Julia Extra Band 547

– oder –

Im Abonnement bestellen
 

Rückgabe möglich

Bis zu 14 Tage

Sicherheit

durch SSL-/TLS-Verschlüsselung

IM SINNLICHEN ZAUBER DER NACHT von LELA MAY WIGHT

Milliardär Raffaele Russo stockt der Atem, als eine barfüßige Schönheit im Ballkleid die Dachterrasse seines Londoner Luxushotels betritt. Wer ist die geheimnisvolle Fremde, die ihn jäh verzaubert? Wie im Rausch verführt er sie zu einer Liebesnacht. Mit ungeahnt süßen Folgen …


MEINE KRONE - UND DEIN HERZ? von LORRAINE HALL

Wahre Liebe? Nichts für König Diamandis! Das weiß leider niemand so gut wie seine Assistentin Katerina. Gegen jede Vernunft verbringt sie trotzdem eine einzige heimliche Nacht der Leidenschaft mit ihrem sexy Boss. Wenig später schockiert er sie mit einem unmoralischen Angebot …


1000 STERNE ÜBER DUBAI von NINA MILNE

Schicksalhafte Begegnung in Dubai: Der faszinierende Unternehmer Max Durante weckt nie gekannte erregende Sehnsucht in Stella. Ohne an Morgen zu denken, gibt sie sich ihm hin. Dabei ist ihre Zweckehe mit einem anderen Mann schon längst geplant. Was jetzt?

GEWAGTES SPIEL MIT DEM PLAYBOY von MILLIE ADAMS

Um beim Poker gegen Playboy Ewan Kincaid zu gewinnen, muss Profi-Spielerin Jessie ein letztes Mal aufs Ganze gehen. Spontan bietet sie ihm, was immer er will – und Ewan will sie. Ein eiskalter Deal für Jessie! Bis sie in Ewans Armen liegt und rettungslos ihr Herz an ihn verliert …


  • Erscheinungstag 30.01.2024
  • Bandnummer 547
  • ISBN / Artikelnummer 0820240547
  • Seitenanzahl 432

Leseprobe

Lela May Wight, Lorraine Hall, Nina Milne, Millie Adams

JULIA EXTRA BAND 547

1. KAPITEL

Ihr Leben – ihre ganze Geschichte – war ausgelöscht worden.

Flora Bick starrte auf das Dokument in ihren Händen. Einhundertsechsundzwanzig Seiten mit geschwärzten Informationen. Eine dicke schwarze Linie nach der anderen.

Ihr waren die Risiken bekannt gewesen. Die Beraterin hatte sie vorgewarnt: London war eine Stadt, die so gar nichts mit Floras beschaulichem Dasein in Devon zu tun hatte! Darauf war Flora vorbereitet gewesen, nicht aber auf den heftigen Schmerz, den sie hier erleben würde.

Was für eine Enttäuschung!

Mit zitternden Fingern blätterte sie weiter in ihrer Adoptionsakte und las einen knappen Bericht über ihr Leben vor der Farm. Bevor zwei Fremde sie als ihre Tochter angenommen hatten. Dabei war sie doch das Kind von anderen …

Erst wegen eines gebrochenen Fußknöchels hatte sie zufällig herausgefunden, dass sie und ihre Eltern nicht biologisch miteinander verwandt waren. Diese Wahrheit tat weh. Einundzwanzig Jahre voller Lügen!

Ihr Instinkt hatte Flora zur Flucht geraten. Aber wohin? Am Ende hatte sie sich für dieses Hotel entschieden – mit goldenen Türen und uniformierten Portiers, die ihr höflich anboten, ihren schäbigen Rucksack für sie zu tragen. Ein größerer Kontrast zu dem bescheidenen Hotel, in dem ihre Adoptiveltern ein Zimmer für sie reserviert hatten, war schwer vorstellbar.

Nur für heute Nacht wollte sie eine Welt erleben, die sich von ihrer eigenen völlig unterschied. Sie hatte diesen wichtigen Ordner mit ihrer Akte in einem Raum öffnen wollen, der diesem besonderen Anlass würdig war.

Die Decke in ihrem Zimmer war hoch, mit geschwungenen Mustern, die zu einem funkelnden Kronleuchter führten. Das Bett aus dunkler Eiche nahm fast die gesamte Breite der hinteren Wand ein und war mit weichen Decken und kuscheligen Kissen ausgestattet.

Floras Blick wanderte zu den bodentiefen Fenstern. Sie hatte die schweren blauen Vorhänge zurückgezogen und genoss die Aussicht auf die Skyline von London. Ihre Geburtsstadt. Sie hatte die örtliche Behörde extra darum gebeten, ihre Adoptionsakte nicht mit der Post zu verschicken.

Sie wollte einfach mal weg von der Farm, weg von ihren überfürsorglichen Adoptiveltern und ihren Regeln, Vorsichtsmaßnahmen und Erwartungen. Es war ein harter Kampf gewesen, bis sie zugestimmt hatten, dass Flora ohne Begleitung nach London fahren durfte, um ihre Akte in Empfang zu nehmen!

Jetzt wusste Flora auch, weshalb ihre Adoptiveltern ständig so besorgt waren ihretwegen: weil sie möglicherweise die Suchtneigung ihrer leiblichen Mutter geerbt hatte.

Sie begutachtete das schicke smaragdgrüne Kleid, das sie sich spontan in einem Wohltätigkeitsladen gekauft hatte. Ihr erstes Designerstück. Sie hatte es unbedingt haben müssen, als eine Art Schutzhülle für ihr verletzliches Ich. Doch was ihr zuerst ganz logisch erschienen war, verunsicherte Flora plötzlich. Man könnte den Kauf des Kleids ja auch als zwanghaft bezeichnen!

In einem Punkt war ihre Akte eindeutig: Ihre leibliche Mutter war tot. Die Lebensweise, wegen der sie auch ihr eigenes Kind aufgegeben hatte, war der Weg in ein frühes Grab gewesen. Doch wie sollte Flora den Rest ihrer Vergangenheit erforschen, wenn alles bis zur Unleserlichkeit geschwärzt war?

Wie in Trance stand sie auf, und die Papiere glitten achtlos von ihrem Schoß. Die Symbolik war bedrückend. Ihre gesamte Geschichte am Boden, als würde sie nichts bedeuten. Nur schwarz-weiß-gestreifte Unterlagen, die ihre Neugierde nicht gestillt, sondern nur noch mehr Fragen aufgeworfen hatten.

Und noch mehr Zweifel. Sie war nicht die, für die sie sich gehalten hatte. Nicht Flora Bick, Tochter von fleißigen Milchbauern. Nein, sie war das verlassene Kind einer Drogensüchtigen. Vater unbekannt.

Flora legte eine Hand an ihre Brust und versuchte, einen tiefen Atemzug zu nehmen. Es gelang ihr nicht. Sie musste raus an die frische Luft.

Draußen im Korridor zögerte sie kurz vor der breiten Wendeltreppe. Wenn sie dort hinunterging, würden viele Menschen da sein, die ihr keinen Raum zum Nachdenken ließen. Jede Ecke in dieser großen Stadt war voll von Leuten und Lärm.

Nachdenklich blickte sie nach oben und umfasste dann entschlossen den Stoff ihres langen Kleids, damit sie auf den Stufen nicht stolperte. In ihrer Eile hatte sie nicht einmal Schuhe angezogen. Barfuß und atemlos erreichte sie das oberste Stockwerk. Eine Sackgasse. Mit dem Rücken lehnte sie sich erschöpft gegen die Wand.

Klick.

Die Wand hinter ihr bewegte sich …

Raffaele riss die Knöpfe an seinem Kragen auf, aber seine Beklemmung blieb. Die Anspannung in seinem Kiefer ebenfalls. Es fühlte sich an, als würde ein verheerendes Feuer in ihm lodern. Doch er hielt es mit seinem eisernen Willen unter Kontrolle.

Er presste eine Handfläche an das kühle Fensterglas und leerte seinen Whisky in einem Zug – in der Hoffnung, wenigstens vorübergehend inneren Frieden zu finden. Oder Schlaf. Aber jedes Mal, wenn er die Augen schloss, sah er wieder seine Mutter vor sich. Er konnte nicht loslassen, weil er kein Recht dazu hatte. Er durfte niemals vergessen, wie schuldig er war.

Er schluckte gegen den Kloß in seinem Hals an. Sie war viel zu dünn gewesen. Zu gebrechlich. Hatte den Kampf gegen ihre Depression verloren und war ihrem Todeswunsch erlegen. Als sie ihn gebraucht hätte, um ihre Hand zu halten und sie vor dem Sprung in den Tod zu retten, war er nicht da gewesen.

Schuldig im Sinne der persönlichen Anklage. Schließlich war er derjenige gewesen, der sie angefleht hatte, in diese spezielle Einrichtung zu gehen Ein Zufluchtsort, um sich selbst zu finden. Heilung unter der Fürsorge von Therapeuten, die rund um die Uhr für Gespräche zur Verfügung standen.

Doch seine Mutter hatte mit niemandem reden wollen. Sie hatte nur seinen Vater gewollt. Trotz allem. Nach dreißig Jahren der Ablehnung und der Lügen.

Natürlich hatte Raffaele gewusst, dass der Tod seines Vaters ein schwerer Schlag für sie sein würde. Er war damals sofort nach Hause gefahren, um seiner Mutter persönlich zu sagen, dass der Graf gestorben war. Der Mann, der sie ihr Leben lang wie ein schmutziges kleines Geheimnis behandelt und mit einem Bündel Bargeld abgespeist hatte.

Seine Finger verkrampften sich um das Glas. Einen Moment lang stellte er sich vor, wie er es gegen das Fenster schleuderte. Er hörte schon das Krachen, während die glitzernden Glasscherben um ihn herum explodierten.

Wie in Trance drehte er sich um und stellte das Glas mit geräuschloser Präzision auf einem Tisch ab. Kontrolle. Sie war alles, was ihm geblieben war, um nicht an seinen Schuldgefühlen zu zerbrechen …

Plötzlich bemerkte er aus dem Augenwinkel etwas, das wie eine in Grün gehüllte Frau aussah. Sie schlich draußen über die Dachterrasse, ihre dunklen Locken fielen locker über die nackten Schultern. Der tiefe V-Ausschnitt lenkte seinen Blick auf die Wölbung ihrer Brüste.

Hinter ihr strahlten die Lichter der Stadt und brachten ihr langes Ballkleid voll zur Geltung. Nackte Zehen lugten bei jedem Schritt unter dem Saum hervor, der leicht über den Boden schleifte. Sie wurde langsamer und blieb zwischen den grünen Pflanzen stehen, die am Rand des Steingeländers arrangiert worden waren.

Es war ein mystisches Bild.

Heute Abend fand hier keine Party statt. Auch keine sonstigen Feierlichkeiten. Da waren auch keine D-Klasse-Promis und Influencer, die ins Hotel kamen, um hübsche Fotos vor dem berühmten Vintage-Dekor zu machen.

Hier würde sich sowieso einiges ändern, sobald sein Team anrückte und dem Gebäude Raffaeles persönlichen Stempel aufdrückte. Seine Marke. Seinen Namen. Dann wären Glanz und Glamour der Superreichen, die ihre Designerkleider schon zum Frühstück trugen, wieder an der Tagesordnung – denn leider hatte der bisherige Besitzer die traditionellen Standards dieser Kultherberge ziemlich schleifen lassen.

Heute Abend auf dieser pompösen Dachterrasse mit der alten Steinbalustrade genoss Raffaele den Reiz dieses besonderen Orts. Dieser Teil des Hotels war völlig abgeschottet. Man hatte damals eine Extrawelt der Opulenz geschaffen. Einen Rückzugsort mit viel Komfort, geheimen Treppen, Türen und Durchgängen – verborgen hinter den Wänden, damit das Personal ungesehen ein und aus gehen konnte, ohne den Alltagsbetrieb zu stören.

Aber diese Frau gehörte nicht zu den Angestellten. Das wusste er ganz sicher.

Raffaele hob die Hand, um das Flutlicht anzuschalten, und zögerte dann. Noch konnte sie ihn nicht sehen. Sie hatte ihm den Rücken zugewandt und schlenderte auf den kleinen Zusatzbalkon mit dem schwarzen Eisengeländer zu.

Es kribbelte in seinen Fingern, weil er dieses geheimnisvolle Wesen berühren wollte. Ihr Haar wurde von einer Windböe erfasst und tanzte um ihre Schultern. Sie hob die Arme hoch, streckte sie dann nach rechts und links aus und lehnte sich weit über die Kante.

Er vergaß augenblicklich zu atmen! War dies ein Test? War sie eine Erscheinung, die ihn daran erinnern sollte, wie sehr er seine Mutter im Stich gelassen hatte? Denn sie hatte ebenfalls ein Dach gewählt, um ihrem Dasein ein Ende zu setzen …

Mit einem Tastendruck löste er den Mechanismus aus, der die Glasscheibe lautlos zur Seite gleiten ließ. Raffaele bewegte sich auf die Fremde zu, immer schneller. Er konnte ihr Gesicht nicht sehen, aber als er nahe genug war, packte er ihr Handgelenk.

Erschrocken drehte sie sich zu ihm um und blickte ihn aus großen braunen Augen ernst an. Ihm fiel auf, wie die winzigen goldenen Flecken in ihrer dunklen Iris aufleuchteten.

Die zarte Vollkommenheit ihres Körpers traf ihn mitten ins Herz. Das Männliche in ihm reagierte instinktiv auf ihre Weiblichkeit, ohne dass er es wollte. Eine sengende Hitze sammelte sich in seinem Bauch und wanderte hinunter in seine Leistengegend. Die Abendluft zwischen ihnen schien elektrisch aufgeladen.

An ihrem schmalen Handgelenk spürte er ihren Puls, der immer schneller pochte. Der Drang, mit dem Daumen darüber zu streichen, war überwältigend. Also tat er es, bevor er sich zurückhalten konnte. Ihre Haut war weich.

„Bist du echt?“

Es war nicht mehr als ein Flüstern, was da über seine Lippen kam. Doch es riss ihn trotzdem aus dem Dunst, der ihn seit der gerichtlichen Untersuchung umhüllte. Es lichtete den Nebel, der ihn schon seit dem Tod seiner Mutter begleitet hatte …

„Natürlich bin ich das“, erwiderte die Frau. Er wollte sie loslassen, konnte aber seine Finger nicht dazu bringen, sich zu öffnen. „Bist du es?“, fragte sie.

Abwartend starrte er sie an, und sein Kiefer verspannte sich. Er war schon lange nicht mehr er selbst.

„Träume ich?“, murmelte er und verfluchte die mangelnde Kontrolle über seine Zunge.

Dieser Moment war zu unwirklich. Raffaele hatte seit Wochen nicht mehr richtig geschlafen. Unter Schlafentzug konnten viele Dinge entstehen. Auch Visionen wie diese. Eine Fata Morgana aus cremefarbener Haut und grüner Seide.

Eine Frau mit einem einladenden Mund, den er einfach nur küssen wollte.

Dann hielt die Realität Einzug in seinen Verstand. Er ließ das Handgelenk los und straffte die Schultern. „Hast du dich verlaufen?“

„Nein.“

„Wer hat dir gezeigt, wie man hierherkommt?“

„Niemand. Ich habe es zufällig herausgefunden, nachdem ich einfach weglaufen wollte …“

„Wovor weggelaufen?“, wollte er wissen und ließ seinen Blick an ihrer schlanken Gestalt hinuntergleiten. „Fliehst du öfter mal abends in einem Ballkleid?“

„Nein.“ Ihre Lippen verzogen sich zu einem bezaubernden Lächeln. „Ich wollte allein sein. London ist so überfüllt und laut. Alle sind immer in Bewegung.“ Sie wurde leiser. „Aber heute Abend wollte ich Ruhe haben.“

War er nicht aus demselben Grund hier – und eben nicht in das Haus seiner Kindheit zurückgekehrt, zurück nach Sizilien? Nachdem das Pflegeheim von jeder Mitschuld am Suizid seiner Mutter offiziell freigesprochen worden war, hatte es Raffaele hierhergezogen. Er war aus Italien geflohen, weil die unerwünschten Erinnerungen in seinem Kopf zu laut geworden waren. Und erst jetzt kam seine Verzweiflung zum Stillstand, und zwar durch das große Wunder dieser magischen braunen Augen.

„Und warum bist du herkommen?“, wollte sie wissen.

Jetzt hätte er einen Grund erfinden können, doch er wollte nicht lügen und damit das Andenken seiner Mutter beschmutzen.

„Um zu trauern.“

Ein sanftes Lächeln umspielte ihre Lippen. „Ich auch.“

„Und um wen trauerst du?“, erkundigte er sich.

Seine Neugier war echt. Er wollte verstehen, warum das Schicksal es in dieser Nacht für angebracht gehalten hatte, ihre beiden Welten aufeinanderprallen zu lassen.

Ihre schlanken Schultern hoben sich ein Stück. „Um mich selbst.“

Er runzelte die Stirn. „Wie darf ich das verstehen?“

Sie holte tief Luft, und er bemerkte, wie sich die Spitzen ihrer Brüste gegen den Stoff ihres Kleids drückten. Stopp! Hastig sah er wieder hoch.

„Warum trauerst du um dich selbst?“, zwang er sich nachzuhaken. Denn sie war nicht hier, damit er seinen Kummer auf ihr abladen konnte. Sie brauchte selbst einen Moment Ruhe in einer Stadt, die niemals schlief – abseits des Lärms, genau wie er.

„Weil mir heute Abend klar geworden ist, dass ich nicht die Frau geworden bin, zu der ich hätte werden sollen.“

„Was soll das bedeuten?“

„Die Frau, die ich hätte sein können, hatte nie eine Chance zu leben. Ich trauere um die Dinge, die ich nicht haben durfte. Um das Leben, das ich hätte führen können. Man hat es mir verwehrt. Mir wichtige Informationen vorenthalten.“

„Wer hat das getan?“

„Das ist nicht wichtig. Nicht heute Abend.“ Sie blinzelte. „Um wen geht es bei dir?“

„Um meine Mutter.“

Ihre Augen nahmen einen sanften Ausdruck an, der Raffaele mit Wärme erfüllte. „Das tut mir sehr leid“, sagte sie.

Er unterdrückte den Drang, sie näher heranzuziehen. Ihren Kummer mit seinem eigenen zu verbinden und ihr das gleiche Verständnis zu schenken, das sie ihm entgegenbrachte.

„Erzähl mir von dem, was nicht sein durfte“, bat er, doch sie schüttelte den Kopf.

„Nein.“

„Warum nicht?“ Er wollte es verstehen. Denn er selbst hatte sich nie erlaubt, um ein Leben zu trauern, das er hätte haben können.

Was wäre gewesen, wenn sein Vater sich seiner angenommen hätte? Wer hätte dann für Raffaeles Mutter gesorgt? Sie hatte Liebe gebraucht. Seine Schuldgefühle wurden wach. Denn was wusste er schon von Liebe?

Nichts. Für ihn war sie ein Mythos, eine Lüge. Sein Vater hatte seine Mutter verführt, ein naives Mädchen aus Sizilien, das dem Waisenhaus entkommen war und ein Abenteuer in Rom suchte, wo sie Kindermädchen für seine drei Kinder wurde. Raffaeles Halbbrüder und seine Halbschwester.

Sein Vater hatte seine Mutter geschwängert und anschließend vor der Welt versteckt, um sein Privatleben zu schützen. Er hatte seine ehemalige Geliebte mit Versprechungen ruhiggestellt. Er hatte sie weggesperrt, außer Sichtweite, und sie weitgehend ignoriert.

Liebe war eine Lüge.

„Willst du von deiner Mutter erzählen?“, fragte sie leise.

„Ich will überhaupt nicht reden“, erwiderte er, und sein Herz klopfte schneller.

„Ich auch nicht“, stimmte sie sofort zu.

Ein Windstoß wehte ihr die Locken aus dem hübschen, herzförmigen Gesicht. Er wollte seine Jacke ausziehen und sie der jungen Frau um die Schultern legen. Sie wärmen.

„Ist dir kalt?“, erkundigte er sich. „Soll ich dich ein bisschen vor dem Wind schützen?“

Verwundert blickte sie ihn an. „Wie denn?“ Hitze strömte durch seine Adern, als die Schönheit in Smaragdgrün sich auf ihn zubewegte und ihre Hand an seine Brust legte.

„Glaubst du, dass es sicher ist, mit Fremden im Dunkeln zu spielen?“ Sein Tonfall sollte amüsiert klingen, doch dafür war seine Stimme viel zu heiser vor Erregung.

„Ich spiele nicht“, konterte sie und lächelte wieder.

„Wer bist du?“ Er fühlte sich schwindlig. Die Zeit – die ganze Welt um ihn herum – spielte in diesem Moment keine Rolle. Er war nur auf dieses wundersame Wesen konzentriert, das ihm erschienen war.

Ihre Lippen bebten. „Ich bin mir nicht sicher, ob ich das beantworten kann.“

„Du weißt nicht, wie du heißt?“

„Ich kenne den Namen, mit dem ich mein ganzes Leben lang gerufen wurde. Aber ich weiß nicht, ob ich die Person, der dieser Name gegeben wurde, überhaupt bin. Ob ich das noch sein will.“

„Du kannst dich weigern, mir deinen Namen zu nennen, aber du wirst immer noch du sein.“

Er selbst war schließlich auch nicht mehr der Mann, der heute erst mit einem Privatjet aus Italien geflohen war, um im nassen und grauen London seine Wunden zu lecken. Und er war auch kein kleiner Junge mehr, dessen Mutter nichts anderes tat, als einem skrupellosen Mann nachzutrauern. Er musste nicht länger in einem baufälligen Haus leben, voller Verzweiflung.

„Mein Name ist nicht wichtig“, sagte sie in seine düsteren Gedanken hinein. „Ich will ihn und die Frau, die ich bis gestern noch war, hinter mir lassen.“

„Wer ist dann heute hier bei mir?“

„Im Augenblick bin ich bloß ein Mädchen, das nicht nach Hause gehen will“, gestand sie völlig ungezwungen.

Ihre Worte spiegelten sich in der Röte ihrer Wangen wider. Sie begehrte ihn!

„Wohin möchtest du gehen, piccolina?

„Hast du hier ein Zimmer?“, fragte sie und atmete tief durch. „Ich habe nämlich eines.“

Ihre Offenheit verblüffte ihn, und die Versuchung war riesig, auf ihr subtiles Angebot einzugehen.

„Möchtest du dahin zurück?“, wollte er wissen.

Sie schüttelte zuerst den Kopf, dann nickte sie. „Aber nur, wenn es mit dir ist.“

Das Verlangen, ihren aufreizenden Körper näher kennenzulernen, vernichtete allmählich jeden klaren Gedanken in Raffaeles Kopf.

„Ich bin ein Fremder für dich“, wandte er ein.

Ein Achselzucken war die Antwort. „In der Anonymität liegt Freiheit, und heute Abend möchte ich frei sein.“

„Frei von was?“

Raffaele hatte noch nie aus einem Impuls heraus gehandelt. War niemals blind seinen Begierden gefolgt. Seine Aufgabe war es stets gewesen, sich um andere zu sorgen.

„Ich will endlich einmal nur handeln und nicht denken“, erklärte sie heiser. „Nicht gesagt bekommen, wie ich mich verhalten soll. Nicht vor irgendwelchen Konsequenzen gewarnt werden.“

„Und was willst du genau?“

„Ich will dich.“

Sie legte ihre Handfläche an seine Wange. Flammen loderten in ihm auf, während sie die Fingerspitzen über seinen Kiefer gleiten ließ. „Ich werde dich jetzt küssen.“

Sie forderte ihn heraus, seine Kontrolle aufzugeben. Eine ungeheure Welle der Lust verdrängte alle Vorbehalte in ihm. „Und willst du, dass ich dich zurückküsse?“, fragte er leise.

2. KAPITEL

„Ja“, hauchte Flora.

Sie unterdrückte den Drang, ihm zu sagen, dass sie noch nie geküsst, noch nie berührt worden war. Denn spielte das eine Rolle? Sie wollte nicht, dass es wichtig war. Nicht für sie und nicht für ihn. Heute Abend sollte nichts anderes zählen als das hier. Ihre zufällige, leidenschaftliche Verbindung.

Ein Schauer lief ihr über den Rücken.

„Dir ist kalt“, stellte er fest und legte ihr seine Lederjacke um die Schultern. Sie klammerte sich an das Revers und atmete den Geruch von Leder, genoss die Wärme seines Körpers, die noch in dem Kleidungsstück zu fühlen war.

Nun wollte sie doch gestehen. „Ich habe noch nie …“

„Nie was?“

„Jemanden geküsst“, vervollständigte sie den Satz und erwartete, sich verletzlich zu fühlen. Peinlich berührt. Aber das tat sie nicht. Im Gegenteil, sie war gestärkt. Und aufgeregt. Immerhin wagte sie hier ein ganz neues Abenteuer!

Und dieser Fremde war wirklich ein wunderschöner Mann. Und sie vertraute ihm auf Anhieb …

Ihr Herz klopfte schneller, als sie seine breiten Schultern bewunderte, die sich unter seinem schwarzen Hemd abzeichneten. Er hatte den Kragen hochgeschlagen, was ihre Aufmerksamkeit auf die offenen Knöpfe an seinem bronzenen Hals lenkte, wo feine schwarze Härchen zu seiner Brust hinabführten. Sie wollte ihn dort berühren.

Ihr Blick fiel auf den Gürtel, der seine schlanken Hüften umschloss und von einer breiten Silberschnalle gehalten wurde. Die dunkle, maßgeschneiderte Hose schmiegte sich an die harten Muskeln seiner Oberschenkel.

„Soll ich dich zuerst küssen?“, bot er an, und sie wurde plötzlich nervös.

Aber das Bedürfnis, zu berühren und berührt zu werden, fegte jeden Zweifel beiseite. Auch wenn es ihr fremd war, so spontan zu reagieren.

„Ja.“ Ihr Inneres zog sich zusammen vor freudiger Erwartung. „Ich möchte, dass du mein erster Mann bist.“

Er lächelte. „Es gibt viele Arten zu küssen, piccolina. Soll ich sie dir zeigen?“

„Ja“, sagte sie. Denn heute Abend wollte sie zu all den Dingen Ja sagen, denen sie bisher aus dem Weg gegangen war.

Flora schloss die Augen. Erwartungsvoll. Ihr Puls beschleunigte sich. Vielleicht war es lächerlich, hier in einem Ballkleid aus einem Wohltätigkeitsladen zu stehen. Aber sie fühlte sich wunderbar. Als würde sie zum ersten Mal im Leben richtig gesehen werden – wirklich erkannt werden. Nur sie selbst. Eine junge Frau, die sich mutig in die Großstadt gewagt hatte und nun über dem Betondschungel von London in dieser geheimen, grün bewachsenen Oase das Abenteuer suchte.

Ein Blitz durchfuhr sie, laut und lebendig, als er ihren Mund mit seinem verschloss. Seine Lippen waren sanft und doch fordernd. Sie öffnete sich für ihn. Ließ seine Zunge eindringen.

Ein Laut entkam ihrer Kehle. Stöhnen. Er ließ seine Zunge in ihren Mund gleiten, und sie ahmte ihn nach. Bewegte ihre Hüften instinktiv gegen seine. Spürte, wie er hart wurde.

Er löste seinen Mund von ihrem, küsste ihre Halsbeuge und blies seinen heißen Atem auf ihre Haut.

Mit beiden Händen krallte sie sich in seine Schultern. „Bitte“, murmelte sie.

„Mehr?“

„Bitte!“, flehte sie noch einmal, ohne genau zu wissen, wonach sie sich sehnte.

Seine Hände wanderten über ihren Körper und fanden ihre Brüste. Er umfasste sie behutsam und strich über die zarten Spitzen.

Flora presste die Schenkel zusammen, um das Ziehen der Lust zu unterdrücken. „Weiter“, hauchte sie.

Und er verweigerte es ihr nicht. Ganz langsam zog er das Oberteil ihres Kleids herunter, entblößte ihre Brüste in der kühlen Nachtluft und senkte seinen Kopf. Dann spürte sie die Hitze seines Mundes auf ihrer empfindsamen Haut.

„Oh, Himmel!“, keuchte Flora, als er fester saugte. Ihr Körper pulsierte, und der Sog zwischen ihren Beinen wurde stärker.

Nach endlos süßen Sekunden richtete er sich wieder auf und eroberte ihre Lippen zurück. Forsch. Eindringlich. Er schob ihr Kleid hoch und fuhr mit den Fingerspitzen an ihrem Innenschenkel entlang. Ein weiteres Stöhnen entrang sich ihrer Kehle.

Vorsichtig schob er sie ein paar Schritte nach hinten, bis sie mit dem Rücken gegen eine Wand stieß. Ihre nackten Brüste drückten gegen den glatten Stoff seines Hemdes, und sie rieb sie an ihm. Sie fühlte sich wild. Und frei.

Der Fremde hob den Kopf und atmete schwer. „Nicht hier!“

Sie umklammerte seine muskulösen Oberarme. „Aber … Ich will nicht aufhören zu küssen.“

„Dann werde ich nicht aufhören.“

Ein wissendes Lächeln breitete sich auf seinen Lippen aus, und sie war regelrecht verzaubert von diesem faszinierenden Mann. Er hatte ihren Körper liebkost – mit den Lichtern der Stadt um sie herum und inmitten eines grün bewachsenen Dachgartens, der so schön war, dass er fast nicht real zu sein schien.

Nichts fühlte sich mehr real an.

Sie genoss die nächsten Küsse auf ihren Hals. Zwischen ihren Brüsten. Auf ihrem Bauch. Und dann war er plötzlich auf den Knien und spreizte ihre Beine, um ihr weißes Baumwollhöschen zu enthüllen. Sie presste den Rücken gegen die harte Wand, schloss die Augen und hielt sich am Revers seiner Jacke fest, während er ihre Unterwäsche zur Seite schob.

Alles, was sie über ihren Körper zu wissen geglaubt hatte – über das Vergnügen, das die Erkundung ihrer eigenen Finger mit sich brachte –, wurde ausgelöscht. Ersetzt durch eine unbeschreibliche Erfahrung, als er mit seinen kundigen Liebkosungen sinnliche Wunder vollbrachte.

Er war äußert zärtlich und geschickt, und sie ließ sich von ihm führen. Ihr Verstand hatte sich längst abgeschaltet, und sie empfand bloß noch das treibende Bedürfnis, genau hier zu sein. Die sich aufbauende Spannung in ihrem Körper zu spüren, die immer stärker wurde und scheinbar kein Ende nahm. Und sie wollte auch nicht, dass es endete. Wie könnte es jemals vorbei sein, ohne dass sie dabei in Millionen Stücke zerbrach?

Doch die herrlichen Liebkosungen des Unbekannten hörten nicht auf – und plötzlich schien Floras Welt tatsächlich zu explodieren …

Als die Wellen ihrer Ekstase langsam verebbten, ließ er von ihr ab und sah zu ihr auf. Ihr Puls hämmerte. Denn seine Augen spiegelten wider, was sie bereits wusste. Diese gemeinsame Intensität unter den Sternen war nur der Anfang gewesen.

„Nimm mich hier“, flüsterte sie. „Nimm mich jetzt!“

„Nicht hier“, widersprach er. „In meinem Zimmer, gleich um die Ecke.“

Sie fragte sich gar nicht erst, wieso er hier oben neben dem geheimnisvollen Garten wohnte. Ihr war nur wichtig, dass er sie mitnahm.

Ihre Welt hatte Feuer gefangen, und es brannte überall um sie herum. Alles, was Flora gekannt und geliebt hatte, wurde in Frage gestellt oder war ganz verschwunden. Sie trauerte um die Momente, die sie hätte haben können, wenn sie sich früher gegen die Ängste ihrer Eltern gewehrt hätte.

Einundzwanzig Jahre lang hatten die beiden sie zu der Tochter geformt, die sie haben wollten. Zu ihrem Wunderkind, das keine Fehler machen durfte, weder große noch kleine. Aber was wollte Flora?

Genau dies, hier und heute! Sie wollte diesen Mann.

Sein Zimmer sah ganz anders aus als ihres. Viel größer und luxuriöser.

„Es ist wunderschön“, staunte sie, während er sie über einen glänzenden Marmorboden zu einem mit Seidenteppichen ausgestatteten Salon führte. Dick gepolsterte Sofas und Stühle bildeten eine bequeme Sitzecke, umgeben von schwarzen steinernen Statuen, hohen Lampen und mehreren Spiegeln.

„Magisch“, hauchte sie.

Für heute Nacht gehörte sie genau hierher. Kein Wecker würde klingeln, um Flora für das morgendliche Melken hochzuscheuchen. In diesen Stunden war sie keine Landarbeiterin und auch nicht die verlassene Tochter einer Süchtigen. Sie war anonym und frei, um das Unerforschte zu erkunden.

Selbstbewusst drehte sie sich zu ihm um. „Gibt es hier auch ein Schlafzimmer?“

Er nickte. „Ein ziemlich großes sogar.“

„Bringst du mich dorthin?“ Wenn sie nach Hause fuhr, zurück zur Farm, wollte sie, dass diese Nacht nur ihr gehörte. Eine Erinnerung ohne ihre Eltern. Etwas, das sie ganz allein erschaffen und erlebt hatte.

„Aber nur, wenn du es wirklich willst.“ Er streckte eine Hand nach ihr aus und wartete, bis sie nach kurzem Zögern ihre Finger mit seinen verschränkte.

Sein Griff war kräftig. Er führte Flora einen Flur entlang zu einer schweren Eichentür, hinter der ein prächtiger Raum zum Vorschein kam. Und ein riesiges Himmelbett, das alle anderen Möbel überragte.

Heute Abend würde Flora nichts bereuen. Alle Zweifel konnten bis morgen warten. Nur ein einziges Mal wollte sie ihren Gefühlen freien Lauf lassen.

Selbstbewusst ging sie voran in Richtung Bett.

Es kostete Raffaele jedes Quäntchen seiner Selbstbeherrschung, um jetzt nichts zu überstürzen. Um sich in ihrem sanften Vertrauen nicht völlig zu verlieren.

Entschlossen marschierte sie auf das Bett zu. Seine Jacke schützte sie vor der Hitze seines Blicks auf ihren halbnackten Rücken.

Ihm kam es vor, als hätte er irgendwie die Verantwortung für sie übernommen. Er musste sie beschützen, sanft zu ihr sein, um ihr erstes Mal so gut wie möglich zu gestalten.

Doch passte diese Rolle zu ihm? Er war kein sanfter Mensch …

Piccolina …“

Sie drehte sich zu ihm um. Die Warnung erstarb auf seinen Lippen, als sie seine Hand losließ, einen Schritt rückwärts machte und seine Jacke von ihren Schultern schob. Anschließend streifte sie sich wie in Zeitlupe ihr Kleid ab, das an ihren Füßen landete, danach ihr Höschen. Sie setzte sich splitternackt auf die Bettdecke und wartete.

Ihm stockte der Atem, als sie ganz langsam ihre Beine spreizte. Das dunkle Dreieck zwischen den makellosen Schenkeln zog ihn an wie ein Magnet! Er packte sein Hemd und riss es auf, wobei die Knöpfe lautlos auf den dicken Teppich flogen.

Während er sich seiner Kleider entledigte, ignorierte er die Stimme in seinem Kopf, die ihm befahl, dieser jungen Schönheit zu sagen, dass dies keine Liebe war. Sie kannte sich mit diesem Gefühl nicht aus. Liebe tat weh, und er wollte ihr nicht wehtun.

Nein, stattdessen würde er sie wie ein kostbares Juwel wertschätzen.

„Liebe mich!“, flüsterte sie ihm zu.

Dieses Signalwort brachte einen letzten Rest von Klarheit in Raffaeles Verstand, und er holte seine Brieftasche aus der Jackentasche, um für Schutz zu sorgen. Diskret zog er ein Folienpaket heraus und bemerkte dann, wie sie seine Erregung bestaunte.

„Ich werde dir nicht wehtun“, versprach er und bereitete sich darauf vor, ihr die süßeste Erfahrung zu schaffen, zu der er fähig war.

Raffaele nahm sich Zeit, liebkoste die unbekannte Schöne ausführlich und zärtlich. Erst als ihr Begehren immer heftiger wurde, ihr Verlangen immer drängender, nahm er das Geschenk ihrer Jungfräulichkeit entgegen.

Und nie würde er den Moment ihrer Vereinigung vergessen!

Jeder Muskel in seinem Körper spannte sich an, weil er sich mit aller Kraft zurückhalten musste, um nicht sofort seine Erlösung zu finden.

„Es geht mir gut“, sagte sie heiser. „Nichts tut weh. Du musst dich bewegen. Ich brauche dich …“

Das ließ er sich nicht zweimal sagen. Zuerst begann er langsam, dann steigerte er das Tempo. Dabei sah sie ihn unentwegt an. Raffaele war fasziniert von ihren großen Augen. Von ihrem sinnlichen Mund. Von ihrer unschuldigen Ehrfurcht. Instinktiv hob sie ihre Hüften, um ihn tiefer aufzunehmen.

„Fester!“, keuchte sie, und er packte ihre Schultern.

Eine tiefe Röte erblühte auf ihrem Hals und ihren Wangen. Er konnte die Hitze spüren, die von ihr ausging. Sie schloss sie beide ein in einer Blase der Lust.

„Ich … ich … Oh!“ Zuletzt war es ein primitiver Ruf der Befreiung, den sie von sich gab.

Er spürte, wie sich der Druck in ihr entlud, und gab sich nun auch selbst völlig seiner Leidenschaft hin, bis er sich ganz in ihrer Freude, ihrem reinen Erstaunen und seiner eigenen Befriedigung verlor.

„Danke, dass du mein erster Mann gewesen bist“, hauchte sie etwas später vertrauensvoll, und er legte seine Arme besitzergreifend um sie.

War es das erste und gleichzeitig das letzte Mal mit ihr? Zumindest würde es nicht ihr erster und letzter Kuss sein!

„Ich wusste nicht, dass es so sein könnte … so intensiv.“

„Intensiv?“, echote er und fasste das als Kompliment auf. Als das ehrlichste, das er jemals bekommen hatte.

„Mein Körper wusste einfach, was er wollte und …“ Sie schüttelte den Kopf, und ein schüchternes Lächeln zeigte sich auf ihrem herzförmigen Gesicht.

„Alles andere war egal?“, beendete er für sie.

„Genau.“ Vertrauensvoll kuschelte sie sich an ihn, hob ihr Kinn und bot ihm ihren Mund an.

Ihre Lippen trafen aufeinander. Raffaele schloss die Augen und fühlte sich plötzlich wie ein pubertierender Teenager. Normalerweise schlief er nicht mit Jungfrauen. Er hatte einfach Sex, ohne jede Beziehungsabsicht. Das war alles.

Aber das hier war wie ein echtes Rendezvous …

Schnell löste er sich von ihrem warmen Körper, stand auf und verabschiedete sich mit einer gemurmelten Entschuldigung ins Badezimmer.

Dort lehnte er sich von innen gegen die geschlossene Tür und atmete ein paar Mal durch. Es dauerte eine Weile, bis er wieder klar denken konnte. Bis der Duft dieser süßen Verführerin etwas verflogen war und nicht länger sein Hirn vernebelte. Es war alles so verwirrend.

Er öffnete die Augen und sah nach unten. Oh, nein! Was hatte er getan? Das Kondom war gerissen!

Ihm wurde schwindelig vor Schock. Jeder Muskel in seinem Körper spannte sich an. Und in seinem Kopf dröhnte die Wahrheit, dass sich die Geschichte wiederholte. Eine unschuldige Frau. Eine Verführung. Ein Baby.

Eine Geschichte, die man ihm tausendmal erzählt hatte. Die verbotene Liebe seiner Mutter. Und die Verachtung, die er selbst erfahren hatte, weil seine Existenz schuld an ihrem Unglück war. Der Grund, warum ihre Liebe sie endgültig verlassen hatte.

Er würde keine andere Frau unglücklich machen!

Wenige Minuten später kehrte Raffaele zurück ins Schlafzimmer, um die Dinge zu regeln, ehe es zu spät war.

Aber das Bett war leer.

Nackt lief er durch den Flur, zurück ins Wohnzimmer, öffnete jede Tür, betätigte jeden Schalter, schaltete jedes Licht ein. Hastig zog er eine Hose über, bevor er auf die Terrasse hinauseilte. Er lief zu der verborgenen Tür, riss sie auf und nahm zwei Stufen auf einmal bis zum darunter liegenden Stockwerk.

Doch die geheimnisvolle Fremde blieb verschwunden.

In seiner Verzweiflung suchte Raffaele jedes Stockwerk ab, bis hin zum leeren Empfangsbereich. Völlig außer Atem blieb er in der Mitte des großen Foyers stehen. Er hob den Kopf zum Kronleuchter und der Buntglasdecke und nahm die Größe des Gebäudes in sich auf.

Sein Hotel. Zwanzig Stockwerke. Vierhundertsiebenunddreißig Räume. Fünfzehn weitere versteckte Zimmer, die an geheime Treppen und versteckte Ausgänge grenzten. Möglicherweise befanden sich Hunderte von Gästen hier. Und er kannte den Namen dieser anonymen Frau nicht, die jetzt vielleicht einen Teil von ihm in sich trug.

Raffaele atmete tief durch. Sein Kind würde niemals unerwünscht sein. Es würde wissen, dass es einen Platz in dieser Welt hatte. Beschützt werden. Falls diese Frau überhaupt schwanger war.

Egal, wie lange es dauerte, er würde sie finden!

3. KAPITEL

Sechs Wochen später

Raffaele betätigte den Steuerknüppel seines Helikopters. Die Aussicht vor ihm war ein einziger Flickenteppich aus matten Grüntonen – mit schwarzen Schatten knorriger Bäume auf den Hügeln und in den Senken der englischen Landschaft vor ihm.

Sechs Wochen lang hatte sie in seinem Kopf gelebt.

Es war schwieriger gewesen, sie zu finden, als er erwartet hatte, weil sie bei der Buchung im Hotel nicht ihren richtigen Namen angegeben hatte. Sie hatte ihren Geburtsnamen benutzt. Flora Campbell.

Einweisung ins Kinderheim im Alter von vierzehn Wochen. Sie blieb im Pflegesystem, bis zwei Landwirte sie adoptierten und auf ihren Milchviehbetrieb an der Grenze zwischen zwei Dörfern mit nur wenigen Tausend Einwohnern mitnahmen.

Raffaele selbst war auch in einem Dorf aufgewachsen, in der unberührten Wildnis im Osten Siziliens. Zu weit entfernt von den Küstenstädten, um für Touristen attraktiv zu sein. Es war eine kleine Gemeinde gewesen, und Raffaele war dort oft aufgefallen, weil er sich nachts oft allein herumtrieb. Man hatte gewusst, dass der Junge mit seiner depressiven Mutter in dem Haus auf dem Hügel lebte und unglaubliche Geschichten über einen Grafen erzählte, der sie bald wieder zu sich holen würde. Und man hatte sich darauf verständigt, dem Jungen so oft wie möglich Essen mit auf den Weg zu geben. Ohne die Dorfbewohner …

Raffaele schob die Erinnerungen beiseite. Er hatte weitgehend auf eigene Faust überlebt. Die Großzügigkeit von Fremden hatte seinen Bauch gefüllt, nachdem das unter dem Bett versteckte Geld seiner Mutter ausgegangen war. Er war immer ein Außenseiter gewesen. Am Rande der Gesellschaft. Auf sich selbst angewiesen. Und er hatte es aus eigener Kraft bis nach ganz oben geschafft – bis hin zu einem internationalen Multi-Milliarden-Dollar-Unternehmen.

Aber jetzt war keine Zeit, darüber nachzudenken. Denn jedes Mal, wenn er in den vergangenen Wochen die Augen geschlossen hatte, war es nicht das Gesicht seiner Mutter gewesen, das ihn verfolgte. Sondern das von Flora Campbell. Von Flora Bick.

Raffaele brachte den Hubschrauber über einem schneebedeckten Feld in Position, um die Landung vorzubereiten. Vorfreude kribbelte in seinem Magen. Sein Investigationsteam hatte ganze Arbeit geleistet. Er kannte sämtliche Details über die Farm bis hin zum genauen Anbauplan der Nutzflächen für Wildblumen und Grünkohl.

Daher fiel es ihm leicht, den perfekten Platz zum Landen anzusteuern. Nun war er seinem Ziel ganz nahe. Und wenn Flora schwanger war, gab es nur eine Möglichkeit, das Problem zu lösen: Er würde sie um seines Kindes willen an sich binden.

Flora war erschöpft. Die Müdigkeit steckte ihr tief in den Knochen. Sie hatte sich wieder in die Routine des Hofes eingefunden, als ob es die Nacht in London nie gegeben hätte. Aber ihr Körper erinnerte sich noch gut daran!

Bei ihm war sie weder eine Landarbeiterin noch die verlassene Tochter einer Süchtigen gewesen, sondern einfach nur eine Frau. Frei, sich selbst zu erforschen, zum ersten Mal im Leben. Er hatte nicht einmal ihren Namen gekannt. Alte Regeln hatten nicht gegolten. Keine starren Erwartungen oder Ängste, dass sie eventuell das zwanghafte Verhalten ihrer leiblichen Mutter geerbt hatte.

Einmal vom Drehbuch abzuweichen und der Intensität ihrer Gefühle freien Lauf zu lassen, hatte Flora völlig überwältigt. Erschrocken und gleichermaßen fasziniert war sie in den Alltag zurückgekehrt, den sie kannte. Denn sie war nicht diese verwegene Verführerin. Nicht wirklich. Im Grunde hatte sie keine Ahnung, wer oder was sie sein sollte.

Dennoch hatte dieses Abenteuer sie verändert, das spürte sie.

Ein unbekanntes, dumpfes Geräusch hallte in ihren Ohren wider, das allmählich immer lauter wurde. Verwundert streifte sie ihre gelben Gummihandschuhe ab, legte sie beiseite und folgte dem Dröhnen nach draußen.

Mit dem alten Bauernhaus im Rücken – die steinerne Einfahrt vor sich, die zu weiteren Feldern und einer schmalen Schotterstraße führte – blieb sie stehen und beobachtete einen kleinen Schatten, der inmitten der verschneiten Landschaft Gestalt annahm. Es war ein hochgewachsener Mann in einem schwarzen Anzug.

Er.

Flora biss sich auf die Unterlippe, um einen ungläubigen Schrei zu unterdrücken. Eine Gänsehaut kribbelte auf ihren Armen unter dem warmen Wollpulli. Sie schluckte. Wie deplatziert der Fremde hier mitten auf einem Feld wirkte! Erst jetzt entdeckte sie auch den Hubschrauber in der Ferne.

In ihr brodelte es vor Aufregung, und ihr Puls raste. Er hatte sie aufgespürt. Bloß warum?

Der Fremde blieb vor ihr stehen und erfüllte die Luft mit seinem maskulinen Duft.

„Piccolina.“

Dieses eine Wort, dessen Bedeutung sie nicht genau kannte, aber er hatte es ihr mehrmals zugeflüstert. Ein unbekannter Name für eine Frau, die sie eigentlich nicht war.

Sie war Flora Bick, die Tochter von einfachen Bauern. Ein Adoptivkind, das aus den Händen ihrer hilfsbedürftigen Mutter gerettet wurde.

„Wie hast du mich gefunden?“, begrüßte sie ihn. Der Klang ihrer Stimme war ihr fremd. Irgendwie heiser.

„Wolltest du nicht gefunden werden?“

Seine Muskeln zeichneten sich deutlich unter seiner Jacke ab, wenn er sich bewegte. Flora ballte ihre Hände zu festen Fäusten, um sich selbst daran zu hindern, ihn zu berühren.

„Wir haben nicht mal unsere Namen genannt“, erinnerte sie ihn zögernd.

Seine Augen leuchteten in einer Farbe, die sie noch immer nicht benennen konnte. Sie brannten sich in sie hinein, mit jedem einzelnen seiner heißblütigen Blicke.

Jetzt gab es keine Wahlmöglichkeiten mehr. Sie konnte hier auf der Farm nur eine Frau sein. Nämlich die Person, die ihre Eltern erwarteten.

Ihr Atem ging stoßweise und hinterließ kleine helle Wolken in der kalten Luft. „Wie hast du mich gefunden?“, wiederholte sie.

Es folgte Stille, und Flora konnte nicht aufhören, ihn anzuschauen. Sie unterdrückte den Schauer, der über ihre Haut kroch, und ballte ihre Fäuste noch fester zusammen.

„So wie ich alles finde“, antwortete er und trat auf sie zu. Etwas Neues, etwas Besitzergreifendes, überwand den Abstand zwischen ihnen. „Ich jage.“

Ein hilfloser Laut kam über ihre Lippen. „Ich bin aber keine Beute“, sagte sie, obwohl seine Bemerkung sie nicht erschreckte. Im Gegenteil, sie erregte Flora und entfachte in ihr neues Verlangen. „Man kann keine Menschen jagen.“

„Und doch bin ich hier“, korrigierte er sie.

Er kam ihr wie ein Geist vor, der sie an ihre Vergangenheit erinnerte. Daran, dass sie die Tochter einer Süchtigen war, die in London blind ihren Zwängen nachgegeben hatte. Hier war er nun und erinnerte sie an die Küsse, die Berührungen und die Freiheit, die sie in seinen Armen empfunden hatte. Im Grunde hatte sie sich nicht besser verhalten als ein von Bedürfnissen getriebenes Tier.

Aber sie war nicht wie ihre biologische Mutter, sondern konnte ihren Impulsen widerstehen, nicht wahr? Sie würde den Forderungen ihres Körpers nicht mehr nachgeben.

„Ich sollte wieder reingehen“, murmelte sie.

Er legte eine Hand an ihre Hüfte. Ganz sanft. Die Hitze, die von seiner Handfläche ausging, durchdrang die Schichten ihrer Kleidung.

„Lauf nicht wieder vor mir weg!“

Es war ein Befehl, aber mit einem flehenden Unterton.

„Ich bin nicht weggelaufen“, log sie, weil sie die Wahrheit nicht zugeben konnte. „Ich ging direkt durch die Vordertür des Hotels.“

Er zog seine Hand weg. „Ohne dich zu verabschieden?“

Scham ergriff sie. Natürlich hatte sie sich aus seinem Zimmer geschlichen und war zurück in ihr eigenes Leben verschwunden.

„Wir haben nur eine Nacht geteilt. Einen besonderen Moment“, erklärte sie ihm. „Du hältst dich nicht an die Regeln.“

„Welche Regeln?“

„Die über One-Night-Stands.“

Daraufhin zog er eine dunkle Braue hoch. „Und die kennst du, weil du schon so viele hattest?“

Verlegen sah sie zu Boden und dann gleich wieder hoch. Sie versuchte, sich auf den schwarzen Anzug zu konzentrieren und seinen kraftvollen Körper zu ignorieren. In ihrem Inneren herrschte Chaos.

„Du hast kein Recht, hier zu sein“, beschwerte sie sich und verdrängte den Gedanken, dass er sie wiedergefunden haben könnte, weil er ihre Nacht wiederholen wollte.

„Ich habe jedes Recht“, widersprach er.

Sie schüttelte den Kopf und aus dem unordentlichen Dutt auf ihrem Kopf lösten sich ein paar Strähnen, die ihr ins Gesicht fielen.

Eine davon schob er behutsam hinter ihr Ohr, und sein Lächeln brachte sie nun völlig aus dem Konzept.

„Warum bist du hier?“ Es sollte sie nicht interessieren, aber sie musste es unbedingt wissen.

„Rate mal“, drängte er sie, seinen Blick fest auf ihr Gesicht gerichtet. „Warum sollte ein Mann, mit dem du die Nacht verbracht hast, dir nachjagen?“

Seine Worte waren sanft. Einladend.

„Spiel nicht mit mir“, flüsterte sie.

„Okay.“ Er räusperte sich. „Ich bin hier, weil ich es wissen muss.“

„Was wissen?“

„Ob du schwanger bist.“

In diesem Moment wurde alles um sie herum still. Bevor alles zusammenbrach. Jede Erinnerung an ihr sicheres und vorhersehbares Leben und an die Nacht mit ihm. „Wie bitte?“

„Bist du schwanger oder nicht?“, fragte er mit leiser besitzergreifender Stimme.

Ihr Blick verschwamm an den Rändern. Die Welt begann sich zu drehen, und dann wurde Flora ohnmächtig.

4. KAPITEL

Eine sanfte Hand strich über ihre Stirn. Überrascht riss Flora die Augen auf, und ihre Umgebung nahm allmählich wieder Gestalt an.

Ihr Magen krampfte sich zusammen. Die Realität drängte sich zu schnell in ihre Sinne, und sie stellte fest, dass sie in einer warmen Umarmung gefangen war. In seinen Armen. Ihr Nacken lag in der Beuge seines Ellbogens, während er aus unergründlichen blauen Augen auf sie herabblickte.

Schwanger!

Sie befreite sich aus seinen Armen und kletterte auf den Sitz neben ihm. Aus dem Helikopter blickte sie über das Feld zu ihrem Haus und dann wieder zu ihm.

„Hast du mich den ganzen Weg hierhergetragen?“

„Ich wusste nicht, wer sich da im Haus aufhält, und wollte niemanden schockieren.“

„Es muss praktisch sein, ein tragbares Raumschiff zu haben, mit dem man Jungfrauen in Not in Sicherheit bringen kann“, kommentierte sie trocken, fand ihren Scherz aber selbst alles andere als lustig. Neugierig sah sie sich im Helikopter um. Die Kabine war groß, es gab zwei Sitzreihen hinter dem Cockpit.

„Hast du heute schon etwas gegessen?“, wollte er wissen.

„Nein.“ Sie presste die Knie zusammen und legte ihre verschwitzten Handflächen auf die Oberschenkel. „Es tut mir leid, dass ich ohnmächtig geworden bin. Das ist mir noch nie passiert.“

„Es war bestimmt der Schock. Zu erfahren, dass du vielleicht schwanger bist.“

Sie nickte stumm.

„Du musst etwas essen.“

„Ich kann nicht schwanger sein“, murmelte sie vor sich hin.

„Weißt du das sicher?“ Sein Blick brannte sich in sie hinein.

Verwirrt schüttelte sie den Kopf, und er griff wortlos zum Telefon. Flora verstand kein Wort von seinem Gespräch, aber es klang nach einer Reihe von Befehlen. Anschließend steckte er das Handy zurück in seine Innentasche. „Du könntest also schwanger sein“, schloss er.

Ihre Gedanken überschlugen sich. Sie war für dieses Gespräch nicht bereit. „Wir haben uns doch geschützt …“

„Das Kondom ist gerissen“, unterbrach er sie in einem sachlichen Ton.

„Gerissen?“

Dann bewegte er sich auf sie zu, bis nicht mehr als ein Zentimeter zwischen ihnen war. Ihre Knie stießen aneinander, und es kostete sie all ihre Konzentration, nicht den Duft seines herben Rasierwassers genüsslich einzuatmen. Dieser große, attraktive Mann war so vertraut und doch so unbekannt, beängstigend und erregend zugleich.

„Wenn du nicht weggelaufen wärst, hätte ich es dir gleich in der Nacht gesagt.“

Flora schloss ihre Augen. Sie atmete durch die Nase ein und durch den Mund aus. „Ich hatte Angst“, gestand sie leise.

„Vor mir?“

Sie schüttelte den Kopf und schluckte heftig. „Hast du es denn nicht gespürt?“, flüsterte sie.

Eine tiefe Furche erschien zwischen seinen Augenbrauen. „Was gespürt?“

Ihre Wangen färbten sich rot. Was hatte es für einen Sinn zu lügen? Also sagte sie ihm die Wahrheit. Dass sie in Versuchung geraten war, es noch einmal zu tun.

„Du bist weggelaufen, weil du Angst davor hattest, wer du mit mir bist?“, schlussfolgerte er.

„Ja.“ Sie stieß einen zittrigen Atemzug aus. „Ist es immer so … berauschend?“

Seine Augen verfinsterten sich. „Nein.“

„Und war es bei dir auch so? Ich meine, mit mir?“

„Ich …“ Er stockte, und man sah deutlich den schnellen Pulsschlag an seinem Hals. „Das ist jetzt nicht wichtig. Es ist sechs Wochen her. Zeit genug für deinen Körper, dir zu sagen, ob das Vergnügen, vor dem du dich so gefürchtet hast, Folgen hatte, piccolina.“ Es folgte eine kurze Pause. „Hast du deine Periode bekommen?“

Diese Frage war nicht mit Vorwürfen oder Anschuldigungen verbunden. Er wollte schlicht die Fakten wissen.

Die Hitze kroch ihr noch mehr in die Wangen. Vielleicht hatte sie nicht auf ihren Körper gehört, sondern war zu sehr damit beschäftigt gewesen, sich wieder in ihr Leben einzufinden.

Sie legte sich die Hände auf ihren flachen Bauch. „Ich fühle mich nicht schwanger“, sagte sie, mehr zu sich selbst als zu ihm.

„Wir werden einen Test machen“, beschloss er.

Flora richtete ihren Blick wieder auf ihn. „Hast du etwa einen mitgebracht?“

„Ich habe einen gekauft, aber er ist bei mir zu Hause.“

„Oh.“ Das war alles zu viel für sie. „Ich habe immer noch nicht erfahren, wie du mich gefunden hast. Hast du einen Privatdetektiv engagiert?“

„Ein ganzes Team“, bestätigte er, ohne zu zögern.

„Dann kennst du meine … Geschichte?“, hakte sie unsicher nach.

„Wie hätte ich dich sonst finden sollen?“

Es fühlte sich wie ein Verrat an. Er hatte sich einfach so Informationen über sie beschafft, während sie selbst einundzwanzig Jahre hatte warten müssen, um etwas über Flora Campbell zu erfahren.

Sie sah ihn an. „Ich wollte mich nicht an die Vergangenheit erinnern.“

Seine Augen blitzten auf. „Jetzt gibt es kein Vergessen mehr. Falls du ein Kind erwartest, sollte es auch seine Wurzeln kennen. Ich werde es nicht in dem Glauben lassen, dass es unerwünscht ist. Dass es niemanden gibt, der es beschützt. Denn ich werde meine Verantwortung ernst nehmen.“

„Wie kannst du es wagen, das, was du über mich gelesen hast, als Druckmittel zu verwenden?“

„Ich versuche nicht, dich zu manipulieren“, verteidigte er sich. „Wir werden gemeinsam herausfinden, ob es Konsequenzen unserer Taten gibt. Und du musst mir vertrauen, dass ich die nächsten Schritte sinnvoll wähle.“

„Die nächsten Schritte? Was ist denn, wenn ich schwanger bin?“

„Zuerst machen wir zusammen diesen Test.“

„Und falls er positiv ausfällt?“

„Natürlich werden wir heiraten.“

Mit dieser Aussage hatte sie definitiv nicht gerechnet. „Warum sollten wir?“

„Wenn du mit meinem Kind schwanger bist, gehört es auch zu mir. Und ich beschütze, was mir gehört.“

„Ein Baby ist kein Besitz. Man kann es nicht für sich beanspruchen.“

„Es hat ein Recht auf den Namen seines Vaters“, beharrte er. „Meinen Namen.“

„Sagst du das bloß, weil du meine Akte kennst?“, wollte sie wissen. „Weil ich nicht weiß, wer mein biologischer Vater ist?“

Seine Miene verhärtete sich. „Ich weiß aus eigener Erfahrung, wie schwer es ist, seine wahre Herkunft zu verleugnen.“

„Wurdest du auch adoptiert?“

„Nein. Aber ich lebte allein bei meiner Mutter, die mir erzählt hat, mein Vater sei ein echter Graf. Italienischer Adel.“

Sein Tonfall war flach und nüchtern.

„Er hatte sie versteckt und mit etwas Geld abgespeist, weil er sich schämte, einen unehelichen Sohn zu haben.“

„Das hat bestimmt weh getan“, sagte Flora mehr zu sich selbst. „Bis ich einundzwanzig war, haben mir meine Eltern auch nur Geschichten erzählt, aber niemals die Wahrheit. Dauernd haben sie mich ermahnt, niemals meinen Instinkten zu folgen, sondern mich an sorgfältig ausgearbeitete Routinen zu halten.“

„Aus welchem Grund?“

„Ich habe eine obsessive Persönlichkeit. Das bedeutet, ich fixiere mich zu sehr auf Dinge.“

„Auf was zum Beispiel?“

„Meistens hat es etwas mit meinem Ordnungszwang zu tun …“

Er zuckte mit den Schultern. „Sich in einer Welt voller Lärm zu konzentrieren, ist eine Fähigkeit, kein Fehler.“

„Vielleicht“, räumte sie ein.

„Glaubst du deshalb, du kennst dich selbst nicht richtig? Weil dir nie deine Geschichte verraten wurde?“, fragte er, und damit katapultierte er sie sechs Wochen in die Vergangenheit.

„Daran erinnerst du dich?“

„Ich erinnere mich an alles.“

Und das tat sie auch. An jede Liebkosung, an jede Berührung.

„Ich bin ihr Wunderbaby“, seufzte sie, als ob das alles erklären würde. Und für sie tat es das auch.

„Und ich war ein ungewollter Bastard“, antwortete er trocken. „Du warst wenigstens ein Wunder. Zwei entgegengesetzte Enden des Spektrums. Aber kein Kind von mir soll jemals ein Fehler oder ungewollt oder unehelich sein“, stieß er zwischen zusammengepressten Zähnen hervor. „Falls du schwanger bist, wird unser Baby immer wissen, wo es hingehört.“

Seine Augen blickten sie mit einer solchen Intensität an, dass sie den heftigen Herzschlag in ihrer Brust spüren konnte.

„Ich bin im Osten von Sizilien aufgewachsen. Dort ist es wunderschön. Unberührt und abseits vom Trubel. Hätten wir näher an der Küste gelebt, bei Leuten, die die Krankheit meiner Mutter hätten erkennen können …“

„Deine Mutter war krank?“

„Schwerstens depressiv. Beinahe psychotisch. Bis zu dem Punkt, an dem sie nicht mehr funktionieren konnte.“ Er schluckte. „Oder sich um einen kleinen Jungen kümmern, der oft Hunger hatte.“

Die Verbindung zwischen ihnen wurde immer stärker. Nicht wie in der Nacht, in der sie sich kennengelernt hatten. Es ging tiefer. Da war etwas, das sie weder benennen noch einordnen konnte. Aber Flora erkannte, dass es sich entwickelte.

„Hat dir deine Mutter Geschichten über diesen italienischen Grafen erzählt, weil sie nicht wusste, wer dein Vater war?“, erkundigte sie sich sanft.

„Einige ihrer Erzählungen stimmten, einige waren falsch“, antwortete er. „Ich habe die Wahrheit erst herausgefunden, als ich schon viel älter war, und dann spielte es für mich keine Rolle mehr, was erfunden war und was nicht. Ich wusste nur, dass wir arm waren und dass meine Mutter von einem Mann verlassen worden war, der weder sie noch mich haben wollte. Seine kleine Abfindung an sie war irgendwann aufgebraucht, und danach wurde es richtig schlimm.“

„Und war dein Vater wirklich ein italienischer Graf?“

„Ja. Er ist vor sechs Monaten gestorben.“

„Und deine Mutter?“

„Drei Monate später.“

„Oh, wie furchtbar.“ Ihre Kehle schnürte sich zusammen. Sie schluckte. „Es tut mir so leid.“

„Ich habe ihn nicht gekannt und auch nicht um ihn getrauert.“ Er schien sich einen inneren Ruck zu geben. „Da fällt mir ein, dass ich dir noch gar nicht gesagt habe, wie ich heiße.“

„Nein!“, unterbrach sie ihn schnell und streckte automatisch die Handflächen nach vorn. „Bitte, sag mir deinen Namen nicht!“

„Warum nicht?“

„Wenn du mir deinen Namen sagst, wirst du real“, erklärte sie und klang dabei verzweifelt. „Das alles hier wird real.“

Er war überwältigend ehrlich zu ihr gewesen, und das reichte ihr vorerst. Sie saß in einem Hubschrauber, mitten auf einem riesigen Feld, mit einem Mann, den sie eigentlich nie wieder sehen sollte. Mehr konnte sie in diesem Moment nicht verkraften.

„Ich komme mit dir“, versprach sie und beschloss, ganz ehrlich zu sein. „Aber nur unter einer Bedingung.“

„Und die wäre?“

„Dass du mir deinen Namen nur dann verrätst, wenn ich schwanger bin. Falls ich es nicht bin, spielt das alles absolut keine Rolle.“

Er nickte langsam. „Gut. Ich werde für dich ein Fremder bleiben, bis wir mehr wissen“, stimmte er zu. Und dann reichte er ihr, wie schon in jener Nacht, die Hand.

Ein Anflug von Erregung – oder war es vielleicht Angst? – pulsierte in Wellen durch Floras Adern.

Zögernd ließ sie ihre Finger zwischen seine gleiten und ließ es zu, dass er sie in ein weiteres Abenteuer entführte.

In das größte Abenteuer ihres bisherigen Lebens.

5. KAPITEL

Der Hubschrauber sauste zwischen den Küstenklippen hindurch und über das offene Meer hinaus, direkt auf eine weiß-blaue Jacht zu.

Floras Haut prickelte. Ihre Schläfen pochten, als ihr bewusst wurde, wie reich der Fremde möglicherweise war. Wenn sie zusammen ein Baby bekamen, war das doch eine Information, die sie kennen sollte?

Sie landeten auf dem Heck des Schiffs, und Flora hielt beeindruckt den Atem an. Er war ein vermögender Mann, kein Zweifel. Bevor sie selbstständig aussteigen konnte, kam er um den vorderen Teil des Hubschraubers herum und öffnete ihr die Tür. Hinter ihm erstreckte sich das ruhige Meer, und eine neue Welt der Opulenz tat sich vor Flora auf. Glänzendes Glas und polierte Silberschienen unterteilten die verschiedenen Decks … der ganze Luxus war überwältigend.

„Ich steige nicht aus.“

Er zog eine Augenbraue hoch. „Du steigst nicht aus?“

Sie schüttelte ihren Kopf so heftig, dass ihr Headset verrutschte.

Wie sollte sie auch, wenn sie nicht einmal wusste, wo sie sich eigentlich befand? Hals über Kopf war sie mit dem Fremden von zu Hause getürmt, ohne sich zu fragen, wohin er sie eigentlich bringen wollte.

Er nahm ihr das Headset ab, und die Berührung seiner Finger machten sie sofort wieder schwach. Nein! Sie durfte nicht auf seine Hände schauen, denn das weckte ihr Verlangen nach mehr. Nach berauschender Ekstase. Verzehrender Leidenschaft, ohne einen Gedanken an den nächsten Morgen. Sie durfte sich nicht von diesen süchtig machenden Gefühlen leiten lassen.

„Sag mir, wer du bist“, verlangte Flora energisch. Sie brauchte Fakten, um wieder klar denken zu können. Für Heimlichkeiten war in dieser Situation einfach kein Platz mehr.

Seine Augen wurden schmal. „Warum ist das jetzt wichtig?“

„Weil ich den Eindruck habe, dass wir in verschiedenen Universen leben. Vor sechs Wochen bin ich davon ausgegangen, du hättest einfach nur ein besseres Zimmer mit einer schöneren Aussicht. Aber mittlerweile befürchte ich, dir gehört das ganze Hotel, oder?“

„Was glaubst du?“

„Ich muss wissen, wer du bist“, wiederholte sie. „Was ich vorhin vorgeschlagen habe, war ein Irrtum. Unser gemeinsames Problem ist real, ob ich es wahrhaben will oder nicht. Ich kann mich nicht davor verstecken. Und falls es ein Baby geben sollte …“

„Ich bin Raffaele Russo“, unterbrach er ihren Redefluss. „Geschäftsführer von Russo Renovations. Sizilianer. Multimilliardär.“ Er verringerte den Abstand zwischen ihnen und sagte etwas leiser: „Außerdem bin ich eventuell der Vater deines Kindes.“

Die erotische Anspannung pulsierte auch jetzt noch zwischen ihnen, und Flora stellte sich vor, wie Raffaele seinen Mund auf ihren presste. Hastig schüttelte sie diesen Gedanken ab.

„Milliardär? Aber du hast gesagt, du wärst mitten im Nirgendwo aufgewachsen. Und dass du hungern musstest. Wie hast du so viel Geld verdient?“

Sein Lächeln erreichte die Augen nicht. „Ist das wichtig?“

„Natürlich ist es das. Warum hast du mir nicht gesagt, dass du steinreich bist?“

„Du hast nie gefragt.“

Natürlich hatte sie das nicht. Wie hätte sie sich jemals vorstellen können, von einem waschechten Milliardär begehrt zu werden? Ausgerechnet sie, eine Frau, die keine Ahnung hatte, woher sie wirklich kam.

„Und verrätst du mir nun, wie du es so weit gebracht hast?“, fragte sie.

„Ich will die Vergangenheit nicht romantisieren. Es war ein ziemlich harter Weg. Scarlata ist klein.“

„Scarlata?“

„Mein Heimatdorf. Nur hundert Einwohner. Aber man hatte Zugang zur Außenwelt. Eine Verbindung zum Internet. Um die hübschen Bilder zu posten, die die Leute so gern in den sozialen Medien hochladen. Und ich habe damals eine alte Digitalkamera auf einem Bauernhof am Rande des Dorfes gefunden.“

„Was war das für ein Hof?“

„Sie haben dort drei Generationen lang Käse hergestellt und ihn in die großen Städte verkauft. Touristen kamen fast nie ins Dorf, aber sie besuchten den Hof, zumindest online. Ich habe dort manchmal ausgeholfen, weil ich dafür Käse und Brot mit nach Hause nehmen durfte. Aber Touristen brauchen mehr als nur Essen, wenn sie etwas persönlich besichtigen wollen. Sie brauchen einen Ort, wo sie übernachten können. Da bin ich auf die Idee gekommen, mit der ich schließlich Karriere gemacht habe.“

„Ich bin mir nicht sicher, ob ich dir folgen kann“, murmelte Flora.

„Wo ich herkomme, gab es kaum Rohstoffe zu kaufen. Man musste improvisieren. Was ich kann und weiß, habe ich mir selbst beigebracht. Und als endlich allmählich die ersten Touristen in unser Dorf kamen, habe ich versucht herausfinden, wie ich mit ihnen Geld verdienen konnte. Ich habe ein leerstehendes Haus im Zentrum mit allen Materialien renoviert, die ich in den Kellern der Gemeinde finden konnte.“

„Hast du die Sachen gestohlen?“

„Nein, viele Gemeindemitglieder haben mir damals geholfen. Und wenn ich ir...

Autor

Lela May Wight
Mehr erfahren
Lorraine Hall
Mehr erfahren
Nina Milne

Nina Milne hat schon immer davon geträumt, für Harlequin zu schreiben – seit sie als Kind Bibliothekarin spielte mit den Stapeln von Harlequin-Liebesromanen, die ihrer Mutter gehörten.

Auf dem Weg zu diesem Traumziel erlangte Nina einen Abschluss im Studium der englischen Sprache und Literatur, einen Helden ganz für sich allein,...

Mehr erfahren
Millie Adams
Mehr erfahren