Julia Best of Band 274

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DIE UNSCHULDIGE VERFÜHRERIN

Alex, Thronfolger von Sorajhee, ist überrascht: Aus Hannah, dem burschikosen Mädchen, ist eine attraktive Tierärztin geworden. Als sie sein kostbares Pferd rettet, will er ihr einen Wunsch erfüllen. Worum Hannah ihn allerdings bittet, übertrifft seine wildesten Träume …

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  • Erscheinungstag 20.01.2024
  • Bandnummer 274
  • ISBN / Artikelnummer 0812240274
  • Seitenanzahl 384

Leseprobe

KASEY MICHAELS

JULIA BEST OF BAND 274

PROLOG

Rose war sicher, dass sie und ihre Kinder tot wären, wenn Layla nicht gewesen wäre.

Vor vier Tagen war Ibrahim Bin Habib El Jeved noch der Herrscher von Sorajhee gewesen. Er war ein liebevoller Ehemann und Vater und wurde von seinem Volk verehrt.

Zum Schutz seines Volkes hatte Ibrahim mit einem benachbarten Königreich verhandelt, um eine starke Allianz im unruhigen Nahen Osten zu bilden. Er hatte sogar geplant, dass einer seiner drei Söhne eine Tochter von König Zakariyya Al Farid, des Herrschers von Balahar, heiraten sollte.

Laylas Ehemann Azzam, der Bruder von Ibrahim, hielt nichts von dieser Idee.

Während einer Demonstration gegen die geplante politische Verbindung zwischen Sorajhee und Balahar fiel Ibrahim einem Attentat zum Opfer.

Danach befand sich Rose in einem Schockzustand. Als junge Braut war sie von Amerika nach Sorajhee gekommen, um bei dem Mann zu sein, den sie von Herzen liebte. Jetzt war sie allein und musste sich um ihre drei Söhne kümmern.

Am Tag von Ibrahims Beerdigung war Layla zu ihr gekommen, um sie davor zu warnen, dass Azzam das Königreich übernehmen und als Erstes Ibrahims Mischlingswelpen und ihre Hündin loswerden wollte.

„Er würde uns töten? Meine Babys umbringen?“, fragte Rose ihre Schwägerin entsetzt. „Ibrahim hatte einen Verdacht, aber ich wollte ihm nie glauben, weil wir eine Familie sind.“

„Azzam will den Thron seines Bruders, meine Schwester“, antwortete Layla. „Ich habe erfahren, dass Ibrahim auf Befehl von Azzam getötet wurde.“

Rose ging zu einer kleinen verschlossenen Truhe, die Ibrahim ihr vor Monaten gezeigt hatte, als er mit Balahar in Verhandlungen trat. Sie öffnete die Truhe und holte den Inhalt heraus.

„Was ist das?“, fragte Layla, die sie beobachtet hatte.

Rose drehte sich um und drückte das Päckchen an sich. „Das letzte Geschenk meines Mannes. Ein Konto in der Schweiz, wodurch die Zukunft meiner Kinder gesichert ist, das Erbe meiner Eltern und vier Pässe.“

„Pässe? Azzam wird dich an der Grenze aufhalten. Wir alle müssen uns vor ihm in Acht nehmen. Du weißt, dass ich Ibrahim versprochen war, bevor er dich kennenlernte. Azzam würde mich als Verräterin betrachten, die sich auf die Seite der Witwe seines Bruders und Feindes gestellt hat.“

„Mach dir keine Sorgen, Layla. Fast alles ist vorbereitet. Dies sind amerikanische Pässe, die auf meinen Mädchennamen Coleman ausgestellt sind. Außerdem haben meine Söhne amerikanische Vornamen, sodass sie nicht entdeckt werden können. Ich muss die Jungen nur über die Grenze bringen, und dann können wir uns sicher fühlen. Alles ist bereits geplant, aber ich brauche deine Hilfe, um Azzam dazu zu bringen, mich gehen zu lassen.“

Sie legte eine Hand an Laylas Wange. „Schwester meines Herzens, du hast mich gewarnt. Nun hilf mir und den Kindern.“

Drei Tage später befanden Rose und die Jungen sich auf dem Weg zum Sommerpalast in Begleitung einiger Dienstboten, die Ibrahim gegenüber loyal waren.

In den Zeitungen war verkündet worden, dass Rose und ihre Söhne sich aufs Land zurückziehen wollten, um in Ruhe zu trauern.

In ihrem Gepäck befanden sich die vier Pässe sowie die Nummer zum Schweizer Bankkonto. Außerdem hatten sie Jabbar, Ibrahims geliebten Araberhengst, mitgenommen. Da Rose ein Pferd bei sich hatte, konnte niemand davon ausgehen, dass sie fliehen wollte. Also ließ Azzam sie gehen.

Im Sommerpalast kamen sie nie an. Zehn Meilen vor der Stadt besuchten Rose und die Kinder ein Haus, das Verwandten einer Dienstbotin gehörte. Dort wechselten sie Kleidung und Transportmittel.

Drei Stunden später hatten sie die Grenze nach Balahar überquert, und schon bald befanden sie sich auf dem Weg nach England. Jabbar, der Araberhengst, war in einem anderen Flugzeug auf dem Weg nach Boston, wo er eine entsprechende Quarantänezeit verbringen musste.

Rose hielt Makin, den älteren der Zwillinge, auf dem Schoß, während sein Bruder Kadar auf dem Sitz schlief. Mit ihren drei Jahren waren sie fast noch Babys und hatten keine Vorstellung davon, was geschehen war. Sie spürten jedoch die Nervosität ihrer Mutter und waren unruhig und quengelig, bis sie einschliefen.

Ihr älterer Bruder und Thronfolger von Sorajhee, Alim, war nur ein Jahr älter als die Zwillinge, aber er wirkte schon vernünftiger. Er saß neben Rose, hielt ihre Hand und streichelte sie. „Ich werde dich beschützen, Mama“, gelobte er ernst. „Das würde mein Vater wollen.“

Durch einen Tränenschleier lächelte Rose ihren Sohn an. Er hatte das gleiche dichte schwarze Haar wie sein Vater, ein gut aussehendes, aber ernstes Gesicht, und er schien einmal so groß zu werden wie Ibrahim. Sie hatten ihm den Namen Alim gegeben, was weise und gebildet heißt, und er schien zu wissen, was von ihm erwartet wurde, selbst in dieser schrecklichen Zeit.

„Erst einmal bist du noch ein kleiner Junge, mein Sohn“, erklärte Rose und küsste ihren ältesten Sohn auf die Wange. „Eines Tages wirst du den Platz deines Vaters auf dem Thron von Sorajhee einnehmen.“

Sie landeten auf dem Flughafen von Heathrow, wo sie von Roses Bruder, Randy Coleman, in Empfang genommen wurden. Er hatte sich direkt von Boston aus auf den Weg gemacht, als er von Layla ein Telegramm bekommen hatte, dass eine wertvolle Ladung auf ihn warte.

Diesen Text hatte Ibrahim ihm vor Monaten geschickt, um seine Familie zu schützen. Wenn Randy eine solche Nachricht erhielt, sollte er unverzüglich nach Heathrow fliegen, um seine Schwester und die Jungen abzuholen, die unter dem Namen Coleman reisen würden. Minuten, nachdem er von der wertvollen Ladung erfahren hatte, mietete Randy einen Privatjet, der ihn nach England bringen sollte.

Ibrahim, der seine Familie liebte, wusste, dass die Pflichten gegenüber seinem Volk wichtiger waren als sein Leben. Das hieß aber nicht, dass er seine Familie opfern wollte, und deshalb hatte er alles gut geplant. Es hatte nie mehr als vier Pässe gegeben, denn Ibrahim hätte sein Volk nie verlassen, egal, wie groß die Gefahr war.

Eine Stunde nach der Ankunft in England verabschiedete Rose sich von ihren Söhnen. Sie hatte jedem einen Goldring aus Ibrahims Sammlung gegeben, mit dem sie an ihr königliches Blut erinnert würden.

„Meine Lieblinge, weint nicht“, bat sie die Zwillinge, die sich fest an sie drückten. „Mama ist bald wieder bei euch, und Onkel Randy wird sich gut um euch kümmern. Das verspreche ich, Alim“, sagte sie und zog ihn an sich. „Du weißt, dass ich zurückgehen muss, um den Verrat an deinem Vater aufzuklären. Das kann ich nicht, wenn ich mich um euch Kinder ängstigen muss.“

„Tante Layla hilft dir?“, wollte Alim wissen, während er mit den Tränen kämpfte. „Ich könnte dir auch helfen, Mama.“

„Das kannst du, indem du auf deine Brüder aufpasst und deinem Onkel gehorchst. Du musst Onkel Randy alles über Jabbar erzählen, was du von Papa weißt, damit er der Champion werden kann, für den dein Vater ihn gehalten hat. Ich liebe dich und werde bald wieder bei dir sein.“

Randy, der seine Schwester nicht davon abhalten konnte, wieder nach Sorajhee zu reisen, nahm die Zwillinge in seine starken Arme. Er küsste Rose und folgte Alim zum Flugzeug, während seine Schwester kaum die Tränen unterdrücken konnte.

Innerhalb weniger Tage hatte sie den Mann verloren und musste jetzt ihre Söhne hergeben. Ein Schmerz durchfuhr sie, und eine schreckliche Leere nahm Besitz von ihr. Blind vor Tränen ging sie in einen schmalen Seitengang, fiel auf die Knie und weinte verzweifelt.

Tage und Monate vergingen, bis eine Nachricht von Layla kam. Rose war getötet worden, während sie wahnsinnig vor Trauer mit einem Messer bewaffnet in Azzams Gemächer eingedrungen war, um den neuen Herrscher von Sorajhee umzubringen. Layla riet Randy, die Kinder zu verstecken, denn ihr Mann wollte nun jeden verfolgen, der mit seinem toten Bruder verbunden war.

Randy hatte schon dafür gesorgt, dass die Jungen die amerikanische Staatsbürgerschaft bekommen hatten und legal als seine Mündel in Boston lebten. Das war jedoch nicht genug, denn die Presse würde bald hinter ihnen her sein. Außerdem wusste Layla, wo er war, und sie gehörte zu Azzam.

Er musste sich noch etwas anderes einfallen lassen, um Roses Söhne verschwinden zu lassen.

Randy schickte Azzam die drei Ringe und teilte mit, dass die Jungen bei einem Bootsunglück an der Küste von Cape Cod verschollen waren. Die Leichen seien nicht gefunden worden. Azzam akzeptierte Randys Erklärung und gab ihm die Ringe zurück. Randy verwahrte sie, bis die Jungen alt genug waren, um ihr Erbe und ihren Verlust zu verstehen.

Für die Öffentlichkeit hatten sich Rose und die Kinder ins Privatleben zurückgezogen. Azzam schloss die Grenzen, und die Allianz mit Balahar wurde nicht gebildet.

Randy zog auf eine Ranch in Bridle, Texas. Alex, Cade und Mac Coleman gingen mit sowie Jabbar, der auf dem besten Weg war, der Champion zu werden, für den Ibrahim ihn gehalten hatte. Alim, Kadar und Makin gab es nicht mehr.

Vivian, Randys Frau, kümmerte sich wie eine Mutter um die drei Jungen, auch als ihre Tochter Jessica geboren wurde. The Desert Rose wurde eines der besten Arabergestüte in Texas.

Um den Namen Coleman im Hintergrund erscheinen zu lassen, nahm Randy einen Partner in das Bostoner Familienunternehmen auf. Der Texaner Jared Grayson leitete das große Unternehmen, während Randy und seine Neffen sich um die Zuchtpferde kümmerten. Nur selten erinnerten sich die drei jungen Männer an ihre Kindheit in Sorajhee.

Sie vergaßen Rose und ihr Versprechen, zurückzukehren, jedoch niemals.

1. KAPITEL

„Verdammt!“ Alex Coleman wischte sich die Hände an einem Handtuch ab, warf es auf den Boden, lief aus dem Stall und rannte zum Telefon.

Das durfte nicht wahr sein. An eine so frühe Geburt hatte er nicht gedacht, ebenso wenig an Komplikationen.

Nicht mal mit der Trächtigkeit hatte er gerechnet. Schon seit Jahren war Jabbar nicht mehr für Zuchtzwecke eingesetzt worden, da er sich nach vielen gewonnenen Preisen seinen Ruhestand verdient hatte. Jabbar hatte aus The Desert Rose ein erstklassiges Gestüt für Araber gemacht, und er hatte zahlreiche Nachkommen gezeugt.

Plus einen weiteren, wenn Alex Dr. Clark rechtzeitig erreichen konnte.

Warum hatte er seine neue Zuchtstute nur mit Jabbar auf die Weide gelassen? Er war davon ausgegangen, dass der inzwischen betagte Jabbar die Stute ignorieren würde. Sie sollte einmal für die Zucht eingesetzt werden, aber nicht jetzt und nicht mit Jabbar.

„Jemand muss dem alten Jungen Viagra verabreicht haben“, scherzte sein Bruder Mac, als Alex mitteilte, dass Khalahari Jabbars Fohlen trug.

Die Sorge hatte sich in Aufregung verwandelt, als Alex überlegte, dass vielleicht ein neuer Champion geboren würde. Warum er so fühlte, wusste er nicht, aber er hielt die Situation für schicksalhaft.

Jetzt hatte Khalahari Schwierigkeiten, da das Fohlen falsch lag, und Alex befürchtete, beide zu verlieren.

„Komm schon“, murmelte er, als er auf das Klingeln des Telefons hörte und Dr. Clark beschwor zu antworten.

„Praxis Dr. Clark.“

Bevor die Frau zu Ende reden konnte, sprach Alex schon. „Hier ist Alex Coleman von The Desert Rose. Ich brauche Dr. Clark sofort.“

„Ich bin gleich da“, antwortete die Frau.

„Wie?“ Alex hielt den Hörer kurz von sich weg, als ihm einfiel, was geschehen war. Er sprach nicht mit Dr. Clark, sondern mit dessen Tochter Hannah, einer frisch gebackenen Tierärztin. „Nicht Sie – Ihr Vater soll kommen. Eine wertvolle Stute hat große Probleme beim Fohlen.“

„Verstehe, Mr. Coleman“, antwortete Hannah. „Mein Vater ist nicht da, aber ich kann in zwanzig Minuten bei Ihnen sein.“

„Ich habe mich wohl nicht deutlich ausgedrückt. Es handelt sich um ein wichtiges Fohlen. Sammeln Sie Ihre Erfahrung woanders, aber holen Sie Ihren Vater, sofort.“

„Er nimmt an einer Konferenz in Dallas teil, Mr. Coleman, und kommt erst spät zurück. Ihre Stute wird kaum auf ihn warten können. Ich bin gleich bei Ihnen, Sie haben keine andere Wahl. Wir verschwenden nur Zeit.“

„Aber ich …“

Sie hatte aufgelegt.

Hannah schaffte den Weg in fünfzehn Minuten, indem sie ihren Geländewagen bis aufs Äußerste antrieb. Vor dem Stall lief Alex Coleman ihr schon entgegen.

Mit der Tasche in der Hand sprang sie aus dem Wagen, verfing sich im Sicherheitsgurt und landete auf allen vieren. Schnell stand sie auf, klopfte sich den Sand ab und folgte ihm. „Wo?“, fragte sie, da der Mann keine Zeit für eine Begrüßung verschwendete.

„Die große Box hinten, falls Sie bis dorthin gelangen, ohne wieder aufs Gesicht zu fallen“, meinte Alex und ging vor. „Es ist eine Steißgeburt, ihr erstes und wahrscheinlich letztes Fohlen.“

„Das macht mir Mut“, murmelte Hannah, als sie in den Stall ging und prompt über ein Handtuch stolperte. Das war ja ein gelungener Auftritt. Darüber konnte sie jetzt nicht nachdenken, denn die Stute lag auf dem Boden, und in ihren Augen zeigte sich großer Schmerz.

Hannahs berüchtigte Ungeschicklichkeit, eine Folge ihrer Schüchternheit und der ständigen Unzufriedenheit ihres Vaters, verschwand sofort, als sie die Stute anschaute.

„Halten Sie ihren Kopf, während ich sie untersuche“, befahl sie Alex. Sie warf ihre Weste in eine Ecke und rollte die Ärmel des Flanellhemdes auf. „Reden Sie mit ihr, damit sie weiß, dass alles gut gehen wird.“

„Glauben Sie?“, fragte Alex hin und her gerissen zwischen Sorge und Sarkasmus. „In Ordnung“, meinte er und kniete sich hin. „Mir bleibt wohl nichts anderes übrig.“

Hannah betrachtete ihn. Für den großen, dunkelhaarigen, attraktiven Alex Coleman hatte sie in den letzten sechzehn Jahren geschwärmt. Ihm war das jedoch nie aufgefallen.

Sie zwang sich zur Konzentration auf ihre Aufgabe, zog sich Latexhandschuhe an und untersuchte die Stute. Alex’ Vermutung war richtig. „Steißlage und zu spät, sie zu drehen“, erklärte sie und legte ihre Instrumente zurecht.

Ein Kaiserschnitt war riskant, da ein Bein des Fohlens schon teilweise aus dem Geburtskanal ragte. Die einzige Möglichkeit war, das andere Bein zu finden und kräftig zu ziehen.

„Schaffen Sie das?“, wollte Alex wissen, nachdem er erkannt hatte, was sie plante.

„Ja“, murmelte sie, als sie in den Leib der Stute griff. „Ich hab es“, rief sie nach einigen Minuten vergeblicher Suche und packte die Beine des Fohlens, während sie hoffte, dass der Geburtskanal sich geweitet hatte, um das Fohlen durchzulassen.

„Gott sei Dank ist das Fohlen klein“, stellte sie fest, während sie den Kopf gegen die Seite der Stute drückte und das zweite Bein neben das erste bewegte. Sie wartete auf die nächste Wehe. „Wahrscheinlich zu früh.“

„Ja“, erwiderte Alex und beruhigte die Stute. „Sie rollt wieder mit den Augen.“

„Die Kontraktion kommt. Wir schaffen es“, meinte Hannah und atmete tief ein. Ihre Arme wurden wie in einem Schraubstock gedrückt, als die Stute versuchte, das Fohlen und Hannahs Arme aus ihrem Körper zu pressen.

„Achten Sie auf die Wirbelsäule“, warnte Alex.

„Sicher“, japste Hannah, und fragte sich zum ersten Mal, ob ihre Kraft ausreichen würde. Jetzt waren jedoch beide Beine außerhalb des Geburtskanals, und das war die größte Arbeit gewesen. Eine weitere Wehe müsste ausreichen.

„Komm, kleine Lady“, ermunterte sie die Stute. „Komm und press noch einmal. Du kannst es.“

„Es kommt!“, rief sie, als sich der Leib der Stute zusammenzog und das Tier vor Schmerzen wieherte. Hannah zog nochmals, und nach wenigen Augenblicken kam das Fohlen zur Welt. Mit dem Hinterteil zuerst, aber das spielte keine Rolle.

„Halten Sie ihren Kopf, während ich sie und das Fohlen untersuche“, ordnete Hannah an.

„Ist es eine Stute?“

Hannah schaute kurz nach. „Nein, Sie haben einen neuen Hengst, Mr. Coleman, und er ist eine Schönheit. Zwar klein, aber schauen Sie sich das Gesicht an! Perfekt, ein echter Champion!“

Innerhalb von Minuten kümmerte Khalahari sich um ihr Fohlen. Beide standen jetzt, aber das Fohlen war noch etwas wackelig auf den Beinen. Es versuchte jedoch schon zu trinken. Hannah zog die Handschuhe aus und unterdrückte ein Zittern. Das war ihre erste Steißgeburt gewesen, was sie Alex Coleman jedoch nicht verraten hatte.

„Danke“, sagte er, als sie zu einem großen Waschbottich gingen. „Es tut mir leid, dass ich so grob zu Ihnen war, aber …“

„Sie dachten, dass die tollpatschige Hannah sicher nichts über die Geburt eines Babys wüsste“, vervollständigte sie seinen Satz. Er drehte den Wasserhahn auf und reichte ihr die Seife, die sie prompt fallen ließ.

Krise vorbei, Ungeschicklichkeit zurück. Das passte.

„So ungefähr“, gab Alex zu, hob die Seife auf und gab sie ihr erneut. „Ich entschuldige mich, Sie haben gute Arbeit geleistet.“

„Mein Vater hat mir schon von dem Fohlen erzählt“, berichtete sie, während sie sich auf das Händewaschen konzentrierte. „Es stammt von Jabbar und war nicht geplant, oder?“

„Ein Geschenk des Himmels“, erwiderte Alex und reichte Hannah ein sauberes Handtuch. „Desert Rose Khalid. Das bedeutet …“

„Ewig. Ich weiß, es ist ein schöner Name.“

Alex schaute sie von der Seite an. „Lernt man Arabisch, wenn man Tiermedizin studiert?“

„Nein“, antwortete Hannah und versuchte sein Lächeln zu ignorieren, das sie verunsicherte und ungeahnte Sehnsüchte in ihr aufleben ließ. „Araber interessieren mich besonders, nicht nur, weil es hier so viele Gestüte gibt, sondern auch, weil sie so schöne anmutige Tiere sind.“

Außerdem sah ein Araberpferd besonders gut aus, wenn Alex Coleman in einer Arabertracht mit einem schneeweißen Keffijeh auf dem Kopf, das von einer agal gehalten wurde, darauf ritt.

„Hannah, hören Sie mir zu?“

Sie hörte auf zu träumen und stellte überrascht fest, dass Alex in einer dunkelbraunen Cordjacke und hautenger Jeans vor ihr stand. „Hm?“, fragte sie und errötete bis an die Haarwurzeln.

„Ich sagte, dass ich mich noch einmal entschuldigen und bedanken möchte. Sie haben sehr ruhig und professionell gearbeitet.“

„Sie sagen das so, als könnten Sie es immer noch nicht glauben“, bemerkte Hannah, während sie vorsichtig um einen Rechen herumging, damit sie nicht darauf trat und zu Boden geschlagen wurde. Stolz drehte sie sich nach Alex um, als ihr Flanellhemd an einem Nagel hängen blieb und sie sich beim Versuch, sich zu befreien, den Ärmel aufriss. „Oh nein!“

Alex biss sich auf die Unterlippe, um ein Lachen zu unterdrücken.

„An diesem Nagel hängen wir normalerweise den Rechen auf.“

„Das macht Sinn“, entgegnete sie, und ihre Wangen brannten. Ihre übergroßen blauen Augen, ihr blondes Haar, die zierliche Statur von knapp 1,60 m und ihre schlanke Figur ließen sie im Alter von achtundzwanzig noch kindlich wirken.

„Könnten Sie einen Moment stillstehen?“

„Hm? Ja, gut, Mr. Coleman“, antwortete Hannah. Wie ihr Vater immer sagte, passte sie einfach nicht auf. Das war mindestens so schlecht wie ihre Tagträume.

„Gut, ich fühle mich besser, wenn Sie ruhig stehen“, meinte Alex. Sein Lächeln war immer noch wunderbar, aber diesmal wollte Hannah ihm ihre Tasche um die Ohren schlagen, da er sich jetzt offen über sie lustig machte.

„Sie müssen mir nicht ständig danken, Sie bekommen eine Rechnung.“

„Die ich gern begleichen werde. Ich möchte aber gern mehr tun, als nur die Rechnung zahlen. Sie ahnen nicht, wie viel Khalid für mich und für The Desert Rose bedeutet. Jabbar hat schon viele Fohlen gezeugt, die wir meistens verkauft haben. Aber Khalid ist ein Geschenk von ihm an unsere Familie. Er ist etwas Besonderes.“

„Das ist schön“, erwiderte Hannah ernst, „und fast schon mystisch.“

„Ja, und deshalb möchte ich meinen Dank nicht nur mit der Rechnung zum Ausdruck bringen. Wenn es also noch etwas gibt, was ich für Sie tun kann, dann fragen Sie bitte. Gern werde ich allen erzählen, wie gut Sie gearbeitet haben, und dass jeder Sie anrufen kann, wenn Ihr Vater nicht da ist. Das scheint mir aber noch nicht genug.“

Hannah senkte den Blick, als sie eine lächerliche, geradezu absurde Idee hatte. Sie wüsste schon etwas, worum sie Alex Coleman bitten könnte. Es auszusprechen war jedoch unmöglich. Erstens hatte sie nicht den Mut, ihn zu fragen, und zweitens war es eine dumme, sehr entlarvende Bitte.

„Hannah? Wie wäre es mit einem Abendessen? Das ist nicht viel, aber ein Anfang, und vielleicht fällt Ihnen bis dahin noch ein Wunsch ein.“

„Abendessen?“ Hannah warf den Kopf so schnell hoch, dass sie Alex, der sehr nah vor ihr stand, fast mit dem Kopf am Kinn traf. Sie stolperte zurück und schaute zu ihm auf. „Abendessen? Heute?“

Alex lächelte und schüttelte den Kopf. „Ohne scharfe Messer“, neckte er sie, nahm den Arztkoffer und begleitete sie zum Wagen. „Ich hole Sie um sechs ab, okay?“

Sie glitt auf den Fahrersitz und hoffte, dass der Schlüssel noch steckte. Wahrscheinlich könnte sie ihn kaum einstecken, denn ihre Hände zitterten. „Um sechs, das klingt gut.“

„In Ordnung“, erwiderte Alex, schlug die Tür zu und trat einen Schritt zurück. Wahrscheinlich wollte er vermeiden, dass sie über seine Füße fuhr. Hannah spürte noch seinen Blick, bis sie um eine Kurve gebogen war.

Alex verbrachte noch eine Stunde im Stall und beobachtete Khalahari und Khalid.

Es war unvermeidlich, dass sie Jabbar bald verlieren würden. Er hatte ein langes gutes Leben gehabt und die Familie mit seiner Anwesenheit und den Fohlen bereichert. Durch ihn war The Desert Rose zu einem hervorragenden Arabergestüt geworden.

Jabbar war das letzte Vermächtnis seiner Eltern außer den beiden Brüdern und dem goldenen Ring, den er an der rechten Hand trug.

Nur wenige Erinnerungen waren ihm an die Zeit geblieben, als er plötzlich aus den Armen seiner Mutter gerissen wurde und mit dem Flugzeug in eine neue Welt reiste.

Von seinem Vater hatte er nur eine vage Vorstellung. Ein großer Mann, der sich nie zu schade war, sich zu einem kleinen Kind herunterzubeugen. Wenn er morgens beim Rasieren in den Spiegel schaute, glaubte er, das Gesicht des Vaters zu sehen.

Ein langes weißes Gewand. Ein freundliches Lächeln in einem sonnengebräunten Gesicht. Große Hände, die viel kleinere sanft festhielten. Der melodiöse Klang der arabischen Sprache, die Alex fast vergessen hatte.

Alex wusste, dass sein Vater bei dem Versuch gestorben war, Sorajhee zu stärken, und dass seine Mutter sterben musste, weil sie ihren Mann rächen und den Thron für ihre Söhne beanspruchen wollte. Azzam hielt Sorajhee isoliert und öffnete nur die Häfen, die die wichtigste Einkommensquelle des kleinen Landes darstellten.

Bis jetzt hatte Azzam Glück gehabt, denn der Nahe Osten hatte sich mehr auf die Ölförderländer wie Balahar konzentriert.

Nach dem, was Alex gelesen hatte, mussten Sorajhee und Balahar sich jedoch bald vereinen, um nicht überrannt zu werden.

Aber das war nicht die Sache eines Sohnes von Ibrahim Bin Habib El Jeved. Genug Mitglieder der Familie hatten ihr Blut vergossen. Sein Onkel sollte erkennen, dass sein Bruder recht gehabt hatte, oder zugrunde gehen. Manchmal fragte Alex sich, ob er fatalistisch war oder ob er den Glauben der Araber an das Schicksal teilte. Er wusste jedoch, dass das Schicksal von Sorajhee nicht in seiner Hand lag.

Alex hatte eine Aufgabe, die ihm seine Mutter an jenem letzten Tag gegeben hatte. Er sollte sich um die Brüder und Jabbar kümmern sowie seinem Onkel Randy helfen. Das hatte er getan, sodass er mit seiner Vergangenheit und Zukunft im Reinen war.

„Ich habe es gerade erfahren“, sagte Cade und lehnte sich an den Zaun neben Alex. „Mickey hat mir die gute Nachricht mitgeteilt. Er kann seinen Vater nicht verleugnen, und er wird einmal so schwarz sein wie er. Großartig und stolz.“

Alex lächelte seinen Bruder an. „Erst muss er lernen, seine vier Beine zu kontrollieren.“ Der jüngere Zwillingsbruder kümmerte sich um den geschäftlichen Bereich des Gestüts. Cade und Mac ähnelten Alex zwar, aber sie hatten die weicheren Züge von Rose geerbt.

Nach einem Blick auf Cade meinte Alex: „Du trägst einen Anzug? Wohin gehst du? Wie heißt sie?“

„Geschäfte, großer Bruder, ich war geschäftlich in Austin“, korrigierte Cade ihn, dann schüttelte er den Kopf. „Okay, und ein Mädchen.“

„Bei dir gibt es immer ein Mädchen“, erwiderte Alex und ging vom Stall weg. Da er schmutzig war, sehnte er sich nach einer warmen Dusche und nach frischer Kleidung. „Wenn du nicht so gut bei der Arbeit wärst, könnte man dich als Playboy bezeichnen.“

„Ich möchte sogar als Playboy bezeichnet werden, das hat doch was“, meinte Cade scherzhaft. „Dich würde niemand einen Playboy nennen, Bruder. Wann hattest du zuletzt eine Verabredung? Auf der Highschool?“

„Nur weil ich nicht ständig eine Frau nach der anderen ausführe, heißt das noch lange nicht, dass ich kein Privatleben habe. Heute Abend gehe ich übrigens aus.“

„Wie bitte? Ich hab wohl nicht richtig gehört. Weiß die Presse davon? Wer ist sie?“

„Hannah Clark“, murmelte Alex, als er Cade die Tür aufhielt.

„Oh, Hannah Clark“, entgegnete Cade, während er sich die Schuhe abwischte, da er sich nicht Tante Vis Zorn zuziehen wollte, indem er Schmutz mit ins Haus brachte.

Alex hängte seinen Hut an einen Haken im Flur. „Sie hat bei der Geburt des Fohlens geholfen, und ich möchte ihr danken.“

„Aha“, bemerkte Cade, der Alex beobachtete. „Tante Vi hasst es, wenn du die Sachen dort aufhängst. Du sollst auch nicht mit Stiefeln ins Haus kommen. Aber ich nehme an, dass die Verabredung mit der tollpatschigen Hannah Clark deinen Verstand durcheinandergebracht hat.“

„Halt den Mund“, verlangte Alex, während er in sein Zimmer ging.

2. KAPITEL

Die Hälfte von Hannahs Garderobe befand sich auf dem Bett, und trotzdem wusste sie immer noch nicht, was sie anziehen sollte.

Vierzehn Jeans. Wie war sie an so viele Jeans gekommen? Einige hatte sie schon seit der Highschool, denn sie war nicht mehr gewachsen. Immer schon hatte sie Jeans und Flanellhemden getragen, im Sommer Jeans mit Tops.

Im Schrank waren nur noch das Kleid ihres Abschlussballs und der dunkelblaue Hosenanzug, den sie im College für Prüfungen getragen hatte.

Jeden Penny, den sie bei ihren Jobs verdient hatte, hatte sie für ihr Studium ausgegeben. Das Geld, das sie bei ihrem Vater verdiente, musste sie für die Rückzahlung der Darlehen einsetzen, die sie aufgenommen hatte, weil ihr Vater sich geweigert hatte, sie zu unterstützen. Sie hatte kein Geld für besondere Kleidung.

Um Kleider zu tragen, fehlten die Anlässe. Bei zwei Teilzeitjobs während des Studiums blieb wenig Zeit für ein Privatleben, aber sie war auch nie ein zweites Mal eingeladen worden. Durch ihre Schüchternheit und Unsicherheit war sie für die Jungen am College nicht gerade attraktiv. Deshalb hatte Hannah Zeit gehabt, sich ausgiebig um ihr Studium zu kümmern und gute Resultate zu erzielen.

Sie ließ das weiße Badetuch fallen und zog Unterwäsche an, die noch intakt war. Die weiße, hochgeschlossene Bluse, die sie zu dem Anzug gekauft hatte, gefiel ihr nicht. Sie sah damit einfach zu jungfräulich aus. Jedes Insekt hatte öfter Sex als Hannah Clark.

„Deshalb solltest du es nicht gleich zeigen“, meinte sie und hängte die Bluse wieder in den Schrank. Also blauer Anzug ohne Bluse.

Hannah biss sich auf die Unterlippe und verdrehte die Augen, als ob sie etwas Ungezogenes plante.

„Du bist achtundzwanzig, also worauf wartest du noch?“, sagte sie zu ihrem Spiegelbild. „Lippenstift, Lidschatten, etwas Parfüm. Der Mann muss umgehauen werden, sinnbildlich gesprochen, natürlich“, fügte sie hinzu.

Fünfzehn Minuten später war sie fertig. Auf Lidschatten verzichtete sie, denn sie trug ihn so ungeschickt auf, dass sie wie ein Waschbär aussah. Das frisch gewaschene Haar reichte ihr fast bis auf die Schultern und war einmal nicht zu einem Pferdeschwanz zusammengebunden.

Jetzt musste sie nur noch darauf achten, dass sie nicht ständig nachfühlte, ob der oberste Knopf des Blazers geschlossen war.

Sechs Uhr, jetzt könnte Alex kommen.

Hoffentlich sagte er nicht ab. Er wollte ihr schließlich nur danken.

Aber er war nicht der Typ, der sich nicht an Verabredungen hielt. Oder? Woher wollte sie das wissen? Jemanden als Teenager von Weitem zu bewundern, hieß noch lange nicht, dass man die Person auch kannte. Sie hatte ihn vielleicht mit Eigenschaften ausgestattet, die er gar nicht besaß.

„Du machst dich noch verrückt“, schalt sie sich und schüttelte die Sofakissen auf.

„Hannah? Redest du schon wieder mit dir selbst? Du könntest mir zu essen machen.“

„Dad!“, rief Hannah, drehte sich zu ihrem Vater und vergaß, dass sie hohe Absätze trug. Sie knickte um und landete auf der Couch. „Ich, ich dachte nicht, dass du so früh nach Hause kommen würdest.“

Dr. Hugo Clark war ein großer, massiger Mann. Früher war er muskulös gewesen, aber jetzt waren die Muskeln erschlafft. Hannah sah das nicht, denn für sie war Hugo Clark immer noch der große Mann mit dem tadelnden Blick und dem unzufriedenen Gesichtsausdruck.

„Offensichtlich nicht“, sagte er und warf seine Jacke auf einen Stuhl. Er hängte seine Sachen nie auf, denn das war Frauenarbeit. „Was zum Teufel hast du auf den Lippen?“

Hannah führte die Hand zum Mund. „Lippenstift?“

„Du siehst wie ein Flittchen aus. Wie deine Mutter. Die vielen Jahre des Studiums, nur um einen Mann zu angeln. Völlige Verschwendung, Frauen auszubilden. Das willst du doch, oder? Diese Kriegsbemalung trägst du sicher nicht für die Tiere in der Praxis. Zieh dir um Himmels willen etwas an, ich kann fast deine Brust sehen.“

Sie schloss die Augen und legte die Hände vor den Oberkörper, um sich vor dem vorwurfsvollen Blick ihres Vaters zu verbergen. Achtundzwanzig, erinnerte sie sich schweigend. Du bist achtundzwanzig. Du bist ausgebildete Tierärztin. Du bist nicht mehr die kleine Hannah. Er darf dir das nicht antun!

Es half nicht. Hannahs Vater war ein Meister der Beleidigung. Seit die Mutter sie verlassen hatte, hatte Hugo Clark dafür gesorgt, dass seine Tochter nicht so werden sollte wie ihre Mutter Ellen.

In achtundzwanzig Jahren hatte er ihr immer wieder gesagt, dass sie nichts wert sei, dass sie dumm, ungeschickt und unattraktiv sei. Wahrscheinlich auch noch unmoralisch, da sie das Blut ihrer Mutter in den Adern hatte.

Außerdem war sie ebenso klein und blond wie Ellen. Wenn Hugo Clark seine Wut an jemandem auslassen wollte, dann erfüllte seine Tochter den Zweck.

„Ich dachte, du würdest erst sehr spät oder sogar erst Morgen nach Hause kommen. Es gibt noch kalten Braten im Kühlschrank“, schlug sie vor, als sie zur Küche ging. „Und Suppe, die ich gestern gemacht habe. Ich kann sie dir wärmen und ein Sandwich machen.“

„Ein Sandwich? Das soll ein Essen sei? Egal, ich werde ausgehen. Ich wusste, dass ich mich nicht auf dich verlassen kann. Das war noch nie so, und es wird nie so sein. Gott sei Dank gab es keine Notfälle, während ich weg war, sonst hättest du die auch noch versaut. Ich begreife es nicht. Immer wieder habe ich dir beigebracht, dich an deine Pflichten zu erinnern, und was habe ich davon? Ein kaltes Abendessen und eine aufgetakelte Tochter.“

„Es gab einen Notfall“, unterbrach ihn Hannah. „Auf The Desert Rose. Jabbars letztes Fohlen war eine Steißgeburt. Alex Coleman hat hier angerufen.“

„Verdammt!“, explodierte Hugo. „Wahrscheinlich beide verloren.“

„Nein, Sir“, erwiderte Hannah. Es war besser, ihren Vater jetzt mit Sir anzureden.

Ihr Vater sah sie neugierig an. „Sie haben es allein geschafft?“

„Nein, Sir, ich habe es geschafft. Ich habe dem Fohlen auf die Welt geholfen. Ein schönes Tier und wahrscheinlich der nächste Zuchthengst der Desert Rose.“

„Du hast es geschafft?“ Hugo riss die Augen ungläubig auf.

Wieder war er nicht zufrieden, das konnte Hannah an seiner Körpersprache erkennen.

„Ich mache die Suppe warm“, sagte sie und ging erneut in Richtung Küche.

„Nein, ich gehe aus“, meinte er, griff seine Jacke und ging zur Tür. „Du solltest besser um Mitternacht zu Hause sein, oder du kommst nicht mehr rein. Verstanden?“

„Verstanden, Sir“, antwortete Hannah und sank auf die Couch.

Sie hätte nicht zurückkommen sollen. Nach dem Abschluss hätte sie eine Stelle annehmen sollen, die man ihr angeboten hatte. Da sie den besten Abschluss ihres Jahrgangs erzielt hatte, gab es unzählige Möglichkeiten.

Trotzdem war sie zu ihrem Vater zurückgekommen, um ihm zu helfen. Sie wollte ihm beweisen, dass sie nicht wertlos war, sondern eine gute Ärztin. Als Erwachsene wollte sie ihm gegenübertreten und ihm und sich selbst zeigen, dass er sie immer schon falsch eingeschätzt hatte.

Alex hatte nie darüber nachgedacht, aber jetzt fragte er sich, wie das Leben für die ohne Mutter heranwachsende Hannah an der Seite von Hugo Clark gewesen war.

Er und seine Brüder hatten Glück gehabt. Onkel Randy und Tante Vi hatten sie wie eigene Kinder aufgezogen. Sie vermissten zwar ihre leiblichen Eltern, aber es hatte ihnen nie an Liebe und Zuwendung gefehlt.

Alex betrachtete das dunkle, zweigeschossige Gebäude mit der Tierarztpraxis und dem kleinen Apartment auf der zweiten Etage. Trostlos, ohne Gras, Blumen oder Bäume. Nur ein Parkplatz aus Beton, daneben eine verlassene Tankstelle und ein Autofriedhof.

Hugo Clark behandelte hauptsächlich große Tiere auf den Ranches seiner Kunden. In seiner Praxis kümmerte er sich um Kleintiere. Deshalb brauchte er sicher keine schicken Praxisräume.

Trotzdem hätte er sich eine andere Wohnung leisten können, denn er war bei Weitem der beliebteste Tierarzt in Bridle. Einen Moment lang überlegte Alex, warum Hugo nicht mehr darauf geachtet hatte, wo seine Tochter aufwuchs, aber dann erinnerte er sich, dass er mit der Tochter essen gehen wollte.

Eigentlich wollte Alex sich nicht mit den Hintergründen von Hannahs Leben befassen. Er wollte ihr noch einmal danken und sie dann vergessen, bis sie auf der Desert Rose wieder einen Tierarzt brauchten.

Zweimal hatte er schon an die Tür geklopft, aber als niemand öffnete, drehte er den Türgriff. Er stand vor einer schmalen Holztreppe. Kein Wunder, dass Hannah ihn nicht gehört hatte, denn die unteren Räume schienen nur als Praxis zu dienen, während oben der Wohnbereich war. Alles war eng, und Alex konnte sich vorstellen, dass es neben dem großen Hugo sicher nur wenig Platz für ein kleines Mädchen gegeben hatte.

Er ging die Stufen hoch und klopfte an die Tür, die sofort geöffnet wurde.

Alex blinzelte, um sich an das Licht zu gewöhnen, und lächelte Hannah an.

„Ich hole meine Tasche und bin gleich wieder da“, sagte sie ohne Begrüßung und schloss die Tür vor seiner Nase. Er grinste und ging herunter, denn es schien ihm sicherer, wenn er unten auf Hannah wartete.

Als Hannah kam, schaute er auf. Für solch eine kleine Frau hatte sie bemerkenswert lange Beine.

Das war aber auch schon alles, was er zu sehen bekam, denn sie trug ein bis oben zugeknöpftes Jackett und eine weiße Bluse, die hoffentlich nicht die Blutzufuhr zu ihrem Gehirn unterbrach. Abgesehen von der Hose und dem blonden Haar, war die Wirkung ihrer Kleidung wie ein Schild mit der Aufschrift Betreten verboten.

Dabei brauchte sie sich keine Sorgen zu machen, denn Alex war schließlich nicht so waghalsig, dass er die ungeschickte nervöse Hannah Clark küssen wollte. Wenn er Hannah küssen würde, würde sie wahrscheinlich wie eine verblüffte Stute ausschlagen, und er hätte danach den Arm in Gips.

„Sie sehen gut aus“, meinte er automatisch zu Hannah, die noch zögerte und ihn anschaute, als wisse sie nicht, was als Nächstes geschähe.

„Danke“, entgegnete sie förmlich und presste die Lippen zusammen.

„Gern geschehen“, erwiderte er und nahm sie bei der Hand. „Ich habe für halb sieben den Tisch bestellt, deshalb fahren wir jetzt besser.“

Nervös war gar kein Ausdruck für das Gefühl, das Hannah hatte, als Alex an die Tür klopfte. Es sollte ein anderes Wort dafür geben, eines, das den Schrecken wiedergab, den Hannah sogar jetzt im Restaurant noch verspürte. Warum hatte sie nur Spaghetti mit Muscheln bestellt?

Die Spaghetti mit zitternden Händen zu essen, war eine Herausforderung. Wie sollte sie sie nur auf die Gabel bekommen?

Sie bemerkte Alex’ Grinsen, als sie aufgab und die Nudeln kleinschnitt. Alles war besser, als weitere Spaghetti von ihrem Schoß aufzulesen.

„Warum sind Sie nach dem Studium nach Bridle zurückgekommen?“, wollte Alex wissen, nachdem der Kellner die Teller abgeräumt hatte. „Ich dachte, Sie hätten möglichst weit weg gewollt.“ Kaum waren die Worte ausgesprochen, zuckte er zusammen. „Entschuldigung, das hätte ich nicht sagen sollen.“

„Sie reden von meinem Vater“, entgegnete Hannah. „Ich dachte, dass er mich braucht. Er hat spät geheiratet, und als ich geboren wurde, war er fast vierzig. Außerdem arbeite ich gern mit Pferden, und hier gibt es viele Gestüte. Allein Ihres hält uns auf Trab.“

„Das stimmt“, bestätigte Alex. „Als ich heute vor der Praxis stand, fiel mir auf, dass es für Sie sicher nicht leicht war, ohne Mutter aufzuwachsen.“

„Und mit meinem Vater“, entgegnete Hannah und fühlte sich unloyal. Alex brachte sie dazu, ihm die Wahrheit zu sagen.

„Er ist sehr … direkt.“

„Unverblümt“, übersetzte Hannah.

„Vielleicht etwas streng.“

„Stur“, verbesserte Hannah.

Alex grinste. „Rechthaberisch?“

„Wenn Sie meinen“, entgegnete sie und war überrascht, als Alex lachte. Was tat sie? Sie hatte Spaß mit ihm.

„Möchten Sie den ersten Preis gewinnen?“, hörte sie sich fragen. „Nummer eins der Top Ten von Hugos negativen Eigenschaften ist …?“

Ohne zu lächeln stützte Alex das Kinn auf die Hände und schaute sie an.

Zitternd wartete sie ab und wünschte, sie hätte den Mund gehalten.

„Er weiß nicht zu schätzen, was er hat?“, fragte Alex mit leiser Stimme.

Hannah senkte den Kopf und faltete die Hände. „Ich hätte nichts sagen sollen.“

„Falsch, es hätte früher jemandem auffallen müssen“, antwortete er ernst und fügte hinzu. „Ich hätte es merken müssen. Das Leben mit Hugo war nicht gerade einfach, oder?“

Er nahm ihre Hände. „Ich bin froh, dass du nach Hause gekommen bist, Hannah. Es ist schön, dass wir heute Abend als Erwachsene zusammen sind. Von früher ist ja einiges gutzumachen.“

Hannah hatte nichts dagegen, dass er das förmliche Sie nicht mehr benutzte.

„Gutmachen?“ Hannah hatte einen so trockenen Mund, dass sie kaum sprechen konnte. „Ich verstehe nicht.“

„Ich eigentlich auch nicht“, meinte Alex und ließ ihre Hände los. „Du sollst nicht glauben, dass ich für alte Sünden büßen will. Aber ich erinnere mich, dass du früher einmal in der Woche zur Desert Rose kamst und wir dich häufig geärgert haben.“

„So schlimm war es auch nicht. Vielleicht nur, als Mac mich in den Wassertrog schubste, weil er meinte, ich könnte eine Abkühlung gebrauchen. Er machte einfach Spaß, und ich war damals zwischen zehn und zwölf Jahren alt. Zuerst dachte ich auch, es sei Spaß, bis alle auf mich zeigten und lachten.“

„Wo war dein Vater?“

„Er war dabei“, berichtete Hannah, als ihr einfiel, dass ihr Vater mit den Jungen gelacht hatte, bis sie aufstand, und jeder sehen konnte, dass ihr T-Shirt fast transparent war. Da hatte er sie beim Ellenbogen gepackt und sie auf dem Weg nach Hause belehrt, dass echte Ladys nicht jedem ihre Ware wie gewöhnliche Huren zeigten.

Vielleicht war sie auch schon fast dreizehn gewesen. Am nächsten Morgen fand sie einen BH auf dem Bett. Sie hatte ihn angeschaut und stundenlang geweint, weil sie wünschte, dass ihre Mutter nach Hause käme, und ihr sagte, was sie damit anfangen sollte.

Etwas später sehnte sie sich wieder nach ihrer Mutter, damit die ihr erklären konnte, warum sie blutete und sich so schlecht fühlte. Dass sie ihren Vater nicht fragen konnte, war klar. Sie hatte in einem Buch nachgeschlagen, um zu erfahren, was es bedeutete, heiß zu sein. Bis zum Biologieunterricht in der zehnten Klasse war sie tatsächlich davon ausgegangen, dass jeder Junge wie ein Hengst hinter ihr her sein würde, wenn sie heiß war.

Ihre Kindheit hatte sie in Angst verbracht, und immer wurde ihr gesagt, dass sie wertlos und gewöhnlich wie ihre Mutter sei.

„Hannah, woran denkst du? Du siehst so merkwürdig aus.“

„Hm?“, meinte sie und bemerkte, dass sie Alex ignoriert hatte. „Es tut mir leid“, sagte sie, griff nach ihrem Wasserglas und warf es um.

„Was habe ich jetzt schon wieder getan?“

Alex betupfte die nasse Stelle ruhig mit seiner Serviette und antwortete: „Es ist schon gut, Hannah. Schau …“, sagte er und warf sein Glas um. „Wir könnten ein neues Ritual einführen. Die Tischdecke waschen, während sie noch auf dem Tisch liegt.“

Mit weit geöffneten Augen starrte Hannah ihn an. „Das ist doch albern.“

„Ja“, stimmte Alex zu und strahlte sie an. Durch sein Lächeln wurde Hannah bis in ihr Innerstes erwärmt.

Alex lachte noch lauter, als der Kellner zum Tisch kam. „Wir waschen schon die Tischdecke“, meinte er. „Was halten Sie davon?“

„Nicht viel“, meinte der Kellner streng. „Ich hole Ihre Rechnung.“

„Er ist nicht sehr glücklich“, stellte Hannah fest, als sie den Kellner beobachtete, der sich mit durchgedrücktem Rücken entfernte. „Du musst ihm ein gutes Trinkgeld geben.“

„Ja, ein wirklich großes Trinkgeld. Aber es hat sich gelohnt, dich lachen zu sehen. Das tust du zu selten.“

„Sag das nicht, sonst werde ich wieder nervös, und ich möchte nicht den Tisch umwerfen, wenn ich aufstehe, denn dafür würde das Trinkgeld sicher nicht reichen.“

„Wahrscheinlich ist es schwierig, graziös zu sein, wenn jeder nur auf das nächste Missgeschick wartet. Nach einer Weile glaubt man, dass alle recht haben, und man verliert immer mehr Selbstvertrauen.“

Hannah war glücklich, denn Alex Coleman verstand sie. Zum ersten Mal in ihrem Leben hatte sie das Gefühl, dass jemand sich für sie interessierte und sich fragte, warum sie immer so ungeschickt war. Was würde er wohl sagen, wenn er erfuhr, dass sie die älteste Jungfrau in ganz Texas war?

„Willst du mir wirklich einen Wunsch erfüllen?“

Alex führte sie aus dem Restaurant. „Ja. Warum fragst du? Ist dir etwas eingefallen? Mein Wasserglas umzuwerfen ist wohl nicht ausreichend.“

Wie sollte sie es sagen? Sie konnte nicht glauben, dass sie überhaupt daran dachte.

„Nun“, meinte sie, als sie im Wagen saßen, „es gibt da etwas …“

3. KAPITEL

Das letzte Mal, als Alex die Kontrolle über einen Wagen verloren hatte, war kurz nach seinem sechzehnten Geburtstag, als er der Meinung war, dass Autofahren und Rauchen zu vereinbaren waren. Er hatte den ersten Zug genommen, gehustet, die Zigarette zwischen die Beine geworfen und fast Mrs. Raffertys handbemalten Briefkasten mitgenommen.

Dieses Mal war es ein öffentlicher Briefkasten, der fast dran glauben musste.

„Was möchtest du?!“, fragte er, als er sich erholt hatte und den Wagen so verlangsamte, dass er Hannah anschauen konnte.

Sie saß zusammengesunken auf dem Beifahrersitz. „Du hast mich gefragt“, meinte sie kleinlaut.

„Ja, sicher, aber welche Antwort hast du mir gegeben? Du hättest mich vorwarnen müssen.“

„Ist schon gut“, entgegnete Hannah und setzte sich aufrecht hin. „Vergiss es einfach.“

„Vergessen? Wie könnte ich das vergessen? Du hast gefragt, ob ich dich von deiner … du willst, dass … Verflixt, Hannah. Du kannst doch keine Jungfrau mehr sein. Du bist sechsundzwanzig, siebenundzwanzig?“

„Achtundzwanzig“, klärte sie ihn auf, während die weiße Bluse ihr den Atem nahm. Vielleicht wäre es nicht schlecht, wenn sie in den nächsten fünf Sekunden erstickte. „Ich bin achtundzwanzig und habe bisher nur Küsse erhalten. Das ist peinlich.“

„Wieso? Niemand weiß es außer dir und mir.“ Alex schüttelte den Kopf. „Warum ich?“

„Gute Frage“, murmelte Hannah verlegen. Was war nur in sie gefahren? Nicht mal Wein hatte sie getrunken, der für ihre Dummheit verantwortlich sein könnte. „Du hast mich gefragt, was du tun könntest, und ich hätte gern deine Hilfe.“

Alex parkte den Wagen vor der Praxis. „Du hast mich nicht gebeten, einen Reifen zu wechseln oder dir beim Umzug zu helfen, obwohl du dir das überlegen solltest. Aber dir zu helfen beim …“

„Aus mir eine Frau zu machen, sagte ich“, erinnerte ihn Hannah. Sie konnte es nicht ertragen, wenn er die Worte aussprach.

„Ja, das“, bestätigte Alex. „Ist es dir wirklich so wichtig?“

Hannah nickte. „Ja. Es ist Zeit für mich, erwachsen zu werden, und zwar in jeder Hinsicht. Ich dachte, ich sei es, aber seit ich zurückgekommen bin, stehe ich wieder am Anfang. Unsicher, nicht wissend, wer und was ich bin. Ich falle in alte Verhaltensmuster zurück und fühle mich wie ein Kind. Ein junges, ungeschicktes kleines Mädchen. Ich bin achtundzwanzig, Alex. Ich muss erwachsen werden.“

„Sex zu haben, bedeutet nicht, erwachsen zu sein, Hannah. Frag die Mütter im Teenageralter, wenn du mir nicht glaubst.“

„Du würdest doch aufpassen“, sagte sie und wandte den Blick ab.

„Natürlich würde ich aufpassen. Aber was sage ich da? Nein, Hannah, die Idee ist einfach verrückt.“

„Okay“, sagte sie leise. „Vergiss, dass ich gefragt habe.“

„Du suchst dir jetzt keinen anderen, der dich zur Frau macht? Hannah, antworte mir.“

In der Dunkelheit schaute sie zu ihm. Er konnte und durfte es nicht wissen. Sie würde eher eine alte Jungfer bleiben, ehe sie sich einem anderen als diesem Mann hingab, von dem sie schon immer geträumt hatte. Sie wollte nur dieses eine Mal, bevor sie ihr unerfülltes Leben fortsetzte. Offensichtlich war das zu viel verlangt.

„Hannah, würdest du mir antworten?“

„Gute Nacht, Alex“, verabschiedete sie sich, während sie die Tür öffnete und aus dem Wagen sprang. „Es war ein schöner Abend.“

„Hannah!“, rief er, als sie zum Haus rannte. Dann sank er zurück in den Sitz und schlug mit der Faust auf das Lenkrad. „Verdammt, was soll ich tun?“

Der Thronsaal im Palast von Sorajhee, der in der Hauptstadt Jeved lag, war ein sehr schöner Raum mit Blick auf den Persischen Golf.

Von dem mit Edelsteinen besetzten Thron aus hatte die Familie Jeved schon seit Generationen geherrscht.

„Wirst du reden, mein Freund, oder weiter posieren und mich mit deiner Macht beeindrucken, die nicht größer als meine ist?“ König Zakariyya Al Farid drehte sich von Azzam weg und ging zu dem vergoldeten Stuhl, der für ihn bereitgestellt worden war. „Nun, Azzam, können wir wie Männer reden, oder muss ich dich daran erinnern, dass ich dein geladener Gast bin?“

„Eher ein Gast, der sich selbst eingeladen hat.“ Azzam erhob sich vom Thron und ließ sich von einem Diener einen Stuhl bringen, um neben Zakariyya zu sitzen.

„Wir werden reden, alter Freund“, meinte er, als weitere Dienstboten kamen und einen kleinen Tisch zwischen sie stellten, auf dem goldene Teller mit Feigen und Datteln lagen, kleine süße Mandelkuchen und eine Kanne mit starkem Tee. „Wir werden darüber reden, was die Nachtigall mir gesungen hat.“

„Wie poetisch. Und was hat die Nachtigall dir berichtet?“

„Gerüchte, dass Farid vorhat, Balahar mit dem Feind von Sorajhee zu vereinigen. Ich würde der Nachtigall die Kehle durchschneiden, wenn es die Wahrheit sein sollte, dass die Allianz zwischen Balahar und Sorajhee nicht mehr besteht.“

„Von welcher Allianz redest du, Azzam? Dieser Traum starb mit deinem Bruder. Das ist doch allgemein bekannt. Vor mehr als fünfzig Jahren haben wir den letzten Vertrag geschlossen“, erklärte Zakariyya und nahm eine Feige.

Er war ein großer Mann mit großem Appetit, aber sein an Erdöl reiches Land war so klein, dass es leicht von anderen eingenommen werden konnte.

König Zakariyya versuchte, einen neutralen Gesichtsausdruck zu bewahren, während er nachdachte. Es gab keine starke Allianz. Warum dieses Treffen? Hatten seine Spione etwa recht? Stimmten die Gerüchte über Königin Layla und die Söhne?

„Du hast erklärt, dass es keine politische Allianz geben würde“, fuhr er fort. „Obwohl du das geheime Abkommen zwischen Ibrahim und mir kennst, dass ein Sohn von Jeved eine meiner Töchter heiraten sollte, um unsere Allianz abzusichern. Jetzt sind die Söhne Ibrahims und die Eltern schon lange tot. Lass andere in dem Glauben, dass sie noch leben, nicht mich. Du hast nur Töchter.“

Azzam schloss die Augen. Er wollte Zakariyyas Anspielung überhören, dass die Söhne von Ibrahim einen Märtyrertod erlitten hatten. Zakariyya hatte seine Männlichkeit beleidigt, aber er selbst hatte gar keine Kinder. Was war schlimmer? Azzams drei Töchter, oder die Tatsache, dass Zakariyya in seinem Harem nicht ein einziges Kind gezeugt hatte. Er hatte einen Sohn und eine Tochter adoptiert.

Azzams Bruder hatte drei Söhne gezeugt, und Rose hätte wahrscheinlich noch weitere Söhne geboren, die Azzam immer weiter vom Thron entfernt hätten.

„Wie geht es deinem Sohn, Zakariyya?“, wollte Azzam wissen, da er die Aufmerksamkeit von sich und seinen Töchtern ablenken wollte. Ebenso von der zerbrochenen Verbindung zwischen Sorajhee und Balahar.

„Sharif geht es wie immer gut. Er ist eigensinnig, aber ein guter und loyaler Sohn“, erwiderte Zakariyya. „Wir sind Layla sehr dankbar, dass sie ihn uns als Neugeborenen gebracht hat. Mein Volk liebt und akzeptiert ihn, und Balahar wird stark durch Sharif.“

„Meine Frau wollte den Kummer deiner Frau über ihre Totgeburt lindern, und das Findelkind brauchte ein Heim. Ich freue mich, dass Layla so großzügig war, und dass deine Frau Nadirah durch ihren Adoptivsohn viel Freude erfahren hat. Du hattest zweimal Glück durch das Unglück anderer, da deine Tochter zu dir kam, weil ihre amerikanischen Eltern umgekommen sind. Sie ist jetzt eine erwachsene Frau, wie geht es ihr?“

„Serena ist mehr Araberin, als die, in deren Adern arabisches Blut fließt. Sie ist unser ganzer Stolz. Sie wäre eine wunderbare Prinzessin von Sorajhee geworden. Aber das ist leider unmöglich.“

Azzam führte eine Hand zum Mund und kaute an seinem Knöchel, da jetzt der Augenblick gekommen war, an dem er Zakariyya berichten musste, was er wusste. „Mein Freund, vielleicht ist es doch nicht unmöglich, dass unsere Länder verbunden werden.“

Zakariyya hob die Hände. „Obwohl ich es noch nicht öffentlich verkündet habe, habe ich schon Gespräche mit …“

„Nicht diese neue politische Allianz, die du in Betracht ziehst. Diese Allianzen stehen nur auf dem Papier. Ich spreche von dem Versprechen zwischen dir und meinem Bruder. Du hattest recht, als du bezweifeltest, dass Rose und ihre Söhne in Sorajhee verborgen leben, aber ich habe sie nicht töten lassen.“

„Wirklich?“ Zakariyya wartete scheinbar geduldig ab. Nur weil er hoffte, dass er heute mit Azzam reden konnte, hatte er verbreiten lassen, dass er in Verhandlungen mit einem Nachbarland stand.

„Verrat wurde verübt, aber nicht von mir. Ich hielt alle für tot, und ich schäme mich dafür, dass ich so leichtgläubig war. Ibrahims amerikanische Frau und seine Kinder könnten noch am Leben sein“, verkündete Azzam und rief nach seinem Berater Abdul-Rahim. „Sag es ihm“, befahl er, „und erspare mir nichts.“

„Sire“, begann Abdul-Rahim, während er sich verbeugte. „Was ich zu sagen habe, ist sehr schmerzvoll.“

Zakariyya brachte den Berater mit einem Handzeichen zum Schweigen. Er würde niemals zugeben, dass er Spione in Azzams Palast eingeschmuggelt hatte, aber er sah keinen Grund, Azzams Erniedrigung noch zu vertiefen. „Ist es wahr? Die schöne Rose und ihre Söhne leben?“

Gespannt saß er auf seinem Stuhl und spielte jetzt nicht mehr den Unbeteiligten.

Abdul-Rahim verbeugte sich wieder und räusperte sich. „Wir sind nicht sicher, Eure Hoheit.“

„Ja? Rede deutlich, du hast die Erlaubnis.“

Der Berater faltete die Hände. „Ihre Hoheit, Königin Layla ist sehr unbeständig geworden. Erregt. Und sie hat einiges im Harem erzählt …“

„Layla verliert den Verstand“, sagte Azzam abrupt, und der Berater zog sich zurück. „Meine Frau wird verrückt, Zakariyya, und sie behauptet Dinge, die mich fast wahnsinnig machen.“

Zakariyya nahm eine weitere Feige und bemühte sich, Azzam nicht anzuschauen. Er wollte den Stolz dieses Mannes respektieren. „Ich verstehe, wenn du nicht fortfahren willst.“

„Ich muss weiterreden. Layla ist beunruhigt, und ihre Worte bilden zusammengefügt eine Geschichte von Verrat und sogar Mord. Allah möge mir verzeihen, aber ich befürchte, dass Layla das Attentat gegen meinen Bruder befohlen hat.“

Zakariyya wischte sich die Finger an einer feuchten Leinenserviette ab. Das hatte er nicht vermutet. „Du magst mir verzeihen, aber diese Information ändert nichts an dem Mord. Ich habe immer gedacht, dass du Ibrahims Tod befohlen hast. Der Mann, der für das Verbrechen enthauptet wurde, war nur das Werkzeug, aber der Plan stammte nicht von ihm.“

„Ich würde nie …“ Azzam sank auf seinem Stuhl zusammen. Jetzt war er der Bruder und nicht mehr der König. „Nein, ich will nicht lügen. Es ist höchste Zeit für die Wahrheit. Ich habe die Demonstration gegen Ibrahim organisiert. Er sollte erkennen, dass das Volk gegen eine weitere politische Allianz mit Balahar war. Außerdem wollte ich eure geheime Absprache aufhalten, wodurch Ibrahims Sohn an deine noch nicht geborene Tochter gebunden wäre. Ich machte kein Geheimnis aus der Tatsache, dass ich und nicht Ibrahims Sohn der Thronfolger sein sollte. Ich brauchte das Volk auf meiner Seite. Wir Jeveds regieren mit der Zustimmung des Volkes und ich hoffte, dass Ibrahim erfuhr, was das Volk wünschte.“

Zakariyya entspannte sich langsam. Über politischen Verrat zu reden, fiel ihm leichter, als über Azzams Frau zu sprechen. „Du glaubtest zu wissen, was das Volk wollte“, wies Zakariyya ihn zurecht. „Wir wissen, dass unser Volk in erster Linie Frieden will. Eine starke politische Allianz unserer beiden Länder durch eine Heirat zwischen unseren Familien hätte dazu beigetragen. Jetzt wird der Friede immer instabiler. Deshalb bin ich hier, Azzam, denn wir brauchen uns gegenseitig. Ich möchte mich eher mit Sorajhee verbinden als mit einem anderen Land. Wir sollten gemeinsam überlegen, was zu tun ist.“

„Danke, mein Freund“, erwiderte Azzam. „Abdul-Rahim hat Laylas Worte mit den Aussagen der Dienerinnen kombiniert und herausgefunden, dass Rose wahrscheinlich noch lebt.“

„Wo ist sie?“

Azzam schaute Zakariyya an. „Rose versuchte mich zu töten, alter Freund. Einen Monat nach Ibrahims Tod war sie mit einem Messer in der Hand in meinen Gemächern. Vor Kummer hatte sie wohl den Verstand verloren.“

„Sie dachte, du hättest ihren Mann ermordet, und sie glaubte, dass du ihre Söhne ebenfalls töten wolltest. Warst du verletzt?“

„Nur in meinem Herzen“, entgegnete Azzam. „Ich will nicht leugnen, dass ich den Thron wollte, aber ich hätte nie meinen Bruder oder meine Neffen getötet, um ihn zu bekommen.“

„Layla?“

„Ja, Allah möge uns vergeben, ja. Wenn ich ihren wirren Worten Glauben schenken kann, dann tat sie so, als sei sie Roses Freundin und Retterin und half ihr mit den Söhnen aus dem Land zu fliehen. Dann sollte sie mich als Ibrahims Mörder bloßstellen und den Thron für ihre Söhne zurückgewinnen. Wahrscheinlich gab Layla Rose das Messer und half ihr, an den Wachen vorbei in mein Schlafzimmer zu kommen. Ich war wie blind.“

„Du hast Königin Rose nicht verurteilen oder hinrichten lassen. Du sagtest nur, dass sie und ihre Söhne sich zurückgezogen hätten. Was hast du wirklich getan?“

„Ich habe regiert, Zakariyya. Ich versuchte, mein trauerndes, erschüttertes Land so gut, wie ich konnte, zu regieren. Weil ich so beschäftigt war, ließ ich zu, dass Layla mich überredete, Rose in ein Sanatorium für Geisteskranke zu schicken. Als sie sagte, dass die Söhne bei einem Onkel in Amerika seien und später bei einem Bootsunfall ums Leben kamen, glaubte ich ihr. All die Jahre habe ich Layla geglaubt, aber ich weiß heute, dass sie gelogen hat. Ich habe keine Ahnung, was mit Rose geschehen ist, aber die Söhne leben irgendwo in Amerika. Layla läuft nachts durch den Harem und schlägt sich, weil sie die Söhne nicht hat töten lassen.“

Die Söhne lebten. Seine Spione hatten die Wahrheit erfahren. Das war fast mehr, als er zu erfahren gehofft hatte. Innerlich jubelnd, hielt Zakariyya seinen Gesichtsausdruck neutral. „Jetzt denkst du über das Schicksal der Jungen nach. Wo ist dieser Onkel?“

„In Texas“, erwiderte Azzam ruhig. „Randy Coleman besitzt dort die Ranch The Desert Rose. Ein Gestüt für Araberpferde.“ Er sah Zakariyya an. „Der beste Zuchthengst heißt Jabbar.“

„Ibrahims Lieblingspferd“, flüsterte Zakariyya. „Ich erinnere mich. Und die Söhne? Leben sie dort?“

Azzam nickte. „Abdul-Rahim ist überzeugt, dass die drei Söhne von Coleman in Wirklichkeit Ibrahims Söhne sind. Erwachsene Männer, und einer von ihnen ist einer Tochter von Balahar versprochen. Deiner Tochter Serena, Zakariyya.“

Einen Moment lang schwieg Zakariyya. „Wirst du dich mit diesem Coleman in Verbindung setzen?“, fragte er schließlich. „Ibrahims Witwe ist seine Schwester.“

Azzam nickte. „Alles wird zu seiner Zeit geschehen. Ich möchte ihm mehr sagen können, als dass seine Schwester in Europa in einer Anstalt lebt. Es ist meine Pflicht, sie zu finden, und ich hoffe, dass sie gesünder ist als meine arme Layla, die nun das Schicksal erleidet, das sie der armen Rose gewünscht hat.“

„Wenn Colemans Söhne wirklich die Erben von Ibrahim und die Thronfolger von Sorajhee sind, was geschieht dann?“

„Es wird das geschehen, was das Volk wünscht, so wie es immer schon in Sorajhee der Fall war. Das verspreche ich dir, Zakariyya. Wenn das Volk es möchte, trete ich zurück. Es hat schon zu viel Kummer gegeben.“

Am frühen Morgen schaute Alex noch einmal nach Khalahari und dem Fohlen Khalid, das er bewunderte.

Nachdem es getrunken hatte, blickte das Fohlen Alex genau an. Das kleine Tier hob stolz den Kopf und drehte sich dann um, weil es von einem Menschen gestört worden war.

„Du bist ein Prinz“, sagte Alex grinsend zu ihm. „Du musst lernen, wer hier der Meister ist, Khalid.“

„Morgen, Alex“, begrüßte ihn Mac. „Ich möchte mir den neuen Hengst ansehen, Cade meint, er ist eine Schönheit.“

Die Zwillinge waren jetzt einunddreißig, im gleichen Alter, als ihr Vater von einem Verrückten ermordet wurde. Während Cade sich um die Verwaltung des Gestütes kümmerte, war Mac ein begnadeter Trainer. Er bildete die Pferde aus.

Cade galt als Playboy, aber er war ein hervorragender Geschäftsmann, während Macs Leben sich um die Pferde und The Desert Rose drehte. Besonders jetzt, da er Pech in der Liebe gehabt und den Frauen abgeschworen hatte. Pferden konnte man wenigstens trauen, meinte er.

„Kann ich ihn genauer ansehen?“, fragte Mac und öffnete schon die Tür zur Box. „Alex, er ist wundervoll.“ Mac beugte sich zu Khalid, und das Fohlen ließ seine Aufmerksamkeiten zu. Mac wurde von keinem Pferd der Welt abgelehnt.

Onkel Randy und Tante Vi hatten die Söhne von Ibrahim Bin Habib El Jeved gut erzogen. Obwohl heute alle erwachsen waren, fühlte Alex sich immer noch zuständig für seine Brüder und Vis Tochter Jessica. Manchmal glaubte er, er sei für die ganze Welt verantwortlich.

Nun dachte er wieder an Hannah Clark und ihren verrückten Wunsch.

Niemals hatte er sie als Person betrachtet, als Kind ohne Mutter wie er selbst, das nicht einmal die Liebe einer Tante Vi erfahren hatte. Natürlich brauchte ein Junge seine Mutter, aber ein Mädchen ohne Mutter mit einem sarkastischen, dickköpfigen und bitteren Vater wie Hugo Clark brauchte erst recht eine.

In all den Jahren, wenn sie mit ihrem Vater herkam, hatte er ihr nie geholfen.

Jetzt hatte sie ihm einen Gefallen getan und erbat einen v...

Autor

Kasey Michaels
Als Kasey Michaels ihren ersten Roman geschrieben hatte, ahnte sie noch nicht, dass sie einmal New York Times Bestseller-Autorin werden würde. Und es hätte sie auch nicht interessiert, denn damals befand sie sich in der schwierigsten Phase ihres Lebens: Ihr geliebter achtjähriger Sohn benötigte dringend eine Nieren-Transplantation. Monatelang wachte sie...
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