Julia Herzensbrecher Band 62

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SONNENAUFGANG ÜBER AYERS ROCK von MIRANDA LEE

Gerade noch rechtzeitig kommt Bryce zur Unglücksstelle geritten: Adrianna hat den Flugzeugabsturz zwar überstanden, doch ohne Hilfe würde sie in der Wildnis nicht überleben. Auf dem Weg zurück in die Zivilisation bringt nicht nur die Hitze der Wüste ihr Blut in Wallung …

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Rinderfarm statt Großstadt: Ein halbes Jahr lang soll Meredith dem Rinderzüchter Hal in Australien den Haushalt führen. Schon bald hat sie ihn mit ihrer natürlichen Art verzaubert. Nach einer zärtlichen Nacht will er ihr die alles entscheidende Frage stellen …

SEHNSUCHT NACH DEM MÄRCHENPRINZEN von MARGARET WAY

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  • Erscheinungstag 04.10.2025
  • Bandnummer 62
  • ISBN / Artikelnummer 0824250062
  • Seitenanzahl 400

Leseprobe

Miranda Lee, Jessica Hart, Margaret Way

JULIA Herzensbrecher BAND 60

Miranda Lee

1. KAPITEL

Ein kleines rot-weißes Sportflugzeug stand startbereit am Anfang der Rollbahn. Die Pilotin gab dem Bodenmechaniker ein Zeichen, dass er den Weg freigeben solle.

Der Mann blickte bewundernd zu der jungen Frau im Cockpit hoch. Sie war ihm schon aufgefallen, als sie zum Flugzeug ging: eine schlanke, elegant gekleidete Frau in einem beigefarbenden Hosenanzug aus Leinen und einer leuchtend gelben Seidenbluse. Aus der Nähe betrachtet wirkte sie noch attraktiver. Das hellblonde Haar fiel ihr in Wellen auf die Schulter und umrahmte das fein geschnittene Gesicht mit der geraden Nase, den verführerischen Lippen und ausdrucksvollen grauen Augen.

Die junge Frau sah den Mechaniker gereizt an und setzte dann eine dunkle Sonnenbrille auf.

Der Mann zuckte mit den Schultern und ging beleidigt weg. Manchen Frauen kann man es eben nie recht machen, dachte er missmutig. Wenn man sie nicht beachtet, sind sie gekränkt, und wenn man sie bewundert, fühlen sie sich belästigt.

Adrianna Winslow hatte den kleinen Zwischenfall schon vergessen, denn sie war mit ganz anderen Problemen beschäftigt. Sie seufzte. Eigentlich hatte sie keine Lust, den Ayers Rock aus der Luft zu besichtigen, sie wollte nur das wunderbare, befreiende Gefühl des Fliegens auskosten. Die Vorschriften verlangten jedoch, dass die Flugroute im Voraus festgelegt wurde. Also hatte Adrianna sich für die Strecke von Alice Springs zum Ayers Rock und über die Olga-Berge zurück nach Alice Springs entschieden – im Grunde eine einfache Strecke.

Das ist im Moment allerdings das Einzige, was in meinem Leben einfach ist, überlegte Adrianna und blickte geistesabwesend auf das Flugfeld.

Alans überraschender Heiratsantrag am gestrigen Abend hatte sie aus dem inneren Gleichgewicht gebracht. Allein in der Luft, nur mit dem unendlichen Himmel um sich herum, konnte sie sich vielleicht darüber klar werden, warum sie überhaupt darüber nachdachte, den Antrag anzunehmen. Schon vor Jahren hatte sie sich geschworen, niemals zu heiraten und niemals von einem Mann abhängig zu werden.

Zuerst hatte sie Alans Frage für einen Scherz gehalten. Schließlich waren sie seit drei Jahren ein Paar, trafen sich regelmäßig und gingen miteinander ins Bett. Ansonsten gingen sie getrennte Wege und widmeten sich intensiv ihren Berufen. Alan besaß mehrere Geschäfte für Herrenmode und war beruflich voll ausgelastet, und Adrianna hatte als Modedesignerin und Inhaberin einer Boutiquenkette ebenfalls kaum Zeit für Privates.

Aber weshalb wollte Alan diese angenehme Beziehung, die ihnen beiden genug Freiraum ließ, nun in eine Ehe umwandeln? Irgendeinen Grund musste er haben, denn er tat nie etwas Unüberlegtes.

Selbst als sie sich zum ersten Mal liebten, hatte Adrianna das Gefühl gehabt, Alan habe die Liebesnacht genau geplant. Aber damals hatte auch sie gespürt, dass Alan sich nach ihren Zärtlichkeiten sehnte. Und da sie Respekt und Zuneigung für ihn empfand, war sie mit ihm ins Bett gegangen – ohne sich viel davon zu versprechen.

Alan war jedoch überraschend zärtlich und einfühlsam gewesen und hatte ihr gezeigt, wie ungeschickt und grob ihr erster und bis dahin einziger Liebhaber sie behandelt hatte. Und obwohl der gemeinsame Höhepunkt nicht weltbewegend gewesen war, hatte Adrianna sich anschließend entspannt und befriedigt gefühlt.

Danach hatte sich die Beziehung zu Alan verändert. Er war ihr Liebhaber geworden, mit dem sie sich mindestens einmal in der Woche traf. Da Adrianna die Freundschaft eher als bequemes Arrangement betrachtete, hätte sie nie vermutet, dass sich etwas anderes daraus entwickeln könnte. Und nun hatte Alan ihr plötzlich einen Heiratsantrag gemacht. Warum?

Adrianna schüttelte den Kopf. Muss es denn einen anderen Grund geben als das menschliche Bedürfnis nach Gemeinschaft, das sich nicht durch kurze leidenschaftliche Momente befriedigen lässt? fragte sie sich. Sie war jetzt achtundzwanzig und lebte seit zehn Jahren allein. Obwohl sie anfangs ihre Unabhängigkeit genossen hatte, kannte sie Augenblicke, in denen sie sich nach jemandem sehnte, der das Leben mit ihr teilte. Alan ging es wahrscheinlich ähnlich. Wenigstens hatte er gesagt, dass er keine Kinder haben wollte.

Adrianna schloss die Augen. Ein Schauder überlief sie, als der Gedanke an Kinder schmerzhafte Erinnerungen wachrief, die sie lieber verdrängte.

„Miss Winslow, Sie haben schon seit einiger Zeit Starterlaubnis“, ertönte eine ungeduldige Stimme aus dem Funkgerät.

Das brachte Adrianna in die Wirklichkeit zurück. Ihr Selbstwertgefühl als Pilotin hatte einen Dämpfer erlitten. Sie ließ den Motor an, rollte auf die Startbahn und war wütend, weil sie für einen Moment Tagträumen nachgehangen hatte. Normalerweise ließ sie sich nicht so leicht ablenken.

Sie beschleunigte, und das Flugzeug hob vom Boden ab. Seit Alan mir den Antrag gemacht hat, bin ich gar nicht ich selbst, dachte sie reumütig. Sonst bin ich nie so verwirrt und niedergeschlagen.

Gleich nach dem Start fühlte sie sich wunderbar, fast wie in einem Rausch. So ging es ihr immer beim Fliegen, wenn sie den festen Boden unter sich ließ und sich der Luft anvertraute.

Ob es der Reiz der Gefahr ist, der mich am Fliegen fasziniert? fragte sie sich. Vor vier Jahren hatte sie sich nach einem Rundflug spontan entschlossen, den Pilotenschein zu machen. Vielleicht verbarg sich hinter der Fassade der kühlen, beherrschten Geschäftsfrau in Wirklichkeit doch eine Abenteuerin?

Nein, sagte Adrianna sich. Sie ging ungern Risiken ein und hasste das Gefühl, nicht alles unter Kontrolle zu haben.

Was Adrianna am Fliegen schätzte, war nicht der kurze erregende Moment des Abhebens, sondern die Empfindungen, die sich später einstellten, wenn die Erde unter ihr zurückblieb und nur der weite Himmel sie umgab. Dann erlebte sie ein tiefes Gefühl inneren Friedens, das sie nur hier oben spürte. Und diesen inneren Frieden brauchte sie heute dringend …

Sie flog eine weite Kurve über dem Flughafen und beschloss, aus der Vogelperspektive einen Blick auf die Stadt Alice Springs zu werfen, bevor sie über die Wüste zum Ayers Rock fliegen würde.

Sie schaute aus dem Seitenfenster auf die Stadt hinunter. Alice Springs war anders, als Adrianna erwartet hatte. Sie hatte sich eine staubige, reizlose Siedlung an der Grenze zwischen der zivilisierten Welt und der Wüste vorgestellt. In Alice Springs gab es jedoch viele Bäume, und die Stadt wirkte eher wie ein Vorort von Sydney.

Allerdings hatte es im Winter ungewöhnlich viel geregnet. Der Fluss Todd, der sonst wenig Wasser führte, hatte die Ufer sogar einige Male überschwemmt. Normalerweise würde die Landschaft nicht so grün und saftig aussehen, hatten die Einheimischen erzählt.

Alan hatte Adrianna vor einigen Tagen eingeladen, ihn auf einer Geschäftsreise nach Alice Springs zu begleiten, und erklärt, die Stadt sei ein geeigneter Ort, um eine weitere „Adrianna-Boutique“ zu eröffnen.

Da Alan sie nie schlecht beriet, hatte Adrianna zugestimmt. Er besaß ein untrügliches Gespür für Mode, dem er es auch verdankte, mit nur einunddreißig Jahren zu einem der bedeutendsten und erfolgreichsten Geschäftsmänner von ganz Australien geworden zu sein.

In Alice Springs hatte er Adrianna geholfen, einen Laden in einer kleinen Einkaufspassage zu finden, und sie hatte sofort den Mietvertrag unterschrieben. Alan hatte seine Geschäfte ebenfalls erfolgreich abgewickelt. Beim gemeinsamen Abendessen hatte Adrianna gedacht, wie ähnlich sie beide einander waren und wie viele Interessen sie gemeinsam hatten. Alan hatte in diesem Moment aufgeblickt und sie angelächelt.

Ob er dasselbe wie sie gedacht hatte? War sein Heiratsantrag vielleicht sogar eine spontane Entscheidung gewesen, obwohl Alan sonst alles bis ins Kleinste sorgfältig plante?

Adrianna bemerkte entsetzt, dass sie schon seit einiger Zeit über dem Flugfeld kreiste. Sie errötete beschämt. Falls mich jemand vom Boden aus beobachtet hat, muss er glauben, ich sei verrückt! dachte sie empört. Vielleicht bin ich das ja auch! Wieso mache ich mir über Alans Antrag überhaupt so viele Gedanken? Eine Heirat kam für sie nicht infrage – dabei spielte es keine Rolle, ob Alan und sie zusammenpassten oder nicht!

Rasch brachte sie das kleine Flugzeug auf Kurs in Richtung Südwest und beschloss, in den nächsten Stunden nicht über Alans Antrag nachzudenken, sondern einfach den Flug zu genießen und sich auf die Strecke zu konzentrieren.

Der Flug zum Ayers Rock machte Adrianna dennoch wenig Spaß. Da sie und Alan nachts in Alice Springs angekommen waren, hatte sie bisher noch nichts von der Landschaft sehen können. Weil in der Stadt alles so grün und frisch gewesen war, hatte sie vermutet, dass die Wüste durch den Regen zum Leben erweckt worden sei. Nun musste sie jedoch feststellen, dass das Land unter ihr staubig und ausgedörrt war. Es wirkte wie eine Mondlandschaft und erstreckte sich endlos bis zum Horizont. Der Anblick erschreckte Adrianna: nicht einmal ein winziges Fleckchen Gras war zu sehen, und es gab weder Bäume, Flüsse noch Häuser – nur Steine und Sand. Unter ihr befand sich tatsächlich die Grenze zwischen der Zivilisation und dem Nichts.

„Du lieber Himmel!“ Adrianna seufzte. „Was mache ich eigentlich in dieser gottverlassenen Gegend?“

Sie versuchte zu lachen, doch es klang ziemlich kläglich. Ihre Kehle war wie zugeschnürt, und in ihrem Magen kribbelte es unangenehm. Die ungewohnten Anzeichen von Angst machten Adrianna nervös. Sie atmete tief durch und biss die Zähne zusammen.

Mach dich nicht lächerlich, sagte sie sich. Dieser Flug ist nicht gefährlicher als jeder andere. Außerdem hast du für den Flug sehr viel Geld bezahlt, also genieße ihn!

Nachdem sie sich zur Ordnung gerufen hatte, beruhigte sie sich ein wenig und begann sogar, die Gegend zu bewundern. Das Land besaß eine raue Schönheit und urwüchsige Kraft, obwohl es kahl und lebensfeindlich wirkte. Adrianna bezweifelte, dass sie sich über dieser riesigen Einöde je behaglich fühlen würde. Sie fragte sich, wie man in einer solchen Umgebung überleben konnte. Wahrscheinlich musste man unweigerlich sterben – langsam und qualvoll.

Sie sah nach vorn durch die Windschutzscheibe. Doch auch der Himmel sah heute anders aus als sonst. Er war dunkelblau und leuchtete so intensiv, dass Adrianna geblendet wurde, obwohl sie eine Sonnenbrille trug. Mehrmals schaute sie deshalb nach unten, um die Augen zu schonen.

Erleichtert bemerkte sie bei einer dieser Gelegenheiten einen Bus, der beim Fahren rote Staubwolken aufwirbelte. Also war sie doch nicht ganz allein in dieser trostlosen Gegend.

Als schließlich in der Ferne der Ayers Rock auftauchte, vergaß Adrianna ihre Furcht. „Wundervoll!“, rief sie begeistert. „Das ist ein wirklich großartiger Anblick!“

Der Ayers Rock, ein urzeitlicher, von Wind und Wetter zerklüfteter Felsen, erhob sich majestätisch aus der flachen Wüste. Adrianna hatte keine Vorstellung, wie groß der Felsen vom Boden aus wirkte, im Näherkommen waren seine Ausmaße jedoch sehr beeindruckend. Auch die Farbe des Bergs war überwältigend schön: ein glitzerndes Bronzebraun an der Spitze, das an den Seiten in ein intensives Rostrot überging.

Die seltsamsten Empfindungen durchfluteten Adrianna, als sie sich dem Felsen näherte. Der Anblick war faszinierend und gab ihr zugleich das Gefühl, klein und unbedeutend zu sein. Sie wunderte sich nicht, dass Menschen aus der ganzen Welt herkamen, um dieses Naturwunder, jenes uralte Zeugnis der Erdgeschichte, zu bestaunen.

Adrianna senkte die Tragflächen des Flugzeugs, als sie über eine Gruppe von Touristen flog, die den Felsen bestiegen. Die Urlauber hielten an, lächelten und winkten. Ein kurzes, tiefes Glücksgefühl durchströmte Adrianna, über das sie zunächst verwundert war. Dann begriff sie, was dahintersteckte: Auch wenn man etwas Wunderbares allein genießen kann, wird die Freude doch größer, wenn man sie mit jemandem teilt.

Bei diesem Gedanken fragte Adrianna sich, ob sie nicht genau das bisher in ihrem Leben vermisst hatte. Wie schön wäre es, Alan für immer zur Seite zu haben und Erfolge und auch Rückschläge mit ihm zu teilen. Sie hatten so vieles gemeinsam – warum sollten sie nicht das ganze Leben miteinander verbringen?

Da diese Überlegung ihr sinnvoll und vernünftig erschien, beschloss Adrianna, Alans Heiratsantrag anzunehmen.

Nachdem sie sich entschieden hatte, fühlte sie sich sofort besser – als sei ihr eine schwere Last abgenommen worden. Erst jetzt erkannte sie, dass sie nur deshalb so niedergeschlagen gewesen war, weil sie einfach nicht gewusst hatte, was sie tun sollte. Normalerweise plante sie alles im Voraus, aber Alans Heiratsantrag war so unerwartet gekommen, dass sie vorübergehend keinen vernünftigen Entschluss hatte treffen können. Nun wusste sie wieder, wohin sie steuerte und dass sie alles unter Kontrolle hatte.

Sie lachte leise. Ich steuere auf das nächste große Weltwunder zu, sagte sie sich.

Adrianna brachte das Flugzeug auf Kurs in Richtung der Olga-Felsen, die gewissermaßen die kleinen Schwestern des Ayers Rock waren. Aus der Ferne sahen sie wie lavendelfarbene Murmeln aus. Adrianna wusste jedoch aus dem Reiseführer, dass die Felsen ziemlich groß waren und aus der Nähe betrachtet, je nach Tageszeit und Sonnenstand, orange- oder ockerfarben schimmerten.

Nach wenigen Minuten überflog Adrianna die Felsen, die ebenso faszinierend, wenn auch nicht so eindrucksvoll waren wie der Ayers Rock. Da sie das Flugzeug für den ganzen Nachmittag gemietet und noch keine Lust hatte, nach Alice Springs zurückzukehren, kreiste sie mehrmals über dem Gebiet. Vollgetankt konnte sie ungefähr siebenhundert Kilometer mit der Maschine fliegen. Adrianna sagte sich, dass sie die restlichen dreihundert Kilometer sinnlos vergeudete, falls sie sofort umkehren würde. Und all das nur, weil ihr die Landschaft, die sie überflog, unheimlich war.

Adrianna beschloss, das Unbehagen zu ignorieren, noch hundertfünfzig Kilometer nach Norden zu fliegen und erst dann umzudrehen. In der Ferne entdeckte sie eine Bergkette. Wahrscheinlich waren es die Macdonnels, eine Felsengruppe, die sich bis nach Alice Springs hinzog, und als Wendepunkt gut eignete. Sie erreichte die Berge jedoch in so kurzer Zeit, dass sie vermutete, es könne sich nicht um die Macdonnels handeln. Da Adrianna am Horizont noch andere Erhebungen sah, flog sie weiter. Inzwischen genoss sie sogar den Flug. Die Landschaft unter ihr wirkte nun nicht mehr so eintönig. Vereinzelte Bäume und grüne Grasflecken sowie der Wechsel von Licht und Schatten auf den Hügeln und Tälern lockerten das Erscheinungsbild auf.

Adrianna sah auf die Uhr und stellte fest, dass es nach drei Uhr war. Sobald sie die Berge überquert hatte, wollte sie nach Osten abdrehen und in die Stadt zurückkehren. Sie überflog die niedrige Bergkette und blickte über die Schulter zurück, als sich die Katastrophe ereignete.

Was tatsächlich passierte, wusste Adrianna nicht. In einem Moment flog sie noch ruhig, im nächsten gab es einen seltsamen Knall, der das Flugzeug erbeben ließ. Zuerst senkte sich das Heck, und gleich darauf zeigte es in den Himmel, während das Flugzeug in einer Spirale unaufhaltsam dem Boden zuraste.

Obwohl Adrianna panisch wurde, versuchte sie die Nerven zu behalten und sich an die Regeln für den Notfall zu erinnern, die sie im Flugunterricht gelernt hatte. Automatisch bediente sie verschiedene Hebel und bemühte sich, das Flugzeug wieder in eine waagerechte Lage zu bringen. Ihre Hände zitterten jedoch, und ihr Herz klopfte zum Zerspringen.

Das einzig Gute war, dass die Berge hinter ihr lagen, sodass sie einige hundert Meter Abstand zum Boden gewonnen hatte. Immerhin konnte sie versuchen, das Unvermeidliche doch noch abzuwenden.

Wie durch ein Wunder kam das Flugzeug plötzlich wieder in die richtige Lage. Damit konnte der Absturz verhindert werden, und Adrianna hatte die Chance, eine Notlandung zu probieren, denn der Boden sah recht flach und fest aus.

Aber kaum hatten die Räder den Untergrund berührt, stießen sie gegen einen Stein, der im Sand verborgen war, und das kleine Flugzeug begann unkontrollierbar zu holpern und zu schleudern. Es drehte sich einmal um sich selbst und raste auf die Berge zu. Da die Bremsen versagten, verlor die Maschine nur ganz allmählich an Geschwindigkeit.

Als sich unvermittelt vor der Windschutzscheibe eine steile Felswand erhob, schien ein Frontalzusammenstoß unvermeidlich zu sein.

„Lieber Gott, hilf mir“, betete Adrianna verzweifelt. Dann spürte sie einen Schlag wie von einer Riesenfaust – und danach nichts mehr.

Als Adrianna langsam zu sich kam, war es stockdunkel. Sie konnte im wahrsten Sinne des Wortes die Hand nicht vor den Augen sehen und begann unkontrollierbar zu zittern. Ihre schlimmsten Befürchtungen hatten sich bewahrheitet. Sie war abgestürzt – mitten in der schrecklichen, lebensbedrohenden Wüste. Und da sie sich spontan zu einem Umweg entschlossen hatte, konnte niemand wissen, wo sie mit dem Flugzeug notgelandet war.

Adrianna wurde es übel, und sie musste tief durchatmen, um den Brechreiz zu bekämpfen. Dann nahm sie all ihren Mut zusammen. Wenigstens habe ich den Absturz überlebt, dachte sie dankbar. Unsicher fuhr sie sich über das Gesicht und stellte erleichtert fest, dass sie nicht blutete, sondern nur eine Beule über der linken Augenbraue spürte. Allerdings hatte sie heftige Kopfschmerzen, aber daran starb man schließlich nicht.

Vorsichtig bewegte sie Arme und Beine. Den Schmerzen nach zu urteilen, musste sie unzählige blaue Flecken und Prellungen haben, doch sie schien sich nichts gebrochen zu haben.

Erst jetzt erinnerte sie sich an das Funkgerät und die Innenbeleuchtung des Flugzeugs. Adrianna tastete nach dem Lichtschalter und betätigte ihn. Es blieb dunkel.

Mühsam unterdrückte sie die Enttäuschung, griff nach dem Funkgerät und versuchte es in Betrieb zu nehmen. Sie probierte es immer wieder, doch kein Piepsen und kein Rauschen zeigte an, dass das Gerät noch funktionierte.

Aber ich lebe wider Erwarten noch, tröstete Adrianna sich, als Panik und Verzweiflung sie erneut zu überwältigen drohten. Alan vermisst mich sicher schon. Beim ersten Tageslicht wird man Suchflugzeuge schicken. Und das Wrack wird hier in der Wüste bestimmt von Weitem zu sehen sein. Das würde es, wenn die Rettungsmannschaft wüsste, wo sie suchen soll, meldete sich eine innere Stimme zu Wort.

Adrianna stöhnte auf. Warum hatte sie die Kursänderung nicht per Funk an den Flughafen durchgegeben, wie es Vorschrift war? Dieser Fehler könnte sie das Leben kosten.

Aber man muss mich doch irgendwann finden, dachte Adrianna verzweifelt. Alan ist ein reicher Mann. Selbst wenn die Polizei eine Suche aufgab, heuert er private Suchtrupps an … Trotz dieser vernünftigen Gedanken brach sie in Tränen aus.

Adrianna bemühte sich nicht, die Tränen zu unterdrücken, da sie spürte, dass der Schock, den sie erlitten hatte, dadurch gemildert wurde. Als sie schließlich erschöpft mit dem Weinen aufhörte, merkte sie, dass sie ruhiger und gefasster war. Nun konnte sie versuchen die anstehenden Probleme zu lösen.

Ein Schauer überlief sie, als sie daran dachte, dass ihr größtes Problem die Kälte war. Obwohl es Frühling war und tagsüber in der Wüste sehr heiß wurde, sanken nachts die Temperaturen bis fast auf den Gefrierpunkt. Adrianna griff nach der Leinenjacke auf dem Nebensitz und legte sie sich mühsam um die schmerzenden Schultern. Es blieb ihr nichts anderes übrig, als geduldig auf den Tagesanbruch zu warten.

Unendlich langsam überzog eine blasse Dämmerung den Himmel. Adrianna hatte vor Schmerzen und Muskelkrämpfen keinen Moment schlafen können. Im ersten Tageslicht kletterte sie steif aus dem kleinen Flugzeug. Entsetzt stellte sie fest, dass es unter einem Felsvorsprung eingeklemmt war, auf dem ein dicht belaubter Baum wuchs. Aus der Luft war das Wrack somit nicht zu sehen!

Adrianna stöhnte, warf einen prüfenden Blick auf das Heck der Maschine und rieb sich verwundert die Augen. Das Heck war verschwunden. Da es nicht an der Aufschlagstelle lag, konnte es nicht beim Aufprall abgebrochen sein. Aber es war weit und breit nicht zu sehen. Was war bloß passiert? Es konnte auch nicht während des Flugs abgerissen sein …

Ob ich, ohne es zu merken, mit einem anderen Flugzeug zusammengestoßen bin? fragte Adrianna sich. Vielleicht war das andere Flugzeug unbeschädigt geblieben, und der Pilot war nach Alice Springs zurückgeflogen, um den Vorfall zu melden. In dem Fall würden die Behörden wissen, wo man nach ihr suchen musste.

Diese Gedanken ermunterten sie zunächst. Als sie sich umblickte, packte sie jedoch erneut das Entsetzen. Abgesehen von der Felswand, gegen die sie geprallt war, war sie von Sand umgeben, der sich auf allen Seiten bis zum Horizont erstreckte. Wie sollte man sie hier jemals finden?

Adrianna lehnte sich gegen das Flugzeug und fing an zu weinen. Doch nach wenigen Augenblicken richtete sie sich wieder auf, wischte die Tränen weg und beschloss, ihre Kräfte nicht mit Weinen und sinnloser Panik zu vergeuden. Sie musste überlegen, was sie tun konnte, um zu überleben, bis die Rettungsmannschaft eintraf.

Als Erstes durchsuchte sie das Flugzeug und entdeckte unter dem Sitz einen Zehnliterkanister mit Wasser, zwei Äpfel, eine Schachtel Kekse und eine dicke Decke. Zusammen mit dem Orangensaft, den Bananen und Pfefferminzbonbons, die Adrianna als Verpflegung mitgenommen hatte, würde der Proviant sie einige Zeit vor dem Verhungern und Verdursten bewahren. Glücklicherweise hatte sie daran gedacht, einen Hut mitzunehmen, mit dem sie sich vor der Sonne schützen konnte.

Adrianna aß eine Banane, trank etwas Saft und setzte sich den eleganten Strohhut auf, um dessen Krampe ein gemusterter Chiffonschal geschlungen war. Dann begann sie größere Felsbrocken zu sammeln, um damit im offenen Gelände ein SOS-Zeichen auszulegen.

Die Sonne stieg immer höher und brannte unbarmherzig auf Adrianna herunter, die sich bald erschöpft und durstig fühlte. Trotz der Hitze behielt sie die Jacke an, um keinen Sonnenbrand auf den Armen zu bekommen. Leider war die Sonnenbrille beim Aufprall des Flugzeugs zerbrochen, sodass das gleißende Licht ihren Augen wehtat. Unzählige Fliegen umschwirrten sie, da sie vergessen hatte, sich mit Insektenschutzmittel einzureiben. Zu allem Übel hatte sie das Mittel im Hotel liegen gelassen – schließlich hatte sie nicht damit gerechnet, es zu brauchen.

Unannehmlichkeiten dieser Art sind in einer lebensgefährlichen Situation nebensächlich, dachte Adrianna, während sie immer mehr Steine zusammentrug. Sie hatte die großen Buchstaben zunächst aus Felsbrocken geformt, verbreitete sie dann aber noch, um überhaupt etwas zu tun zu haben. Sie befürchtete, dass die mühsam unterdrückte Panik sie einfach überwältigen würde, wenn sie untätig herumsaß.

Zweimal hörte sie das Geräusch von Motoren. Aber leider kam kein Flugzeug in Sicht, dessen Pilot das Notzeichen oder Adriannas verzweifeltes Winken hätte bemerken können.

Als sie zum dritten Mal ein Geräusch vernahm, kletterte sie auf die Felsen. Sie suchte den Himmel ab, ohne in dem hohen Blau etwas zu entdecken. Während das Geräusch allmählich lauter wurde, konnte sie feststellen, dass es nicht von oben, sondern aus der Wüste kam.

Adrianna beschattete die Augen mit der Hand und spähte angestrengt in die Ferne, wo die heiße Luft über dem Sand flirrte und den Eindruck vermittelte, dort befände sich ein glitzernder See. Adrianna konnte sich gut vorstellen, dass eine solche Fata Morgana, von der sie bisher nur gehört hatte, einen verdurstenden Menschen täuschte und ins Verderben lockte.

Das Geräusch wurde immer deutlicher: Es war ein langsames Klacken, regelmäßig wie ein Pulsschlag. Doch noch war nichts zu sehen.

Dann tauchte plötzlich eine schemenhafte Gestalt in der staubigen Luft auf. Adrianna schüttelte verwundert den Kopf und fragte sich, ob sie träume. Sie sah einen Mann auf einem Kamel, das sich in raschem Trab näherte. Um den Hals trug das Tier eine Kuhglocke, die bei jedem Schritt bimmelte. Ein zweites Kamel war mit einem Seil am ersten befestigt und folgte widerstrebend.

Erleichterung durchflutete Adrianna. So schnell wie möglich kletterte sie von dem Ausguck hinunter und lief ihrem Retter über den heißen roten Sand entgegen. Dabei bemerkte sie nicht einmal, dass ihr der Hut vom Kopf fiel.

„Hier! Hallo, hierher!“, rief sie laut. „Hier drüben bin ich!“ Ihr Herz klopfte heftig, als sie über den unebenen Boden stolperte. Obwohl sie nur leichte Sandaletten trug und die Steine ihr die nackten Füße zerkratzten, spürte sie die Schmerzen nicht.

Der Mann auf dem Kamel hatte sie gesehen! Adrianna war sich dessen ganz sicher. Nun war sie gerettet! Sie musste nicht elend in der Wüste sterben.

2. KAPITEL

Verwundert blickte der Mann auf dem Kamel zu Adrianna, die winkend auf ihn zulief, und rief dann seinem Reittier ein lautes „Steh!“ zu. Es reagierte sofort auf das Kommando und kam kurz vor Adrianna unvermittelt zum Stehen. Das zweite Kamel stolperte jedoch weiter, stieß gegen die Rückseite des ersten und warf den Reiter dabei fast aus dem großen Sattel, der aussah wie eine Sänfte.

Adrianna schaute zu ihrem Retter auf, und Tränen der Erleichterung liefen ihr über die Wangen.

Der Mann beachtete sie überhaupt nicht, sondern sah nach hinten. „Um Himmel willen, Dumbo, du bist nicht nur blöd, sondern auch taub!“, tadelte er das zweite Kamel. „Ich sagte ‚steh‘ und nicht ‚geh‘.“

Das Tier ließ den Kopf hängen und wirkte so zerknirscht, dass Adrianna lachen musste. Überrascht schaute der Fremde auf sie herunter, schwang sich dann aus dem Sattel und sprang geschmeidig auf den Boden.

„Ihr Sinn für Humor ist ungewöhnlich, meine Kleine“, bemerkte der Mann gedehnt.

Empört über die herablassende Anrede, funkelte Adrianna ihn an. Mit ihren eins fünfundsiebzig war sie für eine Frau ziemlich groß. Sie mochte schlank sein und schmale Hüften haben, aber sie war bestimmt keine zierliche „Kleine“. Allerdings hätte neben dem Fremden selbst eine durchtrainierte Athletin klein gewirkt. Er war nicht nur ausgesprochen groß – beinahe zwei Meter – sondern auch breitschultrig und muskulös.

Sehr muskulös sogar, dachte Adrianna, als sie sich unwillkürlich seinen Körper ohne das Kakihemd und die ausgeblichene Jeans vorstellte. Sie ließ einen anerkennenden Blick über die langen Beine, den flachen Bauch und den kräftigen Oberkörper gleiten und schaute dem Fremden dann in das sonnengebräunte, markante Gesicht.

Unter der Krempe des breitrandigen Huts blickte der Mann sie ebenfalls prüfend und ungeniert an. Seine Augen waren von einem unglaublich intensiven Blau, wie Adrianna es noch nie gesehen hatte.

„Sind Sie die einzige Überlebende?“, fragte er schließlich.

„Ja“, erwiderte sie heiser.

Er seufzte. „Also ist der Pilot ums Leben gekommen. Armer Teufel!“

„Nein, nein, Sie haben mich falsch verstanden“, wandte sie ein. „Ich bin der Pilot, das heißt, die Pilotin“, verkündete sie und erwartete, dass er – wie bisher noch jeder Mann – mit fassungslosem Staunen auf diese Mitteilung reagierte.

Er hob jedoch nur leicht die Brauen und murmelte: „Aha.“ Dabei betrachtete er Adrianna erneut. „Hatten Sie Passagiere an Bord?“, fragte er dann kurz angebunden. Anscheinend war er ein Mann, der nicht viele Worte machte.

„Keine.“

Er sah erleichtert aus. „Sie sind unverletzt?“, erkundigte er sich mit tiefer, angenehm klingender Stimme.

„Bis auf einige Beulen und blaue Flecken“, bestätigte Adrianna. „Und meine Schultern sind steif geworden.“

„Meine auch“, gab er zurück, holte tief Luft und streckte die Arme nach oben.

Donnerwetter, er ist wirklich gut gebaut, dachte Adrianna, als sie sah, wie sich sein Brustkorb spannte. Was für breite Schultern, kräftige Hände und lange Beine der Mann hat … Alles an ihm ist übergroß, überlegte sie und errötete verlegen, als sie merkte, wohin sie gerade blickte. Rasch schaute sie dem Fremden wieder in die Augen und stellte erleichtert fest, dass er ihren Blick nicht bemerkt hatte. Der Mann sah über ihren Kopf zum Wrack des Flugzeugs.

Adrianna ärgerte sich über ihr Verhalten und war gleichzeitig überrascht. Es war sonst nicht ihre Art, einen Mann in Hinblick auf seine körperlichen Eigenschaften zu betrachten. Alan war groß, schlank und sah ausgesprochen gut aus, aber sein Aussehen hatte auf sie weniger Eindruck gemacht als andere Qualitäten: seine Intelligenz, die Tatkraft und der zielstrebige Ehrgeiz, den sie an ihm besonders schätzte.

Und nun stand sie mitten in der Wüste und ließ sich von einem athletischen Fremden beeindrucken, der wahrscheinlich nicht intelligenter war als seine Kamele! Und was Energie und Ehrgeiz betraf, so konnte Adrianna sich schwer vorstellen, dass er davon bemerkenswert viel besaß. Er bewegte sich gemächlich, redete ziemlich langsam und dachte wahrscheinlich auch langsam, wie sie aus dem anhaltenden Schweigen schloss. Vermutlich zeigte er im Bett genauso wenig Schwung und Temperament …

Was soll das? fragte Adrianna sich verwirrt. Normalerweise begegnete sie Männern sachlich und kühl, und plötzlich geriet ihre Fantasie beim Anblick dieses Wüstencowboys außer Kontrolle. Nun gut, er ist ein ungewöhnlich attraktiver Bursche, dachte sie herablassend. Aber das einzig Wichtige ist, dass er mich heil in die Stadt zurückbringt oder wenigstens bei mir bleibt, bis die Rettungsmannschaft eintrifft.

„Sie haben wirklich Glück gehabt, junge Frau“, sagte der Fremde nachdenklich. „Als ich sah, dass Ihr Flugzeug wie ein Stein vom Himmel fiel, dachte ich, dass alle Insassen hinüber wären. Weil ich nach dem Aufprall keinen Feuerschein bemerkte, fragte ich mich, ob es Überlebende geben könnte. Da ich es gestern nicht mehr vor Einbruch der Dunkelheit hierhergeschafft hätte, bin ich heute im ersten Morgengrauen aufgebrochen.“

„Von wo aus?“, erkundigte Adrianna sich eifrig. Sie hoffte, dass der Mann auf einer nahe gelegenen Farm arbeitete. Die Wüste war zwar nicht gerade der geeignete Ort für Landwirtschaft, aber mit moderner Technik und künstlicher Bewässerung vollbrachte man heutzutage wahre Wunder, wie Adrianna gelesen hatte.

„Ich kampiere etwa dreißig Kilometer von hier“, berichtete der Fremde. „In der Richtung …“ Er wies zum Horizont. „Meine Sachen und Vorräte habe ich dort gelassen. Für den Fall, dass es Überlebende gibt, habe ich Dumbo als Reittier mitgebracht. Gut, dass mir das eingefallen ist. Glücklicherweise sind Sie die Einzige, die gerettet werden muss.“

„Was? Ich soll den weiten Weg auf Dumbo zurücklegen?“, rief Adrianna entsetzt. Als das Kamel seinen Namen hörte, wich es heftig zurück, wobei es beinahe stolperte. Adrianna wich ebenfalls zurück. Sie war noch nie auf einem Pferd geritten, geschweige denn auf einem riesigen, tollpatschigen Tier wie diesem Kamel!

Der Mann lächelte amüsiert. „Dreißig Kilometer sind gar nichts, verglichen mit der Strecke, die wir vor uns haben, um in bewohnte Gegenden zu kommen. Aber keine Angst! Dumbo ist lammfromm. Außerdem bin ich ein hervorragender Reitlehrer.“ Er zwinkerte ihr aufmunternd zu. „Jetzt werde ich erst mal die Kamele festbinden, damit sie sich ausruhen können. Wir beide werden eine Kleinigkeit essen und kurz rasten. Danach bekommen Sie Reitstunden, und anschließend brechen wir auf.“

Er zog die Kamele am Zügel hinter sich her zur Felswand und band sie an dem überhängenden Baum fest.

Adrianna blieb einen Augenblick wie angewurzelt stehen, bevor sie dem Fremden nachlief. „Wäre es nicht vernünftiger, beim Flugzeug zu bleiben?“, fragte sie atemlos. „Es kann nicht lange dauern, bis man mich findet. Das Flugzeugwrack ist aus der Luft nicht zu sehen, aber ich habe dort drüben ein großes SOS-Zeichen aus Steinen gebaut.“

„Das wird kaum jemand bemerken“, entgegnete er trocken!

„Warum nicht?“

„Erstens befinden wir uns nicht in der Nähe der normalen Flugroute“, erklärte er ungerührt. „Zweitens hatten Sie offensichtlich keine Zeit, einen Notruf zu funken und Ihre genaue Position durchzugeben. In dem Fall wäre nämlich der Rettungshubschrauber längst hier. Und drittens vermute ich, dass Ihr Funkgerät beim Aufprall zerstört worden ist.“

„Ja, das stimmt“, gab sie zu. Dass er sich genau vorstellen konnte, was passiert war, überraschte sie.

„Darf ich noch mal raten?“, fragte er spöttisch. Anscheinend hatte er ihr die Überraschung angesehen. „Sie sind vom Kurs abgewichen, ohne die Änderung an den Flughafen durchzugeben, stimmt’s?“

„Das stimmt leider auch“, bestätigte sie kleinlaut.

Er schüttelte missbilligend den Kopf. „Sie müssten wissen, dass so etwas eine bodenlose Dummheit ist, wenn man über die Wüste fliegt. Ein derartiger Fehler kann einen das Leben kosten.“

Adrianna wollte empört antworten, doch der Fremde ließ sie nicht zu Wort kommen. „Na ja“, fuhr er fort. „Piloten fühlen sich beim Fliegen manchmal zu sicher. Ich auch.“

„Sie können fliegen?“, erkundigte sie sich verblüfft und merkte dann erst, wie herablassend die Frage geklungen hatte. „Ich meine …“ Verlegen schwieg sie.

Er blickte sie gereizt an. „Hier draußen im Outback, wie wir Hinterwäldler diese Gegend nennen, ist Fliegen fast so normal wie Autofahren in der Stadt“, erklärte er ungehalten. „Ich nehme doch an, dass Sie aus der Großstadt kommen?“

„Ja, schon. Sind Sie Hellseher, oder woher wissen Sie das?“

Er musterte sie spöttisch von Kopf bis Fuß. „Abgesehen davon, dass Sie einen Fehler gemacht haben, den kein Buschpilot je begehen würde … Auf dem Land gibt es nicht viele Frauen, die sich für einen Flug über die Wüste mit einem Leinenanzug und einer Seidenbluse fein machen.“

Adrianna sah ihn verwundert an. Er hatte Leinen und Seide auf den ersten Blick erkannt! Wer und was war dieser Mann? Sie konnte sich nicht vorstellen, dass ein Viehtreiber, Kamelhirte oder Farmarbeiter sich mit Stoffen auskannte. Welche Überraschungen mochte ihr Retter sonst noch zu bieten haben?

Adrianna folgte dem Fremden zum Wrack. Er nahm den Hut ab und rieb sich den Nacken, während er das zerstörte Flugzeug begutachtete.

Sie blickte auf seinen wohlgeformten Hinterkopf und das dichte braune, kurz geschnittene Haar. Normalerweise bevorzugte sie längeres Haar bei Männern, aber zu dem Fremden passte die strenge Frisur. Er wirkte wie ein Mann, der es gewohnt war, Entscheidungen zu treffen und Anweisungen zu geben, die widerspruchslos befolgt wurden. Seine gemächliche Art täuschte, denn er besaß einen scharfen Verstand und festen Willen, wie Adrianna soeben gemerkt hatte.

„Haben Sie eine Ahnung, wie das passiert sein könnte?“, fragte der Mann verwundert und wies auf das Loch mit den gezackten Ecken.

Sie schüttelte den Kopf. „Nein. Ich dachte, ich sei mit einem anderen Flugzeug zusammengestoßen, aber …“

„Nein“, unterbrach er sie. „Ich habe durch mein Fernrohr genau gesehen, wie Sie abstürzten. Weit und breit war kein anderes Flugzeug in Sicht.“

„Aha.“ Adrianna überlegte, was den Absturz verursacht haben könnte, als ihr plötzlich auffiel, dass er ein Fernrohr erwähnt hatte. „Ach, jetzt verstehe ich. Sie sind ein Astronom und beobachten von hier die Sterne“, sagte sie. Sie hatte ja geahnt, dass der Mann kein richtiger Hinterwäldler sein konnte.

„Tut mir leid, Sie enttäuschen zu müssen“, erwiderte er und lachte. „Ich bin kein Wissenschaftler, sondern weiß nur gern, wo ich mich befinde, wenn ich die Wüste durchstreife. Ich gebe zu, dass ich gelegentlich einen Blick auf die Milchstraße werfe, aber ich könnte einen Himmelskörper nicht vom anderen unterscheiden.“ Er lächelte viel sagend. „Was himmlische Körper betrifft, halte ich mich lieber an die, die in meiner Reichweite sind.“

Sein bewundernder Blick ließ Adrianna unvermittelt erschauern. „Ich dachte, nur die Ureinwohner durchstreifen die Wüste“, entgegnete sie kühl, damit der Fremde nicht auf falsche Gedanken kam. Ein attraktiver Mann wie er hielt sich wahrscheinlich für unwiderstehlich.

Er betrachtete sie nachdenklich. „Im Großen und Ganzen haben Sie recht, dass nur die Aborigines, wie man die Ureinwohner nennt, sich in der Wüste zurechtfinden. Aber man kann nicht so lange wie ich im Outback leben, ohne etwas von ihrer Lebensweise und ihrer Liebe für das Land zu übernehmen. Und nun lassen wir besser dieses nichtssagende Gespräch und gehen in den Schatten. Sie haben nichts auf dem Kopf, und Sie würden sich wundern, wie schnell man einen Sonnenstich bekommen kann.“

Er schob ihr eine Hand unter den Ellbogen und führte sie zu einer schattigen Stelle unter dem Flugzeugrumpf. Als Adrianna sich setzte, umschwärmten sie sofort unzählige Fliegen, und sie schlug heftig um sich.

„Das sind richtige kleine Plagegeister, nicht wahr?“, bemerkte der Mann ungerührt. „Sie werden sich freuen, wenn Sie hören, dass ich in meinem Lager Insektenschutzmittel habe – und andere Annehmlichkeiten der Zivilisation.“

„Zum Beispiel?“, erkundigte sie sich.

„Toilettenpapier?“, antwortete er und lachte.

Adrianna biss die Zähne zusammen. Das kann ja heiter werden! In den nächsten Tagen bin ich auf einen Menschen angewiesen, der ungehobelt ist und keine Spur Feingefühl zeigt! dachte sie und seufzte.

Nachdem der Fremde die Kamele abgesattelt hatte, kam er zu Adrianna zurück.

„Wie groß ist Ihr Wasservorrat?“, fragte er und schob den Hut in den Nacken.

Erst jetzt konnte sie sein Gesicht genauer betrachten. Es war gut geschnitten und markant. Die Augen und der Mund waren von ausgeprägten Linien umgeben, die vermuten ließen, dass der Mann sich häufig im Freien aufgehalten hatte. Adrianna schätzte ihn auf Anfang dreißig.

Sie wollte gerade fragen, woher er wusste, dass sie Wasser dabeihatte, doch sie hielt sich rechtzeitig zurück. Für ihn war es sicher selbstverständlich, einen ausreichenden Wasservorrat in die Wüste mitzunehmen. Er war nicht nur intelligenter, als er auf den ersten Blick wirkte, sondern wusste auch genau, wie man in dieser Gegend überleben konnte – wie jedes Wesen, das sich in einer solchen Umgebung aufhielt. Adrianna wollte ihm keine Gelegenheit geben, sich über sie lustig zu machen, weil sie unverkennbar eine Städterin war.

„Im Flugzeug ist ein Zehnliterkanister mit Wasser“, berichtete sie.

„Wie steht es mit Lebensmitteln?“

„Ich habe noch zwei Äpfel, eine Schachtel Kekse und einige Pfefferminzbonbons“, zählte sie auf.

Er blickte auf die Armbanduhr. „Jetzt ist es halb zwölf. Wenn wir um eins starten, müssten wir mein Lager bis zum Einbruch der Dunkelheit erreicht haben. Allerdings dürfen wir nicht trödeln, denn der Weg führt größtenteils durch die Salzwüste, wo es keinen Tropfen Wasser gibt.“

Adrianna überlegte einige Sekunden schweigend. Es störte sie, dass sie sich so hilflos und unwissend vorkam – und von einem Fremden abhängig war. Abhängig zu sein, hatte sie stets vermieden, aber jetzt blieb ihr vermutlich nichts anderes übrig, als sich den Anweisungen des Mannes zu fügen. Doch sie wollte nicht widerspruchslos nachgeben.

„Haben Sie nicht angedeutet, das Lager sei westlich von hier?“, fragte sie. „Wäre es nicht vernünftiger, nach Osten zu reiten, da wir dann eher auf Straßen und Menschen treffen?“

„Ja.“

„Und warum tun wir das nicht?“

„Weil ich den Weg nicht kenne“, antwortete er schroff. „Weil ich nur wenig Proviant mitgebracht habe, und weil mein Hund im Lager auf mich wartet.“

„Ach so …“ Sie konnte nicht verlangen, dass er ihretwegen seinen Hund im Stich ließ oder sich in ein Gebiet wagte, das ihm unbekannt war.

„Wir lassen beim Wrack eine Nachricht zurück, wohin wir gegangen sind – falls eine Rettungsmannschaft Ihr SOS-Zeichen entdeckt. Das ist allerdings unwahrscheinlich, da der Wind die Steine schon bald mit Sand bedecken wird. Keine Sorge“, fügte er beruhigend hinzu, „ich habe genug Proviant für uns beide im Lager. Eigentlich wollte ich zwei Wochen hier draußen bleiben, aber ich bringe Sie innerhalb einer Woche sicher nach Hause zurück.“

„Was? Es dauert eine Woche?“, rief Adrianna entsetzt.

Er zuckte nur die Achseln. „Ja. In ungefähr sechs Tagen sind wir in Dover Downs. Von dort aus kann ein Flugzeug Sie in die Stadt bringen, in der Sie wohnen.“

„Ich lebe in Sydney“, teilte sie ihm mit und runzelte die Stirn. „Den Namen Dover Downs habe ich noch nie gehört. Ist das eine Stadt?“

„Nein, eine Farm, die südöstlich der Kimberley-Berge liegt.“

„Wahrscheinlich arbeiten Sie dort?“ Als er zögerte, fügte sie spöttisch hinzu: „Wenn Sie nicht gerade durch die Wüste ziehen, meine ich.“

Er hob fragend die Augenbrauen, und Adrianna wünschte, nicht einen derartig boshaften Ton angeschlagen zu haben. Aber dieser Mann verwirrte sie, wie noch kein Mensch es je vermocht hatte. Obwohl er offensichtlich an ihr als Frau kein Interesse zeigte, musste sie versuchen, ihn durch bissige Ironie auf Abstand zu halten. Insgeheim fürchtete sie sich vor den erotischen Empfindungen, die der gut aussehende Fremde unwillkürlich in ihr auslöste.

Als er sich neben sie auf den Boden setzte, spiegelte sein Gesicht äußerste Gleichgültigkeit wider. „Falls Sie mit meiner Begleitung nicht zufrieden sind, können Sie ja hierbleiben und den Sand von Ihrem SOS-Zeichen schaufeln“, schlug er vor. „Vielleicht sucht man auch abseits der Flugroute nach Ihnen – vorausgesetzt, Sie haben einen Freund, dem Sie viel bedeuten.“

„Meinem Verlobten sicher“, erwiderte sie pikiert.

Er schaute ihr nachdenklich auf die linke Hand, die ohne Verlobungsring war.

„Ja, also … Wir sind erst seit vorgestern verlobt“, erklärte Adrianna rasch und errötete, weil sie nicht ganz die Wahrheit sagte. Jedenfalls ist es keine Lüge, rechtfertigte sie sich vor sich selbst, denn sobald ich Alan wiedersehe, werde ich seinen Antrag annehmen.

Ihr derzeitiger Gefährte nahm die Erklärung kommentarlos hin und schaute auf das Wrack.

Adrianna ärgerte sich, dass er sie kaum zur Kenntnis nahm. Wahrscheinlich sehe ich wie eine Vogelscheuche aus, dachte sie missmutig und versuchte, sich das zerzauste Haar glatt zu streichen. Ob ihr Make-up verschmiert war, konnte sie nicht überprüfen, da sie keinen Spiegel bei sich hatte. Sie verabscheute Frauen, die ständig an sich herumzupften und versuchten, sich mit allen möglichen Mitteln zu verschönern.

Unvermittelt wurde ihr klar, dass sie gerade genau das tat. Und warum? Um auf einen Fremden Eindruck zu machen, obwohl sie verlobt war … beinahe jedenfalls.

Adrianna ließ die Hände sinken und blickte auf die Wüste.

„Alan wird alles Menschenmögliche unternehmen, um mich zu finden“, bekräftigte sie trotzig.

„Gut.“ Der Mann stand auf. „In dem Fall ist es das Beste, wenn ich Ihnen einen Teil der Vorräte überlasse und mich auf den Weg mache.“

Adrianna sprang auf. „Das dürfen Sie nicht!“, rief sie entsetzt. „Falls mich niemand findet, muss ich sterben.“

„Stimmt“, bestätigte er ungerührt.

„Wäre Ihnen das egal?“, fragte sie vorwurfsvoll.

„Natürlich nicht“, entgegnete er seelenruhig. „Aber es liegt mir nicht, erwachsene Menschen zu etwas zu zwingen, das sie nicht tun möchten. Und Sie wollen anscheinend nichts mit mir zu tun haben.“ Er lächelte spöttisch. „Wie ich aus Ihrem abweisenden Verhalten schließe, halten Sie mich für einen sexbesessenen Irren, der mitten in der Wüste über Sie herfallen könnte.“

Adrianna bemühte sich, ein ausdrucksloses Gesicht zu machen. Der Mann durfte nicht einmal ahnen, dass sie nicht vor ihm Angst hatte, sondern vor ihren eigenen Empfindungen. Sie befürchtete, sie könnte sogar wollen, dass er über sie „herfiel“, wie er es nannte.

„Darf ich Ihnen versichern, Gnädigste“, fuhr er kühl fort, „dass es nicht zu meinen bevorzugten Beschäftigungen gehört, eine Frau während einer Wüstendurchquerung zu lieben. Erstens ist der Sand so heiß, dass man sich die Haut verbrennt. Zweitens gibt es andere Gefahrenquellen und Unannehmlichkeiten wie Stechfliegen, Ameisen, Skorpione und Giftschlangen, ganz zu schweigen von den stacheligen Pflanzen. In ein Dornengestrüpp zu rollen, würde den feurigsten Liebhaber abkühlen.“ Er blickte sie herausfordernd an. „Ich weiß ja nicht, wie Sie es mögen, aber ich betätige mich am liebsten zwischen kühlen Laken, mit einer Partnerin, die frisch geduscht ist. Außerdem bevorzuge ich alleinstehende Frauen, da ich selbst Junggeselle bin. Sie sehen also, dass Sie für mich überhaupt nicht infrage kommen, trotz Ihrer unbestreitbaren Reize.“

Adrianna starrte ihn wortlos an. Dass er offen über seine Vorlieben gesprochen hatte, schockierte sie nicht. Schließlich war sie eine moderne Frau und keine zimperliche alte Jungfer. Aber sie hasste es, dass dieser Mann sie durchschaute und aus dem inneren Gleichgewicht brachte. Normalerweise hatte sie jede Situation im Griff, vor allem im Umgang mit Männern. Nun aber wusste sie überhaupt nicht, wie sie mit diesem Viehtreiber, oder was er sonst war, umgehen sollte.

„Was ist?“, fuhr er schroff fort. „Kommen Sie mit?“

Sie überlegte einen Moment und schaute den Fremden dann kühl an. „Anscheinend habe ich keine andere Wahl“, erwiderte sie.

„Das meine ich auch“, bestätigte er ebenso kalt wie sie. „Und da wir nun beschlossen haben, die nächsten Tage miteinander zu verbringen, sollte ich mich vorstellen: Mein Name ist Bryce McLean.“

„Ich heiße Adrianna Winslow“, erwiderte sie und dachte insgeheim, dass sie heilfroh war, Bryce getroffen zu haben. Dennoch konnte sie im Moment nicht ehrlich behaupten, über diese Bekanntschaft besonders erfreut zu sein.

Schon nach drei Stunden bedauerte Adrianna den Entschluss, mit Bryce zu reiten. Den Tod zu riskieren kann nicht schlimmer sein als das, was ich jetzt durchmache, dachte sie. Der Kopf tat ihr weh, Arme und Beine waren steif, und der Po schmerzte vom Sitzen auf dem harten Sattel. Sie schwitzte so stark, dass ihr die Kleidung am Körper klebte. Die lästigen Fliegen krabbelten ihr auf den Augenlidern und Lippen und krochen ihr sogar in die Nase.

Ich hasse die Wüste, dachte Adrianna wütend. Ich hasse Kamele, Hitze, Sand – und am meisten hasse ich Bryce! Reitstunden hatte er ihr versprochen. Und wie hatten die ausgesehen? Er hatte sie in den Sattel geschubst, ihr gezeigt, wie man die Zügel hielt, und dann „Los, los“ gerufen. Daraufhin waren die Kamele aufgestanden, und eine Reise hatte begonnen, die kein Ende zu nehmen schien.

Adrianna wunderte sich, dass sie Bryce je für attraktiv gehalten hatte. Er war ein Grobian, der keine Rücksicht auf andere nahm, ein Macho, der es nicht für nötig hielt, einer Frau etwas zu erklären, sondern sie einfach herumkommandierte. Er sagte ihr, was sie essen durfte, wie viel sie trinken durfte, wie lange sie rasten durfte, was sie tragen sollte und so weiter, ohne zu berücksichtigen, dass sie eigene Entscheidungen treffen konnte.

Leider musste Adrianna zugeben, dass sie keine Ahnung hatte, wie man sich in der Wüste verhielt, um zu überleben. Aber sie wollte wenigstens gefragt werden, wenn man ihr Eigentum zerstörte! Bryce hatte es gewagt, in die Krempe des teuren Strohhuts einfach zwei Löcher zu schneiden, damit man den Chiffonschal durchziehen und den Hut unterm Kinn zubinden konnte. Als sie Bryce darauf hinwies, dass man denselben Zweck erreicht hätte, wenn man den Schal über den Hut band, hatte Bryce nur brüsk erklärt, dass ihr Gesicht dann weniger Schatten abbekommen und der Hut weniger fest sitzen würde.

Anschließend hatte er ihr den Hut einfach auf den Kopf gestülpt, und zwar so fest, dass sie wahrscheinlich ausgesprochen lächerlich damit aussah. Adrianna hatte ihre Wut nicht verbergen können und Bryce zornig angefunkelt.

Er hatte sie jedoch nur spöttisch angesehen und die Lippen zusammengepresst, als wolle er eine boshafte Bemerkung unterdrücken. Dann hatte er sich rasch abgewandt und war davongegangen. Aber wenigstens ist er für einen Augenblick aus seinem unerträglichen Gleichmut aufgeschreckt worden, dachte Adrianna befriedigt.

Bryce hatte allerdings nicht lange gebraucht, um seine überlegene Haltung wiederzufinden. Er war der Chef und wusste es.

Adrianna wusste es auch. Aber das Wissen machte es ihr nicht leichter, sich mit der Situation abzufinden. Sie fühlte, wie ein heftiges Gefühl der Abneigung sie durchzuckte.

Als habe er ihren hasserfüllten Blick gespürt, wandte er sich plötzlich um. „Alles in Ordnung, Adrianna?“, erkundigte er sich.

„Alles bestens“, sagte sie und biss die Zähne zusammen. Dieser vagabundierende Viehtreiber, den das Schicksal ihr aufgedrängt hatte, durfte nicht merken, wie elend ihr zumute war. Dann würde er sich womöglich noch überlegener fühlen.

„Ich möchte, dass Sie sich jetzt gut festhalten“, rief er ihr zu. „Ich werde meinen Jumbo auf Trab bringen, und Dumbo wird ihm natürlich nachlaufen. Okay?“

„Okay!“, antwortete sie resigniert.

Das Traben war noch schlimmer als der schaukelnde Gang. Adrianna wurde bei jedem Schritt des Kamels in die Luft geworfen und landete dann unsanft auf dem Po, sodass ihr nach kurzer Zeit alle Knochen wehtaten.

Sie schwor sich jedoch, dass ihr kein Wort der Klage über die Lippen kommen sollte. Bryce hielt sie ohnehin schon für schwach und hilflos.

Eine Stunde lang trabten Adrianna und Bryce über die flache, endlos scheinende Salzwüste. Danach wurde der Boden allmählich steiniger und schließlich sandig.

Adrianna starrte zum Horizont und fing an, Tagträumen nachzuhängen. Sie stellte sich vor, wie schön es wäre, in ihrem komfortablen Apartment in Sydney zu sein und von dem schattigen Balkon aus den atemberaubenden Blick über den Hafen und das kühle blaue Wasser zu genießen. Wie gern würde sie jetzt frisch geduscht auf ihrem bequemsten Liegestuhl sitzen, einen eiskalten Drink in der Hand halten und nichts weiter auf der Haut tragen als ihren Seidenkimono …

Als Dumbo stolperte, kam Adrianna mit einem Ruck in die Wirklichkeit zurück. Sie verlor das Gleichgewicht und rutschte fast aus dem Sattel. Sofort war Bryce neben ihr und half ihr, sich wieder zurechtzusetzen.

„Alles in Ordnung?“, fragte er barsch.

„Natürlich ist nichts in Ordnung“, gab sie bissig zurück und vergaß, dass sie nicht hatte klagen wollen. „Mir tut jeder einzelne Körperteil weh. Ich sterbe fast vor Hitze und Durst, die Kopfschmerzen bringen mich um, und ich bin todmüde.“ Sie warf ihm einen zornigen Blick zu. „Ich möchte ein lauwarmes Bad und ein großes Glas mit kaltem Saft.“

„Tut mir leid, damit kann ich momentan nicht dienen“, sagte er und lächelte zögernd.

Adrianna sank in sich zusammen. Sie hatte ihre Energie mit einem Wutausbruch verschwendet, der Bryce völlig ungerührt ließ. Erst wenn sie ihn wenigstens einmal dazu bringen konnte, in Zorn zu geraten, wüsste sie, dass er auch nur ein Mensch war.

Sie blickte ihn neidisch an. Er wirkte frisch und ausgeruht. Anscheinend machten ihm der Ritt und die Hitze nichts aus. Sogar die lästigen Fliegen ließen ihn in Ruhe. Wahrscheinlich hat er heute Morgen in Insektenschutzmittel gebadet, dachte Adrianna erbost.

Plötzlich lächelte Bryce sie jedoch strahlend an.

„Was gibt es?“, zischte sie.

„Das wollen Sie sicher nicht hören“, erwiderte er amüsiert.

„Spannen Sie mich nicht auf die Folter, ich leide ohnehin Höllenqualen“, entgegnete sie gereizt. „Befriedigen Sie wenigstens meine Neugier, wenn Sie sonst nichts tun.“

Er blickte sie leicht verwundert an, und Adrianna merkte entsetzt, dass man ihre Worte falsch auslegen konnte. „Ich habe es nicht so gemeint, wie Sie vielleicht annehmen …“, sagte sie stockend.

Er lachte spöttisch. „Das glaube ich gern. Trotzdem könnte Sie meine Erklärung auf falsche Gedanken bringen.“ Er ließ sein Kamel einige Schritte traben, hielt wieder an und blickte zu Adrianna zurück. „Ich kann Ihnen jetzt aus sicherer Entfernung sagen, was ich dachte“, rief er.

„Meine Güte, sagen Sie es endlich“, erwiderte sie ungeduldig.

„Selbst wenn es fürchterlich abgedroschen klingt, wollte ich Ihnen nur sagen, dass Sie bezaubernd aussehen, wenn Sie in Wut geraten“, sagte er und lächelte entschuldigend.

Ein Gefühl der Freude stieg in Adrianna auf. Dann dachte sie jedoch erschrocken, wie sehr sie sich diesem Mann auslieferte. Ein Lächeln und ein kleines Kompliment von ihm genügten, und sie war beinah bereit, ihm bis ans Ende der Welt zu folgen. Doch das durfte er nicht einmal ahnen!

„Tut mir leid, aber ich kann nicht glauben, dass ich bezaubernd aussehe, da ich gerade das Gefühl habe zu sterben“, entgegnete sie kühl.

„Das tun Sie noch lange nicht“, meinte er brüsk, bevor ein besorgter Ausdruck auf sein Gesicht trat. „Verdammt!“, rief Bryce und schaute zum Horizont. „Halten Sie sich gut fest, Adrianna. Wir haben ein kleines Problem.“

Dann spornte er Jumbo zum Galopp an. Dumbo folgte, und Adriannas einziger Gedanke war, nur nicht aus dem Sattel zu fallen, als sie heftig durchgeschüttelt wurde.

3. KAPITEL

Verzweifelt klammerte Adrianna sich am Sattelknopf fest. Was hatte Bryce nur entdeckt, das ihn die Flucht ergreifen ließ? Da er kein ängstlicher Mensch zu sein schien, musste es sich um etwas wirklich Besorgniserregendes handeln.

Sie wagte nicht, sich umzudrehen, da sie fürchtete, das Gleichgewicht zu verlieren. Wenigstens kommen wir so schneller voran. Statt des endlosen, flachen Geländes sah sie auf einmal Dünen vor sich.

Die Kamele traten so plötzlich auf den weichen, sandigen Untergrund, dass sogar Jumbo ins Stolpern geriet. Bryce rief sofort: „Steh!“ Dumbo, der diesen Befehl anscheinend noch nicht gelernt hatte, rannte jedoch weiter. Bryce riss Adrianna die Zügel aus der Hand und brachte das Tier ruckartig zum Stehen.

Adrianna wäre fast hinuntergefallen, konnte sich aber noch rechtzeitig am Sattel festhalten. Sie schloss die Augen und stöhnte vor Schmerzen. Dann öffnete sie wieder die Augen und blickte zurück, um festzustellen, wovor sie eigentlich geflüchtet waren.

„Um Himmels willen!“, entfuhr es ihr. „Ist das ein Sandsturm?“ Entsetzt sah sie, dass riesige rote Staubwolken auf sie zurasten.

„Nein, nur eine Windhose“, beruhigte Bryce sie. „Hinter den Dünen sind wir wahrscheinlich sicher. Diese Wirbelwinde bleiben meist über der Salzwüste.“

Adrianna warf Bryce einen verzweifelten Blick zu. „Worauf warten wir dann noch? Auf in die Hügel!“

Er sah sie einen Moment lang verwundert an, lächelte dann zustimmend und brachte die Tiere wieder ...

Autor

Jessica Hart
<p>Bisher hat die britische Autorin Jessica Hart insgesamt 60 Romances veröffentlicht. Mit ihren romantischen Romanen gewann sie bereits den US-amerikanischen RITA Award sowie in Großbritannien den RoNa Award. Ihren Abschluss in Französisch machte sie an der University of Edinburgh in Schottland. Seitdem reiste sie durch zahlreiche Länder, da sie sich...
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Margaret Way
<p>Mit mehr als 110 Romanen, die weltweit über elf Millionen Mal verkauft wurden, ist Margaret Way eine der erfolgreichsten Liebesroman-Autorinnen überhaupt. Bevor sie 1970 ihren ersten Roman verfasste, verdiente sie ihren Unterhalt unter anderem als Konzertpianistin und Gesangslehrerin. Erst mit der Geburt ihres Sohnes kehrte Ruhe in ihr hektisches Leben...
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