Julia Best of Band 278

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EINE LIEBE AUF SIZILIEN

Seit einem schweren Schicksalsschlag hat Geschäftsmann Lorenzo Lombardi nur flüchtige Affären. Keine Frau kann sein Herz erobern. Bis die bezaubernde Laura in sein Leben tritt. Unter der Sonne Siziliens kommen sie sich bald näher – aber ist er wirklich bereit für die Liebe?

WENN DAS MEER VON DIR ERZÄHLT

Der attraktive Fremde will ihr wirklich helfen, das „Casa Lizzy“ zu renovieren? Hope kann ihr Glück nicht fassen. Erstens steht sie jetzt mit dem Hotel, das sie auf Teneriffa geerbt hat, nicht mehr alleine da, zweitens ist Mateo der Mann ihrer Träume. Aber darf sie ihm vertrauen?

IN DEN ARMEN DES FEURIGEN ITALIENERS

Auf Sebastiano Vannuccis Weingut im Herzen der Toskana lernt Caroline alles über den Geschmack von gutem Wein. Doch sein Herz will der feurige Italiener ihr nicht öffnen. Dabei sehnt Caroline sich schon bald nach seinen zärtlichen Küssen …


  • Erscheinungstag 11.05.2024
  • Bandnummer 278
  • ISBN / Artikelnummer 0812240278
  • Seitenanzahl 384

Leseprobe

Nancy Callahan

JULIA BEST OF BAND 278

1. KAPITEL

„Wenn Sie sich bitte anschnallen möchten, in wenigen Minuten erreichen wir Catania.“

Die Stewardess lächelte freundlich und blieb so lange stehen, bis sie sicher war, dass Laura der Aufforderung auch wirklich Folge leistete.

Ein Blick aus dem Fenster bestätigte die Aussage der Stewardess. Sie hatten das Meer hinter sich gelassen und wieder Land unter sich. Durch die Wolken hindurch entdeckte Laura weit unten Häuser und Straßen. Ihre Nervosität, die sich während des Flugs ein wenig gelegt hatte, kribbelte jetzt wieder mit aller Macht. Laura strich zum wiederholten Mal über ihre Haare und legte dann beide Hände auf ihren Bauch, um sich ein wenig zu beruhigen.

Jetzt war es also so weit. Ihr neues Leben begann.

Dieser Schritt war ihr nicht leichtgefallen, doch nachdem sie sich einmal dazu entschlossen hatte, hoffte sie inständig, in ihrer künftigen Heimat die Lebensfreude wiederzufinden, die sie in London verloren hatte. Wobei verloren der falsche Ausdruck war. Man hatte ihr ihre Freude gestohlen, ihr das Lachen aus der Seele gerissen, und es tat noch genau so weh wie in dem Moment, als sie der Wahrheit gegenübergestanden hatte. Von wegen die Zeit heilt alle Wunden. Für Laura waren die letzten Monate grauenvoll gewesen. Tag für Tag hatte sie sich weitergeschleppt und darauf gewartet, dass der Schmerz endlich nachließ, dass es leichter werden würde. Doch es hatte sich nichts geändert. Sie war gefesselt in ihrem Elend, es gab kein Entkommen. Jedenfalls nicht, wenn sie nichts an den äußeren Umständen änderte – das war ihr nach einer weiteren durchweinten Nacht klar geworden. Sie musste weg, sie musste irgendwo neu anfangen, wo nicht alles sie an Tom erinnerte!

Tom. Sie konnte den Namen nicht einmal denken, ohne dass ihr vor Wut schlecht wurde. Aber immerhin: Wut. Und nicht die hilflose Verzweiflung wie noch vor Kurzem. Vielleicht wirkte der Neubeginn ja bereits? Der Gedanke ließ einen Funken Zuversicht in Laura aufglimmen, zart und beinahe noch unwirklich, aber definitiv mit Potenzial.

Laura hatte großes Glück gehabt, ausgerechnet in der Heimat ihrer Mutter einen neuen Job zu finden – mit dem sie sogar das große Los gezogen hatte; ein fairer Ausgleich für das Unglück der letzten Monate. Schon als Kind hatte sie von so einem Arbeitsplatz geträumt, und nun freute sie sich sehr darauf, nach Herzenslust in alten Büchern stöbern und ihnen ihre ganze Liebe und Aufmerksamkeit schenken zu dürfen. Bücher waren so viel besser, treuer und ehrlicher als Männer – diese Leidenschaft würde ihr gewiss keinen Kummer bereiten.

Ihr künftiger Boss, Signor Lombardi, war Kunstkenner und Buchliebhaber. Er kaufte oft ganze Bibliotheksbestände aus Erbmassen auf, zumindest hatte das in der Stellenbeschreibung gestanden. Von nun an war es Lauras Aufgabe, die frisch erworbenen Bücher zu sichten, zu ordnen, zu erfassen und die Leihgaben an Museen und Ausstellungen zu koordinieren. Wer weiß, vielleicht würde sie sogar auf einen Schatz stoßen? Womöglich steckte in einer der nachgelassenen Sammlungen ja ein Sensationsfund? Bei dieser Vorstellung spürte Laura ein Kribbeln im Bauch. Sie konnte es kaum erwarten, endlich mit ihrer Arbeit zu beginnen.

Außerdem war sie schon sehr gespannt auf ihren neuen Chef. Was er wohl für ein Mensch war? Signor Lombardis Familie gehörte zu den reichsten Familien Siziliens. In seiner Villa in der Nähe von Taormina unterhielt er eine große private Bibliothek und eine international anerkannte Kunstsammlung. Seit Laura die Stellenausschreibung bei der Vermittlungsagentur entdeckt hatte, malte sie sich die künftige Zusammenarbeit in den lebhaftesten Farben aus. Sie träumte von Gesprächen über Literatur und Kunst. In ihrer Fantasie saß sie mit Signor Lombardi in der Bibliothek und diskutierte über ihre Arbeit. Sie stellte sich ihren neuen Chef als netten, distinguierten älteren Herrn mit erlesenem Geschmack vor, der ein bisschen aussah wie ihr Großvater. Fast hatte sie das Gefühl, ihn schon zu kennen.

Sie würde ihm mit Rat und Tat zur Seite stehen, gemeinsam würden sie entscheiden, welche Werke in die Bibliothek aufgenommen werden sollten, welche als Stiftungen für öffentliche Institutionen in Frage kämen und welche als Leihgaben für Ausstellungen interessant sein könnten.

Während Laura über das Leben, das sie zurückließ, und über das Leben, das vor ihr lag, nachdachte, landete das Flugzeug. Die Räder setzten sanft auf, und die große Maschine kam zum Stehen. Gleich darauf brach um Laura herum die übliche Ankunftshektik aus. Die Passagiere suchten ihre Utensilien zusammen, die ersten standen schon im Gang und machten sich an den Gepäckablagen zu schaffen. Sonne, Strand und Meer lockten, die Leute konnten es kaum erwarten und zeigten keine Spur von entspannter Urlaubsgelassenheit. Doch Laura ließ sich von der allgemeinen Umtriebigkeit nicht anstecken. Sie blieb ruhig sitzen und wartete ab, bis die ungeduldigen Touristen sich in ihrer aufgeregten Vorfreude nach draußen gedrängelt hatten. Sizilien würde ihr nicht davonlaufen, sie war gekommen, um zu bleiben. Sie ging als eine der Letzten von Bord, denn sie wollte diesen Augenblick, diesen ersten Schritt in ihre neue Heimat, bewusst auskosten.

Das ist es also, dachte sie, das Land ihrer Vorfahren, in das sie so viel Hoffnung setzte. Hier sollten ihre Wunden endlich heilen. Hier wollte sie neue Wurzeln bilden und nach Monaten voller Kummer wieder anfangen zu leben.

Nachdem sie ihren Koffer vom Gepäckband gewuchtet hatte, blickte Laura sich um. Die meisten Reisenden strebten bereits dem Ausgang zu oder umarmten ihre Abholer. Überall wurde geherzt, geküsst und wort- und gestenreich kommuniziert. Ein einzelner Mann lehnte lässig an einem Pfeiler, beobachtete die ankommenden Passagiere und schien auf etwas zu warten. Konnte das der Fahrer sein?

Lauras Herz schlug ein paar Takte schneller. Sie wusste, dass sie abgeholt werden würde, aber sie hatte nicht damit gerechnet, dass ihr Chauffeur ein so unglaublich attraktiver Mann sein würde. Sie schätzte ihn auf Mitte dreißig. Schwarze lockige Haare, gerade so lang, dass eine Locke ihm frech in die Stirn fiel. Sofort verspürte Laura den Impuls, sie ihm aus dem Gesicht zu streichen. Die obersten Knöpfe seines legeren Hemds waren geöffnet, und Laura konnte gar nicht anders, als die ausgeprägte Brustmuskulatur zu bewundern. Die Jeans saß so perfekt auf den schmalen Hüften, dass ihr der Atem stockte.

Dieser Mann hatte eine geradezu magische Ausstrahlung, der sie sich nur mit Mühe entziehen konnte. Sie brauchte einen Moment, um ihre Reaktion unter Kontrolle zu bringen und sich in Erinnerung zu rufen, dass ihr Interesse an Männern ein für alle Mal erloschen war. Männer konnten ihr gestohlen bleiben! Nach der Erfahrung mit Tom war ihr Bedarf auf Lebenszeit gedeckt. Dennoch konnte sie kaum den Blick von dem gut aussehenden Typen abwenden. Er hatte etwas unglaublich Intensives an sich, das sie unwiderstehlich in seinen Bann zog. Unwillkürlich glitt ihr Blick über seinen Mund, und sie stellte sich vor, wie es wohl wäre, diese Lippen zu küssen.

Sie schüttelte über sich selbst den Kopf. Wie es schien, tat ihr die Fliegerei nicht gut, jedenfalls fand sie auf die Schnelle keinen anderen Grund für die Abwege ihrer Fantasie.

Wahrscheinlich war das Ganze ohnehin ein Irrtum. Sie glaubte nicht wirklich, dass dieser Mann der Chauffeur war. Vermutlich war er ein Model, das würde besser zu ihm passen. Mit diesem Körper und dieser Ausstrahlung hatte er beste Voraussetzungen für die Wahl zum Sexiest Man Alive.

Vorsichtshalber ließ sie ihren Blick noch einmal suchend durch die Ankunftshalle schweifen, aber nein, sonst stand niemand mehr wartend herum. Auch wenn es ihr total abwegig erschien – es blieb ihr nichts anderes übrig, als ihn anzusprechen. Er würde ihr ja wohl kaum den Kopf abreißen. Entschlossen schluckte Laura ihre Aufregung hinunter und ging auf den Mann zu.

„Entschuldigen Sie, kann es sein, dass Sie auf mich warten? Ich bin Laura Thompson und soll abgeholt werden.“ Sie lachte unsicher und ärgerte sich prompt über sich selbst. Ihr Benehmen war absolut albern, als wäre sie ein Teenager und keine erwachsene Frau. Erstens war dieser Mann – wenn überhaupt – lediglich der Chauffeur, und zweitens hatte sie den Kerlen und der Liebe nach dem Tom-Desaster endgültig abgeschworen. Alles, was sie interessierte, waren ein ruhiges neues Leben und ihre Arbeit. Ihr Bedarf an amourösen Abenteuern war auf Lebenszeit gedeckt. Dass ihr Puls dennoch anfing zu rasen, als der Blick aus den unergründlichen dunkelbraunen Augen sie traf, ärgerte sie noch mehr. Ihr Ärger erreichte den Höhepunkt, als der Mann die Augenbrauen zusammenzog, während er Laura geradezu unverschämt musterte. Ganz offensichtlich war er nicht sonderlich angetan von ihr, was ihr natürlich vollkommen egal sein konnte, denn sie wollte ja nichts von ihm. Es sei denn, er war tatsächlich der Fahrer, dann wollte sie von ihm zur Villa gebracht werden. Nicht mehr und nicht weniger.

Es konnte ihr also gleichgültig sein, ob er sie mochte oder nicht. Betonung auf konnte. War es aber nicht. Im Gegenteil. Sein Gebaren fuchste sie mächtig. Mit welchem Recht unterzog dieser Mann sie einer derartigen Musterung? Er hätte wenigstens so höflich sein können, ihr seine Geringschätzung nicht ganz so offen zu zeigen. Vor allem, da sie ihn alles andere als schrecklich fand.

Diese Person sollte Laura Thompson sein, die Bibliothekarin? Enzo konnte es kaum glauben. Nachdenklich rieb er sich das Kinn und überlegte, ob das ein Scherz war. Vielleicht lauerte ja irgendwo eine versteckte Kamera? Man hatte schon mehrfach versucht, ihn in eine TV-Sendung zu locken. Womöglich nahmen die Fernsehleute ja nun – nachdem er immer wieder abgelehnt hatte – eine Hintertür? Nein. Er verwarf den Gedanken wieder. Kein Mensch wusste, dass er heute hier stehen und auf seine Angestellte warten würde. Und dennoch: Irgendetwas stimmte nicht.

Er hatte sich extra das Bild auf der Bewerbung noch einmal angesehen, damit er wusste, wen er abholen sollte. Doch die Frau, die jetzt vor ihm stand, hatte nichts mit der Frau auf dem Foto gemein. Und das lag nicht nur daran, dass sie statt der langen schwarzen Haare einen frechen blonden Kurzhaarschnitt trug. Es war das Gesamtbild, das ihn irritierte. Er sah keine Spur von der Seriosität, die er erwartet hatte. Diese Frau wirkte wie eine Globetrotterin, bereit, die Welt zu erkunden und Abenteuer zu erleben. So, wie sie ihn mit ihren ozeanblauen Augen anblickte, die Funken zu sprühen schienen, konnte er sie sich kaum zwischen den alten verstaubten Büchern vorstellen, die im Hinterzimmer der Bibliothek darauf warteten, gesichtet und erfasst zu werden. Ob sie überhaupt eine Ahnung hatte, was sie erwartete? Vermutlich machte sie sich eine komplett falsche Vorstellung von dem Job. Die auf Auktionen und bei sonstigen Gelegenheiten erstandenen diversen Bestände würden ihr alles abverlangen, so viel war sicher. Das war keine Aufgabe, die man mal eben zwischen Strand und Abendcocktail erledigen konnte.

Und auch sonst passte sie nicht in die Villa und das Umfeld. Was hatte sich die Agentur nur gedacht, so jemanden zu schicken? Dabei waren die Anforderungen doch mehr als klar formuliert gewesen. Enzo überlegte, ob er die Frau überhaupt mit nach Hause nehmen oder sie besser direkt wieder zurückschicken sollte.

Während er das Für und Wider abwägte, musterte er die Frau aufmerksam. Sie war nicht sehr groß, aber ihr Körper war unverkennbar durchtrainiert, mit sehr sinnlichen Kurven. Sie wirkte entschlossen, trotz der Unsicherheit, die sich jetzt gerade auf ihrem Gesicht abzeichnete. Ein starker Charakter, das erkannte er sofort.

Obwohl Laura Thompson überhaupt nicht seinem bevorzugten Typ entsprach, konnte Enzo nicht anders, als ihre fantastische Figur und die sanft geschwungenen Lippen zu bewundern. Ob sie sich so gut anfühlte, wie sie aussah? Er verspürte auf einmal große Lust, es auszuprobieren, gleichzeitig war ihm nur allzu bewusst, dass das keine gute Idee wäre. Schließlich war die Frau seine Angestellte und kein Flirt.

Enzo räusperte sich und schob unwillig die alles andere als jugendfreien Bilder weg, die plötzlich vor seinem geistigen Auge erschienen. Was hatte diese Person bloß an sich, dass er so untypisch reagierte? Verflixt. Er ahnte jetzt schon, dass sie nur Unruhe in die Villa bringen würde. Sie würde allen Männern den Kopf verdrehen.

Aber für ihn war sie tabu. Wie alle anderen weiblichen Wesen auf dieser Welt. Er glaubte nicht mehr an eine neue Liebe. Gut, er hatte in den letzten zwei Jahren ein paar Affären gehabt, aber nichts, was seine Seele berührt hätte. Und es waren auch nicht wirklich viele gewesen. Zwei, um genau zu sein. Und nach dem Chaos mit Chiara würden ganz bestimmt keine weiteren folgen. Frauen bedeuteten nur Ärger. Dabei hatte er Chiara gegenüber von Anfang an keinen Zweifel daran gelassen, dass es nur um eine Nacht mit ein bisschen gemeinsamem Spaß ging. Und sie hatte beteuert, dass sie diese Einstellung voll und ganz teilte. Nur, um dann in fürchterlichen Tiraden auszubrechen, als ihr klar wurde, dass er nicht Spaghetti sagte und Risotto meinte.

Sie hatte das volle Programm durchgespielt, geschrien, geweint, mit Tellern und sogar mit Besteck nach ihm geworfen. Was war denn bitte so schwer zu verstehen an der Ansage, er wolle keine Frau fürs Leben? Sie waren unmissverständlich übereingekommen, nur ein flüchtiges Abenteuer anzustreben. Allein deshalb hatte er sich überhaupt darauf eingelassen. Zwar hatte er kein Interesse mehr an einer festen Beziehung, aber das hieß noch lange nicht, dass er wissentlich die Gefühle eines anderen Menschen verletzen würde.

Enzo spielte immer mit offenen Karten. Chiara hatte ihn sogar ausgelacht und ihn gefragt, ob sie so aussähe, als sei sie auf der Suche nach einem Ehemann. Und dann das. Er war sie nur losgeworden, indem er ihr ein großzügiges Schmerzensgeld – wie sie es nannte – zahlte. Dieses Luder. Im Nachhinein war Enzo ziemlich sicher, dass sie es von Anfang an genau darauf angelegt hatte.

Lauras Räuspern riss ihn aus seinen unangenehmen Erinnerungen. Er sah ihr in die Augen. Konnte es sein, dass sie sich ihrer verführerischen Ausstrahlung tatsächlich nicht bewusst war und keine Ahnung hatte, wie sie auf Männer wirkte? Wie sie auf ihn wirkte? Nun ja. Er würde dafür sorgen, dass sie es auch nie erfuhr. Enzo war sicher, dass diese Frau auch ohne zusätzliches Liebesgeplänkel für Wirbel sorgen würde.

Was war nur mit diesem Mann los? So abscheulich war sie ja nun wirklich nicht, dass sein Blick sich derart verfinstern musste. Was hatte sie ihm bloß getan? Und überhaupt, was fiel dem Kerl eigentlich ein, ihr sein Missfallen derart deutlich zu demonstrieren? Er sollte sie gefälligst an ihren neuen Arbeitsplatz bringen. Das war sein Job. Sein Chef hatte ihm ja wohl kaum den Auftrag erteilt, sie so unverschämt zu behandeln.

Im nächsten Moment ging ihr ein Licht auf, das alles erklärte. Natürlich! Das Umstyling. Amüsiert fasste sie sich an die Haare und lachte. Kurz vor der Reise hatte sie sich zu einem Typenwechsel entschlossen – sozusagen zu einem radikalen Schnitt. Sie brauchte eine sichtbare Veränderung. Und so hatte sie sich die Haare nicht nur von lang auf sehr kurz stutzen, sondern sie auch noch von schwarz zu blond färben lassen. Wenn schon, denn schon, hatte sie gedacht – und es versäumt, ihren Arbeitgeber über ihr neues Äußeres zu informieren, weil es ihr nicht wichtig erschien. An die Situation beim Abholen hatte sie dabei natürlich nicht gedacht. Kein Wunder also, dass sie den armen Chauffeur so sehr aus dem Konzept brachte. Vermutlich glaubte er, dass sie ihm etwas vorspielte und in Wirklichkeit eine andere war. Und nun versuchte er bestimmt herauszufinden, welcher Art von Betrug er gerade zum Opfer zu fallen drohte. Daher die finstere, ablehnende Miene.

Vielleicht waren seine Befürchtungen gar nicht so weit hergeholt? Immerhin gehörte sein Chef zu den reichsten Männern des Landes. Das Missverständnis tat ihr von Herzen leid. Sie wollte ihn nicht in Bedrängnis bringen. Selbstverständlich machte er nur seine Arbeit und wollte kein Risiko eingehen.

„Frauen brauchen manchmal eine Veränderung“, sagte sie freundlich. „Und ich dachte mir: neues Leben, neue Haare. Nichts für ungut, es tut mir leid, dass ich damit Verwirrung gestiftet habe.“ Entschlossen streckte sie ihm ihre rechte Hand hin. Es war wohl am besten, wenn sie noch mal ganz von vorn anfingen. „Laura Thompson. Äußerlich verändert, aber dennoch genau die Person, auf die Sie offenbar gewartet haben. Freut mich, Sie kennenzulernen.“

Ihr Gegenüber ergriff ihre Hand. Sein Griff war fest, und Laura bekam eine Gänsehaut. Die Berührung elektrisierte sie förmlich. Nach ein paar Sekunden zog er seine Hand zurück. Hatte er es auch gespürt? Seine Miene gab nichts preis. Trotz ihrer Herzlichkeit blieb sein Blick düster. Unglaublich verführerisch, aber düster. Anscheinend hatte er keinen Sinn für Situationskomik. Und kein Gespür für sprühende Funken. Okay. Dann eben nicht. Hauptsache, er erfüllte jetzt endlich seinen Auftrag und brachte sie zur Villa.

Laura gab den Versuch auf, die Situation aufzulockern. Sollte er doch denken, was er wollte. Wenn sie ihm nicht gefiel, bitte schön. Erstens war er nur der Fahrer und nicht ihr Arbeitgeber, und zweitens war sie als Bibliothekarin engagiert worden und nicht als Model. Über ihr Äußeres stand nichts in ihrem Vertrag. Und an ihren Fähigkeiten änderte der neue Haarschnitt ja wohl nichts. Was der Chauffeur von ihr hielt, konnte ihr gleichgültig sein. Wenn etwas zählte, dann die Meinung ihres neuen Chefs – und den würde sie durch ihre Tatkraft und Fachkenntnis überzeugen, daran zweifelte sie keine Sekunde.

Ihr privates Selbstbewusstsein hatte zwar einen gewaltigen Dämpfer erhalten, beruflich aber saß Laura fest im Sattel. „Liebe, was du tust, und du wirst es gut machen“, das hatte eine Lehrerin an der Berufsschule immer wieder betont, und Laura war davon überzeugt, dass sie recht hatte. Sie liebte ihre Arbeit und machte sie dementsprechend gut. Das bewiesen nicht zuletzt die exzellenten Zeugnisse, die sie vorweisen konnte. Von einem schlecht gelaunten Fahrer würde sie sich die Freude auf ihren Neustart jedenfalls nicht trüben lassen.

Diese letzte Reiseetappe würde sie auch noch irgendwie hinter sich bringen. Es wäre nett gewesen, unterwegs fröhlich zu plaudern, aber da ihm offensichtlich eine Laus über die Leber gelaufen war, musste es eben anders gehen. Sie war nicht auf seine Unterhaltung angewiesen, auch wenn sie zugegebenermaßen gern ein bisschen mehr über ihn erfahren hätte, über die Tatsache hinaus, dass er für Signor Lombardi arbeitete. Dieser Mann berührte etwas in ihr. So gesehen war es vielleicht gar nicht so schlecht, dass er nicht mit ihr sprach. Laura spürte, dass er ihr und ihren Vorsätzen gefährlich werden könnte. Unwillkürlich bewunderte sie schon wieder die unter dem geöffneten Kragen hervorblitzenden Muskeln und stellte sich vor, wie es wohl wäre, mit der Hand darüber zu fahren und ihre Kraft unter den Fingerspitzen zu spüren. Ihr Herz schlug ein paar Takte schneller.

Was war bloß in ihn gefahren? Mit ihrer direkten, aufgeschlossenen Art hatte Laura Thompson ihn dermaßen überrumpelt, dass er ihr jetzt bereits minutenlang gegenüberstand und noch immer kaum ein Wort gesagt hatte. Sie musste ihn für einen total ungehobelten Klotz halten. Seine Mutter würde ihm die Ohren langziehen, wenn sie mitkriegte, wie er sich benahm – ganz egal, was sie von der Frau hielt. Und das völlig zu Recht, wie er sich unwillig eingestand.

Signora, mi dispiache. Sie sind zu Recht …“ In diesem Moment fiel unmittelbar neben ihnen mit lautem Getöse ein Kofferturm um. Als das Rumpeln endlich vorbei war, hörte Laura nur noch: „Sagen Sie Enzo zu mir, so nennen mich alle.“ Der Mittelteil des Satzes war untergegangen, dennoch atmete Laura erleichtert durch. Endlich hatte der Fahrer seine Sprache wiedergefunden.

„Entschuldigung, ich habe Sie eben nicht ganz …“, setzte sie an. Doch Enzo hatte bereits ihren Koffer gegriffen und bedeutete ihr, ihm zu folgen. Mit großen Schritten durchquerte er die Halle und steuerte auf einen Jeep zu, der unweit des Flughafenausgangs geparkt war.

„Was für ein wunderbares Wetter“, bemerkte Laura kurz darauf. Enzo lenkte den Wagen durch den dichten Verkehr Catanias. „Sind Sie gebürtiger Sizilianer?“ Plötzlich wurde die eigentlich dreispurige Fahrbahn fünfspurig genutzt, und Laura atmete scharf ein. Ihr wurde etwas mulmig. Spiegel an Spiegel schoben sich die Fahrzeuge über den Asphalt. Ampeln schalteten von Grün auf Rot und wieder auf Grün, ohne dass es eine Auswirkung auf den Verkehrsfluss zu haben schien. Wer konnte, preschte einfach drauflos, ohne sich um irgendwelche Rot- oder Grünphasen zu kümmern. Die Fahrer verständigten sich durch Hupen, und das quasi ununterbrochen. Der Lärm dröhnte in Lauras Ohren, und sie rechnete jeden Moment mit dem metallischen Knirschen von Blech an Blech. Ängstlich klammerte sie sich so fest an dem Haltegriff neben ihrem Sitz fest, dass ihre Knöchel weiß hervortraten. Erst als sie das Stadtgebiet samt seinem Verkehrschaos hinter sich gelassen hatten, lockerte Laura ihre verkrampften Finger. Sie lachte erleichtert auf.

„Puh! Ich bewundere Ihre starken Nerven. Hätte ich fahren müssen, ständen wir jetzt sicher irgendwo am Straßenrand und würden auf das Ende der Rushhour warten. Ich bin wirklich beeindruckt. Kein Wunder, dass Sie Ihr Können zum Beruf gemacht haben.“

Keine Reaktion.

Enzo steuerte den Jeep sicher und sehr konzentriert. Und sehr schweigsam. Wäre sie nicht so neugierig gewesen, hätte sie es vielleicht dabei bewenden lassen. Aber das hier war eine einmalige Chance, mehr über das zu erfahren, was sie erwartete, daher startete sie noch einen Versuch, ihm ein Gespräch aufzuzwingen.

„Wie ist denn Signor Lombardi so? Ist er ein netter Chef?“ Netter als du ganz bestimmt, fügte sie in Gedanken hinzu. Aber das wäre auch nicht weiter schwierig. „Gibt es auch eine Signora Lombardi? Und Bambini?“ Sie schaute ihn an, während sie ihre Fragen abfeuerte. Bei der letzten traten Enzos Kiefernmuskeln noch stärker hervor, als sie es ohnehin schon taten. Eine dunkle Wolke schien ihn zu umwabern und alles abzublocken, was sie sagte.

Am liebsten hätte Laura ihn geknufft, um ihn zum Reden zu bringen. Das konnte doch nicht so schwer sein. Sie wollte ja keine Familiengeheimnisse wissen, nur ein Gefühl dafür bekommen, worauf sie sich eingelassen hatte. Was war an der Frage nach einer Ehefrau oder Kindern denn so verwerflich?

An der Sprache lag es sicher nicht, denn Lauras Italienisch war ausgesprochen gut. Das hatte sie ihrer Mutter zu verdanken, die Laura von klein auf zweisprachig erzogen hatte.

Doch egal, welches Thema sie anschnitt, gleichgültig, ob sie über den Verkehr, das Meer, das Land oder die Menschen sprechen wollte, Enzo antwortete nur mit einem kurzen Si oder No und ansonsten mit verbissenem Schweigen. Ein Gespräch kam nicht in Gang.

Dann eben nicht, dachte Laura irgendwann und gab ihre Versuche auf, die Situation zu entspannen. Stattdessen verlegte sie sich darauf, die Fahrt zu genießen. Es gab so viel zu sehen. Mittlerweile fuhren sie die Küstenstraße entlang, und das Meer lag dunkel glänzend zu ihrer Rechten. Die Wellen tänzelten mit kleinen Schaumkrönchen ans Ufer und liefen dort im Sand aus. Laura freute sich auf ihr erstes Bad. Links von der Straße ragte in einiger Entfernung der Ätna auf. Sie sah rote Lava, die sich wie eine ausgestreckte Zunge den Berg hinunterschlängelte. Eine sehr heiße und durchaus Respekt einflößende Zunge. Wie nah man sich wohl an diesen Lavafluss heranwagen konnte? Auf jeden Fall würde Laura an einem ihrer freien Tage einen Ausflug dorthin machen. Dieses Naturschauspiel musste sie unbedingt so nah wie möglich erleben. Die schroffe Landschaft aus erstarrter Lava begeisterte sie. Was für eine Naturgewalt! Da fühlte man sich als Mensch plötzlich ganz klein.

Obwohl sie versuchte, sich auf die Umgebung zu konzentrieren, wanderten ihre Gedanken immer wieder zu dem Eisklotz, der neben ihr saß und ihr so gar keine Chance gab, ihm näherzukommen. Ob er auch in intimen Momenten so streng und kontrolliert war? Schon wieder geriet ihre Fantasie auf Abwege …

Sie erreichten Taormina. Der malerische kleine Küstenort war in Wirklichkeit ebenso bezaubernd wie auf den bekannten Postkartenbildern. Kein Wunder, dass er sich immer mehr zum Touristenziel entwickelte. Das barg natürlich auch das Risiko, etwas von der Idylle zu verlieren, doch bestimmt gab es noch immer ausreichend Geheimtipps, um selbst hier das ursprüngliche Sizilien selbst in Taormina zu erleben. Vielleicht würde Signor Lombardi ihr mit Insiderwissen weiterhelfen. Enzo brauchte sie gar nicht erst zu fragen. Er würde sicher nicht plötzlich zum sprachgewandten Reiseführer mutieren.

Automatisch wanderte Lauras Blick von der Landschaft zurück zu Enzo, der immer noch voll auf die Straße konzentriert zu sein schien. Ob ihm wohl klar war, wie unglaublich gut er aussah? Vermutlich. Attraktive Männer waren sich ihrer Wirkung doch immer bewusst. Wieder registrierte Laura diese eine Locke, die ihm frech ins Gesicht fiel. Zu gern hätte sie herübergegriffen, um ihm die vorwitzige Strähne aus der Stirn zu streichen. Wie er sich wohl anfühlen mochte? Was hatte er nur an sich, dass sie kaum ihre Hände unter Kontrolle behalten konnte? Sie war nicht auf ein Abenteuer aus. Und auf eine Beziehung erst recht nicht. Aber sein markantes Kinn, diese Lippen … Sie wollte den harten Zug um seinen Mund wegstreicheln und sehen, wie er sich veränderte, wenn er weich wurde.

Nur mit Mühe unterdrückte Laura das Seufzen, das sich aus ihrer Brust lösen wollte. Du bist ein dummes Huhn, rief sie sich in Gedanken zur Ordnung. Dein Herz hat sich noch nicht vom letzten Schlag erholt, du hast die Scherben noch nicht wieder zusammengefügt, und kaum sitzt du neben einem zugegebenermaßen äußerst anziehenden Mann, spielen deine Gefühle verrückt. Aber bei dem Spiel kannst du nur verlieren! Du bist hier, um dir ein neues Leben aufzubauen und um zu arbeiten. Also lass den Quatsch!

Diese Botschaft war ja nun hoffentlich bei ihrem Unterbewusstsein angekommen. Noch deutlicher konnte sie es kaum formulieren. Dieser Mann mochte schön sein. Ausgesprochen attraktiv und über alle Maßen sexy sogar. Aber er ging sie nichts an. Basta.

Entschlossen riss Laura sich von seinem Anblick los und konzentrierte sich wieder auf die Landschaft.

2. KAPITEL

Während er den Jeep über die Küstenstraße lenkte, suchte Enzo seine Rettung in der Konzentration auf den Straßenverkehr. Er musste seine innere Ruhe wiederfinden. Oder es zumindest versuchen, nachdem diese Laura Thompson ihn offenbar total aus dem Gleichgewicht gebracht hatte. So sehr er sich auch darum bemühte, seine auf Abwege geratenen Gedanken wieder einzufangen, sie wollten ihm einfach nicht gehorchen.

Noch immer hatte er die Überraschung vom Flughafen nicht verdaut. Wie kam eine so junge Frau dazu, sich auf den Bibliothekar-Job in der Villa zu bewerben? Auf dem Foto hatte sie viel älter gewirkt, viel … seriöser irgendwie. Jetzt, nach ihrer Typveränderung, wirkte sie überhaupt nicht mehr wie ein Aschenputtel, das sich vor der Welt verkroch. Vielmehr strahlte sie Lebenshunger aus. Und … Liebeshunger? Enzo musste unwillkürlich schlucken. Lauras Sex-Appeal brachte ihn definitiv in Atemnot, obwohl sie eigentlich so gar nicht dem Typ Frau entsprach, zu dem er sich sonst hingezogen fühlte. Wie machte sie das nur? Und wie konnte er es ignorieren? Schließlich hatte er keinerlei Interesse an einem amourösen Abenteuer, schon gar nicht mit seiner neuen Kunst- und Literaturbeauftragten.

Im Augenwinkel sah er, wie Laura immer wieder zu ihm hinschaute. Selbst, wenn er es nicht gesehen hätte, würde er spüren, wie sie ihn einer genauen Musterung unterzog. Ihr wandernder Blick hinterließ eine kribbelnde Spur auf seinem Körper. Wie eine Liebkosung, der er sich nicht entziehen konnte.

Ob ihr gefiel, was sie sah? Trotz aller gegenteiligen Bemühungen kehrten Enzos Gedanken immer wieder auf diese gefährliche Ebene zurück. Die Anziehung zwischen ihnen war von der ersten Sekunde an so stark gewesen, dass es ihm immer schwerer fiel, nur eine neutrale Angestellte in Laura zu sehen.

Diese Augen!

Man konnte in ihren Blick eintauchen wie in einen tiefen Ozean. Unwillkürlich stellte er sich vor, in diesem Meer zu schwimmen, seine Hände über ihre Hüften gleiten zu lassen, ihre weiblichen Rundungen zu erkunden und zu beobachten, wie sie sich unter seinen Liebkosungen wand.

Die ungebührliche Fantasie war so lebhaft, dass seine Finger zuckten und er das Lenkrad noch fester umklammerte, um nicht versehentlich zu ihr rüberzugreifen. Er hatte plötzlich das beinahe unwiderstehliche Verlangen, ihre Haut zu spüren.

Was in aller Welt war nur mit ihm los? So heftig hatte er nicht mehr auf eine Frau reagiert, seit er Ria verloren hatte.

Der Gedanke an seine Frau traf ihn wie ein Keulenhieb. Auch wenn es nun schon zwei Jahre her war, hatte der Schmerz nichts von seiner zerstörerischen Kraft verloren. Es würde nie wieder jemanden wie Ria geben. Und er würde sich nie wieder einem anderen Menschen so weit öffnen und dadurch verletzlich machen.

Schluss!

Er wollte nicht über die Vergangenheit nachdenken. Dann doch lieber die Gegenwart, auch wenn die gerade dabei war, ihm den sonst so besonnenen Kopf zu verdrehen.

Was Laura wohl sagen würde, wenn sie die Wahrheit erfuhr? So wie sie sich verhielt, hatte sie noch immer keine Ahnung, dass er ihr Chef war. Er konnte nicht genau sagen, weshalb er das Missverständnis aufrechthielt. Irgendwie hatte er den Moment verpasst, um die Dinge richtigzustellen. Inzwischen fand er die Situation sogar ganz interessant und, ehrlich gesagt, auch irgendwie amüsant.

Normalerweise hatte er nie die Gelegenheit, seinen Angestellten auf Augenhöhe gegenüberzutreten. Immer gab es da diese unsichtbare, aber dennoch deutlich spürbare Mauer. Mit dem Chef plauderte man eben nicht so locker wie mit dem Chauffeur. Und auch die Begegnungen mit Leuten, die ihm nicht unterstellt waren, fanden stets unter bestimmten Voraussetzungen statt. Jeder, der ihn kontaktierte, ging mit bestimmten Erwartungen in das jeweilige Treffen oder Gespräch. Entweder, die Leute wollten Geschäfte mit ihm machen, waren anderweitig an seinem Geld interessiert oder einfach nur neugierig, wie jemand wie er lebte. Unbefangenheit gab es in seinen Kreisen so gut wie nie. Kein Wunder also, dass Enzo anfing, diese kleine Scharade zu genießen. Was war schon dabei? Die Sonne schien. Das Leben war schön. Und Laura Thompson würde die Wahrheit noch früh genug erfahren. Insgeheim freute er sich schon darauf, ihr Gesicht zu sehen, wenn ihr klar wurde, wer er war. Vermutlich würde sie Feuer spucken. Ob ihre Augen sich dann vom stillen Ozean in eine sturmgepeitschte See verwandeln würden? Bevor er sich bremsen konnte, ergab sich aus seinem Sinnieren die nächste Frage: In welchem Ton ihre Augen wohl schimmerten, wenn sie sich einem Mann hingab? Natürlich würde er es nie wissen, aber es beschäftigte ihn definitiv, was er äußerst irritierend fand. Andererseits konnte er nun mal nichts für seine Gedanken, und sie würde davon sowieso nichts mitbekommen. Wieso sollte er sich also dieses kleine Vergnügen versagen?

Hatte Enzo vormittags noch geflucht, weil Pietro mit einer Sommergrippe das Bett hüten musste und damit seine Pläne für den heutigen Tag über den Haufen geworfen hatte, war er inzwischen direkt dankbar. Dass er spontan den Fahrdienst zum Flughafen in Catania übernehmen musste, entpuppte sich als wunderbare Fügung. Und das nicht nur für ihn selbst und seine angeregte Fantasie. Auch auf Laura Thompsons Zukunft in der Villa konnte diese Laune des Schicksals sich vorteilhaft auswirken. Wäre sie tatsächlich mit Chauffeur angereist, hätte Enzo nichts gegen den zwingenden Lauf der Dinge unternehmen können, aber da er nun selbst am Steuer saß, hatte er während der Fahrt ausreichend Zeit, sich einen Plan zurechtzulegen. Er musste unbedingt dafür sorgen, dass Laura Thompson und seine Mutter sich nicht sofort über den Weg liefen. Diese erste Begegnung musste sorgsam vorbereitet werden, ansonsten wäre sie gleichzeitig das Ende für Laura in der Villa Lombardi.

Als Enzo sich die entsetzte Miene seiner Mutter vorstellte, musste er fast schmunzeln. Er sah ihren Mund vor sich, der stets ein Spiegel ihrer Emotionen war. Aurelia Lombardi war im Grunde eine herzensgute Frau, aber sie hatte sehr feste Vorstellungen vom Leben und von den Werten, die es zu respektieren galt. In ihrer Welt gab es keinen Raum für persönliche Befindlichkeiten, wenn es darum ging, das Ansehen der Familie zu schützen. Ihre Lippen, da war er sich sehr sicher, würden sich beim Anblick der neuen Bibliothekarin vor Abscheu in zwei dünne Striche verwandeln.

Laura verkörperte alles, was seine Mutter an einer Frau missachtete. Schlimm genug, dass sie arbeitete, statt sich um Mann und Kinder zu kümmern, die sie nach Ansicht von Signora Lombardi natürlich längst hätte haben müssen. Nein, es kam noch schlimmer. Sie trug Jeans. Verdammt gut sitzende sexy Jeans, aber dafür fehlte seiner Mutter natürlich der Sinn. Seine Sinne allerdings registrierten nicht nur die Jeans, sondern auch den Rest seines Fahrgastes.

Ob sie ihn absichtlich mit ihren Blicken streichelte und damit fast um den Verstand brachte? War sie sich ihrer Wirkung vielleicht doch bewusst? Anfangs hätte er gesagt: nein. Inzwischen war er sich nicht mehr ganz so sicher. Vielleicht war das der wirkliche Grund für ihre Bewerbung gewesen? Sie hatte herausgefunden, dass der Arbeitgeber ein reicher Junggeselle war, und war angereist, um sich den dicken Fisch zu angeln. Nach der Erfahrung mit Chiara wurde Enzo bei jeder passenden und unpassenden Gelegenheit von einem Misstrauen heimgesucht, das er früher in dieser Form nicht kannte.

Sie weiß doch gar nicht, wer du bist, hielt er sich in Gedanken vor. Wenn sie tatsächlich auf Millionärsangeltour wäre, würde sie ihre Energie doch wohl kaum an den Chauffeur verschwenden. Zumal der ihr keinerlei ermutigende Signale gegeben hatte. Im Gegenteil! Enzo war sich seiner Unhöflichkeit absolut bewusst. Aber er konnte nicht anders. Sie hatte ihn mit ihrer sinnlichen Ausstrahlung und magnetischen Anziehungskraft kalt erwischt. Seine Wortkargheit ihr gegenüber war purer Selbstschutz.

Wie es wohl wäre, diesen ganzen Selbstschutz und alle Ressentiments über Bord zu werfen und der Versuchung einfach nachzugeben? Was würde sie dazu sagen? Wie würde sie reagieren? Sich fallen lassen, weil sie genau das Gleiche fühlte, oder ihm zur Strafe für seine Dreistigkeit eine Ohrfeige verpassen? Letzteres würde er ihr ohne Weiteres zutrauen.

Schluss jetzt! Seine Fantasie hatte genug erotische Purzelbäume geschlagen. Es war Zeit, wieder einen klaren Kopf zu bekommen. Entschlossen und mit eisernem Willen lenkte Enzo seine Überlegungen wieder in Bahnen, die zu seiner Mutter führten. Heute könnte er eine Begegnung der beiden Frauen auf jeden Fall verhindern, mit etwas Glück sogar noch länger, denn seine Mutter brach morgen zu einer mehrwöchigen Schiffsreise auf. Das traf sich gut und verschaffte Laura Gelegenheit, sich einzuleben und mit den Aufgaben vertraut zu machen. Wenn sie gut war, musste er seine Mutter allerdings irgendwann mit ihr konfrontieren. Das Problem war gar nicht mal Laura selbst. Seine traditionsbewusste Mutter hielt zwar nicht viel von Frauen, die zu eigenständig waren und sich nicht ihrer Familie verschrieben. Doch mit diesem gesellschaftlichen Phänomen hatte sie sich im Laufe der Zeit zumindest abgefunden; sie duldete inzwischen sogar ledige weibliche Angestellte. Doch sie zog eine klare Grenze. Wer für sie arbeiten wollte, musste sich anpassen, und Frauen mit kurzen Haaren empfand sie als persönlichen Affront. Das gehörte sich einfach nicht. Enzo hatte nie verstanden, was genau ihr an einem Kurzhaarschnitt für Frauen so skandalös vorkam, aber sie war nicht bereit, ihre Überzeugung mit ihm zu diskutieren. Sie fand es unschicklich und basta.

Womöglich war es einfach an der Zeit, das Frauenbild seiner Mutter mit der Realität zu konfrontieren. Mit etwas Liebe und Geduld könnte Laura vielleicht sogar den Anstoß geben, um seine Mutter in Sachen Weiblichkeit und Emanzipation ins aktuelle Jahrtausend zu manövrieren. War Laura Thompson vielleicht dazu in der Lage, mit frischem Wind verstaubte Strukturen aufzuwirbeln? Das wäre wunderbar. Es würde einiges einfacher machen. Nicht nur für Laura Thompson.

Nachdem sie Taormina hinter sich gelassen hatten, bog Enzo auf eine schmale kurvige Straße Richtung Landesinnere ein. Nach etwa zwei Kilometern kamen sie an ein Tor, das sich, kaum dass der Wagen die Auffahrt erreicht hatte, wie von Zauberhand öffnete und direkt hinter ihnen wieder schloss.

Während der Fahrt hatten Umgebung und Enzo Lauras Gedanken beschäftigt, doch jetzt, so kurz vor dem Ziel, wuchs die Aufregung. Hoffentlich hatte sie Gelegenheit, sich umzuziehen, bevor sie ihrem Chef begegnete. Im Nachhinein hätte sie vielleicht doch auf die Bequemlichkeit verzichten und direkt im Businessoutfit anreisen sollen. Aber diese Einsicht kam zu spät.

Lauras Herz pochte wie wild. Das leise Klacken, mit dem sich die Torflügel zuschoben, kam ihr vor wie ein Paukenschlag. Jetzt war es also endgültig. Das alte Leben lag hinter ihr, in dieser Sekunde begann die Zukunft.

Sie fand sich selbst und ihre Gefühlsaufwallung lächerlich, denn im Grunde hatte ihr neues Leben schon begonnen, als sie die Unterschrift unter ihren Arbeitsvertrag setzte. Bei allem, was danach gekommen war, hatte es sich um notwendige Schritte gehandelt. Dennoch. Bisher war das alles nur Theorie gewesen. Jetzt fing die Wirklichkeit an. Dieser Moment, hier am Tor, hatte etwas Entscheidendes. Endgültiges.

Und ganz plötzlich – wie so oft, in letzter Zeit – war der Schmerz wieder da. Er fiel sie an und biss ihr mit seinen scharfen Zähnen in die Seele. Laura presste die Lippen zusammen, um nicht aufzuschluchzen. Plötzlich fühlte sie sich zittrig und ängstlich. Ausgerechnet jetzt! Mühsam zwang sie sich, durchzuatmen und die Beklemmung zu lösen. Sie spürte, wie ihre Augen feucht wurden. Nein! Nicht jetzt! befahl sie sich so energisch sie konnte. Um sich von den aufwallenden Gefühlen abzulenken, kniff sie sich sogar in den Oberschenkel. Und sie schaffte es. Der Schmerz ebbte ab, sie konnte wieder leichter atmen und auch das Rauschen in ihren Ohren ließ nach. Was für ein Glück. Das Letzte, was sie jetzt gebrauchen konnte, war ihrem neuen Arbeitgeber in Tränen aufgelöst gegenüberzutreten. Er sollte doch einen guten Eindruck von ihr bekommen und seine Entscheidung, sie einzustellen, nicht schon im ersten Moment bereuen. Wenn es nach ihr ging, würde er diese Entscheidung auch später nicht bereuen, sondern sich im Gegenteil zu seiner ausgezeichneten Wahl beglückwünschen. Sie würde dafür sorgen, dass ihre Arbeit ihn überzeugte.

Vielleicht, ging es ihr durch den Kopf, war die unvermittelte Schmerzattacke ja ein letztes Aufwallen gewesen? Ein schmerzhafter und überschießender Abschied, passend zu ihrem Gefühl des Neubeginns. Schließlich war sie doch genau deshalb nach Sizilien gereist. Sie wollte die Vergangenheit hinter sich lassen. Dazu gehörten auch diese schmerzhaften Anwandlungen. Tränen hatte sie in der letzten Zeit wahrlich genug vergossen. Zeit, einen Schlusspunkt zu setzen. Sie wollte nicht mehr wegen Tom und dem, was er ihr angetan hatte, weinen.

Sie hatte jetzt ohnehin keine Zeit, länger über ihre Gefühle nachzudenken. Die Villa kam in Sicht. Was für ein Prachtgebäude! Natürlich war ihr klar gewesen, dass es sich um kein kleines Haus handeln würde, aber dieses Anwesen übertraf ihre kühnsten Vorstellungen. Dreistöckig, strahlend weiß, mit wundervoll verzierten Fenstereinfassungen und jeder Menge Blumenschmuck. Laura kam gar nicht dazu, alle Details in sich aufzunehmen, bevor der Jeep das Rondell herumfuhr und vor dem Portal der Villa bremste. Eine breite Treppe mit vier Stufen führte zu einer prachtvollen Doppeltür, die sich öffnete, kaum, dass Enzo den Motor abgeschaltet hatte. Endlich würde Laura andere Menschen treffen. Sicher waren nicht alle Leute hier so verstockt und wortkarg wie der Chauffeur. Nun, zumindest hatte er es nicht geschafft, ihre Vorfreude auf das Abenteuer Sizilien zu schmälern. Jetzt ging es erst richtig los, und nach dem holprigen Start mit diesem sperrigen Exemplar der Gattung Mann konnte es nur besser werden.

Laura stieg aus.

Eine ältere Frau stürmte aus der Haustür, und ein Schwall freundlicher italienischer Worte regnete auf Laura herab. Sie klang wie ihre Mutter vor vielen Jahren, als Laura noch ein Kind und ihr Leben noch in Ordnung gewesen war.

„Herzlich willkommen in der Villa Lombardi. Kindchen, Sie müssen hungrig und durstig sein, nach der langen Reise. Ich bin Emilia. Ich kümmere mich um den Haushalt und das Essen. Und natürlich um Sie. Darf ich Laura sagen? Kommen Sie nur herein, ich werde schon dafür sorgen, dass diese dünnen Ärmchen ein bisschen Fleisch bekommen und die Wangen bald rosig strahlen. Warten Sie nur ab.“

Fast fühlte sich Laura, als wäre sie in einem Sanatorium gelandet und nicht an ihrem neuen Arbeitsplatz. Von wegen, dünne Ärmchen! Die einzige gute Nebenwirkung dieser grässlichen letzten Monate war doch die Tatsache, dass sie endlich ihr Wunschgewicht hatte, weil ihr vor lauter Herzschmerz der Appetit vergangen war. Der Herzschmerz mochte – hoffentlich – endlich vorbei sein, aber das Gewicht wollte sie eigentlich halten. Doch abgesehen von der Furcht um ihre Idealmaße musste Laura einräumen, dass die herzliche Art der rundlichen Frau ihr guttat. Die letzten Reste ihrer Verzagtheit von eben lösten sich auf, und zurück blieb eine große Portion Neugier auf das, was sie erwartete.

3. KAPITEL

„Emilia, vieni qua!“, unterbrach Enzo die Haushälterin in ihrem Begrüßungsüberschwang. Emilia blickte Laura an, hob entschuldigend die Schultern und ging zu Enzo, der am Kofferraum des Jeeps stand. Im ersten Moment wollte Laura mitgehen und helfen, ihr Gepäck ins Haus zu schaffen. Doch Enzos Haltung ließ sie innehalten. Er machte wieder ein finsteres Gesicht und redete flüsternd auf die Haushälterin ein. Laura versuchte, ein paar Wortfetzen zu erhaschen, allerdings ohne Erfolg. Trotzdem war sie sicher, dass Enzo über sie redete, denn Emilias Blick glitt immer wieder zu ihr rüber, während sie dem Mann zuhörte. Sein Ton war leise, aber scharf. Offensichtlich war das, was er zu sagen hatte, nichts Nettes.

Langsam, aber sicher hatte Laura die Nase voll von diesem schlecht gelaunten Kerl. Was hatte sie ihm denn bloß getan, dass er sich jetzt mit einer solchen Tirade bei der Haushälterin über sie auslassen musste? Und wieso sagte er es ihr nicht ins Gesicht, wenn ihm etwas nicht passte? So sehr sie auch grübelte, sie hatte keine Ahnung, womit sie den Unmut des Chauffeurs auf sich gezogen haben könnte. Genau genommen war er von der ersten Sekunde an bockig und unhöflich gewesen, noch bevor sie sich ihm vorgestellt hatte.

Jetzt ergriff Emilia das Wort. Der Wortschwall, mit dem sie antwortete, war nicht weniger heftig als Enzos, allerdings nur kurz. Dann drehte sie sich mit einem sehr vehementen „E basta!“, von ihm weg und kam zu Laura zurück.

„Kommen Sie, Kindchen, ich zeige Ihnen das Haus und Ihr Zimmer. Enzo wird dafür sorgen, dass Ihr Gepäck nach oben kommt. Vero?

Natürlich ließ Laura sich nichts anmerken, aber innerlich freute sie sich darüber, dass Emilia diesen groben Kerl offensichtlich in die Schranken gewiesen hatte. Fast hätte Laura ihm die Zunge rausgestreckt. Immerhin war er selbst schuld, niemand hatte ihn gezwungen, so unhöflich zu sein. Aber das war natürlich nur ein kindischer Impuls, dem sie nicht nachgab. Sie waren schließlich keine Erstklässler, und Laura hatte nicht vor, sich durch sein provokatives Verhalten ihre guten Manieren ruinieren zu lassen. Stattdessen besann sie sich auf ihre diplomatische Stärke, lächelte ihm noch einmal zu und versuchte, durch diese freundliche Geste die Wogen zu glätten. Schließlich konnte man auch einlenken, wenn man sich keiner Schuld bewusst war. Es ging ja nicht ums Recht haben, sondern um ein künftiges freundliches Miteinander. Sie würde hier leben, und immerhin waren sie so etwas wie Kollegen, da wollte sie keinen Streit.

Die nächste Stunde verbrachte Laura mit Staunen und Bewundern. Auf der Türschwelle hatte Emilia es sich noch einmal anders überlegt und Laura nicht ins Haus geführt, sondern erst einmal um das Gebäude herum, um ihr die Umgebung zu zeigen. Von der großen Terrasse aus blickten sie auf einen traumhaften Blumengarten mit vielen Rosen und jeder Menge Stauden. Daneben erstreckte sich ein ziemlich großer Pool, der Laura mit seinem strahlenden Türkis und dem klaren Wasser lockte, und links neben dem Schwimmbecken lag ein sehr gepflegter Gemüsegarten – offensichtlich Emilias ganzer Stolz. Hinter den Gärten stiegen sanfte Hügel an, auf denen Zitronen-, Mandel- und Pistazienbäume wuchsen. Daneben gab es einen Olivenhain.

„Das ist alles der Besitz der Familie Lombardi, so weit das Auge reicht.“

Es machte Laura Freude, ihre neue Heimat zu betrachten. Vor allem die Gesellschaft der fröhlichen Emilia tat ihrer Seele gut. Der holprige Start mit Enzo hatte sie wohl doch mehr mitgenommen, als sie vermutet hatte. Sie verstand einfach nicht, was passiert war. Und sie verstand nicht, weshalb er eine so unglaubliche Anziehung auf sie ausübte, trotz seiner Garstigkeit hatte sie ständig gegen den Wunsch ankämpfen müssen, ihn zu berühren.

Zum Glück konnte sie sich nicht lange mit trüben Überlegungen aufhalten, denn Emilia zog sie schon wieder weiter.

Nicht nur die Umgebung, auch die Villa selbst war bezaubernd. Die beiden Frauen betraten das Haus über die Terrasse. Emilia zeigte Laura die Zimmer im Erdgeschoss. Musiksalon, Speisezimmer, Wohnzimmer. Die Räume waren hoch, die Decken kunstvoll mit Stuck verziert, und die großen Fenster boten einen traumhaften Blick aufs Paradies. Die Böden waren aus Marmor, die Möbel aus edelsten Hölzern, die Sessel und Stühle mit feinstem Leder bezogen. Hier gab es nichts von der Stange, alles war hochwertig und nach Maß gefertigt, das erkannte Laura auch ohne nähere Erklärung. Während der Besichtigung begegneten sie mehreren Hausmädchen. Emilia hatte für jede ein paar nette Worte, aber auch immer einen kritischen Blick. Es war nicht zu übersehen, dass sie ihre Mannschaft im Griff hatte.

Dann führte Emilia Laura in die unterste Etage und zeigte ihr den Wellnessbereich mit Sauna.

„Fühlen Sie sich wie zu Hause, Laura. Signor Lombardi hat Anweisung gegeben, dass Sie als Familienmitglied behandelt werden sollen. Sie dürfen hier alles jederzeit nutzen. Er möchte, dass Sie sich wohl und willkommen fühlen.“

Während sie sprach, hatte Emilia diverse Türen geöffnet. Es gab einen Fitnessraum, ein Entspannungszimmer mit Salzsteinen und eines mit Farblampen. Jetzt steuerten sie wieder auf die Treppe zu, die nach oben führte. „Wir haben auch einen Masseur. Alessandro kommt zweimal die Woche oder auch auf Bestellung.“

Als sie wieder im Erdgeschoss waren, zeigte Emilia in den hinteren Bereich des linken Hausflügels. „Dort befinden sich die Bibliothek und das Büro, in dem Sie arbeiten werden. Aber das zeige ich Ihnen jetzt nicht. Heute kommen Sie erst mal an und gewöhnen sich ein. Arbeiten werden Sie noch früh genug. Avanti. Jetzt gehen wir in die Küche. Ich habe Torta di Pistacchi, die wird Ihnen sicher schmecken.“

Das mit dem Idealgewicht würde eine echte Herausforderung werden, so viel war Laura schon nach dem ersten Happen der köstlichen Pistazientorte klar. Wie gut, dass sie so sportlich war. Sie würde joggen und regelmäßig den Pool nutzen, dann konnte sie sich die eine oder andere Sünde sicher erlauben. Während Laura Bissen um Bissen genoss und zum Zeichen ihrer Anerkennung verzückt die Augen verdrehte und begeistert seufzte, plauderte Emilia fröhlich drauf los. Sie erzählte von den Leuten, vom Ätna und von der Pistazienernte, die jedes Jahr mit einem großen Fest beendet wurde.

Der Ärger über Enzo ließ nach, Laura spürte eine wohlige Entspannung. Zucker war eben doch Nervennahrung, das war nicht nur ein Gerücht der Süßwarenhersteller. Zufriedene Trägheit erfasste sie, Laura gähnte.

Madonna! Ich bin unmöglich. Bitte entschuldigen Sie, Laura. Ich habe mich so gefreut, jemanden zum Plaudern zu haben, dass ich ganz vergessen habe, wie müde Sie sein müssen. Jetzt aber, auf, auf, ich zeige Ihnen Ihr Zimmer, und Sie legen sich ein Stündchen hin. Ich wecke Sie rechtzeitig vor dem Abendessen.“

Eigentlich wäre sie lieber spazieren gegangen. Die Gegend wartete nur darauf, erkundet zu werden. Hier war alles so groß und weitläufig, dass die Gefahr, dem schlecht gelaunten Enzo über den Weg zu laufen, wohl nicht besonders groß war. Was andererseits auch ein bisschen schade war, denn noch immer beschleunigte sich ihr Herzschlag, sobald sie an ihn und seine unglaublich männliche Ausstrahlung dachte. Und an diese eine Locke. Ein Jammer, dass sie sich nicht getraut hatte, sie ihm aus der Stirn zu streichen. Gegen ihren Willen spürte Laura ein leises Bedauern bei dem Gedanken, dass sie Enzo wohl eher nicht mehr zu Gesicht bekommen würde. Vielleicht war ihm heute ja einfach nur eine Laus über die Leber gelaufen und beim nächsten Mal war er ganz anders? Wie sich seine Augen wohl veränderten, wenn er lachte? Wenn er genervt war, verwandelte sich das Milchschokoladenbraun in Zartbitterschokolade, das wusste sie inzwischen.

Ein paar Minuten später stand sie in ihrem Zimmer. Kaum hatte Emilia die Tür hinter sich geschlossen, stieß Laura einen Juchzer aus und drehte sich im Kreis. Sie fühlte sich wie eine Prinzessin. Aus dem Schwung der Drehung heraus, ließ sie sich auf das große Himmelbett fallen. Mit ausgebreiteten Armen lag sie da und bewunderte den zarten Stoff, der sich über das Bett spannte. Der Spaziergang musste warten, jetzt musste sie erst diese wunderbar weiche Matratze genießen. Die Decke duftete zart nach Limonen. Glücklich drehte Laura sich vom Rücken auf den Bauch. Sie stützte das Kinn auf die Hände und ließ ihren Blick durch den Raum wandern.

Wow! Ein großes und besonderes Wow! Sie fühlte sich wie in einem Märchen aus Tausendundeiner Nacht. Fehlte nur noch der Prinz. Und wie auf Kommando schob sich das Bild von Enzo in ihre Gedanken. Vielleicht war er ein Frosch und musste aus seinem mürrischen Gefängnis befreit werden? Mit einem Kuss? Schnell konzentrierte sie sich wieder auf den Raum, bevor ihre Gedanken zu sehr auf Abwege geraten konnten. Sie war nicht hier, um sich in ein Liebesabenteuer zu stürzen, sondern um sich selbst wiederzufinden und neu durchzustarten. In ein Leben ohne Mann, wohlgemerkt!

Zwei große Bogenfenster boten einen atemberaubenden Blick aufs Meer. Zwischen den Fenstern führte eine Tür auf einen kleinen Balkon. Hier könnte sie sich, wenn sie einmal nicht in der Bibliothek saß und Bücher sichtete, ungestört sonnen. Eine weitere Tür weckte Lauras Neugier. Sie stand auf, öffnete sie und fand sich im Badezimmer wieder. Bei dem es sich, anders als erwartet, keinesfalls um ein kleines Gästebad handelte. Oh nein, es war ein großzügig geschnittener Raum mit Dusche, freistehender Badewanne und abgetrennter Toilette. Es war so groß, dass manch armer Student in London es als Wohnung anmieten würde.

Okay. Sie würde jetzt ihren Koffer auspacken und sich dann ein Schaumbad gönnen. So könnte sie später beim Abendessen Signor Lombardi entspannt und frisch entgegentreten.

Sie verstaute ihre Klamotten in einem antiken Kleiderschrank aus dunklem glänzendem Holz, der so groß war, dass sie sich problemlos darin verstecken konnte. Obwohl sie eigentlich das Gefühl hatte, ziemlich viel Kleidung mitgebracht zu haben, füllten die Sachen nicht einmal ein Drittel der Regale. Aber das war Laura egal. Sie brauchte nicht so viel. Jeans für die Freizeit und Stoffhosen oder Röcke mit unterschiedlichen Oberteilen, die sie unterschiedlich kombinieren konnte, für den Job. Dazu ein Strickjäckchen oder ein Blazer, fertig.

Das Bad, das sie eigentlich entspannen sollte, strapazierte Lauras Nerven. Wie kam dieser Kerl – Enzo – dazu, sich ständig in ihren Kopf zu schleichen! Wütend stieg sie aus der Wanne, noch bevor das letzte Schaumbläschen geplatzt war. Vielleicht hätte sie lieber ein paar Gewichte stemmen oder Bahnen im Pool ziehen sollen, dabei konnte die Fantasie nicht so viele Purzelbäume schlagen. Aber jetzt blieb für derlei Ablenkung keine Zeit mehr.

Grübelnd stand Laura vor dem Schrank und überlegte, welche Garderobe für ein Abendessen mit ihrem Chef und seiner Familie wohl angemessen wäre. Es klopfte, und auf ihr freundliches „Herein“, öffnete Emilia die Tür.

„In einer halben Stunde serviere ich das Abendessen. Geht es Ihnen gut?“

Nicken und Kopfschütteln gleichzeitig, das war Lauras Antwort. Emilia verstand.

„Ah, si. Sie sind nervös? Keine Angst. La Signore wird heute nicht mit Ihnen speisen. Es wird ein lockeres Essen zu zweit.“ Sie warf einen Blick in den Schrank und zog nach kurzer Prüfung einen luftigen dunkelblauen Sommerrock und eine dazu passende türkisfarbene Bluse heraus. „Perfetto.“ Sie nickte zufrieden. „Darin sehen Sie bestimmt reizend aus.“

Wie schön. Emilia hatte ausgerechnet Lauras Lieblingsbluse gewählt, der Abend schien unter einem guten Stern zu stehen.

Kurz darauf betrat Laura das Speisezimmer. Auch wenn Emilia ihr versichert hatte, dass alles ganz entspannt sein würde, konnte sie die Nervosität nicht ganz unterdrücken. Hoffentlich mochte Signor Lombardi sie. Hätte sie ihn vielleicht doch vorwarnen sollen, wegen ihrer veränderten Frisur? Mitten in diese Überlegungen hinein entdeckte Laura ihn, und vor lauter Überraschung verschluckte sie sich und musste husten.

Entspannt und offensichtlich besser gelaunt als bei ihrer ersten Begegnung saß Enzo am Tisch.

Was machte er denn da? Hatte Emilia nicht gesagt, es wäre ein Essen zu zweit?

Laura versuchte, sich ihre Überraschung nicht allzu sehr anmerken zu lassen.

„Guten Abend“, sagte sie, als sie wieder durchatmen konnte, und setzte sich ihm gegenüber an den Tisch.

Verstohlen musterte sie ihn. Er hatte seine lässige Tageskleidung gegen ein eleganteres Hemd und Sakko getauscht und sah unglaublich sexy aus. Auch bei diesem Hemd standen die oberen paar Knöpfe offen. Es wirkte fast wie eine Einladung, ihm mit beiden Händen über die behaarte Brust zu fahren. Und wieder fiel ihm diese eine freche Locke in die Stirn.

Ihre Blicke trafen sich. Verhakten sich ineinander.

Unruhig verschränkte Laura ihre Finger und versuchte, sich von seinem Anblick loszureißen. Gleichzeitig fragte sie sich, wie er dazu kam, mit der Familie am Tisch zu sitzen. War es hier vielleicht üblich, dass alle gemeinsam aßen? Aber wo waren dann die anderen Angestellten?

Süß sah sie aus. Die zart gemusterte türkisfarbene Bluse gefiel ihm noch besser an ihr als die Jeans von vorhin. Was für ein Zufall, dass sie ausgerechnet etwas in seiner Lieblingsfarbe trug. Der Stoff schmiegte sich locker an ihre perfekten Rundungen, und Enzo musste sich geradezu zwingen, nicht allzu offensichtlich auf ihre Brüste zu starren. Er konzentrierte sich darauf, ihr ins Gesicht zu schauen, was ihm aber nicht wirklich aus der Bredouille half, denn nun landete sein Blick zuerst auf ihren verführerisch sinnlichen Lippen und dann im Ozean ihrer Augen. Sie wirkte verlegen. Das war seine Schuld. Enzo wusste, dass er ihr viel früher hätte sagen müssen, dass er ihr Chef war. Aber er hatte der Versuchung einfach nicht widerstehen können.

Warum fühlte er sich bloß so unglaublich zu ihr hingezogen? Seit er sie zum ersten Mal gesehen hatte, verspürte er den nahezu überwältigenden Drang, sie zu berühren. Auch jetzt hätte er am liebsten über den Tisch hinweg ihre Hände ergriffen, ihre nackten Unterarme gestreichelt, erkundet, wie sich ihre nackte Haut unter seinen Fingerspitzen anfühlen würde. Ohne, dass er es verhindern konnte, beschleunigte sich sein Herzschlag und sein Mund wurde trocken. Sollte er das Schweigen brechen? Wartete sie womöglich darauf, dass er sich für die kleine Scharade entschuldigte? Er konnte sich nicht dazu durchringen, etwas zu sagen, aus Angst, den Zauber zu zerstören, der sich über sie beide gelegt zu haben schien.

Allora, jetzt geht es los“, tönte es von der Tür her, und Emilia brachte zwei Teller an den Tisch. „Die Vorspeise.“

Nachdem Emilia wieder weg war, schaute Laura von ihren Antipasti zu Enzo und wieder auf den Teller.

„Guten Appetit“, sagte er und griff nach Messer und Gabel. Doch Laura zögerte. Sie konnte doch nicht einfach anfangen zu essen, bevor der Hausherr sich zu ihnen gesellte. Erst in diesem Moment fiel ihr auf, dass gar kein weiteres Gedeck auf dem Tisch lag. Was wurde hier für ein Spiel gespielt?

„Sollten wir nicht auf Signor Lombardi warten?“ Sie hob fragend die Brauen.

Enzo legte sein Besteck auf den Teller.

„Ich dachte, Emilia hat es Ihnen längst gesagt. Ich bin Signor Lorenzo Lombardi.“ Er lächelte sie an. „Enzo.“

Laura starrte ihn fassungslos an. Jetzt wurde Enzo wirklich vom schlechten Gewissen gepackt. Es war nicht richtig gewesen, seine neue Angestellte derart aufs Glatteis zu führen. Andererseits sah sie derart überrumpelt nur noch hinreißender aus. Alleine das Wechselspiel ihrer Augenfarbe war diese kleine Sünde wert. Fasziniert verfolgte er, wie sich das Blau verdüsterte, bis es einem Sturmhimmel auf hoher See glich. Wenn er nicht aufpasste, würde er gleich in diesem aufgewühlten Ozean ertrinken. Enzo wandte entschlossen den Blick ab und räusperte sich unbehaglich.

„Meine Mutter lässt sich entschuldigen. Sie fühlt sich etwas unpässlich. Vermutlich die Aufregung, da sie morgen zu einer mehrwöchigen Kreuzfahrt aufbricht. Jedenfalls wollte sie heute früh zu Bett gehen.“

Enzo erwähnte nicht, dass er seine Mutter praktisch dazu überredet hatte, sich an ihrem letzten Abend zu Hause auszuruhen. Die bevorstehende Reise war der perfekte Aufhänger gewesen, um zu verhindern, dass die beiden Frauen einander schon jetzt begegneten. Allerdings hatte er dafür ziemlich viel Überzeugungsarbeit leisten müssen, denn seine Mutter war eine kluge Frau. Sie war misstrauisch geworden und hatte den dringenden Wunsch geäußert, die neue Bibliothekarin noch vor ihrer Abreise kennenzulernen. In seiner Not hatte Enzo behauptet, dass Laura sich mit Kopfschmerzen zurückgezogen habe und ihr Abendessen auf dem Zimmer einnähme. Zum Glück hatte Emilia ihn bei der kleinen Notlüge unterstützt, auch wenn sie es zuerst rigoros abgelehnt hatte.

Das alles musste Laura aber nicht wissen. Sie hatte wohl vorerst genug damit zu tun, die Neuigkeit zu verdauen, dass er ihr Chef war.

Er deutete auf die leeren Stühle. „Tja. Meine Schwester Ginevra wohnt normalerweise auch hier. Doch in diesem Semester studiert sie in Florenz und kommt nur in der vorlesungsfreien Zeit nach Sizilien.“

Laura kriegte kaum mit, was er sagte. Sie war mehr als schockiert und wäre vor Scham am liebsten im Boden versunken. Sich spontan in Luft aufzulösen war auch eine Option. Oder einfach davonlaufen? Nein, das ging nicht. Sie würde sich nur noch mehr blamieren. Ihre Wangen brannten, sie war bestimmt knallrot.

Enzo war ihr Chef? Aber warum um alles in der Welt hatte er das Missverständnis nicht sofort aufgeklärt? Er musste doch mitbekommen haben, dass sie ihn für einen Angestellten hielt. Sie musste daran denken, wie sie versucht hatte, ihn über ihren neuen Chef – also sich selbst – auszuhorchen, und wie ihre Fantasie angesichts seiner eindrucksvollen Brustmuskeln und seines markanten Kinns auf erotische Abwege geraten war, und ihr Gesicht glühte noch heftiger. Gleichzeitig lief ein Schauder über den Rücken und die Arme.

Enzo hingegen schien die Situation ganz entspannt zu nehmen. Kein Wunder. Für ihn war es ja auch keine Überraschung. Er hatte schließlich die ganze Zeit gewusst, dass er ihr etwas vorspielte. Warum hatte er das nur getan?

„Aber … wieso?“, stammelte Laura. Sie zitterte vor Aufregung, und die Tatsache, dass er nun über den Tisch hinweg nach ihren Händen griff, war auch nicht dazu angetan, ihren Herzschlag zu beruhigen. Er berührte sie, ganz kurz nur, dann zog er sich wieder zurück.

„Es tut mir leid“, beteuerte er. „Wirklich. Es hat sich einfach so ergeben. Sie waren felsenfest davon überzeugt, dass ich der Fahrer bin. Und dann …“ Der Anflug eines Lächeln zuckte um seinen Mund. Er hob entschuldigend die Schultern. Blitzte da etwa so was wie ein schlechtes Gewissen in seinen schokoladenbraunen Augen auf? „Die Gelegenheit war einfach zu verführerisch. Ich weiß, es war nicht korrekt von mir, aber auf diese Weise konnte ich Sie ganz unbefangen kennenlernen. Die echte Laura, nicht die neue Mitarbeiterin, die sich ihrem Chef von der besten Seite präsentieren möchte.“ Jetzt lächelte er richtig. Schuldbewusst zwar, aber auch mutwillig. Ganz offensichtlich hatte seine kleine Scharade ihm einen Heidenspaß gemacht.

Was für ein Schuft!

Ehe sie wusste, wie ihr geschah, verwandelte sich Lauras Scham in Wut. Plötzlich saß sie nicht mehr hier in der sizilianischen Villa Lombardi, sondern fühlte sich nach London zurückkatapultiert. Enzo hatte sie vorgeführt und verraten. Genau wie Tom und Betty es getan hatten. Was hatte sie nur an sich, dass die ganze Welt glaubte, mit ihr nach Belieben spielen zu dürfen? Der Schmerz schnitt ihr ins Herz. Sie wollte auf den Tisch hauen und Enzo sagen, wie unverschämt sie sein Verhalten fand. Doch stattdessen atmete sie ein paar Mal tief durch und schüttelte ihre schrecklichen Erinnerungen an London ab.

Autor

Nancy Callahan
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