Küss mich, geliebter Casanova!

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Die unschuldige junge Olivia hat keine Wahl: Um den Familiensitz zu retten, muss sie sich dem letzten Willen ihres Vaters beugen und Playboy Luca Giovanardi heiraten. Immerhin braucht Luca dringend einen seriösen Ruf und ist sofort bereit zu einer Ehe – natürlich nur auf dem Papier! Aber warum prickelt es dann plötzlich so ungeahnt erregend, als sie mit ihm zum Flitterwochenende nach Venedig reist? Ohne es zu wollen, schmilzt sie in Lucas Armen dahin, verzehrt sich immer mehr nach ihm. Doch so hungrig er sie küsst, von Liebe spricht er nicht …


  • Erscheinungstag 31.05.2022
  • Bandnummer 2546
  • ISBN / Artikelnummer 9783751509718
  • Seitenanzahl 144
  • E-Book Format ePub
  • E-Book sofort lieferbar

Leseprobe

1. KAPITEL

An jedem anderen Ort der Welt wäre Olivia lieber gewesen als hier. Aber nachdem sie seiner Assistentin trickreich entlockt hatte, dass Luca Giovanardi heute an dieser hochkarätigen Veranstaltung in Rom teilnehmen würde und sie einen Billigflug in die Ewige Stadt gebucht hatte, der ihr Budget eindeutig überschritt, gab es kein Zurück mehr.

Sie ließ den Blick über die illustren Gäste schweifen. Deren Eleganz und Selbstbewusstsein sorgten dafür, dass sich ihr der Magen zusammenzog. Sie gehörte nicht hierher. Was sie hier sah, war völlig anders als das, was ihr eigenes Leben ausmachte, und alles, was sie gewöhnt war.

Das Fest war in vollem Gange, die Terrasse des exklusiven Restaurants voller reicher Menschen. In der Luft hing der Duft von Jasmin und aufdringlich süßem Parfüm.

Während Olivia die Menge beobachtete, wurde sie von einer vorbeieilenden Frau angerempelt. Automatisch lächelte sie entschuldigend, obwohl sie einfach nur wie angewurzelt dagestanden hatte, voller Angst, sich weiter unter die Gäste zu mischen. Dabei war sie genau deshalb hierhergekommen.

Natürlich stand er im Mittelpunkt, und zwar nicht nur in dem des Festes, sondern auch in dem einer Gruppe von Männern und Frauen, die gebannt an seinen Lippen hingen und den Blick nicht von seinen perfekt symmetrischen Gesichtszügen nahmen.

Wieso musste er nur so attraktiv sein? Das Ganze wäre sehr viel leichter gewesen, wenn er durchschnittlich ausgesehen hätte oder durchschnittlich gewesen wäre. Aber durchschnittlich war an Luca Giovanardi nichts.

Im Internet hatte Olivia vom Sündenfall seiner Familie gelesen, ebenso von seinem wundersamen Wiederaufstieg an die Spitze der Finanzelite. Was sein Privatleben anging, so hatte Olivia nur das Allernötigste überflogen, doch es war genug gewesen, um zu wissen, dass er das genaue Gegenteil von ihr war. Während sie mit ihren vierundzwanzig Jahren noch immer Jungfrau war und noch nie im Leben einen Mann auch nur geküsst hatte, war Luca ein Vollblutmann, ledig seit der lange zurückliegenden Scheidung von einer Frau, mit der er kurze Zeit verheiratet gewesen war. Aus der raschen Abfolge seiner Liebschaften machte er keinen Hehl.

Wollte sie wirklich eine von denen sein?

Olivia befeuchtete sich die Lippen, ihr Mund war plötzlich wie ausgedörrt. Sie schüttelte den Kopf, als könnte sie diesen Gedanken so vertreiben. Sie wollte nicht seine Geliebte sein, vielmehr musste sie seine Frau werden.

Sie spürte, wie ihr Inneres in Aufruhr geriet, schwach erst, dann immer stärker, so wie es seit Jahren immer wieder geschah. Genau genommen seit sie vom Testament ihres Vaters erfahren hatte – und von den Konsequenzen, die sich daraus für sie und ihr Leben ergaben. Doch als sie jetzt hier stand und Luca beobachtete, verwandelte sich der Aufruhr in einen ausgewachsenen Sturm.

Auf der Terrasse mussten sich mindestens zweihundert Gäste befinden, dennoch hob Luca ausgerechnet in dem Moment den Kopf, als Olivia sich in Bewegung setzte, um auf ihn zuzugehen und seine Aufmerksamkeit auf sich zu lenken. Sein Blick auf sie war so direkt, dass sie erschrocken den Mund öffnete. Die Hitze, die dadurch ausgelöst wurde, dass er offensichtlich Gefallen an ihr fand, kam völlig unerwartet. Wie erstarrt blieb sie stehen, außerstande, einen Fuß vor den anderen zu setzen.

Sie hatte Fotos von ihm gesehen – daran mangelte es im Internet nun wirklich nicht –, aber sie hatten Olivia nicht mal ansatzweise auf Lucas leibhaftige, dreidimensionale Präsenz vorbereitet. Oder auf ihre Reaktion auf ihn. Seine Augen waren dunkel wie die Rinde der alten Ulme, die hinter Hughenwood House stand, an einem Regentag, wenn sie feucht schimmerte und glänzte. Ein Schauer lief Olivia über den Rücken. Sie blinzelte und sah rasch weg. Doch selbst während sie auf den mondbeschienen Tiber schaute, der sich durch die Ewige Stadt wand, spürte sie Lucas Blick auf sich ruhen.

Wieder sah sie zu den Gästen. Inständig hoffte sie, dort etwas zu finden, was ihr Halt bot, aber nichts konnte es mit Luca Giovanardis Anziehungskraft aufnehmen. Olivia war verloren.

Als ihre Blicke sich wieder trafen, schmunzelte er, als hätte er gewusst, dass sie ihm nicht würde widerstehen können. Dann wandte er sich erneut den Umstehenden zu, um die Geschichte weiterzuerzählen, mit der er sie in seinem Bann hielt.

Ihr rutschte das Herz in die Hose. Wenn sie ihren Ehemann attraktiv fände, würde ihr Plan nicht funktionieren. Sie brauchte eine geschäftsmäßige Ehe, die ausschließlich dazu diente, ihr Erbe antreten zu können. Zwischen ihnen durfte es keine persönliche Beziehung geben, nichts, was die Dinge noch chaotischer machte, als sie ohnehin sein würden.

Aber wie sollte sie es schaffen, ihn nicht anziehend zu finden? Wenn sie ihre Sexualität auch nicht auslebte, so war sie doch eine Frau und erkannte einen umwerfend attraktiven Mann, wenn er vor ihr stand. Wem konnte schon entgehen, wie verdammt sexy Luca Giovanardi war? Von seinen wie gemeißelten Gesichtszügen, seiner sonnengebräunten Haut und dem dunklen dichten Haar, das aussah, als führe er sich gerne mit den Händen hindurch, bis hin zu seinem eindrucksvollen Körperbau. Er war schlank, muskulös und sehnig. Der offensichtlich maßgeschneiderte Anzug saß an ihm wie eine zweite Haut, doch seine ganze Ausstrahlung war viel zu sinnlich für eine so elegante Garderobe. Er hätte nackt sein sollen.

Bei diesem Gedanken straffte Olivia sich erschrocken, doch bevor sie es verhindern konnte, setzte sich das Bild eines unbekleideten Luca in ihrem Kopf fest. Obwohl es bei den Details aufgrund ihrer mangelnden Erfahrung sicher zu Ungenauigkeiten kam, genügte es, um ihre Wangen zum Glühen zu bringen.

Eines jedenfalls war sicher: Luca war kein Mann, dem man aus heiterem Himmel einen Heiratsantrag machte. Selbst das einzige Druckmittel, das sie in der Hand hielt, erschien ihr plötzlich zu schwach.

Warum sie diese Ehe unbedingt brauchte, war Olivia vollkommen klar. Doch wieso sollte sich ein Mann wie Luca, dem die ganze Welt aus der Hand fraß, auf das einlassen, was sie ihm vorschlagen wollte?

Sie zwang sich, sich in Bewegung zu setzen, doch anstatt zu Luca trugen ihre Beine sie in die entgegengesetzte Richtung, weg von den Gästen und hin zu einem ruhigen Tisch voller leerer Gläser. Auf einer umgedrehten Getränkekiste saß ein Kellner und rauchte eine Zigarette.

Olivia gab vor, ihn nicht zu bemerken, und ging zu dem Geländer am Tiber. Sie stützte sich darauf und starrte in den Fluss. Ihr Magen war wie zugeschnürt.

Du Feigling.

Willst du wirklich wieder abreisen, ohne ihn zu fragen?

Hast du wirklich jemals geglaubt, du würdest das durchziehen?

Nicht dass sie Sienna oder ihrer Mutter Angelica etwas von ihrem Vorhaben erzählt hätte; sie würden ihr also auch keinen Vorwurf machen können. Trotzdem, wie sollte Olivia ihnen jemals wieder ins Gesicht sehen können, wenn sie doch wusste, dass sie es in den Händen gehabt hatte, ihre Zukunft zu sichern, dann aber bereits an der ersten Hürde gescheitert war?

Kurz drohten ihr die Tränen zu kommen, aber es war schon lange her, dass sie geweint hatte, vor allem, wenn die Gefahr bestand, dass jemand sie dabei beobachtete. Also biss sie sich auf die Lippe, bis der Moment vergangen war. Dann straffte sie sich und wandte sich vom Fluss ab. Sie würde auf das Fest zurückkehren, ihre Optionen abwägen und sich der Aufgabe stellen, vor der sie eine Riesenangst hatte.

Der Kellner war zwar verschwunden, aber in der Luft hing noch immer kalter Zigarettenrauch. Olivia zog die Nase kraus und drehte den Kopf weg. Doch so sah sie nicht, wohin sie ging, und prallte gegen einen Oberkörper, der so hart war wie Granit.

„Oh!“ Sie wich zurück. „Tut mir leid, ich habe Sie nicht gesehen“, entschuldigte sie sich, bevor sie erkannte, dass es Luca Giovanardi war, der sie festhielt, damit sie nicht den Halt verlor.

„Wir wissen beide, dass das gelogen ist“, gab er mit einer tiefen Stimme zurück, die so sinnlich war, wie Olivia es noch nie gehört hatte. Ihr Herz raste, als sie sich ihrem schlimmsten Alptraum gegenübersah.

Sie wich zurück, brauchte mehr Platz. Hastig sah sie sich um und wünschte sich plötzlich den Kellner zurück.

„Gehen Sie schon?“, platzte sie heraus.

Statt zu antworten, lächelte Luca sie nur träge an. Sie versuchte, sich davon nicht beeindrucken zu lassen, doch es misslang. Nichts in ihrem bisherigen Leben hatte sie auf das hier vorbereitet.

„Nein.“

„Oh.“ Ihre Erleichterung war übergroß, denn das bedeutete, dass sie noch eine Chance hatte. „Gut.“

Ihre Blicke trafen sich, und sein Interesse an ihr war unübersehbar. Herr im Himmel, das hier wurde immer schlimmer! Schlimm genug, dass sie sich ausgemalt hatte, ihn nackt zu sehen. Aber sich vorzustellen, dass es ihm vielleicht ähnlich ergangen war …

„Daraus darf ich wohl schließen, dass Sie sich auch noch nicht verabschieden wollen?“

„Ich … nein. Warum?“

„Hier ist der Ausgang.“ Er deutete mit dem Kopf in Richtung Garten.

„Oh. Ich … nein. Ich habe nur einen Moment für mich gebraucht.“

Er hob eine Augenbraue. „Und jetzt, bella? Hatten Sie genug Zeit?“

Bella? Schöne?

Es schauderte sie. Sie war nicht schön. Jedenfalls versuchte sie verzweifelt, es nicht zu sein. Sie wollte nicht so aussehen, dass sie den Männern gefiel. Sie würde nicht werden wie ihre Mutter – zuerst angebetet für ihr Aussehen und dann genau deshalb gehasst, weil es ihr Macht verlieh. Das war auch einer der Gründe, warum sie sich geweigert hatte, sich für heute Abend herauszuputzen. Sie hatte sich für eine schlichte schwarze Hose und eine cremefarbene Leinenbluse entschieden – nichts, was Aufmerksamkeit auf ihre Figur oder auf sie insgesamt ziehen würde.

„Olivia“, stellte sie sich eilig vor und verkniff es sich, auch ihren Nachnamen zu nennen.

„Luca.“ Er streckte die Hand aus, als wollte er ihre zur Begrüßung schütteln, doch als sie danach griff, führte er ihre Hand an seine Lippen und küsste sie zart. Es war nur eine leichte Berührung, dennoch reagierte ihr zentrales Nervensystem extrem.

Hastig zog Olivia ihre Hand zurück. Ihr Blutdruck musste mittlerweile jeden gesunden Wert überschritten haben.

„Ich weiß.“ Ihre Stimme war kaum mehr als ein Krächzen. Sie räusperte sich. „Genau genommen …“ Sie grub die Fingernägel in die Handflächen. „Du bist der Grund, warum ich heute Abend hier bin.“

Sein Gesichtsausdruck blieb unverändert, doch Olivia bemerkte, wie er die Muskeln leicht anspannte.

„Ach ja?“ Er klang skeptisch. „Und wie kommt das?“

„Ich muss mit dir reden.“

„Aha.“ Lag da etwa Enttäuschung in seinem Blick?

Sie hatte sich vorhin geirrt. Mit Rinde hatten seine Augen nichts gemeinsam, dieser Vergleich war viel zu profan. Vielmehr waren sie dunkel wie der Nachthimmel und faszinierender als alles, was sie bisher gesehen hatte.

„Nun?“, hakte er gedehnt nach. „Worüber möchtest du denn reden?“

Ihr Herz hämmerte. Sag es. Aber wie, um alles in der Welt, sollte Olivia Thornton-Rose hier stehen und Luca Giovanardi einen Heiratsantrag machen? Die Vorstellung war so absurd, dass Olivia plötzlich auflachen musste. Sie fuhr sich mit den Fingern über die Augenbrauen, während sie nach den richtigen Worten suchte.

„Es gibt üblicherweise zwei Gründe, aus denen Frauen mich ansprechen“, sagte er mit ruhiger Stimme. „Entweder wollen sie über eine ‚Investitionsgelegenheit‘ reden …“ Er malte Anführungsstriche in die Luft. „Oder ein … privateres Arrangement treffen. Um welches von beidem geht es dir?“

Sie sog die Luft ein. Seine Arroganz traf sie unerwartet, aber seine Art machte es ihr auch leichter, denn in diesem Moment erinnerte er sie an ihren Vater – was ihr dabei half, sich dem zu stellen, weshalb sie hergekommen war.

„Wenn dieses Gespräch unbedingt in eine dieser Kategorien passen soll, ist es ganz sicher die erste und nicht die zweite.“

Luca musterte sie länger als nötig. Dann ließ er den Blick zu ihrem Mund wandern, wo er auf ihrer Haut zu brennen schien.

„Wie schade“, murmelte er. „Zurzeit bin ich nicht an Investitionen interessiert. Eine private Verbindung hingegen wäre verlockend gewesen.“

Ihr Magen begann zu flattern, und der Atem brannte in ihrer Lunge.

„Ausgeschlossen“, brachte sie mit Mühe hervor. „Daran habe ich keinerlei Interesse.“

Sie sah ihm an, dass er ihre Lüge durchschaute. War sie so leicht zu lesen? Natürlich, schließlich war sie völlig unerfahren. Wie sollte sie da verbergen, was ein Mann wie Luca in ihr auslöste?

„Dann wüsste ich nicht, was wir zu besprechen hätten.“

Tu es. Bring es hinter dich. Was soll schon passieren? Er kann höchstens Nein sagen.

„Ich weiß von der Bank, die du zu kaufen versuchst.“

Er betrachtete sie mit neuem Interesse.

„Jeder weiß von dem Angebot, das ich unterbreitet habe.“

„Ja.“ Sie lächelte leicht, um die Spannung, die sich zwischen ihnen aufgebaut hatte, zu lösen. Es misslang. „Natürlich, es ist ja kein Geheimnis.“

Er antwortete nicht.

„Du möchtest eine Bank kaufen, eine der ältesten Europas, und der Vorstand will nicht an dich verkaufen, weil du den Ruf eines Playboys hast. Dort ist man sehr konservativ, und du … du bist es nicht.“

Kurz sah er wütend aus, bevor seine Miene wieder unbewegt wurde. Seine Selbstbeherrschung war bewundernswert.

„Außerdem ist dein Vater …“

„Mein Vater geht dich nichts an“, unterbrach er sie barsch.

Dass er so heftig reagierte, kam unerwartet. Anscheinend waren die Wunden immer noch nicht verheilt. Obwohl bereits zwölf Jahre vergangen waren, schien sich Luca noch immer nicht von dem Skandal erholt zu haben, den sein Vater verursacht hatte und der seiner ganzen Familie geschadet hatte.

„Das stimmt nicht ganz.“

Er kniff die Augen zusammen. „Aha. Ich verstehe. Geht es um einen seiner Kredite? Schuldet er dir Geld?“ Er runzelte die Stirn. „Aber du bist noch so jung. Schuldet er jemandem Geld, den du liebst?“

Olivias Herzschlag geriet ins Stolpern. Jemandem, den sie liebte? Gab es so jemanden überhaupt? Sienna, ihre Schwester, natürlich. Aber sonst? Für ihre Mutter empfand sie Mitleid, und sie fühlte sich ihr gegenüber verpflichtet, aber Liebe? Dafür war ihre Beziehung viel zu kompliziert.

„Das ist es nicht.“

„Dann komm doch einfach zur Sache.“ Luca blähte die Nasenflügel. „Sag mir, worum es geht.“

„Ich versuche es ja“, sagte sie durch zusammengebissene Zähne. „Aber du kannst ziemlich einschüchternd wirken, wusstest du das?“

Ihre Ehrlichkeit schien ihn zu überraschen. Er trat einen Schritt zurück, neigte den Kopf und atmete einmal tief ein und aus, bevor er sie wieder ansah.

„Ich bin nun einmal so, wie ich bin.“

„Ich weiß. Hab bitte etwas Geduld. Das hier ist nicht gerade leicht für mich.“

Er verschränkte die Arme vor der Brust – eine Geste, die nicht gerade großes Verständnis ausdrückte. Sie biss sich auf die Unterlippe, hörte aber sofort auf damit, als sie seinen Blick auf ihren Mund bemerkte.

„Vielleicht sollte ich mit meinem Vater anfangen, nicht mit deinem. Ich nehme an, du hast von ihm gehört. Thomas Thornton-Rose.“

Lucas Haltung veränderte sich. „Er war ein Freund meines Vaters und hat ihn während des Prozesses unterstützt. Es gab nicht viele, die das getan haben.“

„Sie waren sehr eng befreundet“, bestätigte Olivia leise. Nicht zum ersten Mal fragte sie sich, ob Luca von dem Testament wusste, doch seine Miene gab nichts preis.

„Er starb, kurz nachdem mein Vater ins Gefängnis musste. Ich kann mich an die Schlagzeilen erinnern.“

„Ja.“ Olivia blinzelte und sah weg. „Sein Tod kam völlig unerwartet.“ Sie zog die Brauen zusammen. „Er war vorher nicht krank, hatte gar nichts. Niemand von uns hat damit gerechnet …“ Sie schluckte und versuchte den Kloß in ihrem Hals zu ignorieren.

„Das tut mir sehr leid.“

„Das muss es nicht“, tat sie sein Mitgefühl ab.

Auf ihre kühle Reaktion hin hob Luca eine Augenbraue.

„Kurz nach seinem Tod wurde sein Testament eröffnet. Du weißt, dass wir zum britischen Adel gehören? Wir besitzen sehr viel Land und Geld, das in verschiedenen Investitionen angelegt ist.“

„Ich weiß eigentlich nicht mehr, als ich dir schon erzählt habe.“ Er zuckte träge mit den Schultern. „Warum?“

Wieder lachte Olivia leicht hysterisch auf. Er wusste nichts von alledem oder von ihr?

Panik breitete sich in ihr aus. Sie hatte darauf gebaut, dass er wenigstens ansatzweise im Bilde war, doch sie hatte sich getäuscht. Aber sein Vater saß ja schon seit geraumer Zeit im Gefängnis, und vermutlich tauschten sie sich nicht gerade regelmäßig über ihre Leben aus. Sie würde also ganz von vorne beginnen müssen.

„Als mein Vater gestorben ist, hat sich herausgestellt, dass sein Besitz auf recht ungewöhnliche …“, und grausame, fügte sie im Stillen hinzu, „… Weise aufgeteilt werden sollte. Meine Mutter sollte gar nichts erben und meine Schwester und ich nur, wenn wir bis zu unserem fünfundzwanzigsten Lebensjahr besondere Bedingungen erfüllen.“

Seine Miene war unbewegt. „Und was für Bedingungen sind das?“

Sag es. Hör auf, dich fertigzumachen. Er wird Nein sagen, und du fährst wieder nach Hause.

Und dann? Willst du deine Mutter aus dem Familiensitz werfen? Die Schlüssel deinem furchtbaren Cousin Timothy übergeben?

„Nun, die sind recht eindeutig. Weißt du, mein Vater war sehr …“ Sie suchte nach einem Wort, das weniger abfällig als „frauenfeindlich“ klang. „… altmodisch.“

Luca legte den Kopf zur Seite. „Und das ist ein Problem?“

„Er hat nie geglaubt, dass Frauen ihre finanziellen Angelegenheiten selbst regeln können. Als meine Eltern geheiratet haben, hat meine Mutter ihm ihre gesamten Ersparnisse übertragen. Sie war früher Schauspielerin und vor allem hier in Italien sehr erfolgreich. Damals hat sie gut verdient, aber sie war auch sehr jung, gerade einmal zwanzig, und er neunzehn Jahre älter. Sie hat ihn geliebt.“

Bei den letzten Worten schwang Verachtung in ihrer Stimme mit. Aufhorchend beugte Luca sich ein Stückchen zu ihr hinüber.

„Sie hat ihm vertraut.“ Olivia schaffte es nicht, ihre Emotionen völlig zu verbergen, doch wie groß ihre Wut auf ihren Vater wirklich war, verriet sie nicht. Er hatte das Vertrauen seiner jungen Frau missbraucht, weil Angelica einen einzigen Fehler begangen hatte. Für diese Unbesonnenheit war sie jeden Tag bestraft worden, egal, wie sehr sie auch versucht hatte, die Dinge wieder ins Lot zu bringen, egal, wie oft sie um Verzeihung gebeten hatte. Olivia sah Luca in die Augen. „Mein Vater hat sich um alle finanziellen Fragen gekümmert. Als er gestorben ist, hatte sie deshalb keine Ahnung, wie die Dinge standen. Sie konnte nicht wissen, dass er alles so manipuliert hatte, dass sie nichts, aber auch gar nichts, bekommen würde.“

„Wieso hat er das denn gemacht?“

Seine unüberhörbare Fassungslosigkeit berührte etwas tief in ihrem Inneren.

„Er war sauer auf sie.“ Olivia räusperte sich. Die Brutalität des letzten Racheaktes ihres Vaters saß seit Jahren wie ein Stachel in ihrem Fleisch. „Als er starb, war das längst Geschichte, ein lächerlicher Fehler, den meine Mutter vor vielen, vielen Jahren begangen hatte. Es gibt nichts, was seine Entscheidung rechtfertigt.“

Luca presste die Lippen aufeinander. Als Olivias Blick auf seinen Mund fiel, breitete sich plötzlich heiße Glut in ihrem Unterleib und von dort aus in ihrem ganzen Körper aus. Sie raubte ihr den Atem und ließ ihre Knie weich werden.

Sie zwang sich, den Blick abzuwenden, und versuchte zu verstehen, was da gerade passiert war. Fakt jedenfalls war, dass ihr körperliches Verlangen nach Luca etwas war, vor dem sie am liebsten davongelaufen wäre. Olivia hielt sich für ausgesprochen gut darin, ihre Gefühle zu verbergen, aber andererseits verstand sie die sonst auch sehr viel besser.

„Er hatte nie vor, auch nur einen Teil des Familienvermögens meiner Mutter, Sienna oder mir zu hinterlassen.“

„Ich verstehe das nicht. Hat er denn noch andere Kinder, vielleicht aus einer früheren Beziehung?“

Sie lächelte gequält. „Wenn es doch so einfach wäre, aber es gibt nur uns. Um sicherzugehen, dass das Geld in guten Händen ist, hat er in seinem Testament verfügt, dass Sienna und ich mit spätestens fünfundzwanzig Jahren verheiratet sein müssen. Erst dann wird unser Erbteil rechtmäßig auf uns übergehen. Erst dann, glaubte er, wäre sein Geld sicher.“

„Und deine Mutter?“

„Ihr wurde ein sehr bescheidener Unterhalt gewährt, der jedes Jahr geringer wird und ganz ausläuft, wenn wir fünfundzwanzig werden. Mein Geburtstag ist nächsten Monat.“

Luca presste die Zähne aufeinander und stieß einen leisen Fluch aus.

„Bei allem Respekt, dein Vater klingt wie ein echter Idiot“, urteilte er dann.

Belustigt sah sie ihn an. Wäre die Situation nicht so verdammt ernst gewesen, hätte sie vielleicht sogar gelacht.

„Er war sehr … festgefahren in seinen Anschauungen.“ Sie verstand selbst nicht, warum sie sich ihrem Vater gegenüber noch immer zu Loyalität verpflichtet fühlte. Selbst nach allem, was er getan und nachdem er ihrer aller Leben in einen Albtraum verwandelt hatte, fühlte sie sich noch immer genötigt, ihn zu verteidigen.

Luca machte ein Geräusch, als würde er ihre Umschreibung für wenig treffend halten.

„Ich wäre nicht hier, wenn ich nicht vollkommen verzweifelt wäre. Ich war erst zwölf, als mein Vater gestorben ist. Ich hatte keinerlei Kontrolle über unsere Finanzen und keinen Einblick in die Ausgaben meiner Mutter. Sie hat enorme Schulden angehäuft, alle Kreditkarten überzogen und sogar einen riesigen Kredit mit unserem Haus als Sicherheit aufgenommen und das Geld ausgegeben. Als ich alt genug war, um zu verstehen, was da vor sich ging, war die Situation bereits katastrophal. Ich habe es versucht, Luca. Ich habe versucht, die Dinge in Ordnung zu bringen, aber der Schuldenberg ist zu hoch. Ich muss mir Jobs in der Nähe unseres Familiensitzes suchen, und das schränkt meine Möglichkeiten ziemlich ein. Außerdem habe ich keine Ausbildung.“

Überrascht darüber, wie viel sie ihm offenbarte, schüttelte Olivia den Kopf. Doch jetzt, wo sie einmal zu reden begonnen hatte, konnte sie nicht mehr aufhören.

„Jahrelang haben wir unterhalb der Armutsgrenze gelebt. Ich habe gespart, wo ich nur konnte, und alles versucht, aber es ist sinnlos. Wenn es nur um mich ginge, würde ich Hughenwood House einfach verlassen und nie wieder zurückblicken. Aber ich kann meine Mutter nicht mit Hundertausenden Pfund Schulden sitzen lassen. Ich darf nicht zulassen, dass mein Vater Mum und Sienna das antut.“ Nicht nach allem, was er schon bei ihnen angerichtet hatte. „Damit lasse ich ihn nicht durchkommen.“

Die letzten Worte sprach sie leise und entschlossen aus; sie kamen aus tiefstem Herzen.

„Es klingt immer noch, als sei dein Vater ein Idiot. Aber ich verstehe nicht, warum du hierhergekommen bist und mir das alles erzählst. Glaubst du, mein Dad hat irgendeinen Einfluss auf dieses Testament?“ Er musterte sie prüfend. „Wenn das so ist, muss ich dich leider enttäuschen. Unser Kontakt ist nicht der beste. Glaube mir, es wäre besser, wenn du ihn direkt ansprechen würdest.“

„Nein, darum geht es nicht.“ Sie wedelte mit einer Hand und kniff sich dann in den Nasenrücken. „Wenn ich nicht sehr bald heirate, geht das Erbe an meinen Cousin, so sieht es das Testament vor. Nicht nur das Geld, sondern vor allem unser Zuhause, der Familiensitz.“ Zu Olivias Leidwesen brach ihr die Stimme.

Trotzig hob sie das Kinn. Sie war wütend darüber, dass sie so schwach wirken musste, und noch mehr, weil ihr noch immer so viel an ihrem Zuhause lag, trotz der vielen Tragödien, die sich hinter den alten Mauern abgespielt hatten.

„Es ist das einzige Zuhause, das meine Mutter hat, und es würde sie umbringen, wenn sie es verlassen müsste“, schloss sie.

„Ich bin kein Heiratsvermittler, cara.“ Luca verschränkte die Arme vor der Brust. „Außerdem kann ich mir kaum vorstellen, dass es für dich schwierig wäre, einen Mann zu finden, der sich bereit erklärt, deinen Bräutigam zu spielen.“

Noch während er sprach, senkte er den Blick auf ihre Brüste, deren Konturen unter der weiten Leinenbluse kaum auszumachen waren. Trotzdem wurde es Olivia am ganzen Körper heiß, und zu ihrem Entsetzen spürte sie, wie sich ihre Brustspitzen hart aufrichteten. Sie sah auf seine Hände und wusste plötzlich, was sie wollte, nein, brauchte: Lucas Berührung, intim und am ganzen Körper.

Sie unterdrückte ein Stöhnen und blickte rasch weg. Es brauchte ihre ganze Willenskraft, um weiterhin kühl und distanziert zu wirken.

„Irgendein Mann reicht nicht.“ Ihre Stimme klang hölzern. „Auch was das angeht, war mein Vater sehr präzise.“

Das Schweigen zwischen ihnen war ohrenbetäubend, und Olivias Nerven waren zum Zerreißen gespannt. Ahnte er, was als Nächstes kommen würde? Sie riskierte einen Blick in sein Gesicht, wurde aus seiner Miene aber nicht schlau.

„Ich muss dich heiraten, Luca. Sonst niemanden. Dich.“

2. KAPITEL

Luca schien ein selbstbeherrschter, starker Mann zu sein, doch in diesem Moment wirkte er völlig überrumpelt.

„Hast du gerade gesagt …“

„Dass ich dich heiraten muss“, bestätigte Olivia. Sie zwang sich, ihm ruhig in die Augen zu sehen, obwohl zwischen ihnen Funken zu sprühen schienen, die ihren Puls zum Rasen brachten. „Und dass es auch für dich vorteilhaft wäre.“

„Das ergibt überhaupt keinen Sinn.“

„Ich weiß.“ Sie biss sich auf die Lippe. „Ich hatte wirklich gehofft, du wüsstest von dieser Geschichte.“

„Mein Dad und ich sprechen nicht mehr miteinander.“

„Aber unsere Väter haben diese Vereinbarung vor langer Zeit getroffen. Ich hatte angenommen, dass er irgendwann in all den Jahren …“

„Mit mir hat niemand darüber gesprochen.“

„Mit mir auch nicht. Ich habe zum ersten Mal davon erfahren, als Dads Anwälte in Hughenwood House aufgetaucht sind.“

„Woher weißt du, dass ich die Bank kaufen möchte?“

„Zu kaufen versuchst“, korrigierte Olivia ihn tapfer. Denn sein Wunsch, das Bankhaus zu kaufen, und die Entschlossenheit des Vorstandes, Lucas Angebot abzulehnen, waren das einzige Pfund, mit dem sie wuchern konnte. „Ich habe im Internet davon gelesen. Warum?“

„Dann hast du mich also gegoogelt, bevor du hergekommen bist?“

„Na ja, da ich gekommen bin, um einem Mann, dem ich noch nie begegnet bin, einen Heiratsantrag zu machen, habe ich mich selbstverständlich vorbereitet.“

Autor

Clare Connelly
Clare Connelly liebt Liebesromane – von Jane Austen bis  E L James. Nachdem sie lange erfolgreich Selfpublisherin war, ging 2017 ihr Traum in Erfüllung, als ihr erstes  Buch bei einem Verlag erschien. Seitdem ist sie nicht mehr zu stoppen. Clare liest und schreibt leidenschaftlich gerne, und lebt in einem kleinen...
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