Meine kleine Meerjungfrau

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Es ist Liebe auf den ersten Blick! Andrew Cordell, Gouverneur von Nevada, sieht die schöne Lindsay Marshall auf den Bahamas und verliert sein Herz an sie. So wunderschön könnte ihre leidenschaftliche Romanze sein - da begeht Andrew aus übergroßer Besorgnis einen Fehler, der ihr Glück gefährdet…


  • Erscheinungstag 17.06.2017
  • ISBN / Artikelnummer 9783733776602
  • Seitenanzahl 130
  • E-Book Format ePub
  • E-Book sofort lieferbar

Leseprobe

1. KAPITEL

„Ganz toll, Kinder! Wenn ihr so weitermacht, schlagt ihr die Mannschaft des West-Hollywood-Clubs bestimmt am nächsten Samstag. Wir haben schließlich die besten Schwimmer von ganz Kalifornien.“ Fünfunddreißig Jungen und Mädchen zwischen sechs und siebzehn Jahren lachten. Fünfunddreißig von der Anstrengung schweißfeuchte Gesichter strahlten Lindsay Marshall aus dem großen Schwimmbecken heraus an.

Lindsay warf den langen goldenen Zopf über die rechte Schulter und kniete sich auf ein Bein. „In fliege für drei Wochen auf die Bahamas. Wahrscheinlich bin ich im Juni zurück – pünktlich zum Schwimmwettkampf gegen Culver City. Bis dahin trainiert Bethany mit euch. Tut, was sie sagt. Noch Fragen, bevor der Mutter-Kind-Unterricht anfängt?“

„Ja“, rief einer der älteren Jungen. „Können wir mitkommen?“ Nach der Frage lachten die anderen Kinder schallend.

Lindsay lächelte, und ihre Augen strahlten. „Am liebsten würde ich euch alle mitnehmen. Aber die Leute, die den Werbespot drehen, hätten sicher etwas dagegen. Schließlich soll ich dort arbeiten.“

„Ist das gefährlich?“, fragte die kleine Cindy Lou. Sie gehörte zu einer Gruppe von zwölf Kindern, die eine spezielle Schwimmtherapie nötig hatten und denen Lindsay Einzelunterricht gab. „Ich habe nämlich Angst vor Haien.“

„Das musst du nicht. Haie greifen Menschen nur an, wenn man sie reizt. Ich habe mehr Angst davor, dass ich unter Wasser niesen muss und die Nähte meines Kostüms platzen.“

„Das wäre doch nicht schlimm!“, bemerkte Kyle Roberts, der Älteste des Schwimmteams. Die anderen Kinder lachten erneut.

„Du Schlingel!“ Lindsay grinste ihn an und stand auf. „Okay, Leute, die Stunde ist vorbei.“ Sie sah auf die Uhr, die kurz nach fünf zeigte. „Oh je, der Mutter-Kind-Unterricht hat schon vor fünf Minuten begonnen.“

Während die Kinder aus dem Pool kletterten, schlüpfte Lindsay in ihre Sandalen und zog das T-Shirt an, auf dessen Rücken „Bel Air Club“ stand. Dann ging sie zum Büro, um ihre Stoppuhr und die Trillerpfeife wegzubringen.

„Hallo, Nate“, begrüßte sie den sonnengebräunten Rettungsschwimmer, der für sie Bürodienst gemacht hatte.

„Hallo.“ Lindsay registrierte seinen unverhohlenen Blick, der über ihre langen Beine und den wohl proportionierten Körper glitt, und spürte ein unangenehmes Kribbeln auf der Haut. Andere Frauen scheinen seine Annäherungsversuche zu genießen, dachte Lindsay. Zumindest strömten sie scharenweise in den Club, seit Nate im Januar zu der Crew gestoßen war. „Drei Leute haben für dich angerufen, zwei davon waren Männer. Wann gehst du endlich mit mir aus?“

Lindsay unterdrückte die Antwort, die ihr auf den Lippen lag. Wenn sie in dem exklusiven Club, in dem zahlreiche Hollywoodstars verkehrten, arbeiten wollte, musste sie mit ihren Kollegen auskommen – auch mit ehemaligen Golf- und Tennisprofis, die sich selbst zu wichtig nahmen, und mit Rettungsschwimmern vom Typ eines Mr. Universum, dessen Bizeps seinem aufgeblähten Selbstbewusstsein entsprach. „Nate, wie alt bist du eigentlich? Einundzwanzig? Zweiundzwanzig?“

Sein charmantes Lächeln verflog. „Ich bin vierundzwanzig, das weißt du doch.“

„Ich werde siebenundzwanzig und treffe mich ausschließlich mit älteren Männern, die keinesfalls athletisch gebaut sein müssen. Im Klartext – ich gehe mit niemandem aus, der hier arbeitet.“ Das entsprach der Wahrheit. Die männlichen Angestellten waren allesamt in sich selbst verliebt und nur danach bestrebt, von einem der zahlreichen Talentsucher entdeckt zu werden. „Trotzdem, danke, dass du mich gefragt und die Anrufe entgegengenommen hast. Wir sehen uns Ende des Monats wieder.“

Lindsay ignorierte Nates beleidigten Blick, nahm die Notizen von der Korkpinnwand, griff nach ihrer Handtasche und verließ das Büro. Sie winkte einer Gruppe wartender Frauen zu, während sie zum Parkplatz ging. Zwischen den Sportwagen und Luxuslimousinen wirkt mein Kleinwagen geradezu verloren, dachte sie, bevor sie auf dem ersten Notizzettel den Namen Roger Bragg entzifferte.

Roger verwaltete den Apartmentkomplex, der neben ihrem lag. Dass Lindsay einmal mit Roger ausgegangen war, hatte sich im Nachhinein als großer Fehler herausgestellt. Noch vor Ende des Abends hatte sie erfahren, dass Roger erst seit kurzem geschieden war. Dennoch sprach er bereits davon, Lindsay zu heiraten. Während sie auf den Bahamas war, würde er sich höchstwahrscheinlich einbilden, eine andere Traumfrau gefunden zu haben.

Die zweite Nachricht stammte von einem Angestellten des Reisebüros, in dem Lindsay ihren Flug und die Unterkunft in Nassau gebucht hatte. Der Mann hatte die Buchung telefonisch bestätigt und mitgeteilt, das Ticket liege am Schalter der Fluggesellschaft bereit.

Der dritte Anruf kam bestimmt von meinen Eltern, überlegte Lindsay und seufzte. Aber heute würde sie jedem weiteren Streit aus dem Weg gehen, der sich um den „gefährlichen Job“ auf den Bahamas drehte. Am besten verabschiedete sie sich erst morgen Früh von ihren Eltern, und zwar aus einer Telefonzelle am Flughafen von Los Angeles.

Lindsay ließ den Motor an und fuhr in Richtung Santa Monica. Sie wollte endlich ihre Sachen packen und wegfliegen. Die Vorstellung, in dem klaren, sonnendurchfluteten Wasser vor der Insel New Providence zu schwimmen und zu tauchen war geradezu paradiesisch. Mittlerweile hatte sie genug von dem kalten, algenverseuchten Meer vor der kalifornischen Küste.

Lindsay war der Mutter ihrer besten Freundin Beth unendlich dankbar, einem Hollywoodagenten vorgestellt worden zu sein. Der Mann hatte sie auf der Stelle für die Titelrolle in mehreren Werbespots für neue Kosmetika engagiert. Lindsay hatte einen erstklassigen Vertrag unterschrieben, der die Vermittlungsgebühr des Agenten abdeckte und ihr zusätzlich fünfzigtausend Dollar einbrachte. Mit diesem Geld und den Ersparnissen, die sie durch die Arbeit im Club hatte zurücklegen können, konnte sie sich im Herbst am Scripp’s Institute in San Diego einschreiben. Wenn sie mit dem Geld sorgsam umging, musste sie sich bis zum Ende des Studiums um ihren Lebensunterhalt keine Gedanken machen.

Die Universität von California in San Diego galt weltweit als eine der besten Schulen für Ozeanographie und Meeresbiologie. Lindsay wollte sich auf Umweltschutz spezialisieren und durch ihre Arbeit so viel wie möglich in der Welt herumkommen.

Um sich auf die Reise zu den Bahamas vorzubereiten, hatte sie beinah jedes Buch über die Karibik gelesen. Außerdem hatte sie mit mehreren erfahrenen Tauchern gesprochen, die die Gewässer kannten. Mittlerweile konnte sie es kaum noch erwarten, jene Tauchplätze zu erkunden, die Kenner als größte Unterwasserautobahn der Welt bezeichneten. Geschichten von spanischen Galeonen und Piratenschiffen, die in den Gewässern gesegelt waren, und die Berichte von Riffen, Korallen und tropischen Fischen hatten ihre lebhafte Fantasie zusätzlich angeregt.

Bevor die Filmaufnahmen begannen, hatte sie eine Woche Zeit, um die Tauchgründe zu erforschen und die Bewegungsabläufe unter Wasser einzustudieren. Vor wenigen Tagen hatte sie die genaue Abfolge schon einmal auf der Bühne geprobt, und zwar mit dem Regisseur und einem Choreographen.

Außerhalb des Trainings wollte Lindsay jede Sekunde ihrer Freizeit nutzen. Am meisten freute sie sich darauf, bei The Buoy zu tauchen, einer zwei Meter langen, klaren Wasserfläche, auf der Tauchlehrer Köder auslegten, um Haie anzulocken. Lindsay wollte diesen faszinierenden Tieren so nahe wie möglich kommen. Nach diesen außergewöhnlichen Erfahrungen würde es bestimmt schwer sein, nach Kalifornien zurückzukehren. Nur die Aussicht, als Meeresbiologin endlich unabhängig zu sein, machten den Gedanken an die Rückkehr nach Santa Monica erträglich.

Andrew Cordell betrat Randys Schlafzimmer und pfiff durch die Zähne, als er seinen achtzehnjährigen Sohn sah: In einem schwarz- und pinkfarbenen Taucheranzug, ausgestattet mit Maske, Stiefeln und Flossen, stolzierte er durch den Raum. Randy hatte die Ausrüstung für den geplanten Urlaub auf den Bahamas gerade erst gekauft.

„Du brauchst dich gar nicht über mich lustig zu machen, Dad.“ Randy grinste und warf seinem arglosen Vater einen Beutel zu, den dieser geschickt auffing. „Ich sollte alles besorgen, was wir brauchen. Ich habe für uns die gleichen Anzüge gekauft. Genau das Richtige für die Wassertemperaturen da unten. Zieh deinen an, und lass sehen, ob er passt.“

Um Andrews Mundwinkel zuckte es belustigt. „Da ich deiner Sachkenntnis vertraue, werde ich mir die Anprobe sparen, bis wir morgen in Nassau sind.“

„Du musst dich doch nicht vor mir schämen! Für einen Mann von siebenunddreißig, der sowieso schon jenseits von gut und böse ist, siehst du noch sehr knackig aus.“

Andrew zog amüsiert die dunkelblonden Augenbrauen hoch. „Habe ich recht gehört? Mein einziger Sprössling macht mir Komplimente?“

„Ja. Linda, eine der Tauchlehrerinnen, hat nämlich ein Auge auf dich geworfen.“

„Linda? An eine Linda kann ich mich gar nicht erinnern.“

„Gut, dass sie das nicht gehört hat. Jedes Mal, wenn sie zum Unterricht kommt, quetscht sie mich nach meinem berühmten Vater aus. Du würdest sie an den jungen Robert Redford erinnern, aber besser aussehen. Genau das hat sie gesagt, ich schwöre es.“ Er gestikulierte mit den Händen. „Tante Alex hat fast dasselbe gesagt, als wir mit Onkel Zack im letzten Jahr zum Hidden Lake unterwegs waren. Er ist fast in den Straßengraben gefahren.“

„Wirklich?“ Andrew lachte. Es erstaunte ihn noch immer, dass sein Schwager Zackery Quinn, bis zu seiner Begegnung mit Alexandria Duncan Nevadas überzeugtester Junggeselle, nun ein begeisterter Ehemann war. Zack war so verliebt, dass er seine schöne, schwangere, rothaarige Frau kaum aus den Augen ließ.

„Natürlich!“ Als Randy lächelte, musste Andrew unwillkürlich an Wendie denken. Wieder spürte er das leichte Ziehen, das ihn noch immer in den merkwürdigsten Momenten befiel – dabei war seine Frau schon seit drei Jahren tot. „Wie wäre es mit Packen? Hast du überhaupt schon damit angefangen?“

Andrew blickte seinen Sohn treuherzig an. „Ich dachte, es würde dir Spaß machen, mir dabei zu helfen. Leider hat …“

„Leider hat das Treffen mit deinen Männern doch länger als erwartet gedauert. Du musstest noch einiges klären, weil wir zwei Wochen weg sind“, nahm Randy seinem Vater die Worte aus dem Mund.

Andrew lächelte seinen dunkelhaarigen Sohn an, der nur wenige Zentimeter kleiner war als er selbst mit seinen ein Meter achtzig. Wie sehr er Randy liebte, spürte er plötzlich mit ungeahnter Heftigkeit. Und dass er sehr stolz war auf seinen Sohn, der nach der Schule in einem Tauchladen arbeitete und abends Tauchkurse besuchte – Kurse, die er von seinem eigenen Geld bezahlte. Randy hatte inzwischen den Tauchschein für offene Gewässer gemacht und seinen Vater überredet, die Prüfung ebenfalls abzulegen.

Da Andrew so viel Zeit wie möglich mit seinem Sohn verbringen wollte, hatte er im Frühling an einem sechswöchigen Kurs teilgenommen. Am Anfang hätte er nicht vermutet, dass er dieser Sportart einmal verfallen würde. Aber das Gefühl der Schwerelosigkeit unter Wasser faszinierte ihn. Außerdem erforderte Tauchen Teamarbeit und half, Vater und Sohn noch enger zusammenzuschweißen.

Inzwischen war es Juni. Randy hatte den High School-Abschluss gemacht und von seinem Vater als Belohnung die Reise zu den Bahamas geschenkt bekommen. Heute war Andrew genauso aufgeregt wie sein Sohn, das erste große Unterwasserabenteuer seines Lebens zu bestehen und die Verpflichtungen als Politiker hinter sich zu lassen. „Ich kann es kaum erwarten“, erklärte Andrew, und so war es tatsächlich.

„Geht mir genauso“, antwortete Randy. Er zog den Taucheranzug aus und verstaute ihn in der Tasche, die auf dem Bett stand. „Gut, dass wir das Land verlassen, sonst würde deine Arbeit doch wieder dazwischenkommen. Auch wenn du versuchst, sie zu ignorieren.“ Er zog ein T-Shirt und Shorts an, bevor er hinter seinem Vater den Raum verließ. Die beiden gingen über den Flur zu Andrews Schlafzimmer im obersten Stock der Gouverneursvilla von Carson City. „Du arbeitest zu viel. Es ist Zeit, dass du einmal richtig ausspannst und nicht versuchst, Urlaub und Arbeit zu verbinden.“

„In diesem Punkt hast du mehr als Recht“, sagte Andrew. Obwohl er wusste, dass Randys Kommentar nicht böse gemeint war, schmerzte die Wahrheit. Er dachte daran, wie wenig Zeit er für seinen Sohn gehabt hatte, seitdem er Gouverneur von Nevada geworden war. Als Wendie in der Mitte der ersten Amtszeit starb, hatte sich die Situation noch verschlimmert. Nach ihrem Tod war Andrew so verzweifelt gewesen, dass er Randy kaum hatte trösten können. Dazu waren die Probleme gekommen, mit denen ein Jugendlicher fertig werden musste, der plötzlich im Licht der Öffentlichkeit stand.

Randy war bald in ernsthafte Schwierigkeiten geraten, was die Medien genüsslich ausgeschlachtet hatten. Aber erst nach seiner Eskapade mit Troy Duncan, dem achtzehnjährigen Bruder von Alex, wusste Andrew, dass er als Vater versagt hatte. Randy hatte Troy im letzten Sommer über den Amateurfunk kennen gelernt. Die beiden hatten sofort einen illegalen Versandhandel gegründet, der Fotos von Troys Schwester Alex verschickte – Fotos, von deren Existenz Alex keine Ahnung gehabt hatte.

Während Andrew für das Außenministerium im Ausland war, hatte der ewig loyale Zack das Geheimnis der beiden Jungs entdeckt und verhindert, dass es in die Schlagzeilen kam. Nach seiner Rückkehr musste Andrew der Wahrheit ins Auge sehen – an Randys Problemen war er nicht ganz unschuldig. Damals hatte er immer wieder an den Lieblingsspruch seines früheren Schwiegervaters denken müssen: „Erfolg entschädigt nicht für ein kaputtes Zuhause“. Selbstverständlich wollte er Erfolg haben und seine Wahlversprechen halten. Nur deshalb war er so ruhelos. Nur deshalb konnte er die Trauer in langen Stunden harter Arbeit unterdrücken.

Andrew hatte sich von seinem Sohn entfremdet und vergessen, seine Vaterschaft ernst zu nehmen. Aber in der Nacht vor elf Monaten, als Randy niedergeschlagen zu ihm gekommen war, die Sache mit dem Versandservice gebeichtet und sich entschuldigt hatte, war Andrew ein anderer Mensch geworden. Er hatte Randy gebeten, ihm zu verzeihen, weil er seine Zeit verschwendet hatte. Wegen eines übervollen Terminkalenders hatte er seinen Sohn vernachlässigt. An dem Abend hatten sie gemeinsam geweint, und seither waren die Wunden allmählich verheilt. Damals schworen sie sich, dass ihre Beziehung Vorrang hatte, und versuchten zu verhindern, dass sich irgendetwas zwischen sie stellte.

„Randy, habe ich dir schon erzählt, was Jim alles für uns organisiert hat?“, fragte Andrew und nahm den leichten hellgrauen Anzug, um ihn einzupacken.

„Außer, dass wir in seinem Haus wohnen können?“

„Vor einigen Tagen hat er mich aus seinem Büro in Sacramento angerufen und gesagt, dass wir mit einem Wasserflugzeug von Miami zum Hafen von Nassau fliegen. Klingt gut, oder? Eine Landung auf dem Wasser!“

„Hört sich toll an! Gouverneur Stevens scheint wirklich ein echter Freund von dir zu sein!“

„Als wir letzten Sommer für das Außenministerium unterwegs waren, haben wir uns sehr gut verstanden. Er und seine Frau Mary haben zwei Töchter, siebzehn und achtzehn Jahre alt. Ich habe die ganze Familie eingeladen, im Juli für einige Wochen herzukommen.“

Randy sah seinen Vater mit wachsendem Interesse an. „Hast du die Töchter schon gesehen?“

„Nein.“ Andrew grinste. „Aber auf den Fotos waren sie sehr hübsch. Ich zähle auf dich und Troy, dass ihr sie in Carson City herumführt, Ausflüge mit ihnen macht und sie euren Freunden vorstellt. Wirst du das schaffen?“ Er versuchte ein grimmiges Gesicht aufzusetzen, während er die Krawatten einpackte.

„Na klar.“ Randy lachte. „Falls du mich nicht mehr brauchst, ich habe noch etwas Wichtiges zu erledigen.“

„Gut, dass Troy und du Amateurfunker seid“, rief Andrew hinter ihm her. „Sonst müsstest du auch noch am Wochenende arbeiten und Überstunden machen, um die Telefonrechnungen zwischen hier und der Circle-Q-Ranch zu bezahlen. Gute Nacht, Randy. Vergiss nicht, den Wecker zu stellen.“

„Wer braucht schon einen Wecker? Ich bin so aufgeregt, dass ich sowieso nicht schlafen kann. Übrigens, Onkel Zack hat angerufen. Er kommt morgen um halb sieben und fährt uns zum Flughafen.“

„Großartig. Ruh dich vorher noch etwas aus.“

„Versprechen kann ich nichts. Gute Nacht, Dad.“

Ein Lächeln auf den Lippen, erledigte Andrew noch mehrere Telefonate, bevor er den Rest seiner Sachen einpackte. Als er schließlich im Bett lag und sich vorbeugte, um die Lampe auszuschalten, blickte er direkt in Wendies Augen. Überrascht sah er das Foto auf dem Nachttisch an.

Zum ersten Mal seit ihrem Tod hatte er vergessen, das Bild einzupacken. Ein Teil von ihm spürte ein leichtes Schuldgefühl, als habe er seine verstorbene Ehefrau verraten. Der andere Teil gestand sich ein, dass er irgendwo auf dem langen Weg aufgehört hatte, um sie zu trauern. Andrew fragte sich, wann er diesen Punkt erreicht haben mochte, wann er sie endlich hatte gehen lassen …

„Beth, du hättest mich nicht zum Flughafen fahren müssen. Ich weiß doch, dass du gern lange schläfst.“ Lindsay strich sich das blonde Haar aus der Stirn. „Ich bin dir wirklich dankbar. Es tut gut, mit jemandem zu sprechen. Mom und Dad haben sich einfach unmöglich benommen.“

Beth parkte direkt vor der Abflughalle und drehte sich zu ihrer besten Freundin um. „Sie werden so lange unmöglich sein, bis sie eine Therapie gemacht haben. Aber bevor es so weit ist, rate ich dir, nach Nassau zu fliegen und die Reise zu genießen. Wenn ich an die lauen Nächte, den Mondschein und die tief gebräunten Männer denke, die am Strand entlang schlendern und nur darauf warten, eine Frau wie dich zu treffen.“

Lindsay zog die Augenbrauen hoch. „An solchen Männern kann ich mich im Club satt sehen. Ich fliege auf die Bahamas, um zu arbeiten. Hast du das vergessen?“ Sie kletterte aus Beth’ Kabrio, nahm den Koffer vom Rücksitz, ging zur Fahrertür und umarmte ihre Freundin. „Vielen Dank für alles. Ohne dich hätte ich es im Leben nicht so weit gebracht.“

„Das habe ich dir schon oft gesagt“, erwiderte Beth. „Drei Wochen sind eine lange Zeit. Ruf mich an. Ich werde verrückt, wenn ich nicht weiß, wie es dir geht!“

„Wenn ich anrufe, bist du bestimmt gerade mit Doug unterwegs. Am besten versuchst du, mich zu erreichen. Ich werde jeden Abend in meinem Zimmer liegen – völlig erschöpft.“

„Sollen wir wetten? Lindsay Marshall, du ziehst die Männer an, ob du es willst oder nicht. Wenn der Werbespot im Fernsehen läuft, wirst du als die Esther Williams der Neunziger Jahre groß herauskommen und dich vor Angeboten kaum retten können. Die Männer werden dir zu Füßen liegen, und ich werde dich selten zu Gesicht bekommen.“

Lindsay lachte. „Von allen Menschen weißt du am besten, dass mich das Leben eines Kinostars absolut nicht interessiert. Ich mache so etwas nur ein einziges Mal, und zwar wegen des Geldes. Ich will studieren, sonst nichts. Für Männer habe ich momentan gar keine Zeit.“

„Die berühmten letzten Worte“, rief Beth über die Schulter, als sie das Flughafengelände mit einer Geschwindigkeit verließ, die nur die Autofahrer von Los Angeles unfallfrei überstanden. Lindsay winkte, bis das Kabrio außer Sichtweite war. Dann betrat sie die Abflughalle, um einzuchecken und ins Flugzeug zu steigen.

Nachdem die Maschine in der Luft war, griff Lindsay nach ihrem Kriminalroman und lehnte sich entspannt zurück. Sie konnte sich jedoch kaum auf das Buch konzentrieren, weil sie immer wieder an ihre Eltern denken musste. Verärgert legte sie den Roman beiseite und sah aus dem Fenster.

Während der letzten Woche hatten Helen und Ned jeden Tag bei ihr angerufen und sie angefleht, nicht auf die Bahamas zu fliegen. Gestern Abend hatte ihr Vater dann erzählt, ihre Mutter liege mit einer schweren Migräne im Bett. Ein weiterer Versuch, überlegte Lindsay, mich unter Druck zu setzen.

Aber seit sie vor zwei Jahren von zu Hause ausgezogen war, war sie gegen jede Taktik immun und weigerte sich, von ihrem Vater oder ihrer Mutter manipuliert zu werden. So sehr Lindsay ihre Eltern liebte, sie erstickte beinah in der Zuneigung und Fürsorge, die ihr entgegengebracht wurden. Da sie ein Einzelkind war, waren ihre Eltern besorgter als die meisten anderen. Vor mehreren Monaten hatte Lindsay ihren Eltern sogar geraten, mit einem Therapeuten zu sprechen. Aber der Vorschlag hatte die Kluft zwischen ihnen nur noch vergrößert, und Lindsay hatte das Thema nie wieder angesprochen.

Als Lindsay noch ein kleines Mädchen gewesen war, war das Leben im Haus der Marshalls ziemlich normal verlaufen. Im Alter von elf fuhr sie dann zum ersten Mal mit einer Mädchengruppe weg. In den Bergen stieß der Bus mit einem Sattelschlepper zusammen, und einige der Mädchen mussten ins Krankenhaus. Bei dem Unfall hatte Lindsay sich an der unteren Wirbelsäule verletzt und konnte erst nach mehreren Operationen und jahrelanger Physiotherapie wieder laufen.

Damals wurde Lindsay zu Hause unterrichtet und wäre ohne die tatkräftige Unterstützung von Beth und ihrer Mutter vor Langeweile und Einsamkeit umgekommen. Da Helen und Ned Marshall beide überaus erfolgreiche Drehbuchautoren waren, die zu Hause arbeiteten, kümmerten sie sich rund um die Uhr um ihre Tochter – mehr noch, sie überhäuften Lindsay mit ihrer Fürsorge.

Nachdem ein Arzt Lindsay das Schwimmen empfohlen hatte, ließen ihre Eltern einen Swimmingpool bauen. Außerdem engagierten sie einen Schwimmlehrer und einen Physiotherapeuten, um den Genesungsprozess ihrer Tochter zu beschleunigen. Als Lindsay ins College kam, konnte sie wieder normal gehen – nur die Narben auf ihrem Rücken erinnerten noch an die schrecklichen Qualen von einst. Eigentlich wäre Lindsay über die Genesung begeistert gewesen, hätten ihre Eltern sie nicht weiterhin wie ein krankes Kind behandelt und darauf bestanden, dass sie ein College in der Nähe besuchte.

Lindsay wusste, dass die beiden einen Teil ihres Lebens für die Gesundheit ihrer Tochter geopfert hatten, und fügte sich. Um ihren Eltern Sorgen zu ersparen, war sie selten ausgegangen und hatte ihre Freunde stattdessen zu sich nach Hause eingeladen. Erst in ihrem ersten Collegejahr, nachdem sie Greg Porter kennen gelernt hatte, begann sie, die Dinge in einem anderen Licht zu sehen. Greg lud sie ein, gemeinsam mit seiner Familie den Urlaub im Strandhaus der Porters in La Jolla zu verbringen. Helen und Ned Marshall verboten es ihrer Tochter, bis sie mit Greg verlobt wäre. Sogar Gregs Eltern hatten die beiden nicht umstimmen können.

Da Lindsay sich ihren Eltern nie widersetzt hatte, lehnte sie Gregs Einladung ab. Im Lauf der Zeit hatte er dann eine andere gefunden – eine Geschichte, die sich mehrmals wiederholte, bevor Lindsay das College mit einem Abschluss in Biologie verließ. Inzwischen lag eine Reihe von gescheiterten Beziehungen hinter ihr. Rückblickend musste Lindsay feststellen, dass ihre Eltern jede sabotiert hatten, obwohl die beiden dies vermutlich nie so sehen würden.

Erst als Helen und Ned nicht erlaubten, dass Lindsay wegzog und Meeresbiologie studierte, vertraute sie sich ihrer besten Freundin Beth an. Beth machte gerade eine Therapie, um zu bewältigen, dass ihre Mutter, eine bekannte Schauspielerin, zum vierten Mal heiratete. Beth hatte Lindsay damals lakonisch erklärt, die Familie Marshall sei gestört und habe psychologische Beratung nötig.

Anfangs hatte Lindsay diesen Vorschlag energisch zurückgewiesen, mit der Zeit jedoch sah sie ein, dass Beth Recht hatte. Lindsay bewarb sich als Schwimmlehrerin im ortsansässigen Schwimmclub und leistete sich einen guten Psychologen.

Vier Monate Therapie hatten ihre Welt auf den Kopf gestellt. Obwohl sie gegen die Ängste ihrer Eltern machtlos war, konnte sie sich selbst helfen. Mit dem Therapeuten erarbeitete sie eine Strategie, die es ihr ermöglichte, von zu Hause auszuziehen. Sie mietete ein Apartment am Strand von Santa Monica, damit sie täglich in der Brandung schwimmen konnte, und nahm Tauchunterricht.

Das Leben in Santa Monica gab Lindsay Raum zum Atmen. Gleichzeitig wohnte sie nahe genug an Bel Air, um ihre Eltern häufig besuchen zu können. Die beiden hatten ihr sofort den Geldhahn zugedreht und gehofft, dass ihre Tochter schnell nach Hause käme. Aber völlig auf sich allein gestellt zu sein war für Lindsay eine befreiende Erfahrung. Sie stellte den Wunsch zu studieren vorläufig zurück und arbeitete fortan im Club als Schwimmlehrerin und Rettungsschwimmerin. Schon bald spezialisierte sie sich auf den Unterricht mit Kindern, die behindert waren oder an Lähmungen und Verletzungen des Rückenmarks litten. Auf Grund ihrer Erfolge wurde sie gebeten, zusätzliche Klassen einzurichten. Mittlerweile verdiente Lindsay genug Geld, um angemessen leben und monatlich eine kleine Summe sparen zu können.

Das Beste war jedoch, dass sie ihre eigenen Fehler machen, ihre eigenen Entscheidungen treffen konnte. Nachdem ihre Eltern erkannt hatten, dass ihre Taktik erfolglos blieb, begannen sie, Lindsay Schuldgefühle einzureden. Der gestrige Anruf ihres Vaters war typisch gewesen. Aber Lindsay hatte schon zu lange allein gelebt und freute sich zu sehr auf die Karibik, um sich von ihrem Vorhaben abbringen zu lassen.

Alles, was sie tun konnte, war, ihre Eltern zu lieben und sie so oft wie möglich zu besuchen. Vielleicht würden die beiden im Lauf der Zeit ja einige ihrer Ängste und Zwangsvorstellungen überwinden.

Außer ihren Eltern war jeder, der Lindsay kannte, allen voran Beth, begeistert, dass sie Meeresbiologie studieren wollte. Beth prophezeite sogar, ihre beste Freundin würde einen Meeresbiologen heiraten und mit ihm irgendwo am Ende der Welt ganz zurückgezogen leben.

Aber ein Ehemann war momentan das Letzte, was Lindsay im Kopf herumspukte. Sie wollte sich von niemandem kontrollieren oder manipulieren lassen. Ihre Freiheit bedeutete ihr alles.

2. KAPITEL

„Dad, sollen wir vor dem Abendessen noch 20.000 Leagues ansteuern?“, fragte Randy unternehmungslustig. „Vielleicht kann ich den Engelhai, den wir vor einigen Tagen gesehen haben, ja doch fotografieren.“

Dies wäre heute schon der dritte Tauchgang, überlegte Andrew, während das Boot sanft schaukelte. Sie hatten bereits das Wrack einer Cessna und die so genannten Bond-Wracks besichtigt, an denen mehrere James-Bond-Filme gedreht worden waren. Aber Randy konnte einfach nicht genug bekommen, und, um ehrlich zu sein, ihm, Andrew, ging es nicht anders.

20.000 Leagues hatten sie gleich am ersten Tag aufgesucht. Der Tauchgang hatte in der Nähe der Küste von Clifton begonnen und vor einer siebeneinhalb Meter hohen Felswand in die Tiefe geführt. Andrew hatte nichts dagegen, den wundervollen Korallengarten, in dem sich unzählige bunt schillernde tropische Fische tummelten, noch einmal zu sehen.

Autor

Rebecca Winters

Rebecca Winters und ihre Familie leben in Salt Lake City, Utah. Mit 17 kam Rebecca auf ein Schweizer Internat, wo sie französisch lernte und viele nette Mädchen traf. Ihre Liebe zu Sprachen behielt sie bei und studierte an der Universität in Utah Französisch, Spanisch und Geschichte und später sogar Arabisch.

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