er sie auf seine starken Arme hob. Sie gab nur ungern zu, dass er recht gehabt hatte, doch nun spürte sie, wie sich der Schock bemerkbar machte. Es blieb keine Zeit mehr, die Starke zu spielen, und ihr wurde bewusst, dass es tatsächlich der Adrenalinschub gewesen war, der ihr kurzfristig Kraft verliehen hatte.

Und nun war es Jack, der sie mit seiner Kraft trug.

„Vielleicht wäre es doch keine so schlechte Idee, in die Klinik zu fahren“, gestand Kat mit bebender Stimme. „Aber ohne Sirene, okay? Ich möchte wirklich keinen großen Auftritt haben. Es ist auch so schon peinlich genug.“

„Ohne Sirene“, stimmte er zu. Dann hob er sie in den Rettungswagen hinein, nickte dem Fahrer zu, stieg ein und schloss die Hecktür hinter ihnen.

Während er in den Rettungswagen stieg, schalt Jack sich innerlich dafür, dass er zugestimmt hatte, die Sirene nicht zu benutzen. Wahrscheinlich ging es Kat gut, aber sie war dennoch eine Patientin, für die er die Verantwortung trug, und er wollte nicht, dass ihr irgendetwas passierte. Sie war eine typische Ärztin, die glaubte, dass sie es besser wusste, obwohl sie es war, die Hilfe brauchte.

Natürlich musste die erste Frau, zu der er sich nach langer Zeit hingezogen fühlte, eine Kollegin sein. Und zwar nicht irgendeine Kollegin, sondern eine besonders ehrgeizige Ärztin, die Karriere machen wollte.

Jack hatte eine feste Regel, was Dating anging: keine Ärztinnen. Nach allem, was mit Sophie und Matt vorgefallen war, wollte er keine weitere Ärztin in seinem Privatleben haben. Doch er kam nicht umhin zu bemerken, dass der weiße Kittel, den Kat über ihrem Bikini trug, ihre langen Beine besonders gut zur Geltung brachte.

Hör auf, darüber nachzudenken, sagte er sich streng. Kat mochte attraktiv sein, aber nach dem heutigen Tag wäre es das Beste für sie beide, wenn sie etwas auf Distanz gingen. Falls sie aber Kollegen waren, wäre das vielleicht unmöglich.

Er fragte sich, wie lange sie in der Klinik bleiben und in welcher Abteilung sie arbeiten würde. Vielleicht musste er sie gar nicht so oft sehen. Er beschloss, unauffällig nachzufragen in der Hoffnung, dass sie nicht bemerkte, wie neugierig er war.

„Sie sind also die neue Ärztin im Oahu General?“, erkundigte er sich, setzte sich Kat gegenüber und holte das nötige Zubehör heraus, um ihre Wunde zu nähen.

Doch anstatt zu antworten, zog Kat ihr Bein von ihm fort. „O nein, das tun Sie nicht“, sagte sie, als er den Verbandskasten öffnete. „So schlimm ist die Verletzung nicht. Sie benötigt nur einen oder zwei Stiche. Wahrscheinlich könnte ich sie selbst nähen.“

Jack starrte sie feindselig an. Er musste ihre Hartnäckigkeit bewundern, aber man konnte es auch zu weit treiben. Die Tatsache, dass Kat ihm so etwas überhaupt vorschlug, verriet ihm, dass sie wahrscheinlich noch immer unter einem milden Schock litt. Außerdem war es eine Sünde, wenn er zuließ, dass auf diesen hübschen Beinen eine Narbe zurückblieb.

„Wie wäre es, wenn Sie es mir überlassen, mich um die Patientin zu kümmern?“, entgegnete er und sah sie dabei eindringlich an, um seinen Worten mehr Nachdruck zu verleihen.

„Als wäre ich unfähig, eine kleine Wunde zu nähen“, murmelte Kat rebellisch.

Sanft zog Jack ihr Bein zu sich, damit er die Verletzung erreichen konnte. Er beugte sich vor und sah Kat in die Augen. „Hören Sie, ich weiß, dass Sie unter den besten fünf Prozent Ihres Jahrgangs an der Northwestern waren, aber ich versichere Ihnen, dass es vernünftiger ist, wenn ich das übernehme“, erklärte er. „Wenn Sie endlich aufhören, so stur zu sein, und mich nur für eine Minute meinen Job machen lassen, dann kann ich Ihnen wirklich helfen.“

Kat verstummte, und für einen Moment bereute Jack seinen strengen Tonfall. Wahrscheinlich versank sie vor Scham im Boden, wenn sie nur daran dachte, ihren neuen Kollegen in diesem Aufzug zu begegnen. Aber nein, dachte er sich, es war besser, streng zu sein. Zu ihrer und zu seiner eigenen Sicherheit. Sie musste akzeptieren, dass sie Patientin war – was einer Ärztin schon schwer genug fiel – und Jack musste aufpassen, dass er sich nicht von der Wirkung, die sie auf ihn ausübte, ablenken ließ. Es wäre für sie beide das Beste, wenn sie sich von Anfang an darauf einigten, eine klare Grenze zwischen Berufs- und Privatleben zu ziehen.

Dann murmelte Kat mit leiser Stimme: „Unter den fünf Besten.“

„Was?“, fragte Jack.

„Ich war an der Northwestern unter den fünf Besten meines Jahrgangs. Das ist viel beeindruckender, als nur unter den besten fünf Prozent zu sein.“

Er setzte schon zu einer sarkastischen Bemerkung an, doch zu seiner Überraschung zwinkerte Kat ihm zu.

„Ich wollte Sie nur wissen lassen, dass ich eine ziemlich große Nummer bin, okay?“, sagte sie.

Jack musste lachen. „Verstanden.“ Na toll, dachte er. Nicht nur intelligent, sondern auch noch witzig. Genau das, was er nicht gebrauchen konnte. Er sollte seine distanzierte, nüchterne Miene beibehalten, doch er konnte nicht anders, als Kat seinerseits zu necken.

„Sie sind also eine große Nummer, aber bei allem Respekt – könnten Sie sich jetzt entspannen und mir erlauben, mich um die Wunde zu kümmern?“

Kat stöhnte, und Jack erschrak.

„Was ist denn?“, fragte er besorgt. „Tut es weh?“

„Ach was“, antwortete sie. „Es ist nur … Da ist wieder dieses Wort. Entspannen. Ständig sagen Sie mir, dass ich etwas tun soll, obwohl ich keine Ahnung habe, wie das geht.“

„Was denn – entspannen?“ Er trug ein lokales Betäubungsmittel auf die Verletzung auf. Eigentlich wollte er sachlich bleiben, doch er war zu neugierig. Außerdem würde es sie von der Wunde ablenken, wenn er dafür sorgte, dass sie weiterredete.

„Ich war noch nie besonders gut im Entspannen“, erzählte sie. „Ich habe mich so sehr an mein stressiges Leben gewöhnt, dass ich wohl vergessen habe, wie man im Moment lebt. Vielleicht wusste ich auch noch nie, wie das geht. Kurz bevor ich zum Strand gegangen bin, habe ich mir vorgenommen, dass ich entweder lerne, mich zu entspannen, oder bei dem Versuch sterben werde. Und ich glaube, das hätte ich beinahe geschafft.“

„Beinahe ist das entscheidende Wort“, entgegnete Jack. „Sie haben nicht nur überlebt, sondern sich da draußen auch wirklich tapfer geschlagen.“

„Im Ernst?“, fragte sie. „Als Sie nämlich aufgetaucht sind und gesagt haben, ich solle mich entspannen, war ich überzeugt, unser letztes Stündlein hätte geschlagen.“

Jack schüttelte den Kopf. „Nein, Sie sind in einer beängstigenden Situation ruhig geblieben. Die meisten Menschen machen eine Rettung zusätzlich schwer, indem sie panisch werden, aber Sie haben einen kühlen Kopf bewahrt.“

Er sah, dass sie langsam ausatmete. Wahrscheinlich war es ihr noch nicht einmal bewusst, dass sie die Luft angehalten hatte.

„Ich hatte solche Angst“, erzählte sie. „Ich war überhaupt nicht ruhig. Und ich hatte Glück, dass Sie da waren.“

Da hatte sie recht. Rippströmungen waren unglaublich gefährlich. Doch sie hatte nicht nur durch Glück überlebt. Es beeindruckte Jack, wie gut Kat während der Rettung auf seine Anweisungen gehört hatte, obwohl sie so verängstigt gewesen war.

Er machte sich an den ersten Stich und versuchte, die dünne Linie aus nackter Haut zu ignorieren, die sich unter ihrem offenen Kittel abzeichnete.

„Sie haben ja einen aufregenden ersten Tag auf Hawaii“, stellte er fest. „Haben Sie vor, länger zu bleiben?“

„Nur ein Jahr“, erklärte sie. „Ich war Ärztin für Innere Medizin am Chicago Grace Memorial, aber … Ich erhielt hier ein Jobangebot, und … und der Zeitpunkt war günstig, also habe ich es angenommen.“

Einen Moment lang wirkte Kat traurig. Jack fragte sich, was sie mit dem günstigen Zeitpunkt gemeint hatte, doch er wollte nicht nachbohren. Wenn sie nur ein Jahr blieb, bedeutete es, dass ihre Stelle im Oahu General befristet war. Vielleicht würde er sie gar nicht so oft zu Gesicht bekommen.

Er ertappte sich dabei, wie er ihr rotes Haar anstarrte, das ihr in zarten Locken um den Hals fiel, und beschloss, dass es wahrscheinlich das Beste wäre, wenn sie einander nicht allzu oft sahen.

„Sie sind nur als Gast hier?“, frage er und bemühte sich um einen lockeren Tonfall. „Das haben wir oft. In welcher Abteilung werden Sie arbeiten?“

„Wie es aussieht, ist die Abteilung für Infektionskrankheiten unterbesetzt“, erzählte sie. „Man braucht dort einen Arzt für Innere Medizin, der auf Infektionskrankheiten spezialisiert ist, um die Erforschung und Behandlung eines neuen Grippevirus zu leiten.“

Sie war also Ärztin für Innere Medizin? Das bedeutete, dass sie häufig zusammenarbeiten würden – und er konnte noch oft genug ihr Haar bewundern, das einen feurigen Kontrast zu ihrer hellen Haut bildete.

Er vernähte die Wunde an ihrem Bein. „Die Abteilung für Infektionskrankheiten ist immer unterbesetzt“, erzählte er. „Wir kriegen jedes Jahr neue Grippeviren, und jeden Frühling gibt es einen großen Ausbruch. Es ist gut, wenn wir mehr Personal in der Klinik haben.“ Er gab ihrem Bein einen leichten Klaps und versuchte, nicht darüber nachzudenken, wie gut sich ihre Haut unter seinen Fingern anfühlte. „Na bitte“, meinte er knapp. „So gut wie neu.“

Nun, da er ihre Wunde genäht hatte, wurde ihm klar, dass es nichts mehr gab, womit er sich von Kat ablenken konnte. Er konnte nur noch ihr gegenüber Platz nehmen und versuchen, die Tatsache zu ignorieren, dass sich ihre Figur deutlich unter dem inzwischen nassen Kittel abzeichnete.

Jack räusperte sich. Bleib professionell, dachte er sich. Im Moment ist sie Patientin, außerdem ist sie Ärztin. Du gehst nie mit Ärztinnen aus.

Jack beschloss, sich weiter mit ihr zu unterhalten – einerseits, um das Schweigen zu brechen, andererseits, um sich davon abzulenken, dass ihr der Kittel von der Schulter rutschte. „Es gibt nicht viele Ärzte, die an namhaften Unis studieren und eine Stelle an einer kleinen Klinik auf Hawaii annehmen“, bemerkte er.

„Ich dachte, es wäre eine günstige Gelegenheit“, erwiderte sie.

„Wirklich? Die meisten Ärzte kommen nur aus persönlichen Gründen her – vielleicht lebt ihre Familie hier, oder sie sind auf Hawaii aufgewachsen und wollen wieder hierherziehen.“

Für einen Moment lag wieder dieser traurige Ausdruck in ihrem Gesicht. Doch genauso schnell war er wieder verschwunden, und sie hatte ihre professionelle Miene aufgesetzt. „Es war eine günstige Gelegenheit“, wiederholte sie. „Und ich werde nicht nur Patienten behandeln – man hat mir auch die Chance gegeben, die Abteilung für Innere Medizin zu leiten. Das gibt mir die Möglichkeit, mehr Veränderungen einzuführen, als ich es jemals in irgendeiner anderen Klinik tun konnte. In einem größeren oder angeseheneren Krankenhaus wäre das nicht möglich, also könnte das ein ausgezeichnetes Sprungbrett für meine Karriere sein.“

Ein Sprungbrett. Genau aus diesem Grund ärgerte Jack sich regelmäßig über Ärzte, die befristete Stellen auf Hawaii annahmen. Sie taten nichts für die Inseln oder die Gemeinschaft, sondern interessierten sich nur für ihre Karriere. Sie liebten es, ihre hochtrabenden Ideen in einer kleinen, unbedeutenden Klinik auszuprobieren, wo die Risiken gering waren – in der kleinen, unbedeutenden Klinik, die zufällig sein Arbeitsplatz war, mit Kollegen und Patienten, die ihm am Herzen lagen.

„Das Oahu General hat vielleicht kein großes Ansehen, aber es ist ein tolles Krankenhaus mit ausgezeichneten Ärzten“, entgegnete er.

„Oh, ich weiß“, erwiderte sie schnell. „Ich wollte nichts Gegenteiliges behaupten. Aber bei meiner Arbeit im Chicago Grace Memorial habe ich viel darüber gelernt, wie man Effizienz und Behandlungserfolge steigern kann. Ich freue mich schon darauf, einige meiner Ideen umzusetzen – ich bin mir sicher, dass es vieles gibt, was verbessert werden kann.“

Sie hatte die Klinik noch nicht einmal gesehen. Woher wollte sie da wissen, was verbessert werden musste? Für Jack war es offensichtlich, dass Kat eine typische Großstadtärztin war, die glaubte, sie könnte alles verändern. Als hätte die Klinik nicht jetzt schon gut funktionierende Strukturen, geschaffen von Menschen, die auf Hawaii lebten und denen die Inseln am Herzen lagen.

Seine Ex-Verlobte Sophie war genauso gewesen: ehrgeizig, unabhängig und furchtlos in der Verfolgung ihrer Lebensziele. Allesamt Eigenschaften, die Jack von ganzem Herzen bewundert hatte. Doch irgendwann hatte er begriffen: Wenn Sophie zwischen ihrer Karriere und den Menschen wählen musste, die ihr am nächsten standen, entschied sie sich für ihre Karriere. Selbst dann, wenn sie dafür die Gefühle dieser Menschen verletzen musste.

Er kannte Kat erst seit wenigen Minuten, doch jetzt schon erkannte er, dass sie intelligent, lustig und wunderschön war – und zu wissen glaubte, was für alle anderen das Beste war.

Immerhin ist sie nur für ein Jahr hier, dachte er sich. Es gibt keinen Grund, die Dinge unnötig kompliziert zu machen.

Er bemühte sich, zu ignorieren, dass ihr Kittel verrutschte und noch ein weiteres Stück nackter, milchweißer Haut entblößte. Stattdessen konzentrierte er sich darauf, sein Nahtmaterial wieder einzupacken, und tat dabei äußerst sachlich und distanziert.

Obwohl Kat frustriert war, weil Jack sie wie eine Patientin behandelte, musste sie zugeben, dass er ihre Wunde schnell und fachmännisch genäht hatte. Zweifellos wusste er, was er tat. Sie hatte ihn dabei beobachtet und wieder einmal gespürt, wie sie der Anblick einer so simplen medizinischen Prozedur beruhigte.

Ganz egal, ob etwas Schlimmes passierte – Kat fand Trost darin, wenn es ein festes Verfahren gab, damit umzugehen. Es war eine große Erleichterung, einen Plan zu haben und ganz genau zu wissen, was zu tun war.

Als sie Jack bei der Arbeit zusah, konnte sie erneut seine muskulösen Arme bewundern. Bevor sie in den Rettungswagen eingestiegen waren, hatte er sein T-Shirt angezogen, und sie fragte sich, ob sie jemals wieder einen Blick auf das erhaschen würde, was sich darunter befand. Doch dann lenkte sie ihre Gedanken streng auf die Gegenwart.

Du versuchst immer noch, eine Trennung zu verkraften, sagte sie sich. Du hast ein gebrochenes Herz, weißt du noch? Das Letzte, was du jetzt gebrauchen kannst, ist eine Affäre mit einem anderen Mann. Außerdem hast du dich vor Jack schon blamiert.

Ihre Wangen brannten, als sie daran dachte, wie sie mit ihren Errungenschaften geprahlt hatte. Dabei sollte Jack nur wissen, dass sie eine qualifizierte Ärztin war, aber sie hatte sehr arrogant geklungen. Bestimmt hielt er sie für völlig eingebildet.

Ihr Körper hatte jedoch etwas ganz anderes im Sinn als ihr kühler und logischer Verstand. Siehst du, wie wellig sein Haar ist? schrie eine Stimme in ihr. Fahr ihm mit den Fingern durchs Haar! Mach schon!

In den drei Wochen, die seit dem Tag des Verderbens vergangen waren, hatte Kat gespürt, wie sich Taubheit über ihr gebrochenes Herz gelegt hatte. In dem Moment jedoch, als sie Jack zum ersten Mal erblickte, hatte irgendetwas diese Taubheit durchbrochen und war bis zu dem Schmerz darunter durchgedrungen.

Sie war nicht bereit dafür. Es gehörte nicht zu ihrem Jahresplan, etwas mit einem Mann anzufangen. Sie hatte vorgehabt, sich von der Trennung von Christopher und dem Verlust ihres Jobs zu erholen. Außerdem wollte sie lernen, das Leben vor der heiteren Kulisse einer tropischen Insel zu genießen. Irgendwann einmal – sehr viel später – würde sie sich vielleicht wieder auf einen Mann einlassen, sofern es der richtige war. Im Moment aber wäre es vollkommen unlogisch und unpassend, sich zu irgendjemandem hingezogen zu fühlen. Erst recht nicht zu einem rechthaberischen, übermäßig selbstbewussten Sanitäter.

Kat mochte ihren Plan. Der Gedanke, davon abzuweichen, machte sie nervös. Und die Tatsache, dass sie Jack attraktiv fand, war definitiv eine Abweichung, also musste sie damit aufhören.

Sie war fast schon erleichtert darüber, dass Jack zunehmend verärgert wirkte, während sie ihm ihre Änderungsvorschläge für das Oahu General Hospital erklärte. Mit seinem Ärger umzugehen, war deutlich einfacher als mit der Tatsache, dass sie sich zu ihm hingezogen fühlte. Obwohl sie nicht verstand, worüber er sich überhaupt ärgerte.

„Habe ich etwas verpasst?“, fragte sie. „Ist es ein Problem, dass ich ein paar Änderungen in der Klinik einführen möchte?“

„Warum sollte das ein Problem sein?“, erwiderte er.

Doch sie kaufte ihm die Unschuldsmiene nicht ab. „Das habe ich nicht behauptet. Aber mir fällt auf, dass Sie ziemlich ruhig geworden sind, seit ich angefangen habe, über meine Stelle zu reden.“

„Es ist nur …“ Er schien seine Worte sorgfältig zu wählen. „Ich glaube, vielleicht sollten Sie die Mitarbeiter und die Klinik erst einmal kennenlernen, bevor Sie daran denken, tiefgreifende Änderungen vorzunehmen. Die Leute sind ziemlich festgefahren in ihren Gewohnheiten, und Sie sollten nichts überstürzen.“

Kat presste die Lippen aufeinander und versuchte, sich ihre Gefühle nicht anmerken zu lassen. Jacks Worte erinnerten sie an das, was der Verwaltungsdirektor des Chicago Grace Memorial Hospital gesagt hatte, ungefähr dreißig Minuten, bevor sie gefeuert worden war.

Sie hatte fast ein Jahr lang recherchiert, bevor sie ihren Vortrag vor der Klinikdirektion gehalten hatte. Darin hatte sie vorgeschlagen, dass die Klinik eine kostenlose Sprechstunde anbieten sollte, um Patienten zu helfen, die sich eine Behandlung nicht leisten konnten. Sie hatte genau kalkuliert, dass die Klinik über die nötigen Mittel verfügte.

All ihre Daten bewiesen, dass die ärmsten Patienten aufgrund ihrer begrenzten Mittel oft nicht mehr gesund wurden. Viel zu spät kamen sie in die Klinik, wenn ihre Krankheiten schon weit fortgeschritten waren – manchmal so spät, dass für sie nichts mehr getan werden konnte. Eine kostenlose Sprechstunde könnte daher das Leben einiger Patienten retten. Alles, was die Klinikdirektion tun musste, war, ihren Vorschlag anzunehmen.

Doch zu ihrem Entsetzen teilte ihr der Direktor mit, dass es Ziel der Klinik war, Gewinn zu machen, und dass Kat lieber in die Politik hätte gehen sollen, wenn sie solche tiefgreifenden Veränderungen einführen wollte. Sie wollte zu viel in zu kurzer Zeit erreichen, beharrte er. Und Kat beobachtete fassungslos, wie die anderen Mitglieder der Direktion zustimmend nickten.

Obendrein verhielt sich der Direktor ziemlich herablassend und scheinheilig. Einmal bezeichnete er Kat sogar als „junges Fräulein“. Sein Benehmen machte sie so wütend, dass sie ihre Zurückhaltung vergaß und ihm die Meinung sagte. Der Direktor antwortete ebenso wütend, die Emotionen kochten hoch, und ehe Kat sichs versah, war sie entlassen worden.

Als Selena ihr die Stelle im Oahu General anbot, war Kat ehrlich zu ihr, was die Gründe für ihre Entlassung betraf – und wie es dazu gekommen war. Doch ansonsten erfuhr niemand etwas davon, bis auf Christopher. Und nach seiner Reaktion … Also, das Gespräch mit ihm war überhaupt nicht gut gelaufen.

Wenn es nach Kat ginge, würde kein anderer je erfahren, wie sie ihren Job verloren hatte. Keinesfalls durfte sie Jack zeigen, dass seine Worte an ihren schlimmsten Ängsten rührten. Sie fürchtete sich davor, dass ihre neuen Pläne für die Klinik nicht funktionieren und ihre Zeit im Oahu General mit einem weiteren Tag des Verderbens enden würde.

Doch das passierte bestimmt nicht noch einmal, dachte sie sich. Dieses Mal war alles anders. Sie konnte auf die volle Unterstützung der Klinikdirektorin zählen. Und ihre Änderungspläne waren gut. Sie brauchte nur eine Chance, um sich zu beweisen. Und wenn Jack oder andere ein Problem damit hatten – nun, dann mussten sie damit leben.

Zumindest brauchte sie nicht zu befürchten, dass sie sowohl ihren Job als auch ihren Verlobten wieder an ein und demselben Tag verlieren würde. Sie hatte ja keinen Verlobten mehr …

Sie begriff, dass ihre Gedanken zu sehr an Gefühlen rührten, denen sie sich jetzt noch nicht stellen wollte. Erst recht nicht, wenn sie nur halb bekleidet einem gewissen dunkelhaarigen Sanitäter gegenübersaß.

„Das haben Sie wirklich gut gemacht“, stellte Kat fest und deutete auf die Stiche. „Sie sind äußerst geschickt.“ Sie hatte kaum etwas gespürt und erkannte schon jetzt, dass nicht einmal der Hauch einer Narbe zurückbleiben würde.

Jack sah zu ihr auf, anscheinend überrascht über das unerwartete Kompliment.

„Bei den SEALs konnten Sie das sicher oft üben“, fuhr sie fort.

„Eigentlich habe ich drei Jahre Medizin studiert. Darum fällt es mir leicht, eine Wunde zu nähen. Aber es ist schön, wenn jemand meine Fähigkeiten zu schätzen weiß.“ Er räusperte sich. „Sie haben … Äh … Sie haben gute Haut. Die Wunde sollte daher problemlos verheilen.“

Seine Hand fühlte sich warm auf ihrem Bein an. Er hatte die Stiche so geschickt vorgenommen, dass Kat lieber nicht daran denken wollte, was er noch alles mit den Händen machen konnte.

„Nach drei Jahren Medizinstudium hatten Sie das Schlimmste schon hinter sich“, bemerkte sie und versuchte, einen kühlen Kopf zu bewahren. „Warum haben Sie nicht weitergemacht?“

„Zufällig liebe ich die Arbeit als Sanitäter“, antwortete er. „Ich wusste, dass ein Studium nicht das Richtige für mich ist, also bin ich gegangen.“

Kat war über seinen defensiven Tonfall überrascht. Zwar kannte sie ihn erst seit wenigen Minuten, doch er wirkte ausgesprochen selbstbewusst auf sie. Warum reagierte er so empfindlich, wenn man ihn auf seine Berufswahl ansprach? Vielleicht war er schon ein paar Ärzten begegnet, die sich aufgrund ihrer Ausbildung für etwas Besseres hielten.

„Also, meiner Meinung nach haben Sie die Uni keine Minute zu früh verlassen“, erwiderte sie.

Er blickte überrascht zu ihr auf.

„Wenn Sie Arzt geworden wären, wären Sie heute nicht am Strand gewesen“, erklärte sie. „Dann hätten Sie mir nicht das Leben retten können. Daher bin ich sehr froh, dass Sie stattdessen Sanitäter geworden sind, ganz egal, aus welchem Grund.“

Er stieß ein leises, kehliges Lachen aus. „Sie sind wahrscheinlich der erste Mensch, der glücklich darüber ist, dass ich mein Studium abgebrochen habe. Na ja, vielleicht der zweite, nach mir.“

Kat spürte, dass noch mehr dahintersteckte, doch Jack sprach nicht weiter. Sie musste wieder an sein Tattoo denken. „Sind noch andere Familienmitglieder von Ihnen beim Militär?“, fragte sie.

„Eigentlich nicht. Mein Großvater ist Arzt, genau wie meine Eltern und meine beiden Brüder.“

Ah. Plötzlich verstand sie, weshalb Jack so defensiv war. Mit fünf Ärzten in der Familie hatte er gewiss unter großem Druck gestanden, was seine Berufswahl anging.

Der Rettungswagen hielt vor der Klinik, und Kat sah den Fahrer aussteigen. Jack wollte die Hecktür öffnen, doch Kat legte ihm die Hand auf den Arm.

„Warten Sie“, bat sie. „Ich habe mich noch nicht richtig bei Ihnen bedankt. Wenn Sie heute nicht da gewesen wären, wäre ich wahrscheinlich ertrunken.“

Sie sah, dass er über den sanften Klang ihrer Stimme genauso überrascht war wie sie selbst. Was tat sie da bloß? Sie hatte sich nur bedanken wollen, aber das Gefühl hinter ihren Worten war mehr als nur Dankbarkeit. Und nun, als er sie mit seinen meerblauen Augen ansah, spürte sie wieder dieses aufregende Prickeln, das sie schon am Strand gefühlt hatte, und erwiderte seinen Blick.

„Sie haben sich in erster Linie selbst gerettet, indem Sie ruhig geblieben und meinen Anweisungen gefolgt sind“, antwortete er leise. „Ich war nur da, um zu helfen.“

Sie waren allein im hinteren Teil des Rettungswagens, und es war ganz still. Jack sah ihr in die Augen, und Kat konnte sich nicht abwenden. Seine Nasenspitze war nur wenige Zentimeter von ihrer entfernt.

Für einen verrückten Moment glaubte sie, dass er sie küssen würde. Was für ein lächerlicher Gedanke. Warum sollte er sie küssen wollen? Sie war klatschnass und schmutzig. Und wahrscheinlich hielt er sie für total eingebildet, nachdem sie so mit ihren Qualifikationen geprahlt hatte.

Aber das hatte sie nur getan, weil er so rechthaberisch gewesen war. Also war es seine Schuld. Und Kat hatte keine Ahnung, warum sie von einem so anstrengenden Mann wie Jack Harper geküsst werden wollte. Sie wusste nur, dass sie es wollte.

Sie waren sich so nah, dass Kat seinen Duft nach Meersalz wahrnahm. Sie fühlte sich unweigerlich zu ihm hingezogen, so stark wie die Strömung, die sie vorhin aufs Meer hinausgetrieben hatte. Doch dieses Mal empfand sie keine Panik, sondern nur Geborgenheit. Ruhe. Das Gefühl, zu wissen, was als Nächstes geschehen würde.

Doch gerade, als er sich ihr so weit näherte, dass sie seinen warmen Atem auf ihrer Haut spürte, öffneten zwei Sanitäter die Hecktür des Rettungswagens.

Kat zuckte vor Schreck zusammen. Rasch entfernten sie und Jack sich voneinander. Sofort bereute sie ihre ruckartige Bewegung und begriff, dass ihre Reaktion vor den Augen zweier klatschsüchtiger Sanitäter wahrscheinlich erst recht verdächtig wirkte. Sie musste vor allen Mitarbeitern klarstellen, dass sie und Jack nur Kollegen waren, und zwar schnell.

Fest zog sie ihren weißen Kittel zu und stieg aus dem Rettungswagen. Die Sanitäter bestanden darauf, dass sie in dem bereitgestellten Rollstuhl Platz nahm, obwohl Kat protestierte.

Während sie darin zum Eingang geschoben wurde, drehte sie sich zu Jack um und sagte in kühlem und sachlichem Tonfall: „Es hat mich gefreut, Sie kennenzulernen, Jack. Schön, dass ich aus erster Hand erfahren durfte, dass ich auf die Kompetenz meiner Kollegen vertrauen kann. Ich finde es klasse, dass wir zusammenarbeiten werden. Wirklich klasse.“

Als Kat weggebracht wurde, atmete Jack lange und langsam aus. Seit der Fahrer ausgestiegen war und sie im Rettungswagen alleine gelassen hatte, hatte Jack quasi die Luft angehalten. Ihm war schleierhaft, was er sich in dem Moment gedacht hatte, bevor er Kat beinahe geküsst hätte. Eigentlich hatte er überhaupt nicht nachgedacht.

Hätte er es getan, hätte er begriffen, dass sie nicht zueinanderpassten. Dass die Gründe, die dagegensprachen, sich mit Kat einzulassen, weitaus schwerer wogen als die Tatsache, dass er sich zu ihr hingezogen fühlte. Kat hatte beim Aussteigen bewusst betont, dass sie Kollegen waren. Sie würden zusammenarbeiten, und Beziehungen am Arbeitsplatz waren immer ein Fehler. Außerdem hatte Jack eine feste Regel beim Dating: keine Ärztinnen.

Zumindest seit Sophie. Sie hatten zusammen Medizin studiert, doch dann hatte Sophie ein namhaftes Forschungsstipendium nach dem anderen erhalten. Jack hatte sie mit aller Kraft unterstützt, doch als er sein Studium abbrach, ließ Sophie ihn unmissverständlich wissen, dass sie unbedingt einen Arzt heiraten wollte, aber keinen Angehörigen des Militärs und schon gar keinen unbedeutenden Sanitäter.

So schwer es Jack auch fiel, dies zu akzeptieren, konnte er es dennoch verstehen. Schließlich war er es, der sich verändert hatte, indem er beschlossen hatte, dass eine Karriere als Arzt nicht das Richtige für ihn war. Er konnte Sophie nicht die Schuld dafür geben, dass sie etwas anderes wollte als er.

Es war eine Sache, unterschiedliche Ziele zu haben. Aber es war etwas ganz anderes, herauszufinden, dass Sophie vor der Trennung bereits seit sechs Monaten mit Jacks Bruder zusammen gewesen war.

Sophie war schon immer extrem ehrgeizig gewesen. Jacks Eltern waren angesehene Autoritäten auf dem Gebiet der Medizin, daher galt eine Verbindung zur Familie Harper als äußerst wertvoll.

Das war einer der Gründe, weshalb Jack es nicht mochte, mit anderen über seine Familie zu sprechen, erst recht nicht mit anderen Medizinern. Er wusste nie, ob die Leute nur an ihm interessiert waren, um eine Verbindung zu seiner Familie herzustellen. Ob Kat es wohl wusste? Harper war ein recht häufiger Nachname, doch es gab nicht viele Menschen, die fünf Ärzte in der Familie hatten. Falls Kat einen Verdacht hegte, so hatte sie sich zumindest nichts anmerken lassen.

Jack fragte sich, ob Sophie ihn ausgerechnet deshalb mit Matt betrogen hatte, damit sie um jeden Preis in die Harper-Familie einheiraten konnte. Im Grunde hatte sie einen Bruder gegen den anderen eingetauscht.

Matt hatte es entweder nicht so empfunden, oder es war ihm egal gewesen. Er hatte Sophie schon immer gemocht, das wusste Jack. Doch ihm war nie klar gewesen, wie weit diese Zuneigung ging, bis es zu spät war.

Dabei hatte er Sophie vertraut. Er hatte beiden vertraut. So etwas Schlimmes wollte er nie wieder erleben. Und das würde er auch nicht. Auf den Inseln gab es genug Frauen, die auf eine kurzfristige Affäre aus waren. Hawaii war voller Touristinnen, die davon träumten, eine stürmische Romanze zu erleben, bevor sie auf das Festland zurückkehrten. Mehr erwarteten sie nicht, genau wie Jack.

Er war fest davon überzeugt, dass Liebe nur eine Illusion war, und der beste Weg, sich Kummer zu ersparen, war es, einander von vornherein nicht zu nahezukommen.

Je mehr er darüber nachdachte, desto klarer wurde ihm, dass seine Gefühle für Kat kein Problem sein würden. Sie war nur für ein Jahr hier. Außerdem wirkte sie so, als ob die Karriere für sie an erster Stelle stand. Sobald sie ihre Inselfantasien ausgelebt hatte, würde sie gehen.

Jack würde seine Gefühle einfach aussitzen, bis Kat fort war, und hoffen, dass sie den peinlichen Moment im Rettungswagen vergaß. Obwohl es mehr als nur ein Moment gewesen war. Es hatte sich fast wie ein Kuss angefühlt, doch nun, da der Augenblick verstrichen war, begriff Jack, dass Kat sich wahrscheinlich nur hatte bedanken wollen. Vielleicht hatte er sich gerade bis auf die Knochen blamiert, weil er für eine Sekunde ernsthaft geglaubt hatte, dass Kat sich vorgebeugt hatte, um ihn zu küssen.

Ja, sie hatte ihm das Gesicht zugewandt und war ihm so nahe gekommen, dass er fast ihre Wimpern hätte zählen können … so nah, dass er die winzigen Sommersprossen auf ihrer Nase bemerkte und ihren Atem auf seiner Wange spürte. Doch es bedeutete nichts. Verdammt, vielleicht hatte sie sich auch einfach nur an irgendetwas festhalten wollen.

Doch er würde sie nicht darauf ansprechen. Am besten vergaßen sie den Augenblick im Rettungswagen. Jack würde einfach aufpassen, Kat bei der Arbeit aus dem Weg zu gehen, und dann sollte es ihm leichtfallen, nicht länger an sie zu denken. Er würde keinen Gedanken an ihr rotes Haar verschwenden, das sich feucht an ihrem Hals kräuselte. Oder an die winzigen Sommersprossen auf ihrer Nase. Oder an ihre weichen Lippen, die ihn zu einem Kuss verlockten.

Autor

Alison Roberts
Alison wurde in Dunedin, Neuseeland, geboren. Doch die Schule besuchte sie in London, weil ihr Vater, ein Arzt, aus beruflichen Gründen nach England ging. Später zogen sie nach Washington. Nach längerer Zeit im Ausland kehrte die Familie zurück nach Dunedin, wo Alison dann zur Grundschullehrerin ausgebildet wurde.
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