Julia Exklusiv Band 349

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SCHENK NUR EINEM DEINE LIEBE von CAROLE MORTIMER
Drei Jahre ist es her, seit Sian sich von Jarrett getrennt hat, weil er ihr untreu war. Jetzt taucht er kurz vor ihrer Hochzeit mit Chris wieder auf und flirtet frech mit ihrer Schwester! Aber wenn Sian wirklich nur Chris liebt, dann braucht sie eigentlich nicht mehr auf Jarrett wütend zu sein, oder?

VERFÜHRT VON EINEM PRINZEN von KATE HEWITT
Solch eine Anziehungskraft hat Phoebe noch nie gespürt! Der faszinierende Prinz Leo muss sie bloß ansehen, und ihr Herz schlägt höher. Doch Vorsicht: Versucht er sie etwa nur zu verführen, weil ihr kleiner Sohn der rechtmäßige Thronfolger seines hoch im Norden gelegenen Fürstentums ist?

HEISSE KÜSSE AN BORD von EMMA DARCY
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  • Erscheinungstag 29.04.2022
  • Bandnummer 349
  • ISBN / Artikelnummer 0851220349
  • Seitenanzahl 512

Leseprobe

Carole Mortimer, Kate Hewitt, Emma Darcy

JULIA EXKLUSIV BAND 349

1. KAPITEL

„Hallo, Sian, weißt du schon das Neueste?“, rief Ginny Scott aufgeregt, als sie in die Tierarztpraxis kam. „Jarrett King ist wieder da!“

Jarrett sollte zurück sein? Drei lange Jahre hatte Sian Morrissey auf diese Mitteilung gewartet – und jetzt war es zu spät! Während sie weiter Karteikarten, geordnet nach dem Nachnamen des Tierhalters, ablegte, zitterten ihr die Hände, obwohl diese Arbeit zu ihrer täglichen Routine als Sekretärin der Swanneller Tierarztpraxis Newman & Scott gehörte.

„Sian, hast du überhaupt mitbekommen, was ich gesagt habe?“ Ginny war gerade von einem vorgezogenen Mittagessen zurückgekehrt. Die erste Operation des Nachmittags, bei der sie ihrem Bruder Chris assistieren sollte, war ziemlich früh angesetzt worden. „Ich sagte …“

„Ich habe dich schon verstanden.“ Sian schob die Schublade A bis B zu und öffnete die nächste. „Da war doch wieder jemand an den Karteikarten“, murmelte sie dabei und ordnete die Karte eines gewissen Henderson richtig zu.

„Chris wahrscheinlich“, sagte Ginny, die sich mittlerweile auf Sians Schreibtisch im Eingangsbereich der Praxis niedergelassen hatte. „Er ist hoffnungslos unordentlich. Mom macht das immer ganz verrückt.“

Sian kannte Chris’ mangelnden Ordnungssinn, aber sie zog es vor, diese Eigenschaft seiner Vergesslichkeit zuzuschreiben. Chris war ein begnadeter Tierarzt, aber völlig überfordert, was den mit einer Praxisführung einhergehenden Schriftverkehr anbelangte. Seit zwei Jahren nahm sie ihm nun schon einen Großteil dieser Arbeit ab.

Ginny zeigte sich enttäuscht, dass Sian so gleichmütig auf die Neuigkeit reagierte. „Freust du dich denn gar nicht, dass Jarrett nach Swannell kommt?“

Wieder zitterten Sian die Hände. „Sollte ich es denn?“, gelang es ihr schließlich, ganz gefasst darauf zu antworten, bevor sie sich anmutig zu ihrem Schreibtisch zurückbewegte. Sie war groß, schlank und wohl proportioniert, und ihr weinroter Rock passte hervorragend zur cremefarbenen Bluse – beides schick, aber nicht aufdringlich, genau das Richtige in ihrer Stellung.

„Ich hätte schon gedacht, dass es dich wenigstens interessiert. Jarrett King ist schließlich nicht irgendjemand“, fuhr Ginny unbeirrt fort, obwohl sie seit achtzehn Monaten glücklich mit dem anderen Tierarzt der Praxis, Martin Scott, verheiratet war.

Lächelnd zog Sian eine Augenbraue hoch. „Ich verstehe überhaupt nicht, wieso dich dieser Mann so beschäftigt, Ginny. Er ist immerhin von Swannell weggezogen, bevor du hierher gekommen bist.“

„Aber Jarrett King kennt doch jeder!“, rief Ginny, und Sian dachte: Wie recht sie hat. Jarrett King war der Lokalmatador – der Mann, der in die Welt hinausgezogen war, um in Amerika die Baufirma seines Onkels zu übernehmen und Multimillionär zu werden. Zuvor hatte er einige Jahre lang die englische Niederlassung der Gesellschaft geleitet und sehr bald schon dem amerikanischen Mutterkonzern seinen Stempel aufgedrückt. Ja, jeder in Swannell kannte Jarrett King und keiner besser als Sian.

„Und ihr wart doch auch einmal befreundet“, fügte Ginny nun auch noch überflüssigerweise hinzu.

Sian stockte der Atem, zwang sich aber, ganz cool zu reagieren: „So, waren wir das? Ich will gar nicht wissen, aus welcher Gerüchteküche du das wieder hast.“

„Würde ich dir auch nicht verraten!“ Gleich darauf entschuldigte sich Ginny. „Tut mir leid, ich wollte nicht schnippisch sein, aber ich dachte wirklich, dass du über diese Neuigkeit ganz aus dem Häuschen wärst.“

Sian lächelte. „Mir tut es leid, dass ich dich diesbezüglich enttäuschen muss, meine Liebe, aber es interessiert mich überhaupt nicht, wann und warum Jarrett King nach Swannell kommt.“

„Wenn man dich so reden hört, könnte man meinen, er würde einmal die Woche von Amerika hierher jetten. Immerhin habt ihr euch doch drei Jahre nicht gesehen!“

Sian zuckte die Schultern. „Ich bezweifle, dass er lange bleiben wird.“

„Ich habe gehört …“

„Ginny, kommst du jetzt endlich!“ Chris stand auf der Schwelle zum Operationszimmer. „Ich warte schon zehn Minuten auf dich. Ich würde gern anfangen, wenn du nichts dagegen hast.“

„Ganz und gar nicht, Bruderherz“, erwiderte Ginny lächelnd und unbeeindruckt von seiner offensichtlichen Verärgerung. „Ich bin gleich da.“

Leise vor sich hin schimpfend zog sich Chris zurück.

„Solltest du jetzt nicht lieber da hineingehen, Ginny?“

„Ich habe zwanzig Jahre meines Lebens mit ihm verbracht. Chris kann mir keine Angst machen.“ Ginny grinste. „Außerdem weiß er ganz genau, dass er mich nicht entbehren kann.“

„Wie bescheiden du bist!“, neckte Sian sie und war froh, vom Thema „Jarrett King“ abgekommen zu sein.

Ginny stand auf. „Ich gehe jetzt mal, bevor das Unmögliche passiert und Chris richtig sauer wird.“

„Gerade eben schien dir das noch völlig egal zu sein.“

Ginny zuckte die Schultern. „Ich finde, er hätte dir gegenüber ein wenig mehr Aufmerksamkeit an den Tag legen können. Immerhin seid ihr doch verlobt.“

„Aber wir sind hier auch bei der Arbeit.“

„Na und, Martin gibt mir oft ein Küsschen.“

Auf dem Weg zur Tür drehte sich Ginny noch einmal zu Sian um. „Aber bei Chris kommt das natürlich überhaupt nicht infrage. Ich verstehe gar nicht, was du an ihm findest.“

Sian lachte. „Weil du seine Schwester bist.“

„Mag sein, dass es daran liegt“, murmelte Ginny und verschwand im Untersuchungszimmer.

Sian räumte noch schnell ihren Schreibtisch auf und verließ die Praxis. Zwischen zwölf und drei Uhr nachmittags hatte sie frei, da die Sprechstunde erst danach fortgesetzt wurde. Bevor Sian aber nach Hause gehen konnte, musste sie noch die Einkäufe fürs Mittagessen erledigen. Doch an diesem Tag konnte sie sich gar nicht entscheiden, was sie kochen wollte, weil sie mit den Gedanken, ohne es zu wollen, ganz woanders war – bei Jarrett.

Ob er tatsächlich nach Swannell zurückkam? Nach drei Jahren der Abwesenheit schien das ziemlich unwahrscheinlich. Trotzdem rechnete Sian jeden Augenblick damit, auf Jarrett zu treffen, während sie durch die Geschäfte ging und sich krampfhaft darauf zu konzentrieren versuchte, was sie ihren Lieben mittags vorsetzen wollte.

Swannell war ein kleines Städtchen auf dem Land, wo jeder jeden kannte. Immer wieder traf Sian jemanden und grüßte ihn.

Als sie sich endlich entschlossen hatte, Steak und Salat zu machen, fing sie an der Fleischtheke des örtlichen Metzgers mehrere neugierige Blicke auf, und ihr wurde klar, dass Ginny mit ihrer Mitteilung über Jarretts Rückkehr vielleicht doch recht gehabt hatte. Die meisten Bewohner des Städtchens wussten, dass sie, Sian, und Jarrett einmal ein Paar gewesen waren, und sicher warteten alle schon gespannt darauf, wie Sian auf seine Rückkehr reagieren würde.

Trotz allem ging Sian schließlich lächelnd nach Haus. Als sie die Tür der viktorianischen Villa öffnete, die sie mit ihrem Vater und ihrer Schwester bewohnte, hörte sie laut das Radio aus Bethanys Zimmer plärren. Trotz ihrer babyblonden Locken und den ruhig blickenden blauen Augen war Bethany die Impulsivere von beiden, was sich nicht nur an ihrem Musikgeschmack erkennen ließ.

Obwohl Sians Haar flammendrot war und die feurigen haselnussbraunen Augen anderes vermuten ließen, war sie die Vernünftige der Familie – diejenige, die sich nur von ihrem Verstand leiten ließ. Und sie wusste ganz genau, dass Jarretts Rückkehr nach Swannell nicht automatisch bedeutete, sich mit ihm treffen zu müssen. Ganz im Gegenteil!

Auch während der Zubereitung des Mittagessens beschäftigte sich Sian gedanklich mit Jarrett. Wenn er tatsächlich zurückkommen sollte, würden sie sich eines Tages unweigerlich über den Weg laufen – in einem so kleinen Städtchen wie Swannell. Aber Sian war mittlerweile mit einem anderen verlobt, und der Diamantring an ihrem Finger besagte, dass ihr Herz nun ganz allein für Chris schlagen musste.

Die verrückten ungestümen Gefühle für Jarrett gehörten auch tatsächlich der Vergangenheit an. Das würde Jarrett nur allzu schnell feststellen, falls er vorhaben sollte, alte Zeiten wieder aufleben zu lassen.

„Hallo“, sagte da ihre Schwester, die von Sian unbemerkt in die Küche gekommen war und sich nun wie selbstverständlich an den Tisch setzte. „Stell dir vor, was ich heute gehört habe!“

„Wie wär’s, wenn du den Tisch deckst?“, versuchte Sian, die sich denken konnte, worauf Bethany hinauswollte, vom Thema abzulenken.

Aber Bethany ließ sich nicht beirren und sagte: „Rate, wer nach Swannell zurückkommt!“, während sie widerwillig der Aufforderung ihrer Schwester Folge leistete.

„Jarrett King“, antwortete Sian betont locker und heilfroh, dass Ginny sie vorgewarnt hatte.

Enttäuscht runzelte Bethany die Stirn. „Woher weißt du das?“

„In einem so kleinen Nest verbreitet sich eine derartige Nachricht doch wie ein Lauffeuer.“

„Und ich dachte, ich erzähle dir was Neues!“ Bethany wirkte richtig niedergeschlagen, aber gleich darauf hellte sich ihr Gesicht wieder auf. „Aber es ist doch unheimlich aufregend, dass er zurückkommt, findest du nicht?“

Aufregend? Das ist nun wirklich nicht der richtige Ausdruck, dachte Sian. „Unpassend“ wäre treffender. Warum hatte Jarrett auch drei Jahre warten müssen? Warum kam er gerade jetzt wieder?, überlegte Sian nicht zum ersten Mal an diesem Tag und sagte dann: „Wenn ich mich recht erinnere, Bethany, hast du ihn nie gemocht.“

Bethany errötete. „Damals war ich doch noch ein Kind, erst sechzehn … Sonst hätte ich ja begriffen, was für ein gut aussehender Mann er ist.“

„Hast du ihn etwa schon getroffen?“ Sian klang forscher als beabsichtigt.

„Noch nicht, aber ich habe es vor. Ich sorge schon dafür, dass wir uns über den Weg laufen.“

„Bethany!“ Mit einem vorwurfsvollen Blick hatte sich Sian, die am Herd stand, ihrer jüngeren Schwester zugewandt.

„Hast du was dagegen?“

Sian zuckte die Schultern. „Woher willst du überhaupt wissen, dass er immer noch so gut aussieht?“

„Ich habe sein Bild in der Zeitung gesehen.“

„Davon hast du mir ja gar nichts erzählt!“ Inständig hoffte Sian, dass Bethany nicht bemerkt hatte, wie blass sie geworden war.

„Mh, ich wollte dich nicht aufregen. Außerdem war es auch nur ein kleiner Artikel und handelte vor allem von seiner Firma. Aber Jarretts Foto war echt süß.“

Nervös befeuchtete sich Sian die Lippen. „Wie … wie sah er aus?“

„Toll!“, schwärmte Bethany. „Sein Haar ist von der Sonne ein bisschen heller geworden, und er ist tiefgebräunt. Das sieht zu seinen grünen Augen echt super aus. Und erst sein Körper …“

„Bethany!“ Sian war regelrecht geschockt über den Ausdruck des Verlangens ihrer Schwester, besonders da dieser von einem Mann hervorgerufen wurde, zu dem Sian selbst einmal eine intime Beziehung unterhalten hatte. Sian erinnerte sich nur allzu gut an Jarretts Körper und kannte den Zauber, den er damit auf Frauen ausübte. Jetzt hatte sie Angst, dass ihre leicht zu beeindruckende kleine Schwester sich ebenfalls davon verleiten lassen könnte. Mit ihren neunzehn Jahren war Bethany immer noch verhältnismäßig kindlich. Sian wusste, dass sie sich das zum Teil selbst zuzuschreiben hatte, weil sie nach dem Tod ihrer Mutter sicherlich überfürsorglich gewesen war. Doch wie auch immer, in jedem Fall war Bethany viel zu naiv, um mit dem facettenreichen Charakter eines Jarrett Kings mithalten zu können. Eigentlich war keine Frau erfahren genug, um ihm nicht in die Falle zu gehen.

Also versuchte Sian, Jarrett ihrer Schwester auszureden. „Er ist doch viel zu alt für dich, Bethany.“

„Erst sechsunddreißig“, erwiderte Bethany trotzig und sah Sian aus den Augenwinkeln an. „Und außerdem warst du vor drei Jahren genauso alt, wie ich es jetzt bin.“

Da Sian Bethany nicht erklären konnte, dass Jarrett maßgeblich dazu beigetragen hatte, dass sie so schnell erwachsen geworden war, versuchte sie es jetzt mit einer Ausflucht. „Ich weiß nur, Dad wäre bestimmt nicht begeistert davon, wenn du dich mit Jarrett triffst.“

„Du sagst Daddy doch nichts davon, oder? Ich habe Jarrett noch nicht einmal gesehen. Gib mir wenigstens eine Chance!“

Warum nicht, dachte Sian, die bezweifelte, dass Jarrett sich für Bethany interessieren könnte. Jugend und Naivität waren eine Kombination, der er für immer abgeschworen hatte, als er sie, Sian, vor drei Jahren verließ.

Glücklicherweise kam genau in diesem Augenblick ihr Vater nach Hause, und das Thema „Jarrett King“ musste bis auf Weiteres ruhen.

Mr. Morrissey war Ende fünfzig, hatte immer noch volles, mittlerweile ergrautes Haar und die gleichen blauen Augen wie seine Tochter Bethany. Sian schlug eher nach ihrer Mutter, die gestorben war, als die beiden Mädchen noch zur Schule gingen. Seit ihrem vierzehnten Lebensjahr kümmerte sich Sian jetzt schon um ihren Vater und ihre Schwester, und wenn Chris und sie heirateten, beabsichtigten sie, auch weiterhin mit den beiden zusammen zu wohnen. Chris verstand sich ausgezeichnet mit ihrem Vater, und das Haus war groß genug.

„Was für ein herrlicher Anblick für einen Mann!“, begrüßte Mr. Morrissey seine Kinder, als er sich an den Tisch setzte.

„Meinst du die Steaks und den Salat?“, fragte Sian lächelnd.

„Nein, meine wunderschönen Töchter, obwohl kein Mensch glauben würde, dass ihr Schwestern seid.“

Die beiden lächelten, und Bethany rief: „Habe ich einen Hunger!“

„Fangt ruhig schon an“, erklärte Sian, der die Nachricht über Jarretts Rückkehr den Appetit verdorben hatte. „Ich muss noch etwas aus dem Garten holen.“

Nach dem Essen stellte Sian das Geschirr in die Spülmaschine und ging hinauf in ihr Zimmer. Unterwegs traf sie ihre Schwester, die gerade den Telefonhörer wieder aufgelegt hatte und versonnen vor sich hin blickte.

„Wird es nicht Zeit für dich, zum Frisiersalon zu fahren, Bethany?“

„Mh“, sagte Bethany und sah trotz ihrer Verspätung ziemlich zufrieden aus. „Ich habe gerade im Hotel ‚Swan‘ angerufen. Sie erwarten Jarrett dort täglich.“

Als Sian das hörte, schlug ihr Herz höher. Doch dann drängte sie ihre Schwester: „Bethany, es ist Viertel nach zwei, du musst los!“

„Gloria weiß doch, dass ich ihre beste Friseuse bin.“

„Exfriseuse, wenn du dich nicht beeilst. Heute Morgen warst du auch schon zu spät dran.“

„Aber nur, weil ich meine Jeans noch bügeln musste.“

„Tut mir leid, aber ich habe es diesmal nicht geschafft …“

„Sag mal, Sian, geht es dir nicht manchmal auf die Nerven, Daddys und meine Sklavin zu sein? Seit acht Jahren kümmerst du dich jetzt schon um uns und hast dich noch kein einziges Mal beklagt. Nie ist dir irgendwas zu viel.“

Sian lächelte. „Mir war bisher gar nicht klar, dass ich eure Sklavin bin. Ich dachte, ich tue die Hausarbeit aus Liebe zu euch – weil wir eine Familie sind.“

Bethany stand auf und drückte Sian. „Das sind wir auch. Aber brauchst du nicht mal eine Pause? Ist dir nicht manchmal danach, zu sagen: ‚Zum Teufel mit euch‘ und einfach wegzugehen?“

„Als du ein ungezogenes Gör von dreizehn warst, habe ich ziemlich oft daran gedacht.“ Sian lachte, als Bethany daraufhin errötete. „Aber ich habe nie wirklich in Erwägung gezogen, Daddy und dich allein zu lassen.“ Plötzlich war Sian wieder ganz ernst. „Mom … nun, sie hätte von mir erwartet, dass ich mich um euch kümmere.“

„Aber als sie starb, warst du doch auch erst vierzehn. Wäre es dir da nicht lieber …?“

„Bethany“, unterbrach Sian sie geduldig, „Gloria mag dir einige Vorschusslorbeeren gewähren – und vielleicht sogar, weil du ihre beste Friseuse bist, aber …“

„Wer macht dir eigentlich die Haare, Sian?“

„Na, du natürlich.“ Sian lachte, ließ sich aber nicht beirren. „Auch Gloria hat ihre Schmerzgrenze. Du bist jetzt schon wenigstens eine halbe Stunde zu spät.“

Bethany schnitt ein Gesicht. „Heute muss ich das elende Blau-weiß von Mrs. Jones Haaren erneuern.“

„Unheimlich beruhigend, wie schnell du die Schönheitsgeheimnisse deiner Kundinnen ausplauderst.“

Bethany lachte. „Ich würde nie verraten, dass du schon einige graue Haare hast.“

„Erstens waren es nicht einige, und zweitens waren sie nicht grau. Das eine, das du letzte Woche entdeckt hast, war blond.“

„Na klar!“, spottete Bethany. „Weil jemand mit so feuerroten Haaren wie du auch hin und wieder ein blondes Strähnchen bekommt – ein Geschenk von Mutter Natur sozusagen. Aber die Farbfrage werden wir erst klären können, wenn anstelle des einen Haars, das du dir ausgerissen hast, zwei neue – meiner Meinung nach graue – nachgewachsen sind.“

Sian lachte. „Mach jetzt, dass du zur Arbeit kommst!“

„Ich gehe ja schon, ich gehe ja schon“, sagte Bethany, nahm aber, bevor sie die Treppe hinuntereilte, noch eine Illustrierte, die sie Sian mit den Worten reichte: „Der Artikel über Jarrett ist da drin.“

Eine Weile hielt Sian die Zeitung unschlüssig in der Hand. Irgendwie hatte sie Angst davor, einen Blick hineinzuwerfen. Doch auch Bethanys Bewunderung für Jarrett machte ihr Sorgen. Sian wusste besser als jede andere, wie groß die Gefahr war, dass Jarrett ihrer kleinen Schwester mit seinem Egoismus und seiner Gleichgültigkeit sinnlos wehtat.

Aber schließlich konnte sie sich nicht länger zurückhalten, sie musste das Hochglanzmagazin aufschlagen. Als sie die Abbildung von Jarrett sah, der aus einem unerfindlichen Grund in Badehose posierte, stockte ihr der Atem. Bethany hatte recht, Jarrett sah umwerfend aus. Seine schlanken, muskulösen Beine, die schmalen Hüften, der Waschbrettbauch und die breiten Schultern riefen Gefühle in ihr wach, die sie seit langem vergessen geglaubt hatte.

Erst danach betrachtete Sian eingehend sein Gesicht, das sich ein wenig verändert hatte. Das Kinn wirkte zwar immer noch genauso energisch, der Mund war kräftig und gefühlvoll wie früher, und auch die grünen Augen blickten herausfordernd wie eh und je. Ein wenig verwundert war Sian allerdings über seinen zynischen Ausdruck, auch die Fältchen um den Mund schienen ausgeprägter, als wäre Jarrett nachts oft unterwegs gewesen. Offensichtlich hatte er die letzten drei Jahre nicht damit verbracht, sich nach Swannell zu sehnen – oder nach irgendjemandem, der hier wohnte.

In dem Artikel stand zu lesen, dass sein Onkel vor einigen Monaten verstorben war, Jarrett die Leitung der Firma übernommen hatte und beabsichtigte, seine Aktivitäten in England auszudehnen.

Erschrocken hielt Sian inne. Was, wenn er deshalb nach Swannell zurückkam? Womöglich, um hierzubleiben? Aber nein, das Büro in Swannell war ja schon seit Langem geschlossen.

Sian zwang sich, auch noch den Rest des Berichts zu lesen. Das Ende verwunderte sie ein wenig. Da war von einer gewissen Arlette die Rede, deren Name ihr aber nichts sagte. Höchstwahrscheinlich handelte es sich dabei um die aktuelle Frau in Jarretts Leben. Sian sah sie schon vor sich. Bestimmt war sie wunderschön, gebildet und trotzdem unheimlich sexy – so wie Jarrett es gern hatte. Oder besser gesagt, wie er es von einer Frau erwartete!

Entschlossen warf Sian die Illustrierte schließlich aufs Bett und ging die Treppe hinunter. Sie hatte schon zu viel Zeit damit verbracht, an diesen Mann zu denken, der in all den Jahren mit Sicherheit keinen einzigen Gedanken an den naiven Teenager verschwendet hatte, der sie noch vor drei Jahren gewesen war.

Mittlerweile war es auch schon fast drei Uhr, und Sian musste zurück in die Praxis. Eine Minute vor Ablauf ihrer Mittagspause saß sie wieder im Büro und lächelte Chris an, der sich zu ihr gesellt hatte. Er war ein besonders gut aussehender Mann, hatte dunkles, welliges Haar, das er ganz kurz zu tragen pflegte, und freundliche blaue Augen, die aber durchaus in der Lage waren, stürmische Gefühle auszudrücken. Er trieb gern Sport und hatte einen entsprechend muskulösen Körper.

Vor fast drei Jahren war Chris mit seinen Eltern und seiner Schwester Ginny nach Swannell gezogen. Kurze Zeit später hatte er mit Martin Scott die Tierarztpraxis eröffnet. Seitdem hatten die beiden ihren Klientenstamm beständig erweitern können.

Zunächst war Sian vor allem von Chris’ Art, mit Tieren umzugehen, beeindruckt gewesen. Er konnte auch noch die reißendste Bestie in ein handzahmes Lämmchen verwandeln. Allerdings hatte er bei ihr ziemlich lange gebraucht, bis sie sich zu einem ersten Rendezvous einverstanden erklärt hatte. Innerhalb eines Jahres, in dem sie regelmäßig miteinander ausgegangen waren, hatte sich Sians Bewunderung für ihn dann in Liebe verwandelt, und mittlerweile trug sie seinen Verlobungsring.

Jetzt beugte sich Chris zu ihr hinunter, um ihr einen Kuss zu geben, solange die Tür noch abgeschlossen und mit Klienten nicht zu rechnen war. „Hattest du einen netten Nachmittag, Liebling?“

„Einen hektischen“, gestand Sian ihm ein und löschte jeden Gedanken an Jarrett King aus ihrem Gedächtnis. Es erschien ihr als Treuebruch Chris gegenüber, an eine Beziehung zu einem anderen Mann zu denken – selbst wenn diese nun schon Jahre zurücklag. Immerhin war sie inzwischen wieder verlobt und beabsichtigte nach wie vor, Chris auch zu heiraten. „Und wie war deine Mittagspause, Schatz?“, fragte sie lächelnd.

„Ganz okay. Wie wär’s, wenn wir heute Abend zusammen essen gingen?“

„Das wäre wunderbar“, erwiderte Sian, als es an der Tür klingelte. „Dein erster Patient“, sagte sie wehmütig lächelnd und stand auf.

„Hoffentlich ist es ein zutraulicher kleiner Hamster. Mit den Schlangen würde ich lieber noch warten.“

Sian lachte, während sie die Tür öffnete. Vor einigen Wochen hatte direkt nach der Mittagspause der Zoodirektor der nächst größeren Stadt angerufen, weil irgendein Bewohner des Terrariums – so hatte er sich ausgedrückt – ein merkwürdiges Verhalten an den Tag lege. Als Chris im Zoo eingetroffen war, hatte sich herausgestellt, dass es sich um eine Riesenwürgeschlange handelte, die einen Plastikball verschluckt hatte. Nach diesem Einsatz konnte sich Sian des Eindrucks nicht erwehren, dass Chris das erste Mal bereut hatte, Tiermedizin studiert zu haben.

Diesmal war der erste Patient zwar kein zutraulicher Hamster, aber ein drei Monate altes schmusiges Kätzchen.

Die nächsten Stunden vergingen wie im Flug. Es war schon halb acht, als Chris und Sian die Praxis verließen. Sie fuhren noch bei Sian zu Hause vorbei. Während Sian hinauf in ihr Zimmer ging, um sich umzuziehen, gesellte sich Chris zu ihrem Vater ins Wohnzimmer. Die beiden Männer hatten sich von Anfang an sehr gut verstanden und redeten gern miteinander.

Im Flur des oberen Stockwerks traf Sian auf Bethany, die schon wieder am Telefon hing und sie jetzt beinah erschrocken ansah, bevor sie rasch auflegte. Gleich darauf kam sie zu Sian ins Zimmer und erklärte atemlos: „Du bist heute aber früh dran!“

„Chris und ich wollen essen gehen.“

„Oh, dafür ist es dann aber schon ziemlich spät. Ich gehe auch aus.“

„Ja?“

„Könnte … würdest du mir deine schwarze Bluse leihen? Die sieht zu meiner grauen Samthose super aus. Du wolltest sie heute doch nicht zufällig selber anziehen?“

„Nein.“ Sian lachte und gab ihrer Schwester das gewünschte Kleidungsstück. „Aber dafür musst du mich zuerst ins Bad lassen.“

„In Ordnung.“

„Viel Spaß heute Abend, Bethany.“

„Dir auch.“

Sian bezweifelte nicht im Mindesten, dass es ein gelungener Abend werden würde. In Chris’ Gesellschaft war es immer nett, und das „Raven“ galt als ausgezeichnetes Speiselokal – nicht zu groß und nicht zu teuer. Ein hervorragender Ort, um sich nach Feierabend zu erholen.

Eine halbe Stunde später saß Sian mit Chris an ihrem Lieblingsplatz. Über den Tisch hinweg hielten sie verliebt Händchen. Chris sah unheimlich adrett aus. Sein Gesicht war sonnengebräunt, und er strahlte. Sian war sich bewusst, dass so manche Frau sie um ihren Begleiter beneidete.

Aber von einem Augenblick auf den nächsten wurde ihre Aufmerksamkeit ganz von der Person in Anspruch genommen, die da soeben auf der Türschwelle erschienen war. Kein Wunder! Jarrett hatte sich eigentlich überhaupt nicht verändert. Seine Erscheinung war immer noch genauso beeindruckend wie vor drei Jahren.

Erst nachdem Sian sich einigermaßen wieder gefangen hatte, stelle sie fest, dass Jarrett von einer Frau begleitet wurde – einer sehr jungen, wunderschönen Frau, die Sian nur allzu bekannt war: Bethany! Zu allem Überfluss hing ihre kleine Schwester auch noch hingebungsvoll an Jarretts Arm.

Schließlich zwang sich Sian, den Blick von Bethany zu wenden und Jarrett anzusehen. Wieso Bethany bei ihm war, könnte sie auch später zu Hause klären. Aber Sian hatte irgendwie den Eindruck, dass ihrer Schwester der Abend mit Jarret nicht guttun würde.

Es durchfuhr sie heiß, als Jarrett ihren Blick erwiderte. Die Zeit schien still zu stehen, und Sian bemerkte nur, wie Jarretts Augen dunkler wurden, je länger er sie ansah. Dabei umspielte ein jungenhaftes Lächeln seinen Mund, das sie an die Zeit von vor drei Jahren erinnerte, da diese Mimik bei ihr ausgereicht hatte, um sich ihm in die Arme zu werfen.

Aber nun hatte sie ja Chris! Zur Begrüßung nickte sie Jarrett kühl zu, riss sich schließlich von seinem Anblick los und wandte sich wieder ihrem Verlobten zu. „Chris, ich …“

„Sian, wie geht es dir denn?“, wurde sie da von Jarrett unterbrochen.

Auch seine Stimme war immer noch genauso tief und leicht heiser wie früher und offenbarte, wie sehr dieser Mann in sich selbst ruhte.

Langsam drehte sich Sian zu ihm um, bemüht, sich nichts von ihrer Erregung über das mehr oder weniger unerwartete Wiedersehen anmerken zu lassen. Groß, schlank und unheimlich attraktiv stand er da an ihrem Tisch, und Sian musste schlucken. Dabei drückte sie Chris’ Hand unwillkürlich noch fester und bemerkte gar nicht den irritierten Blick ihres Verlobten. „Danke, ich kann nicht klagen, Jarrett“, sagte sie schließlich erstaunlich gefasst, obwohl ihr die ganze Situation wie ein Albtraum vorkam, in dem sie wundersamer Weise sprechen konnte.

„Schön zu hören, dass es dir gut geht“, antwortete Jarrett zufrieden. „Aus dem hübschen Teenager ist eine wunderschöne Frau geworden – wenn ich das so sagen darf“, fügte er in seinem leicht heiseren Tonfall noch hinzu, bevor er sich an Chris wandte. „Freut mich, Sie kennenzulernen, Mr. …?“

„Newman, Christopher Newman.“ Chris war aufgestanden und schüttelte Jarrett freundlich die Hand, wobei Sian allerdings seinem Blick entnehmen konnte, dass ihm die ganze Sache nicht geheuer war.

„Mein Verlobter“, sagte sie gleich darauf – vielleicht ein wenig zu laut – und fragte sich im selben Augenblick, wieso sie es eigentlich nötig hatte, Jarrett auf diese Art und Weise herauszufordern. Ihm konnte doch völlig egal sein, in welchem Verhältnis sie zu Chris stand oder welche Rolle er in ihrem zukünftigen Leben spielen würde.

„Tatsächlich?“, fragte Jarrett betont locker, wozu sein Blick und die hochgezogene Augenbraue so gar nicht passen wollten. „Wann findet die Hochzeit denn statt?“

Als Sian die unverhohlene Wut in Jarretts Augen blitzen sah, wurde sie blass. Selbst wenn ihr Leben davon abgehangen hätte, wäre sie jetzt nicht in der Lage gewesen, Jarretts Frage zu beantworten. Die Zunge schien ihr am Gaumen festzukleben, und Sian sah hilfesuchend zu Chris hinüber.

„Nächsten Monat“, hörte sie ihn da auch schon sagen. „Nur noch vier Wochen, und Sian ist meine Frau“, fügte er stolz hinzu, woraufhin der Zorn in Jarretts Blick außer Kontrolle zu geraten drohte.

Und Sian wusste ganz genau, warum. Jarrett konnte es sicher nur schwer ertragen, dass sie als seine ehemalige Verlobte nun einen anderen heiratete.

2. KAPITEL

Bei der Vorstellung, dass sie einmal beinah die Frau dieses Mannes geworden wäre, lief es Sian eiskalt den Rücken hinunter. Rückblickend konnte sie von Glück sagen, dass er nach Amerika ausgewandert war, um seinem Onkel dort unter die Arme zu greifen. Sicherlich wäre sie auch mit ihm gegangen, hätte ihr die Sache mit Nina nicht die Augen geöffnet. Es stellte sich allerdings die Frage, ob Jarrett und sie dann heute noch verheiratet wären.

Jarrett sah ganz so aus, als würde er die Freiheit und Macht genießen, die ihm sein neu erworbener Reichtum ermöglichte. Und dass er ein wenig überarbeitet wirkte, hatte sicherlich nicht nur mit seinem anstrengenden Büroalltag zu tun. So wie Sian ihn kannte, war da garantiert auch eine Frau mit im Spiel – wahrscheinlich diese Arlette, auf die schon in dem Illustriertenartikel hingewiesen worden war. Aber warum begleitete sie ihn nicht?

Vielleicht zog Jarrett es immer noch vor, seine jeweilige Geliebte zu Hause zu lassen, damit er sich ungestört mit jemand anders vergnügen konnte. Und es deutete alles darauf hin, dass Jarrett sich diesmal die Zeit mit Bethany vertreiben wollte!

Bethany war sechzehn gewesen, als Sian mit Jarrett gegangen war. Damals hatte er Bethany wie ein ungezogenes Gör behandelt – und nicht ganz zu Unrecht. Dauernd versuchte sie, Jarrett und Sians Rendezvous zu stören. Ständig platzte sie ins Zimmer oder musste Sian irgendeine völlig unwichtige Frage stellen. Aber mit dreiunddreißig war Jarrett absolut nicht mehr der verschüchterte junge Mann, der sich die Eskapaden der Schwester seiner Auserwählten gefallen ließ, nur um einige Minuten mit der Frau seiner schlaflosen Nächte allein zu sein. Jarrett war wahnsinnig potent und entschlossen, seine Männlichkeit auszuleben. Das hatte Sian bisher so bei keinem anderen Mann erlebt. Und Bethany war ihm dabei nur im Weg.

Eines Nachmittags hatte er ihr eine Standpauke gehalten, woraufhin Bethany sich immer sofort in ihr Zimmer verzogen hatte, sobald Jarrett auftauchte. Aber mittlerweile schien sie alt genug zu sein, das feurige Begehren, das von diesem Mann ausging, selbst zu empfinden. Auch Sian war damals mit neunzehn nicht in der Lage gewesen, ihre Gefühle zu bezähmen, sobald sie mit Jarrett allein war, und befürchtete nun, Bethany könnte ihm genauso verfallen.

Aber ihre Schwester schien das nicht im Mindesten zu ängstigen. Für alle sichtbar hatte sie sich bei ihm untergehakt und bemerkte in ihrer beinah kindlichen Bewunderung für Jarrett gar nicht, welche Gefahr von ihm ausging – dass er eine Frau im Handumdrehen zugrunde richten und dann einfach davongehen konnte, ohne sich nur ein einziges Mal umzudrehen.

Genau das hatte er auch mit Sian getan. Wie sehr sie ihn damals geliebt hatte! Sie hätte alles für ihn gegeben. Aber ihre uneingeschränkte Liebe war ihm nicht genug gewesen.

„Liebling?“

Wie in Trance blickte Sian nun zu Chris hinüber. „Entschuldige bitte, aber was hast du gesagt?“, fragte sie dann zerstreut.

Verwundert über ihre Unaufmerksamkeit, runzelte Chris die Stirn. „Mr. King hat uns zu unserer Verlobung gratuliert.“

„Tatsächlich?“ Sian wandte sich Jarrett zu, war aber nicht in der Lage, seinem Blick irgendeine Reaktion zu entnehmen. Die Wut schien gewichen, und an ihre Stelle war nur Desinteresse getreten.

Aber er hatte ja auch kein Recht, ungehalten über Sians Verlobung zu sein. Sian hatte lange genug auf ihn gewartet. Ein ganzes Jahr lang, in dem sie jeden Abend auf ihrem Bett gelegen und auf die gewohnten Schritte auf der Treppe gelauscht hatte. Die Zeit war nur so dahingekrochen, und Jarrett kam es absolut nicht zu, irgendeine Gefühlsregung zu zeigen, weil Sian nun – drei Jahre später – einen anderen heiratete.

„Warum leistet ihr beide, Mr. Newman und du, uns nicht Gesellschaft, Sian? Wir haben einen größeren Tisch reservieren lassen und könnten eure Verlobung gebührend feiern?“

„Das ist sehr freundlich von Ihnen, Mr. King …“

„Nein!“, unterbrach Sian ihren Verlobten da mit ungewöhnlicher Schärfe und errötete, als sie sah, dass Jarrett daraufhin die Augen zusammenkniff. Chris anzusehen wagte sie nicht. Der Arme verstand bestimmt die Welt nicht mehr! „Wir haben schon angefangen zu essen“, fügte Sian schließlich hinzu und deutete auf die angeschnittene Melone vor sich.

„Aber das ist doch kein Problem“, erwiderte Jarrett. „Nehmt die Teller einfach mit an unseren Tisch.“

„Siehst du denn nicht, Jarrett, dass die beiden lieber allein wären?“, flötete da Bethany neben ihm. „Bestimmt müssen sie noch ihre Hochzeitsvorbereitungen besprechen.“

Wieder bekamen Jarretts Augen diesen ungehaltenen Ausdruck, und Sian wurde das Gefühl nicht los, dass ihm ihre bevorstehende Heirat mit Chris absolut gegen den Strich ging.

„Wir müssen uns tatsächlich noch darüber unterhalten, wie wir den Empfang gestalten wollen“, erwiderte Sian äußerlich unbeeindruckt von Jarretts offensichtlichem Missfallen. „Und wir möchten euch nicht mit den Details langweilen.“

„Über deine Hochzeit zu sprechen wird mir bestimmt nicht langweilig“, sagte Jarrett mit fester Stimme, sah Sian herausfordernd an und fügte dann leise hinzu: „Ich habe darin auch schon so meine Erfahrung.“

Sian errötete und wurde gleich darauf wieder ganz blass. „Es kann ziemlich ermüdend sein, über Hochzeitsvorbereitungen zu sprechen“, sagte sie, „besonders, wenn es sich schließlich als unnötig erweist.“

„Sian, ich …“

Aber sie sollte niemals erfahren, was Jarrett ihr auf diese nur allzu offensichtliche Spitze hatte antworten wollen, denn Bethany kam ihm noch gerade rechtzeitig zuvor, indem sie feststellte: „Unser Tisch ist so weit.“

Jarrett nickte Sian und Chris zum Abschied zu. „Schön Sie kennengelernt zu haben, Mr. Newman“, erklärte er noch und ging dann scheinbar verliebt plaudernd mit Bethany zu seinem Tisch.

„Das ist also der famose Mr. King“, sagte Chris verächtlich, der den beiden nachgesehen hatte.

„Ja, das ist er“, bestätigte Sian ein wenig verwirrt über Chris’ Reaktion. Nie hätte sie gedacht, dass er seine Abneigung Jarrett betreffend so offenkundig zum Ausdruck bringen würde. Abgesehen von dem etwas übereilten Abgang, hatte sich Jarrett doch ganz höflich verhalten. Aber trotzdem schien Chris ihn auf Anhieb unsympathisch gefunden zu haben, obwohl er sonst mit allen Menschen gut auskam. Jarrett bildete dabei wohl die große Ausnahme.

„Er ist ganz anders, als ich ihn mir vorgestellt habe“, sagte Chris nun wie zu sich selbst und fügte stirnrunzelnd hinzu: „Bethany sollte nicht mit ihm ausgehen.“

Sian erstarrte, obwohl Chris nur das ausgesprochen hatte, woran sie selbst auch schon gedacht hatte. „Und wieso nicht?“

„Sie ist zu jung, um mit einem solchen Piranha klarzukommen …“

„Übertreibst du da nicht ein wenig, Chris?“ Sian hatte die Frage vielleicht ein bisschen zu heftig gestellt, entsprechend kniff nun auch Chris die Augen zusammen, bevor er aufgebracht entgegnete: „Wieso verteidigst du ihn eigentlich?“

„Das tue ich doch gar nicht …“

„Ach nein?“, stieß Chris ärgerlich hervor. „Für mich hört es sich aber ganz so an.“

Sian wandte sich zu Jarretts und Bethanys Tisch um und sagte schließlich: „Ich muss dir recht geben: Jarrett passt absolut nicht zu ihr. Aber ich finde nicht, dass er etwas von einem Piranha hat.“

Chris’ Augen blitzten wütend. „Auch nicht, nachdem er dich hat sitzen lassen?“

Sian wurde aschfahl und sah ihren Verlobten erschrocken an. „Was weißt du davon?“, brachte sie schließlich heraus, wobei sie das Stück Baguette auf ihrem Teller zerkrümelte.

Chris schnitt ein Gesicht. „Nur, was die Leute einem so erzählen, wenn man vorhat, eine Frau zu heiraten, die schon einmal verlobt war.“

Sian schluckte. Sie hatte nicht damit gerechnet, dass Chris von dem Klatsch gehört hatte. „Vielleicht hat man dir nur Lügenmärchen aufgetischt.“

„Er ist doch mit einer anderen Frau auf und davon, oder etwa nicht?“, fragte Chris höhnisch.

„Ja.“ Immer noch berührte es Sian schmerzlich, wenn sie daran dachte.

Glücklicherweise wurde in diesem Augenblick der Hauptgang serviert, und nachdem sich der Ober wieder entfernt hatte, murmelte Chris: „Wir sollten jetzt essen, Sian. Hier ist wohl kaum der richtige Ort, um uns weiter über Jarrett King zu unterhalten.“

Dabei dachte Sian, dass dazu wahrscheinlich überhaupt kein Ort der richtige wäre, denn letztlich ging dieses Thema nur sie und Jarrett etwas an. Ja, er war mit Nina Marshall fortgegangen, und Sian hatte zunächst gedacht, dass er Nina eben mehr liebte als sie. Mit der Zeit hätte Sian ihm vielleicht vergeben können. Aber als Nina einige Wochen später ohne Jarrett nach Swannell zurückkehrte, wurde offensichtlich, dass ihm keine von beiden genügt hatte. Er hatte sie nur als seine Gespielinnen betrachtet – und sich damit abzufinden, eine unter vielen gewesen zu sein, tat ihr immer noch weh.

Schweigend saßen Chris und Sian nun vor ihren Tellern. Jeglicher Zauber des Abends war verflogen. Als der Ober sie fragte, ob sie noch einen Kaffee trinken wollten, lehnten beide dankend ab, bestrebt, das Restaurant so schnell wie möglich zu verlassen.

Nachdem Chris bezahlt hatte, ging er Sian voran auf den Ausgang zu. Dabei mussten sie an Jarretts Tisch vorbei, und Jarrett nutzte die Chance und ergriff Sian unvermittelt beim Handgelenk. Erschrocken sah sie ihn an und blickte sich dann hilfesuchend nach Chris um. Aber er war schon weitergegangen, um den Wagen zu holen, und hatte Jarretts Übergriff nicht bemerkt.

„Lass mich los!“, befahl Sian Jarrett umgehend, bemüht, nicht zu laut zu sprechen. Dabei fühlte sie die Berührung seines Arms brennend an ihrer Hüfte.

„Nein, das tue ich nicht!“, entgegnete Jarrett und erhob sich. Da stand er nun wie früher vor ihr – groß, kräftig und zum Verlieben gut aussehend. „Sian, ich muss unbedingt mit dir reden.“ Mittlerweile hatte er auch noch ihr anderes Handgelenk ergriffen und hielt ihre Hände an seine breite Brust gedrückt.

„Warum?“, fragte Sian ausdruckslos. „Ist es für ein Gespräch zwischen uns nicht ein bisschen zu spät? Ich dachte, wir hätten uns alles Notwendige schon vor drei Jahren gesagt.“

„Sian …“

„Liebling, können wir jetzt gehen?“ Chris war zurückgekommen, nachdem er bemerkt hatte, dass Sian nicht mehr hinter ihm war. Als er feststellte, wie Jarrett seine Verlobte anfasste, verwandelte sich seine Verwunderung in Ärger. „Wenn es Ihnen nichts ausmacht, King …“ Er zog Sian zu sich und sah Jarrett herausfordernd an. „… lassen Sie Ihre Finger von Sian! Es mag Ihrer Aufmerksamkeit entgangen sein, aber Sian trägt jetzt meinen Verlobungsring.“

Sian war richtig erschrocken über Chris’ rüden Ton – besonders, nachdem sie bemerkt hatte, wie Jarrett darauf reagierte.

„Sian hat nie einen Verlobungsring von mir getragen! Solche Äußerlichkeiten waren nicht notwendig, um uns und der Welt klarzumachen, dass sie zu mir gehört.“

Sian fehlten die Worte und ihr wurde ganz schwindelig. Nur mit Mühe gelang es ihr, sich aufrecht zu halten, während Chris ihre Hand umklammerte.

„Nun, jetzt gehört sie Ihnen nicht mehr“, antwortete Chris forsch und wurde ganz weiß vor Wut. „Also halten Sie sich von ihr fern!“

„Das werde ich nur, wenn Sian es auch wünscht – und ich der Meinung bin, dass sie es wirklich so meint“, erwiderte Jarrett ebenso bissig. „Also, erteilen Sie mir keine Befehle, Newman! Sian kann Ihnen nur allzu genau sagen, wie viel besser ich auf Überredungskünste – welcher Art auch immer – reagiere.“

„Unterstehen Sie sich …“

„Bitte lass uns gehen, Chris!“ Sian hatte endlich ihre Sprache wiedergefunden. Jarretts letzte Bemerkung war einfach zu viel gewesen. Kalt sah sie ihn an. „Und dich bitte ich, mir vom Leib zu bleiben, Jarrett, ebenso wie du dich von Bethany fernhalten solltest.“

Sians Schwester errötete tief. „Sian, wie kannst du …?“

„Ich finde auch, dass ihr das nicht zukommt“, stieß Jarrett hervor und bedachte Bethany mit einem betörenden Lächeln. „Und ich soll dir auch nicht wirklich vom Leib bleiben, Sian.“ Mittlerweile sah er sie wieder an – diesmal scheinbar belustigt. „Ich habe immer gewusst, wann du die Wahrheit sagst – und das da eben war sie nicht.“

Demonstrativ hakte sich Sian nun bei Chris unter und entgegnete spitz: „Wie schade, dass ich mir bei dir nie sicher sein konnte, ob du ehrlich zu mir warst oder nicht.“ Dabei kümmerte sie keineswegs, dass sie mit dieser Äußerung sozusagen zum Angriff übergegangen war. „Denn, wenn dem so gewesen wäre, hätte ich von Anfang an gewusst, was von dir zu halten ist.“

„Das da wäre?“

„Nun, du zählst zu den Männern, die ich nicht gern mit meiner Schwester zusammen sehe!“ Rasch wandte Sian daraufhin den Blick von ihm ab, da Jarrett die Wut über diese Bemerkung kaum verbergen konnte. Zu ihrer Schwester gewandt, fuhr Sian fort: „Und wir sprechen uns noch, wenn du nach Hause kommst.“

„Ich bin kein kleines Kind mehr, Sian!“

„Eben, deshalb müssen wir uns ja auch unterhalten.“

„Na, du bist wohl noch immer das Gewissen deiner ganzen Familie, was?“, fragte Jarrett spöttisch.

„Nein“, entgegnete Sian kalt, „Dad und Bethany liegen mir am Herzen – und deshalb sorge ich mich um sie. Aber das kann jemand wie du ja nicht nachvollziehen. Wenn du uns jetzt entschuldigen würdest.“

Diesmal gelang es Chris und ihr, unbehelligt das Restaurant zu verlassen.

Nachdem Chris Sian die Wagentür offen gehalten hatte, knallte er sie wütend zu, und als er sich schließlich neben Sian ans Steuer setzte, platzte er heraus: „Dieser Typ ist ein arroganter Mistkerl!“

Es erstaunte Sian, dass Chris zu einer derartigen Äußerung überhaupt fähig war, aber sie musste ihm recht geben. Jarrett war noch eingebildeter als früher und darauf aus, Ärger zu machen – warum auch immer. In der Vergangenheit hatte er sie schon einmal sehr verletzt und sich nun auch noch in ihre Beziehung zu Chris gedrängt, die dadurch anscheinend ihren ersten Knacks bekommen hatte. Denn auf dem Weg zu ihr nach Hause raste Chris wie ein Wilder.

„Ich komme mit rein“, erklärte er dann mit einem entschiedenen Funkeln in den Augen. „Ich muss mit dir reden.“

Und Sian dachte: Das hat Jarrett auch gesagt.

Ihr Vater war noch auf, und während Sian Tee kochte, dachte sie nur darüber nach, was Jarrett wohl mit ihr zu besprechen hatte – besonders jetzt, da er sich mit ihrer Schwester traf. Sie durfte es einfach nicht zulassen, dass er Bethany genauso wehtat wie ihr.

Nachdem sie schweigsam ihren Tee getrunken hatten, verabschiedete sich Mr. Morrissey, um ins Bett zu gehen. Er dachte sicher, Chris und Sian würden sich in der Minute in den Armen liegen, da er ihnen den Rücken kehrte.

Aber Chris’ Frage ließ anderes vermuten: „Wird unsere Hochzeit nach heute Abend überhaupt noch stattfinden? Oder unsere Flitterwochen, wenn wir schon einmal davon sprechen?“

Sian war ganz blass geworden. „Was meinst du damit?“

Schwungvoll stand er auf, als machte ihn das Sitzen ruhelos. „Erzähl mir nicht, dass es dir völlig egal ist, Jarrett getroffen zu haben“, spottete er.

„Ich muss zugeben, dass ich es ein wenig … merkwürdig fand. Aber das ist auch schon alles.“

„Wie bitte?“ Chris hatte angefangen, nervös auf und ab zu gehen. „Wenn ich mir nur vorstelle, wie er dich angefasst hat. Am liebsten hätte ich ihm auf der Stelle eine verpasst.“

Insgeheim war Sian dankbar, dass Chris sich zurückgehalten hatte, denn Jarrett wäre ihm körperlich zweifellos überlegen gewesen. „Das hat mir auch nicht gefallen …“

„Ach? Es sah aber nicht so aus, als ob du ihn weggebissen hättest.“

„Weil ich keine Szene machen wollte – vor all den Leuten.“

„Mh, was wollte er überhaupt von dir?“

„Mit mir reden.“

„Reden?“ Chris lachte verächtlich. „Mir hatte es ganz den Anschein, als wäre es das Letzte, wonach diesem King der Sinn stand. Er hat dich mit Blicken ja beinah ausgezogen!“

Sie wandte sich ab.

„Erzähl mir von ihm, Sian! Wieso habt ihr euch damals getrennt?“

„Weil wir nicht zueinander gepasst haben.“

Chris fasste sie bei den Schultern und drehte sie wieder zu sich um. „Diesen Eindruck hat er mir aber überhaupt nicht vermittelt – ganz im Gegenteil. Besonders in einer ganz bestimmten Beziehung nicht.“ Forschend sah Chris Sian in die Augen, die sie unwillkürlich schloss. Sie wusste genau, dass Chris darin würde lesen können, dass die Erinnerung an ihre Beziehung zu Jarrett noch viel zu lebendig war. Nie würde sie vergessen, wie sie in jenem Sommer zusammen im Fluss gebadet und sich danach zum ersten Mal geliebt hatten – auf einer Decke unter dem Weidenbaum, dessen herunterhängende Zweige sie vor den Blicken der Welt geschützt hatten. Nach diesem ersten, bezaubernden Mal hatten sie viele Sommernachmittage miteinander verbracht, wobei sie niemals genug voneinander bekommen konnten und sich schon sehnsüchtig auf das nächste Mal freuten, wenn sie sich wieder ungestört lieben durften.

„Du hast mit ihm geschlafen!“, holte da Chris’ vorwurfsvolle Feststellung Sian auf den Boden der Tatsachen zurück.

Sian sah ihn an. „Ich habe dir doch gesagt, dass es vor dir noch jemanden gegeben hat …“

„Aber dass es sich dabei um Jarett King gehandelt hat, hast du mir verschwiegen!“, grummelte Chris. „Warum musstest du auch gerade mit ihm ins Bett steigen?“

„Warum nicht? Immerhin wollten wir heiraten.“

„Und warum habt ihr es nicht getan?“

„Äußere Umstände.“

Chris’ Blick verfinsterte sich. „Damit meinst du wohl Nina Marshall.“

Verlegen sah Sian auf ihre gefalteten Hände. „Ja, und danach ist er nach Amerika gegangen, und ich beschloss, hierzubleiben.“

„Warum?“

„Bitte, Chris!“

„Ich muss es wissen, Sian!“ Chris seufzte ungeduldig. „Habe ich denn kein Recht, Bescheid über euch zu wissen?“

„Ich … ich denke schon.“ Bevor sie weitersprechen konnte, musste sich Sian erst einmal setzen. „Ich war neunzehn, als ich Jarrett kennenlernte. Oh, ich kannte ihn schon vorher vom Sehen – wie es in einer Kleinstadt wie Swannell üblich ist. Ich wusste, dass er eine Freundin hatte: Nina Marshall. Aber Jarrett und ich lernten uns eines Tages durch Zufall besser kennen.“

Es war Liebe auf den ersten Blick gewesen, aber das durfte Sian Chris nicht erzählen.

„Bei uns am Haus musste irgendwas repariert werden, und ich habe den Bauarbeitern Äpfel aus dem Garten gebracht. Jarrett war auch da, um sich mit seinen Leuten zu besprechen. Danach kamen wir beide ins Gespräch und …“

„Und dann hat er einfach seine Freundin fallen lassen, um mit dir auszugehen“, spottete Chris.

Sian errötete. „Nicht ganz. Er erklärte mir, dass sich ihre Beziehung schon seit einiger Zeit abgekühlt und die Begegnung mit mir dem Ganzen einfach nur früher ein Ende gesetzt hätte.“

„Der Mann hätte dir doch alles erzählt, um dich ins Bett zu bekommen!“

„Vielleicht“, Sian wich Chris’ Blick aus, „aber damals habe ich ihm geglaubt. Wir haben einen ganz idyllischen Sommer miteinander verlebt, und zwei Monate später hat er mich gebeten, seine Frau zu werden.“ Ganz leise fügte sie dann noch hinzu: „Und ich habe eingewilligt … Wir hatten schon angefangen, die Hochzeit zu planen, als sein Onkel ihn bat, die Zentrale seiner Baufirma in Amerika zu übernehmen.“

„Und da wolltest du nicht mit?“

Erstaunt sah Sian Chris an. „Natürlich wäre ich mitgegangen, allerdings nur als seine Ehefrau.“

„Aber er hat dich nicht geheiratet und ist ohne dich nach Amerika abgereist.“

„Ja.“

„Und wieso?“ Chris hatte sich wieder einigermaßen beruhigt.

„Weil er da schon wieder mit Nina zusammen war“, antwortete Sian ausdruckslos.

„Liebst du ihn immer noch?“

„Nein!“ Diesmal klang Sian bestimmt. „Meine Gefühle für ihn sind vor langer Zeit gestorben.“

Nun nahm Chris sie endlich tröstend in die Arme und strich ihr zärtlich übers Haar, bevor er sie halb im Scherz fragte: „Liebst du mich denn noch?“

Sians warmes Lächeln sprach Bände. „Das weißt du doch.“

„Ich liebe dich auch.“ Chris, der nur wenig größer war als Sian, lehnte seine Stirn an ihre. „Ich fand es einfach nur merkwürdig, mich deinem letzten Verlobten gegenüberzusehen.“

„Das hört sich ja so an, als hätte ich Hunderte gehabt!“ Sian lächelte. „Damals war ich jung und naiv und habe erst viel zu spät bemerkt, dass ich einfach nur eine von Jarretts zahlreichen Eroberungen gewesen bin. Wahrscheinlich hat ihn anfänglich meine Jugend gereizt, und um mich herumzubekommen, hat er alles versucht, mir am Ende sogar die Ehe versprochen“, fügte Sian hinzu und dachte verbittert: Aber ich war ihm nicht gut genug, und er ist später zu der in sexuellen Dingen wesentlich bewanderteren Nina zurückgekehrt.

Das war für Sian eine sehr demütigende und schmerzliche Erfahrung gewesen, die sie wohl niemals vergessen würde.

„Tut mir leid, Liebling, dass du meinetwegen alles noch einmal durchmachen musstest.“ Zärtlich strich Chris ihr übers Haar. „Aber bei der Vorstellung, du könntest noch etwas für ihn empfinden, bin ich fast verrückt geworden – vor allem nachdem, wie er dich im Restaurant behandelt hat.“

Bewusst gab Sian Chris darauf keine Antwort, denn als Jarrett sie im Raven berührt hatte, war ihr das wieder genauso durch Mark und Bein gegangen wie früher. Die sexuelle Anziehungskraft, die sie aufeinander ausübten, war eine der Grundlagen ihrer Beziehung gewesen. Wenn Sian die Augen schloss, konnte sie Jarretts lustvollen Blick immer noch auf sich gerichtet spüren.

Als Chris sie jetzt zu küssen begann, erwiderte sie seine Zärtlichkeiten leidenschaftlicher und weniger zurückhaltend als sonst. Am Anfang ihrer Beziehung waren sie übereingekommen, sich einander erst richtig hinzugeben, wenn sie verheiratet waren. Und Sian wusste, dass Chris dieses Versprechen unter allen Umständen halten würde. Auch wenn er an diesem Abend kurz davor stand, wortbrüchig zu werden.

Er hatte sie sanft aufs Sofa gedrückt, ihr die Bluse aufgeknöpft und liebkoste nun ihre Brustspitzen, bis er schließlich stöhnend hervorstieß: „Ich wünschte, heute wäre unsere Hochzeitsnacht. Dann müsste ich dich jetzt nicht einfach so allein lassen.“

Doch Sian war eigentlich froh, dass Chris nicht bleiben konnte. Denn heute Nacht hätte sie seine Zärtlichkeiten nur als billigen Ersatz für die Ekstase angesehen, die sie mit Jarrett zusammen genossen hatte, der so viel erfahrener war und instinktiv wusste, wie er sie immer wieder zum Höhepunkt bringen konnte.

Warum hatte er bloß zurückkommen müssen?

Chris stand auf und steckte sein Hemd wieder in die Hose, bevor er sich die Jacke anzog. „Du musst unbedingt ein ernstes Wort mit Bethany reden“, sagte er dann und klang plötzlich wieder richtig grimmig. „Sie sollte sich wirklich nicht mit einem Kerl wie King einlassen.“

„Nein“, pflichtete Sian ihm bei, knöpfte sich die Bluse wieder zu und erhob sich ebenfalls, um Chris zur Tür zu begleiten.

„Schade, dass ich wegmuss“, sagte Chris noch und strich ihr über die Wange.

„Bis morgen dann, Liebling“, erwiderte Sian lächelnd, küsste Chris zum Abschied und ging zurück ins Wohnzimmer, um auf Bethany zu warten.

Es war schon fast Mitternacht, als sie draußen einen Wagen vorfahren hörte. Jarrett hatte immer schon PS-starke Motoren geliebt und nannte mittlerweile mit Sicherheit einen Ferrari oder Lamborghini sein Eigen!

Als die Eingangstür mit einem leisen Klicken zufiel, beschloss Sian, ihrer Schwester entgegenzugehen. „Bethany, ich …“, flüsterte sie, um ihren Vater nicht zu wecken, aber dann versagte ihr die Stimme. Denn neben Bethany stand – als wäre nichts geschehen – Jarrett.

„Wollen wir nicht ins Wohnzimmer gehen?“, schlug er mit einer Selbstverständlichkeit vor, die Sian den Atem raubte. Natürlich kannte er sich in ihrem Haus noch aus und ging einfach voran, wie früher, als er noch willkommen gewesen war.

Aber doch heute nicht mehr! Wie hatte Bethany ihn nur mit nach Hause bringen können? War ihre Schwester denn von allen guten Geistern verlassen? Ihrem verträumten Blick nach zu urteilen, ja.

„Ich … ich habe Jarrett nur noch auf eine Tasse Kaffee hereingebeten“, sagte sie stockend, und Sian dachte: Wenigstens scheint Bethany das Bedürfnis zu haben, ihr Verhalten zu erklären.

„Ja“, bestätigte Jarrett Bethanys Aussage, „es ist doch ziemlich spät geworden.“

„Tatsächlich?“, entgegnete Sian steif, die keineswegs beabsichtigte, sich zurückzuziehen, um Jarrett mit ihrer Schwester allein zu lassen. Noch viel zu lebendig waren ihr die zahlreichen Abende, an denen Jarrett und sie auf dem Sofa im Wohnzimmer gelegen und sich geliebt hatten, in aller Stille – um ihren Vater und ihre Schwester nicht zu wecken –, aber doch leidenschaftlich wie immer.

Fragend sah Jarrett Sian an, bis sie, verlegen über die eigenen Gedanken, errötete und Jarrett mit seiner tiefen Stimme sagte: „Ich schlage vor, Bethany macht den Kaffee – für drei.“

Nachdem ihre Schwester sich in die Küche zurückgezogen hatte, war sich Sian Jarretts Anwesenheit noch bewusster. Da saß er – nur knapp einen Meter von ihr entfernt – zum Greifen nahe. Aber das gefiel Sian gar nicht, da sie dadurch das Gefühl hatte, von Jarrett manipuliert zu werden.

„Ist dein Verlobter schon gegangen?“, fragte er leise.

„Ja“, erwiderte Sian kurz angebunden.

„Ich habe heute Abend versucht, dich telefonisch zu erreichen, gleich nachdem ich in Swannell angekommen bin. Aber du warst nicht zu Hause“, fügte er beinah traurig hinzu und rückte näher zu ihr heran. Jetzt war er ihr so nah, dass sie sein betörendes After Shave riechen konnte – das gleiche wie früher.

Sian wandte sich von ihm ab und fragte dann: „Warum, um alles in der Welt, solltest du mich wohl anrufen?“

Sian spürte, wie Jarrett aufstand und sich ganz dicht neben ihr wieder hinsetzte. Plötzlich war er ihr nicht nur ganz nah, sondern gefährlich nah. Er berührte ihren Rücken und legte die Arme um sie, während er ihr ins Ohr raunte: „Rate mal!“

3. KAPITEL

Sian spürte, wie Jarrett sich langsam zu ihren Brüsten hinauftastete. Kurz darauf machte sie sich mit einer brüsken Bewegung von ihm los, rückte so weit wie möglich von ihm ab und rief dann fassungslos: „Ja, ich kann mir nur allzu leicht vorstellen, warum du mich angerufen hast! Du wolltest eine Frau, mit der du dich heute Abend amüsieren kannst. Damit du nachts nicht so allein bist. Freut mich, dass Bethany dir da in Ansätzen weiterhelfen konnte.“

„Du lügst“, spottete Jarrett. „Und außerdem hätte ich dich zum Essen eingeladen, wenn du da gewesen wärst, als ich angerufen habe.“

„Ich wette, meine Schwester war trotzdem sehr beeindruckt“, entgegnete Sian verächtlich. „Dafür hast du bestimmt gesorgt. Du kannst deinen Charme ja an- und ausknipsen, wie es dir gerade in den Kram passt.“ Daran konnte sich Sian nur allzu gut erinnern. „Ich habe allerdings nicht die Absicht, tatenlos mit anzusehen, wie du meiner Schwester wehtust, so wie …“ Verbitterung sprach aus ihren Worten, und sie verstummte.

„So wie ich dir wehgetan habe, meinst du wohl?“

„Genau!“ Böse funkelte sie ihn an.

„Und was ist mit meinen Gefühlen, die du verletzt hast“, entgegnete er kalt. „Oder wird darüber nicht geredet?“

„Ich soll deine Gefühle verletzt haben?“, fragte Sian spöttisch. „Das geht doch gar nicht, du hast ja keine!“

Jarrett war anzusehen, dass ihn diese Bemerkung getroffen hatte. Er presste die Lippen zusammen, als er darauf erwiderte: „Und du hast überhaupt kein Selbstvertrauen, denn sonst hättest du mir geglaubt, was ich dir vor drei Jahren über Nina Marshall erzählt habe!“

„Ich will nicht mehr davon sprechen“, sagte Sian und wandte sich ab.

„Das hast du nie gewollt!“ Jarrett hatte sie bei den Schultern gepackt und wieder zu sich umgedreht. „Und weil ich so verdammt stolz gewesen bin, habe ich nicht eingesehen, warum ich mich dir trotzdem erklären sollte.“ Während er auf Sian hinabblickte, funkelten seine Augen wie zwei geschliffene Smaragde. „Hat dich dein Misstrauen in der Nacht warmgehalten, Sian? Hat es dir gesagt, dass es dich liebt? Hat es mit dir geschlafen, bis du dachtest, du müsstest verrückt werden?“

Bei jeder seiner Fragen wurde Sian ein wenig blasser und versuchte vergeblich, sich von ihm loszumachen, um dieser Qual nicht länger ausgesetzt zu sein.

Aber Jarrett ließ das nicht zu, sondern hielt sie nur umso fester. Er zwang sie einfach, ihn anzuhören. Schließlich fügte er noch hinzu: „Ich sage das nur, weil mir mein Stolz auch nichts von all dem geben konnte, Sian …“

„Da sind deine diversen Frauen bestimmt gern eingesprungen!“, entgegnete Sian kalt. „So wie Chris bei mir.“

Daraufhin wurde Jarretts Gesicht maskenhaft starr – was bei ihm nur eins bedeuten konnte: unbändige Wut. „Schläft er etwa mit dir?“

Als hätte er sie geohrfeigt, zuckte Sian zurück und sagte: „Ich wüsste nicht, was dich das angeht.“

„Ach nein?“, fragte Jarrett gefährlich leise. „Wenn er sich mit dir gepaart hat – und ich weigere mich, euer sexuelles Beisammensein als Liebe zu bezeichnen –, kann er was erleben.“ Und als wäre das nicht schon unverschämt genug gewesen, fuhr Jarrett nun auf seine arrogante Art fort: „Ich bin der einzige Mann, der dich jemals richtig geliebt hat und dir das auch im Bett beweisen konnte …“

„Du eingebildeter …“

Über Sians heftige Einrede schüttelte Jarrett seufzend den Kopf. „So wie wir uns verstanden haben, Sian, kann man nur einen einzigen Menschen im Leben lieben – das wirst du bei keinem anderen mehr finden. Wir wissen beide, dass wir füreinander bestimmt sind. Auch wenn du dich noch so sehr dagegen wehrst, ändert das nichts an der Tatsache.“

„Wie schade, dass dir das nicht früher aufgegangen ist!“

„Mir schon, dir leider nicht. Also, war dieser Newman mit dir im Bett oder nicht?“

Sian stockte der Atem. Sie wusste ganz genau, dass Jarrett seine Drohung wahr machen würde. Dieser Mann war richtig gefährlich. Aber sie wollte ihm auch nicht offenbaren, dass Chris und sie noch nie zusammen geschlafen hatten. Das würde Chris in Jarretts Augen nur in ein schlechtes Licht rücken. „Du bist …“

„Tut mir leid, dass es mit dem Kaffee so lange gedauert hat“, unterbrach sie da Bethany, „aber mir ist der Filter kaputt …“ Als sie die finsteren Mienen der beiden sah, verstummte sie erstaunt.

Sian wusste genau, dass Bethany nun alles Mögliche vermutete, und zwang sich, so unbekümmert wie möglich dreinzusehen. Als wäre nichts gewesen, nahm sie ihrer Schwester das Tablett ab, wobei ihr nicht entging, dass Jarrett die Fäuste langsam wieder löste und auch sein Gesicht bald wieder den üblichen leicht spöttischen, vielleicht ein wenig gelangweilten Ausdruck annahm.

„Schenkst du uns eine Tasse ein, Bethany? Ich bin sicher, Jarrett kann es kaum noch erwarten.“

Jarrett hatte sich nun wieder völlig unter Kontrolle und lächelte Bethany freundlich an, die für seinen Charme nur allzu empfänglich war. „Schwarz und ohne Zucker, bitte“, sagte er.

„Genau wie ich“, erwiderte Bethany glücklich, um dann an Sian gewandt fortzufahren: „Wie immer mit Milch und Zucker?“

Sian wäre eigentlich am liebsten ins Bett gegangen, um zu schlafen und Jarrett King für einige Stunden zu vergessen. Und ganz besonders die Unterhaltung, die sie soeben mit ihm geführt hatte. Er hatte sich ja gerade so angehört, als wäre sie einer der Gründe für seine Rückkehr nach Swannell. Fast hatte es den Anschein, als wollte er ihre Beziehung genau dort wieder anknüpfen, wo sie vor drei Jahren aufgehört hatte.

Aber das kam überhaupt nicht infrage! Sian hatte zwei Jahre gebraucht, um sich einigermaßen davon zu erholen, dass Jarrett sie in ihren Grundfesten erschüttert hatte. Nur mit Mühe war es ihr gelungen, ihr Leben wieder aufzunehmen, nachdem er sie am Boden zerstört hatte – das würde sie ihm gewiss nicht noch einmal zugestehen. Und bestimmt liefe es wieder darauf hinaus, wenn sie ihm nachgab. Er war nun einmal der Typ Mann, der mit einer Frau allein nicht auskam. Schon jetzt hatte er Bethany in seinen Bann geschlagen, obwohl er doch mit dieser Arlette zusammen war – auch wenn sie in New York hatte bleiben müssen. Aber er war eben unersättlich und wollte nicht nur Bethany, sondern sie, Sian, auch noch!

„Ja, Bethany“, sagte Sian schließlich, nachdem sie sich entschlossen hatte, lieber doch nicht ins Bett zu gehen, „wie immer mit allem.“ Dabei dachte sie: Wenigstens kann ich so die Zeit verkürzen, die Bethany und Jarrett allein miteinander bleibt. Unwillkürlich hatte sie den Blick zum Sofa schweifen lassen.

Als Jarrett sie nun ansah, schien er ihre Gedanken erraten zu haben, und ein spöttisches Lächeln umspielte seinen Mund.

Sian hob das Kinn und versuchte, so kühl wie möglich zu wirken. „Bleibst du länger in Swannell?“, fragte sie dann wie nebenbei.

„Das kommt darauf an“, erwiderte er und zuckte die Schultern.

Sian kniff die Augen zusammen. „Worauf denn?“

„Jarrett hat ein Gebot für den Bau des neuen Einkaufszentrums abgegeben“, erklärte Bethany. „Und wenn er den Zuschlag bekommt …“

„Das werde ich“, sagte er langsam und strotzte nur so vor Zuversicht.

„Dann ist er bestimmt eine ganze Weile hier“, fuhr Bethany fort und strahlte.

„Wäre so ein Auftrag für deine Firma nicht viel zu klein, Jarrett?“, erkundigte sich Sian spitz. „Ich dachte, du machst jetzt größere und gewinnbringendere Projekte.“ Ihr Sarkasmus war unüberhörbar.

„Allerdings, aber ich konnte der Versuchung nicht widerstehen, zurückzukommen. Es ist so schön, alte Freunde wieder zu sehen“, erklärte er und fuhr mit einem Lächeln an Bethanys Adresse fort, „und neue kennenzulernen.“

Bethany war entzückt, dass er so offensichtlich mit ihr flirtete. „Wir kannten uns doch schon, Jarrett.“

„Aber damals warst du noch nicht mit mir befreundet, oder?“, fragte er mit kehliger Stimme, und Sian dachte: Dieser Mann ist wirklich ein Ungeheuer! Da machte er Bethany vor ihrer Nase den Hof – und Sian war nicht so naiv zu glauben, er würde es nur tun, um ihre Eifersucht zu schüren. Er genoss es richtig, mit ihrer kleinen Schwester anzubändeln!

„Und ich dachte, du wärst so beschäftigt?“, warf Sian schließlich ein.

„Das bin ich auch. Aber für Dinge, die mir etwas bedeuten, kann ich mir immer Zeit nehmen.“ Herausfordernd sah Jarrett sie an, und Sian wandte schnell den Blick ab, um der Wärme in Jarretts Augen nicht zu verfallen. Außerdem weigerte sie sich anzunehmen, dass sie auch zu diesen sogenannten Dingen zählte, für die er sich Zeit nehmen wollte. Sollte er seinen Charme doch lieber bei der unbedarften Bethany versprühen, die sich dafür ohnehin viel empfänglicher zeigte. Sian hatte auf die ganz harte Tour lernen müssen, dass diesem Mann nicht zu trauen war. „Da wir gerade von Zeit sprechen …“, sagte sie nun und erhob sich rasch, „es ist ziemlich spät.“

Aber Jarrett machte keinerlei Anstalten, ebenfalls aufzustehen. „Lass dich durch uns nicht aufhalten“, sagte er nur und lächelte spöttisch.

Ärgerlich atmete Sian ein und wusste gleichzeitig, dass ihr auch Bethany keine Hilfe wäre, um Jarrett zum Gehen zu bewegen – so wie ihre Schwester ihn jetzt anhimmelte. Wahrscheinlich war es sogar schon zu spät, ihr in Bezug auf Jarrett King Vernunft beizubringen.

Nachdem Sian aber einmal aufgestanden war, blieb ihr keine andere Wahl, als sich zurückzuziehen. „Ich würde später gern noch einmal mit dir reden, Bethany“, sagte sie, während sie auf die Tür zuging.

„Ich dachte, es wäre schon spät?“, warf Jarrett ein, woraufhin Sian ihn mit einem ärgerlichen Blick bedachte und mit warnendem Unterton erklärte: „Es ist nie zu spät, mit meiner Schwester zu reden.“

„Bis bald, Sian“, sagte Jarrett leise.

„Vielleicht“, erwiderte sie kühl, nickte ihm zum Abschied zu und verließ mit erhobenem Kopf den Raum.

Während sie sich fürs Bett fertigmachte, war ihr nur allzu bewusst, wie leise es unten im Wohnzimmer geworden war. Kein Lachen mehr und auch kein Stimmengemurmel. Richtig Sorgen machte ihr allerdings, dass sie den PS-starken Motor von Jarretts Wagen noch nicht hatte aufheulen hören. Das bedeutete, dass dieser Mann immer noch unten bei ihrer Schwester saß, sie vielleicht küsste oder womöglich im Begriff war, mit ihr zu schlafen, obwohl er Sian kurz zuvor genau das gleiche Angebot gemacht hatte.

Aber er hatte ja immer mehrere Frauen gleichzeitig haben müssen. An den Abend, an dem sie Jarretts Doppelleben entdeckt hatte, erinnerte sich Sian noch, als wäre es gestern gewesen. Auch das beschämende Gefühl, das sie empfunden hatte, als sie ihn eine andere Frau hatte küssen sehen, war ihr noch allzu gegenwärtig.

Einen Herrenabend hatte Jarrett es genannt, und Sian war die Einzige gewesen, die damals nicht begriffen hatte, dass es sich eigentlich um eine Junggesellenabschiedsfeier handelte, bei der es noch einmal richtig hoch hergehen sollte.

Jarrett und sie hatten beschlossen, ihre jeweilige Feier mit ihren Freunden und Freundinnen getrennt zu verbringen, und zwar zwei Tage vor der Hochzeit, da Jarrett nicht mit einem schweren Kopf vor den Traualtar treten wollte.

Also feierten sie in zwei verschiedenen Lokalen. Allerdings kamen Sians Freundinnen irgendwann auf die Idee, einen Abstecher zu Jarretts Party zu machen. Sie stellten es sich lustig vor, die leicht angeheiterten Männer zu überraschen. Aber Jarrett saß nicht etwa bierselig mit seinen Freunden am Tresen, sondern in einer Ecke des Raums – weit weg von den anderen –, um dort seine eigene kleine Party aufzuziehen – mit Nina Marshall.

Als Sian sah, wie die beiden sich küssten, brach eine Welt für sie zusammen. Jarretts Hemd stand bis zum Gürtel hin offen, und überall auf seinem Gesicht waren Lippenstiftspuren. Während Nina ihn leidenschaftlich streichelte, wurde Sian regelrecht schlecht. Dann drehte sie sich blitzartig um und verließ die Kneipe, bevor Jarrett noch Zeit hatte, ihr nachzurufen. Sie rannte immer weiter, bis nach Hause, um sich in ihr Zimmer zurückzuziehen, aufs Bett zu werfen und ihren Tränen freien Lauf zu lassen.

Allerdings blieb sie nicht lange allein. Wenige Minuten später verschaffte sich Jarrett Zutritt zu ihrem Zimmer, nach Whiskey riechend und immer noch mit Ninas grellem Lippenstift auf Wangen und Mund. Trotzdem hatte er den Nerv, Sian anzufahren, was ihr einfiele, sich wie eine Närrin zu benehmen, obwohl er seiner Ex-Freundin nur einen harmlosen Kuss gegeben habe.

Harmlos, pah! Er und Nina hätten beinah vor den Augen aller miteinander geschlafen! Sian schrie ihn an und sagte, dass er verschwinden und ihr vom Hals bleiben solle. Aber er blieb trotzdem und setzte sich zu ihr ans Bett. Daraufhin wurde Sian richtig hysterisch, kratzte ihn und trat um sich, bis sich Jarrett endlich von ihr zurückzog, nun auch noch mit den Kratzspuren ihrer Fingernägel im Gesicht – zusätzlich zu Ninas Lippenstiftspuren. Er sagte ihr noch, dass er am kommenden Morgen mit ihr reden wolle, wenn sie sich wieder beruhigt habe und bereit sei, sich wie eine Erwachsene zu benehmen und das kindische Getue zu lassen.

Als ihr Vater erfuhr, was passiert war, war er außer sich und wollte Jarrett den Zutritt in sein Haus verweigern. Aber Jarrett hatte sich davon nicht abhalten lassen, wie sich Sian jetzt wieder erinnerte. Sie war damals gezwungen gewesen, sich noch einmal von seiner Warte aus schildern zu lassen, was geschehen war. Immer wieder beteuerte er seine Unschuld, aber Sian weigerte sich, seinen Erklärungen Glauben zu schenken. Denn sie wusste nun ja, wie es zwischen ihm und Nina stand. Sie sagte ihm, dass er die Hochzeit vergessen könne und sie ihn niemals wieder sehen wolle.

Am nächsten Tag – ihrem eigentlichen Hochzeitstag – schloss sich Sian in ihrem Zimmer ein und erfuhr später von ihrem Vater, dass Jarrett zusammen mit Nina die Stadt verlassen habe. Seitdem hatte sie nichts mehr von Jarrett gehört, bis Ginny ihr von seiner bevorstehenden Rückkehr erzählte.

Sian wünschte verzweifelt, sie hätte ihn nicht wieder gesehen. Sie hatte von Anfang an gewusst, dass er nur wieder Unruhe in ihr Leben bringen würde. Allein durch seine Anwesenheit hatte er sie schon völlig aus der Fassung gebracht!

Erst eine halbe Stunde später hörte sie den Motor des davonfahrenden Wagens. Kurz darauf kam eine betreten wirkende Bethany in ihr Zimmer und lehnte sich an die Frisierkommode. „Ich dachte, du würdest schon schlafen“, sagte sie ein wenig verlegen.

„Wie du siehst, ist es nicht so.“ Sian saß im Bett und hielt ein Buch auf den Knien – auch wenn das nur Show war. Sie hatte bisher keine Zeile gelesen und hätte sich bestimmt nicht auf den Text konzentrieren können.

Ihre Schwester schluckte und nahm einen von Sians Parfümflakons von der Kommode, um damit zu spielen. „Jarrett und ich … wir haben uns nur unterhalten und … gar nicht gemerkt, wie die Zeit verging.“

„Das muss ja eine wahnsinnig interessante Unterhaltung gewesen sein“, spottete Sian.

„Das war es auch“, beeilte sich Bethany zu antworten. „Jarrett hat mir alles über Amerika erzählt. Es ist dort bestimmt unheimlich aufregend.“

„Ach ja?“, erwiderte Sian trocken.

„Ja“, bestätigte Bethany ungeduldig und sagte dann: „Hör mal, Sian, wenn du mir etwas anzuvertrauen hast, dann tu es. Aber bitte sieh mich nicht weiter so an!“

„Wie denn?“

„Anklagend!“ Bethany hatte angefangen, aufgeregt im Zimmer auf und ab zu gehen, blieb nun unvermittelt stehen und stellte ärgerlich fest: „Meine Güte, Sian, ihr habt doch vor Jahren Schluss gemacht!“

Sians Gesichtsausdruck wurde unnachgiebig. „Und weißt du auch warum?“

„Wegen einer anderen Frau, nehme ich an …“

„Was Jarrett angeht, sollte man sich lieber sicher sein, Bethany“, erklärte Sian daraufhin verbittert. „Natürlich war es wegen einer anderen Frau. Ich bezweifle, dass Jarrett mit dem Wort ‚Treue‘ etwas anfangen kann.“

„Ich bitte dich, Sian, ich will ihn doch nicht heiraten“, entgegnete ihre Schwester höhnisch und erschrak, als sie Sian zurückzucken sah. „Es tut mir leid.“ Bethany seufzte. „Aber ich glaube wirklich, dass du mit deiner Abneigung gegen Jarrett übertreibst. Ich weiß, dass er dich damals unheimlich verletzt haben muss, weil du jetzt so von ihm denkst. Aber solche Dinge passieren nun einmal. Wenigstens bist du dahinter gekommen, bevor ihr geheiratet habt.“

„Aber nur gerade noch!“

„Außerdem hast du jetzt Chris.“

Damit hatte ihre Schwester recht, und das hätte eigentlich Sians Hauptaugenmerk sein sollen. „Ja“, sagte sie beinah zerknirscht. „Ich will nur nicht, dass Jarrett dir so wehtut wie mir.“

„Jetzt übertreib mal nicht, Sian! Ich bin nur einen einzigen Abend mit ihm ausgegangen.“ Bethany klang verstimmt. „Außerdem bin ich kein kleines Kind mehr.“

„Ja, du hast recht“, sagte Sian versöhnlich, als ihr etwas einfiel. „Jarrett erwähnte, er habe versucht, mich am frühen Abend telefonisch zu erreichen.“

Bethany wich Sians fragendem Blick aus. „Ja, das stimmt, du warst noch nicht da.“

„Tatsächlich?“

Bethany machte große Augen. „Natürlich nicht! Glaubst du, ich würde so etwas vor dir verheimlichen? Aber du hättest sowieso nicht mit ihm ausgehen können, selbst wenn er dich darum gebeten hätte. Du bist doch mit Chris verlobt!“

Sian nickte. „Aber hast du denn nicht gemerkt, dass du nur den Lückenbüßer spielen durftest? Er wollte einfach nur eine Frau …“

„Er hat mir keinerlei Avancen gemacht!“, rief ihre Schwester da ungehalten, und Sian stellte erleichtert fest: Wenigstens hat er nicht mit ihr geschlafen! Zumindest noch nicht. „Aber er wird versuchen, dich herumzubekommen, Bethany, wenn du weiterhin mit ihm ausgehst. Jarrett benutzt Frauen nur, und wenn er mit ihnen fertig ist, wirft er sie einfach weg.“

„Wenn man dich so reden hört, könnte man meinen, er wäre ein sexbesessenes Ungeheuer!“, spottete Bethany.

„Das ist er auch!“ Sian errötete. „Er … er braucht mehr als nur eine Frau, um seinen Sexhunger zu stillen. Was glaubst du wohl, wie lange er noch mit dir ausgeht, wenn er bemerkt, dass du nicht bereit bist, mit ihm zu schlafen?“

Ein wildes Funkeln trat nun in die Augen ihrer Schwester, bevor sie Sian entgegenschleuderte: „Wer sagt dir denn, dass ich das nicht vorhabe?“

Autor

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