Love & Hope Edition Band 1

– oder –

 

Rückgabe möglich

Bis zu 14 Tage

Sicherheit

durch SSL-/TLS-Verschlüsselung

DREI ROMANE von LINDA GOODNIGHT

DU BIST EIN ENGEL AUF ERDEN
Wade Trudeau ist mit seinen Kräften am Ende: Er muss sich um die Ranch und um seine kleinen Drillinge kümmern. Als sich die hübsche Kyra um den Job als Nanny bewirbt, ist sie ein Geschenk des Himmels! Für seine Babys – und für ihn selbst. Aber sie will nicht lange bleiben …

VERZEIHUNG IST MEHR ALS EIN WORT
In Sundown Valley sind sie, ihr Neffe und ihre Nichte in Sicherheit! Prompt begegnet die hübsche Sage hier ihrem Teenager-Schwarm Bowie Trudeau wieder. Der breitschultrige Rancher glaubt unerschütterlich an das Gute im Menschen – nie darf er erfahren, was Sage getan hat!

WENN DIE HOFFNUNG HELL ERSTRAHLT
Tapfer erträgt Yates Trudeau sein Schicksal: Seit einer Kriegsverletzung kann jede falsche Bewegung zur Lähmung führen. Als er sich in die schöne Reporterin Laurel Maxwell verliebt, steht er vor einem Dilemma. Darf er Laurel erobern, wo doch seine Zukunft ungewiss ist?


  • Erscheinungstag 11.11.2023
  • ISBN / Artikelnummer 8120230001
  • Seitenanzahl 400

Leseprobe

Linda Goodnight

LOVE & HOPE EDITION BAND 1

1. KAPITEL

Wade Trudeau würde noch den Verstand verlieren. Das, was davon noch übrig war.

Er knallte den Telefonhörer auf die Ladestation, drückte sich die Handballen an die Augen und stöhnte.

„Keine Neuigkeiten von der Arbeitsvermittlung?“

Wade sah auf, als sein Cousin Bowie Trudeau, bester Freund und Geschäftspartner, ins Büro der Sundown-Ranch schlenderte.

„Das Problem ist, dass niemand sich um drei Babys kümmern will, schon gar nicht an einem Ort, der so abgelegen ist wie die Sundown-Ranch.“

„Wir sind nur zehn Meilen von der nächsten Stadt entfernt!“

„Es könnten genauso gut tausend sein, so wie die Leute aus der Stadt sich aufführen.“ Keine Frau, nicht einmal ihre eigene Mutter, schien bereit zu sein, für drei kleine Kinder zu sorgen.

„Wir haben es ganz gut hinbekommen – bis Janeys Bruder krank wurde.“

Janey war eine gute Seele mit grauem Pferdeschwanz.

„Ich kann Janey kaum vorwerfen, dass ihr Bruder für sie an erster Stelle steht. Dafür ist die Familie da.“ Wade verzog den Mund. Seine eigene Familie war nicht so fürsorglich. „Zumindest sollte sie dafür da sein. Und die zwei anderen Nannys hatten sich kaum eingerichtet, da haben sie schon wieder ihre Sachen gepackt.“

„Hat sich niemand auf die Handzettel gemeldet, die du in der Stadt verteilt hast?“

Im kleinen Bergstädtchen Sundown Valley ging es noch gemütlich zu. Wenn jemand Hilfe im Garten, beim Babysitten, der Heuernte oder was auch immer suchte, hängten die Leute einfach einen Zettel ans Schwarze Brett in Cafés und Geschäften.

Im letzten Jahr hatten eine einfache Karte und eine Telefonnummer genügt, um einen ganzen Wurf ausgesetzter Kätzchen loszuwerden.

Doch Babys, die von ihrer Mutter im Stich gelassen worden waren, waren anscheinend etwas anderes.

„Keine Seele.“

Wade hörte ein vertrautes Gebrabbel. Eines der Babys war aufgewacht. Wenn er sich nicht beeilte, würde das fünfzehn Monate alte Kind bald ein ohrenbetäubendes Kreischen von sich geben und das gesamte Trio aufwecken.

Er stürzte zum Kinderzimmer und betrat den Raum mit den drei Betten auf Zehenspitzen, um das Baby im Pyjama hochzuheben und rasch mit ihm in den Flur zu entkommen.

„Guten Morgen, Maus“, flüsterte er.

Er hätte wissen müssen, dass das Geplapper von Abby gekommen war. Sie versuchte zu sprechen, seit sie auf der Welt war.

Abby vergrub ihr Gesicht an der Stelle zwischen seinem Hals und der Schulter. Alle seine Babys passten perfekt in diese Mulde.

Tiefe Freude erfüllte Wade. Dies war sein kleines Mädchen. Seine Tochter. Ein Geschenk Gottes. Ganz gleich, wie schwierig der Weg war, er war dankbar für seine Kinder.

Wade atmete Abbys vom Schlaf warmen Duft ein. Ihr Haar roch noch nach dem Bademarathon vom letzten Abend. Wahrscheinlich hatte er es nicht gut genug ausgespült, aber mit einem glitschigen, zappelnden Kleinkind und zwei weiteren in den Startlöchern war jedes Bad eine echte Herausforderung.

Er lernte immer noch dazu und musste sich noch daran gewöhnen, Mom und Dad für die Kinder zu sein. Zwei Cowboys plus drei Babys gleich Chaos.

Er tätschelte Abbys winzigen Rücken und ging in die Küche, um sie mit einem Smoothie glücklich zu machen, während er das Frühstück vorbereitete.

Bowie war schon wieder verschwunden, vermutlich war er draußen, um mit dem Tierarzt zu reden. Als hätten sie nicht schon genug Sorgen, lahmte jetzt auch noch Bulle Fünf.

Kaum hatte er Abby in einen der drei Hochstühle gesetzt, klingelte es an der Tür.

Wade schaute zum Baby, dann zur Tür, und seufzte.

Er war klug genug, kein Baby allein in seinem Hochstuhl zu lassen, nicht einmal für eine Minute. Das hatte er auf die harte Tour gelernt.

Rasch löste er die Sicherheitsgurte und setzte sich Abby auf die Hüfte. Das gefiel ihr gar nicht.

Er hielt ihr den Smoothie an die Lippen und eilte zur Tür.

Dann wünschte er, er hätte das Klingeln ignoriert.

„Keno“, sagte er argwöhnisch.

Ein rotgesichtiger Bud Keno drückte ihm ein Stück Papier gegen die Brust.

„Was ist das?“

„Eine Rechnung für die vier Kälber, die nicht von meinem Bullen stammen.“

„Was kann ich denn dafür?“

„Dein Bulle ist durch meinen Zaun gebrochen, und jetzt habe ich vier Kälber, die nicht in mein Zuchtprogramm passen.“

Lahmte Bulle Fünf etwa deswegen? Hatte er mit Kenos Bullen gekämpft? „Wenn du deine Seite des Zauns instand gehalten hättest …“

Keno reckte ihm drohend einen Finger entgegen. „Achttausend, oder ich verklage dich.“

Während Wade versuchte, die Luft anzuhalten und sich zusammenzureißen, marschierte Keno zu seinem Truck und fuhr mit hoher Geschwindigkeit davon.

Wade zerknüllte die Rechnung mit einer Hand.

„Der Tag fängt ja richtig gut an.“ Er schnupperte an dem Baby. „Und jetzt stinkst du.“

Er schaffte es, die schmutzige Windel zu wechseln, bevor die nächste Störung kam.

Die Türklingel. Schon wieder.

„Mein Gott“, sagte er, den Blick an die Zimmerdecke gerichtet, „wenn das schon wieder Keno ist, könnte es sein, dass ich zuerst zuschlage und anschließend um Vergebung bete.“

Mit seiner Tochter auf der Hüfte, die mit jeder Minute ungehaltener wurde, stürmte er durchs Haus und riss die Tür auf.

„Was ist denn jetzt noch?“, fauchte er.

Eine junge Frau, die vor der Tür stand, machte ein erschrockenes Gesicht und wich zwei Schritte zurück. „Komme ich zu einem unpassenden Zeitpunkt?“

Würde es jemals einen passenden Zeitpunkt geben?

„Tut mir leid. Es ist ein stressiger Morgen.“ Als wollte sie seine Worte unterstreichen, klatschte Abby ihm die Smoothietüte an den Kopf. Er spürte, wie ihm die Flüssigkeit übers Gesicht lief, und wischte sie mit der Hand weg.

Nichts ging über den ersten Eindruck.

„Ich wollte zu Wade Trudeau.“

„Der bin ich.“

„Ich bin Kyra Mason.“ Unsicher sah sie ihn aus großen Augen an. „Sie haben ein Baby?“

Missmutig runzelte er die Stirn. „Sie mögen keine Kinder.“

Sie versteifte sich. „Natürlich mag ich sie. Jeder mag Kinder.“

Seine Mundwinkel zuckten. „Sind Sie sicher?“

Abby patschte in sein Gesicht mit den Bartstoppeln. Er hatte sich heute noch nicht rasiert. Kein Wunder, dass die Frau – Kyra Mason – ihn misstrauisch anstarrte. Wahrscheinlich sah er aus wie ein Verbrecher auf der Flucht.

Hatte er sich heute Morgen überhaupt gekämmt?

Wade schaute von den wachsamen haselnussbraunen Augen der Frau zur Einfahrt und zu dem kleinsten blauen Auto, das er je gesehen hatte. Wollte sie etwas verkaufen? „Was kann ich für Sie tun?“

Sie schob ihre riesige Umhängetasche ein Stück höher und reichte ihm einen vertrauten Handzettel. Er erkannte seine eigene Handschrift.

Oh.

Das könnte vielversprechend sein. Vielleicht nahm sein lausiger Tag doch noch eine Wendung zum Besseren.

Ich danke dir, Herr. Bitte lass sie die Richtige sein. Du weißt, dass ich schnell untergehe.

Er hatte schon mindestens hundert Mal um eine Nanny gebetet. Vielleicht zeigte Gott sich endlich gnädig mit ihm. Allerdings sah Kyra Mason nicht gerade wie die sechzigjährige Großmutter aus, die er sich vorgestellt hatte.

Wade setzte sein nettes Gesicht auf. Falls Kyra Mason wegen des Jobs als Nanny hier war, sollte er sie lieber nicht zu Tode erschrecken.

„Sie wollen sich um die Stellung bewerben?“

Ihr Blick wanderte zu dem Baby. „Vielleicht.“

Wade unterdrückte ein Stöhnen. Was war heutzutage nur mit den Frauen los? Sollten sie nicht allesamt Babys anbeten und sie umsorgen? Diese Frau hatte gesagt, sie würde Kinder mögen, aber das Zaudern in ihrem Blick machte ihn stutzig.

Er war nicht sicher, ob er noch mehr Abfuhren ertrug, vor allem, wenn es um seine Drillinge ging.

Aber er würde sie hereinbitten und sie fragen. Er war verzweifelt.

Er trat von der Tür zurück. „Das Büro ist der erste Raum auf der rechten Seite. Kommen Sie herein.“

Er wartete, bis sie vorbei war und folgte ihr ins Büro der Ranch.

Der Geruch ihres Parfüms wehte hinter ihr her, und Wade schalt sich einen Idioten, weil es ihm gefiel. Das Parfüm einer Frau war eine gefährliche Sache.

Er schüttelte den Kopf, um sich daran zu erinnern, was die letzte Frau mit feinem Parfum ihm und ihren gemeinsamen Babys angetan hatten. Mit Abby auf dem Schoß ließ er sich hinter seinem Schreibtisch nieder.

Kyra wählte einen der Sessel ihm gegenüber. Sie ließ ihre Umhängetasche von der Schulter auf den Boden gleiten und legte eine Aktenmappe auf ihren Schoß. Sie richtete sich kerzengerade auf und faltete die Hände über der Mappe.

Entweder war sie nervös oder eine brave Jungfer. Ihre Haltung war perfekt, die Lippen fest, die Nase zeigte leicht nach oben. Zugegeben, ihre Nase war ganz hübsch. Genau wie der Rest ihres Gesichts. Keine Hollywoodschönheit, aber frisch und gesund wie ein Frühlingsmorgen.

Sie trug ein geblümtes Kleid, das für ein Vorstellungsgespräch einfach perfekt war, dazu vernünftige schwarze Schuhe. Sie hatte glattes, schulterlanges rotes Haar, in dem sich die Sonnenstrahlen verfingen.

Auf irgendeiner männlich-unbewussten Ebene hatte er ihren Glanz bereits wahrgenommen, als er sie auf der Veranda angeblafft hatte.

Sie war hübsch, aber er war nicht auf der Suche nach Schönheit. Die hatte er gehabt. Er wollte eine Frau, die bereit war, seine Kinder zu versorgen, während er arbeitete. Punkt.

„Erzählen Sie mir von sich, Kyra.“ Klang er nicht zu geschäftsmäßig?

Der Rotschopf zückte einen ausgedruckten Lebenslauf und drückte ihn Wade in die ausgestreckte Hand. Ihre Finger berührten sich leicht. Nur ein sanftes Streifen der Haut, dann lehnte sie sich zurück. Seine Hände waren hart und voller Schwielen. Ihre waren weich wie die von Abby.

Er warf den Lebenslauf auf den Schreibtisch, als hätte er plötzlich Feuer gefangen. Unterm Tisch rieb er seine Finger an dem rauen Stoff seiner Jeans. Rau, nicht weich. Das war viel besser.

Abby stürzte sich auf das strahlend weiße Blatt Papier. Wade rettete den Lebenslauf vor ihrem Griff und setzte das zappelnde Kind auf den Fußboden.

Sie krabbelte los, um die Welt zu erkunden. Das Haus war babysicher, trotzdem behielt er sie im Auge.

In seinem privaten Crashkurs in Sachen Kindererziehung hatte er gelernt, dass Babys die unheimliche Gabe besaßen, die Dinge zu finden, die sie nicht finden sollten, egal, wie viel Mühe man sich gab. Er alleine hatte einfach nicht genügend Hände oder Augen. Wie andere Mütter es trotzdem schafften, war ihm ein Rätsel.

Er sah sich den leicht zerknitterten Lebenslauf an. „Sie sind Lehrerin?“ Überrascht runzelte er die Stirn.

„Ich war es. Ich möchte mich verändern.“

„Hatten Sie bereits einen Burnout?“ Er milderte die Frage mit einem leichten Lächeln ab. Wenigstens hoffte er, dass es ein Lächeln und keine Grimasse war.

Kyra erwiderte seinen schwachen Versuch nicht. Stattdessen bildeten ihre Lippen eine schmale Linie, als wollte sie nicht über dieses Thema reden. „So ähnlich.“

Okay, auch gut. Er würde nicht weiter nachbohren. Doch ihre Lehrerausbildung und ihre Erfahrung mit Kindern könnte nützlich sein, wenn es um die Betreuung von Kleinkindern ging.

Während er die durchweg positiven Zeugnisse las, tapste Abby auf die Besucherin zu und plapperte bei jedem unsicheren Schritt vor sich her. Sie tätschelte das Knie der Frau und hinterließ einen Apfelmusfleck auf dem blauen Kleiderstoff.

Aus dem Augenwinkel beobachtete Wade die Szene. Kyra reagierte nicht auf den Fleck, ein großer Pluspunkt für sie. Babys machten Dreck. Sie waren klebrig, müffelten und machten Krach.

Abby streckte ihre pummeligen Ärmchen aus. Ganz selbstverständlich hob Kyra Mason sein kleines Mädchen hoch und nahm es auf den Arm. Falls die ehemalige Lehrerin merkte, dass püriertes Fruchtmus ihr hübsches Kleid beschmutzte, dann kümmerte sie sich nicht darum.

Welche Frau reagierte so unbekümmert?

Wade klappte die Mappe zu. „Macht einen guten Eindruck auf mich. Wann können Sie anfangen?“

Zu behaupten, Wade Trudeaus plötzliche Entscheidung würde sie erschrecken, war eine gewaltige Untertreibung. Kyra blinzelte ein paarmal, um sich wieder zu fassen.

„Halt. Warten Sie, Mr Trudeau.“

„Wade.“

„Wade.“ Sie stotterte. Offenbar hatte sie nicht damit gerechnet, so schnell ein Jobangebot zu bekommen. „Ich bin mir nicht sicher, ob ich die Stelle haben möchte.“

Der gut aussehende Cowboy ließ sich in seinen Stuhl zurücksinken. Er klang verzweifelt. „Liegt es am Apfelmus?“

„Wie bitte? Apfelmus?“ Sie folgte seinem Blick zu ihrem Knie. „Ich war Sonderschullehrerin. Ich hatte schon wesentlich Schlimmeres an meiner Kleidung als püriertes Obst.“

Der Cowboy lehnte den Kopf zurück, schloss die Augen und holte einmal tief Luft.

Eine Sekunde lang tat er Kyra leid. Er sah müde aus. Erschöpft. Unter dem ungekämmten Haar und dem unrasierten Gesicht verbarg sich ein gut aussehender Cowboy, wie eine raue Version von Scott Eastwood.

Die Ärmel seines blauen Hemdes waren bis über die Ellbogen hochgerollt und zeigten muskulöse Unterarme. Er hatte kräftige Hände, eine muskelbepackte Brust und breite Schultern.

Hielt die Arbeit auf einer Ranch alle Cowboys so gut in Form?

Ihr wurde heiß.

Das hier ist ein Bewerbungsgespräch, kein Speeddate.

Um ihre albernen Gedanken zu verbergen, rieb sie ihr Gesicht am Kopf des Babys. Die Kleine roch nach Babyshampoo.

„Was hält Sie dann davon ab?“, fragte er. „Die Stelle ist jetzt frei. Heute. Ich kann Sie gut bezahlen.“ Er nannte eine zufriedenstellende, sogar überraschend hohe Summe, wenn man bedachte, um was für einen Job es sich handelte.

Was die Frage aufwarf, was genau sie tun musste, um so viel Geld zu verdienen.

„Mr Trudeau. Wade. Wir haben noch nicht einmal darüber gesprochen, was Sie genau von mir erwarten. Auf Ihrem Handzettel war von ‚Haushaltshilfe‘ die Rede. Was genau meinen Sie damit?“

„Nun …“ Er schob den Finger unter den Hemdkragen, eine merkwürdige Geste, weil der oberste Knopf bereits offen stand. „Ich habe den Teil mit der Kinderbetreuung weggelassen.“

„Kinderbetreuung?“

Sie hatte einen Job ohne Kinder gesucht. Auf gar keinen Fall wollte sie Verantwortung für ein Kind übernehmen.

Und was für Eltern stellten eine Fremde vom Fleck weg ein, damit sie auf ihr Kind aufpasste, ohne die Arbeitszeugnisse zu überprüfen?

Ihre Meinung über den gut aussehenden Cowboy, die schon jetzt nicht die beste war, sank weiter.

Vor einer Stunde war sie von einem Schulparkplatz weggefahren. Zu groß war ihre Angst gewesen, zum Vorstellungsgespräch für die Stelle als Lehrerin zu gehen. Sie hatte gedacht, sie wäre schon so weit, dass sie wieder unterrichten könnte. Aber der kalte Schweiß und die zitternden Hände hatten ihr gezeigt, dass sie sich irrte.

In einem Café in dem verschlafenen Städtchen Sundown Valley hatte sie Wade Trudeaus Handzettel am Schwarzen Brett gesehen. Er suchte eine Haushaltshilfe für die Sundown-Ranch. Ein Kind wurde überhaupt nicht erwähnt. Aus einem spontanen Impuls heraus hatte Kyra den Zettel an sich genommen und war zur Ranch hinausgefahren.

Sie brauchte einen Job. Aber wollte sie einen, bei dem es um ein Kind ging?

„In Ihrer Anzeige haben Sie kein Kind erwähnt.“

„Es sind drei. Drillinge.“ Er hielt drei Finger hoch. Ein paar müde blaue Augen durchbohrten sie, als würde er auf ihre Reaktion warten.

Vor Schrecken lief es ihr eiskalt den Rücken herunter. Drei Babys? Drillinge?

In was war sie da hineingeraten? Nanny für drei Kinder?

„Es geht also überhaupt nicht um Hausarbeit?“ Klang ihre Stimme nicht ein wenig schrill?

„Leichte Hausarbeit. Wir räumen unseren Dreck selbst weg, aber die Drillinge nicht. Vielleicht könnten Sie ab und zu kochen, wenn Sie mögen, aber wenn nicht, würden Bowie und ich Küchendienst schieben.“

„Wer ist Bowie?“

„Hatte ich ihn nicht erwähnt? Er ist mein Cousin und Geschäftspartner. Er wohnt ebenfalls hier.“

Kyra hob eine Braue. „Sonst noch jemand, von dem ich wissen sollte?“

Warum setzte sie dieses niedliche Baby nicht auf der Stelle auf den Boden und verschwand? Dies war ganz offenkundig nicht der richtige Job für sie. Nichts davon war so, wie sie es sich vorgestellt hatte.

Der Cowboy schüttelte den Kopf. „Niemand.“

„In diesem Haus wohnen also zwei Männer, aber keine Frau.“

„Richtig. Plus drei fünfzehn Monate alte Babys. Wir suchen händeringend eine Nanny.“

„Erwarten Sie allen Ernstes, dass eine Frau hierher zu zwei Männern zieht, meilenweit von der nächsten Stadt entfernt?“

Das brachte ihn zum Schweigen. Seine Schultern sackten nach unten. Das Stirnrunzeln, das er nie abzulegen schien, vertiefte sich.

Schließlich murmelte er: „Ist das der Grund, weshalb niemand diesen Job will?“

„Es könnte ein Grund sein.“

„Wirke ich so Furcht einflößend auf Sie?“ Er berührte sein unrasiertes Gesicht, dann hob er die Hand, als wollte er ihrer Antwort Einhalt gebieten. „Antworten Sie lieber nicht darauf.“

Kyra musste fast lachen. Der arme Kerl stand völlig neben sich.

„Haben Sie schon einmal daran gedacht, Ihrer Nanny eine eigene Unterkunft anzubieten?“

„Eine eigene …“ Nachdenklich kratzte er sich am stoppeligen Kinn. „Lassen Sie mich überlegen. Wir haben hinten noch eine alte Schlafbaracke, aber die steht seit Jahren leer.“

„Ein eigener Wohnbereich würde Ihnen, glaube ich, bei Ihrer Suche nach einer Nanny helfen.“

„Würden Sie den Job annehmen, wenn ich die Hütte herrichte?“

„Wie sieht es mit Freizeit aus?“

Er wirkte wie vom Donner gerührt. „Mit Babys hat man nie frei.“

„Das könnte ein weiterer Grund sein, warum Sie Mühe haben, jemanden zu finden, der sich um Ihre Kinder kümmert. Jeder braucht hin und wieder etwas freie Zeit.“

„Ich bin Rancher. Ich weiß nicht einmal, was Freizeit ist. Aber wenn Sie den Job machen, dürfen Sie sich Ihren freien Tag aussuchen. Sie können jeden Tag nehmen. Die Arbeit auf einer Ranch kennt keine Wochentage. Sie ist immer da. Wie die Babys.“

Er setzte sich aufrechter hin, offenbar gestärkt durch sein Angebot, das er vermutlich sehr großzügig fand. Als würden normale Arbeitszeiten das Blatt zu seinen Gunsten wenden.

Das würden sie nicht, obwohl sie Mitleid mit den drei Babys empfand. Ihr Dad schien ihnen unbedingt entkommen zu wollen.

„Um ehrlich zu sein“, sagte Kyra, „hatte ich keinem Job als Nanny erwartet. Ich muss leider Nein sagen. Ich habe kein Interesse.“

Sie machte Anstalten, Abby auf den Boden zu setzen.

„Halt, warten Sie. Hören Sie mir zu. Ich werde Ihnen einen Bonus zahlen.“ Wades Stimme klang leicht panisch.

Er stützte diese kräftigen Unterarme auf den Schreibtisch und streckte die Hände nach ihr aus.

Er flehte sie an. Eine klägliche, verzweifelte Bitte.

„Warum fangen Sie nicht wenigstens probeweise an?“, fuhr er fort. „Drei Monate. Bis zum Ende des Sommers. Drei kurze Monate voller Sonnenschein und frischer Bergluft, ländlichem Frieden und Ruhe. Die Schulen sind über den Sommer ohnehin geschlossen. Wenn Sie im September wieder unterrichten wollen, dann sei es so. Ich werde Ihnen trotzdem einen satten Bonus zahlen.“

„Für drei Monate?“ Sie könnte das Geld definitiv gebrauchen. Und die Idee von einem Sommer in der Abgeschiedenheit der Berge gefiel ihr.

Er nickte mit Totengräbermine. „Drei Monate geben mir die Zeit, jemand anderen zu suchen. Nicht, dass ich viel Hoffnung hätte. Ich suche schon seit Monaten.“

„Haben Sie schon einmal an eine männliche Kinderbetreuung gedacht?“

„Ich will eine Frau.“

Als sie den Kopf schräg legte, fügte er hinzu: „Ich meine damit nicht, dass ich eine Frau für mich persönlich will.“ Er verzog das Gesicht. „Niemals. Vielen Dank. Das ist die Mühe nicht wert.“

Er war echt ein harter Brocken. Sie wäre für die gesamte weibliche Bevölkerung beleidigt, wenn dieser Mann nicht verzweifelt nach einer weiblichen Betreuung für seine Kinder suchen würde. „Warum kein Mann?“

„Nennen Sie mich altmodisch, aber nein. Sie haben schon genug Männer in ihrem Leben. Ich will eine Frau. Es geht ums Gleichgewicht. Es ist Gottes Plan.“

Kyra verstand, worauf er hinauswollte. In ihrem Studium und im Klassenzimmer hatte sie erfahren, wie wichtig Männer und Frauen im Leben eines Kindes waren.

Dass Wade Trudeau sie brauchte, war unübersehbar, und sie war schon immer leicht weich geworden, vor allem, wenn es um Kinder ging.

Sie wollte den Babys wirklich helfen. Aber eine Ranch mit zwei Männern und drei Kleinkindern lag außerhalb ihrer Komfortzone.

„Haben Sie schon überlegt, die Kinder in eine Kindertagesstätte zu geben?“

„Ja.“ Er gab ein knurrendes Geräusch von sich. „Sie ist zu weit weg und zu teuer. Verstehen Sie nicht? Ich will die Drillinge hier bei mir haben.“

Vielleicht war er doch nicht der Idiot, für den sie ihn hielt?

Er hatte eine Ranch zu leiten. Wenn die Drillinge hier bei ihm zu Hause betreut wurden, konnte er von Zeit zu Zeit nach ihnen sehen.

Wenn sie noch länger in diesem Büro blieb, könnte sie ernsthaft in Versuchung geraten, Ja zu sagen.

„Lassen Sie es uns so machen“, sagte Kyra in einem Anfall von Mitleid und griff nach ihrer Bewerbungsmappe. Das Baby zappelte unter dem Druck. Kyra setzte das kleine Mädchen auf den Boden und holte einen Stift aus ihrer Tasche. „Nennen Sie mir drei Leumundszeugen, die ich kontaktieren kann. Ich rufe Sie dann morgen an, um Ihnen meine Entscheidung mitzuteilen.“

Am Telefon war es einfacher, Nein zu sagen.

Plötzlich ertönte irgendwo im Haus lautes Gebrüll. Sehr laut, wütend und frustriert, als wollte jemand auf der Stelle gerettet werden.

Unwillkürlich drehte Kyra den Kopf in die Richtung.

Die anderen beiden Babys waren offenkundig aufgewacht.

Sollte sie ihre Hilfe anbieten? Oder verschwinden, solange sie noch die Gelegenheit dazu hatte?

Wade sprang auf. Sein Stuhl rollte scheppernd zurück. „Ich habe die Warnzeichen überhört.“

„Was?“

„Die Babys brabbeln zuerst. Sie schreien erst, wenn sie keine Lust mehr haben, auf mich zu warten.“

Er strich sich mit der Hand über den Kopf. Das zerzauste braune Haar stand in alle Richtungen ab.

Abby tapste auf ihn zu. Er bückte sich, um sie aufzuheben.

Kyra hatte Mitleid mit ihm.

„Gehen Sie schon“, sagte sie. „Ich nehme sie so lange.“

Der arme Kerl stürmte davon wie ein betrunkenes Rennpferd.

2. KAPITEL

Als Wade mit den frisch gewickelten Jungs zurückkam, jeden mit einem Smoothie zufriedengestellt, saß Kyra Mason in ihrem hübschen, geblümten Kleid auf dem Fußboden. Sie spielte mit Abby mit einer zusammengeknüllten Papierkugel Ball.

Mit einer warmen Stimme sagte sie: „Werfen und fangen. Werfen und fangen. Was für ein kluges Mädchen du bist!“

Sie klatschte in die Hände. Abby nahm das als ein Signal, um Backe, backe Kuchen zu spielen, was mit einem Bauchkitzeln endete. Abby giggelte.

In diesem Moment entschied Wade, dass er alles in seiner Macht Stehende tun musste, um Kyra davon zu überzeugen, als Nanny bei ihnen zu bleiben.

Er war sogar bereit, sie anzubetteln, ihr Gehalt zu erhöhen und die Hütte in ein Schloss zu verwandeln.

Selbst wenn er dafür einen oder zwei Bullen verkaufen müsste.

„Sieht aus, als würden Sie sich gut mit Abby verstehen.“ Bitte sag Ja!

Er setzte die Jungs auf den Fußboden.

„Das ist Benjamin.“ Er strich über Bens weiches braunes Haar. „Und das ist Caden.“

„Sie sehen sich unglaublich ähnlich.“ Sie streichelte sanft die pummeligen Beinchen der Jungen und stand vom Boden auf. Abby spielte mit der Schneekugel, die er genau zu diesem Zweck auf seinem Schreibtisch aufbewahrte.

„Allerdings. Abby ist ein Nachzügler. Wir wussten nichts von ihr, bis zum Tag ihrer Geburt.“

„Das muss eine ziemliche Überraschung gewesen sein.“

„Schock trifft es eher.“ Gefolgt von überwältigender Freude und einer wahren Flutwelle weiterer Gefühle, die ihn fast in die Knie gezwungen hatten.

Er war auf zwei ungestüme Jungs vorbereitet gewesen, weniger auf ein süßes, herziges Mädchen. Doch jetzt konnte er sich ein Leben ohne sie nicht mehr vorstellen.

„Sie waren ziemlich klein und mussten eine Weile auf der Frühchenstation bleiben. Ich stand immer an ihrem Bett und habe für sie gebetet.“

Warum erzählte er ihr das?

Kyra strich über Benjamins dunklen Haarschopf. Der Junge schaute auf und grinste.

„Darf ich fragen, was mit ihrer Mutter ist?“

Wade ging innerlich auf Abwehr. Die vertraute, dunkle Wolke des Zorns stieg in ihm auf, eher ein Tornado als ein Gewitter. „Sie haben keine Mutter.“

Er klang schroff und abweisend.

Kyra errötete. Sie schaute hinunter zu den Drillingen und wich seinem Blick aus.

Eine unangenehme Spannung entstand, die Energie schien förmlich im Raum zu vibrieren. Seine Schuld. Er hatte sie mit seiner Verbitterung erschreckt.

Er versuchte normalerweise, seine Wut für sich zu behalten, aber eine unerwartete Erwähnung von Sabrina genügte, um die Wut hervorzuholen und sich gegen die erstbeste Person in der Nähe zu richten. Der arme Bowie hatte Wades Zorn für eine lange Zeit alleine abbekommen. Das Thema Sabrina war daher tabu.

„Ich sollte gehen.“ Kyra bückte sich nach ihrer Tasche.

O nein. Er hatte es gründlich vermasselt. Sie wollte gehen. „Warten Sie. Meine Leumundszeugen.“

Sie öffnete den Mund, schloss ihn wieder und nickte. „Stimmt.“

Offenbar hatte sie nicht vor, einen von ihnen anzurufen.

Sie schob ihre Tasche über die Schulter und schaute zur Tür. Sie hatte es eilig, hier wegzukommen.

Wade fand sein Handy unter einem Stapel Verträge und durchsuchte seine Kontakte nach Namen von vernünftigen Menschen, die ihn für einen guten Kerl hielten. Er kritzelte drei Namen samt Nummern auf einen Notizblock.

Wortlos nahm sie den Zettel entgegen.

Panik stieg in ihm auf. Sie würde gehen und nicht zurückkommen. Sie würde nicht anrufen, und wahrscheinlich würde sie auch nicht rangehen, wenn er sie anriefe.

Drei Babys krochen um ihn herum. Je eines klammerte sich an ein Bein und das dritte, Benjamin, hatte etwas gefunden, das er sich in den Mund stecken konnte.

Wade hob ihn hoch. „Gib das Daddy, mein Großer.“

Natürlich hatte Ben nicht vor, seinen Schatz herauszurücken, also pulte Wade das Papier aus seinem Mund und warf es in den Mülleimer.

„Hören Sie“, sagte er und schaute an dem jetzt schreienden Baby vorbei. „Es tut mir leid, dass ich Sie angeblafft habe. Meine Ex-Frau ist ein heikles Thema.“

„Das habe ich mir schon gedacht. Aber das geht mich nichts an.“ Kyra verließ das Büro.

Wade wischte Babysabber an der Jeans ab und folgte ihr.

Er öffnete die Haustür für sie. Sie trat auf die Veranda. Wade wollte etwas anderes sagen, als Du riechst gut oder Bitte bleib, aber er wusste nicht mehr weiter.

Er hatte erneut die Chance vermasselt, eine Nanny einzustellen.

Abby, die sich wie ein Äffchen an sein Bein geklammert hatte, ließ sich fallen und folgte dem Rotschopf krabbelnd nach draußen. Als Wade sie hochhob, begann Abby zu weinen und streckte die Arme nach der Frau aus, die sie vor nicht einmal einer Stunde kennengelernt hatte.

Wade wusste, wie sie sich fühlte.

Er setzte sich seine Tochter auf die andere Hüfte, hielt Caden davon ab, aus der Tür zu purzeln, während er mit dem immer noch weinenden Ben rang, der unbedingt herunter wollte.

Verzweifelt rief Wade der flüchtenden Frau nach: „Drei Monate, Kyra. Das ist alles, worum ich Sie bitte. Drei Monate.“

Der Mann war eindeutig mit den Nerven am Ende. Er war außerdem verbittert und unleidlich, obwohl er seine Kinder zweifellos liebte. Alle drei.

Drillinge. Du liebe Güte.

Herzig, ja, aber auch eine Menge Arbeit für alle Eltern, und besonders für einen alleinstehenden Mann, der eine abgelegene Ranch leitete.

Kyra konnte sich nicht entscheiden, ob sie den Mann dafür bewunderte, dass er es versuchte, oder ob sie ihn für einen Idioten hielt.

Wie auch immer, die Nanny für drei Babys zu spielen, und sei es nur für einen Sommer, war nicht das, was sie sich vorgestellt hatte.

Aber sie brauchte einen Job. Immer noch trudelten Arztrechnungen ein, ganz zu schweigen von dem Geld, das sie Tristans Familie schicken wollte.

Tristan. Allein beim Gedanken an den aufgeweckten Jungen mit dem schelmischen Grinsen blutete ihr das Herz.

Am Ende der langen Einfahrt, die zur Sundown-Ranch führte, hielt sie an. Sollte sie nach Hause nach Tulsa fahren und die ganze Idee vergessen, in den herrlichen Kiamichi Mountains im Südosten Oklahomas Frieden und Heilung zu finden?

Oder sollte sie in dem malerischen Örtchen Sundown Valley nach einem anderen Job suchen?

Sie schloss die Augen. „Himmlischer Vater, ich dachte, du hättest mich in diese Gegend geführt. Und jetzt?“

Als sie die Augen öffnete, blickte sie erst nach links und dann nach rechts. Schließlich entschied sie sich für die kurvenreiche Landstraße, die vom Ort weg und in Richtung der niedrigen Berge führte, die Sundown Valley umschlossen.

Nach fünf Minuten hielt sie an einem Aussichtspunkt an und stieg aus dem Wagen.

Kyra holte tief Luft und spürte, wie ihre Anspannung nachließ. Kein anderes Auto kam vorbei, die einzigen Geräusche waren Vogelgezwitscher und der sanfte Wind, der durch die Sträucher zu ihren Füßen strich.

„Was soll ich tun, Herr?“

Der Blick über das weite Tal bis zu den bläulichen Bergen auf der anderen Seite war Balsam für die Seele.

„Dein Werk ist so wunderschön, Vater!“

Ein Windhauch verriet ihr, dass Er ihr zuhörte. Sie glaubte von ganzem Herzen daran. In dem Jahr, das seit der Tragödie vergangen war, hatte sie Gottes Gegenwart in solchen ruhigen Momenten gespürt, wenn der seelische und körperliche Schmerz nachließen.

Ich hebe meine Augen auf zu den Bergen: Woher kommt mir Hilfe? Meine Hilfe kommt vom Herrn, der Himmel und Erde gemacht hat.“ Als Pastorentochter kannte sie viele Bibelstellen auswendig, und dieser Psalm erschien ihr ganz passend. „Ich vertraue Dir, Herr. Leite mich.“

Mit den Augen verfolgte sie die Straße, die sich wie eine lange braune Schlange durch die Berge wand. Nach dem Tod ihrer Mutter waren sie und ihr Dad von dieser Straße aus meilenweit durch die Wildnis gewandert.

Sie könnte nach Tulsa zurückkehren und sich dort einen Job suchen. Doch zu Hause würden die Erinnerungen sie wieder einholen. Jeder kannte sie dort, und das wohlmeinende Mitleid der anderen machte alles nur noch schlimmer.

Drei runde, unschuldige Gesichter tauchten vor ihrem inneren Auge auf. Abby, Benjamin und Caden. ABC. Drei wunderbare Babys mit einem sehr verlorenen Elternteil. Keine Mutter. Die Art und Weise, wie er es gesagt hatte, hatte Kyra in die Flucht geschlagen.

Warum verließ eine Mutter ihre drei Babys? Lag es am Mann? War er so schwierig, dass seine Frau geflohen war? Aber warum hatte sie ihre drei wunderbaren Kinder nicht mitgenommen? Die meisten Mütter würden es tun. Oder?

Hatte Wade der Mutter der Drillinge irgendwie das Sorgerecht abgerungen?

Wade Trudeau und seine Drillinge hatten viele unbeantwortete Fragen in ihrem Kopf hinterlassen. Sie hätte nachfragen sollen, aber seine heftige Reaktion hatte ihr davon abgeraten.

Warum bekam sie ihn und seine Kinder nicht aus dem Kopf?

Vielleicht, weil die Babys sie weit mehr brauchten als ihr Vater.

„Versuchst Du, mir etwas zu sagen, Herr?“

Sie nippte an ihrer Wasserflasche, dann zog sie ihr Handy hervor und überprüfte, ob sie hier oben Empfang hatte. Das Funknetz in den Kiamichi Mountains war ziemlich löchrig.

Ein Balken. Sie könnte versuchen, Wade Trudeaus Leumundszeugen anzurufen. Ein einziger negativer Hinweis von irgendwem, und die Entscheidung würde ihr leichtfallen.

Zehn Minuten später tippte Kyra auf das Foto ihres Dads.

Er ging sofort ran.

„Wie lief das Vorstellungsgespräch in der Sundown Valley School?“ Typisch Dad. Er kam ohne Umschweife zum Punkt.

Sie drückte ihr Handy fest an ihr Ohr. „Ich bin nicht hingegangen.“

Ihr Dad, Reverend Jack Mason, schwieg ein paar Sekunden. Kyra stellte sich vor, wie er nachdenklich die Stirn runzelte.

„Wie geht es dir?“, fragte er schließlich.

Liebster Dad. Im Gegensatz zu ihr machte er sich mehr Sorgen um ihr Wohlergehen als um die Tatsache, dass sie seit mehr als einem Jahr nicht mehr gearbeitet hatte.

„Gut, aber ich bin noch nicht wieder bereit, zu unterrichten. Ich möchte es gerne, Dad, aber ich kann nicht. Ich saß fünfzehn Minuten auf dem Schulparkplatz und versuchte, mir zu sagen, dass das Gebäude sicher ist und nichts Schreckliches passieren würde.“

„Eine posttraumatische Belastungsstörung ist eine seltsame Krankheit.“

Sie hatte nicht erwartet, dass ihre Panik ihr bis hierher folgen würde. Doch die Vorstellung, wieder einen Klassenraum voller Kinder zu betreten, hatte sie hier in der ländlichen Sundown Valley School genauso überwältigt wie in der Stadt.

„Es tut mir leid, Kyra. Ich hatte gehofft, ein Ortswechsel wäre die Lösung. Du kommst also wieder nach Hause?“

Im letzten Jahr war ihr altes Kinderzimmer in Tulsa ihr Zuhause gewesen.

Dad hatte sie zur Physiotherapie gefahren, hatte sie beraten, für sie gekocht und gebetet. All die Dinge, die liebevolle Eltern für ihr gebrochenes, verwundetes Kind tun würden.

Jetzt war ihr Körper geheilt. Es war Zeit, dass ihr Dad sein eigenes Leben wieder aufnahm.

„Ich überlege, ob ich hier eine andere Stelle annehme.“

„Etwas anderes als Unterrichten?“

Überlegte sie ernsthaft, für drei Monate auf eine abgelegene Ranch in den Kiamichi Mountains zu ziehen und sich um Drillinge zu kümmern?

Sie schaute in das üppige Grün des Tals unter sich.

Warum nicht?

„Es wäre eine Stelle als Nanny. Auf einer Ranch außerhalb von Sundown Valley. Sundown-Ranch. Der Besitzer ist ein alleinstehender Mann mit Drillingen.“

„Nanny? Du?“

„Ich weiß, aber hör mir zu.“ Jetzt klang sie schon wie Wade Trudeau.

Sie erzählte ihrem Dad von dem Handzettel am Schwarzen Brett und ihrem Besuch auf der Ranch.

„Zuerst wollte ich absagen, aber dann bat Mr Trudeau mich, wenigsten über den Sommer zu bleiben.“

„Und das interessiert dich? Auf einer Ranch zu leben, fast drei Stunden von all deinen Freunden und der Familie entfernt, rund um die Uhr von drei kleinen Würmchen in Beschlag genommen?“

Wenn er es so darstellte … Würde sie das schaffen? Wollte sie diesen Job? Würde ihr Rücken das mitmachen, den ganzen Tag drei Kleinkinder durch die Gegend zu schleppen?

„Nicht rund um die Uhr, Dad. Ich kann mir meine freien Tage aussuchen.“

„Immerhin etwas.“

Während sie sich unterhielten, landete ein Roter Kardinal auf der Leitplanke wenige Meter vor ihr. Sie hatte gehört, dass dieser Vogel ein Liebesgruß Gottes sei, eine Botschaft von einem verstorbenen geliebten Menschen, die Trost spenden sollte.

Sie wusste nicht, ob sie an solche Dinge glauben sollte oder nicht, aber der Gedanke war schön und baute sie auf.

Im Krankenhaus hatte sie durch das Fenster Vögel beobachtet, vor allem Rote Kardinäle. Das war ihr Zeitvertreib gewesen, als ihr Körper so zerschmettert gewesen war, dass sie kaum etwas hatte tun können. Die roten Vögel hatten sie immer aufgemuntert und sie an ihre Mutter erinnert. Und an Tristan.

„Ich weiß nicht, ob interessieren das richtige Wort ist, Dad, aber ich muss wieder arbeiten. Ein Job als Nanny in dieser schönen, friedlichen Gegend könnte eine Möglichkeit sein, mich langsam wieder daran zu gewöhnen und zu Kräften zu kommen. Es könnte auch helfen, meinen verwirrten Verstand wieder auf die richtige Spur zu bekommen.“

„Ich wollte dich nicht entmutigen, Schatz. Du kannst gut mit Kindern umgehen.“

Das stimmte. Kinder waren ihre Berufung. Die Tragödie hatte ihr bereits zu viel gestohlen. Sie durfte nicht zulassen, dass sie ihr noch mehr nahm.

„Du hast selbst gesagt, dass ich einen Tapetenwechsel gebrauchen könnte. Deswegen bin ich doch hergekommen. Ich liebe diese Gegend. Wenn ich die Berge anschaue, habe ich das Gefühl, Gott näher zu sein.“

Ihr Vater schwieg.

„Was meinst du, Dad? Soll ich den Job annehmen?“

„Du kennst mich besser, Kyra. Du bist erwachsen, eine kluge, gut ausgebildete Frau mit einem klaren Verstand. Du triffst schon seit Jahren deine eigenen Entscheidungen.“

„Aber stets mit deinem weisen Rat“, sagte sie.

„Außer bei Sean Allred.“

„Dad, bitte. Erwähne diesen Fehler bitte nicht. Nach dem Unfall hat er sich schneller verzogen als ein paar Nebelschwaden.“ So viel zum Thema wahre Liebe.

Doch Romantik war im Moment so weit weg für sie, als würde so etwas gar nicht mehr existieren. Im letzten Jahr war sie damit beschäftigt gewesen, wieder gesund zu werden. Vielleicht würde sie sich irgendwann in der Zukunft dafür interessieren, den Richtigen zu finden, aber nicht jetzt. Und auch nicht in nächster Zeit.

Im Moment ging es ganz allein darum, geistig und körperlich stark genug zu werden, um wieder unterrichten zu können.

Ihr Dad räusperte sich. „Zurück zum Thema. Diese drei Kinder wären gesegnet, wenn sie dich hätten, aber mit zwei fremden Männern zusammen in einem Haus wohnen? Mir ist nicht ganz wohl dabei. Was weißt du über die beiden?“

Sie erzählte ihm von der Hütte, einer alten Schlafbaracke für die Rancharbeiter.

„Vielleicht ist ein Berufswechsel genau das Richtige für mich, Dad. Zumindest für eine Weile, bis die Panikattacken aufhören.“

Kalter Schweiß, Zittern und vor allem Flashbacks an diese schrecklichen Stunden, die sie unter Trümmern erlebt hatte.

„Hattest du wieder einen Flashback?“

„Nein.“ Mit den anderen Symptomen konnte sie umgehen. „Ich danke dem barmherzigen Gott und dir. Ich weiß, dass du für mich betest.“

„Jeden Tag. Und auch meine gesamte Gemeinde. Die Heilung des Geistes dauert oft länger als die Heilung des Körpers.“ Er wechselte in seine Rolle als Ratgeber, wie er es im vergangenen Jahr regelmäßig getan hatte. „Gib dir diese Zeit, Kyra.“

„Du stimmst mir also zu, dass das im Moment Gottes Antwort für mich sein könnte?“

„Die Frage ist vor allem, ob du das glaubst.“

„Vielleicht. Ich habe Wade Trudeaus Leumundszeugen angerufen, auch seinen Pastor. Sie alle sagen das Gleiche. In den letzten zwei Jahren hatte er es nicht leicht, aber er ist ein guter Christ und standhaft wie ein Felsen.“

Auch wenn er an diesem Morgen nicht besonders standhaft gewirkt hatte. Aber das erzählte sie ihrem Vater nicht.

„Wer ist sein Pastor? Vielleicht haben wir uns schon einmal auf einer Konferenz getroffen. Ich könnte ihn anrufen, so von Pastor zu Pastor.“

Kyra schaute auf ihren Notizzettel und las den Namen vor.

„Pastor Blake Cloud“, wiederholte er. „Der Name kommt mir bekannt vor. Ich werde ihn anrufen, dann melde ich mich wieder bei dir.“

„Danke, Dad. Ich liebe dich.“

„Ich dich auch, mein Schatz.“

Sie legten auf, und Kyra stieg in den Wagen. Schon komisch – gerade eben war sie noch regelrecht von der Sundown-Ranch geflohen, und jetzt überlegte sie ernsthaft, die nächsten drei Monate dort zu leben.

Das musste an den Drillingen liegen. Ganz bestimmt lag es nicht an dem Mann. Er hatte keinerlei Ausstrahlung.

Gott sei Dank.

Wade Trudeau war überhaupt nicht ihr Typ. Sie bevorzugte sanfte Geschäftsleute in Anzügen, keine wilden, unrasierten Cowboys in staubigen Stiefeln.

Aber diese süßen Babys! Die konnte sie nicht vergessen.

Vielleicht gab Wade sich Mühe, aber er versuchte, Kinderbetreuung und die Arbeit auf der Ranch unter einen Hut zu bringen, und beides passte einfach nicht zusammen. Drei muntere Kinder im Krabbelalter waren ein Vollzeitjob für eine einzelne Person. Besser, man war dabei zu zweit.

Wie lange mochte Wade sich schon allein um die Drillinge kümmern? Hatte seine Frau ihn erst vor Kurzem verlassen? Oder kümmerte er sich seit ihrer Geburt allein um sie?

Okay, jetzt empfand sie doch Mitleid für den Mann. Doch vor allem taten ihr die Drillinge leid. Sie brauchten Zeit und Aufmerksamkeit, was Wade ihnen nicht geben konnte. Nicht, wenn er weiter auf seiner Ranch arbeitete.

Sie brauchten eine Mutter.

Fünf Minuten später klingelte ihr Telefon, ihr Dad rief an.

Und Kyras Entscheidung war gefallen.

3. KAPITEL

„Ich hab’s vermasselt, Bowie.“

Verärgert biss Wade ein riesiges Stück von dem Schinkensandwich ab, als wollte er es bestrafen. Während er kaute, hob er zum x-ten Mal Cadens Trinklernbecher vom Boden auf und stellte ihn zurück auf den Hochstuhl.

Drei Paar verschmierte Hände stopften sich abwechselnd Essen in drei Münder und patschen auf den Tischen der Hochstühle in besagtem Essen herum. Der Boden war wie immer eine einzige Sauerei.

„Was ist passiert?“ Bowie legte sein Sandwich ab und griff nach seinem Becher Tee.

„Eine Frau ist aus heiterem Himmel hier aufgetaucht, um sich nach dem Job zu erkundigen.“

„Klingt bisher doch ganz gut.“

„Allerdings hatte sie einen meiner Handzettel dabei, auf dem ich nach einer Haushaltshilfe suche. Die wir ja auch brauchen.“ Er starrte auf das Salatblatt, welches aus seinem Sandwich ragte, und verzog das Gesicht. „Aber von einem Job als Nanny stand nichts in der Anzeige. Oder von den Drillingen.“

Sein Cousin zeigte keine Reaktion. Typisch Bowie. Er nahm einen großen Schluck Tee. „Warum nicht?“

„Liegt das nicht auf der Hand? Bei drei Kindern bekommen die Leute Muffensausen.“

„Also hat sie Reißaus genommen.“

„Nicht sofort. Eine Weile dachte ich, ich hätte sie am Haken.“

Bowie aß weiter seine Pommes und wartete auf die Pointe.

„Dann hat sie nach der Mutter der Drillinge gefragt.“ Er warf seinen mutterlosen Kindern einen Blick zu. Frauen. Sie stehlen dir das Herz, und dann zerschmettern sie es. Zumindest eine Frau. Die Frau, die er einmal angebetet hatte. Er hatte sie behandelt wie eine Königin.

Das Schlimmste jedoch war, was sie ihren Drillingen angetan hatte.

„O nein. Falsche Frage.“

„Ja. Möglicherweise habe ich etwas überreagiert. Kyra hat zwar die Telefonnummern meiner Leumundszeugen mitgenommen, aber ich werde garantiert nie wieder etwas von ihr hören.“

Abby drehte ihren Becher um. Milch tröpfelte auf das Tischchen des Hochstuhls.

Bowie beugte sich gelassen vor und nahm den Becher.

„Sieht aus, als würde die Ranch noch eine Weile an dir und Riley hängen.“ Wade wusste nicht, wie ihr Angestellter und Bowie die Arbeit seit der Geburt der Drillinge allein bewältigt hatten. Er war zwar der Miteigentümer, doch für die Ranch war er ziemlich nutzlos gewesen. Das musste sich ändern, jetzt, wo es Frühling geworden war und die Arbeitsmenge sprunghaft anstieg.

„Im Sommer suchen doch Teenager immer nach Arbeit“, sagte sein Cousin, während er den Becher auf Cadens Tischchen stellte. „Du kannst doch eine von ihnen als Babysitterin einstellen.“

Wade zog ein finsteres Gesicht. „Ein Teenager kommt wirklich nur als letzte Option infrage. Und ich würde nur jemanden nehmen, den wir aus der Kirche kennen. Ich werde noch eine Weile nach einer Erwachsenen mit Erfahrung suchen. Wie Kyra Mason.“

„Du redest ständig von ihr.“ Bowie warf Wade einen vielsagenden Blick zu. „War sie hübsch?“

Wades Stirnrunzeln wurde tiefer. Das Bild des Rotschopfs tauchte in seinem Kopf auf, ganz sittsam, sauber und ansehnlich. Ehrlich gesagt, hatte er den ganzen Morgen an sie gedacht. Daran, wie liebevoll sie mit Abby gespielt hatte. Wie gut sie gerochen hatte. An ihr frisches, gesundes Aussehen und dieses glänzende rote Haar.

Er, der für den Rest seines Lebens den Frauen abgeschworen hatte, konnte eine unbekannte zierliche Frau nicht aus dem Kopf bekommen.

Weil sie die perfekte Kandidatin für diesen Job war. Nicht, weil er sie attraktiv fand.

„Das spielt keine Rolle. Vermutlich ist sie längst über alle Berge und auf dem Weg zurück nach Tulsa.“

„Tulsa?“ Bowie strich sich Mayonnaise auf die Scheibe Weizenbrot. „Sie war gar nicht von hier?“

Er wusste, was sein Cousin dachte. Eine Frau aus der Stadt würde niemals hierbleiben. Das wusste er aus eigener schmerzlicher Erfahrung. Man konnte ein Mädchen aus der Stadt holen, aber niemals die Stadt aus einem Mädchen. Das alte Sprichwort war zwar abgedroschen, aber es war etwas Wahres daran.

Er schnappte sich ein paar der Feuchttücher und wischte die Makkaroni und den Käse ab, den Benjamin auf seiner Brust verschmiert hatte.

Im Gegenzug bot Ben ihm etwas Käse von seinen schmutzigen kleinen Fingern an. Wade tat, als würde er etwas davon essen und machte dabei schmatzende Geräusche wie das Krümelmonster. Alle drei Babys glucksten vergnügt.

O Mann, sie waren umwerfend, seine drei süßen Zwerge, auch wenn sie ihn Tag und Nacht auf Trab hielten.

Sein Handy klingelte.

Wade fischte das Telefon aus der Hosentasche.

„Sundown-Ranch. Wade.“

Sein Puls begann zu rasen. Dann keimte Hoffnung in ihm. Er hörte zu und redete kurz mit jemandem, ehe er auflegte.

„Was ist los?“, fragte Bowie und deutete mit mayoverschmiertem Messer auf ihn. „Du bist ganz rot im Gesicht. Wer war das?“

„Kyra Mason.“

Bowie legte den Kopf schräg. „Der Rotschopf, der das Weite gesucht hat?“

„Ja. Sie ist auf dem Weg hierher, um sich die Hütte anzuschauen.“

„Wieso? Will sie darin wohnen?“

„Ja. Ich habe es ihr quasi angeboten. Eine eigene Unterkunft, abseits vom Haupthaus und uns Kerlen.“

„Du willst, dass sie in der alten heruntergekommenen Schlafbaracke wohnt, die seit Ewigkeiten leer steht? Ein Stadtmädchen?“ Er pfiff leise. „Das wird nicht gut gehen, Junge.“

Wade fuhr sich mit der Hand durchs Haar, erst danach merkte er, dass er Makkaroni- und Käsereste an den Fingern hatte.

„Schnapp dir das Putzzeug. Ich nehme die Drillinge. Wir müssen uns ranhalten.“

Als Kyra die Sundown-Ranch erreichte, entdeckte sie zwei Cowboys, die ihr von der Veranda eines verwitterten, rustikalen Gebäudes zuwinkten.

War das die Hütte?

Anstatt sich auf der langen Schotterauffahrt links zu halten, wo sie zum Haupthaus gelangen würde, bog sie nach rechts auf einen ziemlich überwucherten Weg ein und parkte neben der ziemlich traurig aussehenden Holzhütte.

Für einen sehr langen Moment zweifelte sie an ihrer Entscheidung, zurückzukommen.

Doch der hoffnungsvolle Gesichtsausdruck von Wade Trudeau ließ sie schließlich aussteigen.

Gott hatte einen Plan, und zu diesem Plan gehörte ein Sommer auf der Sundown-Ranch. Bei ihrem Telefonanruf hatte sie den Job für den Sommer angenommen, anschließend war sie zurück nach Tulsa gefahren, um ein paar ihrer Habseligkeiten zu holen.

„Hattest du eine gute Fahrt?“ Wades Stimme klang nach gespielter guter Laune.

Er musste ihr Zögern bemerkt haben.

Kyra trat auf die Veranda. An einem Ende fehlte ein Bodenbrett, doch ansonsten machte alles einen stabilen Eindruck. Sie ließ den Blick über das Gebäude schweifen. Hoffentlich war das Innere besser.

„Ja, danke. Mein Auto ist voll beladen.“

Er runzelte die Stirn. „Dazu braucht es ja nicht viel.“

Machte er sich etwa über ihr niedliches Auto lustig?

Alle drei standen etwas verlegen herum. Das Gebäude knackte, und der Wind zerzauste das Unkraut, das an den Stufen wuchs. Eine einsame Narzisse stach aus dem Kraut hervor.

Dieser gelbe Farbklecks war genau der Anstoß, den sie brauchte.

„Du musst Bowie sein“, sagte Kyra und reichte dem großen, gut aussehenden Mann mit dem grauen Cowboyhut und den staubigen Stiefeln die Hand.

„Genau, Ma’am.“

Die Familienähnlichkeit war nicht zu leugnen. Sie waren beide groß und schlank und hatten das gleiche kantige Kinn und die gleichen kräftigen Wangenknochen.

Ziemlich ansehnlich.

„Ich hätte nicht gedacht, dass du zurückkommst“, sagte Wade.

Sie nickte und lächelte. „Dann bin ich wohl eine angenehme Überraschung.“

Er atmete heftig aus. „Eine sehr schöne.“

Einer der Drillinge, sie war nicht sicher, welcher, watschelte durch die offene Tür und zog eine Babydecke hinter sich her.

„Das ist also die Hütte?“

„Ja.“ Die Männer schienen den Eingang zu bewachen. „Wir haben gelüftet, während wir sauber gemacht haben.“

„Darf ich sie auch von innen sehen?“

„Oh, sicher. Ja, natürlich.“ Wades Gestammel beruhigte sie nicht gerade. Er hob das Baby hoch und schwang das Kind durch die Tür.

Kyra folgte ihnen. Die anderen beiden Kinder, die identischen Jungs, wie sie jetzt erkannte, spielten mit einem Haufen Spielzeug in einem Winkel des langen, schmalen Raumes.

Abby watschelte zu ihren Brüdern und plapperte etwas, das nur die drei Kleinen verstanden.

Kyra ließ den Blick von den Babys zur Einrichtung der Hütte schweifen.

Der ganze Raum roch modrig. Und staubig. So sehr, dass sie husten musste.

In der Ecke gleich beim Eingang standen ein zerkratzter Holztisch und zwei Stühle. Die andere Ecke war leer, bis auf die Staubmäuse auf dem Boden, als hätte jemand erst vor Kurzem ein Möbelstück weggeschafft. Ein Sessel vielleicht oder eine Couch?

Ein paar Schritte weiter in dem langen Raum standen zwei Reihen schwerer Eichenpritschen links und rechts an den Wänden.

Alles war staubbedeckt.

Wade räusperte sich. „Wie ich schon sagte, die Hütte wurde lange nicht mehr benutzt.“

Er strich mit dem Finger über den Rand eines Bettes. Staub wirbelte auf. „Es ist hier ein bisschen eingestaubt.“

Ein bisschen? Spinnweben hingen in den Fenstern, die so schmutzig waren, dass sie ganz matt wirkten. Die alten Vorhänge sollte man besser verbrennen. Ihre Farbe war nicht mehr zu erkennen.

Die Matratzen auf den Betten waren Gott sei Dank in Plastik eingewickelt.

Könnte sie hier leben?

„Wir werden alles noch gründlich sauber machen. Mach dir keine Sorgen.“ Wade klang verzweifelt.

Erneut empfand Kate Mitleid mit ihm. Ihr weiches Herz gewann die Oberhand.

„Das Badezimmer und die Kochnische funktionieren.“ Wade deutete auf das andere Ende der Hütte, wo ein kleiner Bereich abgetrennt war.

Kyras Schritte klapperten laut auf dem Holzfußboden, als sie hinüberging.

Wade folgte ihr. Sie konnte seine Angst spüren.

Rechts befand sich ein kleines Badezimmer, das nicht zu eklig aussah. Das Fenster stand offen, und frische Luft strömte herein.

Eine Flasche Desinfektionsmittel stand auf dem Waschtisch neben einem Stapel Putzlappen.

„Glaubst du, dass es gehen wird?“, fragte Wade eifrig und hoffnungsvoll. Doch seine besorgt gerunzelte Stirn verriet seine wahren Gefühle. Er hatte Angst, dass sie erneut flüchten würde.

Genau wie sie.

„Ich würde gerne die Kochnische sehen.“

Die winzige Küche beherbergte einen fettigen Herd mit zwei Gasflammen. Einen Ofen gab es nicht, aber dafür einen riesigen Kühlschrank mit dreckigen Handabdrücken. Wie lange die wohl schon dort waren? Über der Küchenzeile hingen ein paar leere verstaubte Regale. Direkt am Fenster, mit Blick auf eine riesige grüne Wiese und die Berge im Hintergrund, befand sich eine kleine Spüle. Ein Roststreifen umgab den Abfluss. Unter der Spüle war ein Vorratsschrank mit einer einzigen Schublade. Klein, aber zweckmäßig.

„Du wirst die meisten Mahlzeiten mit uns im Haupthaus einnehmen. Wenn du möchtest“, beeilte er sich, hinzuzufügen. „Ich könnte deine Hilfe beim Füttern der Drillinge gebrauchen.“

„Natürlich.“ Sobald sie gründlich gereinigt war, würde die kleine Küche völlig genügen, um sich einen Snack oder den Morgenkaffee zuzubereiten. „Gibt es eine Kaffeemaschine? Oder eine Mikrowelle?“

„Ich werde neue besorgen. Die alten Geräte haben wir weggeworfen. Aber sonst ist hier alles in Ordnung“, fuhr er fort, als wollte er auf das Positive hinweisen, damit sie blieb.

Es würde Stunden, wenn nicht Tage dauern, diese Hütte bewohnbar zu machen. Sie sah sich um.

Wenn sie hier leben würde, würde sie den Tisch näher an die Küche stellen. Das Fenster wies Richtung Osten, und das Licht am Morgen wäre nett.

Auf die andere Seite kämen ein bequemer Sessel und ein Fernseher, eine Art Mini-Wohnbereich. Ein großer Teppich in der Mitte würde den ganzen Raum freundlicher wirken lassen, genau wie neue Vorhänge.

Einer der Drillinge watschelte herüber und hielt ihr ein Fühlbuch hin. Kyra ging in die Hocke, nahm das Buch und den Finger des Babys und rieb damit über ein wolliges Schaf.

„Schafe sind weich.“

Genau wie ihr Herz.

Sie blätterte noch ein paar Seiten um und ließ das Kind alles ertasten. Schließlich stand sie auf und sah Wade an.

„Lass uns mit diesem Bereich und dem Badezimmer anfangen. Die Küche und die Fenster können warten. Ich helfe euch.“

„Dann bleibst du also?“ Wade riss seine blauen Augen auf.

Bowie lachte leise, sagte aber nichts.

„Versprichst du mir, dass die Hütte neu eingerichtet wird, sobald alles sauber ist? Neue Vorhänge, Teppiche und alles andere, was ich für nötig halte, um sie bewohnbar zu machen?“

„Alles, was du willst. Alles.“

„Und ich möchte jedes Wochenende und am 4. Juli freihaben.“

„Einverstanden. Bowie und ich können die Stellung halten.“

„Außerdem will ich neue Schlösser an den Türen und den einzigen Schlüssel zur Hütte.“

Falls diese Forderung ihn beleidigte, verbarg er es gut.

„Einverstanden, aber du hast mein Wort, dass niemand auf dieser Ranch dich belästigen wird. Wenn es jemand versucht, bekommt er es mit mir zu tun.“

„Danke.“

„Es ist also abgemacht?“, fragte Wade. „Du nimmst den Job? Und ziehst heute Abend hier ein?“

Eines der Babys, Benjamin, glaubte sie, streckte die Arme nach ihr aus. Wie sollte sie da widerstehen? Sie hob ihn hoch, und er tätschelte ihr Haar mit seinen pummeligen Ärmchen.

Er war so ein süßes Schäfchen, auch wenn seine Windel durchhing und sein Gesicht schmutzig war.

„Für den Sommer.“ Sie strich mit der Hand über Benjamins glattes Haar und entdeckte etwas, das nach gelbem Käse aussah. Drei Monate, die sie hoffentlich nicht bereuen würde. „Bis die Schule wieder anfängt.“

Sie hoffte und betete, dass sie Anfang September wieder ein Klassenzimmer voller Kinder betreten konnte.

Wade schaute auf seine Hand, wischte sie an seinem Hemd ab und streckte sie Kyra entgegen. Sie schlug ein, um ihre Abmachung zu besiegeln.

Seine Hand war schwielig und rau und verschluckte fast ihre zierlichen Finger. Sie mochte das Gefühl. Und falls sie ein leises Kribbeln verspürte, dann lag das wahrscheinlich an den alten Verletzungen. Nach der Tragödie hatte es ständig irgendwo gekribbelt, sobald das Gefühl in ihren zerschmetterten Körper zurückgekehrt war.

Das elektrische Knistern konnte kein Zeichen der Anziehung sein.

Sie zog die Hand zurück. Das Kribbeln blieb. „Sehen wir zu, dass wir die Hütte sauber bekommen. Sonst musst du mir heute Nacht ein Hotelzimmer bezahlen.“

Wade blinzelte.

Bowie lachte.

Sie schenkte ihnen ein freundliches Lächeln, schnappte sich einen Eimer und ging ins Badezimmer.

4. KAPITEL

Wade parkte seinen Pick-up neben der Schlafbaracke und sprang hinaus. Ein Haufen Arbeit wartete auf ihn, aber heute ging es nur darum, die neue Nanny bei Laune und hier auf der Ranch zu halten.

In der letzten Nacht hatte sie in der Hütte geschlafen, doch er hatte ihr angesehen, dass sie nicht begeistert war. Seine Vorstellungen von einer angemessenen Unterkunft für eine Nanny unterschieden sich offenbar gewaltig von ihren.

Stadtleute hatten einfach keine Ahnung vom rauen Landleben.

Aber er würde sich nicht beschweren. Sie hatte den Job angenommen. Sie war hier. Und das Beste von allem war, dass sie gut mit den Drillingen zurechtkam. Bis jetzt. Drei Krabbelkinder machten viel Arbeit. Eine Frau ohne Kinder, selbst eine Lehrerin, konnte nicht wissen, welche Herausforderungen auf sie warteten.

Was bedeutete, dass Wade die Hütte so gemütlich wie möglich machen musste. Ein Rückzugsort für Kyra, zu dem sie jeden Abend fliehen konnte, wenn er die Babys übernahm. Sie schliefen inzwischen ohnehin meistens durch. Und wenn sie aufwachten, konnte er sich darum kümmern. Kyra würde früh aufstehen müssen und die Kinder übernehmen, sobald er mit der Arbeit anfing.

Als er heute Morgen das Haus verlassen hatte, hatte nur Caden geweint. Kyra war sofort mit einem lustigen Gesicht, einer Kitzelattacke und einem Trinkbecher zur Stelle gewesen, und der Kleine hatte sich wieder beruhigt, bevor Wade zur Hintertür hinaus war.

Er hoffte nur, dass ihre Begeisterung und Energie nicht nachließen. Das durfte er nicht zulassen.

Wade öffnete die Klappe der Ladefläche, und das Klappern scheuchte eine Schar Amseln auf.

Pudge, sein Berner Sennenhund, sprang glücklich hechelnd von der Ladefläche. Er schaute Wade erwartungsvoll an und wartete darauf, endlich wieder Rinder zusammentreiben zu dürfen.

Zum ersten Mal, seit Janey weg war, konnte er für längere Zeit draußen arbeiten. Die Nanny nahm ihm eine schwere Last von den Schultern, und es würde sich gut anfühlen, wieder im Sattel zu sitzen.

Doch zuerst musste er die Nanny glücklich machen.

Bitte, Herr, mach sie glücklich. Ich war bisher nicht besonders erfolgreich, wenn es darum ging, eine Frau glücklich zu machen.

Nicht, dass er Kyra auf die Weise glücklich machen wollte, wie er eine Freundin glücklich machen wollte. Er wünschte sich nur, dass sie zufrieden war und sich in seine Drillinge verliebte, sodass sie sie nicht mehr verlassen konnte, bis sie älter waren. So achtzehn oder zwanzig Jahre vielleicht.

Er schnaubte bei diesem lächerlichen Gedanken.

Er zerrte die Kartons zum Ende der Ladefläche, wuchtete den schwersten hoch und ging damit zur Hütte.

Die Tür stand offen, er drang also nicht in ihre Privatsphäre ein. Das hoffte er zumindest.

Er trat ein und rief laut: „Kyra? Bist du hier?“

Keine Antwort. Also waren sie und die Drillinge wohl noch im Hau...

Autor

Linda Goodnight
Mehr erfahren