Mit Tränen im Herzen

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Es könnte der Durchbruch ihrer Karriere werden: Sara entdeckt den millionenschweren Unternehmer Conrad Blake, der sich auf die französische Insel Les Genêts zurückgezogen hat. Ihre Story über ihn wäre die Sensation, aber die Chance, das Herz dieses tollen Mannes zu erobern, wäre dahin!


  • Erscheinungstag 10.02.2018
  • ISBN / Artikelnummer 9783733755423
  • Seitenanzahl 130
  • E-Book Format ePub
  • E-Book sofort lieferbar

Leseprobe

1. KAPITEL

Nicht ein einziges Mal hatte Sara während ihres zweiwöchigen Urlaubs in der Bretagne an ihre Arbeit gedacht. Umso überraschter war sie, als sie am letzten Tag plötzlich den Mann entdeckte, hinter dem nicht nur sie und ihre Kollegen, sondern auch die Reporter anderer Magazine seit Monaten her waren.

Sie saß am Hafen auf der Terrasse eines Cafés und labte sich an einer erfrischenden Zitronenlimonade. Morgen um diese Zeit würde sie bereits auf dem Rückweg nach London sein, dieser lauten, schmutzigen Stadt, wo der Himmel meistens verhangen war. Statt Shorts und Sonnentop würde sie wieder ein Kostüm tragen, und höchstens ihre Wohnungsgenossin Tessa würde ihre herrliche Sonnenbräune zu sehen bekommen. Nicht, dass sie sich dafür viel Mühe hätte geben müssen. Von ihrer Mutter, einer Italienerin, hatte sie die glatte olivfarbene Haut geerbt, und in der Sonne wurde daraus sofort ein tiefer Bronzeton.

Anfangs nahm Sara die Yacht nur am Rande wahr, die langsam auf die Anlegestelle zusteuerte. Dann sah sie, wie kleinere Boote in ihrem Kielwasser schaukelten, und sie blickte genauer hin. Die schnittige Yacht war über zehn Meter lang, und das gedämpfte Motorengeräusch verriet, dass sie es an Geschwindigkeit ohne weiteres mit den kleinen Rennbooten aufnehmen konnte, die zwischen den Inseln hin- und her flitzten. Am Bug war der Name ‚Câline‘ aufgemalt.

Der Mann am Ruder passte zu seinem Schiff. Groß und breitschultrig stand er da, und seine Bewegungen waren ruhig und selbstsicher. Ein einfaches weißes T-Shirt betonte seinen muskulösen Oberkörper. Seine Erscheinung hob sich von den Dutzenden ebenso gekleideten Männern am Hafen merklich ab. Jetzt bückte er sich, um ein Tau aufzuheben, und Sara bemerkte, dass sein hellbraunes Haar am Oberkopf von der Sonne ausgebleichte helle Strähnen hatte.

Als er auf die Mole sprang und sich suchend umschaute, konnte sie zum ersten Mal sein Gesicht erkennen. Irgendetwas daran kam ihr vertraut vor. Wo hatte sie diese markanten Züge schon einmal gesehen? Das Bild, das sich in ihrem Gedächtnis formte, hatte nichts mit Sonne und Freizeitkleidung zu tun.

Dann kam er auf sie zu, und plötzlich wusste sie es. Dieser Mann mit den so intensiv blauen Augen unter dichten Brauen war Conrad Blake. Unglaublich, aber wahr. Es war der gleiche Mann, von dem Edith in der Redaktion Videoaufnahmen gezeigt hatte, als sie ihre Reporter auf seine Spur setzte. ‚Und wo sind sie jetzt?‘ hieß der provozierende Titel einer Reihe über prominente Männer, die aus dem Licht der Öffentlichkeit verschwunden waren.

Hier ist er, dachte Sara, während er ahnungslos auf die Terrasse zuschritt. Wenn Edith das wüsste!

Gleich darauf bestätigte ihr der Wirt, dass sie sich nicht geirrt hatte.

„Salut, Monsieur Blake. Wie geht’s? Haben Sie heute Ausgang auf Ehrenwort?“, begrüßte er seinen Gast.

In Conrad Blakes Augen blitzte es belustigt auf. „Bonjour, Gaston, Sie alter Gauner. Gut geht’s. Wie Sie sehr wohl wissen, ist Les Genets kein Gefängnis, sondern ein Paradies.“

Er unterhielt sich noch eine Weile mit dem Wirt, dann schüttelte er ihm die Hand und verschwand um die Ecke. Sara hatte ihn nicht aus den Augen gelassen. Erst als er fort war, schlug ihr Herz wieder ruhiger. Die Gefahr war vorüber. Aber welche Gefahr? Conrad Blake kannte sie doch überhaupt nicht. Ihre Aufregung war also völlig unbegründet gewesen.

Seine Stimme klang tief und bestimmt. Sein Französisch war so flüssig, als ob er sich in seiner eigenen Sprache zu Hause unterhielt. Andererseits war zu vermuten, dass Conrad Blake sich niemals fehl am Platze fühlte. Er war ein Mann, der sich in jeder Situation zurechtfand. Dieses Gefühl hatte Sara schon gehabt, als sie ihn zum ersten Mal auf dem Bildschirm gesehen hatte, und auch Ediths boshafte Bemerkungen hatten nichts daran ändern können.

Er wirkte keineswegs wie ein Mann von gestern, als den die Zeitung ihn darstellen wollte, und doch war er von einem Tag auf den anderen aus London verschwunden. Niemand bei Blake Enterprises schien zu wissen, wo er war. Conrad Blake hielt seinen Aufenthaltsort tatsächlich geheim.

Doch was machte sie überhaupt noch hier? Sie stand auf, legte Geld für die Limonade auf den Tisch und lief zur nächsten Telefonzelle. Mit ihren letzten französischen Münzen rief sie in der Redaktion an.

„Hier SPICA, guten Tag.“ Sara konnte Ginas gelangweiltes Gesicht in der Telefonzentrale förmlich vor sich sehen.

„Gina, hier ist Sara Lawrence. Hören Sie gut zu, es eilt. Bitten Sie Edith, mich unter dieser Nummer zurückzurufen.“ Langsam las sie die auf der Wählscheibe ausgedruckten Ziffern vor. „Haben Sie das?“

„Ja. Wo sind Sie eigentlich?“

„Immer noch in der Bretagne.“ Sie hörte, wie die letzte Münze durchfiel, dann wurde die Verbindung getrennt. Es war brütend heiß in der Zelle, doch Sara wagte nicht hinauszugehen. Resolut wandte sie einem jungen Mann den Rücken, als dieser ihr durch Zeichen zu verstehen gab, die Zelle zu räumen. Inbrünstig fixierte sie den Apparat. Wenn Edith nun gar nicht in der Redaktion war oder Gina die Nummer falsch aufgeschrieben hatte?

In diesem Moment schrillte das Telefon, und vor Aufregung wäre ihr fast der Hörer aus der Hand gerutscht.

„Was ist denn los? Hast du deinen Pass verloren?“, fragte Edith belustigt.

„Nein, ganz im Gegenteil. Ich habe etwas gefunden. Besser ausgedrückt, jemanden: Conrad Blake.“

„Was?“ Ediths Stimme war schrill geworden. „Wo ist er denn? Das glaube ich nicht.“

„Ich dachte zuerst auch, ich hätte mich geirrt, aber er ist es tatsächlich. Vor fünf Minuten spazierte er an meinem Tisch vorbei.“

„Warum zum Teufel bist du dann nicht hinter ihm her? Erzähl mir keine langen Geschichten, lass ihn dir unter keinen Umständen entwischen!“

„Jetzt beruhige dich doch, Edith. Seine Yacht ist am Kai vertäut. Früher oder später muss er also wieder kommen. Sag mir lieber, was ich jetzt machen soll!“

„Machen? Das fragst du noch, wo wir seit Monaten hinter dem Mann her sind? Natürlich bleibst du dort. Hefte dich an seine Fersen, und tritt mir erst wieder unter die Augen, wenn du die Story hast. Warte mal, du hast gerade etwas von einer Yacht erwähnt. Wenn er nun zurückkommt und mit ihr auf Nimmerwiedersehen verschwindet?“

Sara spielte ihren letzten Trumpf aus. „Wird er aber nicht. Zufällig habe ich mitgehört, dass er auf einer Insel wohnt. Sie heißt Les Genets und soll angeblich paradiesisch schön sein. Ansonsten weiß ich nicht viel darüber.“

„Weshalb nicht? Ich denke, du bist schon seit zwei Wochen in der Bretagne.“

„Edith! Im Golf von Morbihan gibt es dreihundertfünfundsechzig Inseln.“

„Wunder gehören bei uns zur Tagesordnung“, zitierte Edith einen Spruch, den irgendein Spaßvogel in der Redaktion angebracht hatte.

„Dieses spezielle Wunder wird nicht ganz billig sein“, warnte Sara. „Ich werde ein Boot mieten müssen, damit ich auf die Insel komme, und ein neues Quartier brauche ich auch. Hast du irgendwelche Tipps für mich?“

„Meine Güte! Setz deinen Charme ein, und entlocke dem Mann seine Geheimnisse. Und vergiss nicht – ich zähle auf dich. Ich habe mir die anderen fünf Beiträge zu der Serie noch einmal angesehen, sie sind nicht besonders aufregend. He, bist du überhaupt noch da?“

„Ja, ich denke nur gerade nach.“ Sara spürte so etwas wie Ekel in sich aufsteigen. Sie war zwar noch nicht lange bei SPICA, aber die offen zur Schau getragene Männerfeindlichkeit ging ihr schon jetzt gegen den Strich. Das Schreiben begeisterte sie, und die Arbeit als Journalistin für diese Zeitschrift schien ihr der ideale Einstieg zu sein, aber Sara hatte sich eigentlich etwas anderes darunter vorgestellt. Wollte sie sich wirklich weiterhin nur dazu benutzen lassen, im Privatleben anderer Leute herumzuschnüffeln, damit das Magazin seine Auflage steigern konnte?

„Komm schon“, rief Edith ungeduldig. „Für bedeutsame Pausen ist dieses Gespräch zu teuer. Ich überweise dir einen Spesenvorschuss. Hast du dein Scheckbuch mit? Na, wenigstens etwas. Aber miete dich nicht im ersten Haus am Platz ein! Und sag mir Bescheid, wo wir dich erreichen können.“

„Ja, natürlich. Ich rufe dich am Montag an, wenn es etwas zu berichten gibt.“

„Melde dich auf jeden Fall, verstanden?“

„Ja, alles klar.“

Sara schaute sich um, doch Conrad Blake war nirgends zu sehen. Dann ging sie zum Landungssteg und studierte die große Karte, auf der sämtliche Inseln verzeichnet waren. Les Genets war nicht weit entfernt, aber keines von den Ausflugsschiffen legte dort an. Die nächste Rundfahrt begann erst um sechs. Sara überlegte, ob sie bis zur Ile d’Arz mitfahren und sich dort ein Boot mieten sollte, aber dann verwarf sie den Gedanken. Auf keinen Fall wollte sie in unbekanntem Gelände von der Dunkelheit überrascht werden.

Langsam wanderte sie die Mole entlang, bis sie vor der ‚Câline‘ stand. Die Tür zur Kajüte stand offen. Saras Herz pochte stürmisch. Sollte sie es wagen?

Eine fröhliche Hochzeitsgesellschaft, die eben um die Ecke kam und die Aufmerksamkeit aller Umstehenden auf sich zog, erleichterte ihr die Entscheidung. Sekunden später stand sie in der Kajüte der ‚Câline‘. Durch eine offen stehende Falttür gelangte Sara erst in die Kombüse und von dort in eine kleine Kabine im vorderen Abschnitt des Bootes.

Hier war Sara vermutlich am sichersten, aber sie wollte auf keinen Fall ein Risiko eingehen. Vorsichtig öffnete sie eine Truhe und sah aufeinander gestapelte Schlafsäcke. Sie legte sich darauf und merkte, dass der Deckel noch schloss. Wenn sie nun noch etwas dazwischen klemmte, hatte sie nicht nur ausreichend Luft, sondern würde sogar etwas sehen können.

Sara machte es sich so bequem wie möglich und wartete. Es dauerte nicht lange, bis sie feste Schritte an Deck hörte, dann kam jemand die Treppe hinunter. Durch den Spalt konnte sie nur kräftige braune Beine ausmachen.

Plötzlich blieb Conrad Blake stehen und schaute sich stirnrunzelnd um. Sara hielt den Atem an. Hatte er etwas gemerkt? Er löste den Gürtel seiner Bermudashorts und zog sein T-Shirt aus dem Hosenbund. Sie schluckte. Was in aller Welt hatte er vor? Doch ihre Befürchtungen waren unbegründet. Er streifte das T-Shirt ab, warf es achtlos auf einen Stuhl und ging nach oben ans Ruder. Als sie den Motor anspringen hörte, ließ Saras Anspannung etwas nach, und sie begann den Mann eingehend zu studieren. Spärlich bekleidet sah er noch besser aus als angezogen. Er hatte einen gebräunten muskulösen Körper, dem man ansah, dass er viel Sport trieb. Seine Brust war mit dichten hellbraunen Haaren bewachsen, die in der Sonne golden glänzten. Die geraden kräftigen Beine hatte er leicht gespreizt, um das Schaukeln des Bootes besser ausgleichen zu können. Ein feiner Kranz von Fältchen umgab die Augen. Die ‚Câline‘ hatte jetzt an Geschwindigkeit gewonnen, und der Fahrtwind blies ihm das Haar aus der Stirn.

Er wirkte viel reifer als auf dem Videofilmausschnitt, den Edith Sara gezeigt hatte. Damals war er ein junger Mann gewesen, der nach Abschluss des Studiums in das Familienunternehmen eintreten wollte. Unter seiner Leitung sollte Blake Enterprises zu einer der führenden Firmen für Möbel und Haushaltswaren werden. Seine Begeisterung wirkte ansteckend, als er davon sprach, Produkte mit edlem Design und feiner Farbabstimmung zu einem Preis auf den Markt zu bringen, der auch für die Durchschnittsfamilie erschwinglich war. Trotz knapper Kalkulation stiegen die Gewinne seiner Firma an, und noch vor seinem dreißigsten Geburtstag hatte er seine erste Million verdient. Es zahlte sich also aus, für Durchschnittsverbraucher zu produzieren. Welchen Grund hatte er aber, so plötzlich zu verschwinden? Um das herauszufinden, war sie hier.

Während das Boot sich immer weiter vom Ufer entfernte, rief sich Sara ins Gedächtnis, was Edith über Conrad Blake gesagt hatte, als sie ihr die Archivaufnahmen von ihm gezeigt hatte.

„Ich wette, seine Mutter ist ganz verrückt nach ihm.“ Der erste Videoclip war gerade abgelaufen. „Und wie man hört, ist sie nicht die Einzige. Wenn man dem allgemeinen Klatsch glauben kann, hat der junge Blake schon einiges erlebt.“ Edith schaltete das Licht ein und schob Sara einen Stapel Zeitungsausschnitte zu. „Annabels Nachtklub, Ascot, Windsurfing in St. Tropez, Skifahren in St. Moritz – und jedes Mal mit einem anderen hübschen Mädchen. Entweder unser junger Freund liebt die Abwechslung, oder er hat Angst, eine könnte hinter seinem Geld her sein. Im nächsten Film wirst du sehen, dass er sich erstaunlich weiterentwickelt hat. Die Aufnahmen sind bei der Eröffnung der Handelsmesse in New York gemacht. Blake Enterprise ist inzwischen gewaltig gewachsen. Er hat die Geschäftsleitung von seinem alten Herrn übernommen und macht sich daran, Europa zu erobern. Eigentlich ist er ein Prachtexemplar seiner Gattung, wenn man auf so etwas Wert legt.“ Ediths Augen hatten sich zu schmalen Schlitzen verengt. „Die Frage ist nur – legst du Wert darauf, Sara? Du bist ziemlich zugeknöpft, was dein Privatleben angeht.“

Sara hatte sich noch immer nicht daran gewöhnt, dass bei SPICA auch intimste Belange der Mitarbeiter offen angesprochen wurden. „Theoretisch schon“, antwortete sie zögernd. „Doch in der Praxis lassen Männer mich im Moment ziemlich kalt.“

„Hat dich etwa einer sitzen lassen?“, erkundigte sich Edith spöttisch.

Das war zu viel. „Meinst du nicht, dass das meine Angelegenheit ist?“, fragte Sara zurück.

„Natürlich, natürlich“, versicherte Edith. „Hauptsache, du lieferst mir Conrad Blake auf einem Tablett.“

Wenn Edith mich jetzt sehen und meine Gedanken erraten könnte, dachte Sara belustigt, während sie den Mann am Ruder noch immer betrachtete, dann wären Fragen nach meiner Einstellung zu gut aussehenden Männern überflüssig.

Die Fahrt verlangsamte sich, das Motorengeräusch wurde leiser, und als Sara durch das Bullauge spähte, sah sie Klippen und ein Stück Strand. Sie hatten Les Genets erreicht.

Jetzt verschwand Conrad Blake aus ihrem Blickfeld, und wenig später hörte sie, wie er auf den Steg sprang. Vorsichtig hob sie den Deckel der Truhe und beugte sich vor. Conrad Blake war jetzt bereits auf den Stufen, die zum Felsplateau führten.

Vorsichtshalber blieb Sara noch einen Moment liegen, dann kroch sie heraus und streckte ihre verkrampften Glieder. Conrad Blake hatte sein T-Shirt in der Hauptkajüte auf dem Stuhl liegen lassen. Die Sonne schien direkt darauf. Unwillkürlich streckte sie die Hand aus und berührte es. Es fühlte sich warm an, als hätte er es gerade erst abgestreift.

Der Gedanke war beunruhigend, und sie zog die Finger rasch wieder weg. Dabei verschob sich das T-Shirt, und sie bemerkte darunter eine Brieftasche. Sara hob sie auf und schaute hinein. So viel Geld sollte man nicht herumliegen lassen. Aber was tat sie da? Wie sollte sie die Brieftasche ihrem Eigentümer bringen, ohne sich selbst zu verraten? Schnell legte Sara sie wieder zurück. Conrad Blake war so leise zurückgekehrt, dass sie ihn erst bemerkte, als er auf der Treppe stand.

Sara erschrak, und ihr Herz begann wild zu pochen. Sie musste ihre ganze Selbstbeherrschung aufbieten, um sich ihm zuzuwenden und ihn zerknirscht anzulächeln.

„Oje! Jetzt haben Sie mich erwischt.“

Der Ärger ließ die hohen Wangenknochen in seinem Gesicht stärker hervortreten. Auf der Stirn glänzten Schweißperlen, doch sein Atem ging ruhig. Er maß Sara mit einem kalten Blick.

„Und ob ich Sie erwischt habe. Was, zum Teufel, machen Sie auf meinem Boot?“

„Sie sind ja Engländer!“, antwortete Sara überrascht „Das trifft sich gut.“

„Wenn Sie glauben, eine gemeinsame Staatsbürgerschaft gibt Ihnen das Recht, sich aus meiner Brieftasche zu bedienen, haben Sie sich geirrt. Ich habe gefragt, was Sie hier zu suchen haben!“

Sara hatte während des kurzen Wortwechsels fieberhaft nachgedacht und sich eine Ausrede zurechtgelegt.

„Ich bin fast umgekommen vor Durst. Und da dachte ich …, einen Schluck Wasser wird einem doch niemand verwehren, oder?“ Sie bedachte ihn mit einem Augenaufschlag, dem nach Ansicht ihrer Freundin Tessa kein männliches Wesen widerstehen konnte, aber Conrad Blake schien dagegen immun zu sein.

„Tatsächlich“, meinte er nur und musterte sie misstrauisch. „Trotzdem meine ich, ein bisschen mehr Vorsicht könnte nicht schaden, finden Sie nicht?“ Mit zwei Schritten war er bei ihr, und Sara schloss vor Schreck die Augen. „Drehen Sie sich um! Umdrehen, habe ich gesagt!“, wiederholte er, als sie nicht reagierte, und gab ihr einen Schubs.

Unsicher wandte sie ihm den Rücken zu. Was wollte er von ihr? Er legte ihr die Hände auf die Schultern und drehte Sara einmal um die eigene Achse. Dabei betrachtete er sie eingehend.

„Nicht unbedingt ein Aufzug, in dem man etwas verbergen kann“, erklärte er zweideutig und musterte ihr eng anliegendes Baumwolltop und die knappen Shorts. „Dann wollen wir mal sehen …“ Er nahm die Brieftasche und öffnete sie. „Sicher ist sicher. Ich nehme an, Sie haben es nicht besonders eilig.“

Conrad Blake setzte sich und nahm die Geldscheine heraus. Dabei beobachtete er Sara aus den Augenwinkeln.

Sara kam sich vor wie eine ertappte Ladendiebin. Obwohl sie nichts gestohlen hatte, hatte sie zumindest in seiner Brieftasche nachgesehen. Sie spürte, wie ihre Wangen brannten.

Während er bedächtig alles nachzählte, kam es Sara vor, als würde es in der Kajüte gerade unerträglich heiß.

„Alles da“, erklärte er schließlich. „Vielleicht waren Sie nur noch nicht dazu gekommen …“

Sie maß ihn mit einem eisigen Blick. „Ich habe Ihnen doch gesagt, dass ich lediglich etwas trinken wollte.“

„Ach, wirklich?“, fragte er spöttisch.

Plötzlich fasste er sie bei den Schultern und zog sie an sich. „Lassen Sie mich los!“, rief Sara erschrocken.

„Zauberhaft“, knurrte er, doch sein Griff lockerte sich nicht. Auch sein Gesichtsausdruck passte nicht zu der schmeichelhaften Beschreibung.

„Wenn Sie nicht sofort Ihre Hände wegnehmen, werden Sie eine weniger zauberhafte Seite von mir kennen lernen.“

„Ich meinte nicht Sie, sondern Ihr Parfüm. ‚Zauberhaft‘ von Estée Lauder. Ich roch es schon, als ich am Hafen an Bord ging. Aber dann glaubte ich, es sei nur eine Einbildung. Sie waren also die ganze Zeit hier, stimmt’s? Ohne zu wissen, wohin die Reise geht, haben Sie sich auf mein Boot geschlichen. Ich habe schon von Mädchen wie Ihnen gehört. Trotzdem ist es unfassbar, wie jemand so unvorsichtig sein kann.“

„Ich wollte auf eine Insel“, erwiderte sie trotzig. „Irgendeine.“

„Soso. Ohne dafür zu bezahlen. Sie haben Glück, dass Sie den Fahrpreis nicht auf eine andere Art und Weise entrichten müssen.“ Sein Blick ließ keinen Zweifel daran, was er damit meinte.

Er kam so schnell auf sie zu, dass sie ihm nicht ausweichen konnte, und gab ihr einen Klaps auf den Po. „Ab mit Ihnen! Und lassen Sie sich ja nicht wieder hier erwischen. Ich habe mir bewusst eine Insel als Wohnort ausgesucht, um Ruhe vor Leuten wie Ihnen zu haben.“

Conrad Blake schaute amüsiert zu, wie Sara eilig an Deck kletterte und von dort auf den Steg sprang. Beinahe wäre sie auf den glitschigen Planken ausgerutscht und ins Wasser gefallen. Kurz bevor sie den Klippenvorsprung erreichte, rief er ihr nach: „Während Sie um die Insel wandern, können Sie in aller Ruhe darüber nachdenken, wie Sie wieder aufs Festland kommen. Sie sind zwar umsonst hergekommen, aber einen Fährdienst zurück gibt es nicht, auch keinen gegen Bezahlung. Ich wünsche Ihnen einen angenehmen Spaziergang!“

Sara hätte sich ohrfeigen können. Warum war sie nicht selbst auf diesen Gedanken gekommen? Was hatte Edith gesagt? Noch nicht ganz trocken hinter den Ohren. Wie recht sie hatte! Ihre Begegnung mit Conrad Blake diente als Schulbeispiel dafür, wie man den Kontakt zu einem Mann, von dem man sich eine Story erhoffte, auf keinen Fall herstellen sollte. Eines war allerdings klar. Selbst wenn sie ihren Charme voll entfaltete, würde sie bei ihm keinen Schritt weiterkommen.

Jedenfalls war sie jetzt auf Les Genets, und da sie vorerst hier bleiben musste, würde sie sich wenigstens gründlich umsehen. Zur Not musste sie eben einen Bittgang zu Conrad Blake antreten. So wie sie ihn einschätzte, würde es ihm großes Vergnügen bereiten, sie zappeln zu lassen, ehe er sie schließlich doch zurückbrächte. Aber wie hieß das Sprichwort? Wer zuletzt lacht, lacht am besten. Das würde er merken, wenn er die Geschichte las, die sie über ihn schreiben würde. Sara freute sich schon jetzt darauf.

Sie ging den Strandpfad entlang und stieß in einer kleinen Bucht auf die ersten Spuren menschlicher Behausungen. Eine Hütte, deren Zustand ihr allerdings verriet, dass in ihr schon lange niemand mehr wohnte. Die Fenster waren verrammelt, und um zur Tür zu gelangen, hätte man sich zuerst durch kniehohes Unkraut einen Weg bahnen müssen.

Der Weg stieg jetzt steil an, doch die Aussicht oben auf den Klippen war die Mühe wert gewesen. Die Sonne hatte das Meer mit einem goldenen Schimmer überzogen, und darin lagen unzählige kleine Inseln wie Smaragde. Sara war so verzaubert, dass sie ihre missliche Lage für eine Weile vergaß.

Conrad Blake hatte sich wahrlich ein Paradies ausgesucht. Eigentlich brauchte man keinen besonderen Grund, um sich hierher zurückzuziehen. Allerdings gab es für Sara einen speziellen Grund, warum diese Insel sie so faszinierte. Auf dem Tisch eines Londoner Verlegers lagen die ersten drei Kapitel samt Zusammenfassung eines Romans, an dem sie gerade arbeitete. Es war nicht ihr erster Roman, aber gedruckt war noch nichts von ihren Arbeiten, doch Sara schrieb unverdrossen weiter. Der zweite Teil des Buches würde auf einer Insel spielen, und aus diesem Grund hatte sie auch den Segelurlaub in der Bretagne gebucht. Dass ihr dabei kaum Zeit zum Nachdenken bleiben würde, damit hatte sie allerdings nicht gerechnet. Hier auf Les Genets spürte sie von neuem, wie ihre Fantasie beflügelt wurde.

Endlich riss sie sich von dem herrlichen Anblick los. Zuerst musste sie das nächstliegende Problem lösen. Die Ostküste bestand aus steilen Klippen. Dort nisteten Hunderte von Seevögeln, die mit lautem Kreischen aufflogen, als Sara näher kam.

Den Mittelpunkt der Insel bildete ein kleines Hochplateau, das von einem Kreis senkrecht stehender Steinplatten, so genannter Menhire, umgeben war. Sara hatte bereits davon gehört, aber noch nie welche mit eigenen Augen gesehen. Vielleicht ergab sich eine Gelegenheit, diese Stelle einmal näher zu erforschen.

Sie hatte bereits die Hoffnung aufgegeben, auf weitere Häuser zu stoßen, als sie plötzlich ein Pferd wiehern hörte. Sie schlug die Richtung ein, aus der das Geräusch kam, und stand bald vor einer Koppel. Da Sara nicht wagte, sie einfach zu durchqueren, ging sie am Zaun entlang, begleitet von einem grauen Apfelschimmel, der auf der anderen Seite gemächlich neben ihr her trottete. Endlich sah sie das Haus.

Die Mauern aus grauem Naturstein waren überall mit Weinranken bewachsen. Auf der zum Meer hin gelegenen Seite war eine weitläufige Terrasse angelegt, deren Begrenzung aus einer blühenden Hecke bestand. Der Garten unterhalb war ziemlich verwildert, als wisse der Besitzer, dass penibel angelegte Beete die Harmonie zwischen dem Haus und seiner Umgebung stören würden. Sara wusste instinktiv, dass hier Conrad Blake wohnte. Über einer Tür an der Seite hing ein verwittertes Schild, das sie gerade noch entziffern konnte: ‚La Domaine‘.

Unterhalb von La Domaine schien es ein oder zwei kleinere Häuser zu geben, aber diese waren von Bäumen halb verdeckt. Aus dem Augenwinkel nahm Sara eine Bewegung nahe der Terrassentür wahr und zog sich hastig hinter einen Busch zurück. Sie hatte sich nicht getäuscht. Conrad Blake war aus dem Haus gekommen. Er hielt ein Glas in der Hand und rief jemandem etwas zu, den sie nicht sehen konnte. Statt Shorts und T-Shirt trug er hellgraue Leinenhosen und ein weißes Hemd mit offen stehendem Kragen.

Offenbar war Saras Situation dem Mann völlig gleichgültig. Er würde jetzt in Ruhe seinen Aperitif trinken, sich anschließend an einen gedeckten Tisch setzen und ein Abendessen zu sich nehmen. Täuschte sie sich, oder wehte der Wind tatsächlich den Duft nach etwas Gebratenem zu ihr herüber? Wie auf Kommando knurrte ihr Magen, und ihr wurde bewusst, dass sie seit dem Frühstück nichts mehr gegessen hatte. Wenn dieser Mann überhaupt einen Gedanken an sie verschwendete, dann sah er in ihr weiter nichts als einen lästigen Eindringling.

Die beiden Hütten hinter Conrad Blakes Haus waren zwar bewohnt, doch die alte Frau, die vor der einen in der Nachmittagssonne saß und Erbsen schälte, konnte ihr bestimmt nicht weiterhelfen. Bei der anderen Hütte waren Fenster und Türen fest verschlossen. Sara schlug den Pfad ein, der zur Bucht hinunter führte, und stieß am Strand auf einen alten Mann, der gerade Hummerkörbe auslud. Ein Boot!

Sara lief so schnell sie konnte. „Monsieur!“, rief sie, als sie nahe genug war, um sich über das Tosen der Brandung hinweg verständlich zu machen. „Können Sie mir helfen?“

Nachdem es ihr gelungen war, ihm ihr Anliegen zu unterbreiten, ging alles ganz einfach. „Oui, Mademoiselle, das ist kein Problem. Wenn Sie noch eine Viertelstunde warten können, bis ich die letzten Körbe ausgeleert habe, bringe ich Sie gern aufs Festland. Ich wäre sonst morgen Früh gefahren, um die Hummer im Hotel Miramar anzuliefern, aber das kann ich genauso gut noch heute Abend tun.“

Als dann das Fischerboot eine Landzunge umrundete, kam La Domaine ins Blickfeld, und Sara fragte sich, was der Hausherr wohl gerade tat. Vermutlich wartete er darauf, dass sie kleinlaut bei ihm anklopfte. Von ihr aus konnte er lange warten.

Eines jedoch war sicher. Sie würde wieder kommen.

Autor

Alison York
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