Julia Extra Band 559

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SÜSSES WEIHNACHTSGESTÄNDNIS FÜR DEN BOSS von MICHELLE SMART

Fest der Liebe unter dem Polarstern? Als Hotelmanagerin Lena ihrem sexy Boss Konstantinos Siopis die süßen Folgen ihres One-Night-Stands gesteht, verlangt er, dass sie die Weihnachtstage mit ihm verbringt. Aus Pflichtgefühl? Oder kann sie den Eispanzer um sein Herz zum Schmelzen bringen?

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  • Erscheinungstag 08.10.2024
  • Bandnummer 559
  • ISBN / Artikelnummer 9783751525718
  • Seitenanzahl 432
  • E-Book Format ePub
  • E-Book sofort lieferbar

Leseprobe

Michelle Smart, Bryony Taylor, Rachael Stewart, Joss Wood

JULIA EXTRA BAND 559

1. KAPITEL

Zweihundertzehn Kilometer nördlich des Polarkreises drängte sich in der Hauptlodge des an der Torne gelegenen Eishotels Siopis aufgeregt schwatzendes Personal. Das Ferienresort war das ganze Jahr über für Gäste geöffnet, die sich am Wechsel der Jahreszeiten erfreuen wollten. Aber erst im November, wenn der Fluss so dick zugefroren war, dass sich die Handwerker und Künstler an die Arbeit machen konnten, entfaltete sich der eigentliche Zauber.

Lena Weir, die seit vier Jahren hier arbeitete, war stets aufs Neue beeindruckt von dem Talent, dem Erfindungsreichtum und der harten Arbeit, die es erforderte, um allein aus Eis- und Schneeblöcken das sogenannte Iglu zu erschaffen. Und bei Frühlingsbeginn beobachtete sie wehmütig, wie das magische Gebilde dahinschmolz und in Wasser verwandelt in den Fluss zurückkehrte.

Heute jedoch schien der Frühling Welten entfernt. Es war fast zwei Uhr mittags und fühlte sich an wie Mitternacht. Die Sonne hatte sich zuletzt vor drei Tagen kurz blicken lassen. Da hatte Lena zusammen mit dem Rest des Teams draußen gestanden und ihr Gesicht für volle sechsundzwanzig Minuten in den matten Strahlen der Sonne gebadet, die sich innerhalb der nächsten drei Wochen nur noch als ein schwacher Schimmer am Horizont zeigen würde.

In drei Tagen wurden die ersten Gäste der Wintersaison erwartet. Wer abenteuerlustig und betucht genug war, würde eine Nacht im Iglu verbringen. Gerade fand die letzte Belegschaftsversammlung vor der offiziellen Eröffnung statt. Von außen sah das riesige Iglu jedes Jahr gleich aus, während es im Innern stets anders gestaltet war. Da war die einzige Konstante das glitzernde Eis, durch das aufwändig gebündelte Lichtstrahlen fielen.

Während das Team dabei war, sich mit mehreren Kleiderschichten gegen die eisige Kälte draußen zu wappnen, klingelte an der Rezeption das Telefon. Sven, der am nächsten stand, meldete sich in perfektem Englisch: „Eishotel Siopis, was kann ich für Sie tun?“

Wenn Lena nicht zu ihm geschaut hätte, wäre ihr die aufflackernde Panik entgangen, die über sein Gesicht huschte, während er lauschte. Schließlich nickte er energisch und beendete das Gespräch mit den Worten: „Gut. Ich werde das Hauswirtschaftsteam sofort informieren.“

„Was ist?“, fragte Lena. Im Eishotel gab es fast nie Beschwerden. Hatte in einem der Chalets die Kaffeemaschine den Geist aufgegeben? Oder war ein Bett nicht richtig gemacht worden?

„Das war Magda. Die Halbjahresinspektion wird vorgezogen.“

Lena hob ungerührt eine Augenbraue. Kein Problem. Die Inspektion drei Tage vor Weihnachten anzusetzen war in ihren Augen sowieso Unsinn gewesen. Also sprach nichts dagegen, sie vorzuziehen.

Doch das war noch nicht alles. „Mr. Siopis übernimmt sie persönlich.“

Jetzt wurde Lenas Kopf ganz leer. Halt suchend streckte sie eine Hand nach dem Tresen aus und zwang sich, langsam und tief durchzuatmen. „Wann?“, brachte sie nach einer Weile mühsam heraus.

Normalerweise kam Konstantinos Siopis jedes Jahr im Sommer. Deshalb hatte sie erst in sieben Monaten wieder mit ihm gerechnet.

„Er wird in vier Stunden hier sein.“

Lena hätte sich am liebsten fallen gelassen, zu einem Ball zusammengerollt und hin und her gewiegt wie ein kleines Kind. Aber ihr blieb nur, den Empfangstresen noch fester zu umklammern und möglichst ruhig sagen: „Informierst du das Hauswirtschaftsteam, dass sie ein Chalet für ihn herrichten?“

Sven nickte.

„Gut. Ich lasse ihn mit dem Auto vom Flughafen abholen. Weißt du, wie lange er bleibt?“

„Nein.“

Sie konnte es Sven nicht verdenken, dass er nicht gefragt hatte. Magda, Konstantinos’ persönliche Assistentin, war fast so einschüchternd wie ihr Chef selbst, Eigentümer einer internationalen Luxushotelkette und Investor in zahlreichen Spitzentechnologien. Der auch Lenas Chef war und der oberste Boss aller hier.

Hinzu kam, dass er der Vater ihres ungeborenen Kindes war, von dessen Existenz außer ihr allerdings niemand wusste.

Konstantinos schaute hinaus in die nachtschwarze Dunkelheit. Es sollte ja Menschen geben, die endlose Nächte und unerbittliche Kälte aufregend fanden, aber er gehörte ganz gewiss nicht dazu. Sein natürlicher Lebensraum waren sonnenüberflutete Inseln wie sein Geburtsort Kos. Er mied kältere Regionen wie die Pest und richtete seinen Terminkalender grundsätzlich so ein, dass er immer dort zu tun hatte, wo gerade die Sonne schien.

Doch da, wo sein Pilot jetzt zur Landung ansetzte, gab es nur Forschungsstationen, ein paar wenige spärlich beleuchtete Häuser sowie kleinere Touristenzentren. Die Sonne würde sich erst in einigen Wochen wieder am Himmel zeigen.

Die Landung verlief glatt, aber in dem Moment, in dem sich die Kabinentür öffnete, schlug die Kälte zu. Nach wenigen Schritten saß er in einem warmen Auto und zog sich die Mütze vom Kopf. Zum Glück schneite es wenigstens nicht. Sein dunkelolivfarbenes Gesicht schätzte es nämlich gar nicht, wenn vereiste Schneeflocken darauf schmolzen. Genauso wenig, wie seine Füße es schätzten, zu lange durch tiefen Schnee zu stapfen. Und sein übriger Körper verabscheute es, zum Schutz gegen die eisige Kälte in viel zu viele Schichten plumper Kleidung gehüllt zu werden.

Aber warum hatte er sich dann trotzdem spontan entschieden, seine Reise nach Australien zu verschieben und stattdessen in einen Teil der Welt zu fliegen, der ihm schon allein aufgrund seiner Witterungsbedingungen ein Gräuel war?

In jedem einzelnen Unternehmen seiner Hotelkette wurde zweimal im Jahr eine Inspektion durchgeführt. Man hatte Konstantinos am frühen Morgen informiert, dass Nicos, der Leiter des Teams für die nördlichen Regionen, wegen Gallensteinproblemen ins Krankenhaus musste und für die nächsten sechs Wochen ausfallen würde. Ursprünglich war geplant gewesen, dass Nicos zwei Tage vor Weihnachten, also in knapp einem Monat, im Eishotel eine Inspektion durchführen sollte.

Das Eishotel Siopis, ein Urlaubsresort, das das ganze Jahr über wahre Lobeshymnen erntete, war das Kronjuwel in Konstantinos’ Portfolio. Jeden Winter strömten Menschen aus aller Welt herbei, um eine Nacht im Iglu zu verbringen, das alljährlich neu aus Eis und Schnee errichtet wurde. Nach der Eröffnung vor acht Jahren hatte Konstantinos seine Besuche bewusst in die Sommermonate gelegt, wenn das Iglu lange dahingeschmolzen war und in den Blockhütten abenteuerlustige Gäste wohnten, die sich die Zeit mit Touren durch die Wildnis und Wildwasserfahrten vertrieben.

Weil Nicos jetzt ausfiel und der Rest des Teams anderweitig beschäftigt war, bedeutete dies, dass die Inspektion des Eishotels verschoben werden musste. Was nicht weiter schlimm wäre, wenn Konstantinos nicht vor fünf Monaten die Leitung dort Lena Weir übertragen hätte, der jüngsten und unerfahrensten Bewerberin auf den Geschäftsführerposten. Lenas Wochenberichte waren zwar ebenso aussagekräftig und detailliert wie die ihres Vorgängers, aber erst bei der Halbjahresinspektion würde sich zeigen, ob der Schein nicht trog. Deshalb hatte Konstantinos beschlossen, seine persönlichen Vorlieben zurückzustellen und die Inspektion selbst zu übernehmen.

Es war eine spontane Entscheidung gewesen, die er allerdings jetzt schon bereute.

Er konnte sich nicht erinnern, je zuvor so eine Enge in der Brust verspürt zu haben, wenn er eins seiner Unternehmen besuchte. Was zweifellos an der Dummheit lag, die er sich vor fünf Monaten geleistet hatte.

Mit Beginn seiner Selbstständigkeit hatte Konstantinos es sich angewöhnt, jeden neuen Mitarbeiter zu einem Begrüßungsessen einzuladen, so wie sein Vater es in ihrem Familienrestaurant stets gehalten hatte. Doch da in seinen Hotels inzwischen weltweit Tausende Mitarbeiter eingestellt wurden, war es ihm schon lange unmöglich geworden, an dieser Tradition persönlich festzuhalten. Mit den von ihm selbst ernannten Mitarbeitern setzte er diesen Brauch jedoch fort, in diesem Fall mit Lena Weir, die er nach ihrer Beförderung zum Essen eingeladen hatte.

Dabei hatten sie es tatsächlich geschafft, zu ihrem Fünf-Gänge-Menü drei Flaschen Wein zu leeren. Anschließend war es ihm völlig normal erschienen, sie zu ihrer Hütte zu begleiten und ihre Einladung auf einen Kaffee anzunehmen.

Am nächsten Morgen hatten sie sich ausgesprochen höflich verabschiedet. Er hatte Schweden in dem sicheren Gefühl verlassen, dass der One-Night-Stand ihre Arbeitsbeziehung nicht beeinträchtigen würde. Seitdem hatte es keinen Grund gegeben, daran zu zweifeln.

Lena Weir war nicht dumm. Ihre praktische Intelligenz war einer der Gründe, warum er ihr den Job zugetraut hatte. Deshalb würde sie zweifellos wissen, dass ein Mann, der mit siebenunddreißig Jahren weder verheiratet war noch in einer festen Beziehung lebte, ein überzeugter Junggeselle war.

Im Licht der Autoscheinwerfer schälten sich Formen heraus, die ihm sagten, dass sie fast am Ziel waren.

Die Enge in seiner Brust nahm noch zu.

Er hatte einen Fehler gemacht. Einen Fehler, über den man besser den Mantel des Schweigens breitete.

Als der schwere Geländewagen vor der Hauptlodge hielt, vermied Lena es, Svens Blick zu begegnen. Weil sie wusste, dass die Besorgnis in seinen Augen ihre wachsende Panik nur noch befeuern würde.

Auch wenn diese Panik einen völlig anderen Grund hatte als die Besorgnis von Sven und den anderen, die seit Ankündigung des Überraschungsbesuchs wie aufgescheuchte Hühner durch die Gegend liefen. Lena rief sich zur Ordnung und klatschte in die Hände, um sich Gehör zu verschaffen.

„Da wir alle unsere Arbeit entsprechend den hohen Standards machen, die man von uns erwartet, gibt es für Nervosität keinen Grund.“ Sie unterbrach sich kurz, bevor sie mit einem matten Lächeln hinzufügte: „Obwohl natürlich jeder, der vielleicht irgendwo ein Auge zu viel zugedrückt hat, jetzt die Gelegenheit bekommt, das schnell noch zu korrigieren.“ Ein paar Leute waren bereits mit einem verlegenen Grinsen verschwunden.

Lena wusste, dass das, was sie glaubten, noch rasch verbessern zu müssen, nur Kleinigkeiten waren. Ihre Leute leisteten alle gute Arbeit. Sie waren ein prima Team und hielten sich gegenseitig den Rücken frei. Konstantinos Siopis würde keinen Grund zur Klage finden. Er bezahlte seine Angestellten überdurchschnittlich gut, dafür verlangte er allerdings auch absolute Perfektion. In den fünf Monaten, in denen Lena jetzt als Geschäftsführerin arbeitete, hatte es nur drei Beschwerden gegeben, kleinere Ausreißer und nicht wert, irgendwo dokumentiert zu werden. Deshalb konnte Konstantinos nichts davon wissen … oder womöglich doch? Falls ja, wäre es ein Kündigungsgrund.

Sie schluckte den sauren Geschmack, den sie plötzlich auf der Zunge hatte, hinunter, während sie beobachtete, wie Konstantinos seine lange schlaksige Gestalt aus dem Fond des Wagens entfaltete. Zahlreiche strategisch platzierte LED-Lampen sorgten für genug Helligkeit, um sich im Freien gefahrlos bewegen zu können.

Eingehüllt in einen langen Lammfellmantel, der trotz des hochgeschlagenen Kragens zu wenig Schutz gegen die eisige Kälte bot, stapfte er durch den gefrorenen Schnee auf die Eingangstür zu. Mit jedem Schritt begann Lenas Herz schneller zu schlagen. Sie musste sofort aufhören, sich mit den Händen über den Bauch zu fahren. Außer der Betriebsärztin, die der Schweigepflicht unterlag, wusste niemand, dass sie schwanger war. Es war ihr ängstlich gehütetes Geheimnis.

Lena konnte es sich schlicht nicht leisten, ihren Job zu verlieren. Nicht jetzt, wo sie ein Kind erwartete. Und ohne Job hätte sie auch keine Wohnung. Natürlich würden ihre Eltern in England sie jederzeit aufnehmen, obwohl ihr Haus eigentlich viel zu klein war. Sie könnte nur im Wohnzimmer auf der Couch schlafen, weil man ihr ehemaliges Kinderzimmer in eine Behelfsapotheke und einen Lagerraum für medizinische Geräte für ihre Schwester umfunktioniert hatte. Seit sie wusste, dass sie schwanger war, hatte sie etwas Geld beiseitegelegt, andere Ersparnisse hatte sie nicht. Und die Ersparnisse ihrer Eltern waren nach dem schrecklichen Unfall, bei dem Heidi so schwer verletzt worden war, schnell aufgebraucht gewesen.

Der Vater ihres ungeborenen Kindes war inzwischen fast am Eingang angelangt. Jetzt klopfte ihr das Herz im Hals.

Während Sven nach vorn eilte, um die Tür zu öffnen, schnappte sich Lena einen Schnellhefter, den sie sich vor den Bauch hielt. Dabei schickte sie ein Stoßgebet zum Himmel, dass Konstantinos ihrer Figur keine weitere Beachtung schenken möge. Hier im Haus trugen die meisten Angestellten nur Hosen und einheitliche Poloshirts, aber Lena hatte sich in letzter Zeit angewöhnt, das warme schwarze Pulloverkleid mit integriertem Kragen zu tragen, das alle Mitarbeiterinnen mit Kundenkontakt gestellt bekamen. Es brauchte schon ein sehr aufmerksames Auge, um das kleine Bäuchlein wahrzunehmen, das sich unter dem weichen Stoff abzeichnete.

Konstantinos stampfte auf dem Abstreifer mehrmals kräftig auf, um den Schnee an seinen Schuhen loszuwerden, und trat ein. Dabei fiel sein Blick sofort auf die Frau, mit der er bei seinem letzten Aufenthalt hier die Nacht verbracht hatte. Ihre Blicke begegneten sich. Erst einen Herzschlag später verzog sie das Gesicht zu einem freundlichen Lächeln, bevor sie mit einer Akte an ihre Mitte gepresst auf ihn zukam und ihm die Hand entgegenstreckte.

„Mr. Siopis! Das ist ja eine Überraschung.“

„Ja, nicht wahr?“, erwiderte er sardonisch und drückte routiniert ihre Hand.

Ihn durchzuckte es heiß. Eilig zog er die Hand zurück und ließ den Blick durch die makellose Lobby schweifen. Betrachtete die traditionelle schwedische Weihnachtsdekoration und die prachtvoll geschmückte Tanne. In der Luft hing ein Duft nach Zimt und Orangen.

Obwohl der gesamte Hotelkomplex geothermisch beheizt wurde, loderte zur Begrüßung der durchgefrorenen Gäste in einem offenen Kamin ein Holzfeuer. Konstantinos ging hin, um sich die Hände zu wärmen.

Nachdem er sich kurz gesammelt hatte, drehte er sich wieder zu Lena um. Er glaubte in ihrem Gesicht einen Anflug von Besorgnis zu entdecken, verständlicherweise. Auch ihm war bei dem Gedanken an ein Wiedersehen mit ihr nicht wohl gewesen. One-Night-Stands waren seine Sache nicht, und keine einzige Frau war ihm länger in Erinnerung geblieben.

Nur Lena. Nie hatte er die Nacht mit ihr vergessen können. Wenn in seiner Mailbox ihr Name aufpoppte, kam sein Herz jedes Mal ins Stolpern, was nicht nur ärgerlich, sondern auch unprofessionell war. Ihre stets knapp und sachlich gehaltenen Mails waren die einzigen, die er zweimal las. Ebenso ihre Wochenberichte, die er auf der Suche nach relevanten Informationen nicht nur überflog, sondern aufmerksam studierte.

Nie wieder, schwor er sich grimmig. Nie wieder. Beruf und Privatleben gehörten strikt getrennt, alles andere war ein sicheres Rezept für die Katastrophe. Was er getan hatte, war ein Fehler, den er tagtäglich bitter bereute. Und jetzt stand sie leibhaftig vor ihm, mit ihrem über die Schultern fallenden rotbraun glänzenden Haar, das, auf einer Seite hinter ein zierliches Ohr geschoben, ein ebenmäßiges ovales Gesicht mit großen samtbraunen Augen einrahmte. Mit einer zierlichen Nase, einem großzügigen vollen Mund. Dazu ein schlanker Körper mit Brüsten, die üppiger waren, als ihr Kleid erkennen l…

Abrupt unterbrach er seinen Gedankenfluss. Er sollte wirklich nicht immer noch das Gewicht ihrer Brüste in seinen Händen spüren.

„Gibt es eine freie Hütte für mich?“, fragte er schroff. Hier, mitten im Nirgendwo, galt die Regel, dass für Notfälle immer ein Chalet freigehalten wurde.

„Ja. Die Abrechnung für das letzte Quartal könnten wir …“

„Dazu kommen wir später“, fiel er ihr ins Wort. „Mein erstes Interesse gilt dem Iglu.“ Sobald das abgehakt war, konnte er den Rest seines Kurztrips hier wenigstens im Warmen verbringen.

Sie nickte lächelnd und deutete auf einen groß gewachsenen Skandinavier, der neben einer jungen dunkelhaarigen Mitarbeiterin am Empfangstresen stand. „Vielleicht kann Sven ja …“

„Nein. Das ist Aufgabe der Geschäftsführung.“

Ihre Lippen zuckten, und in ihren Augen leuchtete erneut eine Spur von Besorgnis auf, aber sie schaffte es, ihr Lächeln beizubehalten. „Natürlich. Ich dachte nur, weil Svens Vater der leitende Architekt und Sven selbst an der künstlerischen Ausgestaltung von einem der Innenräume beteiligt war.“

„Sie wissen nicht Bescheid?“, fragte er.

„Doch, wie alle anderen Mitarbeiter auch.“

„Gut. Sven kann mir meine Hütte zeigen. In dreißig Minuten treffen wir uns wieder hier, dann können wir anfangen.“

„Wollen Sie zu Fuß zum Iglu gehen oder lieber auf Skiern? Oder möchten Sie ein Schneemobil nehmen?“ Lenas bevorzugtes Fortbewegungsmittel im Winter waren Skier.

„Zu Fuß“, kam es prompt zurück.

„Alles klar.“

Er begegnete ihrem Blick, nickte knapp und machte sich dann mit Sven im Schlepptau auf den Weg.

Sobald die Tür hinter den beiden Männern zugefallen war, schloss Lena die Augen und atmete lange und tief durch.

Himmel! Die Situation eben gehörte zweifellos zu den qualvollsten Momenten ihres Lebens. Ob sie den Morgen danach mit ihm noch übertraf, wusste sie nicht zu entscheiden.

Damals hatte sie nach dem Aufwachen mit Herzklopfen auf den noch schlafenden Konstantinos geblickt und war beschwingt aus dem Bett gehüpft, um die Vorhänge zu öffnen. Auf dem Weg zurück zum Bett hatten die Sonnenstrahlen ihre von seinen Zärtlichkeiten gezeichnete Haut gestreichelt. Sie hatte ihn mit einem Kuss wecken wollen, aber da war er schon wach gewesen. Nie würde sie vergessen, wie er mit weit offenen Augen dagelegen hatte. Dieser Gesichtsausdruck … Sofort war ihr das Lächeln auf den Lippen gefroren.

„Die letzte Nacht war ein Fehler.“

Seine Worte hatten sie tief getroffen. Benommen hatte sie genickt. „Ja.“

„Ich pflege normalerweise nicht mit meinen Angestellten zu schlafen. Es wird nicht wieder vorkommen“, gelobte er, während er aufstand.

Ihr Stolz zwang sie zu erwidern: „Ich schlage vor, wir schieben es einfach auf zu viel Wein und tun so, als wäre nichts gewesen.“

Ein Blick aus grünen Augen fixierte sie. „Glaubst du, das schaffst du?“

„Na hör mal. Ich bin eine erwachsene Frau und durchaus imstande, Arbeit und Privatleben zu trennen. Die letzte Nacht war ein Ausrutscher, der uns in nüchternem Zustand bestimmt nicht unterlaufen wäre. Wir sollten es als Erfahrung verbuchen und nie wieder erwähnen.“

Sie hatte sich gezwungen, seinem Blick standzuhalten, während er sie abschätzend musterte.

Schließlich hatte er kurz genickt. „Dann sind wir uns ja einig.“

„Absolut.“ Zum Zeichen des Stillschweigens hatte sie ihre Lippen fest aufeinandergepresst.

2. KAPITEL

Nachdem Lena sich noch etwas wärmer eingepackt hatte, holte sie ihren Schneeanzug aus dem Lagerraum und nahm ihn mit nach vorn zum Empfang, wo Konstantinos bereits mit dem Rücken zu ihr stand und Sven eingehend befragte.

Ihr Herz hämmerte. Sie schloss die Augen und atmete mehrmals tief durch, um ihre Emotionen in den Griff zu bekommen.

Sie hatte nicht damit gerechnet, dass das Wiedersehen mit Konstantinos so schwierig für sie werden würde. Sie schob es auf die Schwangerschaftshormone, obwohl sie ehrlicherweise zugeben musste, dass es unter anderen Umständen vermutlich genauso wäre.

Natürlich hatte sie an jenem Abend nicht damit gerechnet, dass sie zusammen im Bett landen würden. Bis er sie zurück zu ihrer Hütte begleitet hatte und sie plötzlich fast traurig geworden war, weil ihr gemeinsamer Abend zu Ende ging, hatte sie ihn eigentlich überhaupt nicht anziehend gefunden. Es mochte sogar Menschen geben, die Konstantinos Siopis mit seinen markanten Gesichtszügen, der gebogenen Nase, den geschwungenen Lippen, die er stets zusammenpresste, den tief in dunklen Höhlen liegenden Augen, über denen sich dichte schwarze Augenbrauen wölbten, als hässlich bezeichnen würden. Das volle leicht lockige Haar trug er kurz geschnitten, und seine lange schlaksige Gestalt hüllte er gewohnheitsmäßig in verschiedene Schwarztöne. Dass er kaum jemals lächelte, unterstrich die grüblerische, fast vampirhafte Aura noch, die ihn umgab. Wäre er ein Schauspieler, würde ihm wahrscheinlich jedes Mal die Rolle des Schurken zufallen.

Aber damals hatte er gelächelt, und zwar ohne dass sein Gesicht Sprünge bekommen hätte. Beim Essen war ihr zum ersten Mal aufgefallen, was für ein strahlendes Grün seine Augen hatten. In diesem Moment hatten sie ihren kalten Ausdruck verloren, und sein Blick war, wenn auch vielleicht nicht sanft, doch immerhin warm geworden. Womöglich lag es ja am vielen Wein, aber je länger sich das Essen hinzog, desto faszinierender erschienen ihr sein dunkelolivfarbenes Gesicht mit dem lässigen Dreitagebart und seine tiefe raue Stimme, die stets etwas leicht Bedrohliches hatte. Er sprach ein perfektes Englisch, allerdings mit einem schweren griechischen Akzent, was immer irgendwie klang, als müsste er seine Ungeduld zügeln. An jenem Abend aber war sein Tonfall genauso warm gewesen wie seine Augen. Als sie bei ihrer Hütte angelangt waren, hatte das Blut in ihren Adern gepocht, ihr war heiß gewesen, während sich schwindelerregende Bewusstheit in ihr breitgemacht hatte.

Es tat weh, ihn jetzt ansehen zu müssen. Es tat weh, seine Stimme zu hören.

Mit ihm war ihr Körper lebendig geworden, hatte für ihn gesungen. Und am nächsten Morgen hatte sie ihn im Schlaf betrachtet, bevor sie aus dem Bett geklettert und übermütig zum Fenster gehüpft war, um die Vorhänge zu öffnen.

Das war nach sechs langen dunklen Jahren der erste glückliche Moment in ihrem Leben gewesen.

Und dann war er aufgewacht und hatte diese schrecklichen Worte gesagt, die ihre Freude zerstört hatten.

Als er sie jetzt bemerkte, nickte er ihr nur kurz zu, während er das Verhör von Sven fortsetzte. Lena musste sich zwingen, nicht weiter zu ihm zu schauen.

Kurz darauf verlagerte er seine Aufmerksamkeit auf sie und sagte: „Ich bin sofort so weit.“

Sie nickte, während er zu einem der Sessel vor dem offenen Kamin ging, wo für ihn ein Schneeanzug, natürlich in Schwarz, bereitlag. Dazu die Schneestiefel, die es ihm erlauben sollten, sich auf dem vereisten Boden gefahrlos fortzubewegen. Lena, die ihn von der anderen Seite des Raums aus beobachtete, merkte, wie ihr ein Angstschauer über den Rücken rieselte.

Sie war erst vor drei Tagen im Iglu gewesen. Ihre eigenen Stiefel waren genauso rutschfest wie seine, trotzdem hatte sie plötzlich Angst bekommen, dass sie ausrutschen und hinfallen könnte. Eine Angst, die nicht ihr selbst, sondern dem Baby gegolten hatte. Und heute gab es das zusätzliche Problem, dass sie mit dem Vater ihres ungeborenen Kindes unterwegs sein würde, dem einzigen Menschen, dem sie ihre Schwangerschaft unter allen Umständen verheimlichen musste. Weil es für ihr Baby die größtmögliche Gefahr bedeutete, wenn Konstantinos von ihrem Zustand erfuhr.

Sie hasste es. Sie hasste es wirklich, dass sie ihm ihre Schwangerschaft verheimlichen musste, aber sie hatte keine Wahl. Die Chancen, dass er das Kind ohne Vaterschaftstest anerkannte, standen gleich null, während die Wahrscheinlichkeit, dass er sie auf der Stelle feuern würde, schlicht zu groß war.

Nachdem sie beide mit dicken, weit in die Stirn gezogenen Wollmützen und warmen Schals, die auch die untere Hälfte ihres Gesichts bedeckten, hinaus in die klirrende Kälte getreten waren, zogen sie sich auch noch ihre Kapuzen über den Kopf.

Der Weg zum Iglu wurde von den gleichen magischen Lichtern erhellt, die den Gästen und dem Personal den Weg zur Hauptlodge und zu den Chalets wiesen. Die einzigen Geräusche, die unterwegs an ihr Ohr drangen, waren das leise Wummern von Musik aus einer der Blockhütten und ihre eigenen Atemzüge, mit denen sie bei jedem Ausatmen weiße Wölkchen produzierte.

Als sie die Eislaufbahn und die eingeschneite Blockhütte passierten, die dem Iglu als Rezeption diente, brach Lena das angespannte Schweigen und fragte: „Wie lange wirst du bleiben?“ Dabei beobachtete sie, wie aus der Dunkelheit die riesige hellerleuchtete Kuppel des Iglus selbst auftauchte.

„Eine Nacht“, gab er in einem Ton zurück, der verriet, dass eine Nacht schon zu viel war.

„So lange?“, versuchte sie zu scherzen, während ihr ein Stein vom Herzen fiel. Eine Nacht war überschaubar. Mit etwas Glück würde er Schweden verlassen, ohne von dem Kind, das sie gezeugt hatten, erfahren zu haben.

„Um diese Jahreszeit ist hier schon eine Stunde zu viel.“

„Magst du die Kälte nicht?“

„Nein“, erwiderte er schroff.

Der Eingang zum Iglu war als eine dauerhafte Struktur angelegt. Die mit Sensoren ausgestatteten Türen öffneten sich lautlos, um sie in eine Welt aus glitzerndem Weiß zu entführen. Vor ihnen lag die mit Langsesseln bestückte Lounge, daneben gab es niedrige Tische, die vollständig aus Eis waren, und einen in die Wand gehauenen Kamin, bei dem die Illusion von weißen Flammen erzeugt wurde, die darin tanzten. Es war ein Anblick, der sich jedes Jahr glich und den Gästen stets ein ehrfürchtiges Keuchen entlockte.

Die eisige Kälte saugte Konstantinos die Luft aus der Lunge. Er wusste, dass es hier drin wärmer war als draußen – sofern man fünf Grad minus als warm bezeichnen konnte. Aber beim Eintauchen in diese weiß glitzernde Welt aus Eis spielte einem der Verstand einen Streich. Und die tiefe Stille, die sie einhüllte, machte die Sache nicht besser.

Er erwog, gleich wieder abzureisen, nachdem er die Besichtigungstour in diesem Gefrierschrank hier hinter sich gebracht hatte. Er könnte nach Südspanien fliegen, wo derzeit milde Temperaturen herrschten, und in seinem Hotel dort übernachten. Und anschließend wie geplant nach Australien weiterfliegen, um sich bis Weihnachten seinen zahlreichen unternehmerischen Aktivitäten auf der südlichen Halbkugel zu widmen. Dann konnte Nicos nach seiner Genesung die Inspektion abschließen.

Obwohl es ein Eingeständnis der Niederlage wäre, Schweden sofort wieder zu verlassen, nicht nur wegen der Kälte, sondern auch wegen Lena. Er konnte sich unmöglich aus seinem eigenen Hotel vertreiben lassen, nur weil sich jedes Mal, wenn er sie ansah, sein Magen schmerzhaft zusammenzog. Sie war eine schöne Frau. Das hatte er bei ihrer ersten Begegnung nur ganz nebenbei registriert. Bis zu diesem verflixten Abendessen war sie einfach irgendeine Angestellte gewesen. Irgendein Gesicht. Irgendein Name.

Und daran hat sich auch nichts geändert, versicherte er sich jetzt fest. Einfach nur eine Angestellte. Diese seltsamen Gefühle, mit denen er sich derzeit herumschlug, die bewirkten, dass ihm heiß und kalt zugleich wurde, waren ganz allein darauf zurückzuführen, dass er sich in einer neuen Situation befand. In einer Situation, in der er nicht wäre, wenn er nicht mit ihr geschlafen hätte.

Die Kiefer fest aufeinandergepresst, atmete er tief durch und zwang sich, seine Aufmerksamkeit wieder dorthin zu lenken, wo sie hingehörte. Auf sein Kronjuwel, das Iglu.

Von der riesigen Hauptkuppel zweigten Eistunnel ab, die zu den Gästeräumen führten. Die Tunnel waren höher als in seiner Erinnerung, die Wände dicker.

Die meisten Räume enthielten nichts außer einem großen Eisbett, darauf eine dicke Matratze, die mit einem Rentierfell bedeckt war.

„Hast du schon mal eine Nacht hier verbracht?“, fragte er, während sie noch eine Treppe aus Eis hinunterstiegen und einen Raum betraten, in dessen Wand eine Waldszene mit Kiefern und Rentieren gehauen war. Das Bett wirkte fast, als würde es aus dem Waldboden ragen. Man ermunterte die Mitarbeiter mit Kundenkontakt jedes Jahr, zwischen der endgültigen Fertigstellung des Iglus und der Ankunft der ersten Gäste dort zu übernachten, aber es war nicht obligatorisch.

„In meinem ersten Winter hier.“

„Und?“

„Einmal und nie wieder. Ich habe Platzangst bekommen.“

Überrascht studierte er die Waldszene hoch über seinem Kopf, dann schaute er wieder fragend auf sie.

„Sobald das Licht ausgeht …“, begann sie zögernd.

„Was ist da?“

„Es liegt an der Dunkelheit“, sagte sie schließlich schulterzuckend.

„Um diese Jahreszeit ist es hier immer dunkel.“ Und nicht nur dunkel, sondern eiskalt.

„Nicht so dunkel wie hier drin. Es ist eine völlig neue Erfahrung. Die Wände sind so dick, dass nichts durchdringt, kein Lichtstrahl, kein Ton … hör doch mal, diese totale Stille. Hinzu kam, dass mein Zimmer auch noch eine Tür hatte.“ Die meisten Eisräume hatten Fellvorhänge statt Türen, wo an den Seiten schmale Lichtstreifen vom Gang hereinfielen, weil dort die LED-Beleuchtung aus Sicherheitsgründen immer eingeschaltet blieb. Nur einige Räume, in denen es noch kälter war, hatten richtige Türen. Es waren die größten, spektakulärsten und auch teuersten. Lena war Feuer und Flamme gewesen, als man ihr so einen Raum angeboten hatte. Bis sich die Tür geschlossen hatte, das Licht ausgegangen und sie in tiefste Finsternis geworfen worden war.

„Draußen gibt es immer irgendein Licht, entweder vom Mond oder von den Sternen oder mit ganz viel Glück vom Polarlicht, aber hier drin …“ Sie rieb sich erschauernd ihre Arme. „Man fühlt sich wie in einem Grab.“

„Das erzählst du hoffentlich nicht den Gästen“, sagte er scharf.

„Natürlich nicht“, erwiderte sie verärgert. „Es war ganz allein meine Erfahrung, und du hast mich gefragt. Im Übrigen kann man es überall in unseren Hotelbeschreibungen nachlesen, dass sich für Gäste, die unter Klaustrophobie leiden, eine Übernachtung im Iglu nicht empfiehlt.“

„Du leidest unter Klaustrophobie? Und warum hast du es dann gemacht?“

„Weil ich es bis dahin nicht wusste.“

Er musterte sie noch einen Moment nachdenklich, dann deutete er auf die mit Fell bespannte Tür. „Ich habe genug gesehen. Lass uns an die Bar gehen.“

Die Bar lag im hinteren Teil des Iglus. Dort angelangt, nahm Lena in einer der mit Fellen ausgekleideten Eisnischen Platz, während Konstantinos sich umsah und die Umgebung auf sich wirken ließ.

Ihrer Meinung nach hatte sich der Architekt der Bar in diesem Jahr selbst übertroffen. Die Handwerkskunst und Kreativität waren bewundernswert. Man fühlte sich wie in einer edlen Cocktailbar mit Holzvertäfelung und Zapfhähnen, nur dass hier alles aus Eis war. Die Wände waren mit Bildern geschmückt, jeder Tisch hatte in die Tischplatte eingravierte Bierdeckel … es gab sogar eine Garderobe, an der Mäntel hingen. Und alles aus Eis. Das einzig Echte hier waren die Fellbezüge über den Stühlen, damit sich die Gäste keine Frostbeulen holten, und die Drinks, die serviert wurden. Obwohl Lena nie wieder eine Nacht im Iglu verbringen wollte, hinderte sie das nicht, sich an dem Spektakel zu erfreuen.

Sie beobachtete, wie Konstantinos fasziniert ein Schnapsglas aus Eis untersuchte.

„Für dich auch einen Drink?“, fragte er überraschenderweise und deutete auf die Wodkaflasche, die auf dem Tisch stand.

Sie schüttelte den Kopf.

Der halb gefrorene Alkohol rann zähflüssig in das Eisglas. Konstantinos blinzelte übertrieben, während ihm der Wodka durch die Kehle rann, bevor er die Flasche wieder zuschraubte. „Zu kalt für meinen Geschmack. Lass uns zurückgehen.“

Seine arrogante Annahme, er könnte die Inspektion einfach in Chef-Manier durchziehen, hatte sich als Trugschluss erwiesen, wie er sich auf dem Rückweg zur Hauptlodge düster eingestehen musste. Je mehr Zeit er mit der Frau verbrachte, die ihm seit Monaten im Kopf herumspukte, desto mehr wuchs sein Groll. Ob sich dieser Groll gegen sie oder gegen ihn selbst richtete, wusste er nicht. Es hatte ihm nicht behagt, wie vorsichtig sie sich im Iglu bewegt hatte, fast als ob sie befürchten müsste, auszurutschen und hinzufallen. Was natürlich nicht sein konnte, weil sie ein Profi war und in jeder Wintersaison dasselbe erlebte. Dabei hatten ihre Bewegungen eine Verletzlichkeit ausgestrahlt, die ihm seltsamerweise so nahegegangen war, dass er ihr am liebsten eine helfende Hand hingestreckt hätte. Noch seltsamer war, dass ihm fast das Blut in den Adern gestockt war, als sie ihm von ihrer Erfahrung in dem Eisraum erzählt hatte, und er prompt ein Bild von Lena im Sarg vor Augen gehabt hatte.

Er hätte sich für ein Schneemobil entscheiden sollen. Dann wäre er jetzt längst wieder in der Lodge und inmitten der Gäste seinen Erinnerungen nicht mehr so hilflos ausgeliefert.

„Wie kommst du mit deiner neuen Rolle klar?“, fragte er abrupt. In seiner augenblicklichen Verfassung war ihm der Gedanke, sich mit Lena in ihr Büro zurückzuziehen, unerträglich. Deshalb wollte er ihr die Fragen, die er an sie hatte, jetzt gleich unterwegs stellen. Anschließend würde er den Abend damit verbringen, die Bücher durchzusehen, und zwar allein. Und dann nichts wie weg hier!

„Gut, danke.“

„Wie sieht es mit der Arbeitsbelastung aus? Ist es machbar?“

„Alles wie erwartet.“

„Und wie steht es um die Verantwortung? Von der Dienststellenleiterin zur Geschäftsführerin ist ein großer Schritt.“

„Das stimmt. Aber ich habe ein super Team, das mich unterstützt. Jeder trägt seinen Teil bei.“

„Gibt es irgendetwas, das dir Sorgen macht oder meiner Aufmerksamkeit bedarf?“

„Seit meinem letzten Wochenbericht hat sich nichts ergeben.“

Inzwischen waren sie an der Hauptlodge angelangt. Während sie sich den Schnee abtraten, fragte er: „Du verheimlichst mir doch nichts?“

Wenn er ihr dabei nicht einen Blick zugeworfen hätte, wäre ihm das kurze Aufflackern in ihren Augen glatt entgangen.

Sie schüttelte den Kopf und sagte eilig: „Ich berichte alles, was berichtenswert ist.“

Konstantinos zog die Brauen zusammen und fragte sich, ob die Röte in ihren Wangen nur von der Kälte kam oder ob sie geschwindelt hatte. Er wusste, dass die Geschäftsführer ihre Berichte gelegentlich frisierten und kleinere Vorfälle, die zu erwähnen sie vertraglich verpflichtet waren, einfach wegließen. Und er ließ es ihnen durchgehen, er konnte sich schließlich nicht um jede Kleinigkeit kümmern. Obwohl ihm ab und zu durchaus Dinge zu Ohren kamen, die nicht unter den Teppich gekehrt werden durften. Jetzt fragte sich nur, ob Lena versuchte, eine Lappalie oder irgendetwas Ernsthafteres zu vertuschen. Ihre Reaktion ließ Letzteres vermuten.

Sie traten ein. Konstantinos nahm seine Mütze ab, öffnete den Reißverschluss an seinem Schneeanzug und taxierte ein letztes Mal ihr gerötetes Gesicht. „Du kannst für heute Schluss machen, aber lass bitte dein Büro für mich offen. Ich möchte noch einige Mitarbeitergespräche führen.“

Er registrierte, dass in ihren dunkelbraunen Augen Besorgnis aufflackerte.

„Siehst du irgendwelche Probleme?“, fragte sie.

Er lächelte bemüht, inzwischen sicher, dass sie ihm etwas verheimlichte. „Bis jetzt nicht, aber man kann nie wissen. Falls Fragen auftauchen, melde ich mich. Ich wünsche dir einen angenehmen Feierabend.“

3. KAPITEL

Lena tupfte sich Concealer unter die Augen, um die dunklen Schatten zu kaschieren, die akuten Schlafmangel verrieten. Vor Angst, dass Konstantinos irgendeinen Grund finden könnte, sie fristlos zu entlassen, hatte sie fast die ganze Nacht wach gelegen. Nachdem sie Balsam auf ihre Lippen aufgetragen hatte, zog sie ihren Schneeanzug an und machte sich auf den Weg zur Hauptlodge.

An ihrem Ziel angelangt, schälte sie sich aus den wärmenden Schichten, wobei sie sorgfältig darauf achtete, dass ihr kleiner Bauch unter ihrem weiten Pullover gut versteckt war. Als sie ihr Büro betrat, saß Konstantinos bereits in Hemd, Krawatte und schwarzem Pullover vor ihrem Computer. Bei seinem Anblick verknotete sich prompt ihr Magen.

Er musste die Heizung höher gedreht haben, weil in dem Raum fast saunaähnliche Temperaturen herrschten.

„Na so was! Schon fleißig bei der Arbeit?“, begrüßte sie ihn betont munter.

Er schaute vom Bildschirm auf und nickte kurz. „Du hast eine Mail von einem deiner Lebensmittelhändler. Die Lieferung kommt heute etwas später.“

„Du liest meine Mails?“

„Natürlich nicht. Die Nachricht ist vor zwei Minuten aufgepoppt. Aber wäre es ein Problem für dich, wenn ich es täte?“ Er musterte sie so durchdringend, dass ihre Wangen anfingen zu brennen.

Sie ermahnte sich jedoch, sich nicht aus der Ruhe bringen zu lassen. „Vergiss es. Wie kommst du voran?“

„Ich bin fertig.“

„Jetzt schon?“

Er lehnte sich auf seinem Stuhl zurück – ihrem Stuhl – und durchbohrte sie mit seinem Blick. „Herzlichen Glückwunsch. Du kannst allem Anschein nach gut delegieren. Es ist ein erstklassig geführtes Haus, die Gäste sind glücklich, die Angestellten ebenso. Was will man mehr?“

Sie war so erleichtert, dass sie die angehaltene Luft in einem Schwall herausließ und lachte. „Puh!“

„Du wirkst überrascht.“

Sie zuckte mit den Schultern. „Ich habe mich nur nicht der Illusion hingegeben, dass mein eigener Eindruck von meiner Arbeit unbedingt mit deinem übereinstimmen muss.“

„Falls du den Eindruck hast, dass du gute Arbeit leistest, sind wir einer Meinung.“ Er schaute auf die Uhr und stand auf. „Schön, dann mache ich mich jetzt mal auf den Weg.“

Statt erleichtert aufzuatmen, verspürte sie erneut ein Ziehen in der Magengegend, jetzt noch stärker als zuvor. Und diesmal bebte ihre Stimme definitiv, als sie fragte: „Wohin geht’s als Nächstes?“

„Nach Australien.“

„Wo das Klima mehr nach deinem Geschmack ist?“

Seine Mundwinkel zuckten, bevor er zustimmend brummte und ihr über den Schreibtisch hinweg die rechte Hand hinstreckte.

Ihr Herz begann wie wild zu hämmern, als sie seine Hand ergriff. Sobald sich seine langen warmen Finger um ihre schlossen, zog sich alles in ihr zusammen.

„Na, dann bis zum Sommer“, sagte er schroff.

Der Drang, sich in seine Arme zu werfen und ihm zu erzählen, dass sie ein Kind von ihm erwartete, überfiel sie so jäh, dass sie ins Taumeln kam.

Er kniff alarmiert die Augen zusammen. „Ist irgendwas?“

Sie ließ seine Hand los, schluckte und schüttelte den Kopf. „Es ist nur ziemlich heiß hier drin“, flüsterte sie.

Er starrte sie einen Moment an, dann nickte er wieder knapp und kam hinter dem Schreibtisch hervor.

Sekunden später war er weg. Zurück blieb nur ein schwacher Zitrusduft von seinem Eau de Cologne.

Sein Wagen hatte den Hotelkomplex noch nicht verlassen, als Konstantinos auffiel, dass er sein Handy neben dem Computer in Lenas Büro liegen gelassen hatte.

Verärgert über sich selbst wies er den Fahrer an, zurückzufahren. Das hatte er nun davon, dass er gar nicht schnell genug hatte wegkommen können. Jetzt blieb nur noch zu hoffen, dass Lena nicht mehr im Büro war. Allein der Gedanke, ihr wieder in die großen samtbraunen Augen blicken zu müssen, war ihm unerträglich.

All die Monate über hatte er sich größte Mühe gegeben, sie zu vergessen, und gehofft, dass sie mit der Zeit nur noch eine blasse Erinnerung sein würde. Deshalb war der Rückfall, den er bei ihrem Wiedersehen erlitten hatte, umso sträflicher. Vorhin, als sie ihr Büro betreten hatte, war ihm sofort ihr Duft in die Nase gestiegen. Gleich darauf hatte er auch schon ihren Geschmack wieder auf der Zunge gehabt.

War es da ein Wunder, dass er den Raum so fluchtartig verlassen hatte?

Kaum.

Er nickte Anya am Empfang zu und schlug schnurstracks den Weg zu Lenas Büro ein.

Durch die halb offene Tür sah er, dass sie mit dem Rücken zu ihm am Fenster stand und sich anschickte, es zu öffnen. Sie hatte ihren Pullover ausgezogen und trug jetzt ein schlichtes langärmliges weißes Oberteil zu einer schwarzen Hose. Verschwommen ging ihm durch den Kopf, dass sie vielleicht ganz leicht zugenommen hatte.

Als sie sich umdrehte und ihn sah, fuhr sie abrupt zurück.

„Ich habe mein Telefon vergessen“, erklärte er knapp, schnappte sich das Teil und schob es in seine Gesäßtasche.

Sie schaute drein wie ein im Lichtkegel eines Autoscheinwerfers gefangenes Reh.

Er verließ das Büro ebenso schnell, wie er es betreten hatte. Doch kurz vor der Rezeption blieb er irritiert stehen. Sein Mund wurde ganz trocken, und als er es merkte, machte er auf dem Absatz kehrt, um zurück in Lenas Büro zu gehen.

Sie war eben dabei, sich ihren Pullover wieder überzustreifen, mit Bewegungen, die fast panisch erschienen. Als sie ihn an der Tür entdeckte, wirkte sie eindeutig ertappt.

Und war unfähig, ihren erschrockenen Blick von seinem zu lösen.

Er hörte das Blut in seinen Ohren rauschen. Luftholen war unmöglich. „Zieh den Pullover hoch“, verlangte er heiser.

Sie presste die Lippen zusammen, verschränkte die Arme vor der Brust.

Er atmete tief durch, hob das Kinn. „Ich wiederhole mich nicht gern, Lena. Tu, was ich sage.“

Der Ton, in dem Konstantinos zum ersten Mal seit seiner Rückkehr nach Schweden ihren Namen sagte, machte Lena fertig. Diese Eiseskälte in seiner Stimme. Plötzlich war sie wieder in ihrem Albtraum gefangen, aber diesmal wachte sie nicht auf, ehe das Schlimmste passierte.

Die Tränen, die sie die ganze Zeit über in Schach gehalten hatte, schossen ihr in die Augen und liefen ihr über die Wangen. Mit zitternden Händen packte sie den Saum ihres Pullovers und zog ihn hoch.

Während er auf ihren Bauch starrte, strampelte das Baby. Sie wusste nicht, ob er es sah, aber er wich, sichtlich blass werdend, zurück und ließ sich in den Besuchersessel fallen.

Er umklammerte seine Knie und beugte sich mit dem Oberkörper nach vorn. Dann atmete er tief durch, bevor er sich wieder aufrichtete und ihren Blick suchte. „Ist es von mir?“

Die einzige Reaktion, zu der sie fähig war, war ein heiser hervorgestoßenes „Ja“.

Konstantinos sprang auf, das Gesicht wutverzerrt. „Du verlogenes, hinterhältiges …“

Mit letzter Kraft gelang es ihm, die grausamen Worte hinunterzuschlucken, die er ihr entgegenschleudern wollte. Von rasender Wut gepackt machte er auf dem Absatz kehrt und stürmte aus dem Büro.

Obwohl starker Schneefall eingesetzt hatte, riss er die Tür des Notausgangs auf und stapfte auf den Trampelpfad an der Rückseite des Hauses hinaus. Zu beiden Seiten des Pfads lag der Schnee kniehoch aufgetürmt. Konstantinos bückte sich und schaufelte Schnee mit beiden Händen. Daraus formte einen Schneeball, den er ganz fest zusammenpresste, bevor er ihn urschreimäßig durch die Luft schleuderte. Und schon den nächsten machte.

Bis er sich halbwegs abreagiert hatte, war er völlig durchnässt, seine Lunge brannte und die Hände waren steif vor Kälte. Er mühte sich, seine Atmung wieder unter Kontrolle zu bringen, und kehrte schließlich, noch immer nicht wirklich ruhig, ins Haus zurück.

Lena saß mit verweintem Gesicht, ein Papiertuch umklammernd, im Besuchersessel.

„Komm mit“, knurrte er.

„Wohin?“, stieß sie mühsam hervor.

„In meine Hütte. Dort sind wir ungestört …“ Er unterbrach sich. „Oder ist sie schon wieder belegt?“

Sie schüttelte den Kopf.

Er öffnete die Tür und rief: „Anya, ich behalte das Chalet bis auf Weiteres. Und sagen Sie Sven Bescheid, dass er – ebenfalls bis auf Weiteres – die Vertretung für Lena übernehmen soll.“ Dann sah er die Frau wieder an, die ihm verschwiegen hatte, dass sie ein Kind von ihm erwartete. „Zieh dich an.“

Lena gehorchte widerspruchslos.

„Und du? Willst du so gehen?“, fragte sie kleinlaut, als sie, jetzt wieder im Schneeanzug, ins Büro zurückkehrte.

„Warum nicht? Ich bin sowieso schon halb erfroren.“

Sie entschied, ihn besser nicht zu drängen.

Sie nahmen denselben Ausgang wie Konstantinos vorhin. Bei seinem Wutanfall hatte er die makellosen Schneehügel zerstört, die normalerweise den Pfad säumten. Lena hatte ihn vom Fenster aus entsetzt beobachtet.

Unterwegs sog sie dankbar die kalte Luft tief in die Lunge und begrüßte die Schneeflocken, die auf ihrem heißen Gesicht schmolzen. Wenn nur diese peinigenden Schuldgefühle und Befürchtungen nicht wären, die in ihrem Kopf viel zu viel Raum einnahmen. Zugleich war sie aber auch erleichtert, dass Konstantinos Bescheid wusste. Was allerdings noch lange nicht hieß, dass jetzt alles gut werden würde. Bestimmt nicht.

In dem Luxuschalet angelangt, das fast zehnmal so groß war wie ihre eigene Behausung, zog Lena den Schneeanzug aus. Konstantinos hängte seinen durchnässten Mantel in den beheizbaren Schrank neben der Eingangstür, bevor er sich die nassen Stiefel und Socken von den Füßen zog.

„Vielleicht solltest du ein Bad nehmen, um wieder warm zu werden“, schlug sie zaghaft vor.

„Ich brauche keine Ratschläge“, knurrte er. Er schälte sich aus seinem Pullover, nahm die Krawatte ab und zog sich das Hemd über den Kopf. Die Sachen landeten allesamt auf dem Boden.

Das Letzte, was Lena von ihm sah, war sein durchgedrückter Rücken, als er ins Bad stapfte und die Tür hinter sich schloss. Gleich darauf hörte man Wasserrauschen.

Um zu verhindern, dass sie den Holzfußboden beschädigten, sammelte sie Konstantinos’ durchnässte Kleider ein. Als sie spontan ihre Nase in das Bündel drückte und den Duft seines Eau de Cologne roch, kamen ihr die Tränen. Von Verzweiflung überschwemmt warf sie die Sachen in den Wäschekorb neben der Eingangstür.

Um sich abzulenken, beschloss sie, für Konstantinos einen Espresso und sich selbst eine heiße Schokolade zu machen. Als die beiden gefüllten Tassen vor ihr standen, überlegte sie kurz, bevor sie aus der Minibar ein Minifläschchen Scotch herausnahm und den Espresso damit anreicherte. Eine kleine Stärkung würde ihm bestimmt guttun.

An der Badezimmertür angelangt, zögerte sie einen Moment, bevor sie leise klopfte. „Ich habe einen heißen Drink für dich“, rief sie, wobei sie sich wünschte, weniger defensiv zu klingen.

Als die Tür aufging, schlug ihr eine nach Zitrus duftende Wolke entgegen.

Konstantinos, sein Telefon in der Hand, um die schmalen Hüften ein kurzes Handtuch geschlungen, blickte finster auf sie herunter.

Lena war mit ihren eins achtundsechzig zwar nicht gerade klein, aber in diesem Moment fühlte sie sich winzig. Konstantinos war etwa dreißig Zentimeter größer, und sein halb nackter muskulöser Körper strotzte vor Kraft. Als sie ihn zum ersten Mal nackt gesehen hatte, war ihr beim Anblick seiner unverhüllten Männlichkeit die Luft weggeblieben, und jetzt wäre ihr fast der heiße Kaffee über die Hand geschwappt.

Sie schluckte schwer. „Damit dir schneller warm wird.“

In seinem Kiefer zuckte ein Muskel. Er atmete tief durch, bevor er ihr die Tasse abnahm. Als seine Finger ihre streiften, gab er ein Knurren von sich, das man als Danke interpretieren konnte. Dann schloss sich die Tür wieder.

Lena ließ die angehaltene Luft in einem Schwall heraus und presste sich die Rechte aufs Herz, die Linke auf den Bauch. Sie beschloss, es als ein gutes Zeichen zu nehmen, dass er den Kaffee nicht zurückgewiesen hatte.

Bedrückt ließ sie sich in einem Sessel nieder und erinnerte sich an die Zeit nach dem Autounfall, als sie, um nicht irre zu werden, bei ihrer Schwester nach dem winzigsten positiven Zeichen Ausschau gehalten hatte.

Als sie in ihrem Bauch eine Bewegung spürte, schloss sie die Augen und fuhr mit der Hand darüber.

Die Badezimmertür öffnete sich, Lena riss die Augen auf.

Bekleidet nur mit einem grauen Hotelbademantel, der ihm eigentlich zu kurz war und trotzdem elegant wirkte, ging Konstantinos mit seiner Tasse zum Kaffeeautomaten und ließ sich noch einen Espresso heraus. „Für dich auch irgendetwas?“

Sie musste sich räuspern. „Nein, danke.“

Diesmal reicherte er seinen Espresso eigenhändig mit einem Miniscotch an und setzte sich dann mit seiner Tasse in den Sessel neben ihrem.

Obwohl er jetzt äußerlich ruhig wirkte, spürte sie, dass er seine Wut nur mühsam im Zaum hielt. Und als er den Blick auf sie richtete, erschauerte sie angesichts der Kälte in seinen grünen Augen.

„Wie sicher bist du, dass das Kind von mir ist?“

„Todsicher.“

„Pass gut auf, was du sagst, Lena“, warnte er sie. „Ich weiß nämlich genau, was sich nach Feierabend hier gelegentlich so abspielt. Bist du dir wirklich ganz sicher, dass kein anderer Mann der Vater sein kann?“

„Ja.“

„Warum?“

„Weil du der einzige Mann bist, mit dem ich seit sechs Jahren zusammen war.“

In seinen Augen blitzte etwas Dunkles auf. Seine Kiefermuskeln begannen wieder zu zucken. „Tatsächlich? Und das soll ich dir abnehmen?“

„Ja. Weil es die Wahrheit ist.“

Sein kalter Blick ließ sie nicht los. Er versuchte sie einzuschätzen. Wie glaubwürdig sie war.

Sie konnte nur hoffen, dass er ihr glaubte. Aber wenn nicht …

Sie fing an zu zittern. Wenn nicht, würde er sie entlassen, und sie würde nicht wissen, wohin. Bis nach der Geburt ein Vaterschaftstest den Beweis erbrachte.

Er starrte sie immer noch an. Schließlich trank er einen Schluck, danach stellte er die Tasse auf dem kleinen Tisch neben seinem Sessel ab. „Gut, und wenn das wirklich so ist, woher zur Hölle nimmst du dann das Recht, mir deine Schwangerschaft zu verheimlichen?“

4. KAPITEL

Lenas erschrockener Gesichtsausdruck beeindruckte Konstantinos nicht im Mindesten. Er war höchstens angewidert. Sie musste im fünften Monat sein. Was bedeutete, dass sie es schon seit vier Monaten wusste … vielleicht drei. Und nichts gesagt hatte.

Wollte sie ihm allen Ernstes weismachen, dass sie seit sechs Jahren außer ihm mit keinem anderen Mann geschlafen hatte? Obwohl doch ganz klar sie diejenige gewesen war, die in ihrem Fall die Initiative ergriffen hatte? Für wie naiv hielt sie ihn?

Er hatte damals sofort geahnt, dass es ein Fehler war, ihre Einladung anzunehmen. Aber da war er ihrem Zauber schon erlegen, und je später es geworden war, desto weniger hatte er sich entziehen können.

Ihre Hütte war winzig gewesen, mit einem Bett und einem schmalen Sofa am Fußende. Er erinnerte sich noch genau an sein heftiges Herzklopfen, als sie sich beide mit ihren Kaffeetassen auf die enge Couch gesetzt hatten. Er konnte sich nicht erinnern, jemals so eine starke Bewusstheit verspürt zu haben, sein ganzer Körper hatte vibriert. „Ich gehe dann mal“, hatte er irgendwann gesagt. Doch statt seinen Worten Taten folgen zu lassen, hatte er ihr das Gesicht zugewandt und ihr tief in die Augen geschaut.

Und plötzlich war alles wieder da. Ihr Kopf ruhte an der Rückenlehne des Sofas, ihr Blick auf ihm. „Jetzt schon?“, seufzte sie.

Hier im gedämpften Licht ihrer Hütte fiel ihm zum ersten Mal auf, was für eine herrlich glatte Haut sie hatte. Seine Fingerspitzen fingen an zu kribbeln, so sehr wünschte er sich, ihr Gesicht zu berühren. Prompt leuchteten in seinem Kopf die roten Warnlampen auf.

Aber dann berührte sie sein Gesicht. Mit einem Finger zeichnete sie sanft die Konturen seines Kiefers nach. Ihm stockte der Atem. Die Vibrationen in seinem Körper verstärkten sich. Ihr Gesicht näherte sich seinem. Sie berührte seinen Hals, entfachte mit den Fingerspitzen kleine Brandherde auf seiner Haut. In ihren Augen stand nacktes Verlangen, gepaart mit Verwirrung.

Doch sobald sich ihre Lippen zum Kuss getroffen hatten, waren alle Warnsignale in seinem Kopf von der Flut ihrer Leidenschaft überspült worden.

Jetzt blinzelte er mehrmals hintereinander und schob seine Erinnerungen entschlossen beiseite.

„Beantworte meine Frage“, verlangte er zähneknirschend. „Warum wolltest du es mir verheimlichen, wenn du dir deiner Sache so sicher bist?“ Für die meisten anderen Frauen wäre die Entdeckung, von einem Mann, der so reich war wie er, ein Kind zu erwarten, so etwas wie ein Sechser im Lotto.

Seit dem Verrat seines Bruders war Konstantinos entschlossen, sich nie mehr auf eine feste Beziehung einzulassen, geschweige denn auf Kinder. Deshalb hatte Verhütung für ihn stets höchste Priorität gehabt. Zumindest bis zu jener Nacht, in der er sich gänzlich unvermutet im Bett einer Frau wiedergefunden hatte.

„Alles gut“, hatte sie geflüstert, während sie mit der Zunge sein Ohr liebkoste. „Ich nehme die Pille.“

Erbost darüber, dass er allein bei der Erinnerung erschauerte, knurrte er, noch ehe sie antworten konnte: „Du hast gesagt, dass du die Pille nimmst.“

„Das war ja auch so“, erwiderte sie, schon wieder mit feuchten Augen.

„Spar dir deine Tränen“, fuhr er sie an, jetzt wütend auf sie beide. Wie hatte er bloß dermaßen leichtsinnig sein können?

Sie wischte sich über die Augen und beugte sich vor, beide Arme schützend um ihren Leib gelegt. „Es tut mir leid, Konstantinos“, sagte sie. „Natürlich hast du jedes Recht, wütend auf mich zu sein. Aber ich habe die Pille wirklich genommen, allerdings nur die Minipille, die man jeden Tag zur gleichen Zeit schlucken muss. Darauf habe ich nicht immer ganz sorgfältig geachtet, weil ich sie ja nur zur Regulierung meiner Periode und nicht zur Verhütung nahm. Dass ich daran in diesem Moment nicht gedacht habe, tut mir sehr leid. Und es tut mir auch leid, dass ich es dir nicht gleich erzählt habe, aber ich hatte Angst vor deiner Reaktion und wollte erst mal abwarten, bis das Baby da ist und so.“

„Und wie zur Hölle wolltest du bis zur Geburt damit durchkommen?“

Ein kräftiges Klopfen an der Tür beendete das quälende Verhör.

Konstantinos öffnete. Ein eisiger Windstoß riss ihm fast die Klinke aus der Hand, als er sein Gepäck in Empfang nahm und anschließend die Tür schnell wieder zudrückte.

„Ich fasse es nicht, dass ich noch länger an diesem gottverlassenen Ort bleiben muss“, brummte er düster, während er alles aufs Bett warf. Er öffnete den größeren Koffer und bedachte sie mit einem vernichtenden Blick. „Ich sollte jetzt eigentlich schon unterwegs nach Australien sein. Magda wird alle meine Termine und Meetings verschieben müssen.“

Lena fühlte Wut in sich aufsteigen. Verständlich, dass er ihr Vorwürfe machte, doch dieser eiskalte Zorn war schwer auszuhalten. „Ich frage mich, wann du mir endlich kündigst. Die Verantwortung hast du Sven ja schon übertragen.“

„Irgendwer muss schließlich da draußen für Ordnung sorgen, während wir hier drin versuchen, das Chaos zu lichten, das du angerichtet hast.“

„Das Chaos, das ich angerichtet habe, an dem du aber sehr aktiv beteiligt warst“, erinnerte sie ihn bitter. „Warum sagst du mir nicht, was du vorhast? Aber wahrscheinlich genießt du es, mein Elend bis zur Neige auszukosten.“

Er holte eng anliegende schwarze Boxershorts aus dem Koffer und zog sie an. Dabei warf er ihr wieder einen finsteren Blick zu. „Du musst es ja wissen.“

„Ja! Weil du es mit der Vorgängerin meines Vorgängers genauso gemacht hast.“

„Was?“ Er öffnete den Gürtel, streifte den Bademantel ab.

Lena wandte eilig den Blick ab. „Tu nicht so. Ich weiß, dass du Annika entlassen hast, weil sie schwanger war.“

„Habe ich nicht.“

Aus dem Augenwinkel sah sie, wie er in eine schwarze Jeans schlüpfte, und musste sich zwingen, woandershin zu schauen. Was war bloß los mit ihr, dass sie immer noch so auf ihn abfuhr, wo er sich doch gerade bemühte, ihr Leben zu zerstören?

„Hast du wohl. Ich weiß alles. Du hast sie fristlos entlassen.“ Danach war Thom auf ihre Stelle nachgerückt.

„Das stimmt nicht.“ Er schlüpfte in einen schwarzen langärmligen Pullover, zog ihn über den nackten Oberkörper nach unten. „Ich habe Annika gekündigt, weil sie die Hotelrezeption zwei Nächte lang unbesetzt gelassen hat. In einer dieser Nächte hatte ein Gast dann einen Unfall.“

Lena schaute ihn erschrocken an. „Ist das ein Witz?“

„Hast du schon mal gehört, dass mich irgendwer für einen Witzbold hält?“

Das ganz gewiss nicht. Obwohl sie sich jetzt aus irgendeinem unerfindlichen Grund daran erinnerte, wie überrascht sie bei ihrem gemeinsamen Abendessen gewesen war, dass er sich als ein Mensch mit einem herrlich trockenen Humor entpuppt hatte.

„Was ist dem Gast denn passiert?“ Oberstes Gebot im Eishotel war, dass sowohl der Empfang in der Hauptlodge wie auch die Rezeption des Iglus rund um die Uhr besetzt sein musste. In diesem entlegenen Winkel der Welt konnte alles Mögliche passieren.

„Er ist auf dem Rückweg zu seiner Hütte im Dunkeln gestürzt und hatte eine schlimme Kopfwunde. Seine Frau wollte an der Rezeption Hilfe holen, doch da war niemand.“

Sie schüttelte entsetzt den Kopf. Das verstieß wirklich gegen sämtliche Vorschriften.

„Verstehst du jetzt, warum ich sie entlassen musste? Der Gast lag dreißig Minuten auf dem Weg, bevor Hilfe kam. Und das im April. Es herrschten Minusgrade. Er hat Glück gehabt, dass er sich keine Erfrierungen geholt hat.“

„Das wusste ich nicht.“

„Ich hätte sie trotzdem nicht entlassen, weil ich wusste, dass sie schwanger ist, aber der Gast hat gedroht, uns zu verklagen. Deshalb haben wir uns am Ende auf ein Schmerzensgeld für ihn geeinigt, und Annika hat eine Abfindung erhalten. Allerdings mussten sie beide eine Vereinbarung unterschreiben, dass sie über die Angelegenheit striktes Stillschweigen bewahren.“ Er musterte sie, bevor er sich in den Sessel zurücklehnte, um sich dicke Socken anzuziehen. „Aber jetzt möchte ich von dir hören, wie du geglaubt hast, bis zur Geburt durchzukommen, ohne dass ich von der Schwangerschaft erfahre.“

Lena zögerte kurz, dann schüttelte sie den Kopf. „Keine Ahnung. Ich wollte einfach so lange wie möglich arbeiten und hatte gehofft, dass du nichts mitbekommst.“

Er stützte sich mit den Ellbogen auf seine Oberschenkel und taxierte Lena wie der Richter in einem Kreuzverhör die Angeklagte. „Aber was war dein Plan? Wolltest du irgendwann fristlos kündigen? Oder in Mutterschaftsurlaub gehen?“

„Natürlich war ich nicht so naiv anzunehmen, dass ich in Mutterschaftsurlaub gehen kann, ohne dass du davon erfährst.“

„Gut, aber was dann? Wolltest du im Aufenthaltsraum entbinden und anschließend gleich den Vaterschaftstest machen lassen?“

„Ich weiß es nicht“, sagte sie mit schriller werdender Stimme. „Ich wusste nur, dass ich vor der Geburt so lange wie möglich arbeiten muss. Ich habe keine Ersparnisse, keine eigene Wohnung …“

„Dann geht es dir also nur um Geld?“

„Naja, worum denn sonst?“

Für einen Moment schaute er sie perplex an, dann verzog er angewidert den Mund. „Und das gibst du auch noch ganz ungeniert zu?“

Sie sah keinen Grund, sich dafür zu schämen, dass sie für ihr Baby nur das Beste wollte. „Mein Kind hat ein gesetzliches Recht auf Unterhalt von seinem Vater, außerdem nagst du ja auch nicht gerade am Hungertuch.“

„Ist das alles, worum es dir geht? Möglichst viel Geld aus mir herauszuholen?“

„Gott, nein!“

„Du hast behauptet, die Pille zu nehmen!“

„Ich habe dir erklärt …“

„Entschuldige meinen Zynismus, aber ich weiß nicht, wie ich sonst reagieren soll, nachdem du mir monatelang verschwiegen hast, dass du ein Kind von mir erwartest. Wie praktisch, dass es gleich beim ersten Mal geklappt hat.“

Die Unterstellung, dass sie es entweder darauf angelegt hatte, sich von ihm schwängern zu lassen, oder ihm wider besseren Wissens die Vaterschaft anhängen wollte, war schlicht empörend.

Sie schaute ihm in die kalten grünen Augen und versuchte, nicht zu weinen. Waren ihre Erinnerungen an die Nacht mit ihm wirklich so falsch? Hatte sie sich den Strudel der Leidenschaft, in den sie beide gerissen worden waren, die ganze Zeit über nur eingebildet, einen Strudel, in dem die Vernunft keine Chance gehabt hatte? Wie sonst konnte er jetzt auf die Idee kommen, dass sie ihn bewusst in die Falle gelockt hatte?

Das tat weh, oh, es tat wirklich höllisch weh. All die Monate über hatte sie sich mit dem Gedanken getröstet, dass ihr Kind wenigstens mit wahrer Leidenschaft gezeugt worden war.

„Da hast du’s“, sagte sie. „Genau deshalb wollte ich es dir erst sagen, wenn das Baby da ist. Weil ich wusste, dass du mir nicht glaubst.“

„Und vergiss nicht deine Angst, dass ich dir deswegen kündigen könnte.“

„Wirfst du mir das vor?“

„So wie ich mir vorwerfe, dass ich mich von dir habe verführen lassen.“

Ich habe dich verführt?“ Sie schüttelte ungläubig den Kopf. „Dann versuchst du jetzt also auch noch, die Geschichte umzuschreiben! Wenn ich mich recht erinnere, hatten wir beide zu viel getrunken. Und ja, es stimmt, dass ich angefangen habe, deshalb übernehme ich auch die Verantwortung. Trotzdem kann man nur zu zweit Tango tanzen, das solltest du nicht vergessen.“

„Und jetzt?“, schnaubte er. „Was hättest du denn gern?“ Eine fette Überweisung auf dein Konto?

„Nun, das wäre wirklich ganz reizend“, gab sie höhnisch zurück, wild entschlossen, sich nicht anmerken zu lassen, wie sehr seine Kälte sie verletzte. Das war ja alles noch viel schlimmer als befürchtet.

„Glaub bloß nicht, dass ich dich heirate“, stieß er zähneknirschend hervor.

Sie fuhr geschockt zurück. Was für...

Autor

Michelle Smart
Michelle Smart ist ihrer eigenen Aussage zufolge ein kaffeesüchtiger Bücherwurm! Sie hat einen ganz abwechslungsreichen Büchergeschmack, sie liest zum Beispiel Stephen King und Karin Slaughters Werke ebenso gerne wie die von Marian Keyes und Jilly Cooper. Im ländlichen Northamptonshire, mitten in England, leben ihr Mann, ihre beiden Kinder und sie...
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