Liebesfinale in Penhally Bay

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Wie gebannt blickt Josh auf Megan, die in der Klinik plötzlich vor ihm steht. Die Ärztin war offenbar zufällig am Strand, als seine Mutter dort kollabierte. Ausgerechnet sie, seine große Liebe, der er einst so weh tun musste! Ist sie tatsächlich aus Afrika nach Cornwall zurückgekehrt? Und wenn ja: Hat er nun noch die Chance, alles wiedergutzumachen?


  • Erscheinungstag 27.01.2021
  • ISBN / Artikelnummer 9783751505413
  • Seitenanzahl 130
  • E-Book Format ePub
  • E-Book sofort lieferbar

Leseprobe

PROLOG

„Code eins, Dr. Phillips.“ Der Oberarzt rammte den Hörer auf die Gabel. „OP drei.“

Megans Pager meldete sich im selben Moment und zeigte ihr einen schweren Notfall an.

Adrenalin rauschte durch ihren Körper und machte alles andere zur Nebensache. Selbst die Kündigung, die sie gerade unterschreiben wollte. Ihr Ticket in die Freiheit.

Sie ließ den Kugelschreiber fallen und sprang auf. „Gehen wir.“

Bei Code eins ging es um Leben und Tod. Mehr als ein Leben, in diesem Fall. Megan war Kinderärztin, und wenn man sie zu einem Herzstillstand rief, konnte das nur bedeuten, dass unter Umständen ein Neugeborenes reanimiert werden musste. Und dass sie im OP gebraucht wurde, hieß, dass dieses Baby per Notkaiserschnitt auf die Welt kam. Da in der Entbindungsstation des Krankenhauses St. Piran für heute keine Kaiserschnittgeburten auf dem Plan standen, musste die werdende Mutter vor Kurzem eingeliefert worden sein.

Matt und Megan eilten zum Fahrstuhl.

„Verdacht auf Uterusruptur“, sagte er.

Sie nickte, hielt den Knopf gedrückt, als könnte das den Lift zur Eile antreiben. Dann wandte sie sich ab. „Die Treppe. Das geht schneller.“

„Sie wird verbluten, oder?“ Matt blieb dicht hinter ihr. „Das Baby hat kaum eine Chance.“

„Kommt darauf an.“ Megan nahm zwei Stufen auf einmal. „Innere Blutungen können nachlassen oder sogar aufhören, wenn der verfügbare Raum voll ist und der dadurch entstehende Druck die gerissenen Blutgefäße abklemmt. Gefährlich wird es erst, wenn man diesen Raum eröffnet und der Druck nachlässt.“ Sie stieß die Brandschutztür zum OP-Trakt auf. „Aber Sie haben recht. Es ist für Mutter und Kind äußerst kritisch.“

Im Hauptflur war es ruhig. Über OP-Saal drei leuchtete ein orangerotes Blinklicht. Doch Megan sah noch etwas und erstarrte, für Sekunden abgelenkt von ihrem Auftrag.

Am Ende des Flurs, vor den hohen Fenstern, marschierte eine hochgewachsene Gestalt rastlos auf und ab. Jetzt blieb sie stehen, blickte in Megans Richtung.

„Ziehen Sie sich OP-Kleidung an“, sagte sie zu Matt. „Und gehen Sie schon rein, überprüfen Sie, ob alles bereitsteht, was wir für eine Reanimation brauchen. Und checken Sie den Inkubator. Ich komme sofort.“

Die Gestalt kam auf sie zu, eine dunkle Silhouette vor dem schwindenden Tageslicht hinter den Fenstern. Aber Megan wusste genau, wer es war.

Josh O’Hara.

Oh … Gott …

Warum jetzt? Nachdem sie es doch geschafft hatte, ihm seit Monaten aus dem Weg zu gehen.

Seit jenem letzten, herzzerreißenden Kuss.

Sie hätte Josh auch jetzt meiden können. Hätte mit ihrem Oberarzt geradewegs die Umkleideräume und dann den OP betreten können.

Aber es konnte nur einen einzigen Grund geben, warum Josh in diesem Moment in diesem Flur auf und ab tigerte – und nicht am OP-Tisch stand bei einem Fall, der vor wenigen Minuten in seiner Notaufnahme eingeliefert worden war.

Sie merkte erst jetzt, dass sie unwillkürlich den Atem angehalten hatte. Noch nie hatte sie Josh so angespannt, ja verzweifelt erlebt. Nicht einmal, als er ihr sagte, dass er sie liebte, sie aber keine Zukunft hätten.

Oder doch … damals, in jener Nacht, die ihr Leben in einen Albtraum verwandelte. Es war zwar lange her, aber die Erinnerung an Joshs verstörtes Gesicht, wenn auch verblasst, war immer noch da.

Aller guten Dinge sind drei, sagte man. Aller schlechten auch? Sollte dies der dritte Wendepunkt in ihrer gemeinsamen Geschichte sein, die nie unter einem guten Stern gestanden hatte?

Dann war es auch der letzte. Es passte. In wenigen Tagen würde Megan am anderen Ende der Welt sein, dieser unheilvollen Beziehung entkommen. Sie hatte keinen anderen Ausweg gesehen, als Cornwall zu verlassen.

Leider nicht schnell genug. Sonst wäre ihr diese Begegnung erspart geblieben.

Megan holte Luft. „Es ist Rebecca, nicht wahr?“

Seine Frau. Auch wenn sie nicht mehr wie Mann und Frau zusammenlebten, so waren sie immer noch verheiratet.

Josh nickte knapp. Du meine Güte, er sah fürchterlich aus. Er war blass, unrasiert, das Haar zerzaust. Und der Ausdruck in seinen blauen Augen … Verzweiflung, Schuld, der Blick eines getriebenen Mannes.

„Die Babys …“ Die Worte klangen gequetscht, so als müsste er sich zwingen, sie auszusprechen. „Bitte, Megan … gib dein Bestes. Sie lassen mich nicht rein.“

Natürlich nicht. Er war persönlich betroffen. Seine Familie lag in OP drei, seine gesamte Familie. Als wäre es nicht schon schwer genug zu ertragen, dass Rebecca ihm Kinder schenken konnte. Jetzt musste Megan noch einen Schritt weitergehen und dabei sein, wenn sie zur Welt kamen.

Vielleicht hing es von ihr ab, ob Joshs Kinder am Leben blieben.

Hätte sie auch nur einen Moment Zeit gehabt, über diese Ironie des Schicksals nachzudenken, sie wäre durchgedreht. Zum Glück hatte sie diesen Moment nicht.

Trotzdem zögerte sie eine Sekunde, streckte dann spontan die Hand aus und berührte Josh am Arm. Megan wollte noch etwas Beruhigendes sagen, aber ihr fehlten die Worte. Also nickte sie nur knapp und wandte sich ab.

Selbstverständlich würde sie alles tun, um seine Familie zu retten. Wie für jeden ihrer Patienten.

Außerdem hatte Josh damals, vor so vielen Jahren, ihr das Leben gerettet.

Ihre sanfte Berührung brachte ihn fast um seine Fassung.

Josh bekam kaum noch Luft, beinahe hätte er losgeschluchzt. Doch dann riss er sich zusammen und marschierte wieder ans Ende des Flurs, wo er ungestört war, jedoch jederzeit im Blick hatte, wer OP drei verließ oder betrat.

Es ist meine Schuld, haderte er mit sich. Wenn Rebecca starb, trug er die Verantwortung. Warum hatte er zugelassen, dass sie sich seit Wochen weigerte, ihn zu sehen oder mit ihm zu sprechen? Es ginge ihr gut, war das Einzige gewesen, das er von ihr erfuhr. Ihr Hausarzt kümmere sich um sie.

Trotzdem hätte er zu ihr fahren, sich mit eigenen Augen davon überzeugen sollen, dass alles in Ordnung war.

Heute Morgen erst hatte er noch daran gedacht, vor der Arbeit bei ihr zu klingeln. Aber dann … Er scheute davor zurück, seinen Tag damit zu beginnen, das alte Haus zu betreten, die Frau zu sehen, die er einmal geliebt hatte, aber nie hätte heiraten dürfen.

Nur … war das, was er für Megan empfand, nicht der Grund dafür gewesen, dass er Rebecca geheiratet hatte?

Wie verworren sein Leben geworden war! Josh hatte das Gefühl, in einem unentwirrbaren Knäuel von Schicksalsfäden gefesselt zu sein. Angefangen mit seiner Kindheit, als er zusehen musste, wie seine Mutter unter der Untreue seines Vaters litt, wie sie immer wieder enttäuscht wurde, weil ihre Liebe mit Füßen getreten wurde. Wenn lieben nur leiden bedeutet, so hatte er sich damals geschworen, dann wollte er damit nichts zu tun haben.

Trotzdem verliebte er sich, in Megan, in jener ersten gemeinsamen Nacht, und es hatte ihm höllische Angst gemacht.

Also wandte er sich von Megan ab und von allem, was aus dieser Liebe entstehen konnte.

Später heiratete er Rebecca, weil er einsam war. Er mochte sie, respektierte sie, und er liebte sie wie eine gute Freundin. Von dieser Liebe ging keine Gefahr aus, sein Herz, sein Stolz, sein Selbstrespekt waren in Sicherheit.

Jetzt war ihr Leben in Gefahr und das seiner ungeborenen Kinder.

Und Megan, die einzige Frau, die er wirklich geliebt hatte? Die du immer noch liebst … Der Gedanke schlich sich in sein Bewusstsein, quälte ihn. Weil es zu spät war.

Er hatte Megan verloren. Schon vor Monaten.

Josh unterdrückte ein Stöhnen. Er wusste, wie hart es sie ankommen musste, seine Kinder zu retten, Kinder, die er mit einer anderen Frau gezeugt hatte – in einem unbedachten Augenblick, als die Ehe längst nur noch auf dem Papier bestand und Megan sich wieder Hoffnungen machte. Auch wenn sie ihm nie Kinder schenken konnte seit jener schicksalhaften Nacht, als er sich entscheiden musste zwischen ihrem und dem Leben ihres gemeinsamen Sohnes.

Blicklos starrte er vor sich hin. Er war ein intelligenter Mann, leitete die Notaufnahme des St. Piran Hospitals. Warum traf er dann immer wieder fatale Entscheidungen, wenn es um Beziehungen zu Frauen ging?

Er war brillant in seinem Job, er rettete Leben.

Aber er besaß ein mindestens genauso ausgeprägtes Talent, Herzen zu brechen.

Es war sein Fehler, dass Rebecca nicht rechtzeitig medizinische Hilfe bekommen hatte, um diese Katastrophe zu verhindern.

Seine Schuld, dass Megan damals schwanger geworden war.

Seine Schuld, dass sie das Baby verloren hatte und nie wieder Kinder bekommen konnte.

Kein Wunder, dass Megan ihn auf der Hochzeit seiner Schwester Tasha geschnitten hatte. Er hatte ihr nicht nur ein, sondern zwei Mal wehgetan.

Immer, wenn er in seinem Leben an einen Punkt kam, an dem er die Kontrolle zu verlieren und verletzlich zu werden drohte, dann erstarrte er innerlich zu Eis. Seine Liebe zu Megan hatte ihm Angst gemacht, weil sie Macht über ihn besaß. Die Macht, ihn zu zerbrechen. Also wich er zurück, hielt sich an das, was ihn sicher machte.

Er war ein emotionaler Feigling.

Oder ein Kontrollfreak?

Bei seiner Karriere hatte es ihm geholfen, hatte ihn angetrieben, Schritt für Schritt höher die Leiter hinauf. Professionell konnte er mit jedem umgehen, aber sobald es um Gefühle ging, benahm er sich wie ein Elefant im Porzellanladen.

Wie sollte er da ein guter Vater werden?

Vielleicht endete er wie sein eigener Vater. Nutzlos, von den eigenen Kindern zutiefst verachtet.

Vielleicht ließ er auch alle seine Kinder im Stich, sodass sie erst gar keine Lebenschance hatten.

Nein!

Fast hätte er das Wort hinausgebrüllt.

Diese Babys würden nicht sterben.

Megan würde es niemals zulassen.

Leblos lag das Baby da.

Die Schwester hatte es zu Megan gebracht, ihr einen besorgten Blick zugeworfen und war wieder an den OP-Tisch zurückgeeilt. Das zweite Baby musste noch geholt werden.

Megan hätte die Wiederbelebungsmaßnahmen im Schlaf herunterbeten können: Atemwege überprüfen, gegebenenfalls freimachen, Atmung prüfen, gegebenenfalls Sauerstoff verabreichen, beatmen, Kreislauftätigkeit prüfen, eventuell Herzmassage, Medikamente verabreichen.

Daran, dass dies Joshs Kind war, würde sie keinen Gedanken verschwenden. Die geringste Ablenkung konnte katastrophale Folgen haben.

„Sauger“, verlangte sie.

Megan achtete darauf, das Köpfchen in der richtigen Position zu halten, um den Atemweg freizuhalten und den weichen Schlauch gerade so weit hineinzuschieben, dass sie keinen Kehlkopfkrampf auslöste, während sie Mund und Nase behutsam reinigte. Matt rieb inzwischen den schlaffen Körper mit einem angewärmten Handtuch ab, um die Lebensgeister zu stimulieren.

Hinter ihnen nahm die Hektik spürbar zu. Die Anspannung des Teams war fast mit Händen greifbar.

„Blutdruck fällt wieder“, warnte der Anästhesist in scharfem Ton. „Ektopische Aktivität erhöht.“

„Wir müssen das zweite Kind herausholen. Schneller absaugen, zum Teufel, ich sehe kaum was …“

Bei Megan tat sich nichts. Das Baby atmete noch immer nicht.

„Beatmungsbeutel“, befahl sie knapp.

Als die Maske auf Mund und Nase des Kleinen lag, pumpte sie gleichmäßig per Hand genau die winzige Menge Luft in den Körper, die die Lungen brauchten. Wieder und wieder.

„Keine Veränderung“, meinte Matt.

„Schockzustand.“ Megan bedeutete einer Schwester, die Beatmung zu übernehmen. „Fangen Sie mit der Herzdruckmassage an, Matt.“

„Wollen Sie intubieren?“ Er legte die Hände um den zarten Rumpf.

„In einer Minute.“ Über die Schulter des Oberarztes sah Megan, dass eine Krankenschwester das zweite Baby auf einem Handtuch hielt, während die Nabelschnur abgeklemmt und durchtrennt wurde. Auch dieses Kind gab kein Lebenszeichen von sich.

Im Grunde brauchten sie ein zweites pädiatrisches Team, aber es stand gerade keins zur Verfügung. Megan und Matt waren auf sich allein gestellt. Wenigstens hatten sie einen zweiten Reanimationswagen.

„Machen Sie weiter mit der Massage“, wies sie Matt an. „Vielleicht braucht er eine Adrenalingabe. Und wir müssen so bald wie möglich einen intravenösen Zugang über die Nabelschnurvene legen. Aber erst sehe ich mir Baby Nummer zwei an.“

Es war ein Mädchen. Genauso leblos wie ihr Bruder.

Oder doch nicht? Nach ein, zwei Atemstößen mit dem Beatmungsbeutel schnappte das Neugeborene nach Luft und versuchte, selbstständig zu atmen. Aber es reichte nicht. Die Herzfrequenz sank.

Nach zehn Minuten war der Apgar-Wert bei beiden Babys immer noch bedenklich niedrig. Sie mussten intubiert und stabilisiert und dann auf die Säuglingsintensivstation gebracht werden.

Sie waren jedoch am Leben, und Megan kämpfte darum, dass es auch so blieb.

Hingegen schien der Kampf auf der anderen Seite von OP-Saal drei verloren.

Während Megan einen winzigen Tubus in den Hals des ersten Babys schob, bekam sie mit, dass der Chirurg den Riss in der Bauchaorta lokalisiert hatte. Aber der Blutverlust war zu hoch und auch durch Infusionen und Medikamente nicht mehr auszugleichen. Rebeccas Herz schlug nicht mehr.

Man versuchte noch, die Mutter zu reanimieren, als Megan anhand der Überwachungsgeräte sah, dass die Babys stabil genug waren, um den Transport zur Intensivstation unbeschadet zu überstehen.

Das zweite Bettchen wurde gerade aus dem OP gerollt, da hörte Megan die müde Stimme des Chirurgen.

„Todeszeitpunkt … sechzehn Uhr dreiundvierzig.“

Novembertage in Cornwall konnten grau und ungemütlich kalt sein, wenn dunkle, regenpralle Wolken am Himmel hingen und ein eisiger Wind durch jede Kleidung drang.

Der Regen hielt sich noch zurück, aber der Hintergrund bei diesem Begräbnis hätte nicht düsterer sein können. Die Trauergemeinde nahm Abschied von einer jungen Mutter, die ihre Babys nie gesehen hatte.

„Hoffentlich wird heute niemand ernsthaft krank“, murmelte jemand, als sie alle in die Kapelle strömten. „Fast jeder, der im St. Piran arbeitet, ist hier anwesend.“

In den Bankreihen wurde geflüstert.

„Wer ist das da links neben Josh?“

„Seine Schwester Tasha. Sie ist mit einem Prinzen verheiratet.“

„Und die Ältere auf der anderen Seite? Seine Mutter?“

„Ja, das ist Claire O’Hara. Ich habe gehört, dass sie nach Penhally Bay ziehen will, um ihm mit den Babys zu helfen.“

Ein paar Reihen weiter saß Albert White, der Direktor des St. Piran, neben Luke Davenport. „Zum Glück geht es den Babys gut“, murmelte er. „Josh sieht furchtbar aus.“

„Es ist alles so traurig.“ Lukes Frau Anna beugte sich leicht vor. „Rebecca war schon lange zutiefst unglücklich. Sicher hat sie gehofft, dass mit der Geburt der Zwillinge alles gut werden wird.“

Sie warf ihrem Mann einen Blick zu, den er sofort verstand – mit der Zeit würde vielleicht alles gut werden, jedenfalls für Josh.

Im hinteren Teil der Kapelle saß eine Frau, die für ihre Tratschsucht verschrien war. Sie beschränkte sich nicht auf bedeutungsvolle Blicke. „Wir werden es erleben“, flüsterte sie ihrer Kollegin zu. „Jetzt, wo seine Frau aus dem Weg ist, wird er sein Schätzchen heiraten, und zwar bald.“

„Halt den Mund, Rita“, zischte ihre Banknachbarin.

Ausnahmsweise schwieg Rita. Neugierig beobachtete sie jeden, der die Kapelle betrat. Das hatte sie seit ihrer Ankunft getan. Und sie war schon früh hier gewesen.

„Wo ist Megan?“, fragte sie schließlich verwundert, als der Organist zu spielen aufhörte und die Zeremonie begann.

„Hast du das nicht mitbekommen?“, kam die spöttische Antwort. „Sie hat das St. Piran gestern verlassen.“

„Wo ist sie hin?“

„Nach Afrika.“

„Aber sie kommt doch zurück, oder?“

„Glaube ich nicht. Sie hat gekündigt und bei Ärzte ohne Grenzen angefangen.“

„Aber …“

„Schsch. Lass es gut sein, Rita. Es ist vorbei.“

1. KAPITEL

Fast zwei Jahre später

Warum um alles in der Welt war sie zurückgekommen?

Penhally Bay in Cornwall zeigte sich an diesem Novembertag von seiner trostlosen Seite.

Und es war kalt, bitterkalt. Megan kam aus dem afrikanischen Sommer, wo an kühlen Tagen immer noch dreißig Grad im Schatten herrschten. Jetzt hatte sie das Gefühl, in einem Kühlschrank zu stehen.

Dass sie in den letzten Wochen stark abgenommen hatte, machte es nicht einfacher. Nach einer zweiten Infektion mit Denguefieber war ihr Körper geschwächt. Ihr Mantel war zu weit geworden, sie konnte ihn wie eine Decke um sich wickeln. Was sie jetzt auch tat, während sie, ihren Koffer neben sich, auf Penhally Bay sah. Das Taxi verschwand den Hügel hinunter.

Graue Wolken bedeckten den Himmel, der aussah, als könnte er jederzeit seine Schleusen öffnen und peitschenden Regen über dem Land ausgießen. Der Ozean wirkte nicht weniger vertrauenerweckend, das Wasser war stahlgrau, auf den aufgewühlten Wellen tanzten Schaumkronen. Die Jachten vor Anker schaukelten wild auf und ab, und die Brandung rauschte wütend auf den nassen dunklen Sand, schluckte gefräßig Meter um Meter, bevor sie sich zurückzog, um erneut anzugreifen.

Möwen kreisten über dem Strand, und ihre klagenden Schreie spiegelten wider, wie Megan sich fühlte.

Es war zu kalt, um noch länger hier herumzustehen. Doch der Anblick ihres Cottages war eher deprimierend als einladend. In der wild wuchernden Hecke konnte man die Pforte kaum erkennen, und im Garten wuchs kniehoch das Unkraut. In den Hängekörben neben der Eingangstür hingen verwelkte Pflanzen, in den Sprossenfenstern fehlten einige Scheiben. Jemand hatte die Löcher mit Pappe notdürftig abgedeckt, aber der Karton wellte sich und drohte sich an manchen Stellen aufzulösen.

Wie lange waren die letzten Mieter schon weg? Seit sie der Wohnungsagentur gekündigt hatte, weil sie nicht dafür sorgte, dass schadhafte Leitungen repariert wurden, und damit die Mieter vertrieb? Mindestens sechs Monate, dachte Megan frustriert. Aber sie war auf einem anderen Kontinent gewesen, viel zu beschäftigt, um eine neue Agentur zu verpflichten. Und sie hatte sich geärgert über die nicht enden wollende Anfragenflut von Immobilienmaklern, die wie die Geier darauf lauerten, Grundstücke in dieser Lage in die Klauen zu bekommen.

Später war sie zu krank gewesen, um sich darum zu kümmern.

Es kostete sie Kraft, die Gartentür aufzustoßen und ihren Koffer den Pfad entlangzuzerren. Unkraut verfing sich in den Rollen, Lavendelsträucher, die lange nicht mehr beschnitten worden waren, kratzten am Stoff.

Megan kämpfte mit den Tränen. Das Cottage war einmal wunderschön gewesen, mit einer ordentlich gestutzten Hecke, einem blühenden Garten und blitzblanken Fensterscheiben. Ihre Großmutter hatte das Häuschen zu einem Schmuckstück gemacht, und auch wenn Megan neben dem Beruf nicht viel Zeit blieb, so hatte sie es doch immer in Ehren gehalten und entsprechend gepflegt.

Um die Erinnerungen an ihre Kindheit zu bewahren, als dieses Cottage und ihre geliebte Gran das Kostbarste in ihrem Leben gewesen waren.

Das, so wurde ihr jetzt bewusst, hatte sie auch hierher zurückgebracht.

Hier waren ihre Wurzeln.

Nicht dass sie hier aufgewachsen war, nein … Nachdem ihre Eltern bei einem tragischen Verkehrsunfall ums Leben gekommen waren, nahm ihre Großmutter in London sie bei sich auf. Aber Gran stammte aus Penhally Bay. Jeden Sommer fuhr sie mit Megan in das malerische Fischerstädtchen an der Küste Cornwalls. Jahr für Jahr mietete sie dieses Cottage, und für Megan war es der schönste Platz der Welt und die Wochen, die sie hier verbrachte, die herrlichste Zeit ihres Lebens.

Als sie schwach und krank war, nachdem sie ihr Baby verloren hatte und beinahe verblutet wäre, nahm sie all ihren Mut zusammen und erzählte ihrer Gran die ganze traurige Geschichte. Ihre Großmutter, schon vom Alter gezeichnet, aber noch immer eine willensstarke Frau, nahm sie unter ihre Fittiche wie damals, als Megan ein kleines verwaistes Mädchen gewesen war. Wir machen Ferien am Meer, entschied sie resolut.

In Penhally Bay fand sie heraus, dass ihr geliebtes Cottage zum Verkauf stand, und zögerte keine Sekunde. Gran und Megan verließen London und zogen nach Cornwall, wo Megan sich in Ruhe erholen konnte.

Deshalb fühlte sie sich hier zu Hause wie nirgends sonst. Zu Hause, das ist da, wohin es dich zieht, wenn du Trost brauchst, dachte Megan. Wenn du dich ausruhen und überlegen musst, wie es mit deinem Leben weitergehen soll. Außerdem konnte sie das Cottage nicht zu einer Ruine verfallen lassen.

Die Haustür klemmte, und Megan musste sich dagegenstemmen. Beim ersten Blick ins Innere sank ihr das Herz in die Magengrube.

Ach, du meine Güte …

Es war noch schlimmer als erwartet. Ein modriger Geruch schlug ihr entgegen, im Flur gammelte der Abfall der letzten Mieter vor sich hin, und in der Küche hörte sie Wasser tropfen. Oder kam das Geräusch oben aus dem Badezimmer? Vielleicht sowohl als auch.

Mutlos starrte sie auf die verwahrlosten Räume, und es kam ihr vor, als würde sie nie die Kraft aufbringen, hier wieder Ordnung zu schaffen.

Am schlimmsten war das Gefühl, so allein zu sein.

Überfallartig tauchten Erinnerungen auf an jene Momente, in denen sie hier nicht allein gewesen war … Nicht dass Josh jemals hier gewohnt hätte, aber hier hatte es geendet.

Megan ging den Flur entlang, betrat die Küche und dachte daran, wie Josh ihr auf genau diesem Weg gefolgt war. Unter ihren Füßen knirschte zersplittertes Glas.

Ihr Herz war schon vor so langer Zeit in tausend Scherben zerbrochen. Warum tat es dann immer noch unerträglich weh?

Weil Josh ihr hier den Krug mit Wasser aus den Händen genommen hatte. Bevor er sie so zärtlich und leidenschaftlich zugleich küsste, als wäre das Ende der Welt gekommen und sie für ihn das Einzige, was wirklich wichtig war.

Hier hatte Josh ihr gesagt, wie sehr er sie liebte.

Um ihr im nächsten Satz zu sagen, dass er diese Liebe vergessen musste, weil seine Frau schwanger war.

Wie von Geisterstimmen wehte das Echo seiner Worte durch ihre Erinnerungen.

Ich liebe dich so sehr. Deshalb fällt es mir unglaublich schwer, zu tun, was ich tun muss.

Es war nur eine Nacht, Wochen, bevor du und ich …

Ich liebe dich, Megan, aber mein Kind soll nicht so aufwachsen wie ich – ohne Vater. Das könnte ich nie zulassen.

In dem Augenblick hatte sie gewusst, dass es vorbei war. Endgültig vorbei. Josh und sie würden niemals zusammen sein.

Und jetzt? Rebeccas Tod änderte nichts. Josh hatte sie belogen, als er sagte, seine Ehe sei am Ende. Er hatte mit Rebecca geschlafen und die Zwillinge gezeugt. Megan wurde klar, dass sie diesen Betrug längst noch nicht überwunden, sondern in Afrika einfach nur verdrängt hatte.

Ihr Handy meldete eine SMS. Sie war von Tasha, der einzigen Freundin, mit der sie in den vergangenen Jahren Kontakt gehalten hatte. Vielleicht, weil Tasha auch aus Penhally Bay weggezogen war. Vielleicht, weil sie bei ihr das Gefühl hatte, dass sie sie verstand. Ausgerechnet Joshs Schwester …

Bist du da? Wie sieht’s aus?

Megan schnaubte und zog einen Wollhandschuh aus, um zu antworten.

Gerade angekommen. Ziemlich chaotisch.

Tasha würde sich fragen, worauf sie das bezog. Auf das Haus? Ihren Gemütszustand? Ihr Leben? Die Antwort kam prompt.

Ich drück dich. Bist du okay?

Wird schon. Danke. Ich ruf dich an.

Megan schickte die SMS ab. Tasha machte sich bestimmt Sorgen um sie. Sie war von Anfang an skeptisch gewesen, weil Megan nach Penhally Bay zurückkehren wollte. Warum erholst du dich nicht irgendwo im Süden, bei uns in San Savarre zum Beispiel? hatte sie gefragt. Oder geh nach London. Die Angelegenheit mit dem Cottage könnte sie auch von dort aus regeln, und sie wäre nicht allein. Charles lebte in London, und es würde ihr guttun, einen Freund in der Nähe zu haben, der die ganze Geschichte kannte.

Ich komme zurecht, hatte Megan Tasha versichert. Natürlich wusste sie, dass Josh das elegante Apartment in St. Piran, das er mit Rebecca bewohnt hatte, verkauft hatte und in die Nähe von Penhally Bay gezogen war. Er brauchte ein großes Haus mit Garten für seine Kinder und seine Mutter, die jetzt bei ihm wohnte.

Zwar herrschte zwischen Tasha und Megan ein stilles Übereinkommen, nicht über Josh zu sprechen. Aber anfangs, nach der dramatischen Geburt, wollte Megan wissen, wie es den Zwillingen ging. Tasha erzählte ihr, dass sie sich wunderbar entwickelten, und zwischen den Zeilen hörte Megan heraus, was für ein großartiger Vater Josh für den kleinen Max und die zarte Brenna war.

Sie erfuhr auch, dass seine Notaufnahme am Krankenhaus von St. Piran zu den besten des Landes zählte. Dass es in seinem Leben keine besondere Frau gab. Dass er sich nur auf seinen Beruf und seine Kinder konzentrierte.

Wahrscheinlich interessierte es ihn nicht im Geringsten, ob Megan wieder in der Gegend war oder nicht. Wenn sie sich über den Weg laufen sollten, dann zufällig. Penhally Bay war nicht groß.

Autor

Alison Roberts
Alison wurde in Dunedin, Neuseeland, geboren. Doch die Schule besuchte sie in London, weil ihr Vater, ein Arzt, aus beruflichen Gründen nach England ging. Später zogen sie nach Washington. Nach längerer Zeit im Ausland kehrte die Familie zurück nach Dunedin, wo Alison dann zur Grundschullehrerin ausgebildet wurde.
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Alison Roberts
Alison wurde in Dunedin, Neuseeland, geboren. Doch die Schule besuchte sie in London, weil ihr Vater, ein Arzt, aus beruflichen Gründen nach England ging. Später zogen sie nach Washington. Nach längerer Zeit im Ausland kehrte die Familie zurück nach Dunedin, wo Alison dann zur Grundschullehrerin ausgebildet wurde.
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