Julia Exklusiv Band 292

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Das ist der Mann, den ich heiraten soll? Zoes Puls rast, als sie Scheich Nadir sieht. Sie hatte gehofft, in den Flitterwochen seinem Wüstenreich zu entfliehen. Aber ein Blick verrät, dass ihr Bräutigam viel zu gefährlich für solche Pläne ist. Und viel zu sexy …

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  • Erscheinungstag 08.12.2017
  • Bandnummer 0292
  • ISBN / Artikelnummer 9783733709327
  • Seitenanzahl 384
  • E-Book Format ePub
  • E-Book sofort lieferbar

Leseprobe

Susanna Carr, Kim Lawrence, Aimee Carson

JULIA EXKLUSIV BAND 292

1. KAPITEL

Tiefe Dunkelheit senkte sich über die Wüste, als der schwarze Geländewagen vor dem Gasthof hielt, einem großen, aber schlichten Gebäude mitten im Dorf. Die Rundbögen und Pfeiler im Innenhof waren mit Blumengirlanden geschmückt, und in den üppigen Palmen hingen Lichterketten. Leise Folkloreklänge wehten zu Scheich Nadir ibn Shihab herüber, und ein Feuerwerk erleuchtete den Abendhimmel und kündigte seine Ankunft an.

Es war Zeit, seine Braut zu treffen.

Nadir verspürte weder Vorfreude noch Neugier oder Furcht. Eine Frau zu heiraten war für ihn Mittel zum Zweck. Seine Wahl basierte nicht auf Gefühlen, sondern auf einem Arrangement, auf das er sich wegen einer einzigen übereilten emotionalen Reaktion vor zwei Jahren eingelassen hatte.

Er schob seine Gedanken beiseite, weil er jetzt nicht über die Ungerechtigkeit nachdenken wollte. Mit dieser Heirat würde er seinen Ruf wiederherstellen, und niemand im Königreich Jazaar würde den Schritt infrage stellen, durch den er sich der traditionellen Lebensweise verpflichtete.

Nadir stieg aus dem Wagen. Seine Dishdasha, ein hemdartiges, bodenlanges Gewand, klebte an seinem muskulösen Körper, sein schwarzer Umhang und der weiße Kopfschmuck bauschten sich im Wind. Nadir fühlte sich fremd in der traditionellen Kleidung, aber an diesem Tag trug er sie aus Respekt vor der landesüblichen Sitte.

Er sah, dass sein jüngerer Bruder sich näherte. Nadir musste bei dem ungewohnten Anblick lächeln, den Rashid in der ebenfalls traditionellen Kleidung bot. Sie umarmten sich zur Begrüßung.

„Du bist sehr spät dran für deine Hochzeit“, sagte Rashid leise.

„Sie fängt ja nicht ohne mich an“, erwiderte Nadir und trat zurück.

Rashid konnte über die Arroganz seines Bruders nur den Kopf schütteln. „Ich meine es ernst, Nadir. So kannst du den Stamm nicht umstimmen.“

„Dessen bin ich mir bewusst. Ich bin so schnell gekommen wie ich konnte.“ Er hatte fast den ganzen Tag damit zugebracht, mit zwei verfeindeten Stämmen über ein Stück Land zu verhandeln. Und das war wichtiger als ein Hochzeitsfest. Selbst wenn es dabei um seine eigene Hochzeit ging.

„Das reicht nicht für die Ältesten“, sagte Rashid, als sie zum Hotel gingen. „In ihren Augen hast du dich ihnen gegenüber vor zwei Jahren äußerst respektlos gezeigt. Sie werden dir deine Unpünktlichkeit nicht verzeihen.“

Nadir war nicht in der Stimmung, sich Belehrungen von seinem jüngeren Bruder anzuhören. „Ich heirate die Frau, die sie ausgewählt haben, oder nicht?“

Die Heirat diente dem Zweck einer politischen Verbindung mit einem einflussreichen Stamm, der ihn respektierte und gleichzeitig fürchtete. Nadir hatte gehört, dass man ihn in diesem Teil der Wüste die Bestie nannte. Und als wollten sie einen Dämon beschwichtigen, waren die Ältesten bereit gewesen, eine Jungfrau zu opfern und ihm zur Braut zu geben.

Nadir näherte sich der Reihe der Ältesten, die in ihre besten Gewänder gekleidet waren. Die ernsten Mienen der Männer zeigten ihm, dass Rashid recht hatte. Sie waren nicht glücklich mit ihm. Wäre der Stamm nicht so wichtig für seine Modernisierungspläne in diesem Land, hätte Nadir seine Existenz schlicht ignoriert.

„Ich bitte ergebenst um Verzeihung.“ Nadir begrüßte den Ältestenrat, verbeugte sich tief und drückte sein Bedauern über seine Verspätung aus. Es war ihm egal, ob diese Männer beleidigt waren, weil er so spät kam; trotzdem musste er sich den Gepflogenheiten beugen und sich diplomatisch verhalten.

Höflich geleiteten die Ältesten ihn in den Innenhof, als der altertümliche Gesang, begleitet von Trommeln, die Luft erfüllte. Auch wenn Nadir tief im Inneren davon berührt wurde, stimmte er nicht ein. Zwar waren die Gäste glücklich darüber, dass der Scheich eine der ihren heiratete, er selbst war jedoch nicht erfreut über den Lauf der Ereignisse.

„Weißt du irgendetwas über die Braut?“, flüsterte Rashid seinem Bruder ins Ohr. „Was ist, wenn sie sich als unpassend erweist?“

„Das ist nicht wichtig“, erklärte Nadir ruhig. „Ich habe nicht vor, mit ihr als Mann und Frau zu leben. Ich werde sie heiraten und in mein Bett nehmen. Wenn die Hochzeitszeremonie erst einmal vorbei ist, wird sie im Sultanspalast im Harem leben. Ihr wird es an nichts fehlen, und ich habe meine Freiheit. Wenn alles gut geht, werden wir einander nie wieder zu Gesicht bekommen.“

Nadirs Blick schweifte über die Menge. Die Männer, in Weiß gekleidet, standen auf der einen Seite und forderten die Frauen auf der anderen Seite mit ihrem Gesang und dem rhythmischen Klatschen dazu auf, noch schneller zu tanzen. Die Gewänder der Frauen leuchteten in kräftigen Farben, waren großzügig mit Gold durchsetzt. Plötzlich wurden alle Anwesenden sich seiner Gegenwart bewusst. Die Musik endete abrupt, alle standen wie versteinert da und starrten ihn an. Er fühlte sich wie ein unwillkommener Gast – und das auf seiner eigenen Hochzeit.

Nadir war es gewohnt, dass man ihn mit Vorsicht beäugte, angefangen von den Bediensteten bis hin zu Staatsoberhäuptern. Internationale Geschäftsmänner beschuldigten ihn, verschlagen wie ein Schakal zu sein, wenn er ihre Versuche vereitelte, sich Jazaars Ressourcen illegal anzueignen. Journalisten erklärten, dass er das Gesetz des Sultans unbarmherzig durchsetze. Er war sogar einmal mit einer Viper verglichen worden, als er Jazaar mit unerschütterlicher Härte gegen blutrünstige Rebellen verteidigt hatte. Seine Landsleute mochten Angst haben, ihm direkt ins Auge zu sehen, aber sie wussten, dass er sie beschützen würde, koste es, was es wolle.

Langsam ging Nadir weiter, gefolgt von Rashid. Allmählich verfielen die Gäste wieder in Feierlaune und sangen laut, während sie Rosenblüten auf ihn niederregnen ließen. Sie schienen zutiefst erleichtert, dass die dreitägige Hochzeitszeremonie endlich ihren Anfang nahm. Stirnrunzelnd nahm er das breite Lächeln der Männer und das hohe Trillern der Frauen zur Kenntnis. Sie glaubten wohl, die Bestie auf diese Weise besänftigen zu können.

Sein Blick war weiter geradeaus auf das Ende des Innenhofs gerichtet. Auf einem Podium in der Mitte standen zwei thronähnliche Stühle, flankiert von Diwanen. Auf einem der Stühle saß seine Braut und wartete auf ihn, den Kopf gesenkt.

Nadir ging langsamer, als er sah, dass seine Braut ein landesübliches Hochzeitskleid in einem tiefen Purpurrot trug. Ein schwerer Schleier verbarg ihr Haar und umrahmte ihr Gesicht, um dann in einer Kaskade über Schultern und Arme zu fallen. Das enge Oberteil war mit goldenen Perlen durchwirkt und betonte die kleinen Brüste und die schmale Taille. Ihre zarten Hände, verziert mit einem verschlungenen Muster aus Henna, lagen auf dem ausgestellten Brokatrock.

Er krauste die Stirn, während er die Frau musterte. Irgendetwas war anders, war falsch an dieser Braut. Abrupt blieb er stehen, als ihn die Erkenntnis wie ein Donnerschlag traf.

„Nadir!“, flüsterte Rashid streng.

„Verstehe.“ Er klang entsetzt. Die Frau vor ihm war keine Braut der Jazaari, die zu einem Scheich passte.

Sie war eine Außenseiterin. Eine Frau, die kein Mann heiraten würde.

Die Stammesführer hatten ihn hereingelegt. Reglos stand Nadir da, während Wut in ihm hochkochte. Als Beweis seines Vertrauens hatte er zugestimmt, eine Braut zu heiraten, die der Stamm erwählte. Im Gegenzug hatten sie ihm die aus Amerika stammende verwaiste Nichte einer ihrer Familien gegeben.

Ein Affront, dachte er und bezwang seine Wut. Damit zeigten sie ihm, dass er für sie zu modern war, um eine traditionelle Braut der Jazaari schätzen zu können.

„Wie können sie es wagen?“, grollte Rashid. „Wir gehen sofort. Sobald der Sultan von dieser Sache erfahren hat, werden wir dem Stamm offiziell aus dem Weg gehen und …“

„Nein.“ Nadir hatte sich schnell entschieden. Auch wenn ihm das Ganze nicht gefiel, sagte ihm sein Instinkt, dass diese Heirat einem höheren Zweck diente. „Ich habe ihre Wahl akzeptiert.“

„Das musst du nicht, Nadir.“

„Doch, ich muss.“

Denn der Stamm erwartete, dass er diese Frau als seine Braut ablehnen würde. Sie wollten, dass er die Tradition missachtete und damit bewies, dass er den Lebensstil der Jazaari nicht zu schätzen wusste.

Das konnte er sich nicht leisten. Nicht noch einmal.

Und das wussten die Ältesten.

Nadir verengte die Augen zu schmalen Schlitzen. Er würde diese unwürdige Frau als seine Braut akzeptieren. Und wenn die Hochzeit erst einmal vorbei war, würde er die Ältesten dieses Stammes einen nach dem anderen vernichten.

„Ich muss Protest einlegen“, sagte Rashid. „Ein Scheich heiratet keine Außenseiterin.“

„Das stimmt. Aber da ich eine Braut brauche, ist mir jede Frau dieses Stammes recht. Ärger machen sie ohnehin alle.“

„Aber …“

„Keine Sorge, Rashid. Ich ändere meine Pläne. Sie wird nicht im Sultanspalast leben. Stattdessen schicke ich sie in den abgeschiedenen Palast in den Bergen.“ Er würde diese Frau verstecken – und damit jeden Beweis, dass dieser Stamm ihn beschämt hatte. Niemand würde je von der enormen Mitgift erfahren, die er für eine minderwertige Braut bezahlt hatte.

Nadir zwang sich weiterzugehen, und sein weißglühender Zorn verwandelte sich in Eis, als er zu seiner Braut trat. Ihm fiel auf, dass ihr Gesicht sich blass gegen die dunkelroten Lippen und die mit Kajal geschwärzten Lider abhob. Ein breites Band aus Rubinen und Diamanten schmückte ihr Haar. Überdies trug sie ein Gewirr an Halsketten und eine lange Reihe goldener Armreifen.

Auch wenn sie wie eine echte Jazaari-Braut gekleidet war, ließ sich der Schwindel nicht übersehen. Ihr gesenkter Blick und die sittsame Haltung konnten nicht über ihre wahre Natur hinwegtäuschen. Es ging etwas Starkes, Sinnliches und Aufmüpfiges von ihr aus. Eine anständige Braut würde schüchtern und bescheiden sein. Sie dagegen wirkte wie eine geheimnisvolle, exotische Frau, die barfuß in einer dunklen Wüstennacht um ein Freudenfeuer tanzte.

Vorsichtig sah seine Braut unter dichten Wimpern zu ihm hoch, und er fing ihren erschreckten Blick auf, der ihn mit seltsamer Macht traf.

Zoe Martins Puls raste, als sie in dunkle, hypnotische Augen sah. Obwohl sie den Blick abwenden wollte, schaffte sie es nicht. Stattdessen hatte sie das Gefühl, in einem Wirbelsturm gefangen zu sein.

Lass ihn bitte nicht der Mann sein, den ich heiraten werde! Sie hatte sich vorgenommen, ihrem Ehemann während der Flitterwochen etwas vorzumachen und ihn zu manipulieren, doch ein Blick auf diesen Fremden zeigte ihr sofort, dass er viel zu gefährlich war für ihre Pläne.

Scheich Nadir ibn Shihab war nicht hübsch im üblichen Sinne. Dafür wirkten seine Züge zu hart, mit der kräftigen Beduinen-Nase und dem entschiedenen Kinn. Seine vollen Lippen zeigten einen Anflug von Weichheit, doch der zynisch verzogene Mund sprach von Ungeduld. Das Weiß seiner Dishdasha hob sich von seiner goldbraunen Haut ab, und jede seiner Bewegungen lenkte ihre Aufmerksamkeit auf seinen großen, muskulösen Körper. Für sie war seine elegante Aufmachung nur Täuschung. Zweifellos war er in einer Welt des Reichtums und der Privilegien aufgewachsen, doch dieser Mann war wie die erbarmungslose, menschenfeindliche Wüste, faszinierend und grausam zugleich.

Auch wenn der Scheich keinerlei Regung zeigte, spürte Zoe umso deutlicher seine wilde Stärke. Sie zuckte zusammen, und ihre Haut schien zu prickeln unter seinem kühnen Blick. Am liebsten hätte sie die Arme um sich geschlungen, um sich vor ihm zu schützen.

Furcht zog ihre Brust zusammen. Warum empfand sie so? Der Scheich hatte sie bisher nicht einmal berührt.

Plötzlich wurde sie von dem Drang überwältigt zu fliehen. Sie hörte ihr eigenes Herz laut in ihren Ohren hämmern, ihre Kehle war wie zugeschnürt, und obwohl ihr Selbsterhaltungstrieb sie förmlich anschrie davonzulaufen, konnte sie sich nicht bewegen.

„As-salamu ’alaykum“, grüßte Nadir, als er sich neben sie setzte.

Ein Schaudern durchlief Zoe beim Klang der männlichen Stimme, die etwas Dunkles, Unbekanntes tief in ihr berührte.

„Es freut mich, Sie kennenzulernen“, sagte er mit kühler Höflichkeit.

Zoe zuckte zusammen, und ihr Goldschmuck klimperte bei der plötzlichen Bewegung. Er hatte auf Englisch zu ihr gesprochen. Es war schon so lange her, dass sie ihre Muttersprache zuletzt gehört hatte. Plötzlich brannten Tränen in ihren Augen, und sie kämpfte um Haltung.

Es hätte sie nicht überraschen sollen, dass der Scheich Englisch sprach. Er war in Amerika ausgebildet worden, reiste häufig und beherrschte verschiedene Sprachen genauso gut wie die unterschiedlichen Dialekte, die man in Jazaar sprach. Dass er die Welt bereiste, war mit ein Grund für sie gewesen, einer Heirat mit ihm zuzustimmen.

Ihre Stimme zitterte, als sie fragte: „Warum reden Sie Englisch mit mir?“

„Sie sind Amerikanerin. Es ist Ihre Sprache.“

Zoe nickte knapp und blickte auf ihre ineinander verkrampften Hände hinunter. Englisch war einmal ihre Sprache gewesen. Bis ihr Onkel sie ihr verboten hatte. „Sie wird hier nicht gesprochen“, flüsterte sie.

„Deshalb benutze ich sie“, meinte Nadir desinteressiert, während sein Blick über den Innenhof schweifte. „Englisch wird unsere Sprache sein, und niemand wird wissen, was wir sagen.“

Aha. Jetzt verstand sie. Er wollte den Anschein einer unmittelbaren Verbindung zwischen ihnen erwecken. Eine clevere Strategie, aber sie würde sich nicht dafür erwärmen.

„Ich darf während der Zeremonie nicht sprechen“, rief sie ihm in Erinnerung.

Sie spürte wieder seine Aufmerksamkeit. „Aber ich will, dass Sie sprechen.“

Wollte er sie vielleicht testen, ob sie als Jazaari-Braut geeignet war? „Meine Tanten haben mir strikte Anweisung gegeben, den Kopf gesenkt zu halten und nicht zu reden.“

„Wessen Standpunkt ist wichtiger für Sie?“ Die Arroganz in seinem Ton war nicht zu überhören. „Der Ihrer Tanten oder der Ihres Ehemannes?“

Weder noch, reizte es sie zu erwidern, aber sie wusste, dass sie mitspielen musste. „Ich werde tun, was Sie wünschen“, brachte sie mühsam heraus.

Sein leises Lachen klang sehr männlich. „Halten Sie sich weiterhin daran, dann werden wir gut miteinander auskommen.“

Zoe presste die Lippen zusammen, um einer scharfen Bemerkung zuvorzukommen, die ihr auf der Zunge lag. Gerade noch rechtzeitig, denn das Oberhaupt der Ältesten betrat eben das Podium. Wie nicht anders zu erwarten, ignorierte der ältere Mann sie und sprach nur mit dem Scheich.

Sie starrte auf ihre Hände im Schoss und presste die Finger gegeneinander. Doch der Schmerz lenkte sie nicht von ihren verstörenden Gedanken ab. Die schüchtern-zurückhaltende Miene würde sie nie aufrechterhalten können. Es war nur eine Frage der Zeit, bis sie einen Fehler machte. Auch ihre Familie wusste das. Die missbilligenden Blicke ihrer Tanten zeigten dies deutlich genug.

Zoe wusste, dass ihr Auftreten und ihr Verhalten nicht den Erwartungen der Familie entsprachen. Das war nie so gewesen. Ihr Gesicht war viel zu blass, und ihr fehlte es an Kultiviertheit und weiblichem Charme.

Da war es egal, ob der Schleier ihre Züge verhüllte oder sie den Kopf gebeugt hielt und so ihre großen Augen mit dem forschen Blick vor den anderen verbarg. Sie wusste, dass sie nicht dem Bild einer anständigen jungen Frau gleichkam. Sie sprach lauter als angebracht, ging schneller als sie sollte und war aufmüpfig.

Sie war viel zu sehr Amerikanerin, machte einfach zu viele Probleme. Ihre Verwandten wollten sie scheu und unterwürfig und hatten mit all den barbarischen Strafen, die sie kannten, versucht, sie zu einem solchen Wesen zu formen. Hungern. Schlafentzug. Schläge. Nichts hatte geholfen. Vielmehr hatten sie Zoe damit noch rebellischer gemacht und ihren Entschluss gefestigt, dieser Hölle zu entkommen. Sie wünschte nur, dass ihre Freiheit nicht davon abhing, die perfekte Frau vorzutäuschen.

Nachdem der Letzte der Ältesten das Podium wieder verlassen hatte, spürte Zoe den eindringlichen Blick des Scheichs auf sich ruhen. Würde sie in seinen Augen Gnade finden?

„Wie lautet Ihr Name?“, fragte der Scheich.

Zoes Augen weiteten sich. Dies war nicht gerade die Frage, die eine Frau am Hochzeitstag von ihrem Bräutigam hören wollte. Zoe widerstand dem Drang, ihm einen falschen Namen zu nennen.

„Zoe Martin“, antwortete sie.

„Und wie alt sind Sie?“

Alt genug. Sie biss sich auf die Zunge, ehe sie mit dieser Antwort herausplatzen konnte. „Ich bin einundzwanzig.“

Wie war das möglich, dass der Scheich rein gar nichts von ihr wusste? War er nicht neugierig gewesen auf die Frau, die er heiraten würde? Bedeutete sie ihm nichts?

„Höre ich da einen texanischen Akzent heraus?“, fragte er.

Zoe biss sich auf die Lippen, als eine Erinnerung an ihr Zuhause in Texas in ihr aufstieg. Es war das letzte Mal, dass sie sich einer Familie zugehörig, sich geliebt und beschützt gefühlt hatte. Nun war sie das Eigentum ihres Onkels.

„Sie haben ein sehr gutes Ohr“, antwortete sie heiser. „Ich dachte, ich hätte den Akzent inzwischen verloren.“ Zusammen mit allem anderen.

„Texas ist weit weg von hier.“

Ach ja? Aber ihr war bewusst, was tatsächlich hinter seiner Bemerkung steckte. Er fragte sich, warum um alles in der Welt sie ausgerechnet in Jazaar gelandet war. Eine Frage, die sie sich selbst oft genug stellte. „Mein Vater hat als Arzt bei einem medizinischen Hilfsprojekt gearbeitet und hat meine Mutter bei seinem Aufenthalt in Jazaar kennengelernt. Hat Ihnen denn niemand von mir erzählt?“

„Mir wurde alles gesagt, was ich wissen muss.“

Das machte sie neugierig. Was hatte man wohl über sie erzählt? „Und das wäre?“, fragte sie und sah, wie die Bediensteten große Platten mit Essen zum Podium trugen.

Er zuckte die Schultern. „Sie sind Teil dieses Stammes und in heiratsfähigem Alter.“

Sie wartete einen Herzschlag lang. „Sonst noch etwas?“

„Was müsste ich denn sonst noch wissen?“

Mit großen Augen sah sie ihn an. Seine Gleichgültigkeit nahm ihr den Atem, obwohl sie ihm eigentlich dankbar dafür sein sollte. Es war besser, dass er keine Fragen gestellt hatte und damit unweigerlich herausfinden würde, was für eine Frau er heiraten wollte.

Zoe aß kaum etwas von dem Festessen. Normalerweise hatte sie einen gesunden Appetit – zu gesund, wie manche meinten –, aber an diesem Abend waren ihr die verschiedenen Aromen und Gerüche zu viel. Sofort nach dem Essen trat eine Prozession an Gästen zum Podium, um dem glücklichen Paar zu gratulieren. Zu ihrer Erleichterung erwartete niemand von ihr, dass sie etwas sagte. Sie hörte ohnehin kaum zu, was gesprochen wurde, da sie sich des Mannes neben ihr viel zu bewusst war.

„Mit dieser da habt Ihr alle Hände voll zu tun, Königliche Hoheit. Sie macht nichts als Ärger.“

Zoe sah bei diesen Worten auf. Es überraschte sie, dass jemand den Scheich vor ihr warnte. Hatten sie Zoe durch diese Heirat nicht loswerden wollen?

Sie war noch nie mit der Frau des reichen Ladenbesitzers ausgekommen, die eben gesprochen hatte. Die Ältere hatte ihr verboten, das Geschäft zu betreten. Doch Zoe war es gewohnt, ausgeschlossen zu werden.

„Sie lernt unglaublich langsam“, fuhr die ältere Frau fort. „Und ihr Onkel kann sie noch so hart schlagen, sie gibt trotzdem immer noch Widerworte.“

„Ach ja?“, meinte der Scheich gedehnt. „Vielleicht ist ihr Onkel derjenige, der langsam lernt. Er sollte es mit einer neuen Strategie versuchen.“

Verblüfft zuckte Zoe zusammen und senkte schnell den Kopf, damit niemand von ihrer Miene ablesen konnte. Stellte er damit etwa Onkel Tareefs Methoden infrage? Sie hatte immer gedacht, Männer würden zusammenhalten.

„Nichts funktioniert bei Zoe“, informierte die Frau des Ladenbesitzers den Scheich. „Einmal hat sie das Abendessen anbrennen lassen. Natürlich wurde sie bestraft. Man sollte doch glauben, sie hätte ihre Lektion gelernt. Aber nein. Am nächsten Tag hat sie eine ganze Dose scharfen Pfeffer ins Abendessen geschüttet. Ihr Onkel hatte noch Wochen später Blasen im Mund.“

„Es war nicht meine Schuld, dass er immer weiter gegessen hat“, sagte Zoe mit funkelndem Blick auf die Frau und senkte schnell wieder den Kopf, als sei nichts passiert. Lange herrschte Schweigen, und Zoe fühlte den Blick des Scheichs auf sich ruhen. Instinktiv zog sie die Schultern hoch, als könnte sie sich dadurch kleiner machen. Unsichtbar.

„Hoffentlich haben deine Kochkünste sich verbessert“, sagte er schließlich mit vertraulicher Anrede, um seine Verbundenheit vor der Öffentlichkeit kundzutun.

Vorsichtig nickte Zoe. Es war eine Lüge, aber das würde er nie herausfinden. Sie war dankbar, dass er ihren Ausbruch ignorierte, und es überraschte sie, dass er keinen Kommentar dazu abgab.

Vermutlich spart er sich das für später auf, dachte sie angespannt. Nach der Zeremonie würde er ihr sicher eine gehörige Lektion erteilen.

„Als alles fehlschlug“, fuhr die ältere Frau unbeirrt fort, „wurde Zoe gezwungen, die Kranken zu versorgen, bis sie gelernt hatte, wie man sich benimmt. Sie hat sich über Jahre um die armen Frauen gekümmert.“

Zoe wusste, dass die Versorgung der Kranken den Sklaven im Stamm vorbehalten war, aber es war ihr egal. Denn genau das war ihr Wunsch gewesen.

„Zoe, du musst nicht länger die Kranken versorgen“, sagte Nadir.

Sie runzelte die Stirn, unsicher, was sie darauf antworten sollte. „Ich habe nichts gegen harte Arbeit, und ich mache meine Sache sehr gut.“

„Zoe!“ Die ältere Frau klang schockiert. „Eine Jazaari-Frau sollte bescheiden sein.“

Nadir erhob sich von seinem Platz, und Zoe bemerkte, wie groß und Ehrfurcht einflößend er war. Er bedeutete dem Oberhaupt der Ältesten, zum Podium zu kommen. Zoe drehte sich der Magen um vor Angst. Was hatte der Scheich vor? Sie hatte sein Missfallen erregt, und er würde sie sicher dafür bestrafen.

Triumphierend lächelte die ältere Frau und ging beschwingt davon, als der Älteste herantrat. Zoe war wütend auf sich, weil sie sich von der alten Schrulle hatte provozieren lassen.

Der Scheich legte die Hand auf seine Brust, als er zu dem Ältesten sagte: „Ihr habt mir Ehre erwiesen, indem Ihr mir Zoe zur Braut gegeben habt.“

Der Älteste konnte seine Überraschung nicht verbergen, genauso wenig wie die Gäste, die aufgeregt flüsterten. Zoe verspürte keine Erleichterung, sondern Misstrauen. Er fühlte sich geehrt? Er wusste doch überhaupt nichts über sie.

„Mit Freude nehme ich die Pflicht an, sie zu beschützen und ihr Zuflucht zu bieten“, fuhr der Scheich mit klarer, kräftiger Stimme fort. „Ihr wird es an nichts fehlen.“

Ihr Misstrauen verstärkte sich, als das Tuscheln lauter wurde. Was hatte er vor? Wenn ein Mann derlei Versprechen machte, tat er höchstwahrscheinlich genau das Gegenteil, das wusste sie aus Erfahrung. So wie Onkel Tareef versprochen hatte, sie bei sich aufzunehmen und sich um sie zu kümmern. Stattdessen hatte er ihr Erbe gestohlen und sie als unbezahlte Bedienstete in seinem Haushalt gehalten.

„Und als eure Sheika“, verkündete Nadir, „wird sie ihre Tage und Nächte damit verbringen, sich um mich zu kümmern.“

Zoe senkte den Kopf, als die Gäste in Jubel ausbrachen. Zorn erfüllte ihre Brust. Der Stamm war begeistert, dass sie dem Scheich gefiel. Er würde nicht zulassen, dass sie von seiner Seite wich, sodass sie keine Zeit mehr haben würde, sich um die Kranken zu kümmern. Schließlich ihr war die Ehre zuteil geworden, nach seiner Pfeife zu tanzen.

Dieser Mann hatte doch keine Ahnung, wie wichtig es für sie war zu arbeiten. Ehe ihre Eltern starben, hatte Zoe mit ihrer Mutter ehrenamtlich im Krankenhaus gearbeitet. Es war aufregend gewesen, und sie hatte erkannt, dass sie auch Ärztin werden wollte, genau wie ihr Vater.

Doch ihr Traum, bei ihrem Vater zu lernen, war zerstört worden, als ihre Eltern bei einem Autounfall starben. Plötzlich hatte sie sich in einem fremden Land wiedergefunden, bei Menschen, die sie nicht kannte. Sie hatte unter der Sprachbarriere gelitten, dem fremden Essen und dem abweisenden Stamm. Doch als sie dann zusah, wie der Heiler die Kranken behandelte, hatte sie sich wieder auf vertrautem Terrain befunden.

Ein paar Monate später ging sie dem Heiler zur Hand. Die Aufgabe war als Strafe gedacht, aber sie wollte lernen. Als Zoe dann merkte, dass die armen Frauen sich schwertaten, männliche Hilfe anzunehmen, übernahm sie dankbar die weiblichen Patienten. Auf diese Weise führte sie das Familienerbe fort, und die Aufgabe wurde zu ihrem Rettungsanker.

Endlich hatte sie einen Weg gefunden, sich von Onkel Tareefs Haus fernzuhalten und sich auf etwas anderes zu konzentrieren als ihre missliche Lage. Und wenn sie einen medizinischen Notfall behandelte, verspürte sie die gleiche Begeisterung wie damals im Krankenhaus zu Hause. Den notleidenden Frauen zu helfen, hatte ihrem Leben einen Sinn gegeben.

Und all das wollte der Scheich ihr jetzt nehmen? Sie sollte das Einzige aufgeben, das sie interessierte und worin sie gut war, nur weil es Nadir nicht gefiel? Das war nicht fair. Am liebsten hätte sie ihm auf der Stelle widersprochen.

Aber warum regte sie sich überhaupt auf? Was Nadir wollte, berührte ihre Zukunft nicht, in der er keinen Platz mehr haben würde.

„Ich muss sagen, du hast mich überrascht.“

Zoe wandte sich der großen, schlanken Frau zu, die nun neben ihr saß – ihre Cousine Fatimah. Sie trug ein schimmerndes graues Gewand, dazu schweren Goldschmuck um Hals, Handgelenke und an den Ohren. Fatimah liebte den dramatisch-glamourösen Auftritt.

„Ich hätte nicht gedacht, dass du es tun würdest“, fuhr Fatimah an Zoe gerichtet in heiterem Plauderton fort. „Ich weiß doch, wie sehr ihr Amerikaner an eine Liebesheirat glaubt.“

Zoe sagte nichts dazu. Sie hatte ihre Cousine noch nie gemocht. Fatimah würde sich nie mit einer Außenseiterin wie Zoe verbünden. Jetzt bemerkte sie den dunklen Blick ihrer Cousine. Fatimah war auf der Suche nach Ärger und hatte ihre Zielscheibe gefunden.

Die Cousine schenkte ihr ein schmales Lächeln. „Ich kann es gar nicht erwarten, Musad davon zu erzählen.“

Zoe zwang sich, ruhig zu bleiben. „Tu, was du nicht lassen kannst.“

Sie hoffte, es irgendwann zu schaffen, nicht mehr auf seinen Namen zu reagieren. Musad stand einst für eine zarte und dennoch erblühende Liebe in einer Welt voller Hass und Gleichgültigkeit. Jetzt erinnerte sie sein Name daran, dass man keinem Mann trauen konnte.

„Soll ich ihm einen Liebesgruß von dir überbringen?“, schlug die Cousine gehässig vor.

Zoe zuckte mit den Schultern. Musad hatte keine Bedeutung mehr für sie, seit er vor einem Jahr einfach nach Amerika gegangen war. Gelassen lehnte sie sich auf ihrem Stuhl zurück. „Sag ihm, was du willst.“

Fatimah legte ihre Hand auf Zoes Arm und beugte sich vor. „Wie kannst du so etwas sagen, wo ihr doch so eng wart.“

Zoe spürte, wie alles Blut aus ihrem Gesicht wich und eiskalte Angst sie erfasste. Fatimah wusste Bescheid, das zeigte ihr böse funkelnder Blick. Irgendwie musste sie von Zoes verbotener Beziehung zu Musad erfahren haben.

Sie musste Fatimah zum Schweigen bringen. Sollte sie ein Wort gegenüber ihrer Familie verlauten lassen … oder dem Scheich …

„Zoe?“

Als sie aufsah, entdeckte sie ihre Tanten und weitere Cousinen, die aufrichtig lächelten. Also hatten sie wohl nichts von Fatimahs Gehässigkeiten mitbekommen.

„Komm, Zoe.“ Eine ihrer Cousinen zog sie vom Stuhl hoch. „Es ist Zeit, dich für die Hochzeitsnacht vorzubereiten.“

Ihre Hochzeitsnacht. Bei dem Gedanken drehte sich Zoe der Magen um. Kichernd geleiteten ihre Tanten sie aus dem Innenhof und brachten sie nach oben in die Hochzeitssuite. Blanke Angst machte sich in Zoe breit, als ihr plötzlich bewusst wurde, dass sie nun dem Scheich gehörte. Einem Mann, der die Bestie genannt wurde.

Ihre verheirateten Cousinen gaben ihr Ratschläge, wie sie ihren Mann erfreuen könnte, aber Zoe hörte nichts von all dem, obwohl die Frauen sich in ihren derben Hinweisen überschlugen.

Zoe leistete keinen Widerstand, als die Frauen sie mitten auf dem Bett platzierten. Sie kniete sich auf die Matratze, die Hände vor sich gefaltet, den Kopf gebeugt. Auch wenn sie am liebsten davongelaufen wäre, wusste sie, dass die Frauen sie zurückbringen und bewachen würden. Also schloss sie die Augen und atmete zitternd durch. Schließlich hörte sie, wie die Frauen den Raum verließen.

In Zoes Wunschträumen war ihr Hochzeitstag angefüllt mit Lachen, Freude und Liebe.

Die Realität hingegen sah trostlos aus. Langsam öffnete sie die Augen. Sie hatte geheiratet, weil sie keine andere Wahl hatte und diese Ehe zu ihrem Vorteil nutzen wollte. Aber vielleicht gab sie bei diesem Mann mehr auf als nur ihre Freiheit, einem Mann, der ein gefährlicher Fremder für sie war.

Was hatte sie nur getan?

Blanke Panik umklammerte ihr Herz.

„Ich kann nicht mit ihm schlafen“, sagte Zoe laut, weil sie sich allein glaubte – bis Fatimah antwortete.

„Es wird von ihm verlangt, dass er die Ehe vollzieht“, sagte ihre Cousine. „Sonst wird sie nicht anerkannt.“

„Verlangt?“ Zoe drehte sich der Magen um. Das klang so unromantisch.

Fatimah warf einen verärgerten Blick in ihre Richtung. „Darauf basiert ja die letzte Zeremonie am dritten Tag, an dem der Vollzug der Ehe gefeiert wird.“

Zoe blieb der Mund offen stehen. „Ist das dein Ernst?“

„Und wenn du nicht nach seinem Geschmack bist“, fuhr Fatimah fort und sah sie von der Seite an, „kann er dich fortjagen.“

Zoe krauste die Stirn. „Fortjagen? Du meinst zurück zu meiner Familie? Nein, das kann er nicht. Netter Versuch, Fatimah, aber ich falle nicht mehr auf deine Lügen herein.“

„Ich lüge nicht“, schwor Fatimah und legte ihre flache Hand auf die Brust. „Das hat der Scheich mit seiner ersten Frau auch gemacht.“

Seine erste Frau? Überrascht starrte Zoe ihre Cousine an. „Wovon redest du?“

„Hat dir das niemand erzählt?“ Fatimahs Miene hellte sich auf, als ihr klar wurde, dass sie Zoe einen weiteren Schlag versetzen konnte. „Vor zwei Jahren heiratete der Scheich die Tochter einer der besten Familien des Stammes. Yusra. Erinnerst du dich an sie?“

„Kaum.“ Yusra war wunderschön, äußerst weiblich und das vollkommene Jazaari-Mädchen. Insgeheim hatte Zoe sie jedoch für eine verzogene, hochnäsige Göre gehalten. Sie war froh gewesen, als deren Familie den Ort verlassen hatte.

„Es war eine sagenhafte Zeremonie. Ganz anders als alle, die ich bisher gesehen habe. Und viel schöner als deine. Erinnerst du dich nicht?“

„Wahrscheinlich war ich nicht eingeladen.“ Sie war eine Außenseiterin. Entweder wurde sie ignoriert oder tyrannisiert. Jedes Stammesmitglied konnte sie öffentlich erniedrigen, ohne Konsequenzen fürchten zu müssen. Denn alle wussten, dass ihr Onkel sich nicht schützend vor sie stellen würde.

„Nun, der dritte Tag der Zeremonie hatte kaum begonnen, als er Yusra vor aller Augen zu ihren Eltern zurückjagte.“ Fatimah wedelte mit der Hand, dass ihre goldenen Armreife klimperten. „Er sagte, sie sei nicht nach seinem Geschmack.“

„Er hat mir ihr geschlafen und sie dann fallen lassen? Kann er denn so etwas tun?“

„Es hat einen Skandal gegeben“, erklärte die Cousine. „Wie kommt es, dass du nichts davon weißt? Du hast doch hier gelebt, als es passierte.“

Vermutlich hatte Zoe davon gehört, das Ganze aber wohl als übertrieben abgetan. So wie all die Geschichten, die nur dem Zweck dienten, die jungen Mädchen zu ängstigen, damit sie sich anständig benahmen.

Ihre Knie zitterten, als eine Welle der Angst über ihr zusammenschlug. Wenn sie nicht mit dem Scheich schliefe, würde er sie zu ihrer Familie zurückschicken. Und wenn doch, hätte sie vermutlich das gleiche Problem.

2. KAPITEL

Was soll ich nur tun? dachte Zoe, nachdem ihre Cousine verschwunden war. Ihr Blick irrte zu den geöffneten Fenstern mit den durchsichtigen Vorhängen, die in der Brise flatterten. Nein, auf diesem Weg konnte sie nicht entkommen.

Selbst wenn sie es schaffte, gab es keinen Platz, an dem sie sich verstecken könnte. Das hatte sie über die Jahre bitter lernen müssen, nach all den fehlgeschlagenen Fluchtversuchen. Niemand würde ihr Zuflucht gewähren, und die Wüste war eine Todesfalle. Beim letzten Mal hätte sie fast nicht überlebt.

Sie war gefangen und musste sich etwas einfallen lassen. Fest kniff Zoe die Augen zusammen. Denk nach.

Doch sie konnte nur an eines denken. Keuschheit war bei einer Frau hoch angesehen, und sie war keine Jungfrau mehr.

Der Stamm hatte sehr strikte Regeln in Bezug auf Sex außerhalb der Ehe. Die Männer wurden bestraft, aber nicht so hart wie die Frauen. Zoe verdrängte die Erinnerung an die Wunden ihrer Patientinnen, die ausgepeitscht oder mit einer Gerte gezüchtigt worden waren.

Ein Mann wie der Scheich verlangte nach einer unberührten Braut. Zoe hatte davon gewusst, ehe sie dieses Arrangement akzeptierte, hatte jedoch geglaubt, sicher zu sein, sobald der Ehevertrag erst einmal unterschrieben war. Was für ein Irrtum.

Die Tür öffnete sich, und Zoe hielt die Luft an. Am liebsten wäre sie davongelaufen. Stattdessen senkte sie den Kopf und presste die Hände gegeneinander.

Schmerzlich zuckte sie zusammen, als die Tür sich schloss. Aber sie wusste, dass sie dem Scheich gefallen musste und ihn nicht beleidigen durfte.

„Möchtest du einen Drink, Zoe?“, fragte er sanft, als er neben der Tür aus seinen Schuhen schlüpfte.

Wortlos schüttelte sie den Kopf. Ihre Kehle brannte und es verlangte sie nach Alkohol, um ihre Sinne zu betäuben. Aber sie würde wahrscheinlich keinen Tropfen hinunterbekommen, ohne würgen zu müssen.

Wie sollte sie diese Nacht nur überstehen? Vielleicht würde er ja nicht merken, dass sie keine Jungfrau mehr war? Ihr tat der Kopf weh, während sie fieberhaft überlegte. Sollte sie so tun, als sei sie noch unberührt? Ob sie damit durchkommen würde? Nach dem, was sie über ihren Ehemann gehört hatte, war er sehr erfahren und unersättlich in seinem Verlangen.

Sie hörte, wie sein Umhang zu Boden fiel, ehe etwas Weicheres folgte. Wie magisch angezogen ging ihr Blick zu ihm, und sie sah, dass er seinen Turban abgenommen hatte. Er hatte kurzes, dichtes schwarzes Haar.

Doch er wirkte keineswegs weniger einschüchternd. Vielmehr erschien er noch härter, rücksichtsloser. Ein Abbild an Kraft und Stärke und ein Mann, der in der Blüte seiner Jahre stand.

Zoe wandte den Blick ab und starrte auf ihre Hände. Was war nur los mit ihr? Sie hatte doch kein Interesse an dem Scheich. Vielmehr könnte er ein Hindernis darstellen für ihren Traum, nach Hause zurückzukehren.

„Es war eine gute Zeremonie“, sagte der Scheich. „Kurz. So ist es mir am liebsten.“

Zoe nickte, obwohl ihr das Fest entsetzlich lang vorgekommen war. Und diese Nacht würde endlos werden. Wie sollte sie sich nur verhalten? Vielleicht sollte sie sich sittsam geben, sodass er ihr nicht nahe genug kam, um herauszufinden, ob sie noch Jungfrau war oder nicht. Oder sie könnte so tun, als würde sie bei seinem hüllenlosen Anblick ohnmächtig dahinsinken. Vielleicht weinen. Zwei Tage und Nächte lang. Männer hielten es bei weinenden Frauen ja nie lange aus.

Obwohl der Scheich anders sein mochte. Wahrscheinlich war er es gewohnt, dass Frauen in seiner Gegenwart zitterten und weinten.

Sie hörte, dass sich Schritte dem Bett näherten. Zoe blieb fast der Atem stehen.

„Zoe?“ Der Scheich stand unmittelbar neben ihr.

Sie entschloss sich, ihrem ursprünglichen Plan zu folgen, nicht mit dem Scheich zu schlafen. Fatimah hatte wieder einmal versucht, sie zu verunsichern, aber sie würde nicht darauf hereinfallen. Denn sie musste in dieser Nacht nichts anders tun, als ihren Ehemann auf Distanz zu halten und die schüchterne Braut zu spielen, bis sie in die Flitterwochen aufbrechen würden. Hatten sie Jazaar dann erst einmal hinter sich gelassen, könnte sie entfliehen.

„Du strafst mich also mit Schweigen?“ Er klang amüsiert. „Dabei sind wir noch nicht einmal einen Tag verheiratet.“

Schweigen? Ihr Problem war eher, dass sie sagte, was sie dachte. „Ich bin nervös, Königliche Hoheit“, erwiderte sie und hasste sich dafür, dass ihre Stimme zitterte.

„Du könntest mich Nadir nennen. Und du musst bei mir nicht nervös sein.“

Natürlich musste sie das. Er hatte die Macht, ihr Leben zu zerstören oder ihr unwissentlich dabei zu helfen, dass sie sich ein neues schuf. Sie neigte den Kopf, um anzudeuten, dass sie ihn verstanden hatte, verspannte sich aber sofort, als er sich vor sie auf die Matratze kniete.

Sie fühlte sich plötzlich kleiner, da Nadir über ihr aufragte. Entschlossen hielt sie den Blick auf ihre Fäuste im Schoß gesenkt. Wachsam beobachtete sie, wie er mit seiner großen dunklen Hand nach einer ihrer Hände griff und zuckte zurück, als Hitze sie bei seiner Berührung durchfuhr.

Zoe spürte seine Kraft, als er sanft ihre Faust öffnete und die Armreife abstreifte. Ihr Arm fühlte sich viel leichter an, als die Reife zu Boden fielen.

Träge fuhr Nadir mit einer Fingerspitze über das Hennamuster auf ihrer Hand. Ihre Haut prickelte, und Zoe war versucht, ihre Hand zurückzuziehen.

Nadir strich über ihren Kopf, und Zoe musste sich zwingen, nicht zurückzuweichen. Mit seiner sanften Berührung schien er einen Anspruch auf sie auszudrücken, den Zoe nicht akzeptieren würde. Sie wollte seine Hände nicht auf sich spüren, wollte vom Bett springen. Stattdessen bemühte sie sich darum, reglos zu bleiben. Hitze durchströmte ihre Adern, während Nadir die Haarnadeln löste, die den Schleier hielten. Achtlos warf er sie auf den Boden, ehe er den Schleier hob, der ebenfalls am Boden landete.

Auch wenn Zoe dankbar war, das Gewicht nicht länger tragen zu müssen, hatte sie nun keine Möglichkeit mehr, sich hinter dem Schleier zu verstecken.

Sie hielt den Kopf gesenkt, als Nadir mit seinen Fingern durch ihr langes braunes Haar fuhr.

„Sieh mich an, Zoe.“

Ihr Puls überschlug sich. Sie war noch nicht bereit, ihn anzusehen. Trotzdem nahm sie all ihren Mut zusammen, hob langsam den Kopf und begegnete Nadirs Blick.

Hitze flammte in ihr auf, als sie das Verlangen in seinen Augen bemerkte. Sie wusste, dass sie den Blick abwenden sollte, blieb jedoch bewegungslos sitzen, während er mit seinem Mund über ihre Stirn strich.

Ihre Lippen prickelten voller Erwartung, als sie seinen warmen Atem spürte, ehe er sanfte Küsse auf ihre Wange hauchte, die Hände in ihrem dichten Haar vergraben. Leise seufzte sie auf.

Zoe rückte näher, hielt dann aber abrupt inne. Beinahe hätte sie ihrem Verlangen nachgegeben, dabei sollte sie sich doch wie eine schüchterne Jungfrau verhalten.

Warum reagierte sie so begierig auf ihn? Verlangte ihr Körper so sehr nach der Berührung eines Mannes, weil es schon so lange her war? Oder wusste Nadir einfach, wie man eine Frau berühren musste, um sie alles andere vergessen zu machen?

Sie würde nicht darauf hereinfallen. Offensichtlich hatte er vor, sie an seine Annäherungsversuche zu gewöhnen, statt sie als Bedrohung zu empfinden.

Aber dafür war es zu spät. Seit er sie berührt hatte, stellte Nadir eine Bedrohung für sie dar. Weil sie sich nach mehr sehnte.

Doch sie durfte ihre Abwehr nicht aufgeben und ihn zu nahe an sich heranlassen. Ihre Zukunft hing davon ab.

Nadir umfasste ihr Gesicht und bedeckte ihren Mund mit seinem.

Wildes Verlangen explodierte in ihr. Noch nie war sie so geküsst worden. Sein Kuss zeugte von Besitzanspruch. Dominanz.

Sie konnte sich ihm nicht hingeben, sonst würde er die Wahrheit über sie herausfinden. Zoe wusste, dass sie seiner Verführung Einhalt gebieten sollte, doch wie von selbst teilten sich ihre Lippen, sodass er mit seiner Zunge in ihren Mund vordringen konnte.

Von Gefühlen überwältigt, klammerte sie sich an Nadirs Schultern. Sie wollte mehr, so viel mehr.

Zoe achtete nicht auf die Warnung, die der Verstand ihr eingab, bis sie Nadir stöhnen hörte. Er war zu sinnlich, zu gefährlich. Sie beendete den Kuss und drehte schnell den Kopf zur Seite.

Sie merkte, wie er versuchte, sein Verlangen zu bändigen, und wusste, dass sie ihr Glück herausforderte. Sie durfte ihn nicht enttäuschen. „Es tut mir leid“, flüsterte sie und wandte den Blick wieder ab.

Zoe presste die Fingerspitzen auf ihre geschwollenen Lippen. Ihre Brüste fühlten sich schwer an, und tief in ihrem Bauch spürte sie einen süßen Schmerz. Sie musste dieses Bett verlassen. Sofort.

Während sie gegen ihre Begierde ankämpfte, wurde Zoe bewusst, dass sie diesen entscheidenden Punkt in ihrem Plan nicht berücksichtigt hatte. Sie hätte nie gedacht, so ein Verlangen nach dem Scheich haben zu können, dass sie alle Vorsicht vergaß.

Und das durfte nicht sein. Sie musste vor ihm verbergen, dass sie sich in beschämender Weise zu ihm hingezogen fühlte. Unter keinen Umständen durfte sie ihn näher an sich heranlassen. Und keine Küsse mehr.

„Ist schon in Ordnung“, murmelte er und hauchte Küsse auf ihren Hals. „Ich möchte, dass du mich auch küsst.“

Sie wollte mehr als ihn nur küssen. Wobei sie doch unerfahren und schüchtern wirken musste, wie sie sich in Erinnerung rief, während Nadir ihr eine Halskette nach der anderen abnahm. Wieso hatte er so viel Macht über ihre Empfindungen?

Sie spürte, wie seine Hände ihren Rücken hinunterwanderten und ihr Oberteil öffneten. Er hatte tatsächlich die Druckknöpfe gefunden, die sich hinten unter der Perlenstickerei versteckten. Die Hochzeitsnacht nahm einen Verlauf, den sie nicht wollte, und sie wusste nicht, wie sie dem Einhalt gebieten konnte. Nadir zog ihr das Oberteil über die Schultern und enthüllte ein dünnes weißes Hemdchen.

Sie spürte seinen brennenden Blick und zitterte in gefährlicher Erregung, obwohl sie sich doch unsicher und entblößt fühlen sollte. Was würde eine Jungfrau jetzt tun? Verspätet verschränkte Zoe die Arme vor der Brust, doch Nadir griff nach ihren Handgelenken.

„Nicht“, befahl er schroff und zog ihr die Arme herunter. „Versteck dich niemals vor mir. Du bist wunderschön.“

Zoe wollte glauben, dass dieses Kompliment ihm automatisch über die Lippen gekommen war, weil er es zu allen Frauen sagte, die er in sein Bett holte. Aber sie fühlte sich tatsächlich wunderschön. Begehrt. So hatte sie schon lange nicht mehr empfunden. Doch sie musste sehr vorsichtig sein, durfte nicht ihrem Instinkt folgen, auch wenn das Blut lustvoll in ihren Adern pulsierte.

Nadir senkte den Kopf und eroberte ihren Mund. Diesmal war er nicht sanft. Vielmehr hatte sie seine Angriffslust geschürt. Sein Kuss war hart, hungrig. Er konnte nicht verbergen, wie sehr er sie wollte und brauchte.

Hitze wirbelte durch ihren Leib, und sie fuhr mit den Händen in seine Haare, als er sie auf das Bett legte. Sie würde ihm noch einen Kuss erlauben und sich dann von ihm lösen. Nur noch einen …

Sie protestierte nicht, als Nadir den schweren Rock über ihre Hüften schob. Dann setzte er sich zurück und sie sah benommen zu, wie er seine Dishdasha auszog und auf den Boden schleuderte.

Beim Anblick seiner muskulösen Brust schnappte Zoe nach Luft. Okay, neue Regel, entschied sie hektisch. Weiter würden sie sich auf keinen Fall ausziehen.

Ohne nachzudenken, streckte sie die Hand aus und streichelte seine Brust, während sie sich vorstellte, wie er sich schweißnass gegen ihre Brüste presste.

Sie schob die Hüften vor, als das Verlangen in ihrem Innern stärker wurde. Oje. Das hätte sie nicht tun sollen. Ob Nadir den schamlosen Vorstoß bemerkt hatte?

Sie sollte sich nicht so forsch geben, denn eine Jungfrau hatte schüchtern und unsicher zu sein. Und Nadir durfte nicht wissen, wie viel Freude es ihr bereitete, seinen Körper zu erkunden.

„Berühr mich noch einmal“, flüsterte er heiser. „Berühr mich, so viel du willst.“

Er hätte sie nicht ermutigen sollen, denn sie wollte ihn berühren, wieder und wieder. Auf eine Weise, die ihn sicher schockierte.

Aber sie konnte sich auch nicht verweigern. Okay, die neue Regel musste überarbeitet werden. Sie würde nur seinen Oberkörper berühren, dann konnte nichts passieren. Sie spreizte die Finger und liebkoste seine Arme und Schultern, ließ die Hände über seinen Rücken und zurück zu seiner Brust wandern.

Nadirs Muskeln spannten sich an, als sie mit ihrem Fingernagel über seine Brustwarze fuhr. Ein Gefühl von Macht durchfuhr sie bei dieser Reaktion. Mit beiden Händen strich sie über seinen harten Bauch, bis zum Bund seiner weißen Boxershorts.

Irgendetwas in ihrem Blick musste verraten haben, was sie fühlte. Sie sah, dass Nadirs Miene angespannt wirkte und Feuer in seinen Augen glomm, bevor er erneut ihren Mund in einem langen Kuss eroberte.

Unbewusst spreizte sie die Beine, ehe er sich dazwischen legte. Zoe spürte, dass er sich darum bemühte, langsam vorzugehen, während er ihr Bein streichelte.

Dann vertiefte er den Kuss und umfasste ihre Brust, eine besitzergreifende Berührung, die Zoe überraschte. Es fühlte sich gut an. Richtig. Ihre Knospe wurde hart, ihre Brüste waren voll und schwer.

Benommen wurde ihr klar, dass sie ihm Einhalt gebieten sollte. Noch war sie nicht an dem Punkt, wo es kein Zurück mehr gab; trotzdem hatte sie sich von ihrem ursprünglichen Plan schon weit entfernt. Sie sollte das Ganze jetzt beenden, egal, wie sehr sie es wollte.

Zoe keuchte, als er ihre Knospe zwischen seine Finger nahm. Heftiges Verlangen breitete sich in ihr aus, und sie bewegte sich unter ihm, weil sie mehr von ihm wollte.

Nadir kam ihrer stummen Aufforderung nicht nach, sondern zog sich zurück, um ihr mit zitternder Hand das Hemdchen herunterzustreifen. Sie glaubte, ein zufriedenes Schnurren zu hören, ehe er sich hinabbeugte und ihre Brust mit seinem Mund umschloss.

Ein Stöhnen stieg in Zoes Kehle auf, das so gar nicht unschuldig klang. Sie warf den Kopf zurück, von heißer Begierde durchflutet, schloss die Augen und wollte doch nicht zeigen, wie schwach sie sich in ihrem Verlangen fühlte. Nadir schien genau zu wissen, was sie brauchte.

Instinktiv schlang sie ihre Beine um seine schmalen Hüften und zog ihn näher zu sich heran. Sie wollte ihn in sich spüren, aber dann würde er die Wahrheit herausfinden.

Schnell nahm sie ihre Beine wieder herunter, von Panik überwältigt. Sie umfasste seine breiten Schultern und wollte ihn von sich stoßen, doch er war zu stark. „Wir sind weit genug gegangen“, platzte sie heraus. „Ich werde nicht mit dir schlafen.“

Sie schlug die Hand vor den Mund. Angespannte Stille hing im Raum. Nadir rührte sich nicht, aber sie spürte, dass er sich verspannte.

Jetzt hatte sie es getan. Zoe zog die Schultern zusammen und wartete darauf, dass er explodieren würde. Jungfräuliche Zurückhaltung war das eine, aber offene Verweigerung etwas ganz anderes. Der Scheich würde sie zurück zu ihrer Familie jagen, noch ehe diese Nacht vorbei war.

Nadir erschauerte in dem Versuch, sich zurückzuhalten. Es verlangte ihn so sehr nach Zoe. Er wollte von ihr kosten, sich in ihr versenken und sie auf ungebremste Art und Weise nehmen.

Warum er sich so sehr von ihr angezogen fühlte, wollte er nicht hinterfragen. Es war ein unerwarteter Bonus dieser arrangierten Ehe, und er wollte für ein paar Nächte das Beste daraus machen, ehe er seine Braut fortschickte.

Doch Zoe sah das anders. Ob das ungewohnte Verlangen sie ängstigte? Oder steckte etwas anderes dahinter? Vielleicht hatte sie von den Gerüchten über ihn gehört, die wohl jede Braut in Panik versetzen würden.

„Zoe.“ Er streckte die Hand nach ihr aus, hielt aber inne, als sie zusammenzuckte. Glaubte sie etwa, er wolle sie schlagen?

„Tut mir leid“, sagte sie. „Ich wollte das nicht sagen.“

„Doch, das wolltest du.“ Eindringlich sah er sie an, und ihr Gesicht verriet, dass sie fieberhaft über ihre nächsten Worte nachdachte.

„Also gut, ja“, gestand sie. „Aber … du musst das verstehen. Ich kenne dich nicht.“

Er stützte sich auf dem Bett ab und sah sie an. „Ich bin dein Ehemann. Mehr musst du nicht wissen.“

Ihre Miene wirkte nun entschlossen, als sie bekräftigte: „Ich weiß überhaupt nichts von dir.“

Es war nicht das, was sie eigentlich hatte sagen wollen, das verriet ihr ausdrucksvoller Blick. „Ich weiß auch nichts über dich“, meinte er, „aber das ist in Ordnung für mich.“

Zoes Augen verengten sich. „Frauen sehen das eben anders.“

Scharf stieß Nadir die Luft aus. Das stimmte. Für Frauen war Sex nicht einfach nur Sex. Für sie ging es auch um Beziehung, Intimität. Und für eine Jungfrau sollte es eine magische Erfahrung sein.

Zur Hölle mit diesen Jungfrauen. Warum mussten sie ein schlichtes Vergnügen zu solch einem Problem machen?

„Ich weiß wirklich nicht mehr über dich als deinen Namen“, fuhr sie leise fort.

Den sie bis jetzt nicht einmal ausgesprochen hatte, wie ihm klar wurde. Dabei hatte er sich vorgestellt, wie sie ihn immer wieder hinausschrie, aber das würde in dieser Nacht nicht passieren. Widerwillig streifte Nadir ihr den dünnen Träger des Hemdchens wieder über die Schulter.

„Ich kenne weder deine Lieblingsfarbe, noch welchen Drink du bevorzugst.“

Die Worte sprudelten über ihre roten Lippen, in dem verzweifelten Versuch, ihr Verhalten zu erklären. Aber er glaubte ihr kein Wort. Zoe versuchte, eine Mauer zwischen ihnen zu errichten.

„Ich weiß nicht, was dich am meisten aufbringt oder welche Ziele du hast. Es ist schwierig, mit einem Fremden zu schlafen, selbst wenn man mit ihm verheiratet ist.“

„Seit Jahrhunderten leben Frauen in arrangierten Ehen“, widersprach er. „Das ist normal.“

„Nicht für mich.“

Nadir presste die Zähne aufeinander. Eine amerikanische Braut war wohl das Schlimmste vom Schlimmsten.

Tatsächlich war seine Braut sehr amerikanisch. Wie lange würde es wohl dauern, bis sie erkannte, dass auch er vom westlichen Geist durchdrungen war? Bei Zoe musste er auf der Hut sein, denn sollte sie Verdacht schöpfen, dass er nicht so konservativ war, wie er vorgab, könnte sie dieses Wissen gegen ihn verwenden.

„Jetzt habe ich dich wütend gemacht“, sagte sie und ihre Unterlippe zitterte.

Würde sie anfangen zu weinen? Er hatte nicht einmal seine Stimme erhoben. Er wusste, dass dies ein sehr gefühlsgeladener Tag für sie war. Und offensichtlich war sie sich nun der Tatsache bewusst, dass sie einen Mann geheiratet hatte, den sie die Bestie nannten.

Kein sehr angenehmer Gedanke. Sie war viel zu nervös, um sie zu sinnlichen Freuden verführen zu können, und er würde sie nicht dazu zwingen.

Eine Braut, die Angst vor ihm hatte, war das Letzte, was er brauchte. Denn das würde nur noch mehr Fragen aufwerfen und weitere Gerüchte in Umlauf bringen. Er musste dem Stamm zeigen, dass er in der Lage war, die amerikanische Wildkatze in eine traditionelle Jazaari-Frau zu verwandeln. Hatten sie erst einmal das Dorf verlassen, würde er sie fortschicken. Bis dahin musste er rücksichtsvoll sein. Geduldig.

Dabei war er kein geduldiger Mann, und ohne seine einschüchternde Rücksichtslosigkeit wäre er nie so weit gekommen. Aber seiner verängstigten Frau musste er seine zärtliche Seite zeigen.

Wenn er denn eine hatte.

„Ich bin nicht wütend, Zoe. Hör auf, dich vor mir zu ducken.“

Scharf atmete sie ein. „Ich ducke mich nicht“, schoss sie zurück.

Aha, dann sind das wohl Krokodilstränen gewesen. „Du hast recht damit, dass wir einander fremd sind und uns besser kennenlernen müssen.“

Eifrig nickte sie, und Erleichterung glomm in ihren Augen. „Ganz genau.“

„Aber du teilst trotzdem das Bett mit mir“, erklärte er und bemerkte ihren gehetzten Blick, als er sich neben sie setzte. „Wie sollten wir sonst mehr voneinander erfahren?“

„Ich … ich …“

Unruhig ging ihr Blick durch den Raum, als suchte sie nach einer Antwort.

Es war notwendig, dass sie im gleichen Bett schliefen. Denn sollte nur einer der Bediensteten mitbekommen, dass sie getrennt schliefen, würde sich die Nachricht wie ein Lauffeuer verbreiten, und es war ganz und gar nicht in seinem Interesse, dass die Stammesältesten davon erfuhren.

„Ich werde dich erst berühren, wenn du bereit dafür bist“, sagte Nadir.

Misstrauisch verengte Zoe die Augen – eine Beleidigung für ihn. Warum sollte sie sein Wort infrage stellen? Er war ein Scheich. Und ihr Ehemann.

„Ich muss mich einer Frau nicht aufzwingen“, sagte er gefährlich ruhig.

Sie wurde blass. „Ich … habe nie gesagt …“

„Ich weiß.“ Das musste sie auch nicht. Ihr Blick verriet, dass sie ihn für die sagenumwobene Bestie hielt, die ihr Opfer im Schlaf verschlingen würde. Nadir schluckte einen tiefen Seufzer hinunter und machte das Licht aus. „Jetzt schlaf, Zoe.“

Nadir bemerkte, dass sie so weit wie möglich von ihm abrückte. Dann drehte sie sich auf die Seite und sah ihn an, als müsste sie ihn im Auge behalten.

Träge streckte er die Hand nach ihr aus. Mit einem Aufschrei protestierte sie und verspannte sich, als er sie an seine Seite zog. Wobei er versuchte, nicht darauf zu achten, wie gut ihre Körper zueinander passten.

„Du wolltest mich doch erst berühren, wenn ich bereit dafür bin“, sagte sie steif.

„Ich werde keinen Sex mit dir haben, bis du bereit dafür bist“, verbesserte er sich. Und sie würden bald miteinander schlafen, dafür würde er sorgen. „Aber wenn du am anderen Ende der Matratze liegst, wirst du mich nie näher kennenlernen.“

Auch wenn sie sich nicht aus seiner Umarmung löste, spürte er, dass sie es wollte. Wahrscheinlich würde Zoe das Bett verlassen, sobald er eingeschlafen war. Also musste er schnell ein harmonisches Verhältnis zwischen ihnen schaffen, aber wie sollte er das anstellen, ohne mit ihr zu schlafen?

Nadir sah zur Decke, während er über andere Möglichkeiten nachgrübelte. Er dachte an das, was Zoe gesagt hatte, und verdrehte die Augen. Es war lächerlich, aber vielleicht war es einen Versuch wert. „Es ist Blau.“

„Was ist blau?“, fragte sie.

„Meine Lieblingsfarbe“, erwiderte er brummig. „Ein tiefes Saphirblau. So wie der Himmel über der Wüste, bevor es Nacht wird.“

Schweigen hing über ihnen. „Blau ist auch meine Lieblingsfarbe“, gab sie schließlich widerwillig zu.

„Das dachte ich mir.“ Nadir wusste nicht, ob sie ihm damit einen Gefallen tun wollte oder ob es der Wahrheit entsprach. Aber das war egal, solange sie ein bisschen mehr von ihm kennenlernte. Und morgen würde sie ihn in ihrem Bett akzeptieren, nein, willkommen heißen. Dann würde er seine Frau auf die köstlichste Weise zähmen, ehe er sie fortschickte.

Er schloss die Augen, immer noch erregt, während er Zoes Duft einatmete. Ihre langen Haare flossen über seine Schulter und ihr weicher Körper war an seinen gepresst. Haut an Haut.

Und er konnte nichts tun.

Er hatte nicht erwartet, derart leiden zu müssen, und trotzdem war es sehr viel besser als seine letzte Hochzeitsnacht.

3. KAPITEL

Zoe schreckte aus dem Schlaf. Ihr Herz hämmerte, und ihre Muskeln waren so verspannt, dass es wehtat. Sie legte den Kopf schräg, wie ein kleines Tier, das Gefahr witterte. Sonnenstrahlen fielen durch das Fenster, und sie hörte gedämpftes Murmeln unten aus dem Innenhof. Vorsichtig sah sie zur Seite und betete darum, dass Nadir sie nicht im Schlaf beobachtet hatte. Erleichtert stellte sie fest, dass das Bett leer war.

Sie strich sich die zerzausten Haare aus den Augen und konnte immer noch nicht glauben, dass sie tatsächlich eingeschlafen war. Sicher aus Erschöpfung, wie sie sich einredete, und nicht deshalb, weil sie Nadirs Wort glaubte. Die ganze Nacht hatte sie angespannt in Nadirs Armen gelegen. Es hatte sich nicht nur fremd angefühlt, ihr Bett mit ihm zu teilen, sondern es war auch eine Herausforderung für sie gewesen, ihre Hände bei sich zu behalten. Auf ihr unerklärliche Weise war sie versucht gewesen, Nadirs muskulösen Körper zu erkunden.

Zoe sprang aus dem Bett und ging ins Bad. Im Schrank hingen einige Kleider, und sie griff nach einem senfgelben Kaftan. Als sie im Vorbeigehen einen Blick in den Spiegel warf, der über dem Waschbecken hing, blieb sie ruckartig stehen.

Ach du liebe Güte. Sie fuhr mit den Händen durch ihre völlig zerzausten Haare und starrte auf ihr verschmiertes Make-up. Unter ihrem dünnen Nachthemd zeichnete sich deutlich ihr Körper ab. Sie sah draufgängerisch und sexy aus, als hätte sie eine Nacht voller Ausschweifungen erlebt. Und glaubte man den Gerüchten über Nadirs legendäre Triebhaftigkeit, war es ein Wunder, dass er nicht mit ihr geschlafen hatte.

Warum nicht? Nadir musste etwas vorhaben. Männer sind nun einmal so, entschied sie, als sie sich unter die Dusche stellte. Sie versprechen einem Liebe und Fürsorge, tatsächlich aber benutzen sie einen nur.

Aber diesmal benutzte sie einen Mann, wurde ihr mit dunkler Befriedigung bewusst. Sie nutzte ihren Ehemann zu ihrem Vorteil.

Während das heiße Wasser auf ihren Körper hinunterprasselte, überdachte sie ihren Plan. Ihr war nicht erlaubt zu reisen, außer in Begleitung eines männlichen Verwandten. Dabei war es egal, dass sie über achtzehn war und amerikanische Staatsbürgerin. Aber wenn sie den dritten Tag der Hochzeitszeremonie hinter sich gebracht hatte, würde sie mit Nadir in die Flitterwochen aufbrechen. Und hatte sie erst einmal die Grenzen von Jazaar hinter sich gelassen, konnte sie nach Texas flüchten.

Sie musste herausfinden, wohin die Hochzeitsreise ging. Hoffentlich irgendwo nahe bei Amerika. War sie erst zurück in ihrer richtigen Heimat, konnte sie ihre Ausbildung abschließen und ein Leben nach ihren Vorstellungen führen.

Zoe sah auf ihre Hände mit dem Hennamuster. Natürlich wäre sie immer noch mit dem Scheich verheiratet, wenn sie in Amerika ankam, aber sie könnte die Ehe annullieren lassen, falls Nadir es nicht schon vor ihr tun würde. Er würde ihr nicht nachreisen, denn er hatte die Auswahl unter den Frauen. Für einen Mann wie Nadir war sie leicht ersetzbar.

Nachdem Zoe sich angezogen hatte, ging sie zum Wohnzimmer der Hotelsuite. Sie hatte alles getan, um so unscheinbar wie möglich auszusehen. Ihre braunen Haare, immer noch feucht, waren zu einem strengen Zopf geflochten. Sie hatte kein Make-up aufgelegt und auf jeglichen Schmuck verzichtet. Ihr verblichener Kaftan zeigte nichts von ihrer Figur, und der gelbe Farbton ließ ihre Haut blass wirken.

Nadir würde entsetzt sein – was gut war, wie sie sich in Erinnerung rief, als sie still den Raum betrat. Wenn er sie nicht attraktiv fand, würde er keine Eile haben, mit ihr zu schlafen.

Jetzt sah sie zwei Bedienstete, die Platten mit Essen trugen und entdeckte Nadir, der auf den großen Seidenkissen am Boden neben dem niedrigen Tisch saß. Er trug ein kurzärmliges graues Hemd und eine dunkle Hose. Geschmeidig stand er auf, als er sie bemerkte.

Stirnrunzelnd musterte Nadir ihre Aufmachung. Sie kannte diesen Blick. Er drückte Missfallen aus. Enttäuschung. Zoe fragte sich, ob er ihre arrangierte Ehe bereits bereute.

„Ich hoffe, du hast gut geschlafen“, meinte er schließlich.

„Ja, danke“, log sie.

Das Funkeln in seinen dunklen Augen verriet ihr, dass er die Wahrheit kannte. Er wusste, dass sie die ganze Nacht auf der Hut gewesen war. Jedes Mal, wenn sie glaubte, von ihm abrücken zu können, hatte er sie mit festem Griff daran gehindert.

„Bitte, nimm dir Frühstück.“ Er deutete auf den niedrigen Tisch, der beladen war mit Speisen. Sie atmete das Aroma von starkem Kaffee und schmackhaftem Frühstück ein.

Aber sie war es nicht gewohnt, früh am Morgen so viel zu essen, und mit Nadir zu frühstücken, schien ihr zu vertraut. „Nein, danke. Ich frühstücke nicht.“

„Gestern Abend hast du nicht viel gegessen.“ Er legte seine Hand auf ihren Rücken. Die unerwartete Berührung verblüffte sie, und sie zuckte zusammen. Nadir runzelte die Stirn, als sie automatisch einen Schritt zur Seite trat. „Ich bestehe darauf, dass du etwas isst.“

Es überraschte sie, dass er ihren mangelnden Appetit bemerkt hatte. Was bemerkte dieser Mann noch alles? Sie musste wachsam bleiben, entschied sie und wollte auf die andere Seite des Tisches gehen.

„Nein, Zoe, setz dich neben mich.“ Er deutete auf das große Seidenkissen, das sie sich teilen würden.

Zoes Blick flog zu seinem Gesicht. Etwas flackerte in seinen Augen auf, ehe seine Miene einen unschuldigen Ausdruck annahm. Aber sie wusste es besser. Er spielte nur die Rolle des vernarrten Ehemannes.

Ob er diese Rolle für die Bediensteten spielte, die beflissen in der Nähe des Tisches standen? Vielleicht glaubte er, sie würden tratschen?

Oder war das nur für sie bestimmt? Seine Braut zeigte sich widerwillig, also könnte er sie wohl am besten in sein Bett locken, indem er den zärtlichen und umsichtigen Ehemann gab? Sie glaubte nicht, dass er die Rolle auf Dauer durchhalten würde, aber solange er sich so vorbildlich verhielt, würde sie sich dies zunutze machen.

Schweigend ließ sie sich auf dem Kissen nieder. Als Nadir sich neben sie setzte, berührte er unweigerlich ihre Arme und Beine. Sie mochte es nicht, so nahe bei jemandem zu sitzen, besonders nicht bei einem Mann. Zu viele Jahre hatte sie die Gefühlsausbrüche ihres Onkels über sich ergehen lassen müssen und hielt Männer lieber auf Abstand.

Wie eine Ertrinkende griff sie nach der Kaffeekanne, während Nadir ein Stück von dem Fladenbrot abbrach, ein wenig Hammelfleisch daraufhäufte und es ihr hinhielt. Zoe warf ihm einen fragenden Blick zu.

„Iss nur“, meinte er.

„Es gibt genug zu essen.“ Sie deutete auf all die Schüsseln und Platten auf dem Tisch. „Ich muss nicht deines nehmen.“

„Aber ich möchte es mit dir teilen.“ Er führte das Brot an ihre Lippen.

Es war nicht leicht für sie, sich zu fügen. Aus Nadirs Hand zu essen erforderte von ihr ein gewisses Maß an Vertrauen. Als sie ein wenig den Mund öffnete, schob er das Stück hinein.

Zoe schloss den Mund zu schnell und erwischte die Spitze seines Daumens. Nadir nutzte die Gelegenheit und strich mit dem Daumen über ihre Unterlippe, während sie Mühe hatte, den Bissen hinunterzuschlucken.

Ob er all das nur tat, um sie berühren zu können? Warum sollte er, so blass wie sie aussah? Plötzlich war sie froh um die Bediensteten, deren Anwesenheit jede Intimität im Keim ersticken würde.

Oder versuchte er, sie von sich abhängig zu machen? Wollte er sie glauben machen, dass er für sie sorgte? Selbst wenn, durfte sie ihm nicht trauen.

„Es hat mich gefreut, deinen Bruder bei den Feierlichkeiten kennenzulernen“, log sie lächelnd. Denn der Mann hatte ihr klar zu verstehen gegeben, dass sie es nicht wert war, mit ihm in einem Raum zu sitzen. „Wird er uns heute besuchen?“

„Nein, Rashid ist bereits zum Palast zurückgekehrt. Er hat sein Bedauern ausgedrückt.“

Natürlich bedauerte Rashid. Aber wohl eher, weil er den Gedanken nicht ertragen konnte, dass sie in die Familie eingeheiratet hatte. „Hast du noch mehr Brüder oder Schwestern?“

„Nein, meine Mutter ist bei Rashids Geburt gestorben. Es gibt nur mich, meinen Bruder und meinen Vater.“

„Wird dein Vater an der letzten Zeremonie teilnehmen?“

Nadir schüttelte den Kopf. „Mein Vater ist nicht in der Lage zu reisen.“

„Das tut mir leid. Wann werde ich ihn denn kennenlernen?“ Zoe runzelte die Stirn, als Nadir zögerte.

„Das ist schwer zu sagen.“ Nadir wich ihrem Blick aus. „Der Sultan fühlt sich nicht wohl und empfängt derzeit keine Besucher.“

Zoe verengte die Augen. Nadir wollte vielleicht nicht, dass sie seinen Vater kennenlernte. Schämte er sich ihrer? Der Gedanke tat weh.

„Ich habe ganz vergessen, dich zu fragen“, sagte sie hastig, um das Thema zu wechseln, „wo wir unsere Flitterwochen verbringen werden.“

Er wandte sich wieder seinem Frühstück zu. „In meinem Haus in den Bergen.“

Ihre Finger krampften sich um ihre Kaffeetasse. „Ach“, brachte sie nur heraus.

Sie würden Jazaar nicht verlassen? Oh nein! So hatte sie das nicht geplant.

Er hielt ihr noch ein Stück Brot mit Hammel hin und musterte sie eindringlich. „Bist du enttäuscht?“

„Es ist sicher ein schönes Haus“, beeilte sie sich zu sagen, denn sie durfte ihn nicht beleidigen. „Ich hatte nur gedacht, wir würden ins Ausland fahren, weil du so oft verreist.“

„Das gehört zu meiner Arbeit, nicht zu meinem Privatleben.“ Er hielt ihr den Bissen an die Lippen. „Ich würde meine Frau nie mit auf eine Geschäftsreise nehmen.“

„Aha.“ Vorsichtig nahm sie den Bissen an, während sie fieberhaft überlegte. Mit seiner Entscheidung ruinierte er alles.

Mit schräg gelegtem Kopf betrachtete er ihr Gesicht. „Möchtest du irgendwo anders hin?“

Hastig schluckte sie. Das war ihre Chance, die sie sich nicht entgehen lassen durfte. „Na ja, ich bin eine ganze Weile nicht mehr weggekommen. Ich würde gern verreisen.“

„Schwebt dir etwas Bestimmtes vor?“

Sie zuckte die Schultern, darum bemüht, sich gelassen zu geben, obwohl sie nervös war. „Europa. Australien. Vielleicht Amerika.“

Er runzelte die Stirn. „Aber du kommst doch aus Amerika. Das kann doch nicht so interessant für dich sein.“

„Amerika ist groß“, erwiderte sie und nahm einen Schluck von dem heißen, starken Kaffee. „Es gibt dort vieles, was ich noch nicht gesehen habe.“

„Warum willst du verreisen?“, wollte er wissen. „Was würdest du in einem anderen Land tun?“

Fliehen. Medizin studieren. Endlich ihr eigenes Leben führen.

„Da gibt es viele Dinge, die mich interessieren würden.“

„Du bist noch nicht so weit, Jazaar repräsentieren zu können“, erklärte er und nahm sich eine Dattel aus der Obstschale. „Die zukünftige Sultanin muss eine perfekte Jazaari-Frau sein und die Werte des Stammes verkörpern.“

Schönheit, Kultiviertheit und Gehorsam. Geschlagen schloss Zoe die Augen. Verdammt.

Lächelnd hielt Nadir ihr die Dattel an die Lippen. „Wie ich schon sagte, die Welt draußen ist noch nicht bereit für eine Sheika wie dich.“

Entsetzt riss Zoe die Augen auf. Hatte sie etwa laut geflucht? Es wurde immer schlimmer. Automatisch öffnete sie den Mund und nahm die Dattel. „Habe ich denn bei unserer Hochzeit nicht wie die perfekte Jazaari-Braut ausgesehen?“

Er schüttelte den Kopf. „Ich kannte die Wahrheit, kaum dass ich dich gesehen hatte.“

Was sie nicht hoffen wollte. Aber wenn sie Nadir nicht davon überzeugen könnte, dass sie eine schöne und gehorsame Frau war, würde sie diesem Land nie entkommen. „Ich kann deine Erwartungen erfüllen. Dazu brauche ich nur einen neuen Kaftan und bessere Sandalen.“

Ungläubig sah er sie an, ehe er ihren gelben Kaftan musterte. „Hast du nur diesen einen?“

„Ich habe noch meine Hochzeitsgewänder. Warum?“

„Du brauchst mehr Kleider.“ Er hielt ihr noch eine Dattel hin.

Sie kaute verbissen. „Denkst du doch daran zu verreisen?“

„Nein, aber als Sheika brauchst du etwas Passendes zum Anziehen.“ Missbilligend sah er auf ihren Kaftan.

Es fiel ihr schwer, sich nun als Sheika zu sehen, da sie bis vor wenigen Tagen noch bei ihrem Onkel die Böden geschrubbt hatte. „Im Dorf gibt es nicht so viele Geschäfte.“

„Wir fliegen mit meinem Helikopter nach Omaira.“

Ihr Puls ging schneller. Omaira war die größte Stadt in Jazaar, eine Metropole, die sich mit Marrakesch oder Dubai messen konnte. Es war durchaus möglich, dass es dort eine amerikanische Botschaft gab, wo man ihr Zuflucht gewähren würde, sobald sie das Gebäude betreten hatte.

„Sag mir Bescheid, wenn du so weit bist.“

Ein wenig heftig setzte sie ihre Tasse ab. „Jetzt“, erklärte sie.

Es war keine besonders gute Idee gewesen.

Nadir hatte schnell herausgefunden, dass er Zoe wie ein Adler beobachten musste, als sie Omaira erkundeten. Sie war begeistert von der Stadt und hatte sofort um einen Stadtplan gebeten, obwohl er selbst die verstecktesten Winkel hier kannte. Doch sie bestand auf ihrer Unabhängigkeit und war immer wieder in den dunklen Gässchen verschwunden, kaum hatte er den Kopf von ihr abgewandt.

Die Geschäftigkeit auf dem alten Marktplatz begeisterte sie, und sie erfreute sich an den Gewürzen und Speisen, all den Menschen und Geschäften.

Sie interessierte sich für alles und jeden, außer für ihn. Tatsächlich schien sie enttäuscht, dass er schützend an ihrer Seite war und ihr nicht erlaubte, sich von ihm wegzubewegen.

Wusste Zoe denn nicht, dass eine gute Jazaari-Braut ihre ganze Aufmerksamkeit nur auf ihren Ehemann richtete? Vielleicht sollten sie besser ins Dorf zurückkehren, wo es nicht so viel Ablenkung gab? Oder war es nur Schüchternheit ihrem Mann gegenüber, das sie sich nicht mit ihm beschäftigte?

Nein, das war es nicht. Zoe war stur und ungehorsam, aber niemals verschüchtert. Wenn sie still wurde, brütete sie etwas aus, das wusste er bereits.

Nadir zog ihren Arm unter seinen, als sie wieder zu entwischen drohte. „Hier entlang, Zoe.“

„Ich kann allein gehen“, erwiderte sie. „Du tust gerade so, als müsstest du mich an die Leine legen.“

„Führ mich nicht in Versuchung.“ Zuerst hatte er geglaubt, der Lärm und all die Menschen würden sie überwältigen. Aber diese Möglichkeit hatte er verworfen, nachdem er sie das fünfte Mal aus den Augen verloren hatte. Ihr Orientierungssinn war wohl kaum so schwach ausgeprägt. Vielmehr wurde Nadir das Gefühl nicht los, dass sie versuchte, ihm zu entwischen.

„Da wären wir.“ Er blieb vor dem Eingang eines modernen Gebäudes aus Stahl und Glas stehen.

„Ein Juwelierladen?“

Nadir verkniff sich ein Lächeln. Keine Frau aus Jazaar würde diesen Ausdruck wählen. Paradies, vielleicht Himmel, aber nie einfach nur „Juwelierladen“. „Fayruz ist seit Jahrzehnten der Juwelier der königlichen Familie.“

Zoe war nicht beeindruckt. „Warum sind wir hier?“

„Du brauchst ein paar Dinge.“ Im Morgenlicht war ihm aufgefallen, dass ihre Halsketten und Ohrringe, die sie zur Hochzeit getragen hatte, unecht waren. Es überraschte ihn, dass ihre Familie ihr keinen echten Schmuck mitgegeben hatte, der auch als finanzieller Notgroschen gedacht war.

Sie winkte ab. „Das, was ich habe, reicht mir.“

„Es wirft ein schlechtes Licht auf mich, Zoe, wenn du keinen passenden Schmuck trägst. Also werde ich dir eine Halskette, Ohrringe und vielleicht ein paar Armreife kaufen.“

Eine Grundausstattung, die sie für ihre neue Rolle brauchte. Normalerweise trug eine Sheika die königlichen Juwelen, aber diese Ehe bestand nur auf dem Papier. Sie würde nicht an seiner Seite sein oder mit ihm zusammenleben, aber die Menschen würden wissen, dass sie immer noch unter seinem Schutz stand, wenn sie seinen Schmuck trug.

„Nein, das musst du nicht. Du hast mir sowieso schon zu viel gekauft.“ Sie stöhnte auf. „All diese Kleider.“

Den meisten Frauen gefiel es sehr, neue Kleider zu bekommen, doch Zoe hatte alle Designer-Outfits nur widerwillig anprobiert und ihm erfolglos auszureden versucht, etwas zu kaufen.

„Du brauchst die Kleidung für deine neue Rolle“, rief er ihr in Erinnerung.

„Aber die Sachen waren so teuer. Mit dem Geld hätte ich alle schwangeren Frauen im Dorf mit Arzneimitteln und was sie sonst noch an Hilfsmitteln brauchen versorgen können.“

„Die Frauen brauchen das nicht.“

Zoe war entgeistert. „Soll das ein Scherz sein? Den Frauen im Dorf steht nicht einmal ein Minimum an medizinischer Versorgung zur Verfügung.“

„Unmöglich. Jazaar ist ein wohlhabendes Königreich. Der Gesundheitsminister hat Millionen zugeteilt bekommen, selbst für die abgelegensten Dörfer.“

„Das Geld geht an die Männer“, murmelte sie. „Denn die Ältesten entscheiden, wofür es ausgegeben wird.“

„Es reicht. Ich werde nicht weiter darüber diskutieren“, erklärte er und wollte sie in den Laden ziehen. Mit Schmuck gewann man den Respekt einer Frau. Er wusste aus Erfahrung, dass selbst die launischste Freundin mit teurem Glitterzeug besänftigt werden konnte.

Zoe blieb zurück. „Ich weiß die neuen Kleider zu schätzen, aber wenn du zeigen willst, wie reich Jazaar ist, wäre mir lieber, du würdest das Geld in ein Frauenkrankenhaus in unserem Dorf stecken.“

Eindringlich betrachtete er ihre ernste Miene. „Unser Dorf braucht keins.“

„Doch. Aber ich brauche keine Halskette.“

Sein Handy klingelte, und er schluckte einen Fluch hinunter, weil er jetzt eigentlich nicht gestört werden wollte. „Entschuldige, ich muss das Gespräch annehmen.“

Er versuchte auf das zu hören, was sein Vorstandsassistent am anderen Ende sagte und beobachtete Zoe. Sie sah aus, als würde sie sein Handy am liebsten davonschleudern und weiter mit ihm diskutieren. Nadir wusste, dass er einen Blick auf die wahre Zoe erhascht hatte. Endlich.

Er entschuldigte sich mit einer Handbewegung bei Zoe, wandte sich ab und hörte seinem Assistenten zu. Nachdem er ihm Anweisungen gegeben hatte, legte er auf.

Würde seine Frau sich doch auch so gefügig geben. „Wie ich schon sagte …“

Er drehte sich um und sah, dass Zoe nicht mehr in seiner Nähe stand. Sein Blick suchte den Gehsteig ab, doch er konnte sie nirgends entdecken.

Zoe ging mit forschem Schritt weiter, während ihr Herz in der Brust hämmerte. Sie wollte am liebsten rennen, so schnell sie konnte, hätte damit jedoch nur Aufsehen erregt.

Sie sah die Straße hinunter und erkannte die Geschäfte wieder, weil sie den ganzen Tag damit verbracht hatte, sich die Straßenaufteilung von Omaira einzuprägen. Unglücklicherweise befand sich die amerikanische Botschaft auf der anderen Seite der Stadt.

Nadir hatte seinen Anruf wohl inzwischen beendet und würde nun nach ihr suchen. Also huschte sie in einen Laden, weil er sie auf der Straße leicht entdecken konnte. Es war am besten, sich für eine Weile zu verstecken.

Als sie sich umsah, merkte sie, dass sie sich in einem Buchladen befand. Der vertraute Geruch der Bücher stieg ihr in die Nase.

Zoe nahm ein Buch aus dem Metallregal, kannte jedoch weder Titel noch Autor. Sie blätterte durch die Seiten und erfreute sich an dem Rascheln des Papiers.

„Da bist du ja, Zoe.“

Verdammt. Zoe verspannte sich, als sie Nadirs Stimme hörte. Er hatte sie bereits gefunden und damit ihre Chance auf eine Flucht zunichtegemacht.

Sie spürte seine Enttäuschung und Wut. In ähnlicher Situation mit ihrem Onkel hatte sie immer die Schultern hochgezogen und auf den unvermeidlichen Schlag gewartet. Wenn sie sich weggeduckt hatte, war Onkel Tareef noch wütender geworden.

Doch wie Nadir reagieren würde, konnte sie nicht voraussehen. Am liebsten wäre sie davongelaufen, stand jedoch reglos da und wartete darauf, was er als Nächstes tun würde.

Auch wenn er sie nicht berührte, fühlte sie sich gleichsam von ihm eingekreist. „Ich habe dich gesucht.“ Er war verärgert, erhob jedoch nicht die Stimme. „Du musst mir sagen, wohin du gehst.“

Zoe merkte, dass er ungehalten war, doch sie musste sich unschuldig geben und so tun, als sei sie nicht absichtlich davongelaufen.

Sie hielt den Blick auf das Buch gerichtet und strich mit den Fingern darüber. Es fühlte sich gut an, endlich wieder ein Buch in der Hand zu halten.

„Zoe.“ Seine Stimme klang tief und rau. „Du wirst mich nicht einfach ignorieren.“

„Tut mir leid.“ Langsam wandte sie sich Nadir zu. „Es ist schon eine Weile her, seit ich zuletzt in einem Buchladen war.“

Er schüttelte den Kopf. „Du hast dieses Geschäft also von dort gesehen, wo wir standen?“

„Ja“, log sie.

Nadir atmete langsam aus, um nicht gänzlich die Geduld zu verlieren. „Du hättest dich verlaufen können. Wieder einmal“, sagte er betont ruhig. „Bleib an meiner Seite, dann kann dir das nicht passieren.“

Sie presste die Lippen aufeinander. Dass ein Mann da sein würde, wenn man ihn brauchte, war ein Trugschluss. Schon vor langer Zeit hatte sie gelernt, sich auf niemanden zu verlassen.

„Wolltest du dieses haben?“ Er deutete mit dem Kopf auf das Buch in ihrer Hand.

Bedauernd seufzte sie und stellte das Buch widerstrebend zurück. „Nein.“

„Such dir ein Buch aus. Von mir aus Hunderte“, schlug Nadir vor und zeigte auf die Regale.

„Das ist sehr großzügig von dir, aber es muss nicht sein.“

Autor

Susanna Carr
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