Julia Sommerliebe Band 36

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ENTFÜHRT AUF DIE INSEL DER LEIDENSCHAFT von HEIDI RICE

Sie muss hier weg! Spontan „leiht“ Milly sich ein Motorboot im Hafen von Capri. Doch der Besitzer ertappt sie und steuert mit ihr – statt zum Festland – zu seiner Privatinsel! Milly ahnt nicht, dass sie Millionär Roman Garner wie gerufen kommt: Er hat noch eine alte Rechnung mit ihrer Familie offen …


SOMMER DER ZÄRTLICHKEIT von RACHAEL STEWART

Sonne, Meer und Bondi Beach! Einen herrlichen Sommer lang arbeitet Fae als Dogsitterin in dem australischen Küstenort. Und verliebt sich in ihren faszinierenden Nachbarn Rick, einen englischen Adligen! Obwohl sie doch weiß, dass sie in seiner Welt niemals bestehen kann …


EINE SEHNSUCHT, SO GROSS WIE DER OZEAN von MAYA BLAKE

Schlaflos streift Jario Tagarro auf seiner Luxusjacht umher, die Kurs auf Bali nimmt – und begegnet an Deck einer wunderschönen Frau! Willow ist neu in seinem Serviceteam, aber schnell erliegt er ihrer geheimnisvollen Ausstrahlung. Bis der Tycoon erfährt, wer sie wirklich ist …


  • Erscheinungstag 31.05.2025
  • Bandnummer 36
  • ISBN / Artikelnummer 9783751533584
  • Seitenanzahl 400
  • E-Book Format ePub
  • E-Book sofort lieferbar

Leseprobe

Heidi Rice, Rachael Stewart, Maya Blake

JULIA SOMMERLIEBE BAND 36

Heidi Rice

1. KAPITEL

Milly Devlin raffte den Rock ihres geliehenen Designerkleids, das vermutlich das Zehnfache ihres aktuellen Monatsgehalts gekostet hatte, und rannte im Mondschein die steilen Steinstufen hinunter.

Schon wieder lief sie davon. Dieses Mal aus dem atemberaubenden Palazzo, hoch auf den Klippen Capris über dem azurblauen Meer – dem Ort ihres jüngsten Desasters. Es war wahrscheinlich nicht die beste Idee gewesen, vor einem Publikum stinkreicher, fein herausgeputzter Gäste einen öffentlichen Streit mit ihrer Schwester zu beginnen. Zumindest hatte sie das nicht beabsichtigt, als sie zugestimmt hatte, Lacey zu dieser Veranstaltung zu begleiten. Ihre Schwester war stellvertretend für ihren Ehemann Brandon Cade erschienen, um die Eröffnung der neuen italienischen Zweigstelle seines Medienimperiums zu feiern. Aber Milly hätte ahnen müssen, dass das Treffen nicht ohne Konflikte ablaufen würde.

Sie fluchte, als einer ihrer Absätze auf dem Kopfsteinpflaster abbrach und sie es gerade noch schaffte, sich an dem gusseisernen Geländer festzuhalten, bevor sie kopfüber in den Golf von Neapel stürzte. Das wäre der finale Höhepunkt des heutigen Abends gewesen.

Milly holte tief Luft, schlüpfte aus den High Heels, die sie ebenso wie das Kleid von ihrer Schwester geliehen hatte, und hob sie auf. Designerschuhe passten genauso wenig zu ihr wie prunkvolle gesellschaftliche Ereignisse.

Ihre Schwester wollte nicht, dass Milly sich fehl am Platz fühlte in dieser Welt, in der Lacey und ihre Tochter Ruby jetzt lebten – dank ihres milliardenschweren Gatten Brandon Cade, Rubys Vater.

Doch Millys Italienisch war gut genug, dass sie genau verstanden hatte, was die Gäste über sie getuschelt hatten.

Sie nannten sie ein undankbares kleines Biest und einen Niemand.

Milly war es egal, was diese Leute über sie dachten. Sie war nur gekommen, um Lacey zu zeigen, dass sie bestens allein zurechtkam. Doch während sie die Stufen hinunterstürmte, gingen ihr das besorgte Gesicht und die Worte ihrer Schwester nicht aus dem Kopf.

„Warum kommst du nicht zurück nach London, Milly? Ruby vermisst dich. Ich vermisse dich. Brandon macht sich Sorgen um dich und ich auch.“

„Es ist nicht eure Aufgabe, euch um mich zu sorgen. Ist das der Grund, warum du mich hierher eingeladen hast? Um mir wieder damit zu kommen? Ich bin glücklich in Genua, Lacey“, hatte sie geantwortet.

Obwohl das nicht ganz stimmte. Denn Millys großer Traum, mit ihrer Kunst ihren Lebensunterhalt zu verdienen, hatte sich immer noch nicht erfüllt. In Wahrheit hatte sie nie Zeit zum Malen, weil sie zu sehr damit beschäftigt war, sich mit Minijobs über Wasser zu halten und ihren Lebensunterhalt zu verdienen.

Aber sie konnte nicht als Versagerin nach London zurückkehren. Und sie würde nicht zulassen, dass ihre Schwester und deren neuer Ehemann sie finanziell unterstützten. Es spielte keine Rolle, wie wohlhabend Brandon Cade war, sie war selbst für ihr Leben verantwortlich.

Milly seufzte. Ihre ältere Schwester hatte stets hart gearbeitet und war bereits mit neunzehn Mutter geworden – sowie die Ersatzmutter für Milly.

Ruby, Lacey und Milly waren einmal eine starke Einheit gewesen. Eine unerschütterliche Familie. Bis Brandon Cade vor achtzehn Monaten herausgefunden hatte, dass Ruby seine Tochter war, und darauf bestanden hatte, Lacey zu heiraten, um Ruby ein richtiger Vater zu sein. Daraufhin hatte sich für Milly alles geändert.

Sie passte nicht in diese luxuriöse Welt. Und je schneller Lacey und Brandon das begriffen, desto besser wäre es für sie alle. Wenn sie nur ihre Nichte nicht so sehr vermissen würde …

Milly fluchte, als sie den privaten Anlegeplatz unterhalb der Klippen erreichte. Jedes Wochenende sprach sie per Videocall mit Ruby, aber die Kleine wollte ihre Zeit lieber mit ihrem Daddy verbringen – und mit ihrem neuen kleinen Bruder Arthur.

Wenn du wüsstest, wie sehr ich Ruby vermisse, Lacey. Aber sie braucht mich nicht mehr, genauso wenig wie du.

Milly musste sich eine eigene Zukunft aufbauen, eine, in der sie nicht von den Cades abhängig war. Warum konnte ihre Schwester das nicht verstehen? Und warum mischte sie sich immer wieder in ihr Leben ein?

Sie ging den Steg entlang, wo eine Reihe übergroßer Luxusjachten und Motorboote so eng nebeneinanderlagen, dass sie die Sicht auf das im Mondschein schimmernde Wasser verdeckten.

Es dauerte jedoch keine zwei Minuten, bis sie feststellte, dass sie wieder einmal einen Fehler gemacht hatte. Der private Anlegeplatz war eine Sackgasse. Von hier aus konnte sie nicht zum Fährterminal gelangen, von wo aus sie ein Boot zurück nach Sorrent nehmen wollte.

Erneut stieß sie einen Fluch aus und lief bis zum Ende des Stegs, um sicherzugehen, dass es wirklich keinen Ausweg gab. Sie wollte sich gerade umdrehen, als ihr Blick auf ein im Mondlicht glänzendes Motorboot fiel.

War das nicht das Boot, mit dem sie und Lacey aus Sorrent gekommen waren?

Sie betrachtete es genauer, konnte aber niemanden entdecken.

Der Kapitän, der sie hierhergebracht hatte, war vermutlich noch mit den anderen Angestellten im Palazzo. Milly nahm ihr Handy aus der Abendtasche, um ihn anzurufen. Dann fluchte sie ein weiteres Mal. Kein Netz.

Die Veranstaltung würde noch mindestens zwei Stunden dauern. Aber sie würde eher sterben, als zu ihrer Schwester zurückzukehren.

Plötzlich kam ihr ein Gedanke. Warum nicht einfach das Boot ausleihen? Sie wusste, wie man es steuerte, da sie das gleiche Modell – wenn auch ein viel älteres – für Hafenrundfahrten für Touristen in Genua nutzte. Das war einer der Minijobs, die sie derzeit ausübte. Sobald sie zurück im Luxushotel in Sorrent wäre, wo sie und ihre Schwester untergebracht waren, könnte sie einen von Brandons Angestellten bitten, das Boot nach Capri zurückzubringen, um später ihre Schwester abzuholen.

Ohne lange zu zögern, atmete Milly einmal tief durch und warf ihre High Heels an Bord. Dann raffte sie den Rock ihres Kleides, stopfte sich den Saum in den Slip und kletterte über die Reling.

Das Boot schwankte, als sie auf Zehenspitzen auf das Steuer zuging. Sie grinste. Der Schlüssel steckte im Zündschloss. Das musste ein Zeichen sein.

Eilig löste sie die Bootsleinen.

Vor ihrer Schwester nach Sorrent zurückzukehren hätte den Vorteil, dass Milly packen und sich umziehen könnte, bevor Lacey ins Hotel zurückkehrte. So könnte sie weitere Diskussionen vermeiden. Sie würde ihrer Schwester eine Nachricht schicken, sobald sie im Bus nach Genua säße. Sie würde sich entschuldigen und ihr sagen, dass sie sich keine Sorgen machen solle.

Nachdem alle Leinen gelöst waren, kehrte Milly zum Steuer zurück und startete das Boot. Der Motor brummte leise, als sie um die größeren Jachten herumfuhr und das Boot in die Bucht hinauslenkte.

Langsam gewöhnten sich ihre Augen an die Dunkelheit. Soweit sie sehen konnte, war zu dieser späten Stunde niemand außer ihr auf dem Wasser unterwegs.

Ein triumphierendes Lachen entfuhr ihr, als sie die Geschwindigkeit erhöhte und das Boot über die Wellen auf dem offenen Meer sprang, als würde es fliegen.

Endlich frei.

Sie stieß einen Jubelschrei aus. Die Frustration über die endlosen Diskussionen mit ihrer überfürsorglichen Familie und die Angst vor ihrer unsicheren Zukunft fielen von ihr ab, während der Fahrtwind ihr die Haare ins Gesicht schlug.

Doch sie verstummte abrupt, als plötzlich die Kabinentür aufsprang und ein Mann herausstürmte. Mit zerzausten dunklen Haaren und im schwarzen Smoking trat er barfuß an Deck, sein weißes Hemd bis zur Taille aufgeknöpft. Das war nicht der ältere Kapitän, der sie vor drei Stunden nach Capri gefahren hatte.

Milly schluckte, als sie einen kurzen Blick auf seine leicht behaarte, muskulöse Brust erhaschte und ein Tattoo über seinem Herzen entdeckte – zwei gekreuzte Säbel.

Ein Pirat im Designeranzug … Träume ich oder passiert das gerade wirklich?

„Wer sind Sie?“, verlangte sie von der Gestalt zu wissen. „Und warum haben Sie sich da unten versteckt?“

Sein atemberaubend attraktives Gesicht wurde finster.

„Ich habe mich nicht versteckt, ich habe geschlafen – bis Sie mich aufgeweckt haben“, stieß er mit grollender Stimme hervor, die das Brummen des Motors und das wilde Schlagen ihres Herzens übertönte. „Und das hier ist mein Boot. Also, was, zum Teufel, fällt Ihnen ein, es zu stehlen?“

Langsam dämmerte es ihr.

Na toll, Milly… Du hast es mal wieder vermasselt!

Sie hatte das falsche Boot gekapert.

Skeptisch musterte Roman Garner die junge Frau, die barfuß sein Boot steuerte. Der Saum ihres glitzernden Kleides steckte in ihrem Slip, was den Blick auf ihre trainierten Schenkel freigab. Ihr Gesicht war halb verdeckt von den schulterlangen blonden Haaren, die wild im Wind flatterten.

Er war gerade durch die halbe Kabine geschleudert und aus einem tiefen Schlaf gerissen worden.

Aber der Jetlag und die Müdigkeit – die ihn überhaupt dazu gebracht hatten, ein Nickerchen auf seinem Boot zu machen – waren mit einem Schlag verschwunden. Er griff nach der Reling, während das Boot weiter über die Wellen sprang, und ließ die Fremde, die ihn nun erschrocken ansah, nicht aus den Augen.

„Ich … ich habe es nicht gestohlen“, sagte sie, nachdem sie ihre Sprache wiedergefunden hatte.

„Ach wirklich? Gehört es Ihnen etwa?“, fuhr er sie an, entschlossen, sich nicht von ihrem entsetzten Gesichtsausdruck erweichen zu lassen. Oder sich davon ablenken zu lassen, wie der mit unzähligen Strasssteinchen besetzte Stoff ihres Kleides über ihren Brüsten spannte, die sich im Mondlicht bei jedem ihrer Atemzüge deutlich hoben und senkten.

Sein Kopf tat weh, und das war allein ihre Schuld.

„Ich habe es nur ausgeliehen“, erklärte sie.

„Normalerweise werde ich zuerst gefragt, bevor sich jemand etwas von mir ausleiht“, erwiderte er und rieb sich die Stirn.

„Ich dachte, das Boot gehört meinem Schwager.“

Eine unglaubwürdige Geschichte. Hielt sie ihn etwa für einen Idioten? „Ja, sicher.“

Erneut setzte sie zum Sprechen an, als das Boot auf eine unerwartet hohe Welle traf. Ihre Hände wurden vom Steuer gerissen und das Boot kippte zur Seite.

Ihr Schrei zerriss die Stille der Nacht, und er stürzte auf sie zu, um sie aufzufangen, bevor sie über Bord ging.

Sie landeten hart auf dem Deck. Roman schaffte es, sich gerade rechtzeitig im Fall zu drehen, um den Großteil des Sturzes abzufangen, anstatt ihren Körper unter seinem zu begraben. Er stöhnte auf, als der Schmerz des Aufpralls durch seine Hüfte schoss.

Die automatische Notbremsung wurde aktiviert und der Motor des Bootes schaltete sich ab.

Benommen lag Roman auf dem Deck und starrte in den Nachthimmel, die kleine Bootsdiebin, die, wie sich herausstellte, an genau den richtigen Stellen angenehm weich war, fest in den Armen.

Offensichtlich war es viel zu lange her, seit er einer Frau so nahe gekommen war, sonst wäre seine Aufmerksamkeit sicher nicht sofort auf ihre üppigen Kurven gelenkt worden.

Sie rappelte sich auf und schaffte es, vor ihm wieder auf die Beine zu kommen. Schockiert starrte sie ihn an.

„Ich hatte wirklich nicht vor, Ihr Boot zu stehlen“, verteidigte sie sich.

„Ach ja? Und wessen Boot wollten Sie dann stehlen?“, erwiderte er und stützte sich auf den Ellenbogen ab.

Auf einmal kam der Vollmond hinter einer Wolke hervor und Roman konnte deutlich ihre Gesichtszüge erkennen.

Ihr Make-up war ruiniert. Trotzdem war sie mit ihren großen braunen Augen, dem kämpferisch gereckten Kinn und den hohen Wangenknochen auffallend hübsch. Der kleine Goldring in ihrem linken Nasenflügel unterstrich nur noch ihr eigenwilliges und unkonventionelles Erscheinungsbild.

Ihre Schönheit raubte ihm den Atem.

Er kniff die Augen zusammen. Und sie kam ihm vage bekannt vor. Wo hatte er sie schon einmal gesehen?

Dann fiel es ihm ein. Sie war heute Abend mit der Frau dieses Mistkerls Cade auf der Feier erschienen. Wenn er gewusst hätte, dass Cade nicht selbst an der Veranstaltung teilnehmen würde, hätte er sich gar nicht erst die Mühe gemacht herzukommen. Auch wenn sein derzeitiger Aufenthaltsort – seine Privatinsel, auf der er sich gerade eine zweiwöchige Auszeit gönnte – weniger als eine Meile von hier entfernt war.

„Sie arbeiten für Brandon Cade, oder?“ War sie die Assistentin seiner Frau Lacey? Wenn einer von Cades Mitarbeitern versucht hatte, sein Boot zu stehlen, würde er einen Weg finden, das gegen seinen Erzrivalen zu verwenden.

„Was? Nein …“, sagte sie. „Kennen Sie Brandon?“ Plötzlich klang sie vorsichtig, aber immer noch nicht wirklich reumütig.

Roman stand auf und ignorierte den Schmerz in seiner Hüfte.

Brandon? War sie etwa Teil des inneren Kreises der Cades? Eine Geliebte vielleicht? Obwohl er kaum glaubte, dass Lacey sie zur Veranstaltung mitgebracht hätte, wenn sie mit ihrem Ehemann schlief.

Wie dem auch sei … Warum hatte sie beschlossen, ausgerechnet sein Boot zu stehlen? Und warum, zum Teufel, wirkte sie so mitgenommen, wenn sie doch vorhin auf der Party so heiß ausgesehen hatte …?

Heiß? Im Ernst? Reiß dich zusammen!

„Ja. Ich kenne Cade“, sagte er geheimnisvoll. „Wir verfolgen ähnliche geschäftliche Interessen“, fügte er hinzu, obwohl er und Cade viel mehr als das gemeinsam hatten. Er spürte, wie der altbekannte Groll in seinem Inneren an die Oberfläche drängte.

Dass Cade die Verbindung zu ihm nie anerkannt hatte, war jetzt Romans Stärke, nicht seine Schwäche. Nach sechzehn Jahren harter Arbeit war er zu Cades größtem Rivalen geworden und hatte ihn in finanzieller Hinsicht sogar übertrumpft. Und im Gegensatz zu Cade, der alles geerbt hatte, hatte Roman sich alles selbst erarbeitet.

„Wer …? Wer sind Sie?“, fragte sie erneut, als wüsste sie es nicht.

Er runzelte die Stirn. Sie war eine gute Schauspielerin, das musste er ihr lassen. Wenn sie für Cade arbeitete, wusste sie genau, wer er war.

„Da ich in diesem Fall das Opfer bin, verlange ich, dass Sie zuerst sagen, wer Sie sind“, forderte er mit autoritärer Stimme. Er hatte ihr bereits mehr als genug Informationen gegeben.

Ärgerlicherweise musste er feststellen, dass er von ihrem sturen Gesichtsausdruck fasziniert war. Warum wirkte sie dadurch nur umso … heißer?

„Das Opfer? Inwiefern?“, forderte sie zu wissen. Offensichtlich hatte sie immer noch nicht verstanden, wer hier das Sagen hatte. Noch eine neue Erfahrung für Roman, der daran gewöhnt war, dass Frauen seine Anweisungen befolgten.

„Okay, das reicht.“ Roman zog sein Handy aus der Tasche. „Du hast zwei Sekunden Zeit, mir zu sagen, wer, zum Teufel, du bist, was du mit Cade zu tun hast und warum du mein Boot gestohlen hast, oder ich rufe die Polizei an und lasse dich wegen Piraterie und Körperverletzung festnehmen.“ In dieser Situation schien es ihm angemessen, zum vertrauten Du überzuwechseln.

„Piraterie und …“ Schockiert keuchte sie auf, wobei ihre Brust sich auffallend hob und senkte. „Das ist nicht Ihr Ernst, oder? Und was meinen Sie überhaupt mit Körperverletzung?“

Er tippte eine Nummer auf seinem Handy ein, um Giovanni, den Verwalter seiner Privatinsel Isola Estiva, anzurufen, nicht die Polizei, aber das musste sie nicht wissen. „Die Zeit ist um“, sagte er und hob das Telefon ans Ohr. „Pronto, c’è la polizia?“, sagte er auf Italienisch, als Giovanni nach dem zweiten Klingeln abnahm.

Und genau in dem Moment, als Giovanni antwortete: „Signor Garner, sind Sie das?“, hob seine ungeladene Passagierin beschwichtigend die Hände.

„Okay, warten Sie. Mein Name ist Milly Devlin, ich bin Laceys Schwester.“

Warum war er so erleichtert, dass sie Brandon Cades Schwägerin war und nicht seine Geliebte?

„Va bene, Signor …“, sprach er in sein Handy und unterbrach Giovanni, der immer noch versuchte herauszufinden, was, zum Teufel, hier vor sich ging.

„So ist es schon besser“, sagte er, behielt aber seinen strengen Gesichtsausdruck bei.

Er war nun mehr fasziniert als verärgert. Aber er hatte nicht vor, sie so schnell vom Haken zu lassen. Vielleicht konnte er sich ihre familiäre Verbindung zu Cade noch zunutze machen.

Sein Versuch, Cade mit seiner Kolumne über seine illegitime Vaterschaft bloßzustellen, war fehlgeschlagen, als dieser Bastard vorgegeben hatte, in die Mutter seines Kindes verliebt zu sein, und beschlossen hatte, sie zu heiraten.

Vielleicht konnte er mithilfe von Laceys Schwester die Wahrheit aufdecken und seine Reporter darauf ansetzen, für einige saftige Enthüllungen in der Klatschpresse zu sorgen.

„Und jetzt verrat mir endlich, warum du mein Boot gestohlen hast“, verlangte er zu wissen.

Sie schlang die Arme um ihre Taille und fröstelte, als eine Windböe über das Deck hinwegfegte. Ihr hauchdünnes Kleid bot nicht viel Schutz gegen die kühle Nachtluft. Wenn er ein Gentleman wäre, hätte er ihr sein Jackett angeboten. Aber das war er nicht.

Beschämt sah sie zu Boden. „Ihr Boot auszuleihen war eine dumme Idee, die ich zutiefst bereue. Aber ich dachte wirklich, das wäre die Cade-Jacht“, erklärte sie schuldbewusst. „Ich musste dringend die Party verlassen. Ist das Erklärung genug?“, fragte sie und reckte stur das Kinn, was ihren reumütigen Tonfall komplett zunichtemachte.

„Bei Weitem nicht“, antwortete er, doch als sie den Rücken straffte und ihn mit Blicken förmlich erdolchte, musste er zugeben, dass sie wütend noch viel schöner war. „Ich brauche eine etwas detailliertere Erklärung, warum du auf mein Boot geklettert bist und versucht hast, es zu stehlen“, fügte er hinzu.

Als sie ihn, offenbar sprachlos vor Wut, anstarrte, stellte er fest, dass ihn die Auseinandersetzung mit ihr zu amüsieren begann.

„Es sei denn“, fuhr er fort, „du möchtest, dass ich dich verhaften lasse.“

Sie murmelte etwas vor sich hin, das klang wie „typisch reiche Leute“.

„Gut, lassen Sie mich verhaften!“ Frustriert warf sie die Hände in die Luft. „Aber Sie werden es bereuen, sobald sich herausstellt, dass alles nur ein großes Missverständnis war.“

„In dem Fall begnüge ich mich vielleicht damit, dir eine riesige Klage um die Ohren zu hauen“, sagte er und rieb sich demonstrativ die schmerzende Hüfte. „Fünfzigtausend für jeden blauen Fleck, den du mir zugefügt hast, sollten genügen.“

„Bitte schön. Verklagen Sie mich“, rief sie genervt. „Aber auch damit werden Sie nicht viel Erfolg haben. Ich habe insgesamt 162 Euro auf dem Konto. Ein einziger Anruf bei Ihrem Anwalt wird Sie mehr kosten, als Sie jemals von mir bekommen könnten.“

Die Drohung wäre überzeugender gewesen, wenn ihre Zähne am Ende nicht geklappert hätten.

„Du bist Brandon Cades Schwägerin, du trägst Designer-Couture, und du willst mir erzählen, dass du mittellos bist?“, spottete er.

Er wusste, wie Armut aussah – und sie war sicher nicht arm.

„Das Kleid gehört mir nicht“, erklärte sie. „Ich habe es von Lacey ausgeliehen. Wenn Sie mich verklagen, verklagen Sie die völlig unbedeutende Milly Devlin, die genauso wenig reich ist, wie Sie ein unansehnlicher, armer Bettler ohne aufgeblasenes Ego sind.“

Er musste sich auf die Lippe beißen, um angesichts ihrer Empörung nicht zu grinsen. Und über ihr verstecktes Kompliment. Also fand sie ihn nicht unansehnlich. Gut zu wissen. Mit seinem aufgeblasenen Ego lag sie nicht falsch. Er hatte in der Tat ein sehr gesundes Ego – das er seit seiner Kindheit gestärkt hatte, um die Entbehrungen und Demütigungen zu überstehen, die er durchlebt hatte.

Er sah, wie sie erneut fröstelte, und gab seufzend nach.

„Hier …“ Er zog sein Jackett aus und legte es ihr um die Schultern. Es machte keinen Sinn, dass sie erfror, bevor er brauchbare Informationen aus ihr herausgeholt hatte.

„Ich habe Sie nicht um Hilfe gebeten“, sagte sie zitternd.

Ihr entschlossener Blick machte es ihm unmöglich, seine Amüsiertheit länger zu verbergen.

„Worüber lachen Sie?“, fragte sie empört, was sein Lächeln nur breiter machte. Ihre freche Haltung war tatsächlich ziemlich erfrischend. Wer hätte das gedacht?

„Über dich“, sagte er ehrlich. „Du bist unglaublich undankbar für eine kleine Bootsdiebin.“

„Zum letzten Mal: Ich bin keine Diebin. Ich habe mir das Boot nur ausgeliehen.“

„Wie auch immer …“ Er trat ans Steuer und startete den Motor. Er war noch nicht bereit, sie gehen zu lassen, aber er wollte auch nicht, dass sie eine Lungenentzündung bekam, was nur eine Option übrig ließ.

Sie griff nach der Reling, als er das Boot herumlenkte und auf die Isola Estiva zusteuerte – die Küsteninsel, die er vor zwei Jahren gekauft, aus Zeitmangel aber bis jetzt kaum genutzt hatte.

„Wohin bringen Sie mich?“, fragte sie und sah sehnsüchtig zu den Lichtern von Sorrent hinüber, die langsam am Horizont verschwanden.

Er warf ihr einen kurzen Blick zu. „Auf meine Privatinsel, wo ich vorhabe, darüber nachzudenken, was, zum Teufel, ich mit dir anfangen soll. Heute Abend bin ich zu müde, um eine Entscheidung zu treffen …“ Was nicht gelogen war. Er hatte seit Monaten keinen erholsamen Schlaf mehr gehabt, während er sich und sein Geschäft bis an die Grenzen getrieben hatte. Wenn man es genau nahm, hatte er seit über zehn Jahren keine richtige Pause mehr gemacht – deshalb hatte er vorhin auch so tief geschlafen, als sie sein Boot gestohlen hatte.

„Das können Sie nicht tun! Das ist Entführung!“, rief sie über den Wind und das Klatschen der Wellen gegen den Rumpf des Bootes hinweg.

„Entführung, ach ja? Und das aus dem Mund einer Bootsdiebin …“

„Ich bin keine verdammte …“, schrie sie zurück und fluchte, als das Boot eine größere Welle traf und sie gezwungen war, sich an die Reling zu klammern. „Ach, zum Teufel, ich gebe auf.“

„Setz dich und entspann dich“, sagte er und genoss ihren verzweifelten Tonfall fast genauso sehr wie den Anblick ihres zierlichen Körpers, an dem sein Jackett viel zu groß wirkte.

„Es wird etwa eine halbe Stunde dauern, bis wir Estiva erreichen“, erklärte er beschwingt. Etwas an der Tatsache, Cades störrische Schwägerin in seinem Boot zu haben, gab ihm einen Kick, und ihm gefiel der Gedanke, sie während der verordneten Zwangspause auf seiner Insel als Geisel bei sich zu behalten und sich weitere Wortgefechte mit ihr zu liefern.

„Ich werde schreien“, warnte sie, obwohl sie genauso gut wissen musste wie er, dass niemand sie hören würde.

„Mach ruhig“, erwiderte er und ignorierte ihre leere Drohung.

Finster funkelte sie ihn an, aber ihre Lippen blieben fest geschlossen, vermutlich weil sie nicht dumm war.

Sie setzte sich auf die Bank, die das Deck umgab, als die Stöße der Wellen auf hoher See rauer wurden. Einen Moment lang sah sie niedergeschlagen aus, dann zückte sie ihr Handy.

„Wie wäre es, wenn ich die Polizei rufe?“, sagte sie und wedelte mit ihrem Telefon, als wäre es eine tödliche Waffe. „Und ihnen sage, dass ich entführt wurde?“

„Viel Glück“, antwortete er. „Vergiss nicht zu erwähnen, dass Roman Garner dich entführt, weil du sein Boot gestohlen hast“, erinnerte er sie. „Und dich zur Verwahrung zur Isola Estiva bringt. Sie können dich morgen früh dort abholen, wenn du lieber verhaftet werden möchtest.“

Er presste die Lippen zusammen, um ein Lachen zu unterdrücken, als er ihren frustrierten Gesichtsausdruck sah. Dann wandte er sich wieder dem Steuer zu, um sich auf die Navigation des Bootes zu konzentrieren.

„Roman Garner?“, sagte sie hinter ihm. „Ich glaube, meine Schwester Lacey hat diesen Namen einmal in Zusammenhang mit einem Jobangebot erwähnt. Sie ist Journalistin.“

„Möglich“, meinte er und musste einräumen, dass sie anscheinend wirklich nicht wusste, dass er der größte Rivale ihres Schwagers war. Entweder das oder sie war eine wirklich gute Schauspielerin. „Obwohl ich nichts darüber wissen würde“, fügte er hinzu. „Mit dem Tagesgeschäft habe ich für gewöhnlich nichts zu tun.“

Was nicht ganz der Wahrheit entsprach.

Er verurteilte sich selbst für die kleine Notlüge. In Wahrheit hatte er Lacey damals das Angebot gemacht, Hauptkorrespondentin für Prominente bei Buzz zu werden. Somit hätte er gleichzeitig seinen Rivalen demütigen und die Scheinehe mit dessen neuer Frau aufdecken können. Der Grund für die überstürzte Ehe war angeblich die „überraschende“ Entdeckung, dass Cade der Vater von Laceys vierjähriger Tochter war.

Es hatte Roman nicht überrascht, als Lacey sein Jobangebot abgelehnt hatte. Sie hatte sicher schnell erkannt, dass die Aufrechterhaltung des Anscheins einer glücklichen Ehe mit Brandon Cade lukrativer war, als für Buzz zu arbeiten.

In den Anfangstagen, als sein Unternehmen noch Blackbeard Media hieß, hatte Roman es sich zur Aufgabe gemacht, Cade zur Weißglut zu treiben. Aber heute hatte die Garner Media Group Wichtigeres zu tun – wie an die Weltspitze der Medienkonzerne zu gelangen, eine Position, die derzeit noch von Cade Inc. besetzt war.

„Ich kann nicht glauben, dass ich aus Versehen Ihr Boot ausgeliehen habe“, sagte sie. „Lacey und Brandon werden bestimmt nicht beeindruckt sein.“

„Warum rufst du Cade nicht an und sagst ihm, wessen Boot du gerade versucht hast zu stehlen?“, stichelte er und ließ all seinen alten Groll gegen seinen Rivalen wieder aufleben – sowie das vage Gefühl, nicht genug zu sein, von dem er gedacht hatte, es längst überwunden zu haben. Ärgerlich musste er sich eingestehen, dass diese Gefühle immer noch irgendwo in einer versteckten Ecke seiner Psyche schlummerten. „Das wird ihm sicher den Abend versüßen.“

„Nein, danke“, erwiderte sie. „Ich werde das schon allein klären“, fügte sie hinzu, klang aber viel weniger selbstsicher als vorhin.

Interessant … Er hatte ihr die Gelegenheit gegeben, ihren Schwager anzurufen, um ihr zu helfen, und sie hatte sie nicht ergriffen. Warum?

Der heutige Abend hatte das Potenzial, sich doch noch zum Positiven für ihn zu wenden. Sobald er herausgefunden hatte, wie er die Verbindung der kleinen Piratin zu Cade zu seinem Vorteil nutzen konnte. Doch irgendwie fühlte er sich bei dem Gedanken an Rache auf einmal noch erschöpfter, als er es ohnehin schon war. Er konzentrierte sich wieder auf das Steuer. Vielleicht sollte er erst einmal dafür sorgen, dass sie heil auf seiner Insel ankamen.

Zu ihrem Glück war Roman niemand, der Frauen in hilfloser Lage ausnutzte. Aber sie schuldete ihm trotzdem etwas.

Schließlich hatte sie gerade versucht, sein Boot zu stehlen, und ihm dabei eine schmerzhafte Kopfverletzung und einen blauen Fleck an der Hüfte zugefügt. Und dafür würde er eine Entschädigung verlangen.

Von allen Booten an allen Docks auf der ganzen Welt, warum, zum Teufel, musste ich ausgerechnet das eines anderen verdammten Medienmoguls stehlen?

Besorgt starrte Milly auf den breiten Rücken des Mannes am Steuer, der das Motorboot mit meisterhafter Leichtigkeit durch die Nacht navigierte – zu einem unbekannten Ziel.

Roman Garner.

Sie hatte Lacey schon einmal über ihn sprechen hören … Und sie wünschte, sie hätte genauer zugehört. Sie konnte sich nur daran erinnern, dass Lacey das Jobangebot von Buzz am Ende nicht angenommen hatte. Außerdem hatte ihre Schwester Roman Garner als Playboy beschrieben. Und sie konnte sich vage daran erinnern, dass Brandon Garners Geschäftspraktiken einmal rücksichtslos genannt hatte. Aber war das nicht normal, wenn man ein milliardenschwerer Medienbaron war?

Ihrer bisherigen Einschätzung nach schien die Beschreibung des rücksichtslosen Playboys perfekt auf Roman Garner zu passen.

Und trotzdem …

Sie zitterte vor Kälte und schlang das Jackett, das immer noch warm von seinem Körper war, fester um sich. Dabei atmete sie den Duft ein, der am Stoff hing – eine betörende Mischung aus Sandelholzseife und seinem Aftershave.

Betörend? Wirklich, Milly?

Wie dem auch sei … Warum hatte er ihr sein Jackett gegeben? Diese ritterliche Geste passte so gar nicht zu seinen Drohungen und der Tatsache, dass er sie gerade entführte. Aber nicht nur sorgte er dafür, dass ihr warm war, er hatte sie auch davor bewahrt, vom Boot zu fallen, und den Aufprall des Sturzes abgefangen, als sie vorhin von einer Welle getroffen worden waren und beinahe gekentert wären.

Wieder zitterte sie, und diesmal nicht nur wegen der Kälte. Das weiße Hemd, das ihm im Wind um die starke Brust flatterte, gab immer wieder einen Blick auf seine gebräunte Haut preis und sie entdeckte ein weiteres Tattoo auf seinem unteren Rücken. War das ein Totenkopf mit gekreuzten Klingen, passend zu den gekreuzten Säbeln über seinem Herzen?

Offensichtlich hatte er eine Vorliebe für Piraten. Was irgendwie ironisch war, da er sie der Piraterie beschuldigt hatte.

Milly kauerte sich auf der Sitzbank zusammen, um sich vor dem Wind zu schützen, und kuschelte sich in sein Jackett, müde, verwirrt und mit wachsamem Auge … Aber nicht ängstlich. Oder zumindest nicht so ängstlich, wie sie es wahrscheinlich sein sollte. Denn sie wurde definitiv entführt.

Aber als ihr langsam die Lider schwer wurden, erinnerte sie sich an das Leuchten in seinen Augen, als er sie vorhin provoziert hatte – woraufhin sie wütend geworden war … und noch verwirrter. Warum hatte sie den Eindruck, dass das für ihn alles ein großer Scherz war? Und warum hatte sie ihr Streit von vorhin nicht beunruhigt, sondern angeregt? Lag es daran, dass Roman sie bewundernd angesehen hatte, als sie ihn herausgefordert hatte?

Oder hatte sie das völlig falsch interpretiert? Ehrlich gesagt wusste sie so gut wie nichts über das Flirten, weil sie nie einen richtigen Freund gehabt hatte. Das sollte eins der Mankos sein, die sie auf ihrer Reise durch Europa beheben wollte … Neben ihrem Hauptanliegen – die Kunstwelt im Sturm zu erobern – wollte sie außerdem endlich ihre Unschuld verlieren. Aber dazu war es bisher nicht gekommen, weil sie viel zu beschäftigt damit gewesen war, sich ihren Lebensunterhalt zu verdienen.

Milly blinzelte ein paarmal konzentriert und versuchte krampfhaft, wach zu bleiben. Roman Garner mochte zwar attraktiv und ein interessanter Gesprächspartner sein, aber sie war sich nicht sicher, ob sie ihm vertrauen konnte.

Und das nicht nur, weil er ein arroganter Milliardär mit übergroßem Ego war, der sie gerade auf seinem Boot entführte. Sondern auch, weil er diesen verschmitzten Ausdruck in den Augen hatte, den sie nicht recht einzuordnen wusste.

Super gemacht, Milly, wenn du’s schon vermasseln musst, dann richtig.

Während das Boot stetig über die Wellen hüpfte, fielen ihr immer wieder die Augen zu und schließlich verlor sie den Kampf mit ihrem erschöpften Körper und schlief ein.

2. KAPITEL

Roman steuerte das Boot auf den Steg der Isola Estiva zu und schaltete den Motor aus. Er rieb sich den Nacken, als sich die vertraute Erschöpfung, die seit Monaten auf ihm lastete, nach dem kurzzeitigen Adrenalinschub durch den versuchten Bootsdiebstahl wieder bemerkbar machte. Hinzu kam eine leichte Benommenheit, die vermutlich von der Beule an seiner Stirn herrührte.

Einer der Bootshausmitarbeiter schnappte sich das Seil, das er ihm zuwarf, und machte es am Steg fest, während sein Verwalter Giovanni an Bord stieg.

„Wir haben Sie heute Abend nicht so früh zurückerwartet, Signor Garner“, sagte der ältere Mann. Dann sah er zur Sitzbank und blinzelte kurz, als er die regungslose Passagierin entdeckte, die auf dem Ledersitz zusammengerollt ruhte.

„Sie haben einen Gast mitgebracht?“, fügte sein Verwalter hinzu, sein Tonfall wenig überrascht.

„Sie ist kein Gast, sondern meine Gefangene“, verkündete Roman und sah ebenfalls auf sie hinunter.

Für ein Entführungsopfer wirkt sie erstaunlich friedlich, wie sie so schlafend in mein Jackett gehüllt daliegt, dachte er. Ihre nackten Zehen lugten unter dem Saum ihres Kleides hervor. Im Schlaf war ihr Gesichtsausdruck entspannt und unschuldig und die verschmierte Mascara ließ sie aussehen wie eine Mischung aus Straßenkind und ramponiertem Supermodel.

Er runzelte die Stirn. Obwohl sie zu klein für ein Supermodel war. Seiner Einschätzung nach – und er hatte ziemlich viel Erfahrung mit Supermodels – waren sie immer groß und unterernährt. Der Körper dieser jungen Frau hingegen hatte üppige Kurven.

Bei diesem Gedanken erinnerte er sich daran, wie sich ihr Körper auf seinem angefühlt hatte, als er ihren Sturz abgefangen hatte, und ein Ziehen machte sich in seinen Lenden bemerkbar.

„Ihre Gefangene, Signor?“, hakte Giovanni nach. „Ist sie gegen ihren Willen hier?“, fragte er höflich, aber mit genug Nachdruck, dass Roman klar war, dass sein Verwalter ihn sofort bei der Polizei melden würde, sollte etwas Illegales vor sich gehen. Giovanni hatte vier erwachsene Töchter und schreckte nicht davor zurück, seine Missbilligung für Romans ständig wechselnde Beziehungen zu zeigen. Das war einer der Gründe, warum er den Kerl so mochte.

Da er nie einen Vater gehabt und in seiner Erziehung keine Grenzen aufgezeigt bekommen hatte, suchte Roman sein Personal danach aus, wen er respektieren konnte. Leider bedeutete das in der Regel, dass seine Angestellten trotz ihres großzügigen Gehalts oft dazu neigten, sein Verhalten infrage zu stellen.

Aber im Moment war er zu müde, um sich mit Giovannis missbilligendem Blick oder seinen aufdringlichen Fragen auseinanderzusetzen.

„Sie hat versucht, mein Boot zu stehlen … Also schien es mir nur angemessen, sie in Verwahrung zu nehmen“, erklärte er, obwohl auch er langsam den Schwachpunkt in diesem Plan erkannte. „Außerdem hat sie ein Handy, sie kann also jederzeit anrufen und ihrer Familie Bescheid sagen, wo sie ist.“ Dass diese Familie seinen Erzfeind Brandon Cade einschloss, erschien ihm nun auch nicht mehr so vorteilhaft.

„Außer wenn sie schläft“, bemerkte Giovanni.

„Das beweist nur, dass sie keine Angst vor mir hat“, argumentierte Roman und runzelte die Stirn. Warum verteidigte er sein Handeln vor seinem Angestellten? Er hatte sicherlich keine Hintergedanken gehabt, als er sie hierhergebracht hatte. Obwohl die Wärme, die ihn jedes Mal durchströmte, wenn er sie ansah, eine andere Geschichte erzählte …

Giovanni schnippte mit den Fingern nach dem jungen Angestellten, der das Boot am Steg sicherte. „Marco, bring Signor Garners Gast zum Poolhaus.“

Aber als der junge Mann an Bord sprang, streckte Roman die Hand aus und hielt ihn auf. „Nein.“

Der Anflug von Besitzanspruch bei dem Gedanken, dass jemand außer ihm Hand an sie legte, war fast genauso beunruhigend wie das brennende Ziehen in seiner Leistengegend.

„Ich trage sie“, sagte er.

Als er sie auf die Arme hob, regte sie sich leicht und er stand einen Moment still. Aber dann kuschelte sie sich an ihn und schlief weiter. Roman gab sein Bestes, das Brennen in seiner Leistengegend zu ignorieren.

Schon seit Monaten war er mit keiner Frau mehr zusammen gewesen, er hatte einfach keine Zeit – oder Energie – für Sex gehabt. Das musste der Grund dafür sein, warum er so stark auf sie reagierte.

Eins stand jedoch fest: Er hatte sie hierhergebracht, also war sie seine Verantwortung. Bis er entschied, was er mit ihr anfangen sollte. Aber darüber würde er definitiv noch schlafen müssen.

Sie stöhnte und drehte den Kopf, sodass ihre weichen Haare über die nackte Haut an seinem Schlüsselbein strichen, und eine Welle der Erregung schoss in seine Lenden und verursachte ein heftiges Pulsieren.

Roman sog scharf die Luft ein und atmete dabei ungewollt ihren frischen, blumigen Duft ein – was sein Begehren nur noch verstärkte.

Er ignorierte das Gefühl sowie Giovannis missbilligendes Stirnrunzeln, machte einen großen Schritt hinüber zum Steg und ging den mit Fackeln beleuchteten Pfad am Strand entlang auf die große Villa zu, die er vor zwei Jahren hatte renovieren lassen. Als er die Steintreppe hinaufstieg, vorbei an den Olivenhainen und dem alten Zitrusgarten, wurde er etwas unruhig. Dann traf er eine Entscheidung, und an der Poolterrasse angekommen, ging er geradewegs am Poolhaus vorbei, das als luxuriöse Gästevilla diente und in dem Giovanni ihren unerwarteten Gast hatte unterbringen wollen.

Sein Verwalter folgte ihm schweigend, doch Roman konnte seinen missbilligenden Blick förmlich im Nacken spüren, als er durch die offenen französischen Türen das Hauptgebäude betrat und die Treppe hinauf zum zweiten Stock der Villa ging, wo sich die Schlafzimmer befanden.

Auf dem Flur zögerte er kurz und widerstand dem starken Drang, nach links in Richtung seiner eigenen Suite zu gehen.

Hör auf, Garner, du hast die kleine Diebin nicht hierhergebracht, um sie zu verführen.

Entschlossenen Schrittes lief er den langen Flur nach rechts entlang zu den Gästezimmern auf der Ostseite der Villa – so weit wie möglich von seinem eigenen Schlafzimmer entfernt.

Als sie das Hauptgästezimmer betraten, eilte Giovanni voraus, um die Sommerdecke zurückzuschlagen, sodass Roman seine Fracht sanft auf dem Bett ablegen konnte. Helles Mondlicht fiel durch die offen stehenden bodentiefen Fenster in den Raum, aber nicht einmal die kühle Meeresbrise vermochte das Ziehen in Romans Lendengegend zu lindern, als sein Blick auf Millys funkelndes Mieder und ihren verlockenden Ausschnitt fiel.

Sie regte sich auf dem Bett, öffnete leise stöhnend die Augen und er war gefangen in ihrem Blick. Ihre warmen bernsteinfarbenen Augen waren trotz des ruinierten Make-ups faszinierend schön, ein sattes Braun mit goldenen Schattierungen.

Sie errötete leicht, als sie bemerkte, wie er auf sie hinabsah.

Schnell trat er einen Schritt vom Bett zurück, benommen von dem drängenden Verlangen, die Lippen auf ihre zu pressen und sie wieder zum Stöhnen zu bringen, dieses Mal vor Sehnsucht nach ihm.

Reiß dich zusammen! Was ist nur los mit dir?

Sie blinzelte und murmelte: „Wo bin ich?“

Giovanni nahm Romans Platz neben dem Bett ein. „Sie sind auf der Isola Estiva, Signorina. Ich bin Giovanni Mancini, der Verwalter dieses Anwesens“, erklärte er. „Sie sind hier zu Gast“, fügte er hinzu und warf Roman einen vielsagenden Seitenblick zu. „Wenn Sie etwas benötigen, lassen Sie es mich oder meine Frau Giuliana wissen, indem Sie das Haustelefon neben Ihrem Bett benutzen.“

Sie nickte. „Grazie mille, Giovanni“, sagte sie und sah dann über Giovannis Schulter hinweg zu Roman, der kerzengerade in der Ecke des Zimmers stand.

„Sie können jetzt gehen, Giovanni“, murmelte Roman.

Der Verwalter neigte den Kopf und warf Roman beim Hinausgehen einen strengen Blick zu, der vermutlich eine Warnung sein sollte.

Als Giovannis Schritte im Flur verklungen waren, begann Romans Kopf ebenso wie seine Lendengegend zu pochen. Welch dreistes Verhalten sein Angestellter sich herausnahm. Wusste er nicht, wer sein verdammtes Gehalt zahlte? Roman Garner nahm von niemandem Anweisungen entgegen, schon gar nicht von seinem eigenen Personal. Abgesehen davon war Giovannis Warnung völlig überflüssig. Roman hatte noch nie eine Frau ausgenutzt … auch wenn sich der heutige Abend als besondere Herausforderung in Sachen Selbstkontrolle für ihn herausstellte.

„Ich mag Ihren Verwalter.“ Millys sanfte Stimme lenkte seine Aufmerksamkeit zurück auf das eigentliche Problem.

Ein Lächeln umspielte ihre verlockenden Lippen, und ihre bernsteinfarbenen Augen funkelten amüsiert, was ihn nur noch mehr ärgerte und seine Kopfschmerzen verschlimmerte – genau wie das Pochen in seiner Leistengegend.

Na großartig.

„Da sind wir wohl einer Meinung“, sagte er scharf.

Was, zum Teufel, hatte er sich nur dabei gedacht, sie hierherzubringen? Der verrückte Gedanke, er könne ihre Beziehung zu Cade vielleicht irgendwie zu seinem Vorteil nutzen, erschien ihm zunehmend absurder. Und das unerklärliche Verlangen, das er seit ihrer Begegnung auf dem Boot zu ignorieren versuchte, wollte einfach nicht abklingen.

Sie öffnete den Mund, um etwas zu sagen, wurde dann aber durch das Klingeln des Handys in ihrer Tasche unterbrochen.

„Geh ran“, befahl er. „Wenn es deine Familie ist, sag ihnen, sie können dich morgen früh hier abholen.“ Je schneller er sie loswurde, desto besser.

Er ging auf die Tür zu. Noch länger mit ihr in einem Raum zu bleiben war keine kluge Idee, denn er spürte, wie das Pochen in seinen Lenden mit jeder Sekunde, die er in ihrer Nähe war, stärker wurde.

„Am besten, noch bevor ich aufwache“, fügte er hinzu und verließ das Zimmer.

Als er die Tür hinter sich zuzog, hörte er, wie das Klingeln ihres Handys verstummte und sie mit sanfter Stimme den Anruf entgegennahm. Aber er blieb nicht stehen, um zuzuhören.

Er brauchte dringend Schlaf und konnte nur hoffen, dass sie morgen früh schon lange verschwunden wäre, wenn er aufwachte.

„Milly, wo, zum Teufel, bist du? Ich bin gerade zurück ins Hotel in Sorrent gekommen und laut dem Personal hat dich keiner gesehen …“ Die panische Stimme ihrer Schwester schürte Millys schlechtes Gewissen.

„Es geht mir gut, Lacey“, flüsterte sie und hielt sich das Telefon dichter ans Ohr, während sie sich auf dem riesigen Bett umdrehte und aus den offenen Fenstern blickte. In der Ferne konnte sie die Lichter von Sorrent am Horizont glitzern sehen. Eine leichte Meeresbrise wehte ins Zimmer und trug das süße Aroma des Zitrusgartens herein, das sich mit dem Duft von Roman Garners After Shave vermischte, der an seinem Jackett hing. Sie konnte noch immer seine Arme um sich spüren, als er sie aus dem Boot getragen hatte.

Bei der Erinnerung spürte sie ein Flattern im Bauch und zwischen ihren Schenkeln breitete sich Hitze aus. Sie hatte instinktiv gewusst, dass er es war, der sie getragen hatte. Ihre Bemühungen, auf dem Weg zur Villa vollständig aufzuwachen, waren vergebens gewesen, während sie sich den sinnlichen Empfindungen hingegeben hatte, so sicher gehalten zu werden.

„Wo bist du?“, fragte Lacey, und ihr besorgter Tonfall lenkte Millys Gedanken zurück zu ihrer Schwester, die offensichtlich dachte, sie sei nicht in der Lage, auf sich selbst aufzupassen, obwohl sie sich nun schon seit über einem Jahr allein durchschlug.

Milly verstand Laceys Sorge. Ihre Schwester hatte sich seit dem Tod ihrer Mutter um sie gekümmert. Milly war damals fünfzehn gewesen – Lacey gerade einmal achtzehn. Ihr Vater, der die Familie schon Jahre zuvor verlassen hatte, war mehr als zufrieden damit, sich ausschließlich auf seine neue Familie zu konzentrieren, und hatte seine Töchter komplett im Stich gelassen.

Während Milly auf das Funkeln der Lichter am Horizont sah und sich vorstellte, wie Lacey in ihrer Luxussuite saß, verstärkte sich ihr Entschluss, endlich unabhängig und nur sich selbst gegenüber verantwortlich zu sein.

„Lacey, es geht mir gut. Du musst aufhören, mein Leben bestimmen zu wollen“, sagte sie und entschied sich, in die Offensive zu gehen. Die Tatsache, dass sie versehentlich das Motorboot des falschen Milliardärs ausgeliehen und sich auf seine Privatinsel hatte entführen lassen, würde Lacey wahrscheinlich nicht gerade beruhigen.

„Es tut mir leid, dass ich auf der Eröffnungsfeier so eine Szene gemacht habe“, fügte Milly widerwillig hinzu.

„Nein, mir tut es leid“, sagte ihre Schwester überraschend. „Ich hätte dich nicht drängen sollen, mich auf diese Veranstaltung zu begleiten. Es ist nur so, dass ich mir Sorgen um dich mache. Seit du deinen Job an der Schule verloren hast, wirkst du so entwurzelt …“

Laceys Stimme verriet ihr schlechtes Gewissen.

„Zum hundertsten Mal, Lacey, es war weder deine noch Brandons Schuld, dass die Paparazzi mich ins Klassenzimmer verfolgt und die Privatsphäre der Kinder missachtet haben. Okay?“

„Ich weiß, aber du warst dort so glücklich und die Presse hat dich nur meinetwegen verfolgt …“

„Lacey, ich war dort nur als Assistentin angestellt. Der Job hat mir zwar gefallen, aber ich hatte nicht vor, für immer dort zu bleiben. Ich bin froh, dass ich jetzt die Gelegenheit habe, an meiner Karriere als Künstlerin zu arbeiten …“ Zumindest hätte sie sich darüber gefreut, wenn sie tatsächlich die Zeit dafür gefunden hätte.

„Okay“, murmelte Lacey und klang genauso müde, wie Milly sich plötzlich fühlte. „Lass uns morgen früh darüber sprechen. Ich schicke dir einen Wagen, der dich abholt, dann können wir morgen noch gemeinsam frühstücken, bevor ich abreise.“

„Ähm … ja, was das angeht …“, murmelte Milly und suchte krampfhaft nach einer Ausrede, warum sie nicht abgeholt werden konnte. „Ich sitze bereits im Bus zurück nach Genua“, platzte sie heraus.

„Warte … Was?“ Lacey klang schockiert – und noch besorgter als vorhin. „Aber all deine Sachen sind noch hier.“

Oh, stimmt. Mist!

„Es war eine spontane Entscheidung“, log sie weiter und versuchte hektisch, sich herauszureden, ohne ihren tatsächlichen Aufenthaltsort preiszugeben. „Ich habe den Bus gesehen, als ich zurück nach Sorrent kam, und bin direkt eingestiegen. Könntest du meine Sachen bitte an Signora Cavali schicken, meine Vermieterin in Genua?“

„Natürlich, wenn es das ist, was du willst“, sagte Lacey traurig und Millys schlechtes Gewissen nahm zu. Sie ahnte, was ihre Schwester denken musste: dass sie so dringend vor ihr fliehen wollte, dass sie mitten in der Nacht in einen Bus gesprungen war, ohne ihr Gepäck zu holen oder sich ordentlich zu verabschieden.

„Ich denke, es ist besser so“, sagte Milly und schluckte ihre Schuldgefühle hinunter. Was sollte sie sonst sagen? Sie konnte Lacey kaum erzählen, wo sie wirklich war, das würde nur wieder deren Beschützerinstinkt wecken.

Zudem würde Brandon wahrscheinlich ein Sonderteam schicken, um Garners Privatinsel zu stürmen und sie zu retten. Ihr kleiner Fauxpas würde sich in eine aufsehenerregende Katastrophe verwandeln und der versehentliche Bootsdiebstahl würde noch mehr aufgebauscht werden. Garner würde definitiv klagen und Milly und ihre Familie würden für den Rest ihres Lebens zum Lieblingsthema der Boulevardpresse werden.

Das Schlimmste an alldem war, dass sie nur sich selbst die Schuld dafür geben konnte. Sie runzelte die Stirn. Sich selbst und Roman Garner mit seinem riesigen, aufgeblasenen Ego.

Sie hätte nicht versehentlich sein Boot nehmen sollen. Aber er hätte sie wirklich nicht entführen sollen – auch nicht nur zum Scherz.

Milly drehte sich auf den Rücken und starrte an die Decke des luxuriösen Gästezimmers. Auf der anderen Seite hatte er nicht mehr so selbstgerecht gewirkt, als sie zur Villa gekommen waren. Bei der Erinnerung an seinen überraschten Gesichtsausdruck, als sie die Augen geöffnet und ihn dabei erwischt hatte, wie er verzückt auf ihren Mund gestarrt hatte, musste sie lächeln.

Aber er hatte keinerlei Anstalten gemacht, ihre Lage auszunutzen, und sie musste zugeben, dass ein Teil von ihr fast enttäuscht darüber war.

„Du musst aufhören, dir Sorgen um mich zu machen, Lacey“, sagte sie. „Gib mir die Gelegenheit, mein Leben zu leben. Du weißt, dass ich dich und Ruby über alles liebe. Und deinen Mann mag ich auch sehr“, fügte sie hinzu. „Auch wenn er die schlechte Angewohnheit hat, mir ständig sagen zu wollen, was ich tun soll.“

Lacey lachte. „Willkommen im Club. Brandon ist nun mal überfürsorglich, was seine Familie angeht. Manchmal wird das sogar mir zu viel.“ Aber dann wurde ihre Stimme ernst. „Ich liebe dich auch, Milly. Und ich denke, du hast recht, wir sollten dich deine eigenen Entscheidungen treffen lassen. Du musst deinen eigenen Weg finden.“

Milly spürte, wie sich die Enge in ihrer Brust löste. Endlich.

„Ich werde meine Assistentin bitten, morgen früh deine Sachen nach Genua zu schicken. Aber versprich mir, Bescheid zu sagen, wenn du etwas brauchst … Egal was …“ Ihre Schwester seufzte. „Jederzeit.“

Milly nickte. „Ich verspreche es.“

„Du kommst aber trotzdem zu Arties Taufe nächsten Monat in Wiltshire, oder? Ruby wäre am Boden zerstört, wenn du nicht erscheinst. Und ich auch. Und ich würde gern etwas von deiner Kunst sehen …“

„Natürlich komme ich, Lacey“, versprach Milly. „Ich freue mich auch darauf, meine Nichte und meinen kleinen Neffen wiederzusehen. Und ich werde euch gern alle meine Werke zeigen.“

Wenn ich es schaffe, innerhalb der nächsten zwei Wochen etwas zu malen.

„Fantastisch“, sagte Lacey erleichtert. „Soll ich dir Geld für die Reise schicken?“ Offensichtlich hatte ihre Schwester den Plan, ihr auf die Füße zu helfen, noch nicht ganz aufgegeben. „Oder wir könnten den Jet nach Genua schicken, um dich abzuholen.“

„Bitte schick kein Geld. Und auch keinen Jet! Ich bin durchaus in der Lage, selbst dort hinzukommen, Lacey“, erwiderte Milly und gab sich Mühe, nicht zu genervt zu klingen. „Ich werde da sein, versprochen. Vertrau mir, okay?“

Zwar hatte sie keine Ahnung, wie sie ein geeignetes Outfit für dieses schicke Gesellschaftsereignis finden, geschweige denn tatsächlich irgendwelche Kunstwerke vorweisen sollte, die sie noch nicht einmal fertiggestellt hatte, aber sie würde es schon irgendwie schaffen. Sie könnte Laceys Kleid in die Reinigung bringen und es noch einmal tragen. Und sie könnte etwas weniger essen und schlafen, um einige der Arbeiten zu beenden, die sie seit ihrer Ankunft in Genua vor vier Monaten begonnen hatte.

Lacey seufzte. „Ich vertraue dir. Wir sehen uns dann. Ich liebe dich, Schwesterherz.“

„Ich liebe dich auch.“ Milly ließ das Handy auf das Bett fallen und starrte in die Nacht hinaus. Ihre Kehle schmerzte, als sie den Kloß darin hinunterschluckte.

Endlich frei von Bevormundung – zumindest für zwei Wochen.

Es schien wie Ironie des Schicksals, dass sie ihre Schwester ausgerechnet in dem Moment dazu brachte, sie auf eigenen Beinen stehen zu lassen, in dem sie von einem Piraten auf seine Privatinsel entführt worden war.

Jetzt musste sie nur noch herausfinden, wie sie mit diesem äußerst attraktiven Piraten umgehen sollte. Aber während sie die Bettdecke hochzog und sich in sein Jackett kuschelte, um warm zu bleiben – und in seinem betörenden Duft zu schwelgen –, beschlich sie das Gefühl, dass sie morgen früh nicht annähernd so besorgt sein würde, auf Roman Garners Privatinsel aufzuwachen, wie es angemessen wäre.

In Wahrheit fühlte sie sich berauscht, auf der Insel dieses Piraten gefangen zu sein – eines Mannes, der äußerst heiß und faszinierend war. Und etwas widersprüchlich mit seinem Anflug von Ritterlichkeit, einer Eigenschaft, von der niemand etwas wusste. Außer ihr.

3. KAPITEL

Grelles Sonnenlicht schien durch die offenen Fenster und blendete Milly, als sie am nächsten Morgen die Augen öffnete. Es dauerte einige Sekunden, bis sie sich an das helle Tageslicht gewöhnt hatte, und noch einen Moment länger, bis sie begriff, wo sie war. Doch dann wurde ihr Gedächtnis mit Erinnerungen an den gestrigen Abend geflutet.

Noch immer trug sie Roman Garners Jackett, nur war der Designerstoff jetzt komplett zerknittert, genauso wie der strassbesetzte Tüll des Kleides ihrer Schwester. Ein Blick in den Spiegel des luxuriösen Badezimmers, das an ihr Schlafzimmer grenzte, ließ das letzte bisschen Selbstbewusstsein schwinden, das sie noch am Abend zuvor verspürt hatte, als sie in ihrer Fantasie ihren superheißen und arroganten Gastgeber verführt hatte.

Garner hatte wahrscheinlich schon die Polizei gerufen. Hatte sie sich seinen sinnlichen Blick letzte Nacht nur eingebildet? Vermutlich. Es war höchst unrealistisch, dass ein milliardenschwerer Playboy wie Roman Garner Interesse an einer arbeitslosen Lehramtsassistentin und Möchtegernkünstlerin mit verschmiertem Make-up hatte.

Nachdem sie lange und heiß geduscht hatte, um ihr angeschlagenes Ego wieder aufzupolieren und die Spuren der gestrigen Katastrophe zu beseitigen, fiel Milly auf, dass sie außer dem Bademantel, der in der Gästesuite hing, nicht viele Kleidungsoptionen hatte. Sie hatte nicht nur kein Make-up dabei, sondern auch keine Kleidung, außer Laceys ruiniertem Designerkleid und Garners übergroßem Jackett – sogar die unbequemen High Heels waren auf dem Boot zurückgeblieben.

Milly sah sich im Raum um. Als ihr Blick auf das Haustelefon fiel, erinnerte sie sich vage an das Gespräch mit dem freundlichen Hausverwalter vom gestrigen Abend. Zwar war es ihr unangenehm, einen Fremden um Hilfe zu bitten, aber sie hatte nicht wirklich eine Wahl.

Nach dem zweiten Klingeln wurde der Anruf beantwortet. „Signorina Devlin, Sie sind wach. Ich hoffe, Sie haben gut geschlafen“, erklang die freundliche Stimme des Hausverwalters in perfektem, wenn auch stark akzentuiertem Englisch.

„Ja, danke, das Bett ist sehr bequem.“

„Hätten Sie Frühstück?“, fragte er, als sei sie wirklich ein Gast.

„Eigentlich hätte ich lieber etwas zum Anziehen. Falls Sie etwas Kleidung haben, die mir passen könnte“, antwortete sie, während ihre Wangen vor Verlegenheit heiß wurden.

„Meine Frau Giuliana wird sich darum kümmern.“

„Oh, danke“, sagte Milly erleichtert. Im Bademantel zu fliehen wäre selbst für sie eine zu große Herausforderung gewesen.

„Gibt es sonst noch etwas, das Sie benötigen?“, erkundigte sich der Hausverwalter.

„Könnten Sie … könnten Sie mir sagen, wann die Polizei kommt?“, brachte sie zögernd hervor. Wie viel Zeit hatte sie, um sich eine passende Erklärung für den vermeintlichen Diebstahl von Garners Boot auszudenken?

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Autor

Rachael Stewart
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<p>Mit dreizehn Jahren lieh sich Maya Blake zum ersten Mal heimlich einen Liebesroman von ihrer Schwester und sofort war sie in den Bann gezogen, verlor sich in den wunderbaren Liebesgeschichten und begab sich auf romantische Reisen in die Welt der Romanhelden. Schon bald träumte sie davon, ihre eigenen Charaktere zum...
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