Zauber der Camargue

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Mitten in der idyllischen Landschaft der Camargue liegt das herrliche Gestüt der Wakefords. Als Alexandra dort einen Job annimmt, verschweigt sie, wie sie wirklich heißt. Aus gutem Grund, wie sich zeigt, denn Marcus, der Mann ihres Herzens, scheint ihre Familie zu hassen…


  • Erscheinungstag 17.06.2017
  • ISBN / Artikelnummer 9783733778521
  • Seitenanzahl 130
  • E-Book Format ePub
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Leseprobe

1. KAPITEL

Aus dem Schilf am Ufer des Flusses, der an dieser Stelle in den See mündete, erhob sich plötzlich eine junge Frau. Auf der sonnengebräunten Haut ihres Oberkörpers glitzerten Wassertropfen.

Der Reiter, der sich auf dem weichen Erdboden lautlos genähert hatte, hielt sein Pferd an und beobachtete sie fasziniert. Undine, dachte er lächelnd. Nicht der Wassergeist der Mythologie, sondern eine lebendige Undine.

Unter den verdorrten Ästen einer abgestorbenen Tamariske streckte sie nun die wohlgeformten glatten Arme und hob einen Moment lang das Haar im Nacken hoch, der anrührend zart und verwundbar wirkte.

Die ersten Sonnenstrahlen brachen durch den frühmorgendlichen Dunst und ließen das kupferrote Haar, das ihr in üppigen Wellen auf die schmalen Schultern fiel, aufleuchten.

Er wünschte sich, das Gesicht der jungen Frau zu sehen, ihre vom weißen Bikinioberteil bedeckten Rundungen zu betrachten und die vom Schilf verborgenen Beine, die gewiss ebenso wohlgeformt waren wie ihre Arme, aber er unterdrückte diesen Gedanken rasch. Diese Undine aus Fleisch und Blut sollte sich nicht umdrehen und ihn als heimlichen Beobachter entdecken.

Es war besser, diesen Augenblick nur als einen der nachhaltigen Eindrücke aus der Camargue im Gedächtnis zu behalten. Ohne sich um das platschende Geräusch des Hufschlags im seichten Wasser am Ufer zu kümmern, galoppierte er davon.

Erschrocken drehte Alex Leeward sich um, beschattete die grünen Augen mit der Hand und lächelte unwillkürlich. Sie hatte den Mann erspäht, der auf der anderen Seite des Flusses davonritt. Er trug weiße Jeans und ein weißes Hemd und ritt einen Schimmel. Der weiße Reiter …

Er schreckte mit seinem Galopp die Flamingos am anderen Ende des Sees auf. Mit heiseren Schreien flogen sie Richtung Meer, ihr rosafarbenes Federkleid leuchtete am blauen Himmel. Sie wiederum störten die Wildpferde, die bis zu diesem Moment friedlich gegrast hatten.

Jetzt galoppierten sie durch das flache Wasser auf Alex zu und kamen so nah an ihr vorbei, dass sie sie nass spritzten. Mit ihren weißen fliegenden Mähnen und den bebenden Nüstern waren sie ein unvergesslicher Anblick.

Der Reiter war schon fast außer Sicht. Sein breitkrempiger Hut war ihm in den Nacken gerutscht, und Alex sah sein goldblondes Haar noch in der Sonne aufleuchten.

Für kurze Zeit schien er ein Teil der wilden Landschaft gewesen zu sein, die sie so verzauberte. Aber sie verbot sich, noch länger an ihn zu denken. Eine Frau, die allein in einem fremden Land war und nicht wusste, wie sie zurück nach Hause kommen sollte, weil man ihr das ganze Geld und das Rückflugticket gestohlen hatte, sollte sich um praktische Dinge kümmern, anstatt sich romantischen Träumereien hinzugeben.

Sie ging zurück in die Hütte, in der sie eine unbequeme Nacht verbracht hatte. Sie würde sich anziehen und dann den Rat befolgen, den man ihr am vergangenen Abend, als sie hierher gebracht worden war, gegeben hatte. Vielleicht würde sie sich die Reise zurück nach England verdienen können, wenn nicht, musste sie nach einer anderen Lösung suchen.

Keinesfalls wollte sie zu Hause anrufen und um Hilfe bitten. Ihre Eltern hatten genug Probleme mit ihrer anderen Tochter und konnten keine neuen mit ihr, Alex, gebrauchen. Ein Konsulat würde ihr vielleicht helfen, nur müsste sie erst einmal wissen, wo sie eins finden könnte. Und wie sollte sie es dann ohne einen Franc erreichen?

Ungefähr eine Stunde später stand sie in Jeans und einer jadegrünen Bluse, den weichen Stoffkoffer in einer Hand und ihre Umhängetasche über der anderen Schulter, vor dem Eingang zu einem Mas, wie die Landgüter in der Camargue genannt wurden, und las das Schild.

Ja, dies war der Mas de Malmont. Die Besitzer hatten ihr Gutshaus offensichtlich zu einem schönen Hotel umgebaut und sich auf Reitferien für ausländische Touristen spezialisiert. Das Schild verkündete, dass Englisch, Deutsch und Französisch gesprochen wurde.

Weiße Zäune säumten die Auffahrt, die Alex jetzt entlangging. Jetzt sah sie eine Herde Zuchtpferde auf einer Koppel, der Größe nach zu urteilen einjährige Tiere, die wahrscheinlich ihr Brandzeichen bekommen sollten.

In der Hütte hatte es keinen Spiegel gegeben, so dass sie nur hoffen konnte, ordentlich auszusehen. Sie hatte die Jeans ausgebürstet und eine saubere Bluse angezogen. Ihr Haar hatte sie noch im Hotel gewaschen, an dem Abend, an dem die Katastrophe passiert war.

Sie ging an einer Baumgruppe vorbei, durchquerte einen großen Hof und blieb kurz vor dem Haupteingang des romantischen Bauernhauses stehen. Ein kleines Schild wies darauf hin, dass rechts das Büro war.

Entschlossen klopfte sie an die Tür.

„Ja bitte.“ Ein grauhaariger Franzose blickte von seinem Schreibtisch auf, als Alex eintrat, und erkundigte sich höflich: „Womit kann ich Ihnen dienen?“

„Ich würde gern Monsieur Mark, le visiteur anglais sprechen.“ Liz, die den Nachnamen des Mannes nicht wusste, hatte ihr geraten, so nach ihm zu fragen.

Der Angesprochene stand auf, öffnete ein Fenster und rief auf Französisch: „Mark! Sie haben vielleicht ein Glück! Hier fragt eine hübsche junge Dame nach Ihnen!“ Daraufhin entschuldigte sich der Franzose und ging über den Hof in den gegenüberliegenden Gebäudeteil.

Die offenen Ställe auf der anderen Seite des Hofs waren leer. Ein Mann im blauen Arbeitsanzug mistete aus. Wahrscheinlich waren die Urlauber schon früh zu ihrem Reitausflug aufgebrochen. Sie zählte die Töpfe mit Geranien auf dem Regal an der Wand gegenüber, um sich abzulenken, weil sie jetzt schrecklich nervös war.

Schließlich hörte sie Schritte draußen, dann sagte jemand etwas und ein anderer antwortete.

Sie konnte durch das Fenster den Rücken eines Mannes sehen. Das goldblonde Haar lockte sich in seinem sonnengebräunten Nacken, und als er die Hand hob und sich mit den Fingern die Strähnen zurückstrich, sah sie die bronzefarbenen muskulösen Arme.

Ungläubig blickte sie auf das weiße Hemd, das in weißen Jeans steckte. Dass ihr in Südfrankreich mit seinen dunkelhaarigen Menschen an einem Tag zwei Männer mit goldblonden Haaren und der Vorliebe für weiße Sachen begegneten, war höchst unwahrscheinlich. Er war der weiße Reiter! Das Herz schlug ihr plötzlich schneller.

Jetzt drehte er sich um, und zwischen den Blättern eines Feigenbaums hindurch konnte sie sein Gesicht erkennen. Alex schrak zusammen.

Die bevorstehende Begegnung, die ihr eben noch wie etwas Märchenhaftes erschienen war, wurde zu einem Albtraum.

Denn sie kannte ihn! Mit diesem Mann war eine düstere, schreckliche und erschütternde Familiengeschichte verknüpft. Zum Glück hielt der Stallarbeiter ihn noch einmal auf, denn sie fühlte sich jetzt wie gelähmt und hätte kein Wort sprechen können.

Er war der Mann, der ihre Schwester Elaine verlassen, deren Familienleben zerstört und ihr beinahe den Vater genommen hatte, denn das, was mit Elaine passiert war, hatte John Leeward so getroffen, dass er einen Herzinfarkt erlitt.

Der Mann, den sie um einen Gefallen bitten wollte, war ein Wakeford. Die Wakefords und die Leewards waren seit zwei Generationen verfeindet. Als er erfuhr, dass ihre Schwester zu den verhassten Leewards gehörte, hatte er sich sofort von ihr getrennt. Sie, Alex, hatte ihn nie persönlich kennen gelernt, aber ein Foto von ihm gesehen.

Elaine, hin- und hergerissen zwischen Mut, Trotz und panischer Angst vor der Reaktion ihrer Eltern auf ihre Beziehung zu dem einen Mann, den die Leewards auf keinen Fall akzeptieren konnten, hatte es ihr gezeigt und sie schwören lassen, niemandem etwas zu verraten.

Als er nun zur Tür kam, ging Alex in die Hocke und tat so, als würde sie ihre Turnschuhe zubinden. Er hatte sich kaum verändert, außer dass das gelockte blonde Haar durch die Sonne noch etwas heller geworden war. Seine regelmäßigen Gesichtszüge mit dem energischen Kinn und den klaren grauen Augen verrieten eine starke Persönlichkeit.

Es war gewiss nicht sein gutes Aussehen allein, das ihn so attraktiv machte. Dieser Mann wusste, was er wollte. Dass er auch wusste, was er nicht wollte, hatte ihre Schwester schmerzlich erfahren müssen.

Vielleicht aber schaute er jenem Wakeford nur ähnlich. Alex klammerte sich verzweifelt an diesen Strohhalm. Im nächsten Moment wurde die Tür geöffnet, und als sie seine Reitstiefel sah, wusste sie, dass sie den Moment nicht länger hinauszögern konnte. Langsam richtete sie sich auf.

„Die Dame vom See!“ rief er ungläubig aus.

Sie hätte seine tiefe Stimme als angenehm empfunden, wenn sie keine Ahnung gehabt hätte, wer er war. „Wie bitte?“ Sie blickte ihn an, als würde sie nicht verstehen, wovon er sprach.

„Ich habe Sie heute Morgen gesehen. Wollen Sie etwa behaupten, mich nicht bemerkt zu haben? Bei dem Lärm, den die Flamingos gemacht haben?“ Der Blick seiner grauen Augen war stahlhart. „Ihre Abneigung, sich an den Vorfall zu erinnern, rührt vermutlich daher, dass Sie, ohne zu bezahlen, in der Hütte übernachtet haben. Nun, Sie sind bestimmt nicht die Erste, die die Malmonts auf diese Art ausgenutzt hat. Sparen Sie sich eine Entschuldigung. Mich geht es ja im Grunde nichts an.“

Alex schluckte, dann sprach sie so ruhig wie möglich: „Es stimmt, ich habe die Nacht dort verbracht. Nur die eine, und ich hatte einen guten Grund dafür. Ich habe die Hütte, die nicht abgeschlossen war, genau so zurückgelassen, wie ich sie vorfand.“

„Ich sagte doch, es geht mich nichts an.“

Seine Stimme klang unpersönlich, als er ihr geringfügiges Vergehen mit der gleichen kühlen Gleichgültigkeit abtat, mit der er seine Beziehung zu ihrer Schwester abgebrochen hatte.

Jetzt setzte er sich auf die Schreibtischkante und musterte Alex.

Angestrengt überlegte sie, was sie jetzt tun sollte. Sie war sich ziemlich sicher, dass er sie nicht als Elaines Schwester erkennen würde, denn Alex sah Elaine überhaupt nicht ähnlich.

Vielleicht wusste er nicht einmal, dass Elaine eine Schwester hatte. Aber wenn er erfuhr, wer Alex war, würde er nichts mehr mit ihr zu tun haben wollen, also musste sie sehr vorsichtig sein, weil sie wahrscheinlich seine Hilfe brauchte.

„Nun? Sie haben nach mir gefragt. Was kann ich für Sie tun?“

Wie sollte sie ohne einen Franc in der Tasche nach England zurückkommen? Sie musste es wagen! Wenn es ihr gelang, würde sie ihn benutzen und fallen lassen, genauso wie er es mit ihrer Schwester gemacht hatte. Vielleicht würde diese kleine Rache Alex sogar eine gewisse Befriedigung geben. „Ich hörte, Sie reisen mit zwei Camargue-Pferden zurück nach England.“

Überrascht zog er die Augenbrauen hoch. „Ja, das stimmt.“

„Man sagte mir, dass Sie jemand brauchen, der Ihnen während der Reise bei der Betreuung der Tiere hilft …“

„Tut mir Leid, aber Sie wurden falsch informiert. Hier gibt es keinen Job für Sie. Irgendjemand hat Sie zum Besten gehalten. Wer?“

„Liz. Als sie mir gestern Abend die Hütte zeigte.“

Jetzt hatte Alex sein Interesse geweckt. Nachdenklich stand er auf. „Dann haben Sie Liz also noch getroffen, nachdem ich sie das letzte Mal sah. Können Sie mir sagen, wo sie im Moment ist? Sie sollte heute Morgen sehr früh hier sein, um eines der beiden Pferde zu reiten.“

„Soweit ich weiß, ist sie zusammen mit ihrem Freund auf dem Weg nach Saintes-Maries de la Mer.“

„Wie bitte?“ Seine Stimme klang gefährlich ruhig. Er warf einen kurzen Blick auf die Uhr an seinem Handgelenk. „Hat sie Ihnen zufällig erzählt, wann sie von dieser ungeplanten kleinen Reise zurück sein will?“

Dies war der kritische Moment. „Sie kommt nicht zurück. Deshalb bin ich ja hier. Liz sagte mir, Sie würden Hilfe brauchen.“

Jetzt wurde sein Blick eisig. „Wollen Sie mir etwa weismachen, dass sie unsere Abmachung einfach nicht eingehalten hat?“

„Nicht ganz. Sie hat sie nur … ein bisschen geändert.“

„Unsinn!“ Er machte zwei Schritte zum Fenster, dann wirbelte er herum. „Wer hat sie dazu überredet? Sie?“

Alex zuckte unter seinem barschen Ton erschrocken zusammen. „Nein. Vermutlich hat sie sich dazu entschlossen, in der Camargue zu bleiben, als sie erfuhr, dass ich bereit wäre, ihren Platz einzunehmen. Verstehen Sie?“

„Nein, ich verstehe es nicht“, sagte er kühl. „Ich habe bis jetzt nur mitbekommen, dass Liz ohne ein Wort der Erklärung verschwunden ist, obwohl sie sich verpflichtet hatte, mit mir zurückzureisen. Wahrscheinlich finden Jugendliche wie Sie mich altmodisch, aber ich bin der Ansicht, dass man unbedingt ein Versprechen halten muss. Und ich finde es sehr ungehörig, mir durch eine völlig Fremde mitteilen zu lassen, dass sie ihre Pläne geändert hat.“

Ein Versprechen halten! Ausgerechnet er muss das sagen! dachte Alex empört. Seine eigenen Versprechungen Elaine gegenüber hatte er nur wegen eines Namens gebrochen. Und wie kam er dazu, sie als Jugendliche zu bezeichnen? Hielt er sich für Methusalem?

„Wer sind Sie überhaupt?“ fuhr er fort. „Warum sollte ich Ihnen glauben? Vielleicht stimmt die Geschichte gar nicht.“

Zu der Zeit, als er Elaine kannte, hatte Alexandra den Kosenamen Sandie gehabt, und niemand hatte sie Alex gerufen, so dass der Name ihm ihre Identität nicht verraten würde. „Ich heiße Alex.“ Sie hatte einen Geistesblitz. „Alex Ward.“

Ihre Schwester hatte von ihm immer als Marcus Wakeford gesprochen. Wenn er sich jetzt einfach Mark nannte, konnte Alex ebenso gut ihren Nachnamen abkürzen. Selbst wenn Elaine sie einmal erwähnt hatte, würde er wohl kaum die Verbindung von Alex Ward zu Sandie Leeward ziehen. „Und Sie müssen mir nicht glauben“, erklärte sie ruhig. „Liz hat einen Brief für Sie in ihrem Zimmer hinterlegt, weil sie Ihre Reaktion voraussah.“

„Meine sehr verständliche, normale Reaktion“, ergänzte er schroff und ging zur Tür. „Warten Sie hier bitte. Bevor wir noch mehr Zeit verschwenden, möchte ich herausfinden, ob die Situation, über die wir reden, tatsächlich besteht.“

Sobald er das Büro verlassen hatte, spürte Alex wieder mit aller Macht den Schock darüber, wer er war. Ohne Geld in einem fremden Land festzusitzen, war schlimm, aber vielleicht nicht schlimm genug, um die Feindseligkeit dieses Mannes zu ertragen – und nicht nur seine. Ihre ihm gegenüber war ebenso stark.

Was würde es ihr bringen, wenn sie wartete? Ein paar Tage zusammen mit jenem Wakeford, der sich durch die schäbige Art, wie er Elaine behandelt hatte, mehr hatte zu Schulden kommen lassen als der ganze Rest seiner Familie. All das, was die Wakefords den Leewards angetan hatten, war für sie nur noch Geschichte, aber Marcus Wakefords Schuld war ihr frisch in der Erinnerung. Sie brauchte nur ihrem Vater in das von der Krankheit gezeichnete Gesicht zu sehen, um immer wieder daran zu denken.

Sie hob ihren Koffer hoch, hängte sich die Tasche wieder über die Schulter und verließ das Büro. Schnell ging sie die Auffahrt entlang. Sollte der Mann doch seine Probleme selbst lösen. Genau das würde sie jetzt auch tun. Hoffentlich musste er jetzt seine Pferde allein nach England bringen.

Nach Südfrankreich zu reisen, um zwei Pferde zu kaufen, hielt sie sowieso für ziemlich überspannt. Bestimmt konnte man auch in England gute Pferde bekommen. Aber es passte zu einem Wakeford, sich das Leben schwer zu machen. Sich und anderen.

Die Straße war noch weit entfernt, als jemand in einem Range Rover an ihr vorbeiraste und mit quietschenden Reifen schleudernd zum Stehen kam.

Marcus Wakeford stieg aus. „Noch eine Frau, die ihre Meinung ebenso oft wie ihre Unterwäsche wechselt?“

„Es mir anders zu überlegen ist mein gutes Recht“, erwiderte sie fest.

Er erriet ihre Absicht und stellte sich ihr in den Weg, als sie an ihm vorbeigehen wollte. „Wohin wollen Sie?“

„Fort von hier. Das ist auch mein gutes Recht.“

„Noch vor fünf Minuten waren Sie sehr daran interessiert, genau das Gegenteil zu tun.“

„Das war vor fünf Minuten, wie Sie ganz richtig bemerken. Inzwischen habe ich mich anders entschieden.“

Wütend blickten sie sich an. Schließlich seufzte er ungeduldig. „Finden Sie das Ganze nicht ziemlich kindisch? Ich dachte, Liz’ verantwortungsloses Benehmen hätte vielleicht in Ihnen den Wunsch geweckt zu beweisen, dass zumindest einige Frauen fähig sind, vernünftig zu handeln.“

„Im Büro war ich für Sie noch eine Jugendliche“, erinnerte Alex ihn sarkastisch. „Danke für die Beförderung.“

„Ich war noch nicht mit Ihnen fertig“, fuhr er fort, ohne auf ihre Bemerkung einzugehen. „Sie hätten wenigstens so höflich sein können abzuwarten, ob ich ihren Vorschlag annehme oder ablehne.“

Mit blitzenden Augen sah Alex ihn an. „Ich kam hierher, um Ihnen Probleme zu ersparen, indem ich Liz’ Platz einnehme. Aber Ihre Einstellung hat mich bewogen, meine Meinung zu ändern.“ Entschlossen hob Alex den Koffer hoch, den sie abgestellt hatte.

„Ihr hitziges Temperament passt zu Ihrer Haarfarbe!“ bemerkte er spöttisch. Er nahm ihr den Koffer aus der Hand und stellte ihn wieder auf den Boden. „Beruhigen Sie sich und hören Sie mir zu. Vielleicht können wir uns doch noch einigen. Was Sie mir von Liz erzählten, war eine unangenehme Überraschung für mich, und möglicherweise war meine Reaktion etwas heftig.“

„Mit anderen Worten: Ihnen ist bewusst geworden, dass es sehr viel schwieriger werden könnte, als sie dachten, jemand zu finden, der Ihnen bei der Betreuung der Pferde hilft.“

„Interpretieren Sie es, wie Sie wollen. Ich habe das Gefühl, dass Ihr Wunsch, nach England zurückzukehren, ebenso stark ist wie meiner, eine Hilfskraft für die Pferde zu finden.“

Alex zuckte die Schultern. „Vielleicht. Aber nicht um jeden Preis.“

Er nickte. „Also wäre es für uns beide wohl klüger, noch einmal darüber nachzudenken.“ Er öffnete die Beifahrertür des Range Rover, dann verstaute er ihren Koffer und die Tasche im Heck.

Obwohl sie wirklich vorgehabt hatte zu gehen, stieg sie ein. Vielleicht bin ich ein bisschen zu hitzköpfig gewesen, redete sie sich ein, als Marcus Wakeford weiter bis zur Straße fuhr, dort wendete und zurück zum Hof brauste. Wenn es ihr gelang, ihre Vorbehalte gegen eine Reise mit ihm zu überwinden, könnte er ihr sehr nützlich sein. Dass sie die Aufgabe, die sie als Liz’ Ersatz erwartete, bewältigen würde, bezweifelte Alex nicht.

Er fuhr zur Rückseite des Gebäudes und führte sie kurz darauf zu einem Tisch unter einer Pergola aus Bougainvilleen. Mit einer Handbewegung forderte er sie auf, sich zu setzen. „Können Sie den Wunsch, wieder davonzulaufen, unterdrücken, wenn ich kurz ins Haus gehe, um uns Kaffee zu holen?“

„Ich kann nicht davonlaufen. Sie haben mein Gepäck in Ihrem Wagen eingeschlossen.“

Sein Lächeln verriet, dass er es absichtlich getan hatte. „Ja, habe ich. Kaffee also. Es dauert nicht lange.“

Während sie allein war, versuchte sie sich einzureden, nicht völlig verrückt zu sein, weil sie auch nur in Betracht zog, mit diesem Mann zu reisen. Aber noch war ja nichts entschieden. Sie würden zuerst mal darüber sprechen.

„So, hier bin ich wieder.“ Er stellte ein Tablett auf den Tisch. „Ich trinke meinen schwarz, zwei Stück Zucker.“

Kaffee einschenken war für ihn offenbar Frauenarbeit. Sie füllte seine Tasse und ihre, gab in seine den gewünschten Zucker und in ihre etwas Milch. Dann nahm sie sich eins der belegten Brötchen, die auf einem Teller lagen.

Nachdenklich blickte er sie über den Rand seiner Tasse hinweg an. „Ich verstehe wirklich nicht, warum Liz erst zusagt, mir zu helfen, die Pferde nach England zu bringen, und dann ganz plötzlich mit ihrem Freund davonfährt.“

„Es war kein spontaner Entschluss. Sie hatte François in den vergangenen Tagen sehr lieb gewonnen, und als sie erfuhr, dass ich bereit war, ihren Platz einzunehmen – durch die Umstände sogar dazu gezwungen war – hat sie die Chance genutzt.“

„Sie hätte mir persönlich sagen müssen, was sie vorhatte.“

„Ich glaube, sie befürchtete, dass Sie versuchen würden, sie davon abzuhalten.“

„Ja, das hätte ich getan.“ Marcus stellte seine Tasse ab und schüttelte den Kopf, als Alex nachschenken wollte. „Aber kommen wir zum Geschäft. Bevor Sie allzu bereitwillig die Lücke füllen, die Liz hinterlassen hat, lassen Sie mich erklären, was Sie erwartet.“

„Liz hat es mir schon erzählt.“

„Ich sage es Ihnen trotzdem noch einmal. Ich will nicht mehr als drei oder vier Stunden am Tag fahren, damit die Pferde genug Pausen und viel Bewegung haben, und rechne mit mindestens drei Tagen, bis ich die Kanalküste erreiche.“

Er ging systematisch alle Einzelheiten durch und endete mit der Warnung: „Es wird keine Vergnügungsreise. Ich weiß nicht, wie sich die Pferde unterwegs verhalten, deshalb buche ich die Überfahrt nicht im Voraus. Vielleicht müssen wir irgendwo außerplanmäßig übernachten, und es könnte ziemlich unbequem werden.“

„Das macht mir nichts aus.“ Alex sah, dass sich seine Miene veränderte, konnte jedoch nicht ergründen, was es zu bedeuten hatte. „Ist daran irgendetwas falsch?“ fügte sie hinzu.

„Ich dachte nur gerade, dass anscheinend sowohl Sie als auch Liz zu unüberlegten, voreiligen Entscheidungen neigen. Liz verschwindet mit einem Mann, den sie kaum kennt. Sie wollen drei Tage und Nächte – oder noch länger – mit einem Mann zusammen verbringen, den Sie noch weniger kennen als Liz ihren neuen Freund. Bei dem, was heutzutage alles in der Welt passiert, sollten Sie eigentlich vorsichtiger sein.“

Alex sah ihm fest in die Augen. „Ich kenne mich. Das genügt.“

Einen Moment lang erwiderte er ihren Blick, dann zuckte er die Schultern. „Und durch welche Umstände sind Sie gezwungen, Liz’ Platz einzunehmen?“

Alex hatte gedacht, er hätte nicht mitbekommen, was sie dazu gesagt hatte, aber offensichtlich entging ihm nichts. Und jetzt musste sie die peinliche Geschichte wohl erzählen. „Mir wurden beim Festival in Saintes-Maries de la Mer mein ganzes Geld, meine Reiseschecks und mein Rückflugticket gestohlen. Ich hatte an diesem Tag Liz und ihre Freunde kennen gelernt und blieb mit ihnen einige Stunden zusammen.“

Alex trank einen Schluck Kaffee, ehe sie fortfuhr: „Als ich nach dem großen Zigeunerumzug das Fehlen meiner Brieftasche bemerkte, wusste ich sofort, dass es bei den Menschenmassen, die am Strand waren, um den Umzug zu sehen, unmöglich sein würde, den Dieb zu finden. Ich habe es trotzdem der Polizei gemeldet, und danach haben mich Liz und ihre Freunde zum Abendessen eingeladen. Ich hatte ja kein Geld mehr. Was danach passiert ist, wissen Sie.“

„Oh ja“, bemerkte er trocken. „Und ich weiß auch, was Sie jetzt von mir erwarten. Ich soll Ihre Reisekosten und Ihre Verpflegung übernehmen.“

„Als Bezahlung für meine Arbeit“, erwiderte sie schnell. „Liz hätte doch wohl nicht drei oder mehr Tage umsonst für Sie gearbeitet. Die Überfahrt nach England müsste das, was ich tue, doch wert sein.“

Er warf ihr einen verächtlichen Blick zu. „Machen Sie sich keine Sorgen. Wenn ich Sie einstelle, werden Sie bezahlt. Wenn.“

„Außer den Reisekosten und der Verpflegung werde ich kein Geld von Ihnen annehmen!“

„Ach? Und wenn Sie ein Messer anfassen, schneiden Sie sich vermutlich ins eigene Fleisch.“

„Bitte seien Sie nicht so herablassend“, sagte sie kühl.

„Nehmen Sie nicht alles so ernst.“

„Ich nehme es nur so, wie es gemeint ist.“

Er schob seine Tasse über den Tisch. „Jetzt trinke ich noch eine Tasse.“

Mit geröteten Wangen schenkte sie ihnen beiden ein. Verschwendete sie hier ihre Zeit? Das Schicksal war gemein, sie in eine solche Situation zu bringen. Warum konnte es nicht ein völlig Fremder sein, der Pferde nach England überführen wollte? Jemand, der sie nicht schmerzlich an eine unangenehme Vergangenheit erinnerte.

Sie tranken beide einige Schlucke Kaffee.

„Wenn Sie nicht mit Pferden umgehen können, werde ich Sie natürlich nicht einstellen“, erklärte Mark Wakeford schließlich.

„Ich reite schon seit meiner Kindheit.“

„Aber diese Pferde sind erst zugeritten worden und zudem Camargue-Pferde. Ich möchte nicht, dass ihnen auf der Reise irgendetwas passiert.“

„Und ich möchte nicht, dass mir etwas passiert.“

Er zuckte die Schultern. Es bestand kein Zweifel, was er für wichtiger hielt. „Ich schlage vor, Sie bleiben für den Rest des Tages hier, und ich mache mir ein Bild von Ihrem Können als Reiterin. Wenn ich zufrieden bin, fahren wir morgen wie geplant ab. Was sagen Sie dazu?“

„Ich bin einverstanden“, erwiderte sie kühl.

„Kommen Sie. Ich mache Sie mit Henriette Malmont bekannt. Sie wird Sie in dem Zimmer schlafen lassen, das Liz bewohnt hat …“

Er stand auf und warf Alex einen scharfen Blick zu. „… so dass Sie auf jeden Fall eine bequemere Nacht als die letzte haben werden. Und wenn Sie den Test nicht bestehen, haben Sie zumindest ein bisschen mehr Zeit, um eine andere Lösung für Ihr Problem zu finden.“

Alex stand ebenfalls auf und blickte ihn trotzig an. „Ich schaffe es.“

Er lächelte spöttisch. „Das bezweifle ich nicht. Eine Frau von heute … zu allem bereit, wie unklug es auch sein mag.“

Wenn er wüsste, wie Recht er hat! dachte Alex, als sie ihm ins Haus folgte, den Blick auf seine breite Schultern gerichtet. War es das wirklich wert? Wollte sie riskieren, vielleicht die heftige Abneigung und die Feindseligkeit dieses Mannes ertragen zu müssen, nur um zurück nach England mitgenommen zu werden? Würde es ihr gelingen, höflich zu dem Mann zu sein, der ihre Familie ins Unglück gestürzt hatte?

Sie würde eine sehr gute Schauspielerin sein müssen, wenn sie die Stelle bekam, denn auf keinen Fall durfte Mark Wakeford herausfinden, dass er einer Leeward einen Gefallen tat und – aus seiner Sicht vielleicht noch viel schlimmer – dass eine Leeward ihm einen Gefallen tat.

2. KAPITEL

Henriette Malmont, eine mollige, dunkelhaarige Frau, schien in der Küche ein Dutzend verschiedene Arbeiten auf einmal zu bewältigen. Als Mark Wakeford ihr erzählte, was Liz getan hatte, zuckte sie nur lächelnd die Schultern. „Sie ist jung! Bei jungen Leuten muss man mit allem rechnen, dann überrascht einen auch nichts. Voilà!“

Natürlich könne Alex das Zimmer von Liz übernehmen, meinte Henriette. In einigen Minuten würde sie es ihr zeigen.

Autor

Alison York
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