Julia Saison Band 23

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HERZENSBRECHER WIDER WILLEN von HARPER, FIONA
Seit er am Valentinstag einen Heiratsantrag übers Radio abgelehnt hat, scheinen alle Frauen der Stadt hinter Daniel her zu sein. Einzig seine hinreißende neue Kollegin Chloe will offenbar nichts von ihm wissen. Eine Herausforderung, der Daniel nicht widerstehen kann …

ÜBERRASCHUNG AM VALENTINSTAG von MICHAELS, TANYA
"Ich möchte eine neue Mom haben!" Das hat Marks kleine Tochter geschrieben - und per Mail an alle Eltern der Schule geschickt. Kein Wunder also, dass die Schulleiterin ihn zu sich zitiert. Doch diese Shay Morgan sieht gar nicht streng, sondern absolut umwerfend aus …

ICH KANN DICH EINFACH NICHT VERGESSEN von BENNETT, JULES
Raine, seine Raine, mit einem Baby? Max kann es nicht fassen. Seit sie ihm vor Jahren den Laufpass gegeben hat, hat er doch alles versucht, um sie zu vergessen. Warum bringt ihn also der Gedanke, dass sie sich einem anderen Mann hingegeben hat, so auf die Palme?


  • Erscheinungstag 02.01.2015
  • Bandnummer 23
  • ISBN / Artikelnummer 9783733705497
  • Seitenanzahl 384
  • E-Book Format ePub
  • E-Book sofort lieferbar

Leseprobe

Fiona Harper, Tanya Michaels, Jules Bennett

JULIA SAISON BAND 23

FIONA HARPER

Herzensbrecher wider Willen

Viel Zeit ist vergangen, seit Chloe zum ersten Mal Daniel begegnet ist. So viel, dass er sie jetzt nicht einmal wiedererkennt. Glücklicherweise – immerhin hat sie sich ihm damals an den Hals geworfen. Wie peinlich! Jetzt scheint der Spieß umgedreht – Daniel kann die Augen nicht von ihr lassen. Doch diesmal zeigt sie ihm die kalte Schulter!

TANYA MICHAELS

Überraschung am Valentinstag

Die Schuldirektorin Shay hält den Atem an. Schuld daran ist der blendend aussehende Mark Hathaway, der gerade ihr Büro betritt. Leider nicht, um mit ihr zu flirten, sondern um über seine Tochter zu sprechen. Die hat es sich nämlich in den Kopf gesetzt, eine neue Frau für ihren Daddy zu finden – damit er nicht mehr so einsam ist …

JULES BENNETT

Ich kann dich einfach nicht vergessen

Schmetterlinge im Bauch? Nichts für Raine, vielen Dank. Einst hat Max ihr am Valentinstag geschworen hat, dass sein Herz für immer ihr gehört – und sie dann einfach abserviert. Seitdem liegen solche Gefühle hinter ihr. Glaubt sie zumindest … Bis Max plötzlich wieder vor ihr steht und es in ihrem Bauch sofort aufs Neue verdächtig zu flattern beginnt …

1. KAPITEL

Daniel beschwerte sich ständig darüber, dass sein Handy stets im falschen Moment klingelte, und es enttäuschte ihn auch jetzt nicht. Gerade als er eine sehr empfindliche Venusfliegenfalle aus dem Topf nahm, die Hände voller Wurzeln und Kompost, vibrierte es in seiner Hosentasche.

Es hatte Zeiten gegeben, da hätte er es einfach ignoriert – vor allem, wenn er solch eine zarte Pflanze in den Händen gehalten hätte – aber jetzt bangte er immer, dass es seine jüngere Schwester sein könnte, die ihm erzählen musste, dass sie wieder krank war. Oder noch schlimmer, dass es ein Fremder war, der ihm berichtete, dass sie zusammengebrochen und in die Notaufnahme eingeliefert worden war, und Daniel möge doch bitte ihre Kinder aus dem Kindergarten abholen.

Widerstrebend schüttelte er die Erde von seiner rechten Hand, nahm den Wurzelballen in die linke und fummelte in seiner Hose nach dem Handy. Während er sich das Telefon zwischen Schulter und Ohr klemmte, versuchte er, sich die Erde von den Fingern zu wischen.

„Ja.“

„Daniel Bradford?“, fragte eine tiefe, allzu euphorisch klingende Männerstimme.

„Ja“, wiederholte er, konzentrierte sich dabei aber mehr darauf, mit einer Hand die seltene Pflanze in den Topf zu befördern. Das ließ sich nicht gut an. Dabei wollte er diese Pflanze noch gar nicht teilen.

„Hallo Daniel, hier ist Doug Harley, und Sie sind live auf Radio EROS, Londons romantischstem Radiosender!“

Daniel richtete sich auf und wirbelte herum, während er den Blick durch das Tropengewächshaus in Londons berühmten Kew Gardens schweifen ließ, überzeugt davon, dass sich irgendwo hinter einer Palme eine Gruppe feixender Praktikanten versteckte. Das war doch wohl ein Scherz, oder?

Aber den Einzigen, den er entdeckte, war ein Gartenbaustudent, der einen Wagen mit Setzlingen schob, Kopfhörer auf den Ohren und somit abgeschieden von der Welt. Ansonsten herrschte Stille in dem Glasbau.

„Daniel?“, ertönte die schmalzige Stimme wieder.

Er nahm das Telefon vom Kopf und starrte auf das Display, während er ernsthaft überlegte, einfach aufzulegen. Für so einen Quatsch hatte er wirklich keine Zeit.

„Was wollen Sie?“, schnauzte er den Mann an, nachdem er das Handy wieder ans Ohr gehoben hatte. „Ich bin beschäftigt.“

Daraufhin folgte ein genauso schmalziges – und ebenso ärgerliches – Gelächter am anderen Ende der Leitung. „Hierfür nicht, Daniel. Versprochen.“

Daniel biss die Zähne zusammen. Die vertrauliche Art und Weise, wie der Moderator in jedem Satz seinen Namen hervorhob, ging ihm gehörig auf die Nerven.

„Überzeugen Sie mich.“

Wieder wurde gelacht. Als würde es um einen Witz gehen, den nur dieser Typ verstand.

„Ich bin sicher, dass Sie wissen, was heute für ein Tag ist, Daniel?“

Verwirrt zog er die Augenbrauen zusammen. Es war Dienstag. Ja und?

Oh.

Innerlich fluchend dachte er an die Ansammlung von roten und rosa Umschlägen, die er heute Morgen auf seinem Schreibtisch vorgefunden hatte. Kopfschüttelnd hatte er sie einfach – ungeöffnet – beiseitegeschoben und sich bemüht, sie zu vergessen. Es war nicht irgendein Dienstag, sondern dieser alberne Tag Mitte Februar.

Daniel schnaubte. Wahrscheinlich ging es um irgend so einen idiotischen Radiowettbewerb auf einem Schnulzensender, von dem er noch nie gehört hatte. Er war sich ziemlich sicher, dass er kein Interesse an dem Gewinn hatte, was auch immer es sein mochte.

Ehe er jedoch etwas sagen konnte, fuhr der Mann fort und ließ wieder sein übertriebenes Lachen hören. „Wir haben heute eine Valentinsüberraschung für Sie, Daniel. Hier ist eine junge Frau, die Ihnen eine Frage stellen möchte.“

Daniel schaute auf die Pflanze in seiner Hand. Trotz ihres entwurzelten Zustands lockte sie mit ihrem süßen Duft eine Fliege an. Die umkreiste die Pflanze und flog zwischen den Blättern umher, auf der Suche nach einem Landeplatz.

„Dan?“ Diese Stimme war sanft und weiblich. Eine Stimme, die er sofort erkannte.

Er erstarrte. Sein Verstand ahnte, was kommen würde, doch er weigerte sich, es zu glauben.

„Georgia?“

Freudig überrascht hatte das nicht geklungen. Eher brummend und abwehrend, so sollte man wohl nicht reagieren, wenn man die Stimme seiner Freundin hörte. Er nahm einen weiteren Anlauf. „Was soll das alles?“

Oh, oh. Nicht viel besser.

Er hörte, wie sie krampfhaft schluckte. „Daniel … ich weiß, dass du es in letzter Zeit nicht gerade leicht hattest, und ich war gern für dich da … aber jetzt sieht doch alles schon viel rosiger aus, und ich glaube wirklich, dass wir gut zusammenpassen.“

Daniel bewegte den Mund, brachte jedoch kein Wort über die Lippen.

Am liebsten hätte er die Augen geschlossen, in der Hoffnung, so auch ihre Stimme ausblenden zu können, aber der Anblick der Fliege, die sich auf einem der fleischigen Blätter niederließ, die der Pflanze als Falle dienten, faszinierte ihn zu sehr. Er schüttelte den Kopf, um das Insekt zu warnen.

Flieg weg. Ergreif die Flucht, solange du noch kannst.

„Also, Daniel …“ Sie machte eine Pause und lachte nervös. „Was ich sagen will, ist … ich wollte dich fragen, ob du mich heiraten willst.“

Mit einer schnellen, geschmeidigen Bewegung schnappte die Falle zu. Daniel hörte noch das verzweifelte Summen des Insekts, sah, wie es in der Falle nach einem Ausweg suchte, während die Venusfliegenfalle sich immer weiter um die Fliege schloss.

Hör auf. Kämpfen macht es nur noch schlimmer.

Plötzlich herrschte eine unheimliche Stille um ihn herum. Sämtliche Geräusche schienen verstummt, fast so, als würde ganz London den Atem anhalten und auf Daniels Antwort warten.

„Soll das ein Witz sein, Georgia?“, krächzte er flehentlich.

Das war nicht die Georgia, die er kannte. Die nette, unkomplizierte, anspruchslose Frau, mit der er seit fast einem Jahr liiert war. Seine Georgia wusste, dass er zurzeit emotional nicht bereit war, eine ernsthafte Beziehung einzugehen, ganz zu schweigen von einer Ehe. Seine Georgia verstand und akzeptierte das. Wer war also diese Frau mit Georgias Stimme, die ihn mit Fragen überrumpelte – noch dazu im Radio?

Wie konnte man überhaupt auf die Idee kommen, jemandem in aller Öffentlichkeit einen Heiratsantrag zu stellen? So etwas passierte still und heimlich. Und vorzugsweise jemand anderem als ihm.

Er biss sich auf die Zunge, um nicht hier und jetzt eine Erklärung von ihr zu verlangen. Es machte ihn wütend, dass sie ihn so überrumpelte, dass sie einfach die Grundregeln ihrer Beziehung veränderte und ihn vor vollendete Tatsachen stellte. Darum war es in ihrer Beziehung nicht gegangen, und das wusste sie auch.

Jedenfalls hatte er gedacht, sie wüsste es.

Schmalzbacke lachte wieder. „Na, Georgia, wie es aussieht, haben Sie den armen Kerl sprachlos gemacht! Was sagen Sie, Daniel? Wollen Sie das arme Mädchen endlich von ihren Qualen erlösen, oder was?“

Was sollte er jetzt antworten?

Er konnte Georgia vor sich sehen, wie sie da im Sender saß, ein gequältes Lächeln auf den Lippen, mit ängstlichem Blick, während sie tapfer versuchte, so zu tun, als wäre alles bestens.

Es war nicht so, dass Georgia keine bezaubernde Frau war. Sie war entschlossen, intelligent und vernünftig. Jeder Mann könnte sich glücklich schätzen, sie als Partnerin zu bekommen. Daniel sollte Ja sagen wollen.

Aber das wollte er nicht.

Definitiv nicht.

Nie wieder! Egal wie bezaubernd die in Frage kommende Frau auch war.

Es knackte in der Leitung, und Daniel war sich plötzlich allzu bewusst, dass ein paar hunderttausend Zuhörer dieser Unterhaltung lauschten, und wie peinlich es für seine Freundin werden würde, wenn er ihr die falsche Antwort gab.

Leider war aber die falsche Antwort die einzig richtige.

Er liebte sie nicht. Vermutlich würde er das wohl auch nie tun, und Georgia verdiente etwas Besseres. Vorsichtig klemmte er das Handy wieder zwischen Schulter und Ohr und stellte die Venusfliegenfalle zurück in den Topf.

Wahrscheinlich hätte er wissen müssen, dass ihre Beziehung nicht in dieser herrlich unkomplizierten Phase stehenbleiben würde. Dinge veränderten sich nun mal, sie gediehen oder sie gingen ein.

Er war Georgia begegnet, als Kelly zur Hälfte mit ihrer Chemo durch war. Sie hatte ihm geholfen zu vergessen, dass seine kleine Schwester womöglich das nächste Weihnachtsfest nicht erleben würde, dass sein Schwager, diese Ratte, mit seiner Personal Trainerin abgehauen war und es seiner völlig geschockten Frau überlassen hatte, allein mit ihrer Krebsdiagnose und den beiden kleinen Kindern fertig zu werden. Wäre Georgia nicht gewesen, hätte Daniel Tim aufgespürt und ihn Stück für Stück an die größte und hässlichste Nepenthes seiner Sammlung verfüttert.

Er hätte wissen müssen, dass Georgia irgendwann auf dumme Gedanken kommen würde. Die schreckliche Situation, in der sie sich jetzt befanden, war nicht nur ihre, sondern auch seine eigene Schuld. Es war ja nichts Verwerfliches, worum sie ihn bat, oder? Aber es war etwas, was er ihr nicht geben konnte. Nicht mehr. Und daraus hatte er auch nie ein Geheimnis gemacht.

„Es tut mir leid …“, entschuldigte er sich, mehr für das, was direkt vor seiner Nase passiert war, ohne dass er es mitbekommen hatte, als für das, was er gleich sagen würde. „Eine Hochzeit stand nie zur Debatte. Ich dachte, du wüsstest das … Genau das war es doch, was unsere Sache so perfekt gemacht hat.“

Unsere Sache … Na toll, Daniel.

Er hörte sie am anderen Ende der Leitung atmen und wünschte, er würde ihr gegenüberstehen, um es erklären zu können, ohne dass zig Zuhörer es mitbekamen.

„Ist schon okay“, sagte sie mit gespielter Fröhlichkeit, während Daniel vermutete, dass sie bereits Tränen in den Augen hatte. Er fühlte sich, als hätte er einen Tritt verpasst bekommen.

Es war nicht okay. Er tat ihr gerade entsetzlich weh, aber das bedeutete noch lange nicht, dass er Ja sagen konnte, denn damit würde er sie letztlich beide unglücklich machen. Er musste das tun, was für Georgia – was für sie beide – am besten war. Er musste sie gehen lassen, damit sie die Chance bekam, jemand anderes zu finden, der ihr geben konnte, was sie brauchte.

„Ich kann nicht, Georgia. Du weißt, warum ich nicht Ja sagen kann.“

Einen Moment lang herrschte angespanntes Schweigen, bevor der Moderator wieder zu reden begann, nervös lachte und versuchte, das Ganze irgendwie zu einem erträglichen Ende zu bringen. Daniel nahm davon nichts mehr wahr. Er bekam nicht einmal mit, als wieder Musik eingespielt wurde.

Er kam sich vor wie ein Monster.

Wütend nahm er den Topf mit der Fliegenfalle und warf ihn gegen die Glasscheibe des Gewächshauses. Der Topf landete als Erstes auf dem Boden, und die zarte Pflanze folgte fast lautlos.

Nun zeigte sich, dass es auch von Nachteil sein konnte, wenn man in einem Glashaus arbeitete. Mehrere Augenpaare starrten ihn aus unterschiedlichen Ecken des Gewächshauses an. Wahrscheinlich dachten sie, der Leiter der Abteilung für tropische Pflanzen hätte den Verstand verloren.

Daniel schloss die Augen, fuhr sich mit der Hand durchs Haar und fluchte laut, als ihm bewusst wurde, dass an seinen Fingern noch immer Erde klebte.

Als er die Augen wieder öffnete, sah er, dass sich niemand bewegt hatte. „Was ist?“, brüllte er, und sofort verschwanden alle wieder.

Das Einzige, was er sich jetzt noch wünschte, war, dass dieser schreckliche Tag endlich ein Ende nahm, damit er wieder ein ganz normales Leben führen konnte, ohne dass jemand zuhörte, was er sagte, ohne dass jemand hinter ihm her spionierte.

Verdammt, er hasste den Valentinstag wirklich.

Daniel saß in der Hocke, die Hand an der zarten Blüte einer Sarracenia, und erstarrte plötzlich. Sonnenstrahlen strömten durch das Glasdach, wärmten ihm den Rücken, und um ihn herum schlenderten die Besucher, die sich die exotischen Pflanzen im Princess of Wales Conservatory, einem von Kews modernen Gewächshäusern, näher anschauten. Alles in allem schien es ein ganz normaler Märztag zu sein.

Abgesehen von der Tatsache, dass ihm auf einmal die Haare zu Berge standen.

Er kam hoch und schaute sich um. Er befand sich in einem riesigen Gewächshaus, daher wäre es absurd anzunehmen, dass die Leute ihn nicht wahrnahmen, aber es war etwas anderes. Es fühlte sich an, als würde jemand ihn beobachten.

Georgias desaströser Valentins-Heiratsantrag hatte ihm eine unerwartete Medienaufmerksamkeit beschert. Mehr als einmal hatte er im vergangenen Monat in die Kameras von Paparazzi geblickt, während er versucht hatte zu arbeiten. Doch das war nicht der einzige ungewollte Nebeneffekt, den die öffentliche Demütigung seiner Freundin nach sich gezogen hatte. Jetzt schienen ihn überall die Leute zu beobachten und zu beurteilen.

Bis die Krankheit seiner Schwester ihn dazu gezwungen hatte, nach England zurückzukehren, hatte er mit Begeisterung seinen Job in der Kew-Forschungsstation auf Madagaskar ausgeübt. Er liebte es, nach seltenen Pflanzen zu suchen, die Samen einzusammeln und fast ausgestorbene Arten aufzuspüren. Aber dieses bizarre Medieninteresse vermittelte ihm das Gefühl, als wäre er die Beute und nicht länger der Jäger, und das gefiel ihm überhaupt nicht.

Nachdem er noch einmal sorgfältig die Pflanzen nach Parasiten abgesucht hatte, ging er hinüber in den Bereich, wo die tropischen Arten wuchsen, die Hitze und Feuchtigkeit brauchten. Methodisch arbeitete er auch hier weiter, entfernte verwelkte Blätter und kontrollierte die einzelnen Pflanzen auf Befall.

Da hörte er es.

„Findest du, dass er aussieht wie Harrison Ford?“, fragte eine weibliche Stimme nicht gerade leise. „Ich finde, er sieht eher aus wie einer aus dieser Krimiserie auf BBC.“

Daniel zuckte zusammen und malte sich einen schrecklichen Dschungeltod für den Reporter aus, der ihn kürzlich scherzhaft mit der Filmlegende verglichen hatte. Während der Journalist offensichtlich ganz begeistert gewesen war von seinem Witz über „Indiana Jones mit der Gartenschere“, konnte Daniel die Anspielungen nicht mehr hören.

„Weiß nicht“, meinte eine zweite Stimme nachdenklich. „Aber es stimmt schon, er ist tatsächlich so ein grübelnder, intelligent und gefährlich wirkender Typ. Hast du diese Armmuskeln gesehen?“

Die andere Frau schnaubte leise. „Arme? Ich war viel mehr damit beschäftigt, mir seinen knackigen …“

Das reichte.

Er hatte die Nase voll davon, wie ein Stück Fleisch behandelt zu werden, etwas, das man diskutieren und angaffen konnte. Vielleicht sollte er sich einfach in ein Beet setzen, denn, soweit er das beurteilen konnte, sah man in ihm sowieso keinen Angestellten mehr. Stattdessen war er zu einer der Hauptattraktionen hier geworden.

Nahm das denn gar kein Ende? Es war schon schlimm genug, dass die Londoner Presse die Geschichte aufgegriffen und weidlich ausgebreitet hatte. Er und Georgia waren das Thema unzähliger Kolumnen und Talkshowdiskussionen gewesen – ohne dass einer von ihnen mit einem Interview oder Statement dazu beigetragen hätte.

Zudem hatte die ganze Sache einen weiteren unschönen Nebeneffekt.

Er war jetzt „Der Mann, der davongekommen war“. Damit schien er zum Freiwild für die weibliche Bevölkerung von London geworden zu sein, denn seit ein paar Wochen kamen sie reihenweise, entweder allein oder zu zweit, um ihm in den Gärten aufzulauern.

Nicht, dass er sonst etwas dagegen einzuwenden hatte, wenn ihm Frauen ein wenig – oder auch viel – Aufmerksamkeit schenkten. Aber das hier war etwas anderes. Diese Frauen benahmen sich, als hätten sie den Antrag im Radio nicht gehört, als wüssten sie nicht, dass er mit der Liebe nichts am Hut hatte, geschweige denn mit der Ehe. Das Ganze war einfach nur idiotisch. Und ziemlich lästig.

Ein tiefer Seufzer rief ihn zurück in die Gegenwart. Sie kamen näher.

„Soll ich hingehen und ihn um ein Autogramm bitten?“, meinte die eine.

Jetzt reichte es wirklich. Jäger oder nicht, Daniel beschloss zu verschwinden. Zum Glück kannte er die verschlungenen Wege im Gewächshaus aus dem Effeff, und es dauerte keine Minute, da konnte er sich hinhocken und von seinem erhöhten Standpunkt bei der Orchideenausstellung aus auf die beiden Frauen hinabschauen. Natürlich hätte er auch zurück ins Treibhaus gehen können, zu dem nur das Personal Zutritt hatte, aber ihm gefiel die Vorstellung, den Spieß umzudrehen und ihnen dabei zuzusehen, wie sie vergeblich nach ihm Ausschau hielten. Damit war ein gewisses Maß an Gerechtigkeit – und Kontrolle – wiederhergestellt.

Als er sie jetzt entdeckte, fielen ihm fast die Augen aus. Die waren über siebzig! Er beobachtete, wie sie sich suchend umschauten und darüber stritten, welchen Weg sie einschlagen sollten, um seine Spur wieder aufzunehmen.

Fast hätte er leise vor sich hin gelacht. Aber nur fast.

Denn plötzlich standen ihm wieder die Haare zu Berge.

Oh nein. Schon wieder eine?

Er war nahe dran, sich umzudrehen und auf die hier loszugehen, aber er wusste, dass er ziemlich zornig werden konnte, und leider ging es nicht, dass er zahlende Besucher attackierte, um sie anschließend als wunderbaren, nährstoffreichen Kompost für seine Lieblingspflanzen zu benutzen. Es gab Gesetze, die das verbaten. Leider.

Also würde er sich wieder auf die Zunge beißen und verschwinden. Wenn dieser Zirkus aber nicht bald ein Ende nahm, dann würde er sich in seinem Büro oder in einem Treibhaus einschließen müssen, statt seinen Job auszuüben, wie es ihm gefiel. Und das wäre wirklich das Letzte. Es war schon schwer genug, dass er die Feldforschung vorläufig hatte aufgeben müssen; das hatte er auch nur getan, weil Kelly ihn gebraucht hatte, damit er sich um sie und die Jungs kümmerte.

„Na, wenn das nicht Indiana höchstpersönlich ist!“, meinte eine rauchige, weibliche Stimme. „Obwohl ich ja gehört habe, Sie hätten die Peitsche gegen eine Gartenschere eingetauscht.“

Daniel wirbelte in der Hocke herum. Das Erste, was er sah, war ein Paar knallrosa High Heels mit gepunkteten Schleifen. Na, das hier war auf jeden Fall keine Rentnerin. Unweigerlich wanderte sein Blick an schlanken Knöcheln hinauf zu wohlgeformten Waden. Sofort schwanden sämtliche Gedanken an Flucht.

Als Nächstes kam ein schwarzer, enger Rock. Er umschloss bestens proportionierte Hüften, umschmeichelte die Schenkel … Daniel schluckte.

„Also, wo ist sie?“, fragte sie.

Erst jetzt fiel ihm auf, dass er noch immer in der Hocke saß. Er blickte auf, registrierte die ebenfalls eng anliegende rosa Bluse, und schaute ihr ins Gesicht. Rote Lippen sah er als Erstes. Knallrote Lippen.

Wer hatte ihm die Flüssigkeitszufuhr zu seiner Kehle abgeschnitten? Wieder schluckte er. „Was?“

Steh auf. Du kniest zu ihren Füßen und siehst aus wie ein sabbernder Neandertaler.

Zum Glück kooperierte sein Gehirn dieses Mal und schickte einen Befehl an seine Beine, sich aufzurichten. Endlich schaute er auf sie hinab statt zu ihr hinauf. Allerdings half das auch nicht wirklich. Von unten war der Blick auf das beeindruckende Dekolleté nicht ganz so offensichtlich gewesen. Jetzt musste sein Verstand sich zu sehr darauf konzentrieren, die Augäpfel unter Kontrolle zu behalten. Reden war da nicht mehr drin.

„Die Gartenschere“, meinte sie und hob ganz leicht eine ihrer gekonnt gezupften Augenbrauen. „Ist sie in Ihrer Tasche?“

Daniel nickte benommen und zog die Schere heraus.

Die Frau war blond. So blond wie Marilyn Monroe, mit schulterlangem Haar, das sich um ihr Gesicht lockte.

„Wie schade“, meinte sie. „Und da dachte ich, Sie wären so erfreut, mich zu sehen.“

Ihm klappte der Mund auf. Sein Verstand kämpfte noch immer mit all den Eindrücken. Zu seinem großen Entsetzen entschlüpfte ihm ein leises Grunzen.

„Entschuldigung … ich konnte nicht widerstehen“, meinte sie und streckte ihm eine schlanke Hand entgegen. „Sind Sie nicht auch ein Fan von Mae West?“

Eine Sekunde lang starrte Daniel auf ihre Hand, auf die langen, roten Fingernägel, die zu den Lippen passten, bevor eine Bewegung auf Brusthöhe ihn ablenkte. Ein Mitarbeiterausweis hing an einem Band um ihren Hals, aber aufgrund der nicht gerade kleinen … Oberweite, hing das Schild direkt darunter und der Name war deshalb nicht zu erkennen.

„Oh, also kein Fan von Mae, was?“

Er nickte, nicht sicher, ob er zustimmte oder verneinte.

„Chloe Michaels.“ Sie nahm seine Hand und schüttelte sie fest. „Orchideenspezialistin und die Neue hier in Kew.“

„Daniel Bradford“, erwiderte er leicht benommen.

„Ich weiß“, meinte sie mit einem kleinen Lächeln auf den roten Lippen.

„Sie haben Zeitung gelesen …“

„Na ja, eine Frau müsste schon tot sein, um nichts über Sie mitbekommen zu haben. Wie auch immer, ich kannte Sie auch vorher schon. Ich habe eins Ihrer Bücher zu Hause stehen.“

Erleichtert atmete er aus und entspannte sich. Pflanzen und Gartenbau. Endlich begegnete ihm mal eine Frau, mit der er vernünftig reden konnte. „Freut mich, Sie kennenzulernen“, sagte er.

Sie nickte und strahlte ihn an. „Drüben im Gewächshaus sagte man mir, dass ich Sie hier finden würde, und da dachte ich, komme ich mal kurz vorbei und stelle mich vor“, erklärte sie und wandte sich um. „Man sieht sich.“

Daniel hatte gerade begonnen, sich wieder halbwegs normal zu fühlen, doch ihr Abgang bescherte ihm einen Anblick, auf den er nicht gefasst gewesen war … Die Art und Weise, wie sich der enge Rock um ihren Po schloss, war die reinste Sünde.

Sie blickte über die Schulter. Abrupt wandte Daniel den Blick nach oben. Sie hatte ihn doch hoffentlich nicht dabei ertappt, als er sie wie ein pubertärer Jüngling angestarrt hatte, oder?

„Übrigens“, sagte sie, „Gefahr im Anmarsch.“

Er hatte nicht die leiseste Ahnung, was sie meinte, doch ein Klopfen an der Glasscheibe über ihm ließ ihn zusammenzucken. Er blickte hoch und sah die beiden Verfolgerinnen von vorhin auf der Treppe, die Gesichter gegen die Scheiben gepresst und wie verrückt grinsend.

Oh, Mist.

Eine von ihnen entdeckte die Tür. Ihre Augen leuchteten auf, und sie begann, mit einem Stift und einem Notizblock zu wedeln.

Daniel machte das, was jeder vernünftige Mann in seiner Lage getan hätte.

Er ergriff die Flucht.

2. KAPITEL

Mit einem so engen Rock und so hohen Schuhen ist ein eleganter Abgang nicht einfach, dachte Chloe, während sie zur Tür schritt. Heute Morgen hatte sie noch geglaubt, ihre Lieblingsschuhe würden ihr eine extra Portion Selbstvertrauen schenken, aber gepaart mit diesem engen Rock erwies sich das Gehen als schwierig.

Nachdem sich die Glastür endlich hinter ihr geschlossen hatte, blieb sie einen Moment lang stehen, blinzelte kurz und ging dann weiter.

Er hatte sie nicht erkannt.

Sie war darauf vorbereitet gewesen, lächelnd auf ihn zuzugehen, über den peinlichen Vorfall in ihrer Vergangenheit zu lachen und es darauf zu schieben, dass sie leider keinen Alkohol vertrug. Kurz gesagt, sie hatte geplant, sich genauso weltgewandt zu geben, wie ihre Garderobe vermuten ließ.

Aber dazu hatte gar keine Veranlassung bestanden.

Das ist doch gut, oder? überlegte sie, während ihr Herz heftig klopfte. Dass er Chloe Michaels, die Gartenbaustudentin, nicht mit Chloe Michaels, der neuen Leiterin der Orchideenabteilung, in Zusammenhang brachte. Sie würden einfach neu anfangen und sich wie reife Erwachsene benehmen.

Okay, das letzte Mal, als sie sich getroffen hatten, hatte Daniel Bradford keine Probleme damit gehabt, sich reif und erwachsen zu benehmen. Sie war diejenige gewesen, die sich daneben benommen hatte. Selbst nach all den Jahren ließ die Erinnerung daran sie noch erröten.

Sei nicht albern, schalt sie sich. Im Laufe der Jahre hatte er bestimmt massenhaft Kurse gegeben und Hunderte von ehrfürchtigen Studentinnen getroffen. Warum sollte er sich an eine mausgraue Studentin mit wuscheligen Haaren erinnern, die ihre üppigen Kurven unter XL-T-Shirts und ausgebeulten Hosen verbarg? Kein Wunder, dass er sich nicht einmal an ihren Namen erinnerte.

Oder an ihr Gesicht.

Schließlich sah sie jetzt ganz anders aus.

Dieses Aschenputtel hatte keine gute Fee gebraucht, um sich ein neues Aussehen zuzulegen; sie hatte es ganz allein hinbekommen, und zwar in dem Sommer, nachdem sie ihre Gartenbauausbildung auf dem College beendet hatte. Allein der entsetzte Ausdruck auf dem Gesicht des Prinzen hatte genügt, um sie in die richtige Richtung zu schubsen. Die Maus war verschwunden; lang lebe die neue Chloe.

Allerdings …

Ein kleiner Teil von ihr – ein bisher unentdeckter masochistischer Teil – hatte offenbar gehofft, er würde sich an sie erinnern, denn Enttäuschung machte sich in ihr breit. Sie seufzte. Wenn es um den fantastischen Daniel Bradford ging, war sie noch nie sonderlich vernünftig gewesen. Aber welches weibliche Wesen war das schon?

Es hatte etwas mit diesen langen Beinen, dem athletischen Körper und den hellgrünen, fast eisig wirkenden Augen zu tun. Hinzu kam dieses Wilde, das den Eindruck vermittelte, er hätte sich gerade noch aus dem dunklen, weit abgelegenen Dschungel retten können. So etwas konnte einer Frau schon den Kopf verdrehen.

Vielleicht erklärte das, warum sie sich eben so verhalten und solche unglaublichen Dinge gesagt hatte.

Auch wenn sie wusste, dass die „neue“ Chloe über genügend Selbstvertrauen verfügte, bestand schon noch ein Unterschied zwischen Selbstsicherheit und purem Draufgängertum. Eigentlich hatte sie ruhig und professionell auftreten wollen. Jedenfalls hatte sie nicht vorgehabt, ihn zu necken … oder sogar mit ihm zu flirten.

Doch eine leise Stimme in ihrem Kopf hatte sie angestachelt, vor allem als ihm beinahe die Augen ausgefallen wären, während er versucht hatte, ihr Namensschild zu lesen. Es war einfach so befriedigend gewesen, ihn dabei zu beobachten, wie er fast anfing zu sabbern.

Allerdings würde es nicht wieder vorkommen.

Es war völlig egal, wie bewundernd Daniel sie angestarrt hatte, denn sie würde niemals wieder diesen Weg einschlagen. Damals vor zehn Jahren war sie in ihn verknallt gewesen, aber eins war sicher …

Lieber würde sie sich erschießen, ehe sie sich jemals wieder so dicht an ihn heranwagte, dass er sie küssen konnte.

Daniel hing auf halber Höhe der Kletterwand im Sportzentrum und blickte hinunter auf den Helm seines Freundes. „Beeil dich, Al“, rief er. „Du bist außer Form. Hast wohl zu viel faul in der Sonne gelegen, als du im Urlaub warst, was?“

Schließlich hatte Alan ihn eingeholt. „Was ist denn mit dir los?“, fragte er schwer atmend. „Du kletterst ja, als wäre der Teufel hinter dir her, und das passiert normalerweise nur, wenn du in Schwierigkeiten steckst – meistens mit Frauen.“

Daniel verzog das Gesicht. „In gewisser Weise.“

Alan grinste ihn hoffnungsvoll an.

„Georgia ist heute vorbeigekommen.“

Alans Grinsen schwand, und er äußerte ein Wort, das Daniel absolut angebracht fand. „Was hat sie gewollt? Sie hat sich doch hoffentlich nicht heulend in deine Arme geworfen und um eine zweite Chance gebettelt, oder?“

„Nein, zum Glück nicht.“

Ihm war klar, dass das ziemlich unsensibel klang, aber Alan verstand ihn schon. Er war ein Mann.

Daniel setzte den nächsten Griff an. „Die Sache zwischen uns ist aus“, sagte er. „Hätte vielleicht nie beginnen sollen.“

„Dabei dachte ich, du hättest da ’ne super Kiste laufen. Sämtliche Vorteile, ohne das übliche Drama.“

Das hatte Daniel auch gedacht, wenn er überhaupt darüber nachgedacht hatte. Er und Georgia waren Freunde gewesen, ihre Arbeit in Kews Millenium-Saatgutbank hatte sie beide gelegentlich zusammengebracht, und irgendwann war aus der Freundschaft mehr geworden, ohne dass er viel darüber nachgedacht hatte.

Normalerweise konzentrierte er sich schon sehr viel mehr auf sein Liebesleben. Wenn er eine Frau entdeckte, die ihm gefiel, versuchte er, sie für sich zu gewinnen. Ihm machte es sogar Spaß, wenn eine Frau schwer zu haben war und erobert werden musste. Es machte die Sache viel spannender.

Aber Kelly war krank gewesen, und Daniel – abgesehen davon, dass er selbst fast krank vor Sorge um seine Schwester gewesen war – hatte sich auch noch um zwei kleine Jungs kümmern müssen. Vermutlich war das der Grund gewesen, warum er derart gedankenlos in die Beziehung mit Georgia geschlittert war.

Er war davon ausgegangen, dass sie das Gleiche wollte. Eine Beziehung ohne Komplikationen, ohne Drama. Definitiv ohne Hochzeitsglocken.

Dabei hätte er es wissen müssen. Wenn eine Beziehung länger als sechs Monate dauerte, tickte immer irgendwo im Hintergrund eine diamantene Zeitbombe. Und Daniel wusste genau, wie tief sich diese glitzernden Granatsplitter in einen hineinbohren konnten.

„Das ist jedoch nicht alles“, sagte er, während er weiterkletterte. „Sie hat mir erzählt, dass der Radiosender darauf besteht, dass sie den Vertrag, den sie mit ihnen geschlossen hat, erfüllt.“

Alan, der jetzt mit ihm mithielt, sah geschockt aus. „Wieso das? Es gibt doch keine Hochzeit, über die sie berichten können. Du hast Nein gesagt.“

„Stimmt. Aber aus unerfindlichen Gründen meint sie, sich neu erfinden zu müssen, und sie werden sie ein Jahr lang begleiten, um das zu dokumentieren. Georgias Jahr nennen sie es.“ Als würde er sich nicht schon elendig genug fühlen.

Zur Hölle mit ihr, dass sie so selbstsicher und vernünftig gewirkt hatte, während sie im Inneren so schrecklich verletzlich gewesen war. Und zur Hölle mit ihm, dass er zu sehr mit anderen Dingen beschäftigt gewesen war, um das zu bemerken.

„Sieh es positiv“, meinte Alan und versuchte hinterherzukommen. „Die meisten Männer, die ich kenne, würden ihren rechten Arm dafür hergeben, um an deiner Stelle zu sein – täglich werfen sich dir neue Frauen an den Hals. Das ist so, als würde man in einem Fass angeln …“

Daniel runzelte die Stirn, während er sich einen kleinen Überhang hinaufzog. Er wollte nicht in einem Fass angeln. Darum ging es doch!

Ihn reizte es nicht, wenn eine Frau ihn anhimmelte; das führte nur dazu, dass sie mehr von ihm wollte, als er zu geben bereit war. Nein, ihm gefiel es, Frauen auf Augenhöhe zu begegnen, Spaß zu haben, solange es dauerte, und dann zur nächsten weiterzuziehen.

„Dann sind die meisten Männer, die du kennst, Idioten“, rief er Alan zu. „Es gibt Interesse, und es gibt Verzweiflung und Anhänglichkeit. Und ich weiß genau, was mir lieber ist.“ Mit diesen Worten kletterte er davon.

Das Brennen in den Fingerspitzen und der Schmerz in Schultern und Armen beruhigten ihn. Er vergaß Radiosender, Heiratsanträge und den verdammten Valentinstag. Stattdessen konzentrierte er sich auf die körperliche Anstrengung, und nach einer Weile drifteten ganz andere – sehr viel angenehmere Bilder – durch seinen Kopf.

Knallrosa Schuhe blitzten auf. Ein enger schwarzer Rock, der sich um fantastische Kurven schmiegte. Sonnenstrahlen, die hellblondes Haar noch mehr leuchten ließen. Sinnliche Lippen, die sich leicht nach oben gebogen hatten, als sie ihn geneckt hatte …

Dieses Namensschild, das unter …

Daniel merkte, dass keine Wand mehr da war. Er blinzelte und schaute nach unten. Alan kämpfte noch mit dem letzten Überhang.

Eigentlich war es nicht überraschend, dass seine Gedanken zu Chloe Michaels gewandert waren. In letzter Zeit dachte er ziemlich häufig an den Tag im Princess of Wales Conservatory. Leider blieb es bei diesen Erinnerungen, denn er hatte Chloe kaum mehr zu Gesicht bekommen. Sie war die Frau, die sich immer in Luft auflöste, wenn er irgendwo auftauchte.

„Mensch, Alter“, keuchte Alan. „Wenn du deine Frauenprobleme nicht bald in den Griff bekommst, schaffst du mich. Sieh zu, dass du diese Sache mit Georgia hinter dir lässt.“

Daniel nickte. Ja. Georgia. Das war der einzige Beziehungsstress, den er zurzeit hatte. Sollte es jedenfalls sein.

Aber diese roten Lippen lachten ihn an …

Er schüttelte den Kopf. Keine gute Idee, Daniel. Vergiss es und zwar schnell.

Er hatte nicht vor, vom Regen in die Traufe, sprich gleich in die nächste Beziehung zu geraten. Zunächst einmal musste er sich zurücklehnen, Bestandsaufnahme machen und Distanz wahren. Er sollte keine Gedanken daran verschwenden, etwas Neues anzufangen, mochten die hübschen roten Lippen ihn auch noch so sehr locken.

Er blickte zur Decke. Mist, er hätte gut und gern noch hundert Meter weiter klettern können, um all die angestaute Energie loszuwerden.

„Frauen sind das Letzte, was ich zurzeit im Kopf habe“, erklärte er Alan. „Diese Wand hier ist das Problem. Ich bin sie jetzt schon so oft hochgeklettert, dass sie zu einfach ist.“

Alan schnaubte nur.

Nach einem letzten Blick zur Decke ließ Daniel sich wieder zu Boden gleiten. Sein Freund folgte ihm. „Ich brauche echte Berge zum Klettern“, fügte Daniel hinzu. „Das ist alles.“

Zwanzig Minuten später saßen sie im Pub, und Alan stellte ein volles Bierglas vor Daniel. „Du vermisst es, oder?“, fragte er. „Draußen im Gelände zu sein?“

„Stimmt“, entgegnete Daniel. Nicht nur die Berge, sondern auch den Regen auf der Haut und den Wind im Gesicht. Das Gefühl, völlig frei zu sein.

„Obwohl ich dir echt dankbar bin, dass du mir Bescheid gesagt hast, als dieser Job frei wurde“, meinte er. „Zum Glück ist es ja nur eine Schwangerschaftsvertretung. Ich bleibe so lange, bis deine alte Chefin zurück ist. Bis dahin wird es Kelly auch wieder besser gehen.“

Vor seinem Aufenthalt auf Madagaskar hatte er an unterschiedlichen Orten in Südostasien gearbeitet, hatte Samen gesammelt, verschiedenen Universitäten und botanischen Gärten geholfen, eigene Saatgutbanken aufzubauen, und hatte nach unbekannten Spezies gesucht.

Doch dann war Kelly krank geworden, und er war nach Hause gekommen. Nachdem seine Schwester und ihr Mann sich getrennt hatten, hatte er Kelly vorgeschlagen, zu ihm in sein Haus in Chiswick zu ziehen. Ohne ihn hätte Kelly die Operation und die Chemotherapie kaum bewältigen können.

Kurz darauf hatte sich die Chance mit dem Job als Leiter des Tropenhauses geboten, und die hatte er gern ergriffen. Es war die perfekte Lösung. Er konnte in London bleiben und seiner Schwester mit ihren zwei kleinen Rabauken helfen. Doch auch wenn ihm der Job gefiel, war er auf lange Sicht nicht das, was er wollte.

„Du bist jetzt seit gut einem Jahr hier“, sagte Alan, „und Kelly sieht meines Erachtens wieder super aus.“

Obwohl Alans Miene verdächtig ausdruckslos wirkte, erschien in seinen Augen ein Funkeln, das Daniel nicht gefiel. „Wage es ja nicht, auf diese Art und Weise an meine Schwester zu denken“, drohte er. „Sie ist tabu.“

Alan hob beide Hände. „Ist ja gut, Mann.“

„Entschuldige“, murmelte er, als ihm bewusst wurde, dass er ein wenig überreagiert hatte. „Sie hat eine Menge durchgemacht, Al. Da sind weitere Komplikationen das Letzte, was sie jetzt noch braucht.“

„Na, vielen Dank“, meinte Alan gespielt beleidigt. „Das ist ja eine nette Art, wie du deinen ältesten Freund bezeichnest – als Komplikation.“

Widerstrebend grinste Daniel. „Du weißt, was ich meine.“

„Bist du sicher, dass du nicht doch irgendwelchen Stress mit Frauen hast? Abgesehen von deiner allzu enthusiastischen Ex, meine ich?“

„Nein, nein.“

Trotzdem schoss ihm ein Bild durch den Kopf: Das Bild von einem kecken Lächeln, knallroten Lippen, schwingenden Hüften in einem Bleistiftrock …

Alan kippte einen großen Schluck Bier in sich hinein und stellte das Glas wieder auf den Tisch. „Na, dann würde ich sagen, wird es wirklich Zeit, dass du schnell wieder raus in den Dschungel gehst. In der Zwischenzeit solltest du aber noch mehr tun, als hier die Wände hochzuklettern, um mal Dampf abzulassen. Was hältst du von einem Pirschgang? Ein alter Freund meines Vaters hat uns übers Wochenende auf seine schottische Burg eingeladen. Ich könnte auch für dich eine Einladung rausschlagen.“

„Nee, das ist nicht so mein Ding.“

„Quatsch“, erwiderte Alan. „Wir sind Jäger, du und ich. Oh, nicht im traditionellen Sinne – aber du bist immer hinter irgendwelchem Grünzeug hinterher, das sonst niemand findet. Das liegt uns in den Genen, das Bedürfnis, etwas aufzuspüren und zu erobern …“ Er machte eine ausladende Handbewegung. „Männer wie wir brauchen den Nervenkitzel der Jagd!“

Daniel warf ihm einen skeptischen Blick zu. „Und wann genau gehst du auf die Jagd?“

„Ich gehe angeln“, meinte Alan todernst. „Aber was ich meine, ist, dass es dich vermutlich verrückt macht, wenn du den ganzen Tag lang nur im Gewächshaus hockst und auf all die ordentlich aufgereihten Exemplare schaust.“

Vielleicht war das so. „Mach dir um mich mal keine Sorgen“, meinte er jedoch und trank den Rest seines Bieres aus. „Ich mag zwar keine Lust haben, in feuchter Heide auf die Pirsch zu gehen, aber ich finde schon noch was, damit ich keinen Koller kriege. Außerdem gibt es mehr als eine Art der Jagd – das haben mir die Pflanzen, mit denen ich arbeite, beigebracht.“

„Du und deine blöden fleischfressenden Pflanzen“, brummte Alan und winkte die Kellnerin heran, um für sich und Daniel noch ein Bier zu bestellen. Alan war kein Fan dieser Spezies. Er zog Palmen vor.

Kurz darauf, Daniel war gerade dabei, sein frisches Bier zu genießen, blickte Alan zur Tür und stieß ein „Heiliger Strohsack“ aus. Dabei schlug er Daniel auf den Arm, um seine Aufmerksamkeit zu erregen, und dessen schönes kaltes Bier ergoss sich über sein T-Shirt.

Leise fluchend blickte er an Alan vorbei, um zu sehen, was los war.

Heiliger Strohsack war richtig.

Chloe Michaels, die Frau, die immer verschwand, war wieder aufgetaucht. In Begleitung einer Kollegin – Emma, einer Bambusfanatikerin – schaute sie anscheinend auf einen Feierabenddrink hier im Pub vorbei.

Überraschenderweise war Chloe in lässiger Arbeitskleidung genauso atemberaubend wie in heißem Outfit. Diese engen schwarzen Jeans waren wie geschaffen für solche Kurven. Die knöchelhohen Schnürstiefel sollten ihn eigentlich an funktionale Dinge, wie Schlamm und Schubkarren denken lassen, aber die gekreuzten Schürsenkel erinnerten ihn stattdessen an Korsetts. Und dann war da noch das T-Shirt, das sich um ihre Brüste schmiegte, und die Lederjacke darüber …

Leder. In seinem gegenwärtigen Geisteszustand war das ein gefährliches Wort.

Prompt erwachte auch sein Jagdinstinkt wieder. Und als er jetzt Chloe Michaels mit ihrer hellen Haut und den rosig glänzenden Lippen anschaute, wie sie sich im Pub nach einem Platz umsah, wusste er auch genau, was er jagen wollte.

Chloes Herzschlag war ins Stolpern geraten, als sie in den Pub getreten war. Verdammt. Sie hätte wissen müssen, dass es eine dumme Idee war, so nahe an den Gärten noch auf einen Drink in einen Pub zu gehen. Denn dort hinten saß Daniel Bradford – oder der umwerfende Daniel, wie er häufig in den sozialen Netzwerken bezeichnet wurde – bei einem Bier. Und er sah wirklich so fantastisch aus, wie sein neuer Spitzname suggerierte.

Nein, ermahnte sie sich. Schluss mit dieser Schwärmerei. Damit hatte sie vor zehn Jahren abgeschlossen, und sie hatte nicht vor, noch einmal damit anzufangen. Trotzdem war es sicherer, kein Risiko einzugehen, und daher war sie ihm aus dem Weg gegangen. Sie zupfte an Emmas Ärmel und wollte gerade vorschlagen, dass sie sich einen anderen Pub suchen sollten, doch in dem Moment drehte Daniel sich um.

Ihre Blicke trafen sich, und die Glut, die sich in seinen Augen spiegelte, raubte ihr die Sprache.

Und machte sie ziemlich wütend.

Sein Timing war doch echt völlig daneben. Denn wenn er sie vor zehn Jahren so angesehen hätte, dann würde sie jetzt nicht in diesem Dilemma stecken. Vielleicht würde sie in einem ganz anderen Dilemma stecken, aber zumindest würde sie sich nicht völlig erniedrigt fühlen.

„Hallo, Daniel!“ Emma winkte ihm zu und war schon auf dem Weg zu ihm. Na toll.

Bisher war Chloes Plan so gut aufgegangen. Mühelos war es ihr gelungen, Mr Umwerfend aus dem Weg zu gehen, aber vielleicht hätte sie wissen müssen, dass das alles zu einfach gewesen war, dass ihre Entschlossenheit irgendwann auf die Probe gestellt werden würde. Schicksalsergeben hob sie also ihr Kinn, lächelte und folgte Emma.

In dem Moment fiel ihr auf, dass Daniel nicht allein war, sondern mit einem gut aussehenden blonden Mann zusammensaß, dem sie jetzt stattdessen ein Lächeln schenkte. Das Grinsen, das sie damit hervorrief, zeigte, dass er nicht undankbar darüber war.

Eine dunkle Gewitterwolke machte sich dagegen prompt auf Daniels Miene breit. Die Haut in Chloes Kniekehlen begann zu kribbeln, und das Lächeln auf ihren Lippen gefror. Kein Grund zur Panik. Ein kurzes Schwätzchen mit den beiden Männern, und dann konnten sie und Emma sich wieder auf den Weg machen.

Sie nickte ihm zu. „Hallo, Indiana.“

Ein Blitz aus der Gewitterwolke traf sie genau zwischen den Augenbrauen.

Sie überließ es Emma, Daniel anzuhimmeln, und wandte sich stattdessen an den Blonden. „Wer ist Ihr Freund?“, fragte sie, leicht enttäuscht, dass nicht einmal die Andeutung eines Kribbelns in ihren Kniekehlen zu spüren war, als sie seinem anerkennenden Blick begegnete, obwohl dieser Mann genauso gut aussah wie Daniel.

„Ihr kennt euch?“, fragte der Blonde fassungslos. „Wieso hast du uns noch nie vorgestellt?“ Er streckte ihr die Hand hin. „Alan Harrison“, sagte er „Und so was nennt sich nun Freund“, schimpfte er an Daniel gewandt.

„Du bist doch gerade erst aus Griechenland zurück“, murmelte Daniel. „Sie hat hier angefangen, als du weg warst.“

Chloe wollte Alan ihre Hand entziehen, doch es schien, als wäre er noch nicht bereit, sie loszulassen. Sie lächelte kühl. „Ich bin neu in den botanischen Gärten.“

Alan riss die Augen auf. „Sie sind genauso ein Pflanzen-Nerd wie wir? Darauf wäre ich nie gekommen.“

Innerlich zuckte Chloe bei seinen Worten zusammen, aber sie lächelte nur noch strahlender. „Ich bekenne mich schuldig.“ Schuldig, genau. Sie hatte sich einen guten Haarschnitt verpassen lassen, hatte gelernt, wie man sich schminkte … Doch tief im Inneren war sie noch immer genauso ein Pflanzen-Nerd wie immer.

Mit einem unverkennbar wölfischen Ausdruck musterte Alan sie von Kopf bis Fuß. „Sie sehen wirklich nicht so aus.“

„Haben Sie noch nicht gehört?“, fragte sie und nickte in Daniels Richtung. „Dank Ihres Freundes ist Pflanzen-Nerd das neue sexy.“

„Oh, ja, das stimmt“, hauchte Emma und himmelte Daniel an.

Chloe biss sich auf die Zunge, um nicht zu lachen. Daniels Miene hatte sich noch weiter umwölkt, aber es zeichnete sich auch ein Anflug von Panik auf seinem Gesicht ab, den sie neulich schon bemerkt hatte, als er sich vor seinem silbergrauen Fan-Club versteckt hatte.

Doch dann sah Daniel wieder zu ihr, und der Blick verwandelte sich. Plötzlich war sie diejenige, die Panik verspürte.

Sie wollte nicht, dass er sie so ansah, so, als würde er gerne …

Nein, diesen Gedanken würde sie nicht weiterverfolgen. Viel zu gefährlich.

„Was möchten die Damen denn trinken?“, fragte Alan.

Chloe versuchte, etwas zu sagen, wollte erklären, dass sie und Emma sich einen ruhigen Tisch suchen und über Bambus reden würden, aber leider brachte sie kein Wort heraus. Auf jeden Fall nicht schnell genug.

„Gin Tonic, bitte“, sagte Emma.

Mist, wenn sie jetzt gegenanredete, würde das ziemlich unhöflich wirken. Na ja, so schlimm würde es schon nicht werden, Emma musste nämlich in einer halben Stunde weg. Hin und wieder würde sie ohnehin mit Daniel zusammenarbeiten müssen, also war das hier eine gute Übung.

Doch leider beging sie den Fehler, seinem Blick zu begegnen, als sie sich räusperte und meinte: „Ein Weißwein wäre nett.“ Da war das Kribbeln in ihren Kniekehlen wieder und schickte hinterhältige Meldungen an ihre Muskeln, nicht länger aufrecht zu stehen, sondern einfach … dahinzuschmelzen.

Sie setzten sich, und Chloe versuchte, sich wieder zu beruhigen. Sie würde es schaffen, mit diesen beiden Männern auf einen Drink zusammenzusitzen, wenn ihre Kollegin fortfuhr, Daniel anzuschmachten. Sie bombardierte ihn mit Fragen zu einer neuen Unterart von Bambus, die er auf seiner letzten Exkursion entdeckt hatte. Auf diese Weise konnte Chloe sich zurücklehnen und Alan lauschen, der von seiner Reise nach Korfu erzählte.

Hin und wieder warf sie einen Blick zu Daniel, der Emmas Fragen bereitwillig beantwortete, doch wenn Emma lächelte und mit ihren Haaren spielte, blieb seine Miene gleichgültig. Wenn Emma sich auf dem Tisch vorbeugte, lehnte er sich zurück. Chloes Vergnügen auf Daniels Kosten schwand ein wenig.

Sie wusste schließlich nur zu genau, wie das war.

Ihn so sehr zu begehren, dass man alle Bedenken über Bord warf, einfach drauflosplapperte und die Körpersprache nicht mehr unter Kontrolle hatte. Doch Emma schien das alles nicht zu merken, sie machte einfach weiter.

Hör auf, hätte Chloe ihr am liebsten zugerufen. Tu es nicht. Er wird dich von sich stoßen, dir das Gefühl geben, unbedeutend und nicht gut genug für ihn zu sein.

Dieses Gefühl, nicht gut genug, nicht hübsch genug zu sein, wollte sie ihrer Kollegin ersparen. Daher legte sie eine Hand auf Emmas Arm und meinte: „Hattest du nicht gesagt, dass du um halb acht weg musst?“

Emma hielt inne und blickte auf die Uhr. „Oh, Mist. Ja, das hab ich fast vergessen! Den Kurs habe ich doch schon vor Monaten gebucht – die Warteliste ist ellenlang.“ Widerstrebend löste sie den Blick von Daniel und seufzte. „Dann muss ich mir ein andermal alles über Mount Kinabalu anhören“, sagte sie hoffnungsvoll.

Chloe stand auf. „Gehen wir“, meinte sie.

„Sie können noch nicht gehen“, protestierte Alan.

Emma blickte zwischen Chloe und Alan hin und her und lächelte, woraufhin Chloe den Kopf zu schütteln begann. Nein, sie war nicht an Alan interessiert und konnte auf Emmas Verkupplungsversuche gut verzichten.

„Nein, bleib ruhig hier“, sagte ihre Kollegin trotzdem grinsend. „Kein Grund, meinetwegen einen netten Abend zu unterbrechen.“

„Äh …“ Weiter kam Chloe nicht, denn Emma hatte ihre Tasche und den Mantel gegriffen und war schon auf dem Weg zum Ausgang.

Alan griff nach seinem Glas, bevor er der davoneilenden Emma hinterherrief: „Noch ein Abendkurs? Was ist es diesmal?“

Emma blieb stehen und drehte sich um. „Pole-Dance“, rief sie fröhlich, und plötzlich herrschte Stille im Pub. Abgesehen natürlich von Alan, der sein Bier wieder ausprustete.

3. KAPITEL

Chloe blickte zu einem genauso entgeisterten Daniel, und prompt fingen sie beide an zu lachen. Ob es nun Emmas verblüffende Abschiedsbemerkung oder Alans Prusten war, wussten sie beide nicht so genau. Aber das Bedürfnis zu kichern schwand schnell, als sie Daniel über den Tisch hinweg ansah. Auch er fand das Ganze auf einmal nicht mehr lustig.

Ihr wurde plötzlich schrecklich heiß. Und das hatte nichts mit dem therapeutischen Effekt des Lachens zu tun, sondern viel mehr damit, dass sie tief in Daniels Augen geschaut hatte und überlegte, wie es wohl wäre, wenn sie ihn küssen würde.

Hastig wandte sie den Blick ab und trank einen Schluck Wein.

Nein, nein. Das hatte sie alles schon einmal mitgemacht und es gerade eben so überstanden.

Alan, der sich inzwischen von seinem Hustenanfall erholt hatte, setzte sich neben sie und legte einen muskulösen Arm auf die Rückenlehne ihres Stuhls. „Und Sie wollen gar nicht mit ihr gehen?“

Chloe bewunderte sein Ego, das ihm erlaubte, sich von einem Hustenanfall zu erholen, bei dem ihm das Bier aus der Nase geschossen war, um im nächsten Augenblick weiterzuflirten, als wäre nichts gewesen. Sie schüttelte den Kopf und rutschte ein Stück von ihm fort.

„Wollen Sie damit etwa sagen …“, meinte Alan und beugte sich zu ihr, „… dass Sie bereits ein Profi sind?“

Jetzt war es Daniel, der sich an seinem Bier verschluckte.

Ganz schön unverfroren, dachte Chloe und blinzelte kurz. Doch das bereitete ihr keine Sorgen. Mit Alan würde sie fertig werden. Einer der Hauptgründe, der hinter der „neuen“ Chloe steckte, war, dass sie lieber zu den Frauen gehörte, hinter denen die Männer her waren, als zu denen, vor denen sie davonliefen. Während der vergangenen Jahre hatte sie einiges über übereifrige Bewunderer gelernt – vor allem, wie man sie wieder loswurde.

Also lächelte sie rätselhaft. „Ich bezweifle, dass Sie das jemals herausfinden werden.“ Sie würde ihm ganz gewiss nicht erzählen, dass die einzigen Stangen, mit denen sie sich auskannte, die kleinen grünen Stöcke waren, an denen sie ihre Orchideen befestigte.

Gleichzeitig nutzte sie den Moment, um sich zu verabschieden. Sie schob den Stuhl zurück. „Vielen Dank für den Wein, Leute, aber ich muss jetzt auch los.“

„Müssen Sie?“, fragte Alan enttäuscht. Chloe blickte zu Daniel. Erneut begann ihr Puls zu rasen.

Oh ja. Sie musste wirklich verschwinden – bevor noch was passierte.

Doch dann passierten mehrere Dinge gleichzeitig, die ihren coolen Abgang verhinderten. Alans Telefon klingelte, und er sprang hoch, zog es aus der Gesäßtasche und nahm den Anruf an. Daniel allerdings schien zu glauben, dass Alan sich irgendwie auf sie stürzen wollte, denn auch er sprang mit funkelndem Blick auf und stieß dabei gegen den Tisch. Chloes noch halb volles Weinglas landete auf ihrem Schoß, bevor es klirrend zu Boden fiel.

Hastig kam auch Chloe hoch, doch zu spät, der Wein hatte sich über ihre gesamte Kleidung ergossen.

Erneut herrschte Stille im Pub, als alle die Show, die sie hier ablieferten, beobachteten. Kurzentschlossen drängte Chloe sich an Alan vorbei – der einfach weiter telefonierte –, warf Daniel noch einen verzweifelten Blick zu und eilte zur Tür.

An den Blicken der anderen Gäste erkannte sie, dass sie verfolgt wurde. Da sie jedoch gar nicht wissen wollte, ob es Alan oder Daniel war, bahnte sie sich einfach weiter ihren Weg an den Tischen entlang und stürmte nach draußen. Weil sie nicht weit entfernt wohnte, eilte sie die Straße entlang.

Leider war sie nicht die Einzige, die diese Richtung einschlug. Sie entschied sich jedoch, so zu tun, als würde sie nichts bemerken. Vielleicht würde ihr Verfolger dann aufgeben.

Tat er aber nicht. Und mit jedem Schritt erhöhte sich Chloes Pulsschlag, bis sie es nicht länger aushielt. Sie blieb abrupt stehen und wirbelte herum, sodass ihr Verfolger fast in sie hineinlief und sie auf eine breite Brust starrte.

„Was ist?“, fragte sie heiser und hob den Blick.

Daniel Bradford starrte auf sie hinunter. In der Hand hielt er eins dieser kleinen Handtücher, die jeder gute Pub irgendwo herumliegen hatte. „Sie hatten Wein auf Ihrer Jacke“, sagte er grollend.

„Oh.“

Langsam und überraschend sanft tupfte er mit dem Handtuch die Tropfen ab, die von ihrem Oberarm zu ihrem Handgelenk gelaufen waren. Als er nach ihrer Hand griff, um den Ärmelaufschlag abzuwischen, hielt Chloe den Atem an. Aus der unheimlichen Stille in der dunklen Straße schloss sie, dass er genau dasselbe tat. Gleichzeitig hoben sie den Blick und sahen sich an.

Na los, mach schon, flüsterte ihr eine innere Stimme zu. Nimm deinen Mut zusammen und wirf dich ihm an den Hals. Vielleicht klappt es ja diesmal.

Nein!

Nein. Sie hatte doch gesehen, wie er Emma vorhin angeschaut hatte. Wie kam sie nur auf die Idee, die Sache auch nur einen Schritt weiterzutreiben? Litt sie unter irgendeiner merkwürdigen psychotischen Krankheit, die man bisher noch nicht diagnostiziert hatte? Bradforditis? In der Nähe dieses Mannes verhielt sie sich völlig irrational.

Hastig entzog sie ihm ihre Hand und hätte fast gestöhnt, als er mit den Fingerspitzen die empfindliche Innenseite ihres Handgelenks berührte.

„Danke“, sagte sie, trat einen Schritt zurück und verschränkte die Arme vor der Brust. „Das ist meine Lieblingsjacke.“

Daniel machte wieder einen Schritt auf sie zu. „Also … wegen Alan …“

Sie hob abwehrend eine Hand. „Keine Sorge, ich kann gut auf mich selbst aufpassen. Er hat mich nicht beleidigt.“

„Als Sie rausgerannt sind …“

Sie schüttelte den Kopf. Warum war sie eigentlich weggerannt? „Ich wollte … na ja, das war alles ein wenig zu viel. Hätte es noch mehr Drama an unserem Tisch gegeben, hätte bestimmt jemand wie im Kino angefangen, Eis zu verkaufen.“

Und dann verdarb Daniel Bradford all ihre Versuche, weltmännisch und distanziert zu bleiben, indem er seine grünen Augen zusammenkniff, sie anlächelte und fragte: „Hätten Sie Lust auf ein Eis?“

Chloe gab auf. „Wissen Sie was? Ja, hätte ich.“

„Na, dann los.“ Er ging mit ihr zu einem kleinen Supermarkt und deutete auf die Tiefkühltruhe mit dem Eis. „Sie haben die freie Auswahl.“

Sie entschied sich für ein richtig dekadentes mit doppelt Schokolade und Karamell. Daniel nahm ein etwas kleineres. Wieder draußen, gingen sie eine Weile schweigend die Straße entlang.

„Danke“, sagte Chloe schließlich und blieb stehen. „Für das Eis und das Handtuch.“

„Gern geschehen.“

Schon wieder starrte er auf ihre Lippen. Chloe bekam Herzklopfen, doch Daniel tippte mit der Fingerspitze an seinen Mundwinkel, nicht ihren. „Sie haben da was …“

Während ihr Puls sich beschleunigte, leckte Chloe mit der Zunge ein kleines Stückchen Karamell aus dem Mundwinkel. Ein Vorgang, an dem Daniel Bradford sehr interessiert war. Um besser sehen zu können, schien er sich sogar noch ein wenig vorzubeugen.

Lauf.

Denk nicht drüber nach, lauf einfach.

Aha. Das war jetzt wohl die Stimme der Vernunft. Wurde ja auch mal Zeit, dass die sich endlich Gehör verschaffte.

„Ich weiß, es ist die falsche Reihenfolge, das hier war ja so etwas wie das Dessert … Aber warum runden wir das Ganze nicht ab, indem wir irgendwo noch richtig essen gehen?“ Er lächelte, und Chloes Knie wurden schon wieder weich.

Oh, es war so verlockend.

Es war genau das, wovon sie immer geträumt hatte, damals, als sie neunzehn gewesen war – Daniel Bradford, der sie auf diese Weise ansah und sie mit seiner tiefen Stimme fragte, ob sie mit ihm irgendwo hingehen wolle.

Sie schüttelte den Kopf. „Ich glaube nicht, dass das eine gute Idee ist … Wir sind Kollegen. Da fangen die Leute immer an zu reden … und ich möchte gern wegen meiner beruflichen Fähigkeiten in Kew vorankommen, nicht, weil man glaubt, ich hätte was mit dem Chef.“

Seine Lippen hoben sich zu einem verführerischen Lächeln, das ihr sofort verriet, dass er auch hierauf eine Antwort hatte. „Es gibt keine Regel, die das verbietet“, meinte er. „Und wir müssen es ja nicht an die große Glocke hängen. Es wäre unser Geheimnis.“

Kopfschüttelnd erwiderte sie: „Das ist angesichts all der Aufmerksamkeit, die Sie im Moment auf sich ziehen, so gut wie unmöglich.“

Sie war ein Genie, dass ihr das eingefallen war!

„Stimmt. Mein Leben gleicht zurzeit einem Zirkus. Aber vielleicht später, wenn sich der ganze Rummel ein wenig gelegt hat?“

Chloe war überzeugt, dass sie irgendwo, bei irgendwem, Pluspunkte sammelte, denn sie fand die Kraft, noch einmal den Kopf zu schütteln. „Tut mir leid, Indiana. Vielen Dank aber … Es war nett von Ihnen zu fragen.“

Und dann drehte sie sich um und ging, während er stehenblieb und ihr nachstarrte.

Eigentlich hätte es sich wie ein Sieg anfühlen sollen …

Als Daniel am nächsten Morgen vom Princess of Wales Conservatory zu den tropischen Treibhäusern marschierte, war er nicht gerade bester Laune.

Und als er Alan begegnete und der ihn fragte: „Alles okay bei dir?“, reagierte er mit einem grimmigen Blick. „Ja.“

Schon mehrere Leute hatten ihn im Laufe des Morgens genau dasselbe gefragt. Wieso? Es war sehr merkwürdig.

Alan zog sein Smartphone aus der Tasche. „Es gibt da etwas, was du sehen solltest, ehe es sich wie ein Lauffeuer verbreitet.“

Er drückte ein paar Tasten und hielt Daniel das Telefon hin. Der fluchte laut, bevor er Alan das Handy aus der Hand riss. Leider verschwand die Internet-Schlagzeile auch bei näherer Betrachtung nicht.

Ist „Indiana Jones mit der Gartenschere“ jetzt doch geködert worden? hieß es da, und darunter war ein Foto von ihm und Chloe, das offenbar gestern Abend aufgenommen worden war, obwohl Daniel nicht bemerkt hatte, dass jemand mit einem Handy den Augenblick eingefangen hatte. Es war passiert, als er den Wein von Chloes Jacke gewischt hatte. Das Foto zeigte ihn, wie er ihr Handgelenk festhielt und sie sich in die Augen schauten und nichts anderes mehr wahrnahmen. Chloes Lippen waren leicht geöffnet, und er beugte sich zu ihr, so, als wollte er sie gleich küssen.

Daniel stöhnte frustriert und reichte seinem Freund das Handy zurück. „Es ist nicht so, wie es aussieht.“

Alan zuckte nur mit den Schultern. „Ich wusste von dem Moment an, als sie zur Tür hereinkam, dass es um dich geschehen war. Aber du kannst es einem Mann nicht verdenken, wenn er trotzdem sein Glück probiert.“

Na ja, immerhin sah Alan es philosophisch. „Wer hat das noch gesehen?“

„Keine Ahnung. Vor einer halben Stunde habe ich zufällig die Mädels im Café dabei ertappt, wie sie darüber gekichert haben.“

Und dabei hatte Daniel gehofft, sein Leben würde langsam wieder in normale Bahnen zurückkehren.

„Also … was ist dran an der Geschichte mit Miss Heißes Höschen?“, fragte Alan lächelnd.

„Wer?“

„Das ist der Spitzname, den die Studenten ihr verpasst haben.“ Er hob die Hände. „Es ist ja nicht so, dass ich den Anblick nicht auch genießen würde, aber diese Schuhe und Röcke, die sie manchmal trägt, sind nicht gerade praktisch in unserem Job.“ Er beugte sich vor und senkte die Stimme. „Na, los, sag schon … sind ihre Höschen heiß?“

„Oh, jetzt fang du nicht auch noch an!“ Daniel drehte sich um und zog die Schiebetür auf. „Ich glaube, der offizielle Ausdruck lautet: Kein Kommentar“, erklärte er und verschwand.

Heißes Höschen. So, so.

Es bestand keine Chance, das in absehbarer Zeit herauszufinden. Er hatte Chloe ja kaum angefasst, geschweige denn, dass er ihre Unterwäsche näher kennengelernt hatte. Und allein der Gedanke an besagte Unterwäsche machte es ihm schwer, einen klaren Gedanken zu fassen.

Aber eins wusste er. Er musste mit ihr reden, ehe jemand anderes ihr von diesem Internet-Foto erzählte.

Der Morgen war hektisch gewesen, und Chloe entschied sich, während der Mittagspause nach draußen zu gehen, sich auf eine Bank zu setzen und ein wenig März-Sonne zu tanken.

Schon immer hatte sie in Kew Gardens arbeiten wollen. Es war ihrer Ansicht nach der faszinierendste Ort überhaupt. Und wieso sollte man sich in einem Büro verstecken, wenn man wunderschöne Gärten vor der Tür hatte?

Sie suchte sich eine leere Parkbank abseits von den Hauptwegen und genoss die Stille, ohne auf den Teppich der lila Krokusse und gelben Narzissen zu achten, da sie in Gedanken noch zu sehr mit den Ereignissen des gestrigen Abends beschäftigt war.

Eine Stimme in ihr beklagte sich, weil sie Daniel einfach hatte stehen lassen, während eine andere ihr gratulierte, weil sie klug und vernünftig gehandelt hatte. Während dieser Kleinkrieg in ihrem Kopf andauerte, schloss sie die Augen und genoss die Sonne auf ihrem Gesicht.

Sie war sich nicht sicher, wie lange sie so dagesessen hatte, aber ein Rascheln in der Nähe störte ihre Ruhe. Sie setzte sich schnell auf und öffnete die Augen. Ihr Herz hatte angefangen, ein wenig schneller zu schlagen, und jetzt wusste sie auch warum. Indiana Jones hatte sich angeschlichen.

Sie zog den Deckel von ihrem Salat und schaute Daniel direkt an. Das war das, was die neue Chloe tat. Die hatte nämlich vor nichts und niemandem Angst.

Allerdings war Chloe sich zum ersten Mal seit Jahren bewusst, dass da noch jemand lauerte. Ganz tief in ihr vergraben steckte noch die alte, naive Chloe, die Maus.

Nein, dachte sie, dieses traurige, streberhafte Mädchen ist tot. Aus ihrer Asche ist jemand sehr viel Besseres auferstanden. Entschlossen verscheuchte Chloe den Geist aus der Vergangenheit.

„Ich vermute mal, dass Sie nicht zufällig ein Eis dabeihaben, oder?“, fragte sie. „Heute wäre genau das richtige Wetter dafür.“

Er schüttelte den Kopf und zog ein Smartphone aus der Tasche. „Es tut mir leid“, meinte er, als er es ihr reichte. „Dies hier ist weit weniger nett als ein Eis.“

Chloe scrollte langsam durch den Blog-Eintrag und las jedes Wort. Es war das Bild, das den größten Schaden anrichtete. Auf dem unscharfen Foto schaute sie zu Daniel auf, mit großen Augen, die Lippen geöffnet … erwartungsvoll.

Sie gab ihm das Handy zurück, ohne etwas zu sagen. Offenbar hatte sie jedoch das Gesicht verzogen, denn er schüttelte den Kopf. „Sie haben allen Grund, verärgert zu sein.“

Das war es nicht. Es ärgerte sie nicht, dass die Leute glaubten, sie hätte eine Affäre mit Daniel. Es würde ihr Leben hier in Kew etwas komplizierter machen, aber darüber brauchte sie sich nicht aufzuregen. Nein, was ihr wirklich Sorgen bereitete, war das Foto.

„Wie viele Leute haben das gesehen?“

„Kann man natürlich nicht genau sagen, aber wenn ich raten sollte, würde ich tippen alle.“

Chloe nickte. Okay. Sie würde damit fertigwerden. Die Leute würden das Foto sehen, aber sie würden nicht wissen, was es bedeutete.

Sie zwang sich zu einem Lächeln und rutschte ein Stück zur Seite, um Platz für ihn zu machen. Er blinzelte verwirrt und setzte sich.

Wahrscheinlich war er auf eine Szene gefasst gewesen. Viele Frauen machten Szenen. Zum Glück für ihn hatte die neue Chloe Szenen aus ihrem Leben verbannt. Sie gab sich nur noch selbstbewusst, kess und unbeeindruckt.

„Also … was machen wir jetzt?“, fragte sie, lehnte sich zurück und tat ganz entspannt.

„Das ist Ihre Entscheidung. Ich könnte den Blog kontaktieren, eine Erklärung abgeben …“

Chloe überlegte kurz. „Nein … ich glaube nicht, dass es das wert ist.“

Leider stimmte das alte Sprichwort, dass ein Bild mehr als tausend Worte sagte, und dieses hier von ihr und Daniel schwatzte völlig unkontrolliert. Es war sinnlos.

„Sind Sie sicher?“ Der eindringliche, leicht misstrauische Blick, den er ihr zugeworfen hatte, wurde sanfter.

Chloe nickte fröhlich. „Ja, die Leute denken sowieso, was sie wollen, egal, was wir sagen.“

„Aber wir können uns doch nicht einfach zurücklehnen und gar nichts tun.“

„Ich habe ja auch nicht gesagt, wir sollen nichts tun. Aber wir brauchen nicht in die Offensive zu gehen, um den Gerüchten den Boden zu entziehen.“

Daniel sah sie an, als würde sie eine Fremdsprache sprechen. Wahrscheinlich klang es für ihn auch so. Sie lächelte, und diesmal war es ein echtes Lächeln.

Sie nahm ihm das Telefon aus der Hand – sorgsam darauf bedacht, seine Finger nicht zu berühren – und zeigte auf das Foto. „Es ist ja nicht so, als würden wir knutschen“, meinte sie und ignorierte den wohligen Schauer, den ihr dieser Gedanke über den Rücken trieb. „Es ist doch ganz unschuldig. Ich finde, wir sollten es einfach ignorieren. Dann merken die Leute schnell genug, dass wirklich nichts zwischen uns ist.“

Daniel nahm ihr das Telefon wieder ab, und dieses Mal berührten sich ihre Finger. Und so, wie seine Augen aufblitzten, vermutete sie, dass es nicht ganz unbeabsichtigt passierte. Sie zog die Hand weg und stopfte sie in ihre Manteltasche, wo sie weiter kribbelte.

„Kein Kommentar?“

„Kein Kommentar“, stimmte sie zu. „Das ist genau das, was man unter solchen Umständen sagt.“

„Sie wollen also, was auch immer da noch kommt, einfach ignorieren?“

Sie nickte erneut. Sie war gut darin, Dinge zu ignorieren.

Daniel schüttelte den Kopf, während er das Handy wieder einsteckte.

„Sie haben doch seit dem Valentinstag kein Interview gegeben, oder?“

„Nein …“ Er hatte noch immer die Stirn gerunzelt, aber jetzt sah sie, dass er ihre Idee überdachte, statt sie gleich zu verwerfen. „Vermutlich haben Sie recht. Wenn man erst einmal anfängt darüber zu reden, schürt man den Wahnsinn nur.“

Chloe griff nach ihrer Salatschüssel. „Wunderbar, dann ist ja alles geklärt. Übrigens, unter den gegebenen Umständen sollten wir uns vielleicht duzen, oder?“

Daniel starrte sie an und nickte. „Klar. Gut, dann bringe ich Alan lieber mal sein Telefon zurück.“

Sie lächelte und wedelte kurz mit der Gabel. „Wenn Alan genauso süchtig nach seinem Smartphone ist wie ich nach meinem, dann solltest du dich lieber beeilen. Vielleicht hat er schon Entzugserscheinungen.“

Daniel verzog das Gesicht und starrte auf das Telefon, als könnte er nicht so recht glauben, dass solch ein kleines bisschen Technologie solch eine Macht ausüben konnte. „Danke, dass du so viel Verständnis aufgebracht hast.“

„Kein Problem.“ Es gelang ihr, ziemlich normal zu klingen.

„Kann ich mich irgendwie bei dir bedanken?“, fragte Daniel mit gesenkter Stimme. Ein unwiderstehlich freches Funkeln blitzte in seinen Augen auf. „Wie wäre es mit Abendessen?“

Chloe blinzelte langsam und fuhr sich mit der Zunge über die Lippen. „Ich dachte, das hätten wir gestern Abend schon geklärt.“

Als Daniel sie nur weiter anlächelte, musste sie sich sehr beherrschen, um ihren Salat nicht beiseitezuwerfen und stattdessen Daniel zum Lunch zu vernaschen.

„Einen Versuch war es wert“, meinte er, nickte kurz und verschwand in Richtung Gewächshäuser.

Chloe stellte die Salatschale auf die Bank, stützte die Ellenbogen auf die Knie und vergrub das Gesicht in den Händen. Sie wollte wirklich nicht wieder diejenige sein, die sie damals gewesen war, als sie Daniel kennengelernt hatte. Die alte Chloe war ganz nett gewesen, eine Streberin, die immer in allem die Beste war. Zwar war sie nicht jedem Modetrend gefolgt und hatte auch kaum Bekanntschaft mit dem anderen Geschlecht geschlossen, aber die alte Chloe hatte gewusst, dass ihr alles in den Schoß fiel und sie sich kaum jemals anstrengen musste, um etwas gut zu machen.

Aber dann war Daniel Bradford in ihr Leben getreten und hatte ihr genau gezeigt, woran es bei ihr mangelte. Schlagartig war ihr bewusst geworden, dass sie nicht gut darin war, eine Frau zu sein. Nicht ganz unbedeutend, wenn man eine war.

Für jemanden wie sie, die vorher noch nirgendwo gescheitert war, kam es einem Schlag ins Gesicht gleich, als sie sich so spektakulär auf diesem Gebiet die Finger verbrannte.

Das ging gar nicht.

Schon von früh auf hatten ihre ehrgeizigen Eltern sie dazu gedrängt, in allem die Beste zu sein. Wie konnte es daher angehen, dass sie auf solch einem elementaren Gebiet scheiterte, obwohl man es eigentlich von Natur aus beherrschen sollte?

Chloe holte tief Luft und setzte sich wieder auf. Es war nicht mehr von Bedeutung. Sie hatte für Abhilfe gesorgt. Inzwischen war sie eine Frau, der man Bestnoten geben würde, also brauchte sie sich eigentlich wirklich keine Sorgen zu machen.

Es bestand kein Grund, auf der Vergangenheit herumzureiten – die Gegenwart stellte sie vor ein Problem, und das musste gelöst werden.

Leider war die Wurzel des Übels dieselbe: Daniel.

Was sollte sie mit ihm und mit diesem idiotischen Artikel machen?

Ignorieren, ermahnte sie sich streng. Ignoriere den blöden Blog. Ignoriere die Art und Weise, wie Indiana deine Haut zum Kribbeln und deinen Puls zum Rasen bringt. Vor allem ignoriere dieses entsetzliche Foto.

Ein kalter Schauder fuhr durch sie hindurch, und Chloe versuchte ihn auszublenden, indem sie nach ihrem Salat griff.

Ja, sie sollte die Tatsache ignorieren, dass sie sich auf dem Foto trotz der markanten blonden Locken und der roten Lippen nicht wiedererkannt hatte. Jedenfalls nicht die Version, die sie heutzutage darstellte.

Denn aus dem grauen, verpixelten Foto hatte nicht die neue Chloe mit großen Augen zu Daniel aufgeblickt; nein, es war die Maus gewesen.

4. KAPITEL

Aus dem Augenwinkel erhaschte Daniel ein Aufblitzen von Farbe, während er einen Pinsel voller Pollen über eine Pflanze strich, die er versuchte zu befruchten. Instinktiv fuhr er herum.

Doch es war nur eine bunte Plastiktüte, die einer der Kollegen in der Hand hielt, als er durch das Gewächshaus ging. Keine rosa Schuhe, keine grüne Bluse, keine roten, lächelnden Lippen.

Er stand auf und fuhr sich mit der Hand übers Gesicht.

So langsam drehte er durch, oder?

Schon ein Hauch von Farbe ließ ihn reagieren, weil er Farbe mit Chloe zu assoziieren schien, denn im Gegensatz zu ihr trugen alle anderen hier Variationen von Braun, Grün sowie Dunkelblau. Manchmal war es auch ein Duft, der ihn an ihr Parfum erinnerte – was in einem Gewächshaus voller Blumen leicht geschehen konnte –, der eine Reaktion in ihm auslöste. Sofort machte er sich auf die Suche, statt erst einmal nachzudenken, genau wie die Insekten, die von dem Geruch und den Farben der Pflanzen angelockt wurden. Sie konnten einfach nicht anders.

Er konnte einfach nicht anders.

Wieder erhaschte er aus dem Augenwinkel etwas rosa Farbiges. Sofort wirbelte er herum und fluchte.

Dieses Mal war es Chloe, die den Kopf zur Tür hereingesteckt hatte und einen der Gartenbaustudenten etwas fragte. Sie lächelte den jungen Mann an, war charmant und selbstsicher. Genau so, wie sie sich ihm gegenüber verhielt. Es bestand kein Unterschied.

Und das machte Daniel verrückt.

Er hatte alles versucht, jeden Trick – jeden Blick, jeden Spruch – und trotzdem blieb sie völlig unbeeindruckt. Nichts schien sie aus der Ruhe bringen zu können, was er einerseits bewunderte, worüber er sich andererseits aber auch ärgerte. Chloe Michaels war wie eine einzigartige Unterart der Frauen. Gezüchtet, um ihm widerstehen zu können.

Und angesichts all der reißerischen Gerüchte, die über sie beide verbreitet wurden, streute ihr Desinteresse nur noch mehr Salz in die Wunde. Vielleicht war es nur Sturheit seinerseits, eine Art Unfähigkeit, eine Niederlage einzustecken?

Eine Fliege summte um die Nepenthes herum, setzte sich auf den klebrigen Trichter der Pflanze und kletterte hinein. Daniel wusste, dass damit ihr letztes Stündlein geschlagen hatte. So schön die Pflanze war, so tödlich war sie auch, indem sie die Insekten mit dem Versprechen auf Süße anlockte, um sie dann langsam zu verspeisen.

Er hörte das Klackern von Absätzen auf dem Betonboden, nahm aus dem Augenwinkel einen Hauch von Pink wahr, doch trotz des dringenden Bedürfnisses, sich umzudrehen, hielt er den Blick stur auf die Pflanze gerichtet.

Vielleicht war es nicht schlecht, aus den Fehlern der Fliege zu lernen.

Emma glitt auf den leeren Stuhl neben Chloe im Restaurant der Orangerie. Es war ein strahlender Mai-Mittag, und das Thermometer zeigte schon fast sommerliche Temperaturen an.

„Also …“, sagte Emma, beugte sich vor und senkte die Stimme. „Wie läuft es zwischen dir und dem umwerfenden Daniel?“

Chloe hörte auf zu kauen. Wenn sie noch einmal etwas sagen musste, was dem Ausdruck Kein Kommentar entsprach, dann würde sie anfangen zu schreien. Auch wenn es ihre clevere Idee gewesen war.

„Da gibt es nichts zu erzählen.“

Emma grinste sie nur an. Als die ersten Gerüchte über sie und Daniel aufgetaucht waren, war Emma ihr erst einmal aus dem Weg gegangen, doch inzwischen hatte sie sich entschlossen, sich auf Chloes Seite zu schlagen und an dem fiktiven Liebesleben ihrer Kollegin regen Anteil zu nehmen.

„Ich weiß, dass das die offizielle Aussage ist“, sagte Emma mit funkelnden Augen, „aber alle wissen doch, dass mehr dahintersteckt. Komm schon … nur ein klitzekleines Detail … bitte!“

Chloe hob die Augenbrauen. „Alle? Noch immer?“

„Mehr oder weniger.“

Genervt starrte Chloe auf ihr Sandwich. Während der vergangenen Wochen hatte sie Daniel kaum gesehen, geschweige denn mit ihm gesprochen. Diese Taktik, alles zu leugnen, hatte ihr die perfekte Ausrede geliefert, um Distanz zu wahren.

„Ich weiß ja nicht, wie du das schaffst, so diskret zu sein“, fügte Emma hinzu. „Wenn mir so ein Mann gehören würde, könnte ich die Finger nicht von ihm lassen.“

Chloe schloss die Augen. Es war völlig egal, was sie taten, oder? Distanz zu wahren, sich auf dem Gelände nur zuzunicken, galt genauso als Bestätigung einer heißen Beziehung, als wenn sie sich nackt ausgezogen und es mitten im Palmenhaus getrieben hätten.

Aber es hatte zumindest eines bewirkt: Die Presseberichte über Daniel und seine Ex waren eingeschlafen. Dank des Blogartikels war Daniel nicht länger derjenige, der noch einmal davongekommen war, sondern der, der geködert worden war. Das war längst nicht so verlockend, und die Londoner Frauen suchten sich neue Beute.

„Was macht das Pole-Dancing?“, fragte sie Emma, und glücklicherweise ließ ihre Freundin sich ablenken.

„Der Kurs ist zu Ende, und jetzt bin ich beim Bauchtanzen. Das solltest du mal ausprobieren!“

Und während Emma von ihrem neuesten Hobby schwärmte, nahm in Chloes Kopf eine Idee Gestalt an.

Sie würde mit Daniel reden und vorschlagen, diesen Quatsch mit dem Kein Kommentar zu beenden. Sie hatte das Gefühl, als würden unsichtbare Seile, die ihnen von den Vorstellungen der anderen umgelegt worden waren, sich immer enger um sie beide schlingen, und das machte sie nervös. Es war an der Zeit, sich zu befreien.

Als Chloe das Princess of Wales Conservatory betrat, wäre sie fast mit einer Frau in einem Regenmantel zusammengestoßen, die am Seerosenteich stand.

„Entschuldigung“, sagte sie, doch die Frau hörte sie nicht. Sie war zu sehr damit beschäftigt, auf etwas zu starren, was sich auf der anderen Seite des Teiches abspielte. Chloe folgte ihrem Blick und verstand sofort, was los war.

Daniel war über das Geländer geklettert, das den Weg vom Teich abtrennte. Sein Versuch, einen frisch bepflanzten Korb mit fleischfressenden Pflanzen an einer Kette, die von der Decke hinunterhing, zu befestigen, lockte eine Reihe von faszinierten Zuschauern an.

Chloe verschränkte die Arme und genoss den Anblick. Sie wusste, er hatte eine Vorliebe dafür, Pflanzen in abgelegenen Gebieten zu entdecken, vor allem in den Bergen, und schien daher in seinem Element zu sein, so, wie er da am Geländer hing. Das T-Shirt spannte sich über seinen Rücken, und als er sich noch ein wenig weiter vorbeugte und ein Streifen gebräunte Haut zwischen Saum und Gürtel sichtbar wurde, ging ein Raunen durch die vornehmlich weibliche Zuschauermenge.

Fast hätte auch Chloe eingestimmt. Das war es, was sie von Anfang an zu ihm hingezogen hatte, damals, als sie noch eine leicht zu beeindruckende Studentin gewesen war. Nicht nur das gute Aussehen, sondern auch die Leidenschaft für sein Studiengebiet, die Art, wie er sich mit ganzem Herzen in seine Aufgabe stürzte.

Die Frau neben ihr gab ein merkwürdiges Geräusch von sich. Chloe wandte sich zu ihr um. „Alles okay bei Ihnen?“

„Oh, ja“, erwiderte die Frau, die Augen noch immer auf Daniel gerichtet. „Ich versuche nur gerade, all meinen Mut zusammenzunehmen.“

Autor

Tanya Michaels
Tanya Michaels, die eigentlich Tany Michna heißt, hat schon über 25 Auszeichnung für ihre Bücher gewonnen und wurde mehrfach für den RITA-Award, die wichtigste Auszeichnung für Liebesromane, nominiert. Daher wundert es nicht, dass ihre gefühlvollen und mitreißenden Geschichten in viele Sprachen wie Deutsch, Spanisch, Holländisch, Französisch, Griechisch, Koreanisch und Italienisch...
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