Julia Weekend Band 130

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EINMAL CINDERELLA SEIN von SHIRLEY JUMP

Was für ein Schock! Wie Cinderella verliert Sarah einen Schuh. Nur ist ihrer nicht aus Glas, sondern ein roter Stiletto. Und zu allem Überfluss findet ihn auch noch der New Yorker Modehausboss Caleb Lewis – eigentlich ihr Erzfeind, kein Märchenprinz …

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  • Erscheinungstag 03.05.2025
  • Bandnummer 130
  • ISBN / Artikelnummer 9783751534451
  • Seitenanzahl 400
  • E-Book Format ePub
  • E-Book sofort lieferbar

Leseprobe

Shirley Jump, Abby Green, Lilian Darcy

JULIA WEEKEND BAND 130

Shirley Jump

1. KAPITEL

Fassungslos schaute Sarah dem roten Schuh nach, der an ihr vorbei durchs offene Fenster flog und ins Ungewisse verschwand.

Sie stand wie gelähmt einen Moment lang da, besann sich, lief zum Fenster und konnte dem Schuh nur noch nachschauen.

Es war nicht irgendein Schuh, sondern ein von Frederick K für seine neue Kollektion entworfenes Modell, ein Einzelstück.

Das lag nun drei Stockwerke tiefer irgendwo vor dem Haus.

„Wie konntest du nur, Diana?“, herrschte Sarah ihre jüngere Schwester an. „Weißt du nicht, wie wichtig der Schuh ist?“

Dann lehnte sie sich aus dem Fenster und ließ den Blick über den Bürgersteig wandern. Nirgendwo war irgendetwas Rotes zu entdecken.

Doch, da! Neben den Mülltonnen.

Sarah atmete auf. Dem kostbaren Schuh schien nichts passiert zu sein. Sie brauchte ihn nur zu holen. Rasch ging sie zur Tür.

„Wohin willst du?“, fragte Diana, ehrlich überrascht.

Denkt sie wirklich, ich würde bleiben und weiter mit ihr diskutieren? fragte sich Sarah ungläubig.

„Ich muss den Schuh holen“, erklärte sie hastig. „Meine Karriere steht auf dem Spiel. Weißt du, was passiert, wenn ich nicht …“

„Warum machst du so einen Wirbel? Es ist doch nur ein bisschen Leder.“ Lässig zuckte Diana mit den Schultern. „Wenn du wirklich schicke Schuhe möchtest, gebe ich dir gern ein Paar von meinen.“

„Du kapierst es einfach nicht“, warf Sarah ihrer Schwester vor. „Das tust du nie!“

„Was kapiere ich nicht? Dass du mein Leben zu ruinieren versuchst?“, konterte Diana. „Wieder einmal.“

Immer muss sie alles dramatisieren, dachte Sarah verzweifelt. Dabei hatte Diana als Kind doch genug Aufmerksamkeit bekommen, oder? War ihr das nicht genug gewesen? Wozu diese Szenen und Temperamentsausbrüche, als wäre sie ein Star?

Damit kannte Sarah sich aus. Als Reporterin für die Boulevardzeitung „Szeneblicke“ berichtete sie ständig über Promis, die über die Stränge schlugen, um ins Blickfeld der Öffentlichkeit zu geraten.

Den Job war sie inzwischen leid. Im Leben ging es ihrer Meinung nach um mehr, als auf den Gesellschaftsseiten abgebildet zu sein.

Oder für diese zu schreiben.

„Ich habe jetzt wirklich keine Zeit, um über dein Leben zu diskutieren“, erklärte Sarah und verließ endlich die Wohnung.

Sie lief die Treppe hinunter und nach draußen auf die Straße, wo wie üblich dichter Verkehr herrschte und sich die Fußgänger auf dem Bürgersteig drängten. Trotz des Getümmels und des Straßenlärms hatte sie diese Gegend in Manhattan vom ersten Moment an geliebt. Sie hatte eine Wohnung in einem der alten Backsteinhäuser gefunden, das zwar keinen Portier und keinen Aufzug zu bieten hatte, dafür aber eine besonders freundliche Besitzerin, die ihren Mietern an Weihnachten selbst gebackene Kekse brachte.

Nach dem eher dunklen Treppenhaus wirkte die Herbstsonne besonders grell. Geblendet schloss Sarah kurz die Augen, dann eilte sie zu den Mülltonnen, wo sie von oben den Schuh hatte liegen sehen.

Doch er war verschwunden!

Panik überfiel sie.

Er konnte ja nicht von allein wegspaziert sein! Und wer würde einen einzelnen Schuh mitnehmen, noch dazu einen Stiletto, wie man ihn nur zu besonderen Anlässen trug?

Irgendwer muss ihn aufgehoben haben, sonst wäre er logischerweise noch da, sagte sie sich und musterte die Passanten. Niemand hielt einen roten Schuh in der Hand. Ein großer dunkelhaariger Mann, der einige Meter von ihr entfernt stehen geblieben war, zog gerade die Hand aus der Jacketttasche.

Konnte es sein, dass er den Schuh eingesteckt hatte? Er sah mit seinem Nadelstreifenanzug wie ein typischer Geschäftsmann aus, von denen es in der Gegend viele gab. Bestimmt hatte er kein Interesse an einem Modell von Frederick K!

Kurz erwog sie, ihm nachzugehen, doch da winkte er schon einem Taxi und war verschwunden, bevor sie etwas unternehmen konnte.

Und nun? War es möglich, dass eine Ratte den Schuh aus unerfindlichen Gründen hinter die Mülltonnen gezerrt hatte? Bei diesem Gedanken wurde ihr mulmig, aber tapfer bückte sie sich und spähte hinter und unter die Behälter.

Vergeblich.

Das darf doch alles nicht wahr sein, dachte Sarah entsetzt. Ihr Boss Karl würde sie umbringen, wenn er hörte, was sie angerichtet hatte. Er würde ihr den Kopf abreißen und ihn als warnendes Beispiel auf den Zinnen des Verlagsgebäudes aufspießen.

Jetzt war es mit der Hoffnung vorbei, endlich von der Klatschzeitung zum Modemagazin „Smart Fashion“ befördert zu werden, das im selben Verlag wie „Szeneblicke“ herausgegeben wurde.

Ja, ihre Karriereträume hatten sich zusammen mit dem roten Schuh buchstäblich in Luft aufgelöst.

Lange hatte sie gehofft, zu der angesehenen Zeitschrift wechseln zu können. Für die Sensationspresse zu schreiben war für sie nur eine – gut bezahlte – Zwischenlösung gewesen, und sie hatte gehofft, dass der Job nur ein Sprungbrett sein würde, da sie eigentlich eine Laufbahn als ernst zu nehmende Journalistin anstrebte.

Mit dem Absprung hatte es allerdings noch nicht geklappt, und sie hasste ihren Job täglich mehr. Über die neuesten Rocklängen und Modetrends zu berichten würde zwar auch keine großen journalistischen Fähigkeiten erfordern, aber es wäre ein Schritt in die richtige Richtung, weg von den Storys über die Reichen und Schönen.

Der rote Schuh war für Sarah zum Symbol für alles geworden, was sie ändern wollte: ihren Job, sich selbst, ihr Leben.

Und nun war er verschwunden.

Und er blieb es, obwohl sie eine Viertelstunde lang gründlich nach ihm suchte.

Schließlich ging sie in ihr Apartment zurück, wo Diana ruhig auf dem Sofa saß und sich die Nägel feilte, als wäre ihr nicht klar, was sie angerichtet hatte. Oder als wäre es ihr egal. Beides war typisch für Diana.

Die Schwestern sahen sich sehr ähnlich. Beide waren schlank, hatten langes dunkelbraunes Haar mit einem rötlichen Schimmer und große grüne Augen. Vom Charakter her unterschieden sie sich allerdings sehr: Was Einfühlungsvermögen und Mitgefühl betraf, war Sarah ihrer Schwester meilenweit voraus.

Sarah liebte ihre Schwester, aber man konnte mit ihr nur schwer auskommen, weil sie ständig nur an sich selbst dachte. Sich um andere zu kümmern zählte eindeutig nicht zu Dianas Stärken.

Seufzend ging Sarah zum Fenster und hoffte, von hier oben den roten Schuh doch noch irgendwo zu entdecken.

Nichts. Er war einfach weg.

Sie setzte sich auf den Fußboden. „Ich bin so gut wie tot“, meinte sie resigniert.

„Warum machst du so ein Theater?“, fragte Diana. „Es war doch nur ein Schuh.“

„Nein, es war mein Job“, berichtigte Sarah. „Ich sollte einen Artikel über die jüngste Kollektion von Frederick K schreiben, speziell über die neue Schuhkollektion, und noch spezieller über diese roten Stilettos. Es handelte sich bei dem Paar übrigens um den Prototypen, den die Öffentlichkeit erst bei den demnächst stattfindenden Modeschauen für den Frühling zu sehen bekommen sollte.“

„Was soll’s? Ich kaufe dir ein neues Paar“, meinte Diana lässig.

„Man kann sie eben nicht kaufen, das ist ja der springende Punkt. Sie kommen erst nach den Modeschauen in den Handel. Mein Boss hat mir vertraut, dass ich dieses Paar niemand sehen lasse, und jetzt …“

Jetzt standen in drei Tagen die Fotoshootings für die Herbstausgabe von „Smart Fashion“ bevor, in der natürlich schon die nächste Frühjahrskollektion vorgestellt werden sollte – wie in der Modebranche üblich. In zwei Wochen würden dann noch Storys und Bilder von den Modeschauen der berühmten New Yorker Fashion Week dazukommen. Ganz New York war gespannt auf die neuen Designs, und in der Branche machte sich Spannung und Hektik breit.

Wie soll ich Diana erklären, welche Bedeutung das alles für mich und meine Karriere hat? fragte Sarah sich niedergeschlagen.

Wie sollte sie vor allem ihrem Boss Karl erklären, warum sie das unersetzliche Paar Designerstilettos nach Hause mitgenommen hatte? Sie konnte sich schon vorstellen, wie seine Reaktion ausfallen würde, wenn sie ihm gestand, dass sie die Schuhe nur eine Weile bei sich hatte haben wollen, weil sie gehofft hatte, ihr Leben würde sich dadurch ändern.

Die Entschuldigung kommt bestimmt gut bei ihm an, dachte sie süffisant. So gut, dass er sie entlassen würde.

„Ja, wir haben ein Problem“, bestätigte Diana nun und legte die Nagelfeile weg.

„Das ist die Untertreibung des Jahres“, meinte Sarah. „Du hast gerade meine Karriere ruiniert.“

„Ich rede nicht von dem albernen Schuh. Sondern von Dad. Du kannst ihn nicht bei mir abladen. Das würde mein ganzes Leben durcheinanderbringen.“

Damit waren sie also wieder bei dem Thema, das zu dem fatalen Wurf geführt hatte! Das war typisch für Diana: Sie ließ bei einer Diskussion nicht locker, bis sie die Antwort erhielt, die ihr gefiel. Meistens eine, die sie von aller Verantwortung freisprach.

Seit Jahren schon kümmerte Sarah sich um alles. Als ihre Mutter krank geworden war, hatte Sarah die Rolle der Haushälterin übernommen, denn ihr Vater war vor Kummer wie gelähmt gewesen. Es hatte über zehn Jahre gedauert, bevor der Tod ihre Mutter von ihrem Leiden erlöst hatte.

Danach hatte Sarah das Gefühl gehabt, in ein tiefes schwarzes Loch gefallen zu sein. Lebe dein eigenes Leben, hatte ihr Vater ihr immer geraten.

Aber welches Leben denn? hätte sie am liebsten gefragt. Um ihre Familie zu versorgen, hatte sie auf alles verzichten müssen: auf Verabredungen, Partys und Träume. Träume davon, was hätte sein können, wenn das Schicksal es besser mit ihnen gemeint hätte.

Diana allerdings hatte sich nichts versagt, sondern ihr Leben in vollen Zügen genossen – auf Sarahs Kosten meistens. Als Polizist verdiente ihr Vater nicht viel, und als es ihrer Mutter immer schlechter gegangen war, war ihm die Welt um ihn herum gleichgültig geworden. Also hatte Sarah angefangen zu arbeiten, um das Budget aufzustocken.

Der Job bei „Szeneblicke“ war zwar gut bezahlt, aber er erforderte, dass sie zu den unmöglichsten Zeiten unterwegs war und nichts anderes tat, als die Fehler und Schwächen anderer bloßzustellen.

Darauf hatte sie keine Lust mehr. Sie musste ihr Leben ändern! Die roten Schuhe waren für sie ein Symbol gewesen; dafür, dass sie endlich den ersten Schritt in die richtige Richtung machen würde.

Allerdings lief es sich mit bloß einem Schuh nicht sehr gut, und man kam nicht weit.

Apropos Weitergehen! Sarah fiel wieder ein, weshalb ihre Schwester so temperamentvoll reagiert hatte: Wie sollte es mit ihrem Vater weitergehen?

„Diana, du hast versprochen, dich um ihn zu kümmern“, erinnerte Sarah ihre Schwester. „Nur weil es dir plötzlich nicht mehr passt, kannst du keinen Rückzieher machen.“

„Aber ich kann doch nicht alles fallen lassen, nur weil du ihn nicht länger bei dir haben willst! Ich habe Freunde, einen Job …“

„Ach, habe ich etwa keinen?“, warf Sarah ironisch ein.

„Ich will ja nicht boshaft sein, liebe große Schwester, aber du hast ungefähr so viele Verabredungen wie die Tapete da an der Wand! Ich gehe jeden Abend aus. Da kann ich doch nicht plötzlich zu Hause bleiben und Dad hüten.“

„Ich bin abends auch oft weg. Öfter als mir lieb ist“, entgegnete Sarah.

„Ja, weil du über Partys schreibst, zu denen du nur aus beruflichen Gründen gehst.“

„Das ist nun mal mein Job. Auf den könnte ich mich besser konzentrieren, wenn du dein Versprechen hältst. Ich hatte Dad die letzte Zeit bei mir. Jetzt bist du dran“, fügte Sarah unnachgiebig hinzu.

Nach dem Tod ihrer Mutter war ihr Vater wie verloren gewesen. Allein kam er kaum zurecht. Er vergaß zu essen, die nasse Wäsche aus der Waschmaschine zu holen oder den Filter in die Kaffeemaschine zu tun.

Sarah hatte zweimal am Tag nach ihm gesehen, immer in Sorge, er wäre gestürzt und hätte sich verletzt.

Schließlich hatte sie ihn überreden können, das kleine, plötzlich so stille Haus zu verkaufen und vorerst zu ihr zu ziehen. Das hatte bisher nicht schlecht geklappt, aber nun, nach mehr als einem Jahr, wollte sie ihre Unabhängigkeit zurück.

Sie wollte sich nicht länger ständig Sorgen machen müssen. Jetzt war Diana an der Reihe, Verantwortung zu übernehmen. Nur leider mied sie diese wie der Teufel das Weihwasser!

„Ich bin gerade dabei, eine Benefizveranstaltung für den Kleingartenverein zu organisieren“, erklärte Diana großspurig. „Das ist mein erster großer Job und irre wichtig für mich. Ich kann mich jetzt auf nichts anderes konzentrieren.“

Sarah wusste, dass es lediglich eine ehrenamtliche Beschäftigung war, und Diana hatte den Auftrag auch nur bekommen, weil die Mutter ihres jetzigen Freundes Vorsitzende des Kleingartenvereins war. Bisher hatte Diana einen Job nie länger als einige Wochen behalten …

„Es handelt sich immerhin um deinen Vater“, meinte Sarah scharf.

„Er ist auch dein Vater. Lass ihn doch bei dir bleiben. Dich mag er ohnehin viel lieber. Du kannst viel besser mit ihm umgehen. Ich vertrag mich nicht gut mit ihm.“

„Dann hast du jetzt die Chance, euer Verhältnis zu verbessern.“ Sarah verschränkte die Arme vor der Brust. „Tut mir leid für dich, aber jetzt bist du dran. Ende dieses Monats zieht er zu dir.“

Das war der Punkt des Gesprächs gewesen, an dem Diana vorhin den Schuh gepackt und aus dem Fenster geschleudert hatte.

Aber ich gebe nicht nach, schwor Sarah sich. Schon zu lange hatte sie auf Kosten ihrer eigenen Pläne zu allem Ja und Amen gesagt. Wenn sie jetzt nicht stark blieb und auch andere in die Verantwortung nahm, würde sich ihr Leben nie ändern.

Das würde sie nicht zulassen!

Sie wollte nicht länger die langweilige, zuverlässige Sarah sein, der man alles aufbürden konnte.

„Aber ich …“, begann Diana empört.

„Nein, ich will nicht länger darüber diskutieren“, fiel Sarah ihr ins Wort. „Ich muss in der nächsten Zeit Tag und Nacht arbeiten. Vorausgesetzt, ich finde den Schuh und verliere nicht meinen Job.“

„Aber ich …“

„Du musst dich um Dad kümmern. Du weißt ja, dass er depressiv wird, wenn er allein ist.“

„Wenn er zu mir zieht, wird das eine Katastrophe“, prophezeite Diana düster. „Lass ihn bei dir bleiben. Das wäre für alle einfacher.“

Diana wirkte plötzlich so deprimiert, dass Sarah fast nachgegeben hätte. Ihre jüngere Schwester war schon immer „schwierig“ gewesen. Vielleicht war es tatsächlich zu viel von ihr verlangt, sich um einen älteren, nicht besonders umgänglichen Mann zu kümmern. Selbst wenn es sich um Dianas eigenen Vater handelte.

„Finde dich damit ab, Schwesterherz: Du bist nun mal die einzig Verantwortungsbewusste in der Familie. Wir verlassen uns auf dich“, sagte Diana.

„Damit ist ab sofort Schluss!“, erwiderte Sarah heftig. „Übernehmt endlich selbst die Verantwortung für euer Leben.“

Ohne ein weiteres Wort stand Diana auf und verließ die Wohnung.

Caleb stellte den roten Schuh auf das Regal in seinem Büro, dann setzte er sich und betrachtete sein Fundstück nachdenklich. Der Schuh war todschick – und wohl eine Fälschung.

Es konnte ja wohl kaum sein, dass es sich um ein mit großem Aufwand geheim gehaltenes Modell aus der sehnlich erwarteten neuen Schuhkollektion von Frederick K handelte.

Seinem Erzrivalen.

Seit Frederick, der aus Boston stammte, seinen ersten Laden in New York eröffnet hatte, rissen ihm die Kundinnen, die stundenlang Schlange standen, förmlich alles aus den Händen, was er kreierte.

Ja, Frederick K war der neue Liebling der Modebranche, und das Modehaus Leo-Design war ins Hintertreffen geraten.

Vor etwas mehr als einem Jahr hatte Caleb die Firma von seiner Mutter Leonora übernommen. Seitdem war es stetig bergab gegangen, nicht nur, weil sein Konkurrent Frederick gerade angesagt war und die Leute zurzeit weniger für Mode ausgaben. Auch besaß Caleb nicht das Gespür für Mode, das seine Mutter im Übermaß besaß … oder besessen hatte.

Und doch hatte er keine Wahl gehabt. Von einem Tag auf den anderen war seine Mutter nicht mehr verfügbar gewesen, und die Angestellten waren von Panik befallen worden. Caleb war der Einzige, dem die Firma ebenso sehr am Herzen lag wie deren Gründerin, also hatte er den Posten des Geschäftsführers übernommen – allerdings sollte das nur vorübergehend sein.

Bald hatte er erkannt, dass sein echtes Interesse seinen Mangel an Erfahrung nicht wettmachte. Es war ihm nicht gelungen, den Profit der Firma zu steigern. Als er erkannt hatte, dass er einen neuen Chefdesigner brauchte, war das Firmenkapital bereits so gering gewesen, dass er sich Neueinstellungen nicht mehr hatte leisten können.

Er hatte immer noch geglaubt, allein damit fertig zu werden. Es ging doch nur darum, Kleider zu verkaufen! Das konnte für einen erfahrenen Marketing-Direktor wie ihn doch nicht zu schwierig sein, oder?

Leider doch, wie sich herausstellte. Zwar wusste er theoretisch, wie man ein Produkt auf den Markt brachte, nur gelang es ihm mit seiner eigenen Firma nicht, ein Produkt zu schaffen, das den Kunden gefiel.

Die bevorstehenden Frühjahrsmodenschauen würden sich als Wendepunkt für Leo-Design erweisen. Entweder würde die Kollektion endlich Anklang beim Publikum finden … oder er musste die Firma schließen.

Dann würde er zugeben müssen, das Lebenswerk seiner Mutter zerstört zu haben. Wenn sie wüsste, was er angerichtet hatte … so gesehen war es ein Segen, dass sie es nie erfahren würde.

„Das ist doch nicht etwa …?“ Seine Assistentin stand plötzlich neben dem Schreibtisch, ihre Augen glänzten. „Oder doch?“

Caleb hatte Martha nicht hereinkommen hören. Schon seit Wochen war er zerstreut. Früher hatte er jedes noch so kleine Detail im Auge behalten, jetzt konnte er sich nicht auf die einfachsten Dinge konzentrieren.

„Jedenfalls entspricht dieser Schuh der Beschreibung, die trotz aller Geheimhaltungsmaßnahmen durchgesickert ist“, meinte er.

„Darf ich ihn anfassen?“

„Martha, es ist ein Schuh, nicht der heilige Gral!“

Sie warf ihm einen Blick zu, der ihm zu verstehen gab, dass er mal wieder nichts kapierte. „Das ist nicht einfach ein Schuh, es ist purer Sexappeal in Form eines High Heels.“

„Frauen und Schuhe!“ Caleb lachte leise. Er hätte nicht gedacht, dass auch Martha mit ihren ungefähr sechzig Jahren zum Heer der Schuhverrückten zählte.

„Wie sind Sie denn an den gekommen?“, wollte sie wissen.

„Jemand hat ihn verloren.“

„Verloren? Wer würde so ein Stück verlieren?“ Sie musterte ihn misstrauisch. „Sie haben ihn doch nicht etwa aus der Werkstatt von Frederick K gestohlen?“

Wieder lachte er. „So verzweifelt bin ich nicht.“

Noch nicht, fügte er im Stillen hinzu. Aber womöglich dauerte es nicht mehr lange. Der Gedanke, dass seine vierhundert Angestellten demnächst ohne Arbeit dastehen würden und er das Lebenswerk seiner Mutter zerstört hatte, bereitete Caleb schlaflose Nächte.

Weil er sich vor seinen Sorgen ins New Yorker Nachtleben flüchtete …

Martha nahm den Schuh und drehte ihn hin und her. „Was ist da passiert?“, fragte sie plötzlich entsetzt und wies auf einen kleinen Kratzer an der Seite.

„Eine unglückliche Landung auf Beton“, erklärte Caleb ungerührt. Schließlich wollte er den Schuh weder fotografieren noch verkaufen. Nein, er wollte ihn nur für seine Zwecke nutzen.

Die Idee hatte er praktisch vom ersten Augenblick an gehabt, als er den herrenlosen Schuh aufgehoben hatte, der da so einsam neben der Mülltonne gelegen hatte. Intuitiv hatte er gewusst, dass dieser Schuh nicht weggeworfen worden, sondern etwas Besonderes war.

Und er hatte recht gehabt. Dass es sich um ein Modell von Frederick K handelte – vorausgesetzt, es war nicht doch eine gute Fälschung –, hatte er sofort an der schwarz gestreiften Unterseite, dem Markenzeichen Fredericks, erkannt. Außerdem waren die Initialen des Designers in das Innenleder geprägt.

„Was haben Sie mit diesem Schmuckstück vor?“, erkundigte Martha sich und strich mit den Fingerspitzen beinah zärtlich über das glatte leuchtend rote Leder.

„Es behalten.“ Caleb nahm ihr den Schuh ab und stellte ihn vor sich auf den Schreibtisch. „Und dann werfen wir ein noch heißeres Modell auf den Markt. Seit Jahren hat meine Mutter davon geredet, auch Schuhe auf den Markt bringen zu wollen, und momentan sind die Voraussetzungen für so ein Vorhaben günstig. Der Schuh ist buchstäblich ein Geschenk des Himmels. Es wäre doch Wahnsinn, diesen Zufall nicht zu nutzen.“

Martha lächelte zustimmend. „Sie wollen es also endlich probieren? Ihre Mutter wäre stolz auf Sie, Caleb.“

Kurz betrachtete er das Porträt von Leonora Lewis, das neben dem Regal hing. Einer jüngeren Leonora, mit einem fröhlichen Lächeln auf den Lippen … ganz anders als jetzt.

Er seufzte. „Meinen Sie, Martha? Wie könnte sie stolz darauf sein, was ich ihrer Firma angetan habe? Immerhin habe ich sie so gut wie in den Ruin getrieben – innerhalb von einem Jahr.“

„Moment mal! Als Sie den Betrieb übernommen haben, war es etwa so, als hätten Sie die Zügel eines wilden Elefanten in die Hand bekommen. Und Sie halten sich sehr tapfer! Besser, als Sie selber denken.“ Sie lächelte aufmunternd. „Jetzt wollen Sie den Sprung ins kalte Wasser riskieren. Genau wie Leonora.“

Vielleicht würde es ihnen damit gelingen, die Firma wieder profitabel zu machen.

„Wie wollen Sie das mit dem Design der Schuhe regeln?“, erkundigte Martha sich.

Er schob den Schuh hin und her, der wirklich ein kleines Meisterwerk war: eine Kombination aus Peeptoe und T-Strap, mit einem schlanken Absatz und goldfarbenen Akzenten.

„Ich dachte, ich lasse Kenny einige Entwürfe machen“, antwortete Caleb.

„Lieber nicht! Er versteht nichts von Schuhen.“ Sie lächelte breit. „Im Gegensatz zu mir, auch wenn ich nicht mehr die Jüngste bin.“

Ja, Kenny war tatsächlich nicht gerade von der Muse geküsst, aber wirkliche Modeschöpfer waren bei Leo-Design rar gesät. Zwei der besten hatten sich kurz vor dem Ausscheiden seiner Mutter abwerben lassen, zwei andere entlassen werden müssen, als die Zeiten schlechter geworden und das Kapital geschwunden war.

Leonora war immer die treibende Kraft und Inspiration der Firma gewesen, doch sie war zu krank, als dass man sie um Rat hätte fragen können.

Möglicherweise konnte man sie nie mehr irgendetwas fragen.

Er musste es also ohne sie schaffen und seine Sache besser machen als bisher.

„Vielleicht stelle ich einen neuen Designer ein, zumindest auf Zeit“, meinte er und stand auf.

War der so unerwartet aufgetauchte Schuh vielleicht das Wunder, das er jetzt brauchte? Aber wenn er die Probleme mit der gesamten Kollektion nicht bald löste, würde ihn Schuhmode allein bestimmt nicht retten.

„Am besten höre ich mich mal bei ‚Smart Fashion‘ um und versuche, ein bisschen Hintergrundinformation über Fredericks Kollektion zu erhalten“, verkündete Caleb.

Vielleicht erfuhr er dort, warum der Schuh auf dem Bürgersteig gelegen hatte? Nicht viele Menschen hatten Zugang zu solch einem streng geheim gehaltenen Entwurf und Modell, aber wenn, dann bei „Smart Fashion“, denn die Zeitschrift jubelte Frederick K seit Jahren hoch. Irgendwer musste dort etwas über den Schuh wissen – und vielleicht sogar über die gesamte neue Kollektion.

„Sie wollen selbst gehen?“, hakte Martha nach. „Aber Sie hassen die Medien doch … und ganz besonders diesen Verlag.“

An seinem inneren Auge zogen die Schlagzeilen vorbei, die den unerwarteten Rücktritt seiner Mutter verkündet hatten, und die, die alle Missgriffe und Fehlentscheidungen des neuen Firmenleiters publik gemacht hatten. Und es ging den Medienleuten nicht nur um die Firma. In einem grässlichen Käseblatt namens „Szeneblicke“ wurde sein Privatleben breitgetreten und überzogen dargestellt. Ja, diese Zeitschrift hasste er wie die Pest!

„Sie waren in der Vergangenheit zu den Reportern nicht gerade freundlich“, erinnerte Martha ihn. „Man spricht noch immer über diesen Zwischenfall in Mailand.“

Ja, sein Image war leider katastrophal, und das war leider schlecht für die Firma. Wenn er schlau wäre, würde er jeden Abend zu Hause bleiben! Aber dort würde er Zeit zum Grübeln haben, und das konnte er vermeiden, wenn er sich ins Gedrängel und Getöse eines Clubs oder einer Disco stürzte.

Zum Glück war noch keiner von diesen Reportern dahintergekommen, wo Caleb Lewis jeweils dienstags, donnerstags und samstags den Nachmittag verbrachte. Die weit außerhalb der Stadt gelegene Klinik tat alles, um die Privatsphäre seiner Mutter zu schützen. Das Team versorgte Leonora wirklich gut, und alle Bekannten, die Bescheid wussten, hatten sich zu Stillschweigen verpflichtet. Bisher war also noch nichts durchgesickert …

„Wenn Sie wenigstens ein Mal nett zu den Reportern wären, würden sie über Sie vielleicht Netteres schreiben“, schlug Martha vor.

„Nett? Zu Reportern?“, wiederholte Caleb entsetzt.

„Na ja, mit Speck fängt man Mäuse, nicht wahr?“

„Oder man lockt sie in sein Haus und wird sie nicht mehr los“, ergänzte er düster. „Aber gut, ich kann in der Redaktion ja ein paar Kekse verteilen.“

Martha lachte. „Für einen Mann, der ein Modehaus leitet, haben Sie wirklich erschreckend wenig Ahnung von Frauen. Schuhe und Schokolade, Caleb, sind die Zauberwörter, wenn man unsere Aufmerksamkeit will.“

„Und ich dachte immer, Frauen schätzen vor allem Intelligenz und Humor.“

„Ach ja, reden Sie sich das nur weiter ein.“ Sie schenkte ihm ein strahlendes Lächeln. „Und schauen Sie mal, wie weit Sie damit kommen, wenn bei Jimmy Choo Ausverkauf ist.“

2. KAPITEL

Leider konnte Sarah sich nicht in ihrem Apartment verstecken und hoffen, dass eine gute Fee ihr den Schuh zurückbrachte. Sie musste selbst aktiv werden und den verflixten Schuh finden und vermeiden, Karl über den Weg zu laufen.

Für eine Frau, die ihr Leben ändern wollte, hatte sie eindeutig die falsche Strategie gewählt.

Pedro Esposito, ihr Kollege mit den blond gefärbten Haaren, blickte über die Trennwand, die ihren und seinen Arbeitsplatz trennte. Sie hatte Pedro alles anvertraut. Sie konnte sicher sein, dass er sie nicht beim Boss verpetzte, da er ein echter Freund war.

„Gute Neuigkeiten, Süße“, verkündete er aufmunternd.

„Gibt es die an einem Tag wie heute?“

Pedro nickte. „Karl muss wegen einer Wurzelbehandlung zum Zahnarzt. Er kommt also den ganzen Tag nicht in die Redaktion.“

„Dem Himmel sei dank!“ Sarah lachte vor Erleichterung. Nun hatte sie mindestens einen Tag Aufschub.

„Oder eher dem Nussstückchen, das Karls Zahnkrone lädiert hat.“ Pedro grinste. „Und hier habe ich was für dich. Vielleicht rettet es deinen Job.“ Er ließ ein Blatt Papier auf ihren Schreibtisch flattern.

Sie hob es auf. „Oh, sehr witzig! Ein Fahndungsplakat, auf dem der Schuh abgebildet ist.“

„Besser als ein Fahndungsplakat, auf dem dein Gesicht abgebildet ist, oder? Wenn Karl nämlich erfährt, was dem Stiletto zugestoßen ist, wird er verlangen, dass dein Kopf rollt.“

„Stimmt.“ Sie erschauerte. Karl neigte dazu, schon wegen Kleinigkeiten auszuflippen. „Ich finde den Schuh, ganz bestimmt!“

„Wenn du meinst, Cinderella. Wahrscheinlich brauchst du einen Prinzen, der angeritten kommt und dich rettet.“ Mit leisem Lachen setzte Pedro sich wieder.

Einen Prinzen als Retter? Nein, darauf konnte sie getrost verzichten! Sie hatte genug Storys für die Zeitung über scheinbar charmante Männer verfassen müssen, die nur auf den eigenen Vorteil bedacht gewesen waren – und nur die hübschesten Mädchen beachtet hatten, nicht die unscheinbaren Gestalten im Hintergrund.

„Ich brauche weder Prinz noch gute Fee“, erwiderte Sarah störrisch. „Aus dem Schlamassel hole ich mich selbst heraus.“

Aber wie? Als Erstes konnte sie nur abends bei ihren Nachbarn fragen, ob einer von ihnen etwas beobachtet hatte.

Seufzend stand sie auf, um sich einen Becher Kaffee zu holen. Seit gestern hatte sie hartnäckiges Kopfweh. Vielleicht half eine weitere Dosis Koffein dagegen.

Da entdeckte sie den Mann, den sie als Letztes hier erwartet hätte. Er schlenderte den Gang zwischen den Schreibplätzen entlang.

Caleb Lewis!

Der unglaublich attraktive Direktor von Leo-Design, der leider ein richtiger Schuft war, wie sie gehört hatte.

Trotzdem konnte sie nicht anders, als ihn bewundernd zu mustern. Durch sein Auftreten zog er die Aufmerksamkeit einfach auf sich: Er war groß, schlank und muskulös – und ein attraktiver Mann, der sein Leben in vollen Zügen genoss. Sie hatte schon oft beobachtet, dass er sich mit den gerade angesagten Starlets vergnügte oder als Letzter einen Club verließ, begleitet von mehreren Frauen.

Seit sie angefangen hatte, über Caleb Lewis zu berichten, herrschte zwischen ihnen Kriegszustand. Je mehr er versuchte, ihr aus dem Weg zu gehen, desto hartnäckiger verfolgte sie ihn und hörte als Antwort auf alle Fragen: „Kein Kommentar!“

Was also wollte er hier?

Er kam immer näher und blieb vor ihrem Schreibtisch stehen.

O nein! Er war hier, um sie wegen all der rufschädigenden Artikel zur Rede zu stellen. Vielleicht wollte er sie sogar verklagen. Das hatte ihr gerade noch gefehlt!

„Miss Griffin!“ Er nickte ihr kurz zu.

Jetzt bemerkte sie den weißen Korb in seiner Hand, der bis zum Rand mit feinsten Pralinen, teurer Schokolade und anderen exquisiten Süßigkeiten gefüllt war. Was wollte Caleb Lewis denn damit?

„Kann ich Ihnen helfen?“, fragte Sarah höflich. „Soll ich Ihnen vielleicht sagen, wie Sie zu Karls Büro finden?“

„Danke, aber ich bin hergekommen, um einen von den Reportern zu bestechen.“ Er hielt den Korb hoch und lächelte entwaffnend. „Und als ich Sie entdeckte, habe ich mich für Sie entschieden, Miss Griffin.“

„Schön, dass Sie das zugeben. Ich weiß das zu schätzen“, meinte sie und lächelte unwillkürlich zurück.

Er stellte den Korb auf ihren Schreibtisch, und ihr Blick fiel sehnsüchtig auf all die Leckereien. Nach den letzten dramatischen Stunden hätte sie sich jetzt gern mit Schokolade getröstet. Sie hätte nur die Hand auszustrecken brauchen … aber sie beherrschte sich eisern.

„Darf ich?“, fragte Caleb und wies auf den Besucherstuhl. Als sie nickte, setzte er sich. „Ich brauche Informationen“, begann er und sah ihr in die Augen.

Sie hatte das Gefühl, vor diesem intensiven Blick keine Geheimnisse wahren zu können. Vor allem nicht die Tatsache, wie sie auf sein Lächeln reagierte: mit einem Prickeln, das sie von Kopf bis Fuß überlief.

Sie hatte schon oft beobachtet, dass Frauen sich förmlich überschlugen, um in seine Nähe zu gelangen. Nun wusste sie, warum. Wenn man sich länger in seiner Gegenwart aufhielt, dann stellte man fest, dass seine blauen Augen einen förmlich hypnotisieren konnten.

Sarah räusperte sich. „Welche Informationen?“, hakte sie nach.

„Ich wollte wissen, ob …“ Plötzlich lehnte er sich vor. „Was ist denn das?“

„Was?“ Sie folgte seinem Blick, der vom Bücherstapel auf dem Schreibtisch zum Becher mit den Stiften wanderte und dann hängen blieb – am … du lieber Himmel! Am Fahndungsplakat, das Pedro gestaltet hatte. Rasch versuchte sie, es unter einige Zeitschriften zu schieben, aber Caleb war schneller. Er nahm es und betrachtete es genau.

„Interessant“, war sein Kommentar.

„Nur ein Scherz meines Kollegen. Es hat nichts zu bedeuten.“ Sie versuchte, ihm das Blatt abzunehmen, aber er zog es außerhalb ihrer Reichweite.

„Gesucht: ein Schuh“, las er laut. „Roter Stiletto. Spezielles Design. Großzügiger Finderlohn.“ Er zog die Brauen hoch. „Sie haben einen einzelnen Schuh verloren, Miss Griffin?“

Nun reichte er ihr das Blatt, und sie ließ es unter dem Stapel Zeitschriften verschwinden. Nebenan hörte sie Pedro leise lachen.

„Ich hätte gedacht, Sie wollen über Ihre Firma reden“, meinte sie, um Caleb Lewis abzulenken.

Vergeblich.

„Das sieht doch wie ein Modell von Frederick K aus“, sagte er stattdessen. „Er will doch demnächst eine Schuhkollektion auf den Markt werfen. Ist das hier ein Prototyp für die nächste Saison? Einer, den der gute Frederick bei den kommenden Frühjahrsschauen der Öffentlichkeit vorstellen möchte?“

Woher weiß er das? fragte Sarah sich erschrocken. Dann fiel ihr ein, dass man auf dem Foto, das Pedro verwendet hatte, das Logo von Frederick K deutlich sehen konnte. Jemand wie Caleb Lewis würde es natürlich sofort erkennen. Und er würde wissen wollen, was sein ärgster Rivale plante.

„Wer kann das schon so genau sagen?“, erwiderte sie ausweichend.

„Haben Sie dieses Modell verloren?“, erkundigte Caleb sich und sah sie eindringlich an.

Sie ließ sich nicht davon beeindrucken. „Interessiert Sie das?“

„Nicht wirklich. Aber Sie vielleicht … falls Sie den Schuh wiederhaben wollen.“

Plötzlich kam ihr ein fürchterlicher Verdacht. Ihr fiel jetzt auf, dass Caleb Lewis einen blauen Nadelstreifenanzug trug. Genau wie der Mann, den sie morgens auf dem Bürgersteig in der Nähe ihres Hauses gesehen hatte. War Caleb dieser Mann gewesen? Hatte er den Schuh gefunden und eingesteckt?

Aber das hätte er ihr doch sofort gesagt, oder? Na ja, er würde ihr nicht viel verraten, schließlich standen sie nicht gerade auf gutem Fuß miteinander. Und es gab in New York viele Männer, die blaue Nadelstreifenanzüge trugen.

Aber nur wenige, die sich für einen von Frederick K entworfenen Stiletto interessierten.

„Was meinen Sie damit: falls ich den Schuh wiederhaben will?“, hakte Sarah misstrauisch nach.

Sein Lächeln wurde breiter. „Ich weiß eventuell, wo er ist.“

Wenn er hinzugefügt hätte „ätsch, und du nicht“, hätte es sie nicht gewundert. Caleb hasste sie. Seine unverbindlichen Hinweise waren vielleicht nur ein Trick, um sie aus der Reserve zu locken und sich dann dafür zu rächen, dass sie alle diese nicht gerade netten Artikel über ihn geschrieben hatte. Zum Beispiel hätte er ihrem Boss verraten können, dass sie die Schuhe unerlaubt mitgenommen hatte.

Aber er hatte Schokolade als Friedensangebot mitgebracht! Machte ihn das nicht vertrauenswürdig? Jedenfalls musste sie auf der Hut sein!

„Wenn Sie den Schuh haben, müssen Sie ihn zurückgeben“, forderte Sarah ihn auf. „Er ist Privateigentum.“

„Gibt es tatsächlich einen Finderlohn?“, fragte Caleb.

„Mr. Lewis, wenn Sie den Schuh haben, dann …“

„Ich sage weder Ja noch Nein. Weil Sie nämlich dazu neigen, mich von vornherein zu verurteilen, Miss Griffin, bevor Sie alle Fakten kennen.“ Entspannt lehnte er sich zurück. „Warum kommen Sie nicht in mein Büro? Sagen wir, um zwei Uhr? Dann können wir reden … über ein gewisses Arrangement, das ich im Sinn habe.“

Er lächelte ihr noch einmal charmant zu, dann stand er auf und war auch schon verschwunden.

Sarah erkannte, dass sie Caleb Lewis auf Gedeih und Verderb ausgeliefert war.

Caleb hätte sich freuen sollen, dass ausgerechnet seine Erzfeindin den Schuh verloren hatte. Jetzt hätte er sich an ihr für all die vernichtenden Storys über sein Privatleben rächen können.

Ja, Sarah Griffin war schuld, dass man ihn für einen oberflächlichen Frauenhelden hielt. Einen, der sich mehr für Models als für Mode interessierte.

Wie sollte sie aber auch wissen, dass er sich die Nächte in den Clubs der Stadt nur um die Ohren schlug, um zu vergessen, was er alles falsch gemacht hatte.

Als er vorhin die Redaktion betreten hatte, war es eigentlich nicht seine Absicht gewesen, mit jemandem von „Szeneblicke“ zu reden. Ganz besonders nicht mit Sarah Griffin. Nicht, weil er sie grässlich gefunden hätte … denn dazu kannte er sie nicht gut genug. Oder weil er sie hässlich gefunden hätte, denn das Gegenteil war der Fall. Er wollte nur nicht die Frau treffen, die ständig ein so eindimensionales Bild von ihm zeichnete.

Er hatte sie natürlich schon oft in den Clubs und Lokalen gesehen, die er bevorzugte. Sie blieb immer im Hintergrund. Nie ließ sie sich von jemandem zu einem Drink einladen oder wagte sich auf die Tanzfläche. Trotzdem war sie ihm aufgefallen, als ruhige Frau, die ihn kritisch mit ihren bezaubernden grünen Augen beobachtet und sich angehört hatte, was er von sich gegeben hatte.

Am folgenden Tag hatte sie immer alles mit spitzer, wie in Gift getauchter Feder in ihrem Klatschblättchen beschrieben. Offensichtlich hielt sie ihn für das Letzte.

Wenn die Umstände andere gewesen wären, hätte eine Frau wie sie ihn durchaus interessieren können. Sie war schlank, hatte aber auch weibliche Rundungen. Bestimmt lebte sie nicht von Salat und Mineralwasser, sondern genoss ihr Essen. Die braunen Haare hingen ihr lang und glänzend über den Rücken, kleine Strähnen ringelten sich an den Schläfen.

Make-up verwendete sie nur sehr dezent, und ihre Haarfarbe war eindeutig echt. In den Kreisen, in denen er verkehrte, war es üblich, dass die Frauen sich herausputzten. Sarah hingegen war offensichtlich der Meinung, dass es mehr auf den Inhalt als auf die Verpackung ankam. Ihre natürliche Schönheit war im Vergleich zu all den aufgedonnerten Mädels, mit denen er sonst zu tun hatte, erfrischend.

Ja, sie hätte ihm gefallen können, wenn sie ihn nicht ständig als herzlosen Frauenhelden darstellen würde.

Als er sie vorhin in der Redaktion gesehen hatte, war ihm allerdings sofort der Gedanke gekommen, dass er sie vielleicht auf seine Seite ziehen und zur Verbündeten machen könnte. Wenn er sie überreden könnte, eine Story über Leo-Design zu verfassen, würde sie vielleicht erkennen, dass er nicht so oberflächlich war, wie sie glaubte. Dann würde sie vielleicht aufhören, sein Privatleben in den Medien breitzutreten.

Wer hatte doch gleich gesagt, wenn du deinen Feind umarmst, kann er die Hand nicht gegen dich erheben?

Sarah war seine Feindin. Trotzdem musste er zugeben, dass sie schreiben konnte. Ihre Storys waren geistreich und blieben im Gedächtnis haften.

Genau solche Storys brauchte er für seine Firma!

Als er das „Fahndungsplakat“ für das Schuhmodell von Frederick K auf Sarahs Schreibtisch entdeckt hatte, hatte er gewusst, dass er gewonnen hatte. Und zwar den Jackpot.

Nun hatte er ein Druckmittel in der Hand, um sie zu bewegen, einen Artikel zu seinen Gunsten zu schreiben.

Vielleicht würde sie auch feststellen, dass er nicht der böse Bube war, für den sie ihn hielt. Bestimmt verstand eine Frau, die einen Prototypen eines Stilettos von Frederick K besaß, seinen Wunsch, in der Schuhbranche Fuß zu fassen.

Es gab aber auch einen Haken an der Sache. Wenn er zugab, den Schuh gefunden und mitgenommen zu haben, würde sie ihm womöglich unterstellen, er wolle ihn für seine Zwecke nutzen.

Die Schlagzeile konnte er sich schon vorstellen: „Verzweifelter Modehausbesitzer kopiert seinen schärfsten Konkurrenten!“

Das war die Art von Presse, die er in seiner jetzigen Lage absolut nicht gebrauchen konnte.

Also musste er Sarah über den tatsächlichen Verbleib des Schuhs im Ungewissen lassen, zumindest, bis er ihr erklärt hatte, wie er in diese missliche geschäftliche Lage geraten war – und sie einsah, dass er nicht so war, wie sie ihn in ihren Artikeln schilderte.

Caleb nahm den Schuh vom Regal und verstaute ihn in einer Schreibtischschublade. Nun konnte Sarah Griffin kommen.

Um genau zwei Uhr meldete Martha sich über die Gegensprechanlage. „Besuch für Sie, Caleb.“

Er lächelte. Anscheinend war Sarah Griffin wegen des Schuhs sehr nervös – und deshalb auf die Minute pünktlich.

„Schicken Sie sie herein, Martha!“

„Sie? Es ist keine Sie“, erwiderte seine tüchtige Assistentin.

Bevor er nachfragen konnte, wurde seine Bürotür geöffnet und ein untersetzter Mann kam herein, der einen leuchtend blauen Anzug trug und ein rot-weiß gestreiftes Hemd. Das kurze weiße Haar stand ihm wie der Schopf eines Kakadus vom Kopf ab. Nichts an diesem Mann war dezent: weder sein Aussehen noch sein Auftreten oder seine dröhnende Stimme.

„Hallo, Caleb!“, grüßte er.

„Frederick! Wie nett, dich zu sehen.“

„Du sollst nicht lügen, mein Junge.“ Frederick lachte künstlich. „Wir wissen alle, dass du mich nicht ausstehen kannst.“

„Setz dich doch, Frederick.“

„Nein danke.“ Der Designer ging zum Fenster und blieb dort stehen.

Wahrscheinlich hat er Angst, seinen perfekt gebügelten Anzug zu zerknittern, dachte Caleb spöttisch. Er stand auf, lief um seinen Schreibtisch herum und lehnte sich dann dagegen.

„Lass mich raten, warum du hier bist, Frederick. Du hast eingesehen, dass dir das Modegeschäft zu anstrengend ist und willst deinen Laden an mich verkaufen“, sagte Caleb herausfordernd.

„Irrtum, mein Junge. Das Gegenteil ist der Fall.“ Fredericks braune Augen glitzerten. „Ich will deine Firma kaufen. Mit allem Drum und Dran.“

Das Angebot überraschte Caleb, aber er ließ es sich nicht anmerken. Warum wollte Frederick die Firma haben? Nur, um die Konkurrenz auszuschalten, selbst wenn diese den Namen kaum noch verdiente?

„Ich bin nicht käuflich. Und die Firma auch nicht“, erklärte Caleb ruhig.

Frederick lachte dröhnend. „Willst du lieber Insolvenz anmelden?“

„Es geht Leo-Design gut.“

„Du machst dir was vor, Junge!“ Frederick zog ein Blatt Papier aus der Jacketttasche und ließ es auf den Schreibtisch fallen. „Hier ist mein Angebot. Unterschreib es, und du kannst dieses … Gefängnis verlassen, das deine Mutter gebaut hat.“

Heiße Wut stieg in Caleb hoch. Er sollte die Firma, in die seine Mutter jahrzehntelang harte Arbeit gesteckt hatte, an diese Witzfigur verkaufen? Das kam gar nicht infrage!

„Ich verkaufe nicht. An dich schon gar nicht. Dir würde ich nicht mal eine Rolle Garn aus unseren Beständen verkaufen!“

„Ich dachte ja schon immer, dass du ein schlechter Geschäftsmann bist, aber für einen Narren habe ich dich nie gehalten.“ Frederick schüttelte den Kopf. „Und ich irre mich selten.“

„Raus hier!“ Nur mit Mühe konnte Caleb sich beherrschen.

„Okay, okay. Man sieht sich in zwei Wochen bei den Modeschauen“, meinte der berühmte Designer lässig und wies auf den Zettel mit seinem Angebot. „Oder vielleicht auch nicht – wenn du clever genug bist, das alles hier hinter dir zu lassen, solange du noch am Ruder bist.“

„Ich werde bei den Schauen dabei sein. Und dieses Jahr wird Leo-Design die ganze Aufmerksamkeit auf sich lenken, nicht Frederick K.“

„Ich sag ja, du machst dir was vor, Junge“, meinte Frederick und verließ das Büro.

Am liebsten hätte Caleb die Tür zugeknallt und abgeschlossen, aber er ließ es bleiben.

Frederick hatte nämlich eigentlich recht. Mit Leo-Design ging es stetig bergab.

Wäre ich ein kluger Geschäftsmann, hätte ich das Angebot akzeptiert und mich mit dem Geld in der Tasche aus dem Staub gemacht, dachte Caleb niedergeschlagen. Er hätte die Last einem anderen aufbürden und sich wieder seiner eigentlichen beruflichen Laufbahn widmen können.

Er wäre wieder frei gewesen, wäre seine Sorgen, den Stress und die schwer auf ihm lastende Verantwortung los gewesen!

Seufzend setzte Caleb sich an den Schreibtisch. Er nahm den Zettel mit Fredericks Angebot, betrachtete ihn noch einmal … und steckte ihn dann in den Shredder.

Sarah hatte lange überlegt, ob sie Caleb Lewis’ Aufforderung nachkommen und ihn in seinem Büro aufsuchen sollte.

Was, wenn er den Schuh gar nicht hatte, sondern sie nur an der Nase herumführen wollte? In dem Fall würde sie als Närrin dastehen, die auf ihn hereingefallen war.

Allerdings war da Calebs Gesichtsausdruck gewesen, als er das „Fahndungsplakat“ auf ihrem Schreibtisch entdeckt hatte.

Ja, Caleb Lewis weiß etwas über den Stiletto, sagte sie sich schließlich – und machte sich auf den Weg zu dem Hochhaus, in dessen oberster Etage sich die Büros von Leo-Design befanden.

Der Lift schien eine kleine Ewigkeit zu brauchen, um sie nach oben zu bringen. Als er schließlich anhielt und sich die Türen öffneten, stand davor kein Geringerer als Frederick K persönlich, der offensichtlich nach unten fahren wollte.

Er schnauzte gerade jemanden per Handy an und beachtete sie nicht. Er hatte sie noch nie beachtet. Für so etwas hatte er seine Untergebenen.

Sarah ging unbemerkt an ihm vorbei den Korridor entlang. Warum war Frederick K hier? Womöglich wegen des Schuhs? Hatte Caleb sie an den Designer verraten?

Das würde er ihr jetzt sofort sagen!

Sie rauschte an seiner Vorzimmerdame vorbei, ohne auf deren Protest zu achten.

„Haben Sie mich verpetzt?“, fragte Sarah aufgebracht, nachdem sie die Tür zu Calebs Büro aufgerissen hatte.

Erstaunt blickte er hoch. „Verpetzt? Bei wem denn? Und weshalb?“

„Ich bin gerade eben vor dem Fahrstuhl Frederick K begegnet. Haben Sie ihm von dem Schuh erzählt?“

„Von dem roten Stiletto, den Sie verloren haben?“, hakte Caleb seelenruhig nach und lächelte. „Nein! Warum hätte ich das tun sollen?“

„Weil es zu Ihnen passen würde“, fauchte sie.

Nun sah er nicht länger amüsiert aus, sondern finster. „Sie haben eine völlig falsche Vorstellung von mir, Miss Griffin!“

„Ach ja? Alle meine Storys über Sie basieren auf gründlicher Recherche, Mr. Lewis. Ich kenne Sie!“

Er stand auf, kam um den Schreibtisch herum und blieb knapp vor ihr stehen. Der angenehm herbe Duft seines Rasierwassers stieg ihr verlockend in die Nase. Fast wäre sie noch näher an Caleb herangetreten.

Aber nur fast.

„Sie irren sich, Miss Griffin“, widersprach er ihr ruhig mit seiner tiefen Stimme. „Ich bin ganz anders, als Sie mich darstellen.“

Eindringlich blickte er ihr in die Augen, und plötzlich konnte sie keinen klaren Gedanken mehr fassen. Caleb sah sie an, als gäbe es für ihn in diesem Moment keine andere auf der Welt als sie.

Aber das war nur eine Masche! Das wusste keine besser als sie, denn sie hatte ihn ja mit den unzähligen Models selbst gesehen.

Mit einem Herzensbrecher wie ihm ließ sich keine Frau ein, die halbwegs bei Verstand war.

Und das war Sarah durchaus.

Wenn die liebe Sarah nicht gerade unersetzliche Schuhe unerlaubt mit nach Hause nimmt, meldete sich ihre innere Stimme spöttisch.

Ach ja, der Schuh!

„Warum haben Sie mich herbestellt?“, fragte sie schließlich. „Ich hoffe nicht aus Spaß, denn …“

„Möchten Sie nicht wissen, wo der Stiletto ist?“, unterbrach Caleb sie.

Hatte er ihn? Oder wusste er, wo das verflixte Ding war? Das musste sie unbedingt herausfinden, und dazu war Diplomatie nötig. Nur damit konnte sie ihn für sich einnehmen.

Sarah lächelte freundlich. „Ich gebe zu, dass meine Artikel über Sie nicht unbedingt schmeichelhaft waren. Umso mehr weiß ich zu schätzen, wie verständnisvoll Sie sich in Bezug auf den verschwundenen Schuh zeigen.“

Er setzte sich auf den Schreibtisch und verschränkte die Arme vor der Brust. „Ich habe nicht gesagt, dass ich ihn habe oder dass ich ihn einfach so hergebe.“

„Mit einem Schuh können Sie doch überhaupt nichts anfangen, Mr. Lewis!“

„Wer sagt das? Ich kann zum Beispiel einen Tausch vorschlagen. Sie wollen etwas von mir, und ich will etwas von Ihnen.“

„Wenn das Ihre seltsame Art ist, mir eine Affäre mit Ihnen vorzuschlagen …“

Caleb lachte schallend. „Ich versichere Ihnen, dass es mir nicht um Sex geht.“

Das hätte er wirklich nicht so deutlich zu sagen brauchen, dachte Sarah gekränkt. Dabei konnte ihr doch egal sein, was er von ihr hielt. Sie hatte ohnehin nicht die Absicht, seinen Harem zu vergrößern.

Trotzdem wäre es nett gewesen, wenn er sie als Frau wahrgenommen hätte. Nicht als Klatschreporterin.

„Ich möchte, dass Sie einen Artikel schreiben“, fügte er hinzu. „Über meine Firma.“

Das machte sie misstrauisch. Er hielt doch nichts von dem, was sie über ihn berichtete. Warum sollte also ausgerechnet sie einen Artikel schreiben, der seine Firma ins rechte Licht setzte?

„Warum soll ich ihn schreiben?“, fragte sie unverblümt.

„Weil Sie, abgesehen von dem … Schund, den Sie meistens verfassen, die beste Journalistin in Ihrem Verlag sind. Tatsächlich finde ich Ihren Stil geschliffen und witzig.“

Das Kompliment tat ihr gut. Sie war sehr unsicher, was ihre Artikel betraf, und befürchtete jedes Mal, wenn sie etwas geschrieben hatte, der Chefredakteur würde ihren Text zurückweisen.

„Danke sehr“, erwiderte Sarah überrascht.

„Danken Sie mir nicht zu schnell“, warnte er sie. „Mein Angebot hat einen kleinen Haken.“

„Mr. Lewis, ich …“

„Nennen Sie mich doch Caleb! Sonst fühle ich mich wie mein eigener Großvater.“

Sein Lächeln ließ ihr Herz einen Moment lang schneller schlagen. „Schön. Also, Caleb, die Termine für Veröffentlichungen werden Monate im Voraus festgelegt, und ich kann nicht …“

Er stand auf und kam erneut zu ihr. Wieder blieb er dicht vor ihr stehen, sehr dicht … Sie bemerkte, dass seine Augen nicht einfach nur blau waren, sondern eine faszinierende Mischung aus Blau und Grau. Wie der Himmel manchmal, wenn sich ein Gewitter verzogen hatte …

„Wenn Sie wirklich etwas dringend wollen, können Sie es auch durchsetzen“, behauptete er.

Was? Ihn küssen? Denn genau das wollte sie plötzlich. Dringend. Er sah unglaublich sexy aus. Das Jackett hatte er ausgezogen, der offene Kragen seines blütenweißen Hemds ließ ein Dreieck leicht gebräunter Haut frei.

Am liebsten hätte sie sich an Caleb geschmiegt, ganz langsam einen Knopf nach dem anderen geöffnet und die Hände …

Hastig trat sie einen Schritt zurück. „Nein, es geht wirklich nicht. Tut mir leid.“

Ja, schade! Er besaß genau den Charme, der eine Frau veranlasste, alle Vorsicht fahren zu lassen und zu versuchen, diesen Mann mit allen Mitteln für sich zu gewinnen. Das hatte sie oft genug beobachtet. Von Weitem.

Aber aus der Nähe … war er noch umwerfender! Seine Ausstrahlung ließ vermuten, dass er ein großartiger Liebhaber war.

Aber daran durfte sie jetzt nicht denken.

„Tut mir wirklich leid“, wiederholte Sarah, „aber ich bin nicht bereit, meine ethischen Grundsätze über Bord zu werfen und einen Werbetext für Sie zu verfassen, nur um die Leser davon zu überzeugen, dass alles, was ich vorher über Sie geschrieben habe, nicht stimmt.“

„Es geht nicht um mich“, erwiderte Caleb schroff.

„Sondern?“

„Um die Firma! Ich möchte eine Story über Leo-Design, über unsere Pläne, über die verschiedenen Abläufe und was alles damit zusammenhängt. Ich verspreche Ihnen, es wäre absolut exklusiv.“

Plötzlich dachte sie an eine ganz andere Art von Exklusivität, nämlich an eine, die sie zur einzigen Frau machte, der Caleb Lewis seine Aufmerksamkeit schenkte. Wenn sie die Einzige wäre, die mit ihm seine Abende verbringen dürfte … vorzugsweise eng umarmt auf einem dicken Teppich vor dem Kamin ausgestreckt, die Hände auf seinem Körper …

Reiß dich zusammen, ermahnte sie sich streng. Das Letzte, was sie brauchte, war eine Beziehung zu einem notorischen Frauenhelden!

Er würde sich ja ohnehin nicht für sie interessieren. Sie war nicht langbeinig und glamourös genug, sondern … einfach nur sie selbst. Sarah fand sich zwar eigentlich nicht übel, war aber keine Frau, nach der man sich auf der Straße umdrehte. Damit hatte sie sich schon lange abgefunden.

„Wer sagt mir, dass es sich für mich lohnen würde, die Story zu schreiben?“, erkundigte Sarah sich.

„Ich. Ich habe nämlich etwas, das Sie brauchen.“ Er machte eine dramatische Pause. „Den verschwundenen roten Frederick-K-Stiletto.“

Also doch! dachte sie. Nun konnte sich doch noch alles zum Guten wenden.

Caleb hielt ihr die Hand hin. „Also? Abgemacht?“

„Was genau schlagen Sie vor?“, erwiderte sie vorsichtig.

„Sie geben mir, was ich möchte, und ich gebe Ihnen, was Sie möchten.“ Er sah ihr tief in die Augen. „So profitieren wir beide.“

Sie überlegte kurz. Sie hatte sich schon mit den zickigsten Models und grässlichsten Pseudopromis befassen müssen, war also durchaus hart im Nehmen. Bestimmt schaffte sie es, mit Caleb Lewis zusammenzuarbeiten, ohne seinem Charme zu verfallen.

Schließlich kannte sie ihn! Sie wusste, dass er so beziehungsfähig wie eine Amöbe war. Also war sie gegen ihn gewappnet. Es konnte ihr also nichts passieren.

„Na gut, Mr. Lewis … Caleb, meine ich, abgemacht!“, stimmte Sarah endlich zu u...

Autor

Abby Green
<p>Abby Green wurde in London geboren, wuchs aber in Dublin auf, da ihre Mutter unbändiges Heimweh nach ihrer irischen Heimat verspürte. Schon früh entdeckte sie ihre Liebe zu Büchern: Von Enid Blyton bis zu George Orwell – sie las alles, was ihr gefiel. Ihre Sommerferien verbrachte sie oft bei ihrer...
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Lilian Darcy
<p>Die Australierin Lilian Darcy hat einen abwechslungsreichen Weg hinter sich. Sie studierte Russisch, Französisch und Sprachwissenschaften und ging nach ihrem Abschluss als Kindermädchen in die französischen Alpen. Es folgten diverse Engagements am Theater, sowohl auf der Bühne als auch als Drehbuchautorin. Später hat Lilian Darcy als Lehrerin für Französisch und...
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