Mit Vollgas und Leidenschaft - Rennfahrer am Gefühlslimit

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RASANTE ROMANZE IN FLORENZ

"Sie werden eine kugelsichere Weste tragen." Der italienische Rennfahrer Luca Ponti weiß nicht: Soll er sich über Stella Castlemaine amüsieren - oder ihr gehorchen? Offensichtlich ist seine hübsche Leibwächterin knallhart! Aber deshalb hat er sie ja eingestellt: Seit er sein Comeback in dem rasanten Sport plant, wird er verfolgt und bedroht. Luca ahnt nicht, dass in Stella ein empfindsames Herz schlägt, das er Tag für Tag mit seiner maskulinen Ausstrahlung mehr in Gefahr bringt. Bis ihr ein schrecklicher Fehler unterläuft: Sie verliebt sich in ihn - und wird unaufmerksam …

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  • Erscheinungstag 05.07.2018
  • ISBN / Artikelnummer 9783733736279
  • Seitenanzahl 978
  • E-Book Format ePub
  • E-Book sofort lieferbar

Leseprobe

Cover

Stevens Danielle, Catherine George, Aimee Carson, Maya Blake, Patricia Hagan, Ann Major, India Grey

Mit Vollgas und Leidenschaft - Rennfahrer am Gefühlslimit

DANIELLE STEVENS

Rasante Romanze in Florenz

1. KAPITEL

„Ich erinnere mich noch, als ob es erst gestern gewesen wäre und nicht schon vor so vielen Jahren. Wir erreichten die Toskana an einem strahlenden Sommertag im Juli. Kein Wölkchen trübte den azurblauen Himmel, die Luft war lau und erfüllt vom Duft der Pinien, und für Trevor und mich war es der Beginn eines großen Abenteuers. Bis dahin waren wir Freunde, nicht mehr und nicht weniger. Wir waren damals noch sehr jung, verstanden uns gut und wollten etwas von der Welt sehen, auch wenn wir nicht viel Geld besaßen. Und Italien war für mich schon immer etwas ganz Besonderes gewesen. Von Florenz aus zogen wir also in Richtung Süden, und noch heute sehe ich die hügelige Landschaft vor mir, wenn ich die Augen schließe. Die von Zypressen gesäumten Alleen und malerischen Olivenhaine. Der Duft von Lavendel und Zitronenblüten war allgegenwärtig und vermittelte uns das Gefühl grenzenloser Freiheit. Tagsüber ließen wir uns von den Schönheiten der Natur verzaubern, und die Abende verbrachten wir in der Taverne von Giacomo. Irgendwann hörte ich dann von der Isola del Giglio. Diese Insel, die auch die Lilieninsel genannt wird, ist ein ganz besonders schöner Ort. Als wir sie erreichten, war es wie Magie. An diesem Tag änderte sich alles zwischen Trevor und mir. Wir spürten, dass da mehr war zwischen uns, und nie werde ich vergessen, wie wir uns dort zum ersten Mal küssten und …“

„Stopp!“, rief Stella aus und spürte, wie ihr das Blut ins Gesicht schoss. „Ich … ähm … Ich denke, das genügt.“ Sie zwang sich zu einem Lächeln, gleichzeitig stieg Mitleid in ihr auf, als sie sah, wie Charlotte Bishop enttäuscht den Blick senkte. Keine Frage, die ältere Frau hätte sehr gern weiter in ihren Erinnerungen geschwelgt, doch wenn sie jetzt eines nicht gebrauchen konnte, dann waren es derartige Geschichten. Nicht nur, weil sie selbst nun schon seit einem halben Jahr in der Toskana lebte und ihre Erfahrungen dort alles andere als romantischer Natur waren – nein, es lag vor allem daran, dass sie rein gar nichts über einen ganz bestimmten Menschen hören wollte.

Und zwar über Trevor Castlemaine – ihren Vater. Ihren Vater, der vor drei Jahren bei der Ausübung seines Berufes ums Leben gekommen und trotzdem noch immer allgegenwärtig war.

Dabei hätte Stella ihn am liebsten ein für alle Mal aus ihrem Gedächtnis gestrichen.

„Ich weiß ja, Kindchen“, riss Charlotte sie aus ihren Gedanken. „Sie mögen meine Geschichten nicht.“ Stella wollte protestieren, doch die ältere Frau hob eine Hand und lächelte milde, als sie weitersprach: „Und ich bin mir auch darüber bewusst, dass das nicht an mir liegt, sondern an Ihrem Vater. Aber Sie …“

„Schon gut, schon gut“, gab Stella patziger als gewollt zurück und strich sich mit einer fahrigen Handbewegung durchs Haar. „Mir ist klar, worauf Sie hinauswollen: Sie sind der Ansicht, ich sollte die Vergangenheit ruhen lassen und nicht so hart mit meinem Vater ins Gericht gehen. Schließlich kann er sich nicht mehr wehren.“

„Ist das denn so falsch? Vor allem angesichts der Tatsache, dass nicht einmal ich Trevor irgendetwas nachtrage?“

Stella schluckte. Sie wusste nicht, was sie darauf erwidern sollte, daher beschloss sie, das Thema zu wechseln. „Also, ich weiß ja nicht, wie es Ihnen geht, aber ich könnte inzwischen durchaus etwas zu essen vertragen!“ Sie erhob sich von ihrem Sessel im Wohnzimmer, das wie alle Räume in Charlottes Haus, ein gemütliches kleines Cottage mit Reetdach mitten in den sanften Hügeln von Cornwall, ebenerdig lag. „Und außerdem habe ich mir die ganze Mühe schließlich nicht gemacht, damit wir hier sitzen, wo wir nichts von meiner Überraschung sehen können!“

Entschieden trat sie hinter Charlotte. Wie immer, wenn sie die Schiebegriffe des Rollstuhls umfasste, war es wie ein Stich ins Herz für sie, und sie konnte nichts dagegen tun, dass ihre Gedanken wieder zu dem Mann wanderten, den sie doch eigentlich nur noch vergessen wollte.

Ihren Vater – und gleichzeitig den Mann, der für Charlottes Schicksal die Verantwortung trug.

Rasch verscheuchte sie den Gedanken wieder und schob Charlotte auf die Terrasse, die von herrlich blühenden Blumen umgeben war. Lediglich das Wetter ließ ein wenig zu wünschen übrig – es war für die Jahreszeit viel zu nass und wechselhaft. Doch Stella hatte sich alle Mühe gegeben, mit Mitbringseln aus ihrer neuen italienischen Heimat ein behagliches Ambiente zu zaubern.

„Kindchen, Sie verwöhnen mich!“ Charlotte, die trotz ihrer neunundfünfzig Jahre noch immer jung wirkte, strahlte vor Freude, als sie sah, was Stella für sie vorbereitet hatte. Sie lächelte verschmitzt. „Deshalb haben Sie also darauf bestanden, dass ich mich wie jeden Donnerstag mit meinen Damen zum Nachmittagstee treffe. Damit Sie alles in Ruhe vorbereiten können! Also, wie Sie das hinbekommen haben, ich muss schon sagen …“

Zufrieden betrachtete Stella ihr Werk. Ja, es war wirklich genau so geworden, wie sie es sich vorgestellt hatte. Das leuchtende Gelb reifer Zitronen bildete einen hübschen Kontrast zum Grün der Olivenzweige. Dazwischen hatte sie verschiedene typisch toskanische Accessoires arrangiert: herrlich duftende Kräuter, eingelegte schwarze Oliven und pralle rote Malvasier-Trauben.

Als Charlotte den Präsentkorb auspackte, den Stella ihr mitgebracht hatte, geriet die ältere Frau regelrecht ins Schwärmen. „Hm, das sieht ja wirklich ganz vorzüglich aus. Bergsalami, Trüffelpasta, Chianti Weinessig – und sogar meine Lieblingsschokolade von der Chocolaterie Amedei bei Pisa! Sie haben wirklich an alles gedacht.“ Ihr Blick wurde ernst. „Aber Sie wissen schon, dass das nicht nötig gewesen wäre?“

„Das sagen Sie – ich sehe das ein bisschen anders! Schließlich müssen wir den Auftakt meines Urlaubs entsprechend feiern, oder finden Sie nicht?“ Stella stellte sich vor sie, um sie anzusehen. Mittlerweile hatte sie sich daran gewöhnt, Charlotte immer zu überragen. Denn die ältere Frau, die im Laufe der Zeit wie eine Ersatzmutter für sie geworden war, würde nie wieder aufstehen können. Seit nunmehr drei Jahren war sie von der Hüfte abwärts gelähmt, und die Ärzte waren sich einig, dass keine Aussicht auf Heilung bestand.

Zum dritten Mal innerhalb kurzer Zeit musste Stella daran denken, wer die Schuld an Charlottes Unglück trug. Wer mit seinem unverantwortlichen Handeln dafür gesorgt hatte, dass …

„Sie sehen müde aus, mein Kind“, sagte Charlotte und legte Stella mit einer mütterlichen Geste eine Hand auf den Unterarm. „Und Sie bedrückt etwas, das sehe ich Ihnen an.“

Stella seufzte lächelnd. Vor Charlotte etwas zu verbergen, war nahezu unmöglich. Aber eigentlich hatte sie doch genau dies vorgehabt! Schließlich sahen sie sich heute zum ersten Mal nach sechs Monaten wieder, und die bevorstehenden drei Wochen, die sie gemeinsam hier in Cornwall verbringen würden, sollten doch durch ihre Sorgen und Probleme nicht getrübt werden.

Und dennoch – jetzt, wo Charlotte sie so direkt darauf ansprach, konnte Stella nicht länger verbergen, was in ihr vorging.

„Ach, es ist einfach wie verhext!“ Seufzend ließ sie sich auf einen der Terrassenstühle sinken, sodass sie Charlotte direkt gegenübersaß. Als sie spürte, wie ihr die Tränen kamen, senkte sie rasch den Blick. „Nichts läuft wie geplant, alles geht immer nur schief.“

„Also ist es Ihnen noch nicht gelungen, sich in Italien einzuleben?“, hakte die ältere Frau behutsam nach.

„Doch, das schon. Landschaftlich und von den Menschen her ist die Toskana wirklich ein Traum, und ich bin mir durchaus der Tatsache bewusst, welch großes Glück es bedeutet, dort arbeiten und leben zu dürfen.“

„Aber?“

„Es ist die Arbeit. Ich hatte geglaubt, ich könnte dort noch einmal ganz von vorne anfangen. Ohne die ewigen Vorbehalte, mit denen ich zu kämpfen habe, seit …“ Sie seufzte. „Sie wissen, wovon ich spreche. Nun – das genaue Gegenteil ist der Fall! Die Sicherheitsfirma, für die ich arbeite, ist auf sämtlichen Gebieten tätig. Personen- und Objektschutz. Erfahrene Kollegen bekommen große, verantwortungsvolle Aufgaben zugeteilt, der Rest teilt sich das, was übrig ist.“

„Und Sie? Sie verfügen doch auch über genügend Erfahrung.“

„Was aber dort anscheinend niemanden interessiert!“ Stella atmete hörbar aus. „Stattdessen werde ich praktisch für Hilfsjobs eingesetzt. Stellen Sie sich vor, in den ersten drei Monaten hat man mich dazu abgestellt, nachts Wachdienst in einer Lagerhalle am Hafen zu schieben! Abgesehen von ein paar Mäusen, die ich dabei beobachtet habe, wie sie hinter einer losen Kunststoffabdeckung in der Ecke des Wachcontainers ihr Nest bauten, hat sich die ganze Zeit nichts gerührt. Und währenddessen wurde ein Kollege, der zeitgleich mit mir angefangen hat, mit dem Schutz einer bekannten italienischen Schauspielerin betraut!“

„Und jetzt denken Sie, das liegt an Ihrer Vergangenheit. Beziehungsweise an der Ihres Vaters.“

„Was denn sonst?“ Sie seufzte. „Machen wir uns doch nichts vor, Charlotte: Ich habe in England keine Aufträge mehr bekommen, weil mein Va… weil Trevor Castlemaine nach dieser Tragödie damals in allen Zeitungen stand. Und es spielt keine Rolle, dass er selbst nicht mehr lebt – in der Branche gilt er als schwarzes Schaf, weil er gegen das wichtigste Gesetz verstoßen hat, das es für einen Leibwächter gibt. Aber wem erzähle ich das …“

Wieder Charlottes trauriger Blick. „Sie wissen, wie ich darüber denke, Stella“, sagte die ältere Frau leise. „Ich gebe Ihrem Vater keine Schuld. Denn sollte er etwas falsch gemacht haben, dann habe ich ebenfalls einen Fehler gemacht.“

„Aber er war es, der Sie beschützen sollte – und nicht umgekehrt!“, stellte Stella klar. Sie wollte nicht hören, dass jemand ihren Vater in Schutz nahm – schon gar nicht Charlotte. Denn im Gegensatz zu dem Schicksal der älteren Frau waren die Probleme, mit denen sie selbst seither zu kämpfen hatte, lächerlich gering. Trotzdem brachte sie es, im Gegensatz zu ihrer mütterlichen Freundin, nicht über sich, Trevor Castlemaine zu verzeihen.

Durch einen einzigen, nicht wiedergutzumachenden Fehltritt hatte er das Ergebnis jahrelanger harter Arbeit für sie zunichtegemacht. Durch sein Verschulden hatte sie ihre Heimat verlassen und in die Fremde ziehen müssen. Und selbst dort gelang es ihr nur mehr schlecht als recht, auch nur ein Bein auf den Boden zu bekommen.

Sie wollte gerade zu den verlockend aussehenden Trauben greifen, als der Klingelton ihres Handys erklang.

Rasch zog sie das Telefon aus ihrer Hosentasche und warf einen Blick aufs Display. Als sie die Nummer des Anrufers erkannte, riss sie die Augen auf. Was hatte das zu bedeuten?

„Entschuldigen Sie bitte, aber ich muss da kurz ran“, sagte sie zu Charlotte; dann nahm sie das Gespräch an.

, Signor Coretti?“, begrüßte sie ihren Chef auf Italienisch. Aufgrund ihrer Liebe zu Italien hatte sie sich die Sprache schon als Jugendliche selbst beigebracht. Sie wusste, dass dieser Anruf irgendetwas Besonderes zu bedeuten haben musste, denn sonst hätte Coretti sie niemals an ihrem ersten Urlaubstag angerufen. Nicht, dass sie ihren Job, für den sie extra in die Toskana gezogen war, nach wenigen Monaten schon wieder los war! Hatte sie etwas falsch gemacht? Oder …

„Signorina Castlemaine, gut, dass ich Sie erreiche“, kam ihr Chef ohne Umschweife zur Sache. „Sie müssen Ihren Urlaub abbrechen. Ich erwarte Sie so schnell wie möglich zurück in Italien.“

„Abbrechen?“ Stella, die im ersten Moment glaubte, sich verhört zu haben, protestierte: „Aber … das geht nicht! Mein Urlaub hat doch gerade erst angefangen!“

„Nun, dessen bin ich mir natürlich durchaus bewusst. Allerdings dürften Sie doch wissen, dass im Beruf des Personenschützers alles Private an zweiter Stelle stehen muss. Oder glauben Sie etwa, ein Mann wie Signor Ponti ist bereit, auf seine dringend benötigte Personenschützerin zu warten, bloß weil die gerade Ferien machen will?“

„Nein, natürlich nicht. Es ist nur so, dass ich eine gute Freundin in England …“ Sie stockte. „Sagten Sie Ponti? Doch nicht etwa Luca Ponti, der Rennfahrer?“

Unwillkürlich blickte sie zu Charlotte, die nur milde lächelnd nickte.

„Sí“, antwortete Coretti, „genau über diesen Mann sprechen wir. Zweifacher italienischer Tourenmeister und dreifacher Meister der GP2-Series. Wie Sie sicherlich mitbekommen haben, hatte er vor einiger Zeit einen schweren Unfall, der ihn zu einer längeren Pause zwang. Inzwischen ist er gesundheitlich wieder auf der Höhe und plant sein Comeback. Dazu benötigt er Personenschutz. Nun, Signorina – Sie baten mich erst kürzlich um eine Chance, mir zu beweisen, dass Sie zu meinen besten Mitarbeiterinnen gehören. Jetzt biete ich Ihnen diese Möglichkeit. Aber Sie müssen sich sofort entscheiden. Selbstverständlich steht es Ihnen frei, auf Ihrem Urlaub zu bestehen – aber dann dürfte Ihnen auch klar sein, dass ich den Auftrag jemand anderem übertragen muss.“

Stella schluckte. Ihr war klar, dass Signor Coretti recht hatte: Das hier war ihre große Chance. Indem sie diesen Job annahm und ihn professionell ausführte, würde sie allen beweisen können, dass sie eben nicht so war wie ihr Vater.

Noch einmal warf sie einen raschen Blick auf Charlotte. Die nickte energisch.

„Also gut“, sagte Stella. „Ich nehme gleich morgen den ersten Flieger.“

Luca Ponti stützte sich mit beiden Händen auf die Steinbalustrade, die die große Terrasse umgab, und kniff, von der Morgensonne geblendet, die Augen zusammen.

Wie sehr er diesen Ausblick von hier oben genoss! Blühende Mandelbäume, saftige Blumenwiesen und Kastanienwälder, so weit das Auge reichte. Straßen, gesäumt von schlanken Zypressen, Weinhänge, die sich sanft in die Hügel schmiegten – und über allem lag der einzigartige Duft der Toskana.

Es war merkwürdig – obwohl er hier in Follonica geboren und aufgewachsen war, hatte er erst seit seinem tragischen Unfall vor anderthalb Jahren begonnen, sich für die Schönheiten der Natur zu interessieren.

Dem Unfall, der in vielerlei Hinsicht sein Leben verändert hatte.

Luca seufzte. Vor diesem Ereignis hatte es für ihn immer nur den Rennsport gegeben. Und das kam nicht von ungefähr: Schon sein Vater Enrico war, neben seinen Aufgaben, die er als Leiter des Familienunternehmens, einer Firma für Wasserfilter, wahrnahm, ein leidenschaftlicher Rennfahrer gewesen. Von ihm hatte Luca auch zu seinem sechsten Geburtstag sein erstes Gokart geschenkt bekommen. Luca war begeistert gewesen. Kurze Zeit später jedoch hatten dunkle Wolken das Leben der Familie überschattet, als Enrico Ponti bei einem tragischen Unfall auf der Rennbahn ums Leben kam.

Doch von da an hatte für Luca festgestanden, dass auch er eines Tages Rennfahrer werden wollte – um den Traum seines Vaters weiterzuleben.

Seine Mutter, die schon die Leidenschaft ihres Mannes stets mit Sorge betrachtet hatte, war verständlicherweise nicht angetan von dem Gedanken gewesen, dass ihr Sohn sich nun der gleichen Gefahr aussetzen wollte. Aber alle Versuche, ihn umzustimmen, scheiterten.

Er träumte davon, eines Tages den Sprung in die Formel 1 zu schaffen und damit das zu erreichen, was seinem Vater stets verwehrt geblieben war. Enrico sollte durch ihn weiterleben. Und Luca träumte nicht nur davon – er kämpfte dafür. Aus diesem Grund sah er die Versuche seiner Mutter, ihn umzustimmen, auch als Kampf gegen ihn an. Sie wollte verhindern, dass er seine Träume verwirklichte, und legte ihm einen Stein nach dem anderen in den Weg.

Heute wusste er natürlich, dass sie nur versucht hatte, ihn vor großem Schaden zu bewahren. Schließlich aber hatte sie eingesehen, dass ihr Sohn das tun musste, was er für richtig hielt, und sich, wenn auch schweren Herzens, damit abgefunden.

Begeistert war sie jedoch heute noch nicht von seiner Berufswahl. Nach dem tragischen Ereignis vor anderthalb Jahren hatte sie natürlich gehofft, dass Luca nie wieder ein Rennen fahren würde. Zumal er inzwischen alles erreicht hatte, was ein Rennsportler erreichen konnte.

Entsprechend geschockt war sie gewesen, als sie hörte, dass Luca sein Comeback plante. Das gefiel ihr gar nicht, und sie tat alles, um ihm das auszureden. Und das, obwohl sie doch genau wusste, warum er es tat! Längst lag es nicht mehr an seiner Rennfahrerleidenschaft, nein: Zu viel hatte er erlebt, um allein wegen des Erfolgs noch einmal in ein Cockpit zu steigen. Heute wusste er, dass das Leben aus viel mehr bestand. Dinge, die man genießen konnte, wie die herrliche Natur dieses Landes. Dennoch, sein Comeback musste sein. Luca hatte gar keine andere Wahl, wenn er …

„Luca, rapido! Komm her, wir haben dir etwas mitzuteilen!“

Wenn man vom Teufel spricht … Luca wandte sich um und sah seine Mutter eiligen Schrittes auf ihn zukommen. In ihrer Begleitung befand sich seine Cousine Loredana, die Tochter seines verstorbenen Onkels Massimo. Beide blickten so ernst drein, dass Luca unwillkürlich argwöhnisch wurde.

„Was gibt es?“, fragte er stirnrunzelnd. „Ist etwa jemand gestorben?“

Mariella Ponti wirkte ungewöhnlich nervös. Ihre Finger nestelten an den Perlmuttknöpfen ihrer Bluse, die so gelb wie die Sonnenblumen unten im Tal leuchtete. Dazu trug sie einen eleganten blütenweißen Rock und flache, ebenfalls weiße Schuhe.

Die Worte, mit denen sie nun antwortete, kamen ihr hingegen fest und ohne Zögern über die Lippen: „Noch nicht. Aber wie es aussieht, wird das schon sehr bald geschehen. Und genau deshalb müssen wir mit dir sprechen: um das zu verhindern!“

Luca blinzelte. „Ich verstehe nicht …“

„Du brauchst dir gar keine Mühe zu geben“, fiel seine Mutter ihm ins Wort. „Ich habe von dem Zwischenfall erfahren.“

Luca zuckte mit den Schultern. „Zwischenfall? Was für ein Zwischenfall?“

„Na, den auf der Rennstrecke. Den Anschlag!“ Sie senkte den Blick, und ihre Stimme begann zu zittern. „Ich kann es noch immer nicht fassen, dass du mir nichts davon gesagt hast. Wie konntest du nur?“

Luca schloss die Augen. Die Nachricht, dass seine Mutter von dem Vorfall wusste, traf ihn völlig unvorbereitet. Kurz blitzten vor seinem inneren Auge Bilder auf, die er seit Tagen beharrlich verdrängte. Die Fahrt in dem silberfarbenen Monoposto, das scharfe Abbremsen vor der Haarnadelkurve, dann dieser grelle rote Punkt, der ihn sekundenlang blendete …

Er bemühte sich, die Fassung zu wahren, und schüttelte den Kopf, so als könne er die unliebsamen Erinnerungen damit einfach abwerfen. „Woher weißt du davon?“

„Franko“, antwortete seine Mutter. „Franko hat es mir erzählt!“

„Caspita!“, fluchte Luca wütend. „Wie konnte er nur?“

„Das fragst du noch?“ Mariella Ponti sah ihren Sohn kopfschüttelnd an. „Cielo, er macht sich Sorgen um dich, genau wie deine Cousine und ich!“

Luca schluckte. Franko Falossini war einer seiner Techniker. Aber nicht nur das: Kaum jemand wusste, dass er ein Neffe seiner Mutter war, und nachdem er bis vor zwei Jahren eher sorglos in den Tag gelebt hatte, war sie froh gewesen, dass Luca ihm schließlich diesen Job in seinem Team besorgt hatte. Franko stand Mariella also sehr nah. Und eigentlich hätte mir klar sein müssen, dass er ihr gegenüber nicht schweigen würde, dachte Luca. Er hatte ja anfangs selbst überlegt, sie einzuweihen, diesen Gedanken aber schließlich verworfen. Niemand sollte erfahren, was vorgefallen war, weil seine ganzen Pläne sonst gefährdet wurden.

Pläne, ohne die er das Vermächtnis seines Vaters nicht würde retten können …

Seufzend schüttelte er jetzt den Kopf. „Das ist nichts, worüber ihr beide euch Gedanken machen müsst. Ich habe alles im Griff, und …“

„Alles im Griff?“ Seine Cousine lachte hell auf. Sie war eine hochgewachsene, rassige Schönheit mit olivfarbener Haut und langem dunklem Haar. Außer seiner Mutter war sie die einzige Frau, die er dauerhaft in seiner Nähe duldete. Nach der Erfahrung mit Giovanna … Er atmete tief durch und schüttelte den Gedanken an die Frau, die er einmal zu lieben geglaubt hatte, ab. „Wir mussten erfahren, dass du schon seit längerer Zeit Drohungen bekommst“, fuhr Loredana fort. „Und jetzt hat jemand beim Training einen Anschlag auf dich verübt. Du hast keinen blassen Schimmer, um wen es sich bei dieser Person handeln könnte, und weigerst dich, die Polizei einzuschalten. Und da verlangst du allen Ernstes noch von deiner Mutter und mir, dass wir uns da raushalten sollen?“

„Deine Cousine hat recht“, stimmte Mariella Ponti zu. „Wir werden nicht tatenlos zusehen, wie du in dein Verderben läufst!“

Luca atmete tief durch. Was sollte er darauf erwidern?

„Jemand will verhindern, dass du wieder ins Renngeschäft einsteigst“, sagte Loredana. „Das ist doch wohl offensichtlich.“

„Und genau deshalb solltest du diesen Plan lieber aufgeben“, fügte seine Mutter hinzu.

No, das kommt nicht infrage!“ Wütend sah Luca sie an. „Du dürftest doch wohl am besten wissen, warum ich wieder Rennen fahren muss, nicht wahr? Hätte Ricardo nicht …“

„Oh, Carissimo, ich weiß sehr wohl, was dein Bruder getan hat. Es ist unverzeihlich, ja. Aber auch wenn wir das Geld so dringend brauchen – dein Leben geht vor! Und wenn du schon unbedingt wieder fahren musst, dann …“

„Was dann?“

„Nun, deine Cousine und ich …“ Mariella Ponti zögerte kurz. „Wir haben uns überlegt, dass du jemanden brauchst, der für deine Sicherheit sorgt.“

Luca verschlug es für einen Moment die Sprache. „Aha“, stieß er dann ungläubig hervor, „habt ihr euch das also überlegt? Und wer soll das bitteschön sein? Ein Leibwächter vielleicht?“ Als seine Mutter nickte, lachte er. „Bitte, das ist doch wohl nicht euer Ernst! Und wie soll so ein Mann mich beschützen?“

Seine Cousine erwiderte ungerührt: „Es handelt sich nicht um einen Mann, sondern um eine junge Frau. Wir haben schon alles in die Wege geleitet. Ihr Name ist Stella Castlemaine, und sie wird bereits heute Mittag eintreffen. Wir …“

„Niemals!“, fiel Luca ihr barsch ins Wort. „Das kommt überhaupt nicht infrage, hört ihr? Ich brauche niemanden, der mir ständig im Weg herumsteht – schon gar keine Frau!“

Er sah seine Mutter an, doch die senkte den Blick. Er merkte, dass sie unsicher war. Ganz im Gegensatz zu seiner Cousine.

„Aber Luca“, sagte Loredana vorwurfsvoll, „siehst du denn nicht, dass wir nur das Beste für dich wollen? Denk doch bloß an deine Mutter! Sie hat schon ihren Ehemann des Rennsports wegen verloren, und als wären diese Rennen nicht gefährlich genug, kommen jetzt noch diese Drohungen hinzu. Wenn dir dein Leben nichts wert ist, ist das deine Sache – aber um deiner Mutter willen ist es deine Pflicht, für deine Sicherheit zu sorgen!“

Luca sah, wie seiner Mutter bei Loredanas Worten die Tränen in die Augen stiegen. Er spürte, wie sein Herz sich verkrampfte. Natürlich wusste er, welches Risiko er einging. Die Drohungen, die er seit einiger Zeit erhielt, waren mit Sicherheit ernst zu nehmen, was ja allein schon der Anschlag verdeutlichte. Ihm selbst war auch nicht wohl bei dieser ganzen Sache. Aber er wollte dieses Comeback, es ging nicht anders. Nur so konnte er das, was sein Vater einst aufgebaut hatte, vor dem sicheren Ruin retten.

Und nur so konnte er Enrico Pontis Traum in Erfüllung gehen lassen.

„Wenn du keine Vernunft annimmst, sehe ich mich gezwungen, die Sache an die Öffentlichkeit zu bringen“, sagte seine Mutter nun. „Du magst dich für unverwundbar halten, doch ich bezweifele, dass die Verantwortlichen deines Rennstalls dieses Risiko eingehen möchten!“

Ungläubig schüttelte Luca den Kopf. „Du setzt mir die Pistole auf die Brust? Deinem eigenen Sohn?“ Er konnte es nicht fassen. „Du weißt genau, dass es mit meinem Comeback dann vorbei wäre. Und du weißt auch, wie wichtig das nicht nur für mich, sondern für die ganze Familie ist!“

„Wenn es um das Leben eines meiner Söhne geht, steht alles andere für mich hinten an.“ Mariella Ponti zeigte sich ungewohnt stur. „Also, wie entscheidest du dich?“

Tief atmete Luca durch. Was blieb ihm jetzt schon für eine Wahl? „Also schön“, lenkte er schließlich ein. „Ich bin einverstanden. Wenn ihr euch damit besser fühlt, sollt ihr euren Willen haben.“

Sofort erhellte sich der Blick seiner Mutter, und sie umarmte ihren Sohn hastig. Als er kurz darauf wieder allein war, konnte er ein entnervtes Seufzen nicht unterdrücken. Wer immer diese Stella Castlemaine war – eines stand für ihn fest: Er würde nicht zulassen, dass sie sich in Dinge einmischte, die sie nichts angingen.

Und ganz bestimmt würde er sich auch von ihr nicht von seinen Plänen abhalten lassen.

„Und es macht Ihnen wirklich nichts aus, dass wir unsere gemeinsame Zeit verschieben müssen, Charlotte?“, fragte Stella beinahe ängstlich. Vor dem Cottage warteten sie auf das bestellte Taxi, das jeden Augenblick vorfahren musste.

Die vergangene Nacht war für Stella sehr unruhig gewesen. Und das lag natürlich an der Aufregung, die sie seit ihrem Telefonat mit Signor Coretti nicht mehr losließ. Noch immer konnte sie nicht fassen, dass tatsächlich sie dazu auserwählt worden war, den berühmten Luca Ponti zu beschützen.

Und dass sie damit die Chance erhielt, auf die sie seit dem Tod ihres Vaters so sehnsüchtig wartete. Jetzt konnte sie endlich beweisen, dass sie eben nicht war wie Trevor Castlemaine!

„Kindchen, Kindchen …“ Charlotte schüttelte den Kopf. „Sie sollten wirklich aufhören, sich Ihren hübschen Kopf über mich alte Frau zu zerbrechen. Ich komme hervorragend allein zurecht, das wissen Sie doch.“

„Schon“, entgegnete Stella seufzend. „Aber Sie haben sich schließlich auf meinen Besuch gefreut …“

Es tat ihr wirklich in der Seele weh, Charlotte so kurz nach ihrer Ankunft schon wieder verlassen zu müssen.

Charlotte winkte ab. „Ach was, aufgeschoben ist nicht aufgehoben, meine Liebe.“ Sie lächelte. „Wir haben alle Zeit der Welt.“

„Aber …“

„Kein Aber“, fiel sie Stella ins Wort. „Sie müssen auch einmal an sich denken. Ich weiß, dass Sie sich für mich verantwortlich fühlen, aber das sind Sie nicht. Was zwischen Ihrem Vater und mir geschehen ist … nun, das ist ganz allein unsere Angelegenheit gewesen. Mit Ihnen hatte das rein gar nichts zu tun.“

„Dann möchten Sie lieber nicht, dass ich mich um Sie kümmere?“

„Nein“, antwortete Charlotte, und der Ernst in ihrer Stimme versetzte Stella einen Stich. Sie hatte das Gefühl gehabt, dass sich zwischen ihr und der älteren Frau über die Jahre so etwas wie eine Freundschaft entwickelt hatte. Sollte sie sich so getäuscht haben?

Irritiert blickte sie Charlotte an. „Aber …“

Die ältere Frau lächelte. „Ich möchte tatsächlich nicht, dass Sie sich um mich kümmern. Verstehen Sie mich nicht falsch, Stella. Sie sind mir ans Herz gewachsen, und ich mag Sie sehr – jedoch als mein Gast und als meine liebe Freundin, nicht als meine Betreuerin, verstehen Sie?“

Stella lächelte erleichtert. So hatte sie das also gemeint. „Um ehrlich zu sein, ich dachte gerade schon …“

„Dass ich Sie loswerden will?“ Charlotte lachte hell auf. „Aber nein. Wie kommen Sie denn darauf? Wobei, im Moment stimmt das tatsächlich. Ich möchte nämlich wirklich, dass sie sich jetzt sofort in diesen Wagen setzen“, sie nickte in Richtung des Taxis, das soeben vorfuhr, „und sich auf den Weg zum Flughafen machen. Aber nur, weil in Italien Ihre große Chance wartet. Und die zu ergreifen, davon möchte ich Sie nicht abhalten.“

Dankbar lächelte Stella der älteren Frau zu, dann beugte sie sich zu ihr hinunter und umarmte sie herzlich. „Danke, Charlotte – für alles.“

Mit diesen Worten wandte sie sich dem Taxifahrer zu, der soeben ausstieg und sich daran machte, ihre Reisetasche in den Kofferraum zu hieven, und setzte sich auf die Rückbank des Wagens. Während sie auf den Fahrer wartete, spürte sie, wie Aufregung sie erfasste.

Womöglich war dies tatsächlich die Chance, auf die sie nun schon so lange wartete. Sie sollte Luca Ponti, den erfolgreichen Rennfahrer, beschützen. Genau solche Herausforderungen waren es, die sie gereizt hatten, in die Fußstapfen ihres Vaters zu treten.

Wenn Signor Coretti ihr das zutraute …!

Trotzdem tat es ihr leid, dass aus den Ferien bei Charlotte nun nichts werden würde. Sie mochte die ältere Frau und verbrachte nicht etwa nur aus falsch verstandenem Pflichtbewusstsein Zeit mit ihr. Im Laufe der Zeit war sie für Stella ein wenig zu der Mutter geworden, die sie niemals gehabt hatte.

Dabei stimmte es schon, dass sie zu Anfang nur wegen ihres Vaters Kontakt zu Charlotte gesucht hatte.

Wegen dem, was er ihr angetan hatte …

Hören Sie endlich auf, Ihrem Vater zu zürnen! glaubte sie Charlottes Stimme zu hören, und unwillkürlich musste sie lächeln. „Er mag einen Fehler begangen haben“, pflegte sie immer zu sagen. „Aber ich möchte um nichts in der Welt die Erinnerungen unserer gemeinsamen Zeit eintauschen – nicht einmal, wenn ich dafür wieder gehen könnte.“

Und manchmal fragte Stella sich tatsächlich, warum, wenn Charlotte ihm verzeihen konnte, sie, seine eigene Tochter, nicht dazu in der Lage war. Vielleicht hatte Charlotte ja wirklich recht, und sie sollte die Vergangenheit endlich ruhen lassen.

Vergeben und vergessen …

Doch das konnte sie einfach nicht. Das Einzige, das sie versuchen konnte, war, den Namen Trevor Castlemaine endgültig aus ihrem Gedächtnis zu streichen.

Winkend sah Charlotte dem Taxi nach, bis es aus ihrem Blickfeld verschwunden war.

Dann seufzte sie und senkte den Blick.

Sie wünschte Stella, dass sie ihre große Chance zu nutzen wusste. Tief in ihrem Herzen wusste sie aber, dass ihre junge Freundin erst dann wieder richtig glücklich werden konnte, wenn es ihr gelang, mit der Vergangenheit abzuschließen und Frieden mit ihrem Vater zu machen.

Ein wehmütiges Lächeln umspielte ihre Lippen, als sie an Trevor dachte. Ja, er hatte einen Fehler begangen, einen schwerwiegenden sogar. Daran erinnerte schon der Rollstuhl, in dem sie zu sitzen gezwungen war, sie unweigerlich Tag für Tag.

Ganz besonders groß war der Schmerz jedoch immer dann, wenn sie einmal in der Woche auf den Friedhof fuhr, um Trevors Grab zu besuchen.

Charlotte schüttelte den Kopf. Der Zorn, den Stella in Hinblick auf ihren Vater verspürte, gefiel ihr ganz und gar nicht. Wut und Zorn endeten nicht selten in blindem Hass, und das war nicht nur etwas, das Trevor nicht verdient hatte, nein: Es hinderte Stella auch daran, frei und unbeschwert zu leben.

Aber wer weiß – vielleicht brachte der neue Auftrag ja eine Wendung mit sich. Zu wünschen wäre es ihr jedenfalls.

Und vielleicht, dachte Charlotte, ergibt sich ja für mich auch noch einmal eine Gelegenheit, in die Toskana zu reisen. Dorthin, wo ich die schönsten Augenblicke meines Lebens erfahren durfte …

2. KAPITEL

Es war seltsam: Obwohl Stella erst seit einem halben Jahr in der Toskana lebte und jetzt nicht einmal zwei Tage fort gewesen war, hatte es sich für sie wie ein Nachhausekommen angefühlt, als sie am Vormittag in Pisa gelandet und anschließend zu ihrem kleinen Bungalow-Apartment bei Piombino gefahren war.

Doch viel Zeit, ihr Ankommen zu genießen, war ihr nicht geblieben. Man hatte ihr mitgeteilt, dass sie gleich nach ihrer Ankunft zu Luca Pontis Anwesen kommen sollte. In Windeseile hatte sie ihre Reisetasche gepackt, in der neben Kleidung und den Gegenständen des täglichen Gebrauchs auch einige Ausrüstungsgegenstände für ihre Arbeit steckten – darunter eine Pistole und eine sichere Schutzweste. Da sie noch kein eigenes Auto besaß, hatte sie sich ein Taxi gerufen und befand nun auf den Weg nach Follonica.

Das Herz ging ihr auf, als die herrliche Landschaft an ihrem Fenster vorüberflog. Während es in Cornwall noch relativ kühl und Grau in Grau gewesen war, herrschte hier eine richtig sommerliche Atmosphäre.

Bunte Wildblumen blühten am Rand der gewundenen Landstraße, die von schlanken Zypressen und Pinien gesäumt wurde. Dahinter erstreckten sich ausgedehnte Felder, bis am Horizont die ersten Häuser von Follonica auftauchten.

Ihr war ein wenig unwohl, was vermutlich an den Strapazen der überstürzten Abreise lag. Als sie das Beifahrerfenster öffnete, roch sie den so typischen Duft der Toskana, und der leichte Wind, der durchs halb geöffnete Fenster ins Taxi wehte, fuhr ihr sanft durchs Haar.

„Aufgeregt?“, fragte der Taxifahrer, ein freundlicher älterer Italiener.

Stella blinzelte überrascht. „Nein, eigentlich nicht. Wie kommen Sie darauf?“

„Nun, Signorina kommt nicht von hier, richtig? Und Signorina fahren zu Signor Ponti. Berühmter Mann …“

Stella verstand und schüttelte lächelnd den Kopf. Sie musste sich erst noch daran gewöhnen, sich in der nächsten Zeit in der Nähe eines Prominenten aufzuhalten, den so gut wie jeder kannte. „Nein, nein“, sagte sie kopfschüttelnd. „Mein Besuch bei Signor Ponti ist rein geschäftlicher Natur.“

Rein geschäftlicher Natur … Stella atmete tief durch, als ihr wieder einmal bewusst wurde, was dieser Auftrag für sie bedeutete. Endlich hatte sie die Chance, sich beruflich zu rehabilitieren. Endlich würde sie aller Welt zeigen können, dass sie eben nicht so war wie ihr Vater, der den größten Fehler seines Lebens begangen und damit so viel zerstört hatte.

Sie atmete tief ein. Wie absurd es doch war, dass sie das überhaupt tun musste. Was hatte sie sich denn schon zuschulden kommen lassen?

Nichts, beantwortete sie sich die Frage selbst. Nur, dass sie die Tochter ihres Vaters war. Das war alles. Nicht mehr und nicht weniger. Sie schüttelte den Kopf. Aber alles, was sie mit ihm gemeinsam hatte, war die Berufswahl. Und nur dass sie beruflich in die Fußstapfen ihres Vaters getreten war, bedeutete doch noch lange nicht, dass sie die gleichen Fehler beging wie er.

Dad wollte nie, dass du Leibwächterin wirst, schon vergessen? Vielleicht ist das jetzt ganz einfach die Strafe für deine Dickköpfigkeit …

„Wir sind gleich da, Signorina“, sagte der Taxifahrer und bog in einen Seitenweg ein. Stella blickte auf, und als das Anwesen der Pontis vor ihr auftauchte, kam sie sich einen Moment lang vor wie in einem wunderschönen Traum: Sie sah eine prächtige Villa, die erhöht, auf der Kuppe eines Hügels, über dem Tal thronte. Sie bestand aus weißem Sandstein, der wie Elfenbein in der Sonne schimmerte. Ringsum saftiges Grün, so weit das Auge reichte, erstrahlte das Gebäude im goldenen Sonnenlicht. Keine Frage, wer hier wohnte, musste sehr wohlhabend sein, aber dass dies bei Luca Ponti der Fall war, hatte sie natürlich bereits gewusst.

Kurz überlegte sie, was sie noch über ihn wusste. Eigentlich nur, dass er Rennfahrer war und sich gern mit gut aussehenden jungen Frauen umgab. Im Grunde also das, was jeder wusste, der regelmäßig in Boulevardzeitschriften blätterte.

Er war recht attraktiv. Typisch Südländer mit dunklem Haar und glutvollen Augen. Seine Figur war athletisch – vermutlich schon allein, weil er als Sportler auf ein reibungsloses Funktionieren seines Körpers angewiesen war.

Und sie wusste, dass er anscheinend ein groß angelegtes Comeback plante und nun die Dienste einer Leibwächterin in Anspruch nehmen wollte, die in der nächsten Zeit bei ihm in seinem Haus lebte und ihn immer dann begleitete, wenn er außerhalb zu tun hatte.

Ihre Dienste …

Tief atmete Stella ein. Eines war ihr klar: Sie musste diesen Job zur vollsten Zufriedenheit von Luca Ponti ausführen. Selbst wenn sie erst einmal im Hintergrund agieren und niemand etwas von ihrer Tätigkeit mitbekommen würde – eine bessere Referenz für zukünftige Aufgaben konnte es kaum geben. Und wenn sie etwas wirklich gebrauchen konnte, dann war es positiver Leumund.

„Signorina doch aufgeregt?“, fragte der Taxifahrer, der inzwischen angehalten hatte und sich nun umdrehte.

Stella zwang sich zu einem Lächeln. „Ein bisschen vielleicht“, erwiderte sie, doch das war nichts anderes als die Übertreibung des Jahrhunderts. So viel stand für sie auf dem Spiel!

„Das kann ich gut verstehen, Signorina, aber glauben Sie mir: Selbst ein berühmter Rennfahrer wie Signor Ponti ist nur ein Mensch wie Sie und ich.“ Er lachte. „Wobei mein zwölfjähriger Enkel Dario vermutlich energisch protestieren würde, wenn ich ihm gegenüber so etwas behauptete. Er ist nämlich ein großer Fan von Luca Ponti und will selbst später einmal Rennfahrer werden.“

Stella schmunzelte. Als kleines Mädchen war ihr Vater ihr großes Idol gewesen. Im Grunde hatte sie schon damals gewusst, dass sie unbedingt eines Tages in seine Fußstapfen treten wollte. Für sie war er der wichtigste Mensch überhaupt gewesen, nachdem ihre Mutter sie verlassen hatte, als sie noch ganz klein gewesen war. Sie verstand bis heute nicht, wie eine Frau so etwas tun konnte. Und mitunter fragte sie sich, ob sie etwa nicht liebenswert genug gewesen war, weil ihre Mutter sie verlassen hatte.

Umso mehr vergötterte Stella ihren Vater. Doch anstatt sie in ihrem Berufswunsch zu unterstützen, hatte der immer nur versucht, ihr Steine in den Weg zu legen. Die Erkenntnis, dass er sie ebenso wenig geliebt hatte wie ihre Mutter, schmerzte. Und am Ende war ihm sein Vorhaben ja auch gelungen – wenn auch etwas anders, als er sich das wahrscheinlich vorgestellt hatte …

„Ich bin sicher, Ihr Enkel wird seinen Weg gehen, davon bin ich überzeugt“, erwiderte sie lächelnd.

Und auch ich werde nicht aufgeben, bis ich mein Ziel erreicht habe, nahm sie sich wieder einmal vor. Aber musste sie sich in dieser Hinsicht überhaupt Sorgen machen? Warum diese Zweifel? Sie wusste schließlich, dass sie gut war – und an diesem Wissen konnte auch das mangelnde Vertrauen der meisten Kollegen aus der Sicherheitsbranche nichts ändern.

Endlich hielten sie vor dem großen Gebäude an. Nachdem Stella bezahlt hatte, stiegen sie aus, und der Taxifahrer holte das Gepäck aus dem Kofferraum. „Ich wünsche Ihnen alles Gute, Signorina“, sagte er und drückte ihr zu ihrer Überraschung eine Visitenkarte in die Hand. Schelmisch zwinkerte er ihr zu. „Keine Sorge, ich bin ein glücklich verheirateter Mann. Aber wenn Sie vielleicht ein Autogramm von Luca Ponti für meinen Enkel besorgen könnten …“

Stella lächelte verhalten. „Nun, ich werde schauen, was sich machen lässt. Aber versprechen kann ich nichts.“

„Das genügt mir schon, Signorina.“ Er nickte ihr noch einmal zu, dann stieg er wieder ins Taxi und fuhr davon.

Stella atmete tief durch. Ihr Herz klopfte heftig, als sie die blendend weißen Stufen zur Eingangstür der Villa emporstieg. Wieder spürte sie einen Anflug von Unwohlsein, doch das Schwindelgefühl verschwand gleich wieder. Da wurde auch schon die Tür geöffnet, und eine ältere italienische Dame lächelte ihr freundlich zu.

Sofort spürte Stella, wie die Anspannung ein wenig von ihr abfiel.

„Sie müssen Signorina Castlemaine sein“, sagte die Italienerin und reichte ihr die Hand. „Mein Name ist Mariella Ponti, ich bin die Mutter Ihres … Nun, wie sagt man in Ihrer Branche?“

„Dafür gibt es keine spezielle Bezeichnung“, erklärte Stella. Luca Pontis Mutter war ihr auf Anhieb sympathisch. „Ich persönlich bevorzuge Schützling – aber nicht jeder Auftraggeber schätzt diese Formulierung.“

Mariella Ponti führte Stella in die geräumige Eingangshalle, von der aus eine breite Treppe ins Obergeschoss der Villa führte. Eine Galerie, von der zahlreiche Türen abgingen, umgab den Raum auf drei Seiten. Von der Decke hing ein gewaltiger Kronleuchter herab, in dessen Kristallen sich das Licht brach, das durch das runde Buntglasfenster in der Hausfront fiel.

„Ja, das kann ich mir sehr gut vorstellen.“ Mariella Ponti lachte leise. „Und ja, ich würde Ihnen tatsächlich dazu raten, meinen Sohn in seiner Gegenwart lieber nicht so zu nennen.“

„Wie will Luca nicht genannt werden?“ Die Frau, die sich nun zu ihnen gesellte, war auffallend attraktiv. Stella schätzte sie auf höchstens Mitte dreißig. Sie hatte langes brünettes Haar und trug ein umwerfend schönes, aber sicher auch sehr teures Designerkleid mit dazu passenden High Heels. Stella wusste nicht, warum, aber obwohl die Frau freundlich lächelte, war sie ihr aus irgendeinem Grund von der ersten Sekunde an unsympathisch. War das vielleicht Luca Pontis Frau? Angestrengt überlegte sie, aber sie hatte keine Ahnung, ob Luca verheiratet war oder nicht.

Marielle Ponti lächelte. „Signorina Castlemaine erzählte mir gerade, dass Mandanten in ihrem Beruf oft Schützlinge genannt werden.“ Sie sah Stella an und deutete auf die brünette Frau. „Darf ich vorstellen? Das ist meine Nichte Loredana Amienti.“

„Freut mich, Sie kennenzulernen“, sagte Stella freundlich.

Loredana kam gleich zur Sache. „Gut, dass Sie da sind. Wie man Ihnen sicher erklärt hat, ist diese ganze Angelegenheit von großer Wichtigkeit für unsere Familie. Ich schlage vor, ich zeige Ihnen jetzt Ihr Zimmer, und dann können Sie sich eine Weile ausruhen. Die Anreise war sicher recht anstrengend?“

Ohne eine Antwort abzuwarten, ging sie zügigen Schrittes voraus. Stella nickte Mariella Ponti noch einmal zu, dann nahm sie ihre Reisetasche auf und folgte Loredana. Sie gingen durch eine Seitentür der Eingangshalle, und während sie die Gänge entlangliefen, bewunderte Stella die Einrichtung der Villa: Altes und Modernes war geschmackvoll miteinander kombiniert worden.

Ihr Zimmer, das sich auf der Rückseite des Gebäudes im Obergeschoss befand, überraschte Stella. Mit so viel Komfort hatte sie nicht gerechnet. Sie verliebte sich auf den ersten Blick in den wunderschönen Kleiderschrank mit der typisch toskanischen Blumenrankenmalerei auf den Türen. Über dem Bett mit dem kunstvoll gearbeiteten schmiedeeisernen Gestell wölbte sich ein Himmel aus einem hellen, luftigen Stoff. Alles wirkte sehr einladend.

Stella stellte ihre Reisetasche neben dem Bett ab, und Loredana nickte ihr zu. „Mein Cousin wird erst gegen halb sechs vom Training zurückkehren und erwartet Sie dann um neunzehn Uhr zum gemeinsamen Abendessen. Seien Sie besser pünktlich, Luca hasst nichts mehr als Unzuverlässigkeit.“ Ohne ihre Worte durch ein Lächeln abzumildern, nickte sie Stella knapp zu, dann ließ sie sie allein.

Seufzend strich Stella sich durchs Haar. Loredana Amienti war nicht gerade besonders überschwänglich. Stella hoffte, dass ihr Cousin sich nicht als ebenso zugeknöpft erweisen würde. Sie empfand es als angenehmer, mit Menschen zusammen zu arbeiten, die ihr sympathisch waren. Eine Grundvoraussetzung stellte dies für sie indes nicht dar, dazu war sie viel zu sehr Profi.

Sie warf einen Blick auf ihre Armbanduhr. Gerade einmal kurz nach drei. Ihr blieben noch fast vier Stunden bis zu ihrem ersten Zusammentreffen mit Luca Ponti. Besser, sie nutzte die Zeit, um den Kopf freizubekommen und endlich das Gefühl von Schwäche abzuschütteln, das sie seit der Landung in Pisa immer wieder überfiel. Und dabei half ihr eines immer am Allerbesten.

Aus dem Außenfach ihrer Reisetasche holte sie ein abgegriffenes Exemplar von Sturmwind der Liebe hervor – ihr Lieblingsroman, den sie sicherlich schon gut ein Dutzend Mal gelesen hatte, und machte es sich auf dem Bett gemütlich.

Ihr Faible für Liebesromane war ihr ein wenig peinlich, da es sich so gar nicht mit ihrem Image der nüchternen Realistin vereinbaren ließ, die mit beiden Beinen fest auf dem Boden stand.

Und schon gar nicht mit dem der knallharten Leibwächterin.

Kaum jemand wusste, dass es noch eine andere Stella Castlemaine gab. Die Stella, die bei rührenden Stellen in Filmen stets heiße Tränen vergoss und für die ein Happy End gar nicht kitschig und anrührend genug sein konnte.

Doch heute gelang es selbst Julia und Gregorij, den Protagonisten von Sturmwind der Liebe, die während der Oktoberrevolution in Russland um ihre Liebe kämpften, nicht, sie von ihren Sorgen und Problemen abzulenken. Trotz der freundlichen Begrüßung durch Mariella Ponti wurde Stella einfach das Gefühl nicht los, hier in der Villa alles andere als willkommen zu sein.

Sie legte das Buch auf den Nachttisch, nahm ihr Handy aus ihrer Tasche, dann rollte sie sich wie eine Katze auf dem Bett zusammen.

Sie nahm sich gerade noch vor, die Weckfunktion ihres Handys auf sechs einzustellen, da war sie auch schon eingeschlafen.

Ein beharrliches Klopfen weckte Stella. Zunächst wusste sie nicht einmal, wo sie sich befand. Ihr Blick war verschwommen, und sie fühlte sich nur halb wach. Verschlafen rieb sie sich die Augen – und fuhr erschrocken hoch, als ihr bewusst wurde, dass sie sich in Luca Pontis Haus aufhielt.

Hei? Signorina Castlemaine?“ Wieder ein energisches Klopfen. „Was ist denn los? Es ist bereits weit nach neunzehn Uhr, mein Cousin erwartet Sie unten im Speisezimmer!“

Neunzehn Uhr? Stella spürte, wie sie erbleichte. Aber sie wollte doch … Gequält schloss sie die Augen, als ihr klar wurde, dass sie eingeschlafen sein musste, ehe sie die Weckfunktion ihres Handys hatte einstellen können.

O nein, o nein, o nein! Bitte – nur das nicht!

Hastig sprang sie vom Bett auf. „Ich … Einen Moment noch bitte, ich komme sofort!“

Tief atmete sie durch und versuchte, sich ein wenig zu beruhigen. Sie ärgerte sich über sich selbst. Dies war ihre große Chance, und sie verhielt gleich an ihrem ersten Tag wie eine blutige Anfängerin. Wie hatte das bloß passieren können? Sie war doch sonst nicht so unprofessionell!

Aber es war vollkommen sinnlos, sich über so etwas den Kopf zu zerbrechen. Ändern konnte sie ohnehin nichts mehr. Jetzt galt es, die Situation irgendwie zu retten. Schnell schlüpfte sie in ihre Schuhe und strich sich glättend übers Haar – für mehr blieb keine Zeit.

Dann eilte sie zur Tür. „Da bin ich, Signorina“, sagte sie betont munter. „Es tut mir leid, ich …“ Sie zuckte mit den Schultern. „So etwas wird nicht wieder vorkommen!“

Loredana bedachte sie mit einem seltsamen Blick, seufzte dann aber. „Wir sollten uns beeilen“, sagte sie knapp. „Mein Cousin ist ein viel beschäftigter Mann.“

Während Stella der attraktiven Italienerin ins Erdgeschoss folgte, versuchte sie, ihre innere Mitte zu finden. Leicht war es nicht, denn sie war von der anstrengenden Reise noch immer sehr erschöpft – der kurze Schlaf hatte es eher schlimmer als besser gemacht.

Doch jetzt war nicht der richtige Zeitpunkt, um sich in Selbstmitleid zu ergehen. Sie würde ab sofort die Professionalität in Person sein. Luca Ponti sollte gar nicht erst auf die Idee kommen, an ihrer Kompetenz zu zweifeln.

Und eines war sicher: Keinesfalls würde sie denselben Fehler begehen wie ihr Vater. Trevor Castlemaine hatte sich von einer Frau, für deren Schutz er hätte sorgen müssen, den Kopf verdrehen lassen.

Nun war er tot, sein Schützling saß im Rollstuhl, und die Karriere seiner Tochter war so gut wie ruiniert.

Entschieden schüttelte Stella den Kopf. Sie war sicher, dass ihr so etwas niemals passieren könnte. Gerade in ihrem Job war es wichtig, Berufliches und Privates zu trennen. Deshalb war gerade sie dafür wie prädestiniert, bestand doch nicht die Aussicht, dass sich jemals ein Mann wirklich in sie verlieben würde …

Loredana blieb vor einer breiten Flügeltür stehen. „Prego“, sagte sie und nickte Stella zu. „Gehen Sie rein – Luca erwartet sie bereits.“

Mit diesen Worten entfernte sie sich. Verwundert sah Stella ihr nach. Sie hatte erwartet, dass Loredana sie ihrem Cousin vorstellen würde. Wieder einmal wurde ihr klar, dass sie aus dieser Frau einfach nicht schlau wurde.

Aber jetzt war nicht der richtige Moment, um weiter darüber nachzudenken. Tief atmete sie durch, dann öffnete sie die Tür und betrat den Raum.

Das Speisezimmer war sehr groß und besaß eine Front, die fast komplett aus Glas bestand. Der riesige Esstisch war für zwei Personen gedeckt worden. Silberne Hauben bedeckten die Speisen, die schon auf dem Tisch bereitstanden.

Ein großer Mann stand mit dem Rücken zu Stella am Fenster. Als er sie eintreten hörte, drehte er sich um – und Stella hatte das Gefühl, den Boden unter den Füßen zu verlieren.

Augen von der Farbe geschmolzener Schokolade musterten sie durchdringend. „Ah, Sie müssen Signorina Castlemaine sein“, sagte der Mann mit einer tiefen, leicht rauchig klingenden Stimme. Kurz schwieg er, dann deutete er auf den Tisch. „Nun, meine Mutter hielt es für passend, wenn wir uns beim Essen unterhalten, damit wir uns besser kennenlernen. Immerhin werden Sie und ich von nun an eine Menge Zeit miteinander verbringen …“ Er musterte sie, dann blickte er auf seine Armbanduhr. „Sie haben sich verspätet …“

Stella nickte – zu mehr war sie auch nicht in der Lage. Luca Ponti war der attraktivste Mann, dem sie jemals begegnet war. Seine kantigen Züge standen im Kontrast zu den sinnlichen Lippen, die die Frage in Stella aufkommen ließen, wie es sich wohl anfühlen würde, sie zu küssen. Er war schlank und durchtrainiert. Die Muskeln seiner Unterarme waren klar definiert, und der Gedanke daran, wie es unter seinem Shirt wohl aussehen mochte, verursachte ihr weiche Knie.

Er bewegte die Lippen, doch Stella hörte nur noch das Hämmern ihres eigenen Pulses. Das Blut rauschte ihr in den Ohren, und die Kehle wurde ihr eng.

O nein, nein, das darf nicht sein! schoss es ihr durch den Kopf, als die Knie unter ihr nachgaben.

Dann wurde ihr schwarz vor Augen, und kraftlos sackte sie in sich zusammen.

3. KAPITEL

„Hoppla!“

Stella vernahm Lucas Stimme und spürte gleichzeitig, wie starke Arme sie umfingen und festhielten. Dann klärte sich ihr Blick langsam wieder, und ein Kribbeln fuhr durch ihren ganzen Körper.

Sie lag in seinen Armen und schaute zu ihm auf. Sein Gesicht war direkt über ihr, und sie konnte nicht anders, als ihn anzuschauen. Sie hatte gewusst, dass er dunkle Augen hatte, doch nun stellte sie fest, dass sich auch goldene Sprenkel in das tiefe Braun mischten. Aus dieser Perspektive hatte ihn wohl nie ein Paparazzo vor die Fotokamera bekommen.

Stella spürte, wie ihr Herz anfing, heftiger zu klopfen. Sie war froh, dass er sie hielt, denn sie war nicht sicher, ob sie sich aus eigener Kraft auf den Beinen halten konnte. Und dieses Mal lag es ganz eindeutig nicht an ihrem geschwächten Kreislauf …

„Also, ich muss schon sagen.“ Wieder Lucas Stimme. „Ich kenne mich in Ihrer Branche ja nicht so gut aus, aber sollte es nicht normalerweise so sein, dass Sie Ihren Auftraggeber retten – und nicht umgekehrt?“

Seine ironisch ausgesprochenen Worte ließen Stella endgültig wieder ins Diesseits zurückkehren. Hastig machte sie sich von ihm los. Dabei gelang es ihr irgendwie, aus eigener Kraft zu stehen, obwohl sich ihre Knie weich wie Butter anfühlten. Sie schämte sich schrecklich – doch ihre Verärgerung wog kaum geringer. Was bildete sich dieser arrogante Kerl eigentlich ein, so mit ihr zu reden?

Mühsam zügelte sie ihr Temperament. Sie trat einen Schritt zurück, glättete ihre Bluse und setzte eine professionelle Miene auf. Jetzt galt es, Schadensbegrenzung zu betreiben. Wenn Luca Ponti sie aufgrund ihres peinlichen Schwächeanfalls für ungeeignet hielt, ihre Aufgabe zu erfüllen, würde ihr Ruf endgültig einen irreparablen Schaden erleiden. Wer wollte schon eine Leibwächterin engagieren, die gleich beim ersten Treffen halb ohnmächtig wurde?

„Ich muss mich entschuldigen, Signore. Die lange Reise und der Temperaturumschwung sind mir offenbar auf den Kreislauf geschlagen. Sie müssen wissen, dass ich gestern gerade erst in den Urlaub aufgebrochen bin und mich in Cornwall aufhielt, als mich der Anruf meines Chefs erreichte. Heute bin ich dann gleich wieder zurückgeflogen, und …“ Sie hob die Schultern. „Nun, das war wohl alles etwas viel. Mit meinen Fähigkeiten als Bodyguard hat dieser kleine Zwischenfall jedoch nicht das Geringste zu tun, das möchte ich Ihnen versichern. Zudem garantiere ich, dass so etwas nicht wieder vorkommen wird.“

Gleichmütig zuckte er mit den Schultern. „Glauben Sie nicht, ich käme ohne Ihre Dienste nicht zurecht“, entgegnete er gelassen. „Ginge es nach mir, wären Sie überhaupt nicht hier.“

Stella schluckte. „Wie … darf ich das verstehen?“

„Nun, Sie sind nur hier, weil meine Mutter und meine Cousine um meine Sicherheit besorgt sind. Ich hingehen erwarte lediglich eines von Ihnen: dass Sie mir so wenig wie möglich im Weg herumstehen.“ Plötzlich runzelte er die Stirn. „Ach, und da es sich nicht vermeiden lassen wird, dass wir uns auch in der Öffentlichkeit miteinander zeigen, geben Sie doch künftig etwas mehr auf Ihr Äußeres Acht. Sie sehen ja aus wie ein trauriger Clown.“

Im ersten Moment glaubte Stella, sich verhört zu haben. „Wie bitte?“

„Ihre Wimperntusche“, erklärte er. „Sie ist völlig verlaufen.“

Verlegen wischte sie mit dem Zeigefinger unter ihren Augen entlang. „Das … Ich war eingeschlafen und …“

Er winkte ab. „Sparen Sie sich die Erklärungen. Mir persönlich ist es ja egal, wie Sie aussehen, aber vor dem Hintergrund, dass Ihr Vater als das schwarze Schaf in Ihrer Branche angesehen wird …“

Das war zu viel. Obwohl Stella normalerweise nicht besonders nah am Wasser gebaut war, spürte sie, wie ihr Tränen in die Augen schossen. Doch eines stand für sie fest: Keinesfalls wollte sie hier, vor diesem Mann, weinen! Und deshalb drehte sie sich jetzt, eine Entschuldigung murmelnd, einfach um und stürmte durch die offen stehenden Terrassentür ins Freie. Ihr war klar, dass ihr überstürzter Abgang keinen besonders positiven Eindruck auf ihren Auftraggeber machen musste. Doch alles war besser, als vor Luca Ponti die Beherrschung zu verlieren und in Tränen auszubrechen!

Ohne nach rechts und links zu blicken, stolperte sie durch den Garten. Erst als sie nicht mehr das Gefühl hatte, Lucas Blick in ihrem Rücken zu spüren, blieb sie stehen und ließ sich erschöpft auf eine Bank sinken, die im Schatten einer großen Eiche stand.

Verzweifelt barg sie das Gesicht in den Händen und ließ ihren Gefühlen freien Lauf. Dabei konnte sie nichts dagegen tun, dass ihre Gedanken zurückwanderten.

Zurück zu jenem Ereignis, mit dem alles seinen Anfang genommen hatte …

Sie hatte gerade ein erstes Treffen mit einem Kunden gehabt, der ihre Dienste als Leibwächterin in Anspruch nehmen wollte, als sie die Nachricht erhielt, dass ihr Vater tot war. Es war ein Schock für sie gewesen. Obwohl – oder gerade weil – sie schon seit Jahren kaum noch wirklichen Kontakt miteinander gehabt hatten, fühlte sie unglaubliche Trauer in sich aufsteigen. Ihr Vater lebte nicht mehr – und sie würde niemals Gelegenheit haben, ihm ihre wahren Gefühle zu offenbaren. Sie würde niemals erfahren, ob er sie geliebt hatte oder ob sie ihm ebenso gleichgültig gewesen war wie ihrer Mutter.

Bis dahin wusste sie nur, dass ihr Vater in Italien bei der Ausführung seines Jobs ums Leben gekommen war. Doch noch während sein Leichnam nach England überführt wurde, kamen immer mehr Details darüber ans Licht – unfassbare Details. Bald schon pfiffen es die Spatzen von den Dächern: Ihr Vater hatte nicht etwa durch einen unglücklichen und unvermeidlichen Umstand sein Leben verloren – nein: Er war gestorben, weil er gegen das wichtige ungeschriebene Gesetz der Personenschützerbranche verstoßen hatte:

Lasse dich niemals auf eine persönliche Beziehung mit deinem Schützling ein!

Doch genau das hatte er getan. Erst jetzt erfuhr Stella, dass Charlotte Bishop, deren Namen sie bisher nur aus der Presse kannte, die große Jugendliebe ihres Vaters gewesen war. Doch nach einer stürmischen Zeit trennten sich ihre Wege, weil Charlotte sich um ihre Karriere als Schauspielerin kümmern wollte. Schon kurz darauf feierte sie ihre ersten Erfolge an Londoner Theatern.

Die Jahre vergingen. Während Charlotte immer erfolgreicher wurde, entschied Trevor Castlemaine sich für eine Karriere als Leibwächter. Etwa zur selben Zeit lernte er Judy Prescott kennen – und gründete eine Familie mit ihr. Doch schon wenige Jahre nachdem Stella das Licht der Welt erblickt hatte, brach die Familie auseinander und sie wuchs bei ihrem Vater auf. Damit das funktionieren konnte, zog er sich aus dem aktiven Geschäft zurück und gründete eine Firma für Sicherheitsdienste. Er vermittelte für jede Aufgabe den passenden Mitarbeiter, ob nun ein Personenschützer oder ein Nachtwächter für eine Industriehalle gesucht wurde. Erst nachdem Stella viele Jahre später aus dem Haus war, nahm er auch selbst wieder Aufträge an.

Einige Monate vor seinem tragischen Tod erhielt er dann kurzfristig den Auftrag, eine bekannte Schauspielerin auf einer Tour durch die Toskana zu begleiten. Dass es sich bei dieser Person um niemand anderen als Charlotte Bishop handelte, stellte er anscheinend erst fest, als sie sich gegenüberstanden. Und auch für Charlotte selbst war dieses Wiedersehen wohl, zumal Trevor nicht durch sie persönlich gebucht worden war, eine Überraschung.

Charlotte erhielt wohl schon seit längerer Zeit Drohungen eines wahnsinnigen Stalkers, und inzwischen hatte es bereits Anschläge auf ihr Leben gegeben. Wie Stella heute von Charlotte wusste, hatte es nicht lang gedauert, bis bei ihr und Trevor die alten Gefühle wieder auflebten. So blieben sie nach Charlottes Tour, bei der es zu keinen Zwischenfällen kam, noch in der Toskana und gaben sich ganz ihrer Liebe hin.

Doch Trevors Gefühle für die schöne Schauspielerin hatten ihn unvorsichtig werden lassen. Denn auch der Stalker war nicht untätig gewesen und hatte herausgefunden, wo sich ihr Liebesnest befand. Als Trevor und Charlotte eines Abends eng umschlungen vor die Tür ihres Hauses traten und Trevor sich zu Charlotte beugte, um ihr einen Kuss zu geben, entging ihm zunächst der sich schnell nähernde Wagen. Zu spät sah er den Lauf der Pistole. Der Fahrer gab zwei Schüsse ab – der erste Schuss traf Trevor, der sich noch instinktiv vor Charlotte gestellt hatte, mitten in die Brust. Der zweite erwischte Charlotte in den Rücken, als sie sich über ihren sterbenden Geliebten beugte.

Die Kugel blieb in Charlottes Wirbelsäule stecken und schädigte sie so stark, dass sie gelähmt wurde und auf den Rollstuhl angewiesen war.

Trevor Castlemaine überlebte den Anschlag nicht.

Von da an wurde Trevor Castlemaine in der Branche postum zum „schwarzen Schaf“ ernannt. Und Stella konnte dem im Grunde nur zustimmen: Für sie stand fest, dass ihr Vater einen schwerwiegenden Fehler begangen hatte. Er wusste, welcher Bedrohung Charlotte ausgesetzt gewesen war, und hätte deshalb entweder ausschließlich beruflich an ihrer Seite stehen dürfen – oder diesen Auftrag an einen Kollegen weitergeben müssen. Denn ein einziger winziger Moment der Unachtsamkeit oder Unbeschwertheit konnte genügen, sich selbst und seinen Schützling in größte Gefahr zu bringen.

Durch sein Versagen hatte Trevor also nicht nur sein eigenes Leben verloren, sondern war auch mit daran schuld, dass Charlotte nun nie wieder würde laufen können. Stella konnte es noch immer nicht fassen! Ausgerechnet ihr Vater, der ihr, als er hörte, dass sie denselben Berufsweg einschlagen wollte wie er selbst, einen Stein nach dem anderen in den Weg gelegt hatte. Ausgerechnet er hatte einen so schwerwiegenden Fehler begangen! Wer hätte das gedacht?

Auch für Stella selbst hatte dieses tragische Ereignis Folgen. Von nun an lief in ihrem Beruf nämlich gar nichts mehr rund. Für alle Kollegen und Sicherheitsfirmen war sie nur noch „die Tochter des Versagers“.

Zu Anfang wirkte sich dieses Gerede noch nicht direkt auf sie aus. Doch nach und nach sprach sich das Fehlverhalten ihres Vaters auch bei ihren potenziellen Kunden herum. Schließlich blieben die Aufträge aus, und sie war gezwungen gewesen, der Realität ins Auge zu blicken: Ihre kleine Agentur, in deren Aufbau sie so viel Zeit und Arbeit investiert hatte, stand vor dem Aus.

In ihren Augen war es eine himmelschreiende Ungerechtigkeit. Was konnte sie denn für die Fehler ihres Vaters? Es ging so weit, dass sie anfing, Trevor Castlemaine für das, was er getan hatte, regelrecht zu hassen!

Schließlich fügte sie sich in das Unvermeidliche und beschloss, ins Ausland zu gehen. Sie schrieb eine Bewerbung nach der anderen. Doch ihre Hoffnung, dass ihre Geschichte auf dem Kontinent vielleicht noch nicht in aller Munde war, erwies sich als Trugschluss. Sie war schon kurz davor gewesen, endgültig aufzugeben, als ihr die Zusage von einem kleinen Sicherheitsunternehmen in der Toskana ins Haus flatterte.

Sie hatte es als Wink des Schicksals angesehen, dass ihr beruflicher Neuanfang ausgerechnet an dem Ort beginnen sollte, an dem ihr Vater den Tod gefunden hatte. Vielleicht, so überlegte sie damals, war es so etwas wie Bestimmung.

Doch wirklich in die Gänge war ihr Neustart zunächst nicht gekommen. Sie hatte nur die kleinen Jobs bekommen, die außer ihr niemand machen wollte, bis …

Ja, bis jetzt … Der Auftrag, Luca Ponti zu beschützen, konnte die große Wende bedeuten – und was tat sie? Wurde bei seinem Anblick halb ohnmächtig und rannte dann aufgrund einer dummen Bemerkung von ihm einfach davon! Sie schüttelte den Kopf. Wie konnte sie nur ein solch unprofessionelles Verhalten an den Tag legen? Das musste sie unbedingt irgendwie in Ordnung bringen! Hastig sprang sie auf und wischte sich die verschmierte Wimperntusche weg, als sie seine Stimme hörte. Sofort sprang sie auf.

„Ich habe schon befürchtet, Sie hätten sich verlaufen“, sagte Luca, der Stella schon eine ganze Weile dabei beobachtet hatte, wie sie grübelnd auf der Bank saß.

Erschrocken wirbelte sie zu ihm herum. Fasziniert beobachtete Luca, wie ihre Mundwinkel zuckten und ihre Brust sich heftig hob und senkte. Sie hatte ihr Make-up inzwischen notdürftig in Ordnung gebracht, sodass er sich fragte, ob die dunklen Schatten unter ihren Augen davon stammten oder andere Hintergründe hatten.

Sie schien nicht recht zu wissen, was sie antworten sollte. „Ich …“ Sie stockte noch einmal kurz, und als sie dann weitersprach, nahm ihre Stimme den professionellen Klang eines Experten an. „Nun, bei einem Anwesen dieser Größe läge dies durchaus im Bereich des Möglichen. Aber ich kann Sie beruhigen – in meinem Job ist neben einem guten Gespür für Gefahrensituationen auch ein ausgeprägter Orientierungssinn wichtig.“

Er winkte ab. „Hören Sie, es tut mir leid, wenn ich Ihnen vorhin zu nahe getreten bin. Ich wollte nicht …“ Irritiert über sich selbst runzelte er die Stirn. Warum um alles in der Welt entschuldigte er sich bei ihr?

„Sie müssen das nicht sagen“, erwiderte sie. „Ich habe mich unprofessionell verhalten, und dafür entschuldige ich mich. Bevor wir nun noch weitere Höflichkeiten miteinander austauschen, schlage ich jedoch vor, dass wir endlich zur Sache kommen, Signor Ponti. Denn ich bin nicht zu meinem Vergnügen hier und …“

„Luca“, unterbrach er sie.

Sie blinzelte. „Wie bitte?“

Prego, nennen Sie mich Luca. Alles andere ist mir zu förmlich.“ Wieder war er irritiert über sich selbst. Was tat er hier? Hatte er nicht eigentlich vorgehabt, sich so wenig wie möglich mit dieser Frau zu befassen? Er wollte schließlich nicht, dass sie hier war, und das aus gutem Grund!

Ärger stieg in ihm hoch, als er sich wieder vor Augen führte, wem er Stella Castlemaines Anwesenheit zu verdanken hatte. Seine Mutter und seine Cousine mochten um seine Sicherheit besorgt sein, ja – aber das gab ihnen noch lange nicht das Recht, ihm derart die Pistole auf die Brust zu setzen. Diese ganze Aktion kam ja einer Erpressung gleich!

Er würde sich dringend etwas einfallen lassen müssen. Irgendeinen Weg, wie er der Forderung seiner Mutter nachkommen konnte, ohne dass er seine Leibwächterin andauernd um sich herum haben musste.

Denn eines stand fest: Er durfte diese Frau auf keinen Fall zu nah an sich herankommen lassen. Schon jetzt spürte er, wie ihre Anwesenheit sein Innerstes durcheinanderbrachte. So etwas hatte er seit Giovanna nicht mehr erlebt – und er war keinesfalls daran interessiert, die bittere Erfahrung von damals zu wiederholen …

„Es tut mir leid“, antwortete sie kopfschüttelnd. „Aber es gehört zu meinen Prinzipien, meine Schütz… die Personen, für deren Schutz ich verantwortlich bin, nicht mit Vornamen anzusprechen.“

Er blinzelte. „Ach, und warum?“

„Nun …“, sie zuckte mit den Schultern, „… sagen wir mal so: Es sorgt für die Distanz, die zwischen beiden Parteien nötig ist, um einen solchen Auftrag ohne Probleme über die Bühne zu bringen. Daher werden Sie sich mit dieser Förmlichkeit wohl oder übel abfinden müssen. Ich bleibe nämlich lieber bei Signor Ponti.“

„Ganz wie Sie wollen“, antwortete er betont gleichmütig, doch in seinem Inneren regte sich etwas. Die blonde Leibwächterin interessiert ihn als Frau. War da etwa sein Jagdinstinkt erwacht? Um sich abzulenken, sagte er: „Sollen wir dann zurück ins Haus gehen? Sonst wird das Essen noch kalt. Und wenn Ihnen ein gemeinsames Abendessen auch zu persönlich sein sollte, dann ist das Ihre Sache. Ich jedenfalls bin hungrig.“

Mit diesen Worten wandte er sich ab und ging zum Haus zurück.

Dunkelheit erfüllte den Raum. Die Vorhänge waren zugezogen, die Lichter gelöscht und die Tür war geschlossen. Lediglich durch den Türspalt drang ein schmaler Streifen Licht. Niemand hätte vermutet, dass sich hier jemand aufhielt – und das war auch die Absicht, die die Person verfolgte, die hinter dem wuchtigen Schreibtisch saß und den Telefonhörer in der Hand hielt.

„Was glaubst du: Kann die Signorina uns gefährlich werden?“, fragte der Anrufer am anderen Ende der Leitung.

Die Person, die in dem abgedunkelten Raum saß, musste leise sprechen, denn niemand durfte hören, was sie und ihr Gesprächspartner miteinander beredeten. Die Sache war viel zu heikel, als dass sie es wagen durften, einen Dritten in ihre Sache einzuweihen.

„Nein, keine Sorge“, antwortete sie. Die Stimme war kaum mehr als ein Flüstern – unmöglich zu sagen, ob sie zu einer Frau oder einem Mann gehörte.

„Ich habe mich natürlich über sie erkundigt: Sie besitzt nicht gerade den besten Ruf und hat die vergangenen Monate damit verbracht, leer stehende Gebäude zu schützen. Sie wird uns garantiert nicht in die Quere kommen.“

„Gut“, antwortete der Gesprächspartner zufrieden. „Niemand darf uns davon abhalten, unseren Plan in die Tat umzusetzen.“

4. KAPITEL

„Sie haben also Drohungen erhalten“, stellte Stella zehn Minuten später fest, als sie gemeinsam am Esstisch saßen. Sie versuchte, sich nicht anmerken zu lassen, wie sehr ihre Umgebung sie beeindruckte. Sie lobte auch nicht das Essen, obwohl das Bistecca alla fiorentina – Steak nach Florentiner Art – mit Abstand das Köstlichste war, das sie jemals probiert hatte. Auf keinen Fall sollte Luca Ponti denken, dass sie sich um irgendetwas anderes Gedanken machte als um ihre Aufgabe. „Wann und in welcher Form?“

Er nahm einen Schluck von seinem Wein, ehe er antwortete. „Es handelte sich hauptsächlich um anonyme Briefe und E-Mails. Nichts von Belang, wenn Sie mich fragen.“

„Dennoch muss ich, um meine Arbeit tun zu können, alles Wesentliche wissen, was Sie mir sagen können“, entgegnete Stella ungerührt. „Was also war der Inhalt dieser Schreiben?“

„Die üblichen Drohgebärden“, antwortete er mit einem Achselzucken.

„Ich vermute, jede Person von öffentlichem Interesse erhält hin und wieder solche Briefe. Wenn man im Rampenlicht steht, muss man sich damit abfinden, zu polarisieren. Man wird geliebt …“, er machte eine kurze, aber nicht wenig dramatische Pause, „… oder gehasst. Etwas dazwischen gibt es nicht.“

„Sie haben eine ziemlich gleichmütige Art, mit der Bedrohung umzugehen“, stellte Stella ein wenig überrascht fest. „Sind Sie denn gar nicht besorgt? Es hat doch anscheinend schon tätliche Übergriffe gegeben, wie ich hörte.“

„Ach das …“ Er machte eine wegwerfende Handbewegung. „Ja, es hat einen Anschlag gegeben. Kürzlich bei einem Training.“ Er schüttelte den Kopf. „Ich möchte nicht weiter darüber sprechen.“

„Wie ich schon sagte, wenn ich …“

„No!“, fiel Luca ihr ins Wort, und sie zuckte unwillkürlich zusammen. Eine kurze Pause entstand, dann fuhr er mit deutlich leiserer Stimme fort: „Ich werde Ihnen schon noch berichten, was genau vorgefallen ist. Aber eben erst dann, wenn ich es für richtig halte. Heute Abend spielt das keine Rolle. Im Übrigen sagte ich Ihnen ja bereits, dass ich der Ansicht bin, dass meine Mutter und Loredana um die ganze Sache ein bisschen zu viel Theater machen. Ich wäre damit auch allein zurechtgekommen, aber da die beiden so um meine Sicherheit besorgt waren …“

Deutlicher hätte er kaum zum Ausdruck bringen können, wie wenig er einen Leibwächter zu brauchen glaubte.

Stella war da gänzlich anderer Meinung – und zwar nicht nur, weil sie diesen Auftrag so dringend brauchte, um sich in der Branche wieder einen Namen zu machen. „Sie sollten die Angelegenheit nicht auf die leichte Schulter nehmen“, sagte sie. „Ich schlage vor, dass Sie sicherheitshalber in der nächsten Zeit eine kugelfeste Schutzweste tragen, wenn Sie das Haus verlassen und …“

„Wie bitte?“ Luca, der seine Gabel gerade zum Mund hatte führen wollen, ließ sie sinken und starrte Stella ungläubig an. „Das ist hoffentlich nicht Ihr Ernst, Signorina Castlemaine!“

„Und ob“, entgegnete Stella energisch. „Statistisch gesehen …“

„Ach, scheren Sie sich mit Ihrer Statistik zum Teufel! Ich werde auf keinen Fall eine Schutzweste tragen, haben wir uns verstanden?“

Stella atmete tief durch. Es fiel ihr nicht leicht, die Ruhe zu bewahren, doch sie zwang sich, ihr Temperament zu zügeln. „Signor Ponti, ich muss Sie bitten …“

„Basta!“, fiel er ihr ins Wort.

„Ich will zu diesem Thema nichts mehr hören!“ Plötzlich verzogen sich seine Lippen zu einem Lächeln. „Lassen Sie uns lieber noch ein Glas Wein zusammen trinken.“

„Vielen Dank“, lehnte Stella ab, die lieber einen klaren Kopf behalten wollte. „Ich darf Sie daran erinnern, dass ich mich von nun an praktisch rund um die Uhr im Dienst befinde, und im Dienst trinke ich grundsätzlich keinen Wein.“

„Ich bitte Sie, nicht einmal ein kleines Schlückchen Wein? Das ist kein Alkohol, das ist Genuss.“ Er lächelte herausfordernd, als er ihr einschenkte. „Und wenn Sie nicht wenigstens kosten, muss ich Sie leider für einen Feigling halten.“

Er schien instinktiv zu wissen, welche Fäden er bei ihr ziehen musste. Seine Worte packten Stella bei ihrem Stolz.

„Nun“, sagte sie, „wenn Sie sich im Gegenzug nicht weiter weigern, mit mir zusammen zu arbeiten, werde ich Ihr Angebot gern annehmen. Dazu müssen wir aber zunächst einmal einige Dinge klarstellen.“

Sein Lächeln wurde breiter. „Nun, ich bin gespannt.“

„Also schön.“ Sie nickte. „Zu allererst sollten wir klarstellen, dass ich von jetzt an Ihr ständiger Schatten sein werde. Hier im Haus dürften Sie relativ sicher sein, denke ich? Es gibt doch eine Alarmanlage?“

Luca verdrehte die Augen. „Selbstverständlich. Was glauben Sie denn? Wenn es die nicht gäbe, wäre Ihnen der Stuhl, auf dem Sie gerade sitzen, wahrscheinlich jetzt schon unter Ihrem hübschen Hintern weggeklaut worden.“

„Oh!“ Stella spürte, wie sie errötete, und senkte rasch den Blick. „Dennoch werde ich natürlich auch hier immer wachsam sein. Vor allem aber müssen Sie mich über sämtliche Ihrer Vorhaben informieren. Ich muss stets wissen, in welchem Raum Sie sich aufhalten, wen Sie zu Besuch erwarten und ganz besonders wenn Sie gedenken, das Haus zu verlassen. Kein Schritt nach draußen ohne mich, das muss klar sein. Selbstverständlich werde ich mich immer so diskret verhalten, dass man mich im Grunde gar nicht wahrnimmt.“

„Fertig?“, fragte er und machte dabei keinen Hehl aus seinem Desinteresse.

„Noch nicht ganz“, erwiderte Stella. „Ich muss wirklich darum bitten, dass Sie mir berichten, wie genau sich der Anschlag auf Ihr Leben abgespielt hat.“

„Wie melodramatisch das klingt“, spottete er. „Anschlag auf mein Leben. Aber schön, Sie geben ja sonst ohnehin keine Ruhe: Es war beim Training auf der Teststrecke meines Rennstalls. Ich fuhr gerade auf eine gefährliche Kurve zu, als plötzlich ein rotes Licht aufblitzte und mich blendete. Es gelang mir gerade noch, den Wagen zum Stehen zu bringen, sonst hätte die ganze Aktion böse enden können.“

„Ein Laserpointer“, schlussfolgerte Stella. Dass derartige Geräte oft als Waffen eingesetzt wurden, war ihr nicht neu: Immer häufiger körte man in den letzten Jahren davon, dass Flugzeugpiloten oder Zugführer von Laserpointern geblendet und daraufhin praktisch mehrere Sekunden blind waren. Oft steckten hinter diesen Taten „Streiche“ von Jugendlichen, die das Ganze als Spaß ansahen und gar nicht wussten, was sie mit solchen Aktionen anrichteten. In Lucas Fall verhielt sich dies jedoch ganz anders.

Luca nickte. „Ganz recht. Einige aus meinem Team wollten die Polizei rufen und damit an die Öffentlichkeit gehen, aber mein Trainer und ich konnten dies zum Glück verhindern.“

„Aber warum? Wäre es nicht ratsam gewesen, die Behörden einzuschalten?“

„Um damit was zu erreichen? Hören Sie, davon verstehen Sie einfach nichts. Wenn publik würde, dass ich bedroht wäre, könnte das mein Comeback gefährden. Der Chef des Rennstalls ist meinetwegen auch so schon nervös genug. Ich kann es ihm nicht einmal verübeln, denn nach meinem Unfall sah es lange Zeit so aus, als würde ich mich nie wieder hinters Steuer setzen können. Wenn jetzt auch noch bekannt wird, dass jemand mein Leben bedroht, wird er mich ganz sicher keine Rennen fahren lassen.“ Er schüttelte den Kopf. „Und das darf auf keinen Fall passieren!“

„Und …“ Stella räusperte sich. „Was genau ist damals passiert? Bei dem erstem Unfall vor ein paar Jahren, bei dem Sie verletzt wurden? War das vielleicht auch …?“

„Ein Attentat?“ Er schüttelte entschieden den Kopf. „Nein, auf keinen Fall. Das wurde alles genau untersucht, außerdem habe ich damals auch noch gar keine Drohungen erhalten. Das fing erst später an.“ Er hob beide Hände. „Ich nehme an, das Verhör ist damit beendet? Dann würde ich mal sagen: alla salute!

Sie blinzelte. „Wie bitte?“

„Nun …“, er deutete auf ihr Weinglas, „… Sie sind am Zug: Sie haben gesagt, dass Sie mein Angebot annehmen und mit mir anstoßen, wenn die wichtigsten Dinge geregelt sind. Also?“ Er hob sein Glas, und Stella schüttelte resignierend den Kopf.

„Wenn es sein muss …“ Sie griff nach dem Glas mit der rubinrot schimmernden Flüssigkeit, führte es an die Lippen und trank einen Schluck. Der Wein schmeckte hervorragend, dennoch ärgerte sie sich über ihr eigenes Verhalten. Es gehörte zu ihren Prinzipien, während der Arbeit generell keinen Alkohol zu trinken – wie war es Luca Ponti bloß gelungen?

Als sie jetzt seinen amüsierten Gesichtsausdruck bemerkte, schoss ihr das Blut ins Gesicht. „Das war eine Ausnahme“, stellte sie klar und machte Anstalten, aufzustehen.

Blitzschnell nahm er ihre Hand und hielt Stella zurück.

Sofort spürte sie, wie angesichts dieser winzigen Berührung sengende Hitze durch ihre Adern pulsierte. Sie blinzelte überrascht. Lag es am Alkohol, oder …?

Hastig machte sie sich von ihm los. „Ich …“ Sie atmete tief durch. „Ich glaube, ich werde ein bisschen an die frische Luft gehen. Der Wein scheint mir nicht zu bekommen.“

Er stand ebenfalls auf. „Gut, dann werde ich Sie begleiten. Aber keine Sorge, ich zweifle keineswegs an Ihrem sicher ganz herausragenden Orientierungssinn, Signorina Castlemaine.“

„Sondern?“

„Nun, mir ist ebenfalls nach ein wenig Bewegung, und es wäre doch albern, wenn jeder von uns allein seiner Wege gehen würde, zumal Sie ja von jetzt an ohnehin mein ständiger Schatten sein werden, nicht wahr?“

Natürlich wusste Stella, dass er recht hatte. Trotzdem wäre sie jetzt lieber allein gewesen, denn aus irgendeinem Grund gelang es ihm mühelos, ihre Selbstbeherrschung, auf die sie so stolz war, in sich zusammenbrechen zu lassen. Und so zögerte sie auch, als er ihr den Arm bot, doch sie sah keinen Grund, ihn abzuweisen.

Sie wappnete sich für das, was nun kommen würde, aber die verräterische Reaktion ihres Körpers auf seine Nähe übertraf ihre schlimmsten Befürchtungen. Sie konnte nur hoffen, dass er nicht bemerkte, wie aufgewühlt sie war.

Wie stellte dieser Mann das bloß an? Sie hätte es nie für möglich gehalten, dass irgendein Mensch eine solche überwältigende Wirkung auf sie ausüben könnte! Vor allem, da es sich um einen Mann handelte, den sie so gut wie gar nicht kannte.

Gemeinsam gingen sie hinaus in den Garten. Stella hoffte, dass die Kühle des Abends und die Schönheit ihrer Umgebung sie ein wenig ablenken würden, doch das Gegenteil war der Fall.

Der Anblick der Sterne, die am schwarzsamtenen Himmel glitzerten, ließ ihr Herz erst recht schneller schlagen.

„Sie sind eine sehr schöne Frau“, sagte er unvermittelt und hob die Hand, um ihr eine Locke aus dem Gesicht zu streichen, die sich aus ihrem Zopf gelöst hatte.

Rasch wandte sie den Kopf ab. „Bitte“, stieß sie heiser hervor. „Sagen Sie so etwas nicht.“

„Warum nicht, wenn es doch der Wahrheit entspricht?“

In ihrem Kopf schwirrte es. Es musste einfach am Alkohol liegen, dass sie sich so die Kontrolle über die Situation aus der Hand nehmen ließ. Gleichzeitig wusste sie, dass das nur eine Ausrede war, nichts weiter. Immerhin hatte sie nur einen kleinen Schluck Wein getrunken!

Sie räusperte sich. „Steht heute noch etwas auf dem Programm? Oder werden Sie sich gleich in Ihre Räumlichkeiten zurückziehen?“

„Letzteres.“ Er nickte. „Morgen Vormittag steht ein Training an, da muss ich ausgeruht sein.“

Erleichtert atmete Stella auf. Sie war froh, heute früh zu Bett gehen zu können. Dieser Tag hatte es wahrlich in sich gehabt! „Um wie viel Uhr geht es dann morgen los?“, erkundigte sie sich.

Er dachte kurz nach. „Ich schlage vor, dass wir uns um Punkt acht zum Frühstück treffen. Dabei können wir dann alles Weitere besprechen.“

„In Ordnung. Und wo findet das Training statt?“

Er hob eine Braue. „Auf dem privaten Testgelände meines Rennstalls“, sagte er. „Warum fragen Sie?“

„Weil ich für Ihre Sicherheit verantwortlich bin und gerne weiß, worauf ich mich vorbereiten muss. Ich nehme an, das Grundstück ist umzäunt und bewacht?“

„Selbstverständlich. Allein schon, um Spionen keine Chance zu geben.“

„Spionen?“ Sie konnte ein leises Kichern nicht unterdrücken. „Das klingt aber sehr abenteuerlich. Was sollte dort denn ausspioniert werden?“

„Die Konkurrenz ist immer daran interessiert, mehr über technische Neuerungen und Strategien herauszufinden. Wissen ist Macht“, sagte er. „Das gilt im Rennsport ebenso wie sonst überall auf der Welt. Übrigens – wie heißen Sie mit Vornamen?“

Sie blinzelte überrascht. „Stella – warum interessiert Sie das?“

„Nun, da ich nicht vorhabe, mich zum allgemeinen Gespött zu machen, indem ich Sie als meine Leibwächterin vorstelle, musste ich mir etwas anderes einfallen lassen. Niemand wird sich darüber wundern, wenn ich Sie als … nun, sagen wir als meine neue Begleiterin vorstelle.“

„Sie erwarten von mir, dass ich mich als Ihre Geliebte ausgebe?“ Erschrocken riss sie die Augen auf. „Das ist doch hoffentlich nicht Ihr Ernst!“

„Wenn Sie eine bessere Idee haben, bin ich gern bereit, Sie mir anzuhören. Bis dahin jedoch …“ Er lächelte süffisant. „Du solltest dich besser schon einmal an den Gedanken gewöhnen, mich beim Vornamen anzusprechen.“

„Ich …“ Sie atmete tief durch. Es ärgerte sie, dass sein Vorschlag sie so aus dem Konzept brachte. „Ich sollte jetzt wirklich zu Bett gehen. Uns steht ein langer Tag bevor.“

Mit diesen Worten wirbelte sie herum und ging in Richtung Haus zurück. Ihr war klar, dass ihr überstürzter Abgang wie eine Flucht wirken musste, aber das war ihr in diesem Moment egal. Hauptsache, sie konnte der irritierenden Nähe dieses Mannes endlich entfliehen!

Was ist los mit dir? fragte sie sich, während sie ein Eichenwäldchen durchquerte. Dich bringt doch sonst nichts so leicht aus der Fassung.

Sie fand sich in dem dunklen Garten zurecht, so als wäre sie schon oft hier gewesen und nicht gerade erst zum zweiten Mal. Ihr Ortssinn leitete sie, während ihre Gedanken mit anderem beschäftigt waren.

Es ärgerte sie, dass sie es ihm gestattet hatte, sie wie eine Marionette zu führen. Er zog die Fäden, sie reagierte. Irgendwie war es ihm sogar gelungen, sie zum Weintrinken zu überreden. Und dass sie einander jetzt beim Vornamen nannten, gefiel ihr ganz und gar nicht.

Alles in allem war ihr Verhalten bisher alles andere als professionell gewesen.

Doch damit musste nun Schluss sein.

Dies war ihre Chance – sie durfte sie nicht leichtfertig vertun.

Mit einem beinahe spöttischen Klimpern fiel die Befestigungsschraube des Anlassers vom Motor zu Boden und rollte unter den Wagen.

„Cazzo!“, fluchte Luca und wischte sich mit dem Ärmel den Schweiß von der Stirn.

Sonst half ihm die Arbeit an seinem 1969er Iso Grifo immer, wenn es darum ging, wieder einen klaren Kopf zu bekommen. Es erinnerte ihn daran, wie er früher zusammen mit seinem Vater an einem ganz ähnlichen Wagen herumgebastelt hatte, der jedoch nie fertiggestellt worden war. Und manchmal vergaß er dabei regelrecht die Welt um sich herum.

Aber heute …

Sein Blick fiel auf die große Bahnhofsuhr an der Wand der Garage, die ihm gleichzeitig als Werkstatt diente. Es war spät, und er musste morgen frisch und ausgeruht sein. Besser also, er ging jetzt zu Bett. Doch irgendwie zweifelte er daran, dass er so bald Schlaf finden würde. Und der Grund für seine innere Aufgewühltheit war weiblich und besaß die aufregendsten grünen Augen, die er je bei einer Frau gesehen hatte.

Reiß dich zusammen! ermahnte er sich selbst. Stella Castlemaine ist nichts für dich …

Trotzdem reizte ihn etwas an der jungen Frau, die seine Mutter und Loredana als seine Leibwächterin engagiert hatten. Vielleicht war es ihre mädchenhafte Ausstrahlung, die in einem so auffallenden Kontrast zu der Aura von Professionalität und Ernsthaftigkeit stand. Diese Kombination machte es ihm schwer, Stella einzuschätzen. Und gleichzeitig machte sie sie interessant für ihn, denn er hatte einen Faible für ungewöhnliche Frauen.

Auf der anderen Seite glaubte er nicht, dass sie für ein unverbindliches Abenteuer zu haben war. Sie schien eher zu dem Typ von Frauen zu gehören, die sich nur dann auf einen Mann einließen, wenn es die große Liebe war.

Als ob es die überhaupt gäbe …

Luca jedenfalls glaubte schon lange nicht mehr daran. Nicht nach der Sache mit Giovanna.

Nicht zum ersten Mal an diesem Tag musste Luca an sie denken und daran, wie sie ihn behandelt hatte. Nie würde er vergessen, wie die Frau, in die er einmal so verliebt gewesen war, ihn …

Der Klingelton seines Handys riss ihn aus seinen Gedanken. Luca runzelte die Stirn. Um diese Zeit würde es nur eine Person wagen, ihn anzurufen – und die Nummer, die auf dem Display angezeigt wurde, bestätigte seine Vermutung. Bei dem Anrufer handelte es sich um Giancarlo Gasperi, der als sein persönlicher Trainer für ihn arbeitete, seit seine Pläne, ein Comeback zu starten, langsam Gestalt angenommen hatten. Zuerst hatte er erwogen, jemanden mit mehr Erfahrung zu verpflichten, doch Giancarlo war so hartnäckig gewesen, dass es ihm am Ende gelungen war, ihn von seinen Fähigkeiten zu überzeugen.

Er erzählte hin und wieder von einem Sohn, der ebenfalls Rennen fuhr, sonst wusste Luca nicht viel von seinem Privatleben. Es reichte ihm, dass Giancarlo einen hervorragenden Job machte – alles andere interessierte ihn nicht.

, Giancarlo“, sagte er, nachdem er den Anruf angenommen hatte. „Was gibt es, das nicht auch bis morgen beim Training warten kann?“

Falls sein Trainer die Ironie in seiner Stimme überhaupt bemerkte, so ging er kommentarlos darüber hinweg. „Ich wollte dir nur mitteilen, dass wir alles im Rahmen unserer Möglichkeiten Liegende zu deinem Schutz veranlasst haben. Für das morgige Training habe ich ein halbes Dutzend Leute zusätzlich kommen lassen, die verhindern werden, dass Unbefugte das Grundstück betreten. Außerdem wurden zusätzliche Kameras auf dem Gelände installiert. Du wirst hier so sicher sein wie in Abrahams Schoß.“

„Da mache ich mir überhaupt keine Sorgen. Du bist nämlich nicht der Einzige, der entsprechende Vorkehrungen getroffen hat.“

Für einen Moment herrschte Schweigen. Dann: „Wie meinst du das?“

Luca seufzte. „Meine Mutter hat von den Drohungen gegen mich Wind bekommen und …“

„Was?“, fiel Giancarlo Gasperi ihm ins Wort. „Wie konnte das passieren?“

„Franko hat geplaudert. Er war ja an jenem Tag auf der Teststrecke dabei und hat alles mitbekommen. Und da hatte mein feiner Cousin natürlich nichts Besseres zu tun, als gleich zu meiner Mutter zu laufen.“ Er seufzte. „Tja, und nun hat sie eine Leibwächterin für mich engagiert.“

„Eine Leibwächterin?“, fragte sein Trainer nach, und die Überraschung in seiner Stimme war nicht zu überhören.

. Ihr Name ist Stella Castlemaine, und sie wird mich in den nächsten Tagen auf Schritt und Tritt begleiten. Offiziell werde ich sie als meine neueste Flamme ausgeben, nur damit du dich nicht wunderst.“

„Und bei diesem Spielchen machst du bereitwillig mit? Das wundert mich, Luca. Ich hätte nicht gedacht, dass du dir so einfach jemanden vor die Nase setzen lassen würdest.“

Luca lachte leise. „Du kennst mich inzwischen viel zu gut. , es fiel mir zu Anfang nicht leicht, mich an den Gedanken zu gewöhnen. Aber meine Mutter hat mir gewissermaßen die Pistole auf die Brust gesetzt. Und außerdem …“ Er zögerte. „Nun ja, Stella ist … Ach, wenn du sie siehst, wirst du schon wissen, was ich meine. Sie wird mich morgen zum Training begleiten, naturalmente.“

„In Ordnung. Und wahrscheinlich hat deine Mutter sogar recht. Schließlich haben wir keinerlei Anhaltspunkte, um wen es sich bei diesem Verrückten handelt und wann er das nächste Mal zuschlägt. Also dann, bis morgen.“

„Buonanotte!“ Luca steckte das Handy zurück in seine Hosentasche und fuhr sich nachdenklich durchs Haar.

Dass Giancarlo nun auch Partei für seine Mutter ergriff, wunderte ihn im Grunde nicht. Er wusste ja selbst, dass es guten Grund gab, um seine Sicherheit besorgt zu sein.

Hinzu kam, dass seine Mutter nach dem Unfall vor anderthalb Jahren noch ängstlicher geworden war. Die Tatsache, dass er um ein Haar auf der Rennstrecke ums Leben gekommen wäre, so wie schon sein Vater vor ihm, hatte ihre Abneigung dem Rennsport gegenüber noch verstärkt.

Der Unfall … Schmerzerfüllt schloss Luca die Augen, als die Erinnerungen wie eine Flutwelle über ihn hinwegrollten. Der andere Wagen, der mitten im Überholgang plötzlich ausbrach und auf ihn zugeschossen kam … Die Wucht des Aufpralls, die die gesamte Karosserie im hohen Bogen durch die Luft gewirbelt hatte … Das Kreischen von Metall und der scharfe Schmerz in seinem Bein … Die Seitenbegrenzung der Rennstrecke, die rasend schnell näher kam, ohne dass er etwas dagegen tun konnte – und dann die undurchdringliche Schwärze der Bewusstlosigkeit …

Erst zwei Tage später war er im Krankenhaus aufgewacht. Bei dem Zusammenstoß hatte er gleich mehrere komplizierte Knochenbrüche und Verletzungen an Muskeln und Sehnen erlitten. Doch ihm war es immer noch besser ergangen als dem Fahrer des anderen Wagens, denn dieser war noch auf dem Weg zum Krankenhaus gestorben.

Einige Wochen und zahlreiche Operationen später war er entlassen worden, aber damit war es nicht vorbei gewesen. Im Laufe der anschließenden Reha war Luca zu der bitteren Erkenntnis gelangt, dass nichts mehr so sein würde wie zuvor. Sein Therapeut machte ihm keine großen Hoffnungen, dass er jemals wieder ohne zu Humpeln würde laufen können – geschweige denn sich hinter das Steuer eines Rennwagens setzen.

Doch damit hatte sich Luca nicht zufriedengeben wollen. Stück für Stück hatte er sich wieder ins Leben zurückgekämpft. Aber während er mühsam das Laufen wieder neu erlernte, wurde ihm klar, dass es Wichtigeres gab als Erfolge auf der Rennbahn. Zum ersten Mal nahm er die Schönheit der Natur seiner toskanischen Heimat so richtig wahr. Vorher war er stets viel zu beschäftigt gewesen, sich mit solch nebensächlichen Dingen zu beschäftigen.

Eigentlich hatte er also nie vorgehabt, sich jemals wieder in ein Cockpit zu setzen, doch dann war alles anders gekommen …

Ein Anruf seiner Mutter hatte ihn aus allen Wolken fallen lassen. Völlig verzweifelt informierte sie ihn über den Besuch eines Gläubigers, der behauptete, einen von Ricardo als Geschäftsführer des Familienunternehmens unterzeichneten Schuldschein zu besitzen. Luca war sofort zu ihr geeilt – nur um festzustellen, dass die Behauptung ihre Richtigkeit hatte. Und die Summe, über die dieser Schuldschein ausgestellt war, trieb ihm den kalten Schweiß auf die Stirn.

Er versuchte natürlich sogleich, seinen Bruder zu erreichen – doch Ricardo ging nicht an sein Handy und hatte sich laut Aussage seiner Sekretärin auch in der Firma bereits mehrere Tage nicht mehr blicken lassen.

Zähneknirschend bezahlte Luca den Schuldschein aus eigener Tasche. Obschon seit seinem Unfall Privatier, war er noch immer ein vermögender Mann. Und wäre die Sache damit ausgestanden gewesen, dann hätte er dem Rennzirkus vermutlich für alle Zeiten den Rücken gekehrt.

Doch wie sich schon bald herausstellte, war dieser eine Schuldschein nur die Spitze des Eisbergs gewesen. Plötzlich tauchten von allen Seiten neue Forderungen gegen die Firma auf, allesamt legitimiert von Ricardo höchstpersönlich. Luca tat, was immer in seiner Macht stand, aber nachdem auch seine eiserne Reserve aufgebraucht war, musste er der bitteren Realität ins Auge sehen: Ohne eine Einnahmequelle würde es ihm nicht gelingen, das Familienunternehmen zu retten.

Er versuchte, seiner Mutter die schlechten Nachrichten möglichst schonend beizubringen, doch für Mariella brach damals eine Welt zusammen. Wie Luca hatte sie Ricardos geschäftlicher Kompetenz voll und ganz vertraut – und nun drohte ihre gesamte Existenz in sich zusammenzubrechen.

Und das alles nur wegen eines windigen Immobiliengeschäfts, auf das Ricardo sich eingelassen hatte! Luca brauchte nicht lange, um die ganze Wahrheit herauszufinden: Sein Bruder hatte sich bei verschiedenen Banken, aber auch bei Privatpersonen und befreundeten Unternehmen Geld geliehen, um in ein auf den ersten Blick profitabel aussehendes Hotelprojekt zu investieren.

Anstatt den Rest der Familie in seine Entscheidung einzubeziehen, hatte er völlig auf eigene Faust gehandelt. Er hatte mit hohem Einsatz gespielt – und verloren. Und nun besaß er nicht einmal genug Charakter, um für seine Fehler einzustehen.

Aus sicherer Quelle wusste Luca, dass Ricardo bei einer seiner zahlreichen weiblichen Bekanntschaften auf Sizilien untergekrochen war. Doch er sah für den Augenblick davon ab, seinen Bruder persönlich zur Verantwortung zu ziehen – nicht etwa, weil er ihn schonen wollte, nein: Er fürchtete einfach, dass ein Unglück geschehen würde, wenn er seinem Bruder jetzt von Angesicht zu Angesicht gegenüberstand.

Stattdessen hatte er sich den Kopf darüber zerbrochen, was er tun konnte, um den Schaden möglichst gering zu halten. Dabei war ihm rasch klar geworden, dass es im Grunde nur einen Weg gab, genug Geld zu beschaffen, um das Unternehmen vor dem Ruin zu bewahren: Er musste wieder ins Renngeschäft einsteigen.

Von einem ehemaligen Kollegen hatte er erfahren, dass für den Sieger des diesjährigen Grand Prix zusätzlich zu dem regulären Preisgeld noch ein weiterer Zusatzverdienst – ein hoch dotierter Werbevertrag – winkte. Wenn es ihm gelang, am Ende der Saison auf dem Siegertreppchen zu stehen, gab es für das Familienunternehmen vielleicht doch noch eine Chance.

Und er wollte das Vermächtnis seines Vaters retten – koste es, was es wolle. Denn Enrico Ponti war neben seiner Begeisterung für den Rennsport auch mit vollem Herzen Geschäftsmann gewesen. Praktisch aus dem Nichts heraus hatte er eine kleine Firma für Wasserfilteranlagen geschaffen, die nach und nach expandiert und zu einem der größten derartiger Unternehmungen der ganzen Region geworden war. Sein Lebenswerk durfte nicht einfach untergehen!

Alles hängt also jetzt von meinem Erfolg oder Misserfolg ab, dachte Luca.

Schon kurz nach seinem Entschluss, die Herausforderung anzunehmen, war ihm die erste Droh-E-Mail ins Postfach geflattert. Ein anonymer Schreiber warnte ihn davor, seine Karriere wieder aufzunehmen – er würde damit sein Leben riskieren.

Natürlich nahm Luca diese Sache zunächst nicht ernst. So etwas kam vor, wenn man im Rampenlicht stand. Stalker, Neider und Fans konkurrierender Fahrer griffen zu den unterschiedlichsten Methoden, um Aufmerksamkeit zu bekommen. Auch den Absender des ersten Briefs, der mit einem Poststempel aus Siena versehen gewesen war, sortierte er zunächst unter die Kategorie „harmloser Spinner“ ein.

Doch dann kam es zu dieser heimtückischen Laser-Attacke während des Trainings, und ihm wurde klar, dass die ganze Sache vielleicht doch nicht ganz so ungefährlich war, wie er zunächst angenommen hatte.

Seitdem stellte sich die Angelegenheit für ihn in einem vollkommen anderen Licht dar: Er war fest davon überzeugt, dass die Drohungen von einem seiner Konkurrenten stammte. Und er besaß ganz offensichtlich beste Kontakte zum innersten Kreis von Fiorini Racing, denn Luca wusste, es war noch längst nicht offiziell bekannt, dass er wieder für seinen alten Rennstall an den Start gehen würde.

Es musste jemand sein, der zum einen von seinem geplanten Comeback wusste und außerdem in der Lage war, nah genug an ihn heranzukommen, um einen Anschlag wie den mit dem Laserpointer auf ihn durchzuführen.

Doch über die Identität seines geheimnisvollen Gegners hatte er sich schon mehr als einmal den Kopf zerbrochen. Leider kamen eine ganze Menge Personen in Betracht, und keine von ihnen verhielt sich offenkundig verdächtig.

Er beschloss, es für heute mit den Grübeleien, aber auch mit der Arbeit an seinem Oldtimer gut sein zu lassen, und verließ die Garage.

Als er in den Garten hinaustrat, sah er, dass er nicht die einzige Person war, die die Nacht zum Tag machte: Stella. Er konnte die Umrisse ihres Körpers deutlich durch den zarten Stoff der Vorhänge sehen. Sie stand vor dem Spiegel gegenüber ihrem Bett und kämmte ihr langes, seidiges Haar.

Wie verzaubert blieb Luca stehen und beobachtete sie. Und konnte auch den Blick nicht abwenden, als sie plötzlich anfing, sich auszuziehen.

Sein Puls beschleunigte sich, und in seinem Kopf schwirrte es. Er wusste, er sollte sich zusammenreißen und gehen, doch er war einfach nicht dazu in der Lage.

Als das Licht erlosch, verspürte er einen leisen Anflug von Bedauern. Schnell verdrängte er das unpassende Gefühl und kehrte ins Haus zurück.

5. KAPITEL

Die Rennstrecke lag in einem Talkessel, umgeben von mit samtigem Grün bewachsenen Höhenzügen. Stella stand vor dem Eingang zur großen Tribüne, von der aus man das gesamte Areal überblicken konnte. Die meisten Zuschauer – da es sich lediglich um ein Training handelte, waren es vornehmlich Sponsoren und Mitarbeiter des Rennstalls – befanden sich bereits oben, doch Stella zog es vor, so lange wie möglich in Lucas Nähe zu bleiben.

Langsam ließ sie ihren wachsamen Blick über das Gelände schweifen. Sie hatte vor einer halben Stunde zusammen mit Luca eine kurze Rundfahrt mit einem normalen Serienwagen unternommen und sich dabei von den getroffenen Sicherheitsmaßnahmen überzeugt. Es gab hohe Zäune, und in regelmäßigen Abständen waren Kameras auf die Strecke gerichtet. Außerdem hatte sie Leute gesehen, die außerhalb des Zaunes patrouillierten. Bessere Vorkehrungen hätte sie sich nicht wünschen können.

Dasselbe galt für die Umkleidekabinen und sonstigen, der Renncrew vorbehaltenen Räumlichkeiten. Zutritt bekam man nur durch spezielle, absolut fälschungssichere Keycards.

Trotzdem blieb Stella angespannt. Vermutlich handelte es sich um eine Berufskrankheit, dass sie stets überall nach verdächtigen Personen Ausschau hielt. Wie von selbst wanderte ihre Hand zu der Waffe, die sie unter ihrem cremefarbenen Blazer verborgen hielt. Es beruhigte sie ein wenig, sie zu berühren, vermittelte die Pistole ihr doch ein gewisses Gefühl von Kontrolle.

„Entschuldigung, Signorina, aber Sie können nicht länger hierbleiben“, sagte einer der Streckenposten und deutete in Richtung Tribüne. „Wenn Sie jetzt bitte Ihren Platz einnehmen würden …“

Stella beeilte sich, über das Treppenhaus ganz nach oben auf die Aussichtsplattform zu gelangen. Sie wollte Luca lieber nicht zu lange aus den Augen lassen. Die Sicherheitsstandards waren zwar gut, doch wie hatte ihr Vater stets gesagt? „Vorsicht ist die Mutter der Porzellankiste.“

Rasch wischte sie den Gedanken an Trevor Castlemaine beiseite. Dies war weder der richtige Moment noch der richtige Ort, um sich mit der Vergangenheit zu beschäftigen. Alles, was zählte, war das Hier und Jetzt.

Ihr Herz klopfte heftiger, als sie sah, wie Luca aus der Umkleidekabine trat. Er trug einen schwarzen Overall, der mit verschiedenen Werbesymbolen und Markenschriftzügen bedruckt war. Unter dem Arm hatte er einen ebenfalls schwarzen Helm geklemmt, dessen Rückseite von einem stilisierten Adler geziert wurde.

Er setzte den Helm auf, und einer der Mechaniker half ihm in den Wagen. Kurz darauf ging es auch schon los. Stella spürte, wie das Adrenalin ihr durch die Adern jagte, als der Rennwagen mit unglaublichem Tempo davonraste. Der Lärm war unbeschreiblich, und es lag ein stechender Geruch nach Benzin und verbranntem Gummi in der Luft, der ihr fast den Atem raubte.

Natürlich wusste sie, dass ein solcher Wagen ein unglaubliches Tempo erreichte, doch es hier vor Ort mit eigenen Augen zu sehen, war etwas vollkommen anderes als bei Übertragungen im TV.

Sie konnte plötzlich sehr gut verstehen, warum Mariella Ponti so um ihren Sohn besorgt war. Stella konnte es nicht begreifen, wie man ein Fahrzeug bei diesen Geschwindigkeiten noch unter Kontrolle halten konnte. Und das bei den scharfen Kurven und Schikanen überall auf der Strecke …

Zugleich war es aber auch ungemein faszinierend, Luca zuzusehen, wie er mit seinem Wagen scheinbar mühelos jede Klippe umschiffte, ohne dabei jemals stark an Geschwindigkeit zu verlieren. Als er schließlich, knapp zwanzig Minuten später, zurück in die Boxengasse fuhr, war Stella vor lauter Aufregung schweißgebadet.

Sie beeilte sich, nach unten zu gelangen, doch jetzt, wo das Spektakel vorüber war, staute es sich im Treppenhaus. Es dauerte zehn Minuten, ehe sie zu der Werkstatt gelangte, wo Luca und sie verabredet waren.

Zu ihrer Überraschung war er noch gar nicht umgezogen. Er stand da, den Helm unter den Arm geklemmt, und diskutierte aufgebracht mit einem Mechaniker, der seinerseits heftig gestikulierte. Was gesprochen wurde, konnte Stella nicht verstehen, doch es war offensichtlich, dass die beiden miteinander stritten. Gerade als sie nah genug herankam, um etwas mitzubekommen, winkte Luca wütend ab, wirbelte herum und stapfte aufgebracht in Richtung der Umkleidekabinen.

„Was war das gerade?“, fragte sie, als sie zu ihm aufgeschlossen hatte. „Gab es Streit mit dem Mechaniker?“

Er verharrte und drehte sich zu ihr um. „Ich wüsste nicht, was dich das anginge“, fuhr er sie an. Dann wandte er sich ab, ließ sie einfach stehen und betrat die Umkleideräume.

Sein Trainer folgte ihm, ohne sie auch nur eines Blickes zu würdigen.

„Verdammt, ich weiß selbst, dass er mein Cousin ist und dass er bisher einen ziemlich guten Job gemacht hat!“ Wütend schleuderte Luca das Handtuch, mit dem er gerade sein Haar abgetrocknet hatte, auf die Bank der Umkleidekabine. Auch durch die kalte Dusche, die er inzwischen genommen hatte, war sein erhitztes Gemüt nicht nennenswert abgekühlt worden. „Aber dass mein Wagen heute auf der langen Geraden Schwierigkeiten mit der Lenkung hatte, liegt in seinem Verantwortungsbereich! Und außerdem kann ich Franko nicht mehr vertrauen!“

Seufzend fuhr Giancarlo sich durchs Haar, das sich an den Schläfen bereits stark lichtete. „Ich kann deinen Ärger ja verstehen. Denkst du, mir gefällt es, dass uns deine Mutter seinetwegen diese … diese Frau auf den Hals gehetzt hat? Aber deshalb kannst du Franko nicht einfach feuern, Luca! Die Gewerkschaft würde uns dafür in der Luft zerreißen, und du weißt genau, auf wen das letzten Endes zurückfällt.“

Luca ärgerte sich, dass er sich selbst eingestehen musste, dass sein Trainer recht hatte. Sein Verhalten war voreilig und unprofessionell gewesen – und vor allem nicht wirklich durchdacht. Doch er hatte seinem Zorn irgendwie Luft machen müssen, um nicht wie eine Rakete zu explodieren. Die Probleme mit der Lenkung seines Wagens hatten das Fass lediglich zum Überlaufen gebracht. Mit einem Wagen, dessen Steuerung in einer scharfen Kurve blockierte, würde er nicht einmal einen Blumentopf gewinnen – und schon gar nicht einen der wichtigsten internationalen Grand Prix’. Dabei brauchte er das Preisgeld und den mit dem Sieg verbundenen Werbevertrag doch so dringend!

Deshalb sah er es auch jetzt nicht ein, sich seinen Fehler einzugestehen. Dazu war er noch immer viel zu aufgebracht.

„Mach mit Franko, was du willst“, sagte er abwinkend. „Ich weigere mich jedenfalls, weiter mit ihm zusammenzuarbeiten! Und wenn du damit bis zur Rennstallleitung gehen willst, dann tu dir in Gottes Namen keinen Zwang an!“

„Luca, ich …“ Giancarlo verstummte, als es an der Tür klopfte. „Was gibt es?“, knurrte er unwillig.

Silvio, einer der Mechaniker, steckte den Kopf in die Umkleide. „Ich würde gern mit euch beiden über Franko sprechen. Er …“

„Da gibt es nichts mehr zu besprechen!“, wetterte Luca. „Richte ihm aus, dass er mir besser in nächster Zeit nicht mehr unter die Augen tritt. Es könnte sonst sein, dass ich mich vergesse! Und jetzt raus hier!“

„Findest du nicht, dass du ein wenig übertreibst?“, fragte Giancarlo, als sie wieder allein waren. „Die Jungs sind schon in Ordnung, und im Grunde kannst du es deinem Cousin nicht verübeln, dass er seiner Tante gegenüber loyal ist.“

„Er soll sich mir gegenüber loyal verhalten, ist das wirklich so schwer zu verstehen? Ich …“ Luca stockte, als ihm klar wurde, wie ungerecht er sich Silvio gegenüber verhalten hatte. Verärgert stürmte er so, wie er war – in Trainingshose und mit bloßem Oberkörper – aus der Umkleidekabine, um dem jungen Techniker zu folgen. „Silvio, ich …“

Zu spät merkte er, dass ihm jemand entgegenkam. Er konnte nicht mehr ausweichen und prallte mit der anderen Person zusammen, die einen überraschten Schrei ausstieß und nach hinten zu fallen drohte.

Instinktiv packte Luca den anderen bei den Schultern, um seinen Sturz zu verhindern. Erst als die Person in seinen Armen landete, erkannte er, wen er da vor sich hatte.

„Stella …!“

Stella stockte der Atem.

Sie war einem der Techniker ins Gebäude gefolgt, indem sie hinter ihm durch die Tür geschlüpft war, ehe diese zufallen konnte. Zum einen ging es ihr darum, die tatsächliche Effektivität der Sicherheitsvorkehrungen zu testen, gleichzeitig brannte sie auch darauf zu erfahren, was es mit dem Streit vorhin auf sich hatte.

Der Techniker war in einem Raum verschwunden, der seitlich vom Korridor abging. Schon kurz darauf war er mit finsterem Gesichtsausdruck wieder hinausgestürmt. Danach hatte sie aufgeregte Stimmen gehört und war näher an die Tür herangegangen. Als diese dann unvermittelt aufflog, hatte sie nicht mehr weit genug zurückweichen können.

Und nun lag sie in Lucas Armen, die Hände auf seiner nackten, muskulösen Brust, und ihr Puls raste.

Sein männlich-markanter Duft raubte ihr den Atem. Sie blickte auf und hatte das Gefühl, in seinen braunen, mit Gold gesprenkelten Augen versinken zu müssen.

Einen Moment lang schien die Zeit stillzustehen, und sie hörte nichts außer dem heftigen Pochen ihres Herzens

„Verdammt, was willst du denn hier?“, knurrte er und ließ sie los. „Wer hat dich hereingelassen?“

Abrupt kehrte Stella wieder auf den Boden der Tatsachen zurück. Sie strich ihre Bluse, die bei dem Zusammenprall mit Luca etwas in Unordnung geraten war, zurecht und reckte das Kinn. „Ich wurde von deiner Mutter und deiner Cousine engagiert, um für deine Sicherheit zu sorgen“, stellte sie energisch klar. „Zu meinem Aufgabengebiet gehört es auch, sicherzustellen, dass sich niemand unbefugt Zugang zu Orten verschaffen kann, an denen du dich aufhältst.“

„Bravo!“ Er klatschte in die Hände, doch seine Miene drückte nur leisen Spott aus. „Ich weiß nicht, wie es um deine Fähigkeiten als Leibwächterin bestellt ist, aber zur Einbrecherin eignest du dich, wie ich sehe, ganz hervorragend. Hast du sonst noch verborgene Talente, von denen ich wissen sollte?“

Er sagte das mit einem anzüglichen Lächeln, das Stella erröten ließ. Verflixt, warum hatte sie sich in seiner Gegenwart nur so schlecht im Griff? Ihr Verhalten passte besser zu einem verliebten Teenager als zu einer professionellen Personenschützerin!

Sie amtete tief durch und erwiderte seinen herausfordernden Blick. „Keine, die dich etwas angehen würden“, konterte sie nüchtern. „Und jetzt würde ich wirklich gern auf eine sachliche Gesprächsbasis zurückkehren, wenn es dir recht ist.“

„Und was, wenn nicht?“

Sie blinzelte irritiert. „Wie bitte?“

„Ich fragte, was du tun willst, wenn es mir nicht recht ist. Und nur um das noch einmal klarzustellen: Meine Mutter hat dich, wie du gerade so schön ausgeführt hast, engagiert – aber du arbeitest für mich, und deshalb wirst du genau das tun, was ich von dir verlange, capisce?“

Er trat auf sie zu, und sie wich unwillkürlich zurück. Ihre Brust hob und senkte sich heftig. Sie konnte einfach nicht aufhören, ihn anzuschauen, obwohl es das Allerletzte war, was sie im Moment tun sollte.

„Ich … ich weiß nicht, was du damit meinst.“

„Na schön“, sagte er. „Dann will ich es dir zeigen.“

Ohne Vorwarnung drängte er sie gegen die Wand und verschloss ihren Mund mit seinen Lippen. Im ersten Moment wollte sie protestieren und sich empört von ihm losmachen. Doch dann rollte eine Woge der Leidenschaft über sie hinweg, der sie nichts mehr entgegenzusetzen hatte.

Sein Kuss war mit nichts zu vergleichen, das sie bisher in ihrem Leben erlebt hatte: Fordernd und zärtlich zugleich, ließ er ihre Knie schwach werden, sodass sie die Arme um Lucas Nacken schlingen musste, um nicht zu Boden zu sinken.

Und dann – gerade, als die Welt um sie herum in einem Strudel der Bedeutungslosigkeit zu versinken begann – machte Luca sich von ihr los und trat einen Schritt zurück.

Seine Miene drückte eine solche Selbstzufriedenheit aus, dass es Stella den Atem verschlug. Was war bloß in sie gefahren, sich von ihm küssen zu lassen? Hatte sie vollkommen den Verstand verloren?

„Was sollte das?“, fragte sie empört. „Wofür hältst du mich?“

„Für meine Leibwächterin, die sich für den Rest der Welt als meine aktuelle Favoritin ausgibt“, entgegnete er ungerührt. „Aber wenn du in dieser Rolle überzeugen willst, solltest du schon ein wenig mehr Leidenschaft zeigen.“

Seine Worte trafen Stella wie ein Schlag ins Gesicht. Während sie wie Wachs in seinen Armen dahingeschmolzen war, hatte ihm dieses kurze Intermezzo anscheinend überhaupt nichts bedeutet.

Sie spürte, wie ihr erneut die Schamesröte ins Gesicht stieg. Verflixt, warum war sie nicht in der Lage, ihre Gefühle ihm gegenüber ein wenig besser zu verbergen? Üblicherweise ein Muster an Diskretion und Zurückhaltung, schien sie neuerdings außerdem das Herz auf der Zunge zu tragen. Was war bloß mit ihr los?

„Ich wüsste wirklich nicht, vor wem ich mich verstellen sollte“, gab sie verärgert zurück. „Wenn du also solcherlei Übergriffe künftig unterlassen könntest, solange wir unter uns sind, wäre ich dir zutiefst verbunden. In der Öffentlichkeit werde ich es notgedrungen gelegentlich tolerieren müssen, auch wenn es mir nicht gefällt.“

„Den Eindruck hast du aber gerade ganz und gar nicht vermittelt“, entgegnete er amüsiert. „Und außerdem – du kannst es als Generalprobe betrachten. Wir werden uns nämlich morgen in aller Früh gemeinsam auf den Weg nach Florenz machen.“

„Florenz?“ Erstaunt blickte sie ihn an. „Warum das?“

„Das geht dich zwar im Grunde nichts an, aber ich habe dort einen Termin mit Signor Pezzini, dem Boss meines Rennstalls.“

Sofort war Stella wieder ganz in ihrem Element. Sie runzelte sorgenvoll die Stirn. „Das ist aber recht kurzfristig“, wandte sie ein. „So bleibt mir kaum Gelegenheit, geeignete Vorkehrungen zu treffen. Kannst du diesen Termin nicht verschieben?“

Jetzt wirkte er eindeutig verärgert. „Das kommt überhaupt nicht infrage! Und wenn du wirklich so gut in deinem Job bist, wie du immer behauptest, dann solltest du ja wohl auch in der Lage sein, mit unvorhersehbaren Situationen umzugehen. Also, wir fahren morgen nach Florenz, und damit basta!“

„Sehr wohl“, entgegnete sie pikiert. „Ganz wie du willst.“

„Allerdings. Und jetzt entschuldige mich, ich möchte mich gern anziehen. Wir treffen uns in einer Viertelstunde draußen am Wagen. Und nein …“, fuhr er ihr über den Mund, als sie gerade etwas sagen wollte, „… du brauchst nicht hier vor der Tür zu warten. Im Gegensatz zu dem, was meine Mutter und du denken mögt, bin ich sehr wohl in der Lage, selbst auf mich aufzupassen. Außerdem ist Giancarlo bei mir, es kann also kaum etwas passieren.“

Stella nickte knapp; dann wandte sie sich rasch ab und eilte den Korridor hinunter zum Ausgang des Gebäudes. Ein Teil von ihr war froh, endlich aus Lucas zutiefst irritierender Nähe entkommen zu sein, gleichzeitig jedoch fühlte sie sich auch unbehaglich. Es gefiel ihr keineswegs, wie die Dinge sich entwickelten – und damit dachte sie nicht nur daran, dass Luca immer noch nicht geneigt zu sein schien, sie und ihre Aufgabe wirklich ernst zu nehmen – nein: Vor allem stimmte die unerklärliche Schwäche, die sie für den attraktiven Rennfahrer entwickelt hatte, sie besorgt.

Wieder einmal musste sie an ihren Vater denken. Sie durfte auf keinen Fall denselben Fehler begehen wie er.

6. KAPITEL

„Machen Sie sich nicht lächerlich, Charlotte – selbstverständlich habe ich mich keineswegs in Signor Ponti verliebt! Das wäre nicht nur töricht, sondern auch extrem unprofessionell!“

Stella wusste selbst nicht, warum sie sich so über die Worte ihrer mütterlichen Freundin ärgerte. Vermutlich, weil durchaus ein Körnchen Wahrheit in ihren Vermutungen steckte. Sehr viel mehr jedenfalls, als sie bereit war, sich selbst einzugestehen.

Charlotte hatte sie kurz nach dem Abendessen angerufen, vorgeblich, um ein wenig mit ihr zu plaudern. Inzwischen fühlte Stella sich aber mehr und mehr wie bei einer Befragung – und zu ihrem Leidwesen schien ihre Freundin stets zielsicher die Fragen zu stellen, die ihr am wenigsten behagten.

„Tut mir leid, aber ich muss jetzt wirklich Schluss machen.“ So schnell wie möglich wollte sie das Gespräch beenden. „Morgen wird ein langer und anstrengender Tag für mich. Ich sollte besser zusehen, dass ich frisch und ausgeruht bin.“

Zuerst hatte sich Stella über Charlottes Anruf gefreut. Doch viel zu schnell war das Thema der Unterhaltung in Gefilde abgeschweift, die ihr nicht behagten.

So hatte Charlotte unbedingt mehr von Luca hören wollen. Wie er war und ob er gut aussah. Einmal mehr schien ihre mütterliche Freundin sie zu durchschauen, ohne dass sie auch nur das Geringste sagen musste.

Und in ihrer derzeitigen Situation passte ihr das ganz und gar nicht. Charlotte sollte nicht denken, dass sie im Begriff stand, denselben Fehler zu machen, den ihr Vater einst begangen hatte. Sich in Luca Ponti zu verlieben war eine Option, die nicht einmal ansatzweise zur Diskussion stand.

So war es doch – oder?

Wenn sie ehrlich sein wollte, war sie sich ihrer Sache längst nicht so sicher, wie sie es nach außen hin glauben machen wollte. Es ließ sich nicht abstreiten, dass sie sich rein körperlich zu ihm hingezogen fühlte. Und je mehr sie sich dagegen wehrte, umso stärker schien diese Anziehungskraft, die von Luca Ponti ausging, zu werden.

Doch das bedeutete noch lange nicht, dass sie sich auf eine Affäre mit ihm einlassen würde! Nein, sie hatte aus der Vergangenheit gelernt, und die diktierte ihr mehr als deutlich, dass der Weg, den einzuschlagen sie sich verlockt fühlte, in eine Sackgasse führte.

Außerdem wusste sie genau, dass es niemals etwas Ernstes mit Luca werden konnte. Sie war einfach nicht in der Lage, einen Menschen mit so etwas wie Liebe an sich zu binden. Das hatte nicht einmal bei ihrer eigenen Mutter funktioniert …

Rasch fegte sie den Gedanken beiseite. Luca war ein Kunde, nicht mehr und nicht weniger. Und genau so würde sie von jetzt an auch mit ihm umgehen.

Sie legte sich, angezogen wie sie war, aufs Bett und griff nach ihrem Buch. Vielleicht gelang es Julia und Gregorij aus Sturmwind der Liebe ja heute, ihre Aufgabe zu erfüllen und sie ein wenig von dem Gefühlschaos abzulenken, in das sie völlig unvermittelt hineingeraten war.

Sie hatte erst ein paar Seiten gelesen und fing gerade an, sich in die Welt der Romanhandlung einzufinden, da ließ der Klingelton ihres Handys sie zusammenzucken.

Rasch griff sie zu dem Telefon, das sie auf dem Nachttisch abgelegt hatte. Als sie die Nummer des Anrufers erkannte, stockte ihr kurz der Atem.

Signor Coretti …

Nervös fuhr sie sich durchs Haar. Wie immer, wenn sie mit ihrem Chef sprach, war sie furchtbar aufgeregt und fragte sich unwillkürlich, ob sie wohl einen Fehler begangen hatte.

Unsinn! Er meldet sich wahrscheinlich nur, um sich zu erkundigen, wie es bei dir läuft. Kein Grund zur Sorge also!

Sie drückte den Annahmeknopf. „Sí, pronto?“

„Signorina Castlemaine“, ertönte die immer ein wenig atemlos klingende Stimme von Signor Coretti am anderen Ende der Leitung. „Ich melde mich nur, um mich zu erkundigen, wie es bei Ihnen läuft. Und …“, er machte eine kurze Pause, „… um Sie noch einmal daran zu erinnern, wie wichtig dieser Auftrag für uns alle ist.“

„Ich bin mir dessen natürlich bewusst“, entgegnete Stella und runzelte die Stirn. „Darf ich fragen, ob es einen besonderen Anlass für Ihren Anruf gibt?“

Sie hörte, wie Coretti sich räusperte. „Sie haben ein exzellentes Gespür, Signorina Castlemaine“, sagte er schließlich. „Mir ist in der Tat zu Ohren gekommen, dass sich Ihre Einführung im Hause Ponti nicht gerade besonders professionell gestaltet hat.“

Stella spürte, wie ihr das Blut aus dem Gesicht wich – damit konnte Coretti nur ihren kleinen Schwächeanfall bei der ersten Begegnung mit Luca meinen. Die Frage war nur: Wer hatte ihm davon erzählt – und was bezweckte diese Person damit? War es am Ende gar Luca selbst gewesen? Oder jemand anderer aus der Familie, dem er davon erzählt hatte?

Sie atmete tief durch. „Ich versichere Ihnen, dass ich alles tun werde, was …“

„Nein“, unterbrach Coretti sie barsch. „Ich erwarte mehr von Ihnen, Signorina – sehr viel mehr! Deshalb sage ich es Ihnen in aller Deutlichkeit: Wenn Sie es nicht schaffen, diesen Auftrag zu einem erfolgreichen Abschluss zu bringen und Signor Ponti bis ins letzte Detail zufriedenzustellen, dann haben Sie die längste Zeit in meiner Firma gearbeitet. Und ich weiß sehr wohl, dass ich ohnehin der Letzte gewesen bin, der bereit war, Ihnen noch eine echte Chance zu geben. Sie sollten es sich also zu Herzen nehmen …“

Mit diesen Worten beendete Coretti das Gespräch, und Stella hielt den Atem an. Wieder einmal war ihr eines ganz klar vor Augen geführt worden: Dieses war ihre allerletzte Möglichkeit, sich und der Welt zu beweisen, dass sie eben doch anders war als ihr Vater.

Ganz anders.

Die Gestalt stand unten im dunklen Garten und blickte hinauf zu dem hell erleuchteten Fenster, hinter dem sich der Schatten eines Mannes abzeichnete.

Luca Pontis Schatten.

Hasserfüllt ballte die Person die Hände. Sie konnte es kaum mehr erwarten, bis er endlich seine gerechte Strafe erhielt. Doch jetzt würde es nicht mehr lange dauern.

Der Tag der Abrechnung war gekommen.

Der Eindringling zuckte erschrocken zusammen, als sich sein Handy meldete, das aber zum Glück auf lautlos gestellt war und daher nur in seiner Tasche vibrierte.

Rasch zog er es hervor und nahm das Gespräch an. „Sí?“

„Es bleibt also dabei?“, erklang eine heisere Stimme am anderen Ende der Leitung. „Wir können wie besprochen vorgehen?“

„Sí“, erwiderte die Gestalt im Dunkeln. „Die Signorina hat versucht, ihn von seinem Vorhaben abzubringen, aber glücklicherweise waren ihre Bemühungen nicht von Erfolg gekrönt.“

Ein zufriedenes Seufzen – kurz darauf: „Dann ist es bald geschafft. Wenn alles so läuft, wie wir es uns vorstellen, ist Luca Ponti schon bald Geschichte …“

Obwohl Stella schon eine ganze Weile in der Toskana lebte, hatte sie es bisher nie geschafft, Florenz einen Besuch abzustatten. Und so war es Liebe auf den ersten Blick, als sie sich am nächsten Tag der Stadt am Arno näherte. Unzählige Türme ragten in den makellos blauen Sommerhimmel. Doch die mächtige achteckige Kuppel des Domes Santa Maria del Fiore überragte all die Kirchen und Paläste bei Weitem.

„Die Fassade, die mit rotem, grünem und weißem Marmor verziert ist, wurde erst im neunzehnten Jahrhundert fertiggestellt“, erklärte Luca, der ihre Faszination offenbar bemerkt hatte. Nun lenkte er sein schnittiges Cabrio geschickt durch die schmalen Straßen. „Dabei wurde mit dem Bau des Domes bereits im ausklingenden zwölften Jahrhundert begonnen.“

Staunend schüttelte Stella den Kopf. „Ich kann nicht glauben, dass mir diese einzigartige Perle der Toskana bis jetzt entgangen ist.“

Luca lächelte. „Demnach hast du also nichts mehr dagegen einzuwenden, dass ich mein Treffen mit dem Chef von Fiorini Racing nicht, wie du es gern gesehen hättest, verschoben habe?“

Stella runzelte die Stirn. Seine Worte erinnerten sie daran, dass sie nicht zu ihrem Vergnügen hier war. Florenz mochte eine einzigartige Stadt sein, doch dafür hatte sie sich im Augenblick nicht zu interessieren. Ihre gesamte Aufmerksamkeit musste auf Luca gerichtet sein. Auf ihn und seine Sicherheit.

„Glücklich bin ich darüber keineswegs“, entgegnete sie daher auch betont kühl. „Du machst es mir nicht besonders leicht, dich zu beschützen. Eine vernünftige Vorbereitung war innerhalb dieser kurzen Zeit nicht möglich. Aber ich kann dich ja wohl nicht davon abhalten, deinen Kopf durchzusetzen. Es ist schließlich dein Leben, mit dem du spielst …“ Und meine berufliche Zukunft, vollendete Stella den Satz im Stillen, schämte sich im nächsten Augenblick aber auch schon wieder für diesen selbstsüchtigen Gedanken. Natürlich war Lucas Sicherheit sehr viel wichtiger als ihre Karriere. Dennoch musste es ihr ja nicht gefallen, wie leichtfertig er mit beidem umging.

Ihn selbst schien die Gefahr, in der er schwebte, vollkommen kaltzulassen. Ja, er lachte sogar leise über ihre bissige Bemerkung. Aber vielleicht war das auch nur seine Art und Weise, mit der Situation umzugehen.

„Was ist? Warum hältst du an?“, fragte sie, als er ein paar Minuten später den Wagen an den Straßenrand lenkte und dann in einer soeben frei gewordenen Parklücke parkte. Sie hatten längst die Innenstadt von Florenz erreicht, und Stella schaute sich irritiert um. „Ich dachte, du bist mit dem Besitzer deines Rennstalls in dessen Villa am Stadtrand verabredet.“

„Wir sind noch ziemlich früh dran“, erklärte Luca gelassen. „Ich dachte, ich könnte die Gelegenheit nutzen, dir ein paar der schönsten Sehenswürdigkeiten von Florenz zu zeigen – vom Dom einmal ganz abgesehen.“

Überrascht sah sie ihn an. „Du willst – was?“

Ein leicht spöttisches Schmunzeln umspielte seine Lippen. „Habe ich mich so undeutlich ausgedrückt? Ich möchte mir mit dir gemeinsam Florenz anschauen. Es ist schon eine Weile her, seit ich zum letzten Mal hier gewesen bin, und zu zweit macht so eine Stadtbesichtigung doch viel mehr Spaß, findest du nicht?“ Er hob eine Braue. „Wenn du es vorziehst, kann ich allerdings auch alleine …“

„Nein!“, widersprach sie entsetzt. Sie hasste es, so manipuliert zu werden – doch wie es schien, hatte sie keine andere Wahl, als sich in ihr Schicksal zu fügen. „Ich nehme an, du bestehst darauf?“

„Du begreifst wirklich schnell.“

Stella schluckte einen bissigen Kommentar hinunter. Warum machte er das? War ihm sein Leben so gleichgültig? Es hatte doch schon einen Anschlag gegeben, den er nur durch Glück unbeschadet überstanden hatte! Und es bestand noch lange kein Anlass, Entwarnung zu geben.

Wer immer Luca beim Training mit einem Laserpointer geblendet hatte, würde sich sicherlich nicht so leicht entmutigen lassen. Und das nächste Mal wählte er vielleicht eine mehr Erfolg versprechende Methode.

Am liebsten hätte sie darauf bestanden, dass er die Schutzweste trug. Sie hatte sie ihm gegeben, doch sie bezweifelte, dass er sie jemals tragen würde. Wenn aber nun jemand auf ihn schoss, während sie durch die Straßen von Florenz schlenderten … Stella wusste, dass kaum eine Chance bestand, in einer solchen Situation etwas zu unternehmen. Doch es war unrealistisch, so etwas von Luca zu verlangen – eine solche Weste war schwer und alles andere als bequem. Damit den ganzen Tag herumzulaufen, stellte eine wirkliche Tortur dar. Außerdem würde er sich schon aus Prinzip weigern, davon war sie überzeugt.

„Was ist nun – kommst du?“

Schnell stieß sie die Beifahrertür auf, denn Luca war bereits ausgestiegen. Ohne sich zu ihr umzudrehen, ging er die Straße entlang. Sie musste sich beeilen, um zu ihm aufzuschließen.

„Was, zum Teufel, soll das?“, fauchte sie aufgebracht. Sie wusste, es war unprofessionell, ihm ihre Verstimmung so deutlich zu zeigen, doch sie konnte es einfach nicht länger unterdrücken. „Macht es dir Freude, mich ständig vorzuführen?“

Er blieb so abrupt stehen, dass sie beinahe in ihn hineingelaufen wäre. „Und wenn es so wäre? Ich brauche dich wohl nicht daran erinnern, dass du für deine Dienste bezahlt wirst, oder?“

„Nein, natürlich nicht, aber du machst es mir nicht eben leichter, meinen Job zu erledigen.“

Kopfschüttelnd ging er weiter, und ihr blieb nichts anderes übrig, als ihm zu folgen. Was war er doch für ein arroganter Kerl!

Bald erreichten sie den Dom Santa Maria del Fiore. Aus der Nähe betrachtet wirkte das Bauwerk noch größer und imposanter als von fern. Der frei stehende Glockenturm ragte in den Himmel und warf seinen Schatten über den Vorplatz, den Luca zügig überquerte.

„Wo willst du hin?“, fragte sie und brach damit ihr Schweigen. „Dir war es ernst, nicht wahr? Du willst mit mir wirklich eine Stadtführung machen.“

Überrascht schaute er sie an. „Habe ich dir jemals Anlass gegeben, an meinen Worten zu zweifeln?“ Als sie nicht antwortete, zuckte er mit den Schultern. „Und nun komm, lass uns hineingehen. Wir haben schließlich nicht den ganzen Tag Zeit.“

Als sie durch das Portal des Domes traten, verschlug es Stella schier den Atem. Durch Buntglasfenster fiel Sonnenlicht in das Gotteshaus. Einen Moment lang vergaß sie ihre Verärgerung, trat unter die gewaltige Kuppel und blickte staunend zur Decke hinauf.

„Das ist …“

„Atemberaubend“, nahm er ihr lächelnd die Worte aus dem Mund. „Unglaublich und faszinierend, nicht wahr?“

„All das“, antwortete sie beeindruckt. „All das und noch viel mehr.“ Doch dann rief sie sich wieder in Erinnerung, warum sie eigentlich hier war, und sie straffte die Schultern.

Offenbar bemerkte er die Veränderung, die mit ihr vorging, denn er runzelte die Stirn. „Was ist los?“

Sie schüttelte den Kopf. „Ich weiß nicht, was du meinst.“

„Oh, ich glaube, das weißt du sehr wohl. Gerade hast du noch wie ein staunendes Kind zur Kuppel empor geschaut – und jetzt, von einer Sekunde auf die andere …“

„Ich habe hier einen Job zu erledigen“, entgegnete sie. „Schon vergessen?“

„Schade“, seufzte er. „Du hast mir deutlich besser gefallen, als du noch nicht deine professionelle Seite vorgekehrt hast.“

„Falls es dir bisher entgangen sein sollte: Es geht hier nicht darum, dir zu gefallen, Luca. Ich bin hier, um dich zu beschützen – notfalls auch vor dir selbst.“

Im ersten Moment wirkte er überrascht, dann fing er an zu lachen – so laut, dass sich einige Besucher des Domes zu ihnen umdrehten. Und dann, ehe Stella sich versah, zog er sie an sich und verschloss ihren Mund mit seinen Lippen.

Überrascht riss Stella die Augen auf. Sie wusste, sie sollte ihn von sich stoßen und dieser unmöglichen Sache ein Ende setzen – doch ihr Körper gehorchte ihr nicht mehr.

Es war, als würde der Boden unter ihren Füßen erzittern. Die Welt um sie herum versank in Nebelschleiern, und die Geräusche ihrer Umgebung traten in den Hintergrund, bis Stella nur noch das heftige Hämmern ihres eigenen Herzens hörte. Wie von selbst legten sich ihre Arme um seinen Nacken, vergruben sich ihre Finger in seinem dichten dunklen Haar. Sie schmiegte sich an ihn und konnte die harten Muskeln seines durchtrainierten Körpers spüren. Ihre Glieder fühlten sich seltsam schwer an, gleichzeitig war ihr, als würde sie schweben. Sie konnte nicht mehr klar denken – und dann entglitt ihr ihre Handtasche, deren Inhalt sich über die Marmorfliesen ergoss.

Irritiert blinzelte Stella. Es fiel ihr nicht leicht, wieder auf den Boden der Tatsachen zurückzukehren. „Was … Ich verstehe nicht. Warum hast du das getan?“

„Um dir zu zeigen, dass es nur eine Person geben kann, die die Kontrolle über alles hat: mich.“ Mit diesen Worten ging er in die Hocke und fing an, Stellas Habseligkeiten vom Boden aufzusammeln. Dabei entdeckte er Sturmwind der Liebe. „So etwas liest du?“, fragte er mit einem anzüglichen Lächeln. „Also, das überrascht mich nun aber doch. Frauen, die solche Schnulzen lieben, sind normalerweise ein wenig aufgeschlossener, wenn es um amore geht …“ Er stand auf und drückte ihr die Tasche in die Hand. Dann wandte er sich ab und ging auf den Ausgang des Doms zu. „Kommst du? Ich möchte irgendwo noch einen Caffè Latte trinken, ehe ich zu meinem Termin muss.“

Ungläubig schaute Stella ihm nach, ehe sie sich selbst ebenfalls in Bewegung setzte. Dieser Mann war unmöglich! Einfach unmöglich!

Während sie Luca aus dem Dom folgte, wusste sie nicht, auf wen sie wütender war: auf ihn oder auf sich selbst. Sie hatte einmal mehr unglaublich unprofessionell reagiert. Und schlimmer noch als das – sie befand sich auf dem besten Weg, denselben Fehler zu begehen, den auch ihr Vater einst gemacht hatte. Wie konnte so etwas nur sein?

Luca war in Wahrheit nicht halb so selbstsicher, wie er Stella gegenüber vorgegeben hatte. Was war bloß in ihn gefahren, sie einfach zu küssen! Hatte er nicht auch so schon genügend Probleme? Was er im Augenblick wirklich nicht gebrauchen konnte, waren Dinge, die seine Situation noch zusätzlich verkomplizierten.

Es war eine dumme Idee gewesen, unbedingt mit ihr den Dom Santa Maria del Fiore besichtigen zu wollen. Er wusste selbst nicht mehr genau, welcher Teufel ihn da geritten hatte. Vermutlich lag es einfach daran, dass er nicht widerstehen konnte, wenn es darum ging, sie aus dem Konzept zu bringen. Stellas Widerspruch erweckte in ihm stets das Bedürfnis, seinen Kopf erst recht durchzusetzen. Ihm war selbst klar, dass er sich wie ein bockiger kleiner Junge aufführte, doch es war wie verhext: Wenn er mit ihr zusammen war, schien er sich selbst nicht mehr unter Kontrolle zu haben.

Doch damit musste nun langsam Schluss sein. Für ihn und seine Familie stand zu viel auf dem Spiel, als dass er es sich erlauben konnte, sich mit irgendetwas anderem als seinem Comeback zu beschäftigen.

Er hörte Stellas Schritte hinter sich und beschleunigte sein Tempo noch einmal. Was er jetzt dringend brauchte, war etwas Abstand! Er schaute zuerst nach rechts, dann nach links, ehe er auf die Straße trat. Auf der gegenüberliegenden Seite befand sich ein kleines Café. Er war gerade bis zum Mittelstreifen gelangt, als das Motorengeräusch an sein Ohr drang. Alarmiert blickte er nach links und riss die Augen auf, als er das rote Motorrad sah.

Es raste geradewegs auf ihn zu!

7. KAPITEL

Stella spürte die Gefahr, noch ehe sie sie sah. Die feinen Härchen in ihrem Nacken richteten sich auf, und sie bekam eine Gänsehaut.

Sofort vergaß sie alles, was sie bis gerade noch beschäftigt hatte, und ihr beruflicher Instinkt übernahm die Führung. Sie erfasste die Situation in weniger als einer Sekunde: Ein karmesinrotes Motorrad raste direkt auf Luca zu. Der Fahrer – der Statur nach männlich – trug eine schwarze Lederkluft und einen Helm mit dunkel getöntem Visier.

Und er machte keinerlei Anstalten, zu bremsen.

Stella reagierte sofort. Es war wie ein Reflex. Ihre Muskeln spannten sich. Mit einem gewaltigen Satz sprang sie auf die Straße und versetzte Luca einen Stoß, der ihn nach vorne und aus der unmittelbaren Gefahrenzone stolpern ließ.

Erst jetzt blickte sie sich wieder um und erkannte, dass ihr vermutlich nicht genug Zeit bleiben würde, auch sich selbst in Sicherheit zu bringen. Im nächsten Augenblick war das Motorrad auch schon heran, und Stella ließ sich einfach nach hinten fallen.

Als sie stürzte, spürte sie den Luftzug, der sie streifte, als die Maschine an ihr vorüberschoss. Ihr blieb keine Zeit, sich vernünftig abzurollen, und so kam sie hart auf dem Asphalt auf.

Ein scharfer Schmerz zuckte durch ihre Schulter.

„Stella!“

Luca war sofort bei ihr – ebenso wie einige Passanten, die anboten, die Polizei zu rufen, was Luca ablehnte.

Erleichterung durchflutete Stella. Er hatte den Sturz auf den Asphalt offenbar ohne größere Blessuren überstanden. Sie hatte es geschafft! Doch sie musste sichergehen, dass die Gefahr vorüber war.

Ein Stöhnen unterdrückend rappelte sie sich auf. Eine Messerklinge schien sich in ihre rechte Schulter zu bohren, doch sie ignorierte den Schmerz. „Das Motorrad“, stieß sie gepresst hervor. „Ist es weg?“

Luca nickte. „Es ist weitergerast, ohne das Tempo zu drosseln. Wenn du nicht gewesen wärst, hätte mich dieser Verrückte einfach überfahren! Bist du in Ordnung?“ Er reichte ihr seinen Arm, sodass sie sich abstützen konnte. Mit der freien Hand hob er ihr Kinn an und musterte sie besorgt. Sofort spürte sie, wie ihr schwindelig wurde – und ihre Schulterverletzung war nicht der Grund dafür. „Du bist ja kreidebleich!“, sagte Luca. „Komm, ich bringe dich in ein Krankenhaus.“

Stella runzelte irritiert die Stirn. Hörte sie da etwa echte Besorgnis aus seiner Stimme heraus? Für einen Moment wurde ihr ganz warm ums Herz, doch dann zwang sie sich zur Ordnung. Hastig entzog sie sich ihm und schüttelte den Kopf. „Nein, wirklich“, protestierte sie. „Das ist nicht nötig, ich …“

„Basta!“, fuhr er ihr energisch über den Mund. „Eine Leibwächterin, die sich vor lauter Schmerzen nicht bewegen kann, nützt mir nichts!“

Stella atmete tief durch. Im Grunde hatte er recht, auch wenn ihr die Art und Weise, wie er es ausdrückte, nicht unbedingt gefiel.

„Also gut.“ Sie nickte steif. „Wenn du unbedingt darauf bestehst.“

Vermutlich sollte sie froh sein für diese Gelegenheit, sich eine kleine Atempause zu verschaffen. Denn alles war besser, als Luca weiterhin so nahe zu sein.

„Entschuldigen Sie, können Sie mir sagen, wie es Signorina Castlemaine geht?“ Luca, der auf der Besucherbank der Klinik saß, sprang auf, als eine Krankenschwester vorüberkam. Er war für seine Verhältnisse ungewöhnlich nervös und angespannt. Dabei hatte Stella sich doch nur an der Schulter verletzt, schwebte also keineswegs in Lebensgefahr.

Nach dem Zwischenfall mit dem Motorrad hatte er sie zurück zu seinem Wagen und dann ins nächstgelegene Krankenhaus gebracht. Hier wurde sie nun seit mittlerweile bereits mehr als dreißig Minuten untersucht – und von Minute zu Minute wuchs seine Unruhe.

„Der Dottore untersucht sie zurzeit noch“, antwortete die blonde Frau. „Aber wenn Sie wünschen, werde ich mich gern für Sie nach dem Befinden Ihrer Frau erkundigen.“

Sie ist nicht meine Frau! lag es ihm auf der Zunge, doch er schluckte die Bemerkung hinunter. Ein Außenstehender – selbst wenn er Stellas Klient war – würde wohl kaum die Auskünfte erhalten, die er haben wollte.

„Bene, grazie!“ In dem Augenblick meldete sich sein Handy, und die Krankenschwester warf ihm einen tadelnden Blick zu, der so viel besagte wie: „Das geht hier aber wirklich nicht.“

Luca lächelte entschuldigend, zog sich ins nahe gelegene Treppenhaus zurück. Das Display verkündete, dass er mehrere unbeantwortete Anrufe erhalten hatte – und alle stammten von ein und derselben Nummer.

Giancarlo.

Luca unterdrückte einen Fluch. Er brauchte nicht lange zu überlegen, um sich ausrechnen zu können, was sein Trainer von ihm wollte. Der Termin mit Salvatore Pezzini! Verdammt, den hatte er in der Aufregung vollkommen vergessen!

„Sí, pronto!“

„Zum Teufel, Luca, wo steckst du? Ich habe schon mindestens ein Dutzend Mal versucht, dich zu erreichen! Pezzini ist fuchsteufelswild, weil du ihn einfach versetzt hast. Ich dachte, dein Comeback ist so wichtig für dich – wie kommt es dann, dass du plötzlich all unsere Bemühungen, dich wieder an die Spitze zu bringen, mit Füßen trittst?“

„Er hat es wieder versucht“, erwiderte Luca nüchtern.

„Versucht?“, fragte Giancarlo irritiert. „Wovon sprichst du? Ich …“ Er verstummte, und als er weitersprach, nahm seine Stimme einen ernsten Klang an. „Du meinst … es gab ein weiteres Attentat? Verdammt, Luca! Geht es dir gut?“

„Mit mir ist alles in Ordnung“, beruhigte Luca ihn unwirsch. „Ein Motorrad ist ungebremst auf mich zugerast und hätte mich wohl auch erwischt, wenn Stella nicht gerade noch rechtzeitig eingegriffen hätte. Zuerst dachte ich noch an einen Unfall, aber nachdem der Fahrer einfach weitergefahren ist … Außerdem kann ich an so einen Zufall nicht glauben. Jedenfalls sind wir gerade im Krankenhaus und …“

„Du bist also doch verletzt!“

No, wie ich schon sagte: Mir geht es gut. Aber Stella ist böse gestürzt und hat sich an der Schulter verletzt. Es ist nichts Schlimmes …“

„Schon gut, du musst mir nichts erklären. Ich werde Pezzini anrufen und ihm irgendeine Geschichte auftischen. Die Wahrheit kann ich ihm ja schließlich schlecht sagen, es sei denn, dir wird die Sache zu heiß und du willst nun doch die Karten auf den Tisch legen und auch die Polizei einschalten …“

„Um Himmels willen – nein!“, stieß Luca entsetzt hervor. „Wenn Pezzini erfährt, dass jemand mir nach dem Leben trachtet, kann ich meine Hoffnungen, am Ende der Saison als Sieger auf dem Treppchen zu stehen, endgültig begraben! Er wird mich gar nicht erst starten lassen – dazu hat der alte Mann viel zu große Angst, dass sein Rennstall in negative Schlagzeilen verwickelt werden könnte. Und du weißt genau, wie dringend ich das Geld und den Werbevertrag brauche, um die Firma meiner Familie zu retten!“

Naturalmente, ich dachte ja nur …“

„Ich bezahle dich nicht, um zu denken, capisce?“ Luca schüttelte den Kopf und zwang sich zur Ruhe. Giancarlo war für die Misere, in der er steckte, nicht verantwortlich. Die Schuld daran trug ausschließlich Ricardo! „Es tut mir leid“, sagte er deshalb nach einer kurzen Pause. „Ich wollte dich nicht so anschreien. Die ganze Situation ist nur so schrecklich verfahren, dass ich mich manchmal frage, ob ich wirklich das Richtige tue. Hat das alles überhaupt einen Sinn?“

Giancarlo lachte leise. „Höre ich da etwa Selbstzweifel? Was ist los, Luca? So kenne ich dich überhaupt nicht. Natürlich hat das alles einen Sinn! Du bist der beste Fahrer, den ich kenne. Und du willst doch jetzt, so kurz vorm Ziel, nicht aufgeben!“

Der Zuspruch seines Trainers weckte neue Kraft in Luca. Er straffte die Schultern. „Grazie“, sagte er. „Und das meine ich ernst. Ich wüsste nicht, was ich ohne dich anfangen sollte. Du hörst von mir.“

Er beendete das Gespräch, und als er wieder in den Wartebereich zurückkehrte, wurde er bereits von der freundlichen Krankenschwester erwartet. „Der Arzt ist mit der Untersuchung fertig“, verkündete sie. „Wenn Sie möchten, können Sie jetzt zu Ihrer Frau.“

Luca dankte ihr und trat in das Untersuchungszimmer, wo Stella gerade dabei war, ihre Bluse wieder anzuziehen.

Unwillkürlich hielt er den Atem an. Er hatte in seinem Leben schon unzählige Frauen gesehen, die weit weniger am Leib trugen als Stella in diesem Moment. Trotzdem brachte ihr Anblick sein Blut zum Kochen.

Sie wirkte so hinreißend unschuldig. Das blonde Haar hatte sie über die Schultern zurückgestrichen, sodass er ihren schlanken Hals sehen konnte, und der Anblick ihrer zarten hellen Haut weckte das unbändige Verlangen in ihm, sie zu berühren.

Als sie ihn bemerkte, schaute sie ihn an. Lange, dichte Wimpern beschatteten ihre Augen, deren Smaragdgrün selbst im grellen Licht der Krankenhausbeleuchtung ihren Zauber nicht einbüßten.

Er spürte, wie sein Herz anfing, schneller zu klopfen, und rief sich zur Ordnung. Was war bloß mit ihm los? Nach der Geschichte mit Giovanna hatte er eine Mauer um sich herum errichtet, die keine Frau bisher hatte durchbrechen können. Wie konnte es sein, dass ausgerechnet Stella schaffte, was keiner vor ihr gelungen war? Er schüttelte den Kopf. Im Grunde war die Frage nach dem Warum gar nicht relevant. Er musste Distanz zu Stella wahren, denn seit Giovannas Verrat wusste er genau, dass es so etwas wie die einzig wahre Liebe gar nicht gab.

Giovanna …

Er hatte sie geliebt oder zumindest geglaubt, es zu tun. Und er hatte geglaubt, dass auch sie ihn liebte. Doch das war ein Irrtum gewesen, wie er heute wusste. Sie hatte ihm die großen Gefühle nur vorgespielt, und zwar so lange, wie sie sich von der Beziehung einen Vorteil versprechen konnte. Nach dem Unfall jedoch, als die Verbindung plötzlich nicht mehr lohnend erschien …

Luca ballte die Hände zu Fäusten. Er konnte noch immer nicht daran denken, ohne dass sogleich unbändige Wut in ihm aufstieg. Dabei musste er Giovanna sogar dankbar sein, denn sie hatte ihm die Augen für eine der großen Wahrheiten des Lebens geöffnet. Heute wusste er, man konnte einer Frau einfach nicht vertrauen. Und das galt für Stella ganz genauso wie für jedes andere Mitglied des weiblichen Geschlechts.

Er tat besser daran, das niemals zu vergessen!

Stella zuckte zusammen, als sie versuchte, ihren Arm so weit nach hinten zu bewegen, dass sie ihre Bluse wieder überstreifen konnte. Doch sie war sich Lucas Anwesenheit überdeutlich bewusst, deshalb biss sie fest die Zähne zusammen. Kein Laut des Schmerzes kam über ihre Lippen.

„Es ist nur eine Prellung, Signora“, sagte der Arzt, der sie behandelt hatte, mit einem tröstenden Lächeln. „Verflixt unangenehm, aber nichts wirklich Schlimmes. Sie haben noch einmal Glück gehabt.“ Er bedachte sie mit einem forschenden Blick. „Und Sie sind wirklich sicher, dass Sie kein Schmerzmittel haben möchten?“

Stella nickte. „Ganz sicher – vielen Dank für alles, Dottore.“

„Ich bin froh zu hören, dass es dir gut geht“, sagte Luca, als sie kurz darauf nebeneinander den lang gestreckten Korridor entlangliefen.

„Von gut kann nicht die Rede sein“, entgegnete Stella gepresst.

Er blieb stehen. „Warum wolltest du dann kein Schmerzmittel annehmen?“

„Weil ich nicht annehme, dass du deine Meinung darüber geändert hast, was meine Vorsichtsmaßnahmen betrifft“, entgegnete Stella kühl.

Er schien kurz überlegen zu müssen. „Wenn du damit diese alberne Schutzweste meinst – nein.“ Er schüttelte den Kopf. „Allerdings nicht.“

„Nun, wenn dem so ist, dann werde ich in nächster Zeit vor allem zwei Dinge brauchen: einen klaren Kopf und schnelle Reflexe. Daher kann ich es mir nicht erlauben, mir mein Gehirn vernebeln zu lassen.“ Sie runzelte die Stirn. „Und da wir uns gerade so nett unterhalten: Der Arzt sagte, du hättest behauptet, ich sei deine Ehefrau?“

Er verzog keine Miene. „Anders war es mir nicht möglich, deinen Zustand in Erfahrung zu bringen.“

Zornig funkelte Stella ihn an. Was bildete dieser unmögliche Kerl sich eigentlich ein? Ständig traf er über ihren Kopf hinweg Entscheidungen und erwartete, dass sie das einfach so tolerierte! „Und wer sagt dir, dass ich damit einverstanden bin? Du bist so was von arrogant und herablassend, Luca Ponti – es wundert mich nicht, dass keine Frau es lange an deiner Seite aushält.“

Seine Miene verfinsterte sich schlagartig. Er senkte die Stimme. „Ich kann mich nicht erinnern, dich zu meiner Beziehungstherapeutin ernannt zu haben. Wenn du also bitte die Freundlichkeit besitzt, dich aus meinen Angelegenheiten herauszuhalten …“

„Nur allzu gern!“, entgegnete sie energisch. Sie war viel zu verärgert, um diplomatisch zu reagieren. „Dasselbe gilt im Übrigen für dich. Ich mag im Augenblick für dich tätig sein, aber das bedeutet nicht, dass du mit mir umgehen kannst, wie immer es dir gerade beliebt.“ Sie begegnete seinem Blick fest. „Ich bin nicht deine Leibeigene, Luca. Und deshalb bleibt dir wohl auch nichts anderes übrig, als dir anzuhören, was ich dir zu sagen habe: Ich finde nämlich, du solltest die Polizei einschalten. Schön und gut, dass ich dir nicht von der Seite weiche – aber die Gefahr besteht weiter, bis die Person, die dir nach dem Leben trachtet, unschädlich gemacht ist. Und ich bin Personenschützerin, keine Detektivin.“

Sie reckte herausfordernd das Kinn, als sie sah, wie seine Miene sich verfinsterte. Es war nun einmal ihre Ansicht, dass die Polizei eingeschaltet werden sollte. Dieser Anschlag auf Lucas Leben würde nicht der Letzte gewesen sein. Mit Sicherheit gab sein Feind nicht eher auf, bis er sein Ziel – welches das auch immer sein mochte – erreicht hatte. Sie zweifelte keineswegs an ihren eigenen Fähigkeiten, doch es war nur realistisch, dass sie ihn nicht ewig beschützen konnte. Doch dann sah sie das gefährliche Funkeln in Lucas Augen, und ihre Selbstsicherheit schwand.

Dennoch unternahm sie nichts, als er sie in seine Arme zog und ihren Mund mit seinen Lippen verschloss.

Der Kuss war ungestüm, fordernd und hart.

Kurz flammte Widerstand in Stella auf. Sie schob die Hände zwischen sich und Luca und wollte ihn von sich schieben, doch sie tat es nicht. Stattdessen schlang sie die Arme um seinen Nacken und erwiderte seinen Kuss voller Leidenschaft.

Der Unterschied zu dem Kuss vorhin im Dom hätte kaum größer ein können. Dort war es Luca gewesen, der die Situation kontrollierte. Nein, er hatte sie dominiert. Doch dieses Mal standen sie einander auf Augenhöhe gegenüber.

Ihr Puls raste, sengende Hitze pulsierte durch ihren Körper, und ein heftiges Schwindelgefühl erfasste sie. Aber obwohl sie wusste, dass sie im Begriff stand, einen folgenschweren Fehler zu begehen, konnte sie nicht aufhören. Nein, sie wollte nicht aufhören.

Luca vertiefte den Kuss, und sie stöhnte heiser auf. In diesem Moment vergaß sie alles um sich herum: Die Menschen im Korridor, die Sorge um ihre berufliche Zukunft … Alles, was noch zählte, waren Luca und sie.

Und zum ersten Mal verstand sie, was in ihrem Vater vorgegangen sein musste, als seine Gefühle für Charlotte ihn überwältigt hatten.

Der Gedanke an ihren Vater ließ sie abrupt wieder auf den Boden der Realität zurückkehren. Sie durfte das nicht zulassen! Was ihr Vater getan hatte, mochte gefühlsmäßig verständlich sein – aber es war dennoch falsch gewesen, denn er hatte einen Job zu erledigen gehabt, einen Job mit ungeheuer viel Verantwortung!

Energisch schob sie Luca von sich weg. Sie rang nach Atem. Ihr Gesicht glühte, und ihre Lippen bebten vor Verlangen, doch als er wieder einen Schritt auf sie zumachte, hob sie abwehrend die Hände.

„Nein“, stieß sie atemlos hervor. „Komm mir bloß nicht zu nahe, hörst du?“

Luca schien sich über ihre Zurückweisung zu ärgern. „Du meine Güte, Stella“, sagte er gleichmütig. „Es war doch nur ein Kuss – nichts, weswegen sich einer von uns beiden dem anderen verpflichtet fühlen müsste.“

Wie vom Donner gerührt, starrte sie ihn an. Wie konnte er nach diesem Kuss, der sie bis in die Grundfesten ihrer Seele erschüttert hatte, so daherreden? Natürlich war es verrückt, dieser Sache große Bedeutung beizumessen, und trotzdem … Sie straffte die Schultern, ignorierte die schmerzende Verletzung. „Natürlich, du hast vollkommen recht. Wie dumm von mir, wegen solch einer Lappalie so überzureagieren! Es gibt wirklich wichtigere Dinge, um die ich mich kümmern sollte. Den Anschlag auf dein Leben beispielsweise. Vielleicht sollten wir also jetzt wirklich besser die Polizei über das, was passiert ist, informieren.“

„Wieso?“ Er hob eine Braue. „Vertraust du deinen eigenen Fähigkeiten so wenig, dass du lieber Hilfe heranziehen möchtest?“

Ärgerlich kniff sie die Augen zusammen. „Ganz und gar nicht!“, entgegnete sie heftig und fasste sich dann mit einem leisen Stöhnen an die Schulter, als ein scharfer Schmerz sie durchzuckte. „Ich weiß nur nicht, ob du dir der Gefahr, in der du dich befindest, wirklich bewusst bist. Jemand hat soeben versucht, dich zu töten, Luca!“

„Ach was!“ Er machte eine wegwerfende Handbewegung. „Das war ein Unfall“, behauptete er. „Sonst nichts. Ein Motorradfahrer, der die Kontrolle über sein Fahrzeug verloren hat, das ist alles.“

„Das glaubst du?“ Entgeistert starrte sie ihn an. „Nein, das kann nicht dein Ernst sein! Deine Mutter engagierte mich, weil jemand dir nach dem Leben trachtet, schon vergessen? Das war kein Unfall, sondern pure Absicht! Warum sonst hätte der Motorradfahrer nach dieser Sache einfach weiterfahren sollen?“

„Vermutlich ist er in Panik geraten“, erwiderte Luca. „Eine Kurzschlussreaktion wegen des Schocks.“

Sie öffnete den Mund, um etwas zu erwidern, schüttelte dann aber den Kopf. „Ich bin im Moment nicht in der richtigen Verfassung, um mit dir zu diskutieren. Bringen wir den Termin beim Chef deines Rennstalls also rasch hinter uns und sehen dann zu, dass wir dich unbeschadet nach Hause bringen.“

„Letzteres können wir auch gleich tun. Ich habe den Termin bereits absagen lassen. Fahren wir also nach Hause. Es wird das Beste sein, wenn du dich erst einmal ausruhst. Deine Schulter tut sicher höllisch weh.“

„Grazie“, gab sie bissig zurück. „Aber für solcherlei Luxus habe ich keine Zeit. Ich muss mir überlegen, wie ich deine Sicherheit weiterhin gewährleisten soll, da ich mich auf deine Unterstützung ja ganz offensichtlich nicht verlassen kann.“

Mit diesen Worten ließ sie ihn einfach stehen und ging den Korridor in Richtung Ausgang hinunter. Luca folgte ihr. Zum Glück verzichtete er darauf, ihr eine weitere Diskussion aufzwingen zu wollen. Doch anstelle sich, wie angekündigt, Gedanken über ihre weitere Vorgehensweise zu machen, dachte sie auf dem Weg zurück zum Wagen eigentlich immer nur an eines:

Wie wunderbar es sich angefühlt hatte, von ihm geküsst zu werden.

8. KAPITEL

Stella lehnte mit dem Kopf an der Beifahrerscheibe von Lucas Wagen und schaute zu, wie die Landschaft an ihr vorüberflog. Nachdem sie den historischen Stadtkern von Florenz hinter sich gelassen hatten, war die Bebauung immer dünner geworden. Schließlich säumten nur noch schlanke Zypressen und Felder die gewundene Landstraße, die zurück nach Follonica führte. Das Glas des Seitenfensters fühlte sich angenehm kühl auf ihrer erhitzten Haut an. Trotzdem fiel es ihr schwer, auch nur einen vernünftigen Gedanken zu fassen. Und die Schuld daran trug nicht der Schmerz in ihrer Schulter, sondern einzig und allein Lucas Kuss – oder vielmehr sie selbst, weil sie ihn nicht verhindert hatte.

Sie wusste einfach nicht, was im Augenblick mit ihr los war. Ihr ganzes Leben stand Kopf – und zwar genau seit dem Moment, in dem sie Luca zum ersten Mal begegnet war. Seine Nähe ließ sie alles vergessen, was sie jemals gelernt hatte. Ja, seine Nähe ließ sie sogar vergessen, welch hohen Preis es kostete, die eigenen Regeln zu missachten und sich auf einen Schützling einzulassen. Denn genau das – ganz gleich, wie sehr sie es auch zu leugnen versuchte – stand sie im Begriff zu tun.

Seufzend schloss sie einen Moment lang die Augen. All diese verwirrenden Gefühle, die auf sie eindrangen … Wäre sie nicht absolut sicher gewesen, dass ein Aufgeben ihrer Karriere den endgültigen Todesstoß versetzt hätte …

„Du bist wütend auf mich“, brach Luca das Schweigen. Er schaute kurz zu ihr herüber, ehe er den Blick wieder auf die Straße richtete. „Stimmt doch, oder? Du bist sauer, weil ich dich geküsst habe.“

„Unsinn!“, gab Stella mit betont fester Stimme zurück. „Ich weiß nicht, wieso du auf so etwas kommst. Anscheinend begreifst du noch immer nicht, dass es mir nur um eines geht.“

„Ach, und das wäre?“

„Deine Sicherheit zu gewährleisten, natürlich! Ich meine, dir mag es ja gleichgültig sein, was aus dir wird. Aber für mich ist dieser Auftrag eine einmalige Chance, um …“ Sie verstummte, als ihr klar wurde, dass sie ihm um ein Haar zu viel verraten hätte.

Er fing an, mit den Fingern auf dem Lenkrad zu trommeln. „Um – was?“ Fragend schaute er sie an. „Zu beweisen, dass du es besser kannst als dein Vater? Komm schon, ich merke doch schon lange, wie verzweifelt du darauf aus bist, einen guten Job abzuliefern. Aber der Apfel fällt nicht weit vom Stamm – sagt man nicht so?“

„Ja, so sagt man“, entgegnete sie bissig. „Aber nicht alles, was die Leute sagen, entspricht auch der Wahrheit. Außerdem solltest du lieber froh über mein großes Engagement sein. Allerdings käme es mir nie in den Sinn, einen schlechten Job zu machen, und das nicht nur weil es in meiner Branche üblicherweise bedeutet, seinen Klienten zu verlieren.“

Oder das eigene Leben, fügte sie in Gedanken hinzu. Wieder musste sie an Charlotte denken und auch an ihren Vater. Sie gestand es sich nicht gern ein, doch aus irgendeinem Grund hatten die vergangenen Ereignisse dessen Verhalten für sie besser nachvollziehbar gemacht. Sie konnte sich jetzt ungefähr vorstellen, wie er sich gefühlt haben musste.

Doch im Gegensatz zu meinem Vater werde ich der Versuchung widerstehen! sagte sich Stella und nickte dabei, wie um sich selbst Mut zu machen.

„Die Polizei wird nicht eingeschaltet, und damit basta!“ Mit der flachen Hand schlug Luca auf den Lenker. „Niemand darf von dieser Geschichte eben erfahren, hörst du? Und wenn ich niemand sage, dann schließt das auch meine Mutter ein.“ Er musterte sie durchdringend. „Solltest du damit ein Problem haben, dann sag es lieber gleich.“

„Nein, keineswegs“, erwiderte Stella kühl. „Es ist deine Entscheidung, wen du ins Vertrauen ziehen willst. Mich geht das alles nichts an.“

Mit diesen Worten wandte sie den Blick ab und starrte wieder schweigend zum Fenster hinaus. Doch die Schönheit der Umgebung, die an ihr vorüberzog, nahm sie plötzlich gar nicht mehr wahr.

„Um Himmels willen, Kindchen, das ist ja schrecklich! Und es geht Ihnen wirklich gut?“

Angesichts Charlottes geradezu rührender Besorgnis, glitt ein schwaches Lächeln über Stellas Lippen – das erste Mal, seit sie am frühen Nachmittag aus Florenz zurückgekehrt waren.

Inzwischen war es kurz vor sieben Uhr, und Loredana hatte eben an ihre Tür geklopft, um ihr mitzuteilen, dass das Abendessen jeden Moment serviert wurde. Stella war ganz froh darüber, dass Charlottes Anruf ihr eine Ausrede bot, nicht am gemeinsamen Dinner teilnehmen zu müssen. Ihr stand der Sinn im Augenblick nicht danach, sich mit Luca an einen Tisch zu setzen.

„Keine Sorge, Charlotte“, beruhigte Stella ihre mütterliche Freundin. „Meine Schulter schmerzt zwar noch ein wenig, aber es geht schon wieder. Ein paar Tage, dann ist der ganze Vorfall nur noch eine blasse Erinnerung, mehr nicht.“

„Na, Gott sei Dank“, stieß Charlotte erleichtert hervor. Sie zögerte merklich, ehe sie weitersprach: „Und wie läuft es mit Ihrem Schützling? Diesem Rennfahrer?“

Stella runzelte die Stirn. Sie ahnte, worauf diese Frage abzielte. Charlotte schien zu glauben, dass sich eine romantische Beziehung zwischen Luca und ihr entwickeln würde – und das war ein Thema, über das sie wirklich nicht sprechen wollte. War es also vielleicht doch ein Fehler gewesen, Charlottes Anruf dem gemeinsamen Abendessen vorzuziehen?

„Gut“, erwiderte sie einsilbig. „Und nun wollen wir aufhören, von meiner Arbeit zu sprechen, einverstanden? Erzählen Sie mir lieber, wie es Ihnen in den letzten Tagen ergangen ist. Hat sich das Wetter in Cornwall ein wenig gebessert, oder ist der Himmel noch immer so grau und bedeckt wie bei meiner Abreise?“

„Sie lenken ab, Kindchen“, entgegnete Charlotte. In ihrer Stimme schwang ein Schmunzeln mit. „Ich hatte doch recht, nicht wahr? Sie haben sich in Ihren Schützling verliebt.“

„Es ist …“ Seufzend brach sie ab. „Es ist nicht so einfach, Charlotte.“

„Aber das ist es doch nie, wenn es um Herzensangelegenheiten geht. Ich weiß, Sie hören es nicht gern, aber auch Ihr Vater hat sich die Entscheidung nicht leicht gemacht. Er war nicht der verantwortungslose Mann, als den Sie ihn so oft darstellen. Ich weiß, er liebte mich – und gegen seine Gefühle ist man manchmal einfach machtlos.“

„Nein!“, entgegnete Stella energischer als beabsichtigt. „Nein, so leicht kann man sich nicht herausreden. Jeder Mensch hat eine Wahl – auch Trevor Castlemaine! Er hätte seinen Prinzipien treu bleiben müssen, doch er wurde schwach. Und diese Schwäche hat ihn das Leben gekostet – und Sie in den Rollstuhl gebracht. Aber ich werde mich von meinen Gefühlen nicht übermannen lassen. Ich …“ Sie verstummte abrupt, als ihr klar wurde, was sie da gerade gesagt hatte. Und es erschreckte sie, denn sie musste erkennen, dass es die Wahrheit war.

Sie empfand etwas für Luca Ponti, ja. Was es genau war, vermochte sie nicht in Worte zu fassen. Doch es ging bereits sehr viel tiefer, als sie sich bisher selbst eingestanden hatte.

Trotzdem stand ihr Entschluss fest: Sie würde sich davon nicht beeinflussen lassen. Es war nur eine dumme Schwärmerei, die mit der Zeit von ganz allein vergehen würde – oder? Und außerdem bestand kein Grund anzunehmen, dass ihre Gefühle erwidert wurden. Sie war ganz einfach keine Frau, in die man sich verliebte.

„Ihr Schweigen verrät mir mehr als jeder Monolog.“ Charlotte klang nun bekümmert. „Vielleicht sollten Sie aufhören, sich dagegen zu wehren, Stella. Das Leben ist nicht immer einfach und geradlinig. Manchmal muss man etwas riskieren, um ans Ziel zu gelangen.“

„Ich …“ Stella schluckte. Unnötige Risiken einzugehen widersprach ihrem Naturell. Sie war nicht umsonst Leibwächterin geworden. Es lag ihr einfach im Blut, für jede Eventualität Vorkehrungen zu treffen und stets alle Möglichkeiten in Betracht zu ziehen. Sie blieb in gefährlichen Situationen ruhig und bewahrte stets einen kühlen Kopf. Allein die Vorstellung, ohne Netz und doppelten Boden zu agieren, verursachte ihr Unwohlsein. „Tut mir leid, aber ich muss jetzt Schluss machen“, sagte sie hastig. „Ich melde mich, wenn ich ein bisschen mehr Zeit habe, einverstanden?“

„Denken Sie darüber nach, Kindchen“, mahnte Charlotte. „Denken Sie einfach darüber nach.“

Schwer atmend ließ Stella die Hand, in der sie das Telefon hielt, auf ihren Schoß sinken. Charlotte hatte gut reden – für sie hing ja auch nicht die gesamte Zukunft von der erfolgreichen Durchführung dieses Auftrags ab. Und es ging hier ja nicht nur um sie selbst! Nein, sie durfte sich zu keinen Dummheiten mehr hinreißen lassen. Solange sie die Verantwortung für Luca trug, durfte es zu keiner weiteren Annäherung mehr kommen.

Ganz gleich, wie sehr sie sich auch manchmal danach sehnen mochte.

Sie legte das Telefon auf den Nachttisch, stand auf und riss die Balkontür auf. Im Inneren des Zimmers erschien es ihr plötzlich unerträglich stickig, und sie sog die klare, würzige Landluft tief in ihre Lungen. Mit beiden Händen stützte sie sich auf die Balustrade des Balkons und ließ ihren Blick über den riesigen Garten schweifen. Dabei entdeckte sie Luca, der die Wurzeln eines Baumes ausgrub, der offenbar vor Kurzem erst gefällt worden war. Sein Hemd hatte er ausgezogen und über einen Strauch gehängt. Schweiß glänzte auf seinem nackten Oberkörper.

Sofort spürte Stella, wie ihr Herzschlag sich beschleunigte. Närrin! schalt sie sich selbst – doch es half nichts. Sein Anblick allein reichte aus, um sie all ihre guten Vorsätze zumindest für einen Moment vergessen zu lassen. Und schon dieser Moment konnte ausreichen, um eine Katastrophe heraufzubeschwören.

Sowohl in beruflicher als auch in privater Hinsicht.

Sie musste sich fast zwingen, den Blick von Luca abzuwenden. Und die Eile, mit der sie die Balkontür schloss und sich vom Fenster zurückzog, hatte schon etwas von einer Flucht.

Und genau das war es ja im Grunde genommen auch. Nur dass sie vor ihren eigenen absurden Wünschen und Sehnsüchten auf Dauer nicht davonlaufen konnte.

„Nein, verdammt, das habe ich Ihnen doch schon mehrfach erklärt, Vespucci!“, knurrte Luca, als er am nächsten Vormittag mit einem der Gläubiger seiner Firma Acqua Chiara Ponti telefonierte.

Seine Laune war schon nicht besonders gut gewesen, als er kurz nach Morgengrauen aufgestanden war, und Vespuccis Anruf war nicht dazu angetan, seine Stimmung zu verbessern. Er musste sich beherrschen, um dem Mann nicht klipp und klar zu sagen, dass er ihn für einen geldgierigen Blutsauger hielt. Doch das wäre taktisch äußerst ungeschickt gewesen, denn es hing viel davon ab, dass Leonardo Vespucci ihnen noch für eine Weile nicht die Schuldeneintreiber auf den Hals hetzte.

Er brauchte vor allem eines: Zeit. Und deshalb war er gezwungen, diplomatisch vorzugehen.

Luca atmete tief durch. „In etwas mehr als zwei Wochen starte ich ein Comeback als Fahrer. Ich versichere Ihnen, dass ich am Ende der Rennsaison als Sieger auf dem Treppchen stehen werde – und dann werden Sie Ihr Geld bekommen.“

„Und was, wenn nicht?“ Vespucci, der immer ein wenig erkältet klang, räusperte sich angestrengt. „Ich bin Geschäftsmann, kein Spieler, Ponti. Ich kann es mir nicht erlauben, Risiken einzugehen. Was ich brauche, sind Sicherheiten. Garantien!“

Angestrengt dachte Luca nach. Es gab im Grunde nichts, was er Vespucci anbieten konnte – außer …

Er atmete tief durch. „Sie kennen doch meine Villa. Und jetzt sage ich Ihnen etwas: Wenn es mir nicht gelingt, mein Versprechen einzuhalten, gehört sie Ihnen.“

Für einen Moment herrschte angespannte Stille. Dann: „Kann ich das schriftlich bekommen?“

Luca knirschte mit den Zähnen. „Natürlich. Mein Anwalt wird sich mit Ihnen in Verbindung setzen.“

Er beendete das Gespräch und lehnte sich auf seinem Bürosessel zurück. Seufzend betrachtete er das Durcheinander von Papieren und Unterlagen, das sich auf seinem Schreibtisch türmte. Seit Wochen versuchte er nun schon, ein wenig Ordnung in das Chaos zu bringen, das Ricardo hinterlassen hatte. Doch das war leichter gesagt als getan. Luca verstand mehr von Reifen und Motoren als von Wasserfilteranlagen – doch er verstand genug, um zu erkennen, dass der Führungsstil und der Leichtsinn seines Bruders die Firma an den Rand des Bankrotts geführt hatte. Und die Tatsache, dass er nun sogar das Haus, in dem er aufgewachsen war und zusammen mit seiner Mutter lebte, als Pfand einsetzen musste, führte ihm den Ernst der Lage einmal mehr vor Augen. Seine Mutter hatte darauf bestanden, es ihm zu überschreiben, denn sie wollte ihn dafür entschädigen, dass er sein ganzes Vermögen in dem verzweifelten Versuch, den Familienbetrieb zu retten, verloren hatte.

Er war es langsam leid, immer nur kämpfen zu müssen. Und unter anderen Umständen hätte er sein Comeback als Rennfahrer keine Sekunde lang in Betracht gezogen. Es verlangte ihm nicht mehr nach dem Stress und der Hektik des Rennalltags. Und vor allem nicht nach dem Risiko …

Nein, er zog die Ruhe und den Frieden hier draußen dem ganzen Trubel vor. Nach seinem Unfall hatte er gelernt, die einfachen Dinge des Lebens zu schätzen. Ein Spaziergang durch die Weinberge, der Sonnenuntergang über dem Meer und der schwere Duft von Holz und Erde, der nach einem heftigen Regenfall die Luft erfüllte.

Doch wenn er nicht wollte, dass seine Familie alles verlor, blieb ihm keine andere Wahl, als sich in sein Schicksal zu fügen.

Es war ihre einzige Chance.

Ein Klopfen an der Tür riss ihn aus seinen düsteren Grübeleien.

„Darf ich eintreten, Luca?“, fragte Stella. „Ich würde dir gern einige Fragen stellen, wenn du nichts dagegen hast.“

Luca atmete tief durch. Im ersten Moment wollte er sie fortschicken. Seine Situation war bereits kompliziert genug, auch ohne diese Frau. Was hatte sich seine Mutter bloß dabei gedacht, sie ihm förmlich aufzuzwingen? Doch natürlich kannte er die Antwort bereits, und er konnte auch verstehen, dass sie besorgt um ihn war.

Seufzend fuhr er sich über die Augen. „Komm schon herein“, rief er. „Wie ich dich kenne, wirst du dich ohnehin nicht abwimmeln lassen.“

Er kam nicht umhin, wieder einmal festzustellen, wie schön sie war. Sie trug ihr blondes Haar, das sie sonst immer zu einem Zopf im Nacken zusammenfasste, offen, sodass es ihr Gesicht umschmeichelte. Ihre herrlichen grünen Augen funkelten, und beim Anblick ihrer fein geschwungenen Lippen musste er gleich wieder daran denken, wie es sich angefühlt hatte, sie in seinen Armen zu halten und …

„Aufhören!“, rief er sich selbst zur Ordnung – und erst, als Stella ihn überrascht anschaute, merkte er, dass er laut gesprochen hatte.

„Was?“, fragte sie sichtlich irritiert.

„Nicht so wichtig“, wiegelte er ab. „Du sagtest, du willst mir einige Fragen stellen. Also – worum geht’s?“

Sie zögerte kurz, dann verschränkte sie die Arme vor der Brust, ehe sie zu sprechen begann: „Ich weiß, du willst das mit dem Motorrad als bloßen Unfall abtun, aber … Verdammt, Luca, ich habe den Job übernommen, dich zu beschützen, und damit trage ich eine Verantwortung. Ob es dir nun gefällt oder nicht, ich werde alles tun, was in meiner Macht steht, um meine Aufgabe zu erfüllen.“

Er hob eine Braue. „Warum erzählst du mir das?“

„Weil ich mir Gedanken über das gemacht habe, was in Florenz passiert ist.“

Luca wusste selbst nicht, warum er es einfach nicht lassen konnte, sie aufzuziehen. „Ich fand es auch sehr nett, aber du solltest wirklich aufhören, ständig darüber nachzugrübeln. Es war schließlich nur ein Kuss …“

„Ein – was?“ Sie blinzelte irritiert, und als ihr klar wurde, wovon er sprach, errötete sie. „Du weißt ganz genau, dass ich nicht davon rede!“ Sie schüttelte den Kopf. „Das Motorrad, Luca! Wenn ich recht habe und das ein weiterer Anschlag auf dein Leben war, dann bedeutet dies, dass jemand von deinem Termin in Florenz gewusst haben muss. Jemand ist uns gefolgt und hat genau in dem Moment zugeschlagen, in dem er die größte Chance auf Erfolg gesehen hat.“

„Du meinst …“

„Es war geplant, ja!“ Sie verschränkte die Arme vor der Brust. „Willst du jetzt immer noch behaupten, dass es sich lediglich um einen Unfall handelte? Sei nicht verrückt, das glaubst du doch selbst nicht!“

Luca atmete tief durch. Sie hatte ja recht – auch er glaubte schon längst nicht mehr an die Unfalltheorie, hatte es im Grunde niemals getan. Doch Stellas Denkansatz war neu. Neu und interessant. Wenn sich auf diese Weise der Kreis der Verdächtigen einschränken ließe … Nachdenklich runzelte er die Stirn. „Meine Mutter wusste Bescheid, Loredana, mein Trainer Giancarlo und …“ Er schüttelte den Kopf. „Nein, auf diesem Weg kommen wir nicht weiter. So gut wie jeder aus meinem Rennteam könnte von meinem Besuch bei Signor Pezzini gehört haben. Es war ja nicht gerade ein streng gehütetes Geheimnis.“

„Nun“, entgegnete Stella, „immerhin wären damit all die Personen außen vor, die nicht zu deinem direkten Zirkel der Verlässlichkeit gehören.“

„Meines – bitte was?“

Nervös pustete sie sich eine Ponysträhne aus dem Gesicht. „Der Zirkel der Verlässlichkeit“, wiederholte sie. „Die Menschen, mit denen du tagtäglich zu tun hast, mit denen du arbeitest und denen du vertraust.“

Luca hob eine Braue. „Du schließt also aus, dass es sich um einen Außenstehenden handeln könnte? Einen neidischen Konkurrenten beispielsweise oder einen verrückten Stalker?“

„Nun, das kann ich natürlich nicht kategorisch ausschließen. Immerhin könnte ein Mitglied deines Zirkels mit jemandem von außen über deine Pläne, nach Florenz zu fahren, gesprochen haben. Für sehr wahrscheinlich halte ich es allerdings nicht.“

Unwillkürlich musste Luca an Franko denken und daran, wie merkwürdig sich sein Cousin in letzter Zeit ihm gegenüber verhalten hatte. Beinahe feindselig. War es möglich, dass …?

Nein, Franko gehörte zur Familie. Er würde niemals etwas tun, das ihr schaden würde – oder?

Unwillig schüttelte er den Kopf, doch die Zweifel, die Stellas Worte in ihm hervorgerufen hatten, wollten einfach nicht verschwinden. „Und was genau willst du damit sagen? Hast du schon einen konkreten Verdächtigen?“

„Nein“, antwortete sie. „Bisher nicht. Es wäre dumm und gefährlich, voreilige Schlüsse zu ziehen, ohne sämtliche Fakten zu kennen.“ Sie schaute ihn fest an, ihre smaragdfarbenen Augen blitzten. „Das bedeutete im Umkehrschluss leider auch, dass du auf jeden Fall weiterhin in Gefahr schwebst. Und deshalb wollte ich mit dir auch noch einmal über die Weste sprechen. Ich …“

„Nein!“, entgegnete Luca energisch. „Ich denke, ich habe meine Meinung zu diesem Thema bereits mehr als deutlich klargestellt, aber für dich werde ich es gerne noch mal tun: Ich werde keine kugelsichere Weste tragen, Stella – und wenn du dich auf den Kopf stellst! Nicht heute, nicht morgen und auch nicht in tausend Jahren!“

Zuerst wirkte sie erschrocken über seinen plötzlichen Ausbruch, dann kniff sie die Augen zusammen. „Also schön, ganz wie du willst. Ich kann dir keine Vorschriften machen, du musst selbst wissen, was du tust. Aber du sollst ruhig erfahren, dass ich dein Verhalten für vollkommen unverantwortlich halte. Und wenn du es weiterhin vorziehst, meine Hinweise einfach zu ignorieren, dann werde ich die Konsequenzen ziehen und meine Sachen packen!“

Stella schlug das Herz bis zum Hals. Sie wusste, sie hatte sich weit vorgewagt, aber was blieb ihr anderes übrig? Luca war so verflixt stur! Ganz gleich, was sie auch vorbrachte, er war grundsätzlich anderer Meinung. Natürlich hatte sie gewusst, dass sie es in ihrem Beruf häufig mit schwierigen Persönlichkeiten zu tun bekommen würde – damit musste man als Bodyguard umgehen können. Sie erwartete daher auch keine freundliche oder gar zuvorkommende Behandlung, ja sie erwartete nicht einmal, dass Luca ihr Respekt entgegenbrachte. Alles, was sie wollte, war, ihren Job vernünftig machen zu können.

Doch genau dass erschien ihr unter den gegebenen Umständen mehr und mehr unmöglich zu werden.

Mit vor der Brust verschränkten Armen stand sie vor Lucas Schreibtisch und begegnete seinem bohrenden Blick scheinbar gelassen. Sie war recht gut darin, ihre wahren Gefühle vor anderen Menschen zu verbergen, auch wenn ihr das ausgerechnet bei ihm recht häufig nicht zu gelingen schien.

Doch dieses Mal konnte sie sich auf ihre Fähigkeiten verlassen.

„Du willst gehen?“

Sie reckte das Kinn. „Wenn du nicht endlich damit aufhörst, dich wie ein störrischer kleiner Junge zu verhalten – ja!“

Einen Moment herrschte wieder Schweigen, und es war so ruhig, dass man eine Stecknadel hätte fallen hören können.

Dann schlug Luca wütend mit der flachen Hand auf die Tischplatte. „Was bildest du dir eigentlich ein?“ Er sprang auf und trat um den wuchtigen Schreibtisch herum auf sie zu. „Denkst du wirklich, dass ich mir von einer hübschen kleinen Möchtegernleibwächterin wie dir auf der Nase herumtanzen lasse?“

Seine Worte trafen sie wie ein Schlag in die Magengrube. Sie spürte, wie ihr das Blut aus dem Gesicht wich. Ihr Herz hämmerte, und ihre Augen brannten. Nicht weinen! Alles, nur nicht weinen!

„Wenn es das ist, als was du mich siehst, dann sollte ich wohl wirklich besser gehen“, sagte sie, wandte sich steif ab und ging zur Tür. Doch Luca war bei ihr, ehe sie den Raum verlassen konnte. Beinahe grob packte er sie am Arm und drehte sie zu sich um. Dann zog er sie mit den Worten: „Du wirst nirgendwohin gehen ohne meine Erlaubnis!“, in seine Arme und küsste Stella so voller Verlangen, das es ihr schier den Boden unter den Füßen wegriss.

Sie wollte ihn von sich stoßen, ihn schlagen oder anschreien, doch sie tat nichts dergleichen. Stattdessen drängte sie sich enger an ihn und erwiderte seinen Kuss hungrig und voller Leidenschaft.

Bist du vollkommen verrückt geworden? Aufhören! Sofort aufhören! Denk daran, was mit deinem Vater und Charlotte geschah …

Doch ihre mahnende innere Stimme verhallte ungehört. Sie wollte Luca. Sie begehrte ihn, seit sie ihn zum ersten Mal gesehen hatte. Vielleicht war es Schicksal. Doch fest stand, dass sie sich gegen die überwältigende, Macht ihrer Gefühle nicht länger wehren konnte.

„O Luca!“, seufzte sie, als er seine Lippen nun ihren Hals hinunterwandern ließ und ihre Haut mit einer Spur erregender Küsse überzog. Sie legte den Kopf in den Nacken und gab sich ganz den wunderbaren Empfindungen hin, die er in ihr auslöste.

Als er ihre Brüste umfasste, stöhnte sie verlangend auf. Doch er verharrte nur kurz, ließ seine Hände ihre Taille hinab bis zu den Hüften gleiten und umfasste schließlich ihren Po. Wie von selbst schlang sie die Beine um ihn, als er sie anhob und zum Schreibtisch trug.

Ein überwältigendes Verlangen pulsierte durch ihre Adern. Sie dachte nicht mehr an ihren Job oder an die Gefahr, in der Luca schwebte. Ja, selbst der Gedanke an das Schicksal ihres Vaters trat in den Hintergrund. Ein einziges Mal in ihrem Leben wollte sie nicht vernünftig sein und sich einfach nur nehmen, was sie am allermeisten wollte.

Trotz allem blitzte noch einmal die Erkenntnis in ihr auf, dass sie im Begriff stand, einen womöglich nicht wiedergutzumachenden Fehler zu begehen. „Wir … Wir sollten das nicht tun …“, brachte sie heiser hervor.

Luca schaute sie an, und in seinen Augen brannte dasselbe Verlangen, das auch sie selbst verzehrte. Langsam fuhr er mit den Fingerspitzen über ihren Hals bis hinunter zu den Brüsten. „Du musst es mir nur sagen, wenn ich aufhören soll“, flüsterte er, und seine Stimme klang so lockend, dass wohlige Schauer durch ihren Körper rieselten. „Ein Wort von dir, und ich werde dich nie wieder anrühren …“

Ihre Gedanken überschlugen sich förmlich. Ihr Herz raste vor lauter Erregung, und ihre Brust hob und senkte sich heftig. Nein, sie wollte nicht, dass Luca aufhörte! In ihr loderte ein Feuer, das nur er zum Erlöschen bringen konnte – er und niemand sonst.

Dieses Mal war sie es, die ihn küsste. Mit fliegenden Fingern öffnete sie die Knöpfe seines Hemds und schob es über seine breiten Schultern zurück. Das Gefühl, seine glatte Haut unter ihren Fingern zu spüren, raubte ihr fast den Verstand. Und der männlich markante Duft, der von ihm ausging, tat sein Übriges, um die Welt in einem Nebel der Vergessenheit versinken zu lassen.

Hastig entledigte sie sich ihres Tops und sah, wie seine Augen sich vor Überraschung weiteten, als er bemerkte, dass sie keinen BH trug. Beinahe ehrfürchtig umfasste er ihre Brüste mit beiden Händen und strich mit den Daumen über die aufgerichteten Spitzen.

Stella biss sich auf die Lippen, um ihr lustvolles Stöhnen zu unterdrücken. Bunte Feuerblitze tanzten vor ihren Augen, und sie hatte das Gefühl, innerlich verbrennen zu müssen.

So etwas hatte sie noch mit keinem Mann erlebt. Luca schien genau zu wissen, wie er sie küssen, wie er sie berühren musste, um ihr höchste Lust zu bereiten. Doch sie wollte noch mehr – sehr viel mehr.

Und du bist sicher, dass du das wirklich willst? fragte sie sich selbst – doch dieser allerletzte Funken von Vernunft wirbelte davon, als Luca sich vorbeugte und eine Brustspitze mit den Lippen umschloss.

Aufstöhnend bäumte sie sich auf. Sie wusste nicht, ob sie seinen Namen flüsterte oder schrie, aber es kümmerte sie auch nicht. Alles, was zählte, waren Luca und sie. Das Pochen in ihrem Schoß war jetzt so intensiv, dass sie glaubte, es nicht mehr länger aushalten zu können. Sie brauchte Luca – sofort!

Und das schien auch er zu spüren. Hastig knöpfte er seine Jeans auf, ehe er langsam, fast bedächtig, ihren Rock hochschob und ihr dann den schwarzen Spitzenslip auszog.

Stellas Herz raste, als er sich zwischen ihre Beine kniete.

Er wollte doch nicht etwa …?

Lustvoll schrie sie auf, als Luca ihre intimste Stelle mit der Zunge liebkoste. Flüssiges Feuer schien durch ihre Adern zu fließen. Immer wieder stöhnte sie heiser seinen Namen, und dann, als sie sicher war, vergehen zu müssen vor Verlangen, kam er endlich zu ihr.

Mit einem kraftvollen Stoß, der ihr für einen Augenblick den Atem raubte, drang er in sie ein. Sie barg das Gesicht an seiner Schulter, um ihre Lust nicht laut herauszuschreien. Dann fing er an, sich in ihr zu bewegen – zuerst langsam und vorsichtig, dann immer schneller und fester. Wie von selbst passte Stella sich seinem Rhythmus an.

Und als sie schließlich alle Grenzen überwand, fand auch er endlich die Erfüllung.

9. KAPITEL

Du lieber Himmel, was habe ich bloß getan?

Als der Nebel der Leidenschaft sich langsam hob und ihre Vernunft wieder einsetzte, hatte Stella das Gefühl, den Boden unter den Füßen zu verlieren. Eben noch im siebten Himmel schwebend, schien sie nun in einen schwarzen Abgrund zu stürzen, der kein Ende zu finden schien. Wie hatte sie nur so dumm sein können, sich auf ein sexuelles Abenteuer mit ihrem Schützling einzulassen? Hatte sie vollkommen den Verstand verloren?

Hastig sammelte sie ihre Kleidungsstücke auf, die überall auf dem Fußboden verstreut herumlagen. Dann begann sie hektisch, sich anzuziehen.

„Was hast du?“ Luca trat hinter sie. Als er ihr eine Hand auf die Schulter legte, zuckte sie zusammen.

„Lass das!“, fauchte sie ihn an – und dann ruhiger: „Bitte, Luca, wir haben einen Fehler gemacht. Wir hätten das nicht tun sollen. Ich hätte es niemals dazu kommen lassen dürfen!“

Er hob eine Braue und schüttelte den Kopf. „Komm, setz dich. Wir sollten darüber reden. Vielleicht …“

„Da gibt es nichts zu reden!“, fiel sie ihm ins Wort. „Was ist denn schon Weltbewegendes geschehen? Wir haben miteinander geschlafen, schön. Aber das war nur Sex, sonst nichts. Wir sollten die ganze Sache nicht überbewerten.“

So locker, wie sie ihm gegenüber vorgab, sah sie die Angelegenheit jedoch selbst nicht. Ganz im Gegenteil – denn tief in ihrem Inneren spürte sie, dass sich durch das Zusammensein mit Luca etwas verändert hatte. Sie hatte sich verändert.

Es war müßig, es noch länger verleugnen zu wollen: Ja, sie hatte sich in Luca verliebt. Charlotte hat also recht gehabt, dachte Stella seufzend. Ich war nur nicht bereit, mir meine Gefühle für ihn einzugestehen.

Doch wie sollte es jetzt weitergehen? Für Luca war sie vermutlich nur ein amüsantes Abenteuer. Er war bekannt dafür, dass er mit den schönsten Frauen verkehrte. Vor seinem Unfall hatte die Damenwelt ihm förmlich zu Füßen gelegen, und Stella zweifelte nicht daran, dass es nach seinem Comeback wieder genauso sein würde.

Und wenn es erst einmal so weit war, dann hatte er sie längst vergessen.

Aber nur, wenn er es schafft, dieses Comeback noch zu erleben …

Das war der zweite Punkt, der Stella zu schaffen machte: Wie zuvor ihr Vater hatte nun auch sie gegen das eherne Gesetz ihres Berufsstandes verstoßen, sich niemals mit der Person einzulassen, die zu beschützen man beauftragt war. Für ihren Vater und Charlotte war das tragisch ausgegangen. Drohte Luca und ihr nun das gleiche Schicksal?

Nein! beantwortete sie sich ihre Frage selbst. Sie würde sich nicht von ihren Gefühlen für Luca beeinflussen lassen, und wenn sie sich dafür das Herz aus der Brust reißen musste.

„Was ist bloß los mit dir?“, fragte er und schüttelte den Kopf. „Kannst du bitte mit dem Unsinn aufhören und stattdessen mit mir sprechen?“

Sie hielt kurz inne und schaute ihn an. „Genau das tue ich gerade“, entgegnete sie ernst. „Ich höre mit dem Unsinn auf, ehe es zu spät ist.“ Hastig zog sie sich das Top über und strich ihren Rock glatt. „So etwas wird nicht wieder geschehen, hörst du? Nie wieder!“

Mit diesen Worten verließ sie das Zimmer, und es kümmerte sich nicht, dass ihr übereilter Abgang wie eine Flucht aussehen musste. Denn genau das war es im Grunde auch: Sie floh vor ihm und den verbotenen Gefühlen, die er in ihr auslöste.

Gefühlen, die nicht sein durften und die sie niemals wieder zulassen würde.

Ab sofort war Luca tabu für sie – auch wenn sie noch nicht wusste, wie sie es aushalten sollte, in seiner Nähe zu sein, ohne ihm wirklich nahekommen zu dürfen.

Als Luca am Abend wieder in seinem Arbeitszimmer saß, versuchte er verzweifelt, sich auf die neuen Unterlagen zu konzentrieren, die er sich heute aus der Firma hatte bringen lassen. Doch sosehr er sich auch bemühte – er konnte immerzu nur an Stella denken.

Mit einer wütenden Handbewegung fegte er die Hefter und Akten vom Tisch, und ein Regen aus Bilanzen und Konten ergoss sich über den Fußboden. Dann barg er das Gesicht in den Händen. So konnte es unmöglich weitergehen! Für ihn gab es wichtigere Dinge zu tun, als sich den Kopf über eine Frau zu zerbrechen. Hatte er denn schon vergessen, wie Giovanna ihn behandelt hatte?

Er schüttelte den Kopf. Die Zeit mit ihr schien eine Ewigkeit zurückzuliegen und gleichzeitig doch so nah zu sein. Er erinnerte sich noch genau an den Tag, als er sie kennengelernt hatte. Damals war er noch überzeugt gewesen, dass es so etwas wie die wahre Liebe tatsächlich gab. Doch Giovanna hatte ihm das Gegenteil bewiesen und ihm die ganze Zeit nur etwas vorgespielt. Und er? Er hatte es erst gemerkt, als sie ihn in seiner schwersten Zeit im Stich ließ …

Rasch verscheuchte er den Gedanken an seine Exverlobte. Was brachte es schon, an diese Zeit zurückzudenken? Heute wusste er es besser – oder? Nun, er glaubte es zumindest.

Das Klingeln seines Telefons beendete seine Grübeleien. Giancarlo meldete sich. „Ich wollte dich nur an die Untersuchung für die Unbedenklichkeitsbescheinigung erinnern, die Pezzini von dir fordert. Du weißt, dass er dich ohne diesen Wisch nicht beim ersten Rennen antreten lassen will.“

Luca stöhnte gequält auf. Diese lästige Verpflichtung hatte er bislang vor sich hergeschoben. Doch nun wurde es langsam wirklich Zeit, wenn die Ergebnisse noch vor dem Start der Rennsaison vorliegen sollten.

„Ich nehme an, es gibt keine Chance, diese Sache zu umgehen?“, fragte er dennoch.

Giancarlo lachte leise. „Du kennst doch Pezzini! Ich war so frei, den betreffenden Arzt, einen gewissen Dottore Brunetti, anzurufen. Er ist Pezzinis Schwager, daher vertraut der Alte seinem Urteil wohl mehr als dem irgendeines anderen Arztes. Er sagt, du kannst jederzeit vorbeikommen. Und, verzeih mir meine offenen Worte, du solltest es nicht mehr länger hinauszögern. Am besten, du machst dich gleich übermorgen auf den Weg zur Isola del Giglio.“

Seufzend fuhr Luca sich durchs Haar. Er wusste ja, dass Giancarlo recht hatte, indem er ihn zur Eile ermahnte. Doch da war dieser Funken von Unsicherheit, was bei der Untersuchung herauskommen würde. Sicher, er fühlte sich wieder topfit, und man hatte ihm in der Reha auch bescheinigt, dass keine Schäden durch den Unfall zurückgeblieben waren. Dennoch verspürte Luca einen Anflug leiser Besorgnis.

Was, wenn Dottore Brunetti nun zu einem anderen Ergebnis kam als seine eigenen Ärzte? Das Urteil dieses Mannes konnte über die Zukunft seiner ganzen Familie entscheiden. Doch es immer wieder aufzuschieben, brachte ihn am Ende auch nicht weiter. Im Gegenteil: Wenn die Untersuchungsergebnisse zum Start der Rennsaison nicht vorlagen, würde Pezzini womöglich ernst machen und ihm Startverbot erteilen.

„Soll ich den Termin für übermorgen bestätigen?“, drängte Giancarlo. „Das Ganze dürfte nicht viel länger als ein paar Stunden dauern.“

„Also gut“, lenkte Luca wenig begeistert ein. „Wie ich dich kenne, wirst du ohnehin nicht locker lassen, bis ich die Sache hinter mich gebracht habe.“

„Da hast du allerdings recht, mein Lieber!“

Sie unterhielten sich noch ein paar Minuten über einige technische Veränderungen, die an Lucas Rennwagen noch vor Saisonstart vorgenommen werden sollten, dann beendeten sie das Gespräch.

Luca stand auf, trat ans Fenster und schaute hinaus, ohne seine Umgebung wirklich wahrzunehmen. Er dachte an den zweiten, noch viel schwerer wiegenden Grund, warum ihm ein Ausflug zur Isola del Giglio gerade jetzt denkbar ungünstig erschien: Er hatte gehofft, ein wenig Abstand zu Stella gewinnen zu können, indem er ihr in den nächsten Tagen so weit wie möglich aus dem Weg ging. Doch das konnte er nun vergessen. Stella würde niemals erlauben, dass er ohne sie auch nur einen Schritt vor die Tür tat – geschweige denn auf eine kleine Insel vor der italienischen Küste!

Und wenn er ganz ehrlich war, dann wollte er das auch gar nicht. Auch wenn er ihr gegenüber oft das Gegenteil behauptete – Luca war sich der Gefahr, in der er schwebte, mehr als bewusst. Er brauchte jemanden, auf den er sich im Fall der Fälle hundertprozentig verlassen konnte. Und er zweifelte nicht daran, dass diese Beschreibung auf Stella zutraf.

Wenn da nur nicht dieses unbestimmte Sehnen wäre, das er immer dann verspürte, wenn er an Stella dachte. Und dann hatte er sich sogar noch dazu hinreißen lassen, mit ihr zu schlafen! Er konnte es selbst immer noch nicht verstehen. Hatte er denn aus der Sache mit Giovanna gar nicht gelernt?

Er schüttelte den Kopf. Das eine hatte mit dem anderen nichts zu tun. Giovanna hatte er mehr Gefühle entgegengebracht, weil er irrtümlich geglaubt hatte, sie zu lieben.

Das mit Stella hingegen war anders. Ganz anders.

Eine rein körperliche Angelegenheit, sagte er zu sich selbst, und nichts anderes sonst. Stella war nun einmal eine schöne, ja eine aufregende Frau. Es war nur natürlich, dass er sich zu ihr hingezogen fühlte. Doch nun, nachdem sie miteinander geschlafen hatten, würde das Verlangen ganz von selbst abklingen.

So war es zumindest bei seinen letzten Bettgeschichten gewesen.

Aber warum nur wurde er das Gefühl nicht los, dass es bei Stella nicht so einfach sein würde?

Mit einer Autofähre setzten Stella und Luca an Vormittag von Santo Stefano über auf die Isola del Giglio. Stella lehnte an der Reling, schloss die Augen und ließ sich den Wind ins Gesicht wehen. Als sie sich mit der Zunge über die Lippen fuhr, schmeckte sie einen Hauch von Salz. Sie hörte das Rauschen der Wellen und die Schreie der Möwen. Einen Moment lang gab sie sich dem Gefühl hin, ganz allein auf der Welt und frei von Sorgen zu sein.

Doch dann spürte sie, wie jemand hinter sie trat, und sie kehrte wieder zurück auf den Boden der Realität.

„Wir werden in weniger als zehn Minuten anlegen“, erklärte Luca.

„Gut“, entgegnete Stella, ohne sich umzudrehen. Sie vermied es, Luca anzusehen, wo es eben ging. Ihm in die Augen zu blicken, machte es ihr nur unnötig schwer, sich auf ihre Aufgabe zu konzentrieren. Unwillkürlich musste sie dann wieder daran denken, was in seinem Arbeitszimmer zwischen ihnen vorgefallen war und …

Sie unterdrückte ein Seufzen. Schon wieder! Warum konnte das nicht endlich aufhören? Das zwischen Luca und ihr hatte keine Zukunft. Nur eine Närrin würde glauben, dass er an einer ernsthaften Beziehung mit ihr interessiert war. Und Stella hielt sich nicht für eine Närrin.

Zumindest bislang nicht. Doch wenn sie ehrlich zu sich selbst sein wollte, dann hatte sie in den vergangenen zwei Tagen öfter mit dem Gedanken gespielt, ihren Chef anzurufen und um Ablösung zu bitten. Sie wusste nur zu gut, was er von ihr erwartete, und das deckte sich mit ihren Erwartungen an sich selbst. Und natürlich war ihr klar, dass sie in einem solchen Fall auch ihre letzte Chance verspielte, in Zukunft weiterhin als Leibwächterin tätig zu sein, und das war nun mal der Job, den sie liebte und den sie immer hatte ausüben wollen.

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