Mr. & Mr. Band 2

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ROCKSTAR LOVE – BACKSTAGE GEHÖRST DU MIR! von LORENA MORRISSEN

Nachts flieht Rockstar Rico vor Starrummel und Heterogetue und schreibt in Ruhe Songs. Seit ihn sein sexy Bodyguard begleitet, wird das allerdings immer schwieriger: Professionelle Distanz weicht feurigen Blicken und purer Lust … Doch das könnte für Ricos Band das Ende bedeuten!

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„Sie wissen, dass Sie keine Chance haben?“ Als Ryan dem cleveren gegnerischen Anwalt diese Worte an den Kopf wirft, ahnt er nicht, wie leidenschaftlich David für das Gute kämpft – und dass er selbst trotz Rivalität wenig später in Davids Armen dahinschmelzen wird …

DESIRED – BERÜHMT UND BEGEHRT von SIENNA MILES

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  • Erscheinungstag 13.01.2024
  • ISBN / Artikelnummer 9783751524087
  • Seitenanzahl 384
  • E-Book Format ePub
  • E-Book sofort lieferbar

Leseprobe

Lorena Morrissen, Zoe Larsen, Sienna Miles

MR. & MR. BAND 2

KAPITEL 1

Marc Whitesmith konnte die Diskussion bereits hören, als er hinter den schwarzen Nightliner der Band trat. Seine alte Schulfreundin Selina redete auf einen Kerl ein, der ganz offensichtlich nicht begeistert von dem war, was sie ihm zu sagen hatte. „Ich kann es nicht ändern, Rico, es ist beschlossene Sache. Du bekommst für den Rest der Tournee einen Bodyguard zur Seite gestellt. Ich kann nicht riskieren, dass dir etwas passiert, nur weil du dich nicht an unsere Sicherheitsvorkehrungen hältst. Wir haben keine Ahnung, wie gefährlich der Stalker wirklich ist, geschweige denn, was er überhaupt von dir will“, erklärte Selina gerade. Sie stand auf der Treppe des Busses und blickte ernst auf einen schlanken Mann mit mittellangen dunklen Haaren herunter, der sie normalerweise um mindestens einen Kopf überragt hätte.

Das also war Rico Lóaz, der aufstrebende Star am Rockhimmel.

Marc stellte fest, dass Rico in Wirklichkeit fast noch besser aussah als auf den Videos, die Selina ihm geschickt hatte, damit er sich zumindest ein grobes Bild von der Situation machen konnte, mit der er während der nächsten Tage zu tun haben würde.

Sein Blick wanderte unweigerlich über Ricos Körper – entlang an seinem schwarzmelierten T-Shirt, das lässig über den Bund seiner ausgewaschenen Jeans hing und trotzdem keinen Zweifel daran ließ, dass der Kerl kein unnötiges Gramm Fett am Körper hatte. Der tiefe V-Ausschnitt seines Shirts ließ ein Stück des Rosentattoos auf seiner rechten Brust sehen, das sich weiter über seine Schulter bis zu seinem Bizeps zog. Das hatte Marc in einem Konzertvideo gesehen, auf dem Rico sein Shirt ausgezogen und in die johlende Menge geschleudert hatte. Durch Ricos Kleidung konnte man auch ganz leicht das Nippelpiercing erkennen, von dem Marc wusste, dass es ein Ring war. Nur die unzähligen Armbänder, die er auf seinen Konzerten oft trug, fehlten.

Rico nahm einen tiefen Zug von seiner Zigarette und schüttelte seine wilden schulterlangen Locken zurück, bevor er den Rauch wieder ausstieß. „Was soll der Stalker schon wollen?“, erwiderte er gereizt und sah Selina grimmig an. „Der will halt Ärger machen. Du lässt ihn gewinnen, wenn du mir die Freiheit nimmst, zu tun, was ich will.“

Über Marcs Haut zog wieder dieses feine Kribbeln, das er so noch nicht gekannt hatte, bis er vor zwei Tagen zum ersten Mal Ricos dunkle raue Stimme in einem seiner Songs gehört hatte. Eigentlich war er der Meinung gewesen, dass er gegen so etwas immun wäre, und dass er eine Schwäche für Musiker hatte, war ihm auch neu – höchstens eine Schwäche für Musik, aber auch eher für alte klassische Rockmusik und nicht für den neuen Alternative-Rock, den Rico Lóaz spielte.

Marc schüttelte schnell den Kopf, um wieder einen klaren Gedanken fassen zu können, und hörte Selina lachen. „Meine Güte, was bist du heute dramatisch, Rico. So kenn ich dich ja gar nicht! Wir nehmen dir doch nicht deine Freiheit. Du kannst nach wie vor tun, was du willst, nur eben nicht ganz allein. Ich verstehe ohnehin nicht, warum du dich jede Nacht aus dem Hotel schleichen und irgendwohin verschwinden musst.“

„Ich brauche meine Ruhe, um neue Songs zu schreiben. Das kann ich bei dem Trubel im Hotel nicht“, erwiderte Rico aufgebracht.

„Dein Bodyguard wird dich sicher nicht beim Komponieren stören. Der behält nur die Umgebung im Auge, damit du nicht belästigt wirst.“

Rico schnaubte ungehalten. „Verdammt noch mal! Ich bin in Brooklyn aufgewachsen! Ich kann auf mich selber aufpassen. Ich will keinen Pinguin hinter mir her watscheln haben. Da mache ich mich doch vollkommen lächerlich.“

Selina lachte erneut, und Ricos Miene verfinsterte sich noch mehr, bis er bemerkte, dass das Lachen gar nicht ihm gegolten hatte. Langsam drehte er seinen Kopf zur Seite, und Marc musste unweigerlich schlucken, als er in Ricos tief dunkle Augen blickte, die vor Wut fast Funken sprühten. Der Kerl hatte offenbar nicht nur auf der Bühne ein absolut mitreißendes Temperament. Das konnte ja heiter werden.

Selina stieg die Stufen herunter. „Rico, darf ich vorstellen, das ist Marc Whitesmith.“

Marc streckte ihm die Hand entgegen. „… dein persönlicher Pinguin“, ergänzte er und grinste schief.

Rico fühlte, wie ihm das Blut ins Gesicht schoss. Er war heilfroh, nicht so blass zu sein, dass man sofort erkannte, wenn er rot wurde. Das wurde er für seinen Geschmack ohnehin viel zu oft.

Verlegen erwiderte er das Grinsen und schüttelte Marc die Hand. „Sorry, ich wollte nicht unhöflich sein. Du siehst aber ehrlich gesagt auch gar nicht wie ein Bodyguard aus.“

„Tatsächlich?“, fragte Marc, und Rico wurde sich des nächsten Fettnäpfchens bewusst, in das er gerade getreten war.

„Ich meinte, dass ich eigentlich einen alten grummeligen Ex-FBI-Agenten im schwarzen Anzug erwartet hätte und nicht …“ Er schluckte und ließ verstohlen seinen Blick über Marcs perfekt trainierten Körper schweifen. Sofort schrillten in ihm alle Alarmglocken, und er war versucht, einen Schritt zurückzutreten, um Marc ja nicht zu nahe zu kommen.

„Du hattest was nicht erwartet?“, fragte Selina amüsiert. „Einen durchtrainierten, gebildeten Schönling, der extra seinen Urlaub in den Hamptons für den Job hier unterbrochen und sich auch noch einen Dreitagebart stehen lassen hat, damit er im Tourzirkus nicht gleich auffällt?“

Sie stellte sich auf die Zehenspitzen und drückte Marc einen Kuss auf die Wange. „Danke, dass du kommen konntest. Ich hoffe, du bist nicht allzu sehr genervt von unserem unerziehbaren Rocker hier.“ Sie nickte in Ricos Richtung.

„Find ich nicht witzig, wenn du mich behandelst wie ein kleines Kind“, murrte der.

„Tja, solange du dich benimmst wie ein kleines Kind, werde ich dich auch so behandeln. Ihr habt noch fünf Minuten, falls du noch deine Ruhe für irgendwas brauchst, dann fahren wir los.“

Rico nahm einen weiteren tiefen Zug von seiner Zigarette und blies langsam den Rauch in den feinen Nieselregen, der seit dem frühen Morgen keine Anstalten machte, sich zu entscheiden, ob er wieder verschwinden oder in richtigen Regen übergehen wollte. Das graue Wetter hier in Boston, wo sie am Vorabend ein großes Konzert gespielt hatten, passte genau zu seiner Stimmung. Und ganz gleich, ob auf dem Weg zur nächsten Station ihrer Tournee noch die Sonne herauskam, es würde nichts an seiner schlechten Laune ändern. Er konnte es einfach nicht leiden, bevormundet zu werden.

Er betrachtete Marc, der sich gerade durch das seitlich gescheitelte Haar fuhr, während er ganz lässig mit der anderen Hand in der Hosentasche neben dem Bus stand und fast wie nebenbei den ganzen Parkplatz kontrollierte. Rico konnte in Marcs Blick erkennen, dass er jede noch so kleine Bewegung registrierte. Selbst wenn es nur ein Busch war, der von einer leichten Windböe geschüttelt wurde.

Das war also der Kerl, der ihm seine nächtlichen Ausflüge vermiesen würde.

Marc wandte sich wieder ihm zu und zog seine Augenbrauen hoch, als hätte er Ricos Gedanken gehört.

„Wenn dich der Regen stört, kannst du ruhig schon in den Bus steigen. Ich glaube nicht, dass ausgerechnet am helllichten Tag einer hinter der Mauer hervorspringt und mir an den Kragen will“, sagte Rico, während er seine Zigarette ausdrückte und sich ganz gemächlich eine neue anzündete.

Marc grinste ihn an. „Netter Versuch, aber ich bleibe hier.“

„Du willst das also wirklich durchziehen?“, fragte Rico und versuchte Marcs Blick standzuhalten. Aber irgendetwas in dessen olivgrünen Augen brachte ihn derart aus dem Gleichgewicht, dass er wegsehen musste.

„Wenn nicht, dann wäre ich ganz einfach geblieben, wo ich war“, antwortete Marc, und sein Grinsen verschwand.

„In den Hamptons, ja? Wie kommt es, dass ein Typ, der in den Hamptons Urlaub macht, einen Job wie diesen annimmt?“, fragte Rico und versuchte sich noch einmal an einem Blickduell, das er bereits im Anfangsstadium verlor.

„Sagen wir mal, es ist ein Gefallen für eine Freundin“, antwortete Marc, und Rico registrierte erleichtert sein erneutes Grinsen. Er war sich sicher, dass es sehr unvorteilhaft sein würde, sich Marc zum Feind zu machen. Und andererseits wollte er das auch gar nicht. Er hatte fast das Gefühl, als könne es ihm gefallen, ein paar Nächte einmal nicht allein irgendwo in der Dunkelheit zu verbringen. Und vielleicht … Er musste schlucken bei dem Gedanken, der folgte und eine heiße Spur durch seinen ganzen Körper zog. Was für Ideen schlichen denn da plötzlich durch seine Gehirnwindungen?

„Woher kennst du Selina eigentlich?“, fragte er schnell und zog erneut an seiner Kippe, um sich irgendwie abzulenken.

„Wir sind zusammen zur Schule gegangen“, antwortete Marc nur kurz, und Rico wurde rasch klar, dass Marc nicht gerade der Typ war, der von sich aus viel preisgab. Eigentlich sollte es ihn auch gar nicht interessieren, was er zu erzählen hatte, denn seine ursprüngliche Absicht war gewesen, den ihm aufgezwungenen Babysitter schnellstens wieder loszuwerden. Aber irgendwie …

„Die fünf Minuten sind um! Reinkommen!“, rief Selina aus dem Bus.

Marc deutete zur Tür. „Du zuerst. Der Pinguin bleibt hinter dir.“

„Mann, lass das!“, murrte Rico. „Ich kann’s nicht leiden, wenn mir jemand meine Fehler vorhält.“

Marc grinste wieder schief. „Ich werde es mir merken, falls ich dich ärgern will.“

„Wie lange gibt es diesen Stalker denn eigentlich schon?“, fragte Marc Rico, als sie sich einander gegenüber auf einer der freien Couchecken im Bus niederließen.

„Seit Selina behauptet, ich hätte einen“, antwortete Rico und wich Marcs Blick erneut aus.

„Ich behaupte gar nichts. Sieh endlich mal den Tatsachen ins Auge“, mischte sich Selina ein und setzte sich neben Marc, als der Bus losfuhr.

„Ach komm, Selina! Mir laufen doch ständig irgendwelche Fans hinterher, klauen Sachen und hinterlassen Botschaften.“

„Ja, aber normalerweise keine, in denen Dinge stehen wie: Ich krieg dich am Arsch oder Nur noch zwei Wochen, dann bist du dran. Und davor hat auch noch keiner deiner Fans in der Nacht Totenköpfe an den Bus gemalt. Mir ist es egal, wie du damit umgehst, wenn du wieder zu Hause bist, aber solange ich für den Ablauf der Tour verantwortlich bin, will ich, dass du problemlos deine Arbeit machen kannst.“ Selina kniff die Lippen zusammen und sah so grimmig drein, dass es sogar bei einer so kleinen und zierlichen Person, wie sie es war, respekteinflößend wirkte, wie Marc feststellte.

Rico verdrehte die Augen. „Willst du ein Bier?“, fragte er Marc und stand auf.

„Gern, aber ein alkoholfreies.“

„Wegen mir musst du nicht nüchtern bleiben.“

„Wegen dir sowieso nicht … aber ich bin im Dienst“, fügte Marc noch rasch hinzu, als ihm auffiel, dass seine Antwort durchaus zweideutig verstanden werden konnte. Vielleicht sollte er sich schnellstens wieder seines wortkargen Images besinnen und nur so viel sagen wie nötig. Seit wann lieferte er sich denn Wortgefechte mit einem Klienten?

Selina betrachtete ihn von der Seite und lächelte verschmitzt.

„Was?“, fragte Marc sie.

„Irgendwas ist anders an dir. Entweder du hattest einen extrem entspannten Urlaub, was ich mir bei einem Familientreffen der Whitesmiths so gar nicht vorstellen kann, oder …?“ Sie sah zu Rico, der gerade wieder mit dem Bier vom Kühlschrank zurückkam.

„Ich bin entspannt, weil du mich vor meiner Familie gerettet hast“, antwortete Marc schnell und nahm Rico, der sich demonstrativ ihnen gegenübersetzte, um das Gespräch weiter mitzuverfolgen, die Flasche ab.

„Hat dir Großtante Amanda wieder Ratschläge gegeben, was du in deinem Leben anders machen sollst?“

„Das kannst du dir denken. Inklusive dem unschlagbaren Tipp, mir endlich zumindest eine Alibifamilie zuzulegen, um in der Politik Fuß fassen zu können. Sie hätte sogar die passende Frau dafür parat.“

Selina lachte, und Marc sah aus den Augenwinkeln, wie Ricos fragender Blick zwischen ihnen hin- und herwanderte. Marc war es nur recht, wenn Rico annahm, zwischen Selina und ihm würde etwas laufen. Unangenehme Nachfragen zu seinem Privatleben hatte er in den letzten zehn Tagen genug gehabt. Er band nicht gern jedem auf die Nase, dass er schwul war, vor allem deshalb nicht, weil es völlig unerheblich für ihn war, da er ohnehin nicht vorhatte, eine längerfristige Beziehung mit irgendjemandem einzugehen. Nicht bei seinem Beruf.

Selina hielt Marc ihr Glas hin, um anzustoßen.

„Vielleicht sollten wir uns einfach zusammentun“, überlegte sie.

„Wie meinst du das?“

„Na, wir könnten heiraten. Damit hätten wir beide zumindest den Anfang dieser leidigen Familiengründungsgeschichte erledigt und unsere Ruhe. Kinder brauch ich eh keine, mir reichen schon die Plagen, mit denen ich beruflich zu tun habe.“ Sie grinste in Ricos Richtung, der sie sofort wieder finster ansah.

Marc musste lachen, ob er wollte oder nicht. Der Job begann ihm tatsächlich Spaß zu machen, wie Selina ihm prophezeit hatte, auch wenn er sich den Spaß als Bodyguard eigentlich verkneifen sollte. Aber in den nächsten paar Stunden Busfahrt würde sicher nichts Großartiges passieren, somit konnte er zumindest einmal die völlig andere Atmosphäre genießen, bis der Job dann richtig losging.

Rico hätte am liebsten sein Bier in einem Zug ausgetrunken und sich noch ein neues geholt. Es würde ohnehin nichts ausmachen, wenn er am Abend nicht mehr fit wäre, weil sie kein Konzert zu spielen hatten, sondern nur die üblichen Fanhorden bei Laune halten mussten, bis sie den Weg ins Hotel hinter sich gebracht hatten.

Irgendwie gefiel ihm die Vertrautheit zwischen Selina und Marc nicht, und er wusste noch nicht einmal wieso. Er sollte froh sein, wenn Marc an Selina interessiert war, so konnte er wenigstens nicht in Gefahr geraten, dem überaus heißen Bodyguard zu nahe zu kommen. Ihm reichte schon der Zwischenfall nach einem der ersten Konzerte in New Jersey, der ihn seither verfolgte wie ein böser Schatten.

Er hörte mit halbem Ohr dem Sicherheits-Briefing zu, das Selina vorbereitet hatte, während er Marc beobachtete.

Marc musste offenbar tatsächlich nur dafür sorgen, dass Rico tun und lassen konnte, was er wollte, wenn er sich nicht im Kontrollbereich der üblichen Security aufhielt, sondern allein unterwegs sein wollte. Quasi ein Ferienjob, im Vergleich zu Marcs üblichen Jobs, wie Selina lachend bemerkte. Sie wollte nur sicherstellen, dass der Stalker nicht zu nah an Rico herankam, dass er ihm nicht gefährlich werden konnte. Rico wunderte sich darüber, dass Marc nicht nachfragte, wo er sich eigentlich immer herumtrieb, während es sich der Rest der Band im Hotel gemütlich machte. Vor Selina hätte er es ihm auch sicher nicht erzählt, und er hoffte, dass Marc seine Klappe weiterhin hielt, bevor Selina wieder ausflippte, weil sie Angst hatte, ihm könnte irgendetwas zustoßen. So gern er seine Tourmanagerin auch mochte, manchmal war sie schlimmer als seine Mutter, obwohl sie mit ihren neunundzwanzig Jahren kaum drei Jahre älter war als er.

Er erwischte Marc dabei, wie er einen kurzen nachdenklichen Blick zu ihm herüberwarf, und der allein reichte schon aus, dass ihm trotz Klimaanlage heiß wurde. Selbst sein vom Nieselregen feuchtes T-Shirt schaffte es nicht, diese Hitze zu kühlen, die ihn durchfuhr, als er sich vorstellte, wie sich Marcs Muskeln anfühlten, die sich unter seinem engen weißen Langarmshirt nur zu deutlich abzeichneten. Wieso trug der Kerl eigentlich solche engen Klamotten? Der musste doch wissen, wie er auf andere wirkte. Oder sollte das ein Teil der Ablenkung sein, damit mögliche Angreifer seine Klienten in Ruhe ließen? Der eine oder andere würde ganz sicher auf seinem eigenen Sabber ausrutschen, wenn er Marc sah.

„Hast du das mitbekommen, Rico?“, fragte Selina plötzlich.

„Was?“

„Das, was ich gerade mit Marc vereinbart habe“, antwortete sie genervt.

„Dass ihr beide heiratet? Ich mach aber nicht den Trauzeugen, ich hasse Hochzeiten.“

Selina schlug sich mit der flachen Hand vor die Stirn. „Manchmal möchte man echt meinen, du wärst noch nicht mal achtzehn. Verdammt noch mal! Nimm die Situation endlich ernst.“

„Das mach ich doch, es ist mir sehr ernst.“

„Womit? Dich definitiv an keine Regeln zu halten, oder was?“

Rico sah, wie sich Marc ein Lachen verkniff. Vielleicht würde er sich doch zumindest einmal dazu durchringen, das zu tun, was von ihm verlangt wurde. Und wenn auch nur, um zu sehen, ob dieser Bodyguard so sportlich war, wie er wirkte. Und er wusste auch schon genau, wo er das testen wollte. Er bemerkte, wie ein Grinsen über sein Gesicht huschte.

„Also, falls du glaubst, du könntest Marc genauso verarschen wie unsere anderen Sicherheitsleute, dann hast du dich geirrt. Sobald du vorhast, den Bus oder das Hotel zu verlassen, gibst du ihm Bescheid. Du rennst keinen Meter mehr allein herum, haben wir uns verstanden?“, schimpfte Selina.

„Pinkeln gehen darf ich aber schon noch allein, oder?“

„Rico!“

„Ja, okay! Aber was ist, wenn ich vergesse, Bescheid zu geben?“

„Dann sperre ich dich für den Rest der Tournee in den Schrank!“

Marc konnte sich das Lachen nicht mehr verkneifen, als Selina aufstand und Rico an den Haaren zog, bevor sie sich zu den anderen Bandmitgliedern begab, die sich weiter vorne im Bus über irgendein Baseballspiel amüsierten. Das war das albernste Briefing, das er je für einen Job bekommen hatte. Normalerweise waren seine Klienten, selbst wenn sie eine Bedrohung nicht ernst nahmen, zumindest gewillt mitzuarbeiten, bis sich die Situation wieder erledigt hatte. Und diejenigen, die die Sache wirklich anerkannten, saßen mit erschrockener Miene am Tisch und nickten stumm zu allem, was besprochen wurde.

Rico hingegen lümmelte mit seiner Bierflasche auf der Couch und träumte offenbar bereits von seinen nächsten nächtlichen Ausflügen und wie er Marc entkommen konnte. Wenn nur irgendjemand wüsste, wo er sich in der Nacht herumtrieb und warum … Marc konnte nicht einschätzen, in welche Richtung es ging, aber seine Erfahrung sagte ihm, dass es sicher nicht ganz harmlos war.

Dass Rico nur seine Ruhe brauchte, um neue Songs zu schreiben, das kaufte Marc ihm nicht ab. Trotz seines perfekt unschuldigen Hundeblicks, den er aufsetzte, wenn er nicht gerade auf irgendetwas oder irgendjemanden zornig war, und der einen alles glauben lassen sollte, was Rico von sich gab.

Selbst seine Bandkollegen konnten oder wollten nichts dazu sagen, nur dass er es schon so machte, seit sie ihn kannten. Er war offenbar so meisterhaft im Verschwinden, dass es immer erst bemerkt wurde, wenn er schon lange weg war.

Marc ertappte Rico dabei, wie er wieder einen verstohlenen Blick unter seinen verboten langen dunklen Wimpern in seine Richtung warf, der ihm sofort unter die Haut ging. Er war definitiv nicht so abschätzig, wie er erwartet hätte, nachdem Rico deutlich gemacht hatte, was er davon hielt, sich an Selinas Regeln zu halten. Nur was sollte dieser Blick dann bedeuten? Und vor allem, wie schaffte er es, ihn damit immer wieder aus dem Konzept zu bringen?

Er sah sich Ricos Profil durch, das Selina aufgeschrieben hatte, um zu einer ersten Einschätzung zu gelangen.

Wie erwartet war Rico der Frauenschwarm in der Band, und auf den offiziellen Fotos hatte er immer irgendein hübsches Model im Arm, aber es war nie zweimal dieselbe Frau, geschweige denn, dass über eine mögliche Freundin getratscht worden wäre. So weit, so normal für einen Rockstar.

Was Marc allerdings stutzig machte, war ein altes Gerücht, das irgendwann einmal am Anfang von Ricos Karriere die Runde gemacht hatte. Konnte es sein …?

„Sag mal, liest du gerade mein Vorstrafenregister, weil du gar so skeptisch dreinschaust?“, fragte Rico und lehnte sich zu Marc herüber.

Marc hielt die Luft an, als er Ricos Duft wahrnahm, der wie eine Mischung aus Wald und warmem Honig roch und ihn fast in Versuchung führte, noch näher an Rico heranzurücken, um mehr davon einzusaugen.

„Sollte ich das tun?“, fragte er schnell und blätterte um, ohne wirklich wahrzunehmen, was auf der nächsten Seite der Unterlagen stand.

Rico ließ sich wieder zurück in die Couch fallen. „Ich glaub, ich hab gar keins. So schlimm wie Selina immer tut, bin ich nämlich gar nicht. Zumindest lasse ich mich nicht bei irgendwas erwischen.“

Marc sah auf und musste schlucken, als Ricos Lächeln ihn völlig unvorbereitet erwischte. Es war kein freches Grinsen, wie er erwartet hätte, sondern einfach ein ehrliches offenes Lächeln, das eine Ahnung davon zuließ, was hinter Ricos rebellischer Fassade stecken könnte. Verdammt war das heiß! Marc versuchte sich auf etwas anderes zu konzentrieren, aber das war schwerer, als er es sich jemals hätte vorstellen können. Was war bloß los mit ihm? Bisher hatte er sich immer unter Kontrolle gehabt, egal wer und in welcher Verfassung er vor ihm stand. Nicht auszudenken, wenn er jemals unkonzentriert gewesen wäre, nur weil er einen seiner Klienten nackt aus dem Bett seiner Geliebten scheuchen musste, weil Gefahr im Verzug war.

Und bei Rico reichte schon ein Blick oder ein Lächeln, und Marc konnte nicht mehr wegsehen. Das konnte wirklich noch heiter werden.

„Wir sind gleich da!“, rief Selina durch das Mikrofon des Busfahrers.

Marc blinzelte. Offenbar war er doch noch eingenickt, nachdem er die restlichen Tourdaten und alle Mitarbeiter, auf die sie treffen würden, durchgegangen war und noch versucht hatte, weitere Informationen über Rico zu finden. Selbst das war nicht genug Pensum gewesen, um sich über mehr als zehn Stunden zu beschäftigen, die die Fahrt von Boston nach Detroit gedauert hatte.

Rico hatte sich irgendwann in eine der Schlafkojen des Busses zurückgezogen, da, wie er selbst zugab, die Nacht recht kurz war, und auch der Rest der Band war nach und nach verstummt.

Immer noch verschlafen stolperte Rico die Treppe herunter und setzte sich wieder Marc gegenüber auf die Couch. „Und? Hast du noch irgendetwas Interessantes über mich rausgefunden?“, fragte er und grinste.

„Wenn du ein bisschen kooperativer wärst, dann wüsste ich jetzt vermutlich alles, was ich wissen muss, und bräuchte mir nichts zusammenzureimen.“

„Ach, so ein bisschen Rätselraten vertreibt doch super die Langeweile, oder nicht?“, raunte Rico heiser.

Marc schluckte. Er kam einfach nicht gegen dieses Kribbeln an, das Ricos Stimme immer wieder verursachte. Wie konnte der Kerl nur solche Reaktionen bei ihm hervorrufen?

„Hört mal alle zu!“, meldete sich Selina erneut zu Wort. „Wir haben unseren Plan etwas geändert. Die Security hat den Eingangsbereich zum Hotel abgesperrt, sodass nur ausgewählte Fans nach einer Kontrolle an euch herankommen und nicht wie sonst die halbe Stadt. Ihr solltet also problemlos und weitestgehend unbehelligt aussteigen können. Im Hotel steht euch die oberste Etage mit dem Außenpool auf der Terrasse zur Verfügung. Da könnt ihr euch heute und morgen austoben.“

Rico verdrehte die Augen. Eingesperrt im Hotel und austoben, hatte für ihn nichts gemeinsam.

„Aber ihr lasst schon auch ein paar von den Fans ins Hotel, wie immer, oder?“, fragte Jack, sein Bassist.

„Ja, aber nur nach strengen Kontrollen. Ihr versucht auf keinen Fall, jemanden an der Sicherheitskontrolle vorbeizuschmuggeln, solange sich die Stalkergeschichte nicht aufgeklärt hat. Habt ihr mich verstanden?“

Rico sah die genervten Blicke seiner Bandkollegen und zuckte nur mit den Schultern. Er hatte sich das Ganze ja nicht ausgedacht. Und er hatte ganz sicher nicht darum gebeten, dass ihn irgendjemand vor einem dämlichen Stalker beschützte. Das war ganz allein auf Selinas Mist gewachsen.

Aus dem Augenwinkel beobachtete er Marc, wie er seine drei Bandmitglieder der Reihe nach aus der Entfernung unter die Lupe nahm. Er bewunderte seine Konzentration, und er fühlte Marcs durchdringende Blicke beinah auf seiner eigenen Haut, obwohl sie ihm nicht galten.

Ob er ihm sagen sollte, dass er unter den Bandmitgliedern den Stalker sicher nicht finden würde? Vielleicht würde Marc dann stattdessen ihn mit diesem Blick mustern?

Der Bus hielt vor dem Hotel, und tatsächlich hatten es die Securitys geschafft, dass nur eine überschaubare Anzahl an Fans am Eingang kreischte. Sie machten außerdem den Eindruck, als würden sie hinter der Absperrung bleiben. Jack sprang wie immer als Erster aus dem Bus und heizte die Menge mit seinem üblichen Party, Party-Gejohle an. Dan, der Drummer, und Garry, der zweite Gitarrist, folgten lachend und liefen sofort an die Absperrung, um Autogramme zu geben.

Rico wartete einen Moment, bevor er wie immer als Letzter aus dem Bus stieg. Sofort kreischten die Fans noch lauter und sprangen an der Absperrung auf und ab. Er genoss die Aufmerksamkeit und ließ sich extra lang Zeit, um den Fans die Gelegenheit zu geben, so richtig auszuflippen.

Er bemerkte, dass Marc den Securityleuten Zeichen gab, wenn jemand Anstalten machte, über die Absperrung zu klettern oder sich zu weit herüberlehnte. Trotzdem ließ Rico sich nicht davon abhalten, stehen zu bleiben, und Autogramme auf die verschiedenen Körperteile zu kritzeln, die ihm entgegengestreckt wurden, oder Selfies zu machen, auch wenn Selina und Marc beschlossen hatten, dass er das nicht tun sollte.

Irgendwann auf halber Höhe der Fanreihe spürte er eine Hand in seinem Rücken, und auch ohne hinzusehen, wusste er, wem sie gehörte.

„Vielleicht solltest du das Ganze etwas beschleunigen“, raunte Marc an seiner Seite. Rico war hin- und hergerissen, ob er das unglaublich warme Gefühl, das Marc durch seine Berührung verursachte, auskosten und sich weiterschieben lassen sollte, oder ob er lieber einen spöttischen Kommentar dazu abgeben wollte. Doch bevor er sich entscheiden konnte, packte Selina ihn am Handgelenk und zerrte ihn hinter sich her, bis sie die Hotellobby erreicht hatten.

Wütend drehte sie sich zu ihm um und sah ihn mit zusammengekniffenen Augenbrauen an. „Rico! Was zum Teufel sollte das? Wir hatten ausgemacht, dass du diesmal nicht stehen bleibst und Autogramme gibst!“, schimpfte sie erbost und machte den Eindruck, als würde sie ihm am liebsten eine scheuern. Er warf einen Blick zu Marc hinüber, der neben der Eingangstür stand, beobachtete, was draußen vor sich ging, und von ihm offenbar keine Notiz nahm. War der auch sauer auf ihn, oder war es ihm egal, dass er sich nicht an die Regeln hielt? Und warum zum Henker interessierte ihn das überhaupt?

Rico fuhr sich mit beiden Händen durch die Haare und war versucht, gegen eine Säule zu treten. „Selina, das da draußen sind Fans“, fuhr er sie an. „Das sind die Leute, die unsere Musik kaufen und auf unsere Konzerte gehen. Soll ich einfach an denen vorbeirennen? Ich hab mich schon immer in die Menge geworfen. Was glaubst du, wie schnell die von mir denken, dass ich ein arroganter Arsch geworden bin, wenn ich es plötzlich nicht mehr tue? Wenn du willst, dass ich in Ruhe meine Arbeit machen kann, dann lass sie mich zum Teufel noch mal auch machen!“

„Und was ist, wenn unter den Fans auch der Typ ist, der dich bedroht?“

„Glaubst du wirklich, dass da draußen nur einer rumrennt, der was gegen mich hat? Du kannst noch so sehr versuchen, alles von mir abzuschirmen, es werden immer wieder Drohungen auftauchen, und selbst wenn keiner mir mit irgendwas droht, kann hinter der nächsten Ecke einer lauern, der garantiert was anderes als ein Autogramm von mir will. Das ist nicht der Erste und wird nicht der Letzte sein!“

„Aber es ist einer, von dem wir wissen, und es ist meine Pflicht, dafür zu sorgen, dass der nicht an dich herankommt. Es wäre schön, wenn du uns unsere Arbeit nicht schwerer machen würdest, als sie ohnehin schon ist“, schimpfte Selina weiter.

„Ach verdammt noch mal, lasst mich doch einfach in Ruhe!“

„Vielleicht sollten wir später noch mal drüber reden“, mischte sich Marc ein, der zu ihnen herübergekommen war. Aus irgendeinem Grund schaffte er es mit seiner ruhigen Art, Rico den Wind aus den Segeln zu nehmen, was ihm erst recht nicht gefiel. Er wollte zumindest wütend sein dürfen, wann er wollte. Aber selbst Selina kniff nur die Lippen zusammen und sagte nichts mehr.

Rico schnaubte. „Ich hol mir ein Bier. Brauch ich da auch die Erlaubnis von dir, oder darf ich mich im Hotel bewegen, wie ich will?“, fragte er Marc verärgert.

„Solange du das Hotel nicht allein verlässt, kannst du tun und lassen, was du willst. Wenn du mich suchst, ich geh schwimmen, sofern der Pool nicht für eure Party gebraucht wird, und danach bin ich entweder im Zimmer oder hier unten.“

Rico nickte nur und wandte sich in Richtung Bar, ohne Marc und Selina noch eines Blickes zu würdigen.

KAPITEL 2

Marc kraulte zügig eine Bahn nach der anderen und versuchte, an nichts weiter zu denken, als die Bewegung so kraftvoll und gleichmäßig wie möglich auszuführen. Nach und nach fiel etwas von der seltsamen Anspannung ab, die Rico in ihm verursachte. Und das im Grund nicht erst seit heute Morgen, als er ihn persönlich getroffen hatte, sondern schon seit er die Videos und Fotos durchgesehen hatte, die Selina ihm vorab geschickt hatte. Zu diesem Zeitpunkt hatte er es noch ignorieren und es mit der Erklärung abtun können, dass der Job nichts mit seinem üblichen beruflichen Umfeld zu tun hatte und er sich erst in die ungewohnte Situation einfinden musste.

Doch seit er Rico das erste Mal gegenüberstanden hatte, schlich er durch Marcs Gedanken und verursachte einen Aufruhr in seinem Körper, den er kaum unter Kontrolle hatte.

Er konnte noch immer nicht begreifen, was mit ihm los war. Es war ihm noch nie passiert, dass jemand so einfach bis auf seine Gefühlsebene dringen konnte. Marc hatte sich bisher immer und jederzeit im Griff gehabt, und darauf war er wirklich stolz. Keine unnötigen Verwicklungen, nichts, was ihn von seinem Job ablenkte, und das seit fast zehn Jahren. Egal, mit wem er zu tun hatte. Selbst seine One-Night-Stands waren nicht mehr als flüchtige Begegnungen, die er sofort wieder vergaß, sobald er das Hotelzimmer verließ.

Doch Rico hatte etwas an sich, gegen das er nicht ankam. Sobald seine Konzentration nachließ, sah er ihn vor sich – seine lässigen Bewegungen, seinen durchtrainierten Körper, bei dem Marc sich ständig vorstellen wollte, wie er wohl nackt aussah, Ricos dunkle Augen, die ihn selbst dann noch faszinierten, wenn Rico sauer auf ihn und die Welt war.

Marc versuchte mit aller Kraft, seine Gedanken wieder auf seine Schwimmzüge zu lenken. Das konnte doch nicht so schwer sein! Einfach nur schwimmen und sonst an nichts denken. Schon gar nicht an Ricos Blicke, egal ob sie Funken sprühten und ihn herausforderten oder ob sie … Verdammt!

Warum konnte er den Kerl gedanklich nicht in die Ecke schieben, wo er hingehörte? Er war nichts weiter als ein Klient, für den er die nächsten paar Tage verantwortlich war. Ein paar Tage und der erste davon war fast um.

Marc tauchte unter und konzentrierte sich darauf, die Luft so lange anzuhalten, bis alle anderen Gedanken verschwunden waren, und tatsächlich stellte sich ganz langsam wieder so etwas wie Ruhe ein.

Erleichtert tauchte er auf, schloss die Augen und atmete tief durch.

Da ging die Tür auf, und Rico schlenderte auf die Terrasse. Die Hände in den Hosentaschen, die Locken zerzaust, als hätte er sich gerade heftig vergnügt, mit einem Gang, der keine Zweifel daran ließ, wie heiß der Kerl war.

Sofort spürte Marc wieder ein Ziehen in seinen Lenden. Da half auch alles Untertauchen nichts mehr. Genervt stieg er aus dem Pool und hängte sich ein Handtuch um die Hüften.

„Ich hätte angenommen, eure Party würde länger dauern. Gefallen dir deine Fans nicht?“, fragte Marc in einem so gleichgültigen Tonfall, wie ihm nur möglich war, während er sich das Wasser aus den Haaren schüttelte.

„Die kenn ich schon alle. Die Security lässt ja nur Mädels rein, die sie schon fünfmal überprüft haben“, murrte Rico.

„Ach, und es gibt ein ungeschriebenes Gesetz bei euch, dass ihr nur einmal mit derselben Frau schlaft, oder wie?“ Marc wollte sich eigentlich darüber amüsieren, doch stattdessen spürte er einen unangenehmen Stich in der Gegend seines Herzens. Das konnte doch nicht sein! Er war ganz sicher nicht eifersüchtig, schon gar nicht auf einen Haufen Groupies. Er war nie eifersüchtig. Und wozu auch? Rico war komplett außer seiner Reichweite. Er war der Frauenschwarm der Band und nahm jede Frau mit, die sich ihm in die Arme warf. Und wenn Marc eines definitiv nicht war, dann eine Frau.

Rico verdrehte demonstrativ die Augen und lehnte sich an eine der Säulen, die die Überdachung des Pools trugen. „Warum bist du denn nicht auf der Party geblieben, wenn du im Hotel schon nicht auf mich aufpassen musst? Jack hat gesagt, er hätte dich eingeladen, als du noch mal nachgesehen hast, wer alles in der Suite ist“, fragte Rico und musterte Marc eine Spur zu aufmerksam.

„Ist das dein Ernst? Was soll ich da?“

„Nicht dein Stil?“, hakte Rico nach. „Diese Art von Partys macht man wohl in den Hamptons nicht, wie?“

„Falls du mich provozieren willst, kannst du dir die Energie sparen.“

Marc überlegte, ob er nicht einfach gehen sollte. Es wäre deutlich besser, als sich hier herumzuquälen, weil er nicht verhindern konnte, dass er scharf wurde, sobald Rico ihn auch nur ansah.

„Will ich nicht, sorry!“, entschuldigte Rico sich unerwartet und zündete sich eine Zigarette an.

„Du rauchst vermutlich auch nicht, oder?“ Er hielt Marc die Schachtel hin.

„Nein.“

„Was frag ich auch.“

Marc grinste. „Ich bin für dich wohl die absolute Spaßbremse.“

„Hm“, brummte Rico. „Ein bisschen viel Stock im Arsch hast du schon, das stimmt.“

Mit der Einschätzung konnte Marc durchaus leben. Darauf hatte er lang genug hingearbeitet. Und wenn Rico ihm das abkaufte, dann hatte er vielleicht eine Chance, seine Fassade halbwegs aufrecht zu erhalten. Allerdings nicht, wenn Rico ihn so verdammt heiß von unten herauf musterte, wie er es gerade wieder tat.

Rico sog den Rauch tief ein und blies ihn genauso lange wieder in die Luft, während er seinen Kopf zurück an die Säule lehnte und in den Himmel sah, als würde er die wenigen Wolken beobachten, die im Sonnenuntergang dahintrieben.

„Und was genau wolltest du jetzt hier? Hast du nach mir gesucht?“

Rico blickte wieder zu Boden und kaute auf seiner Unterlippe herum.

„Willst du irgendwo hin?“, fragte Marc schnell und versuchte, etwas anderes zu finden, das er anstarren konnte, als Ricos volle Lippen, die so weich und samtig aussahen, dass Marc sich sicher war, er würde in den nächsten Nächten von nichts anderem mehr träumen als davon, wie es wäre, Rico lang und ausgiebig zu küssen und noch ganz andere Dinge anzustellen, in denen seine Lippen eine Hauptrolle spielten.

„Später, wenn es dunkel ist. Dann lauern mir nicht mehr so viele Fans auf“, antwortete Rico und sah ihm direkt in die Augen.

Marc konnte seinen Blick nicht deuten. Es lag eine versteckte Aufforderung darin, aber Marc konnte sich nicht vorstellen, wozu Rico ihn auffordern wollte. Und was war das überhaupt für eine Antwort auf seine Frage gewesen? Bei jedem anderen Kerl hätte er angenommen, dass er ihm damit zu verstehen geben wollte, dass er nicht abgeneigt wäre, eine heiße Nummer mit ihm zu schieben.

Aber Rico? Er kam grad aus der Suite der Band, in der die hübschesten und willigsten Frauen weit und breit auf ihn lauerten. Warum zum Teufel, sollte er dann ausgerechnet mit ihm ins Bett wollen?

„Macht’s dir was aus, wenn ich auch ʾne Runde schwimme?“, fragte Rico leise, und das verdammte Kribbeln schlich sich wieder über Marcs Haut.

„Ist nicht mein Privatpool. Du kannst schwimmen, so viel du willst.“ Verärgert über seine körperlichen Reaktionen auf Rico, wandte Marc sich ab und suchte seine Sachen zusammen, um von der Terrasse zu verschwinden. Vielleicht sollte er einen extrem spannenden Thriller lesen, um zumindest für eine Weile nicht an Rico denken zu können.

Im Augenwinkel registrierte er, wie Rico sich sein Shirt über den Kopf zog und den Gürtel seiner Jeans öffnete – und innehielt.

„Ich hab aber nichts drunter“, sagte Rico und machte ein verlegenes Gesicht.

Marc sah auf und schluckte. Schnell verknotete er sein Handtuch fester um die Hüfte, damit es ihm ja nicht herunterrutschen konnte.

„Tu dir keinen Zwang an. Ich hab schon öfter einen nackten Kerl gesehen“, erwiderte er heiser, und obwohl er wusste, dass er sich wegdrehen sollte, konnte er nicht verhindern, dass sich sein Blick über Ricos muskulöse Brust und seinen Sixpack bis nach unten zu seinen Händen stahl, die immer noch seinen Gürtel festhielten.

„Tatsächlich?“, fragte Rico und sah ihn wieder so direkt an, dass Marc heiß und kalt zugleich wurde. Dann lachte er. „Hey, war nur Spaß! Was meinst du, was die Paparazzi für eine Freude hätten, wenn sie mich mal nackt ablichten könnten und das Tattoo auf meiner Arschbacke vor die Linse bekämen. Aber den Gefallen tu’ ich ihnen nicht.“

Rico streifte grinsend seine Jeans ab und rückte seine schwarze Badeshorts zurecht. Nach einigen Momenten schaffte Marc es, seinen Blick von Rico loszureißen und sich halbwegs auf die untergehende Sonne zu konzentrieren, die rot wie Feuer hinter den Hochhäusern von Detroit am Horizont glühte, als würde die Stadt brennen. Er hörte Rico ins Wasser springen und schielte in seine Richtung.

Ein großer Fehler, wie er sofort feststellte.

Fasziniert verfolgte er die Bewegungen der Rosentattoos auf Ricos Rücken, die sich auf seiner gebräunten Haut von der Schulter aus nicht nur über seinen Arm zogen, sondern sich auch über die rechte Hälfte seines Rückens hinunter wanden, bis sie unter der Shorts verschwanden. Marc konnte nur annehmen, dass das verborgene Stück eine weitere einzelne Rose war, die auf Ricos knackigem Hintern platziert war. Sofort stellte er sich vor, wie es wäre, wenn Rico ganz langsam seine Shorts abstreifte und Marc auch noch den Rest seines überaus reizvollen Körpers zu sehen bekäme.

Er schloss die Augen, mit dem festen Vorsatz, nach dem Öffnen wieder den Sonnenuntergang zu bewundern, anstatt Ricos Rückseite, aber er schaffte es nicht. Rico kraulte immer näher an den gegenüberliegenden Rand des Pools und würde sich innerhalb weniger Sekunden umdrehen. Marc kämpfte mit sich. Er wollte sich absolut nicht dabei erwischen lassen, wie er Rico hinterher starrte, weil er sich sicher war, dass Rico ihm sofort ansehen würde, was er dachte.

Drei Schwimmzüge noch, zwei, einer – ein Vogelschwarm kreischte laut über ihnen und erlöste Marc aus seinem Bann. Erleichtert, dass Rico ihn nicht ertappt hatte, ließ er sich auf die nächste Liege fallen und starrte die Fensterfronten gegenüber an. Zumindest konnte er so tun, als würde er nach Fotografen mit Teleobjektiven Ausschau halten, um Rico vor möglichen Paparazzi zu warnen, auch wenn er nicht nackt schwamm.

Rico sah Marc zu, wie er sich auf der Liege ausstreckte, und ein Lächeln huschte über sein Gesicht. Was er unter Marcs Shirt am Morgen vermutet hatte, war genau so, wie er es sich vorgestellt hatte: Muskeln pur, aber nicht künstlich aufgeblasen. Marc sah tatsächlich so aus, als würde er jeden Tag mehr als eine halbe Stunde trainieren und auch nicht nur eine Sportart ausüben, sondern von Fitness über Kraftsport bis hin zu Kampftraining alles machen, was es gab. Am liebsten hätte er ihn gefragt, ob er nicht noch eine Runde mitschwimmen wollte, aber allein der Gedanke machte ihn schon so heiß, dass er sich nicht sicher war, ob er nicht den Rest des Abends im Pool bleiben musste, bis sein Ständer wieder abschwoll. Er versuchte, durch unangenehme Gedanken runterzukommen, aber sobald er wieder zu Marc hinüberschielte, wurden seine Gedanken einfach nur schmutzig und verursachten genau das Gegenteil.

Rico machte einen langen Zug Richtung Poolende und drehte wieder um. Er sah erneut zu Marc hinüber und beobachtete ihn dabei, wie er hoch konzentriert immer wieder alles um sie herum in Augenschein nahm. Seine dunkelblonden Haare schimmerten noch nass in der untergehenden Sonne, und ein warmer goldener Schimmer lag auf seiner hellen feuchten Haut. Er sah so perfekt aus, dass man eher vermutet hätte, er würde als gut bezahltes Model arbeiten und nicht als Bodyguard.

Vor allem nicht als Bodyguard.

Woher wohl die lange fast verblasste Narbe an seinem rechten Unterarm stammte? Hatte er sich die bei einem Einsatz geholt? Rico versuchte zu erkennen, ob es noch mehr davon gab. Aber er konnte auf die Entfernung keine weiteren ausmachen.

Wie oft Marc bei seinem Job wohl schon in ernsthafte Gefahr geraten war? Rico musste schlucken, weil sich irgendetwas unangenehm in seinem Hals verengte. Er würde wahnsinnig werden, wenn er mit jemandem wie Marc zusammen wäre und jedes Mal, wenn der einen Job zu erledigen hatte, Angst haben müsste, dass ihm etwas passierte und er ihn womöglich nicht mehr lebend wiedersah.

Ob Marc sich wirklich vor ihn werfen würde, wenn ein durchgeknallter Stalker auf ihn losging, oder vielleicht sogar auf ihn schoss? So ganz gefiel ihm der Gedanke nicht. Er hatte in seiner Jugendzeit in Brooklyn genug Schießereien mitbekommen, um zu wissen, dass es nahezu unmöglich war, einer Kugel auszuweichen, wenn der Schütze wusste, was er tat.

Er wollte auf keinen Fall, dass jemand seinetwegen zu Schaden kam. Und schon gar nicht, dass es Marc war, auch wenn er ihn erst seit ein paar Stunden kannte.

Rico versuchte, sich mit ein paar Kraulzügen von seinen beklemmenden Gedanken abzulenken, aber es funktionierte nicht.

Warum hatte jemand wie Marc überhaupt so einen Job? Aus finanziellen Gründen sicher nicht. Zumindest nahm Rico das an, wenn er über das Gespräch zwischen Selina und Marc nachdachte. Er könnte offenbar ziemlich leicht in die Politik einsteigen. Und so wie es sich angehört hatte, war das wohl in seiner Familie auch nichts Ungewöhnliches.

Warum tat er es dann nicht? Charisma hätte er sicher genug, um schnell eine Anhängerschaft um sich zu scharen. Allerdings sollte er dann auch mehr reden. Nicht nur ein oder zwei Sätze am Stück. Vielleicht mochte er das nicht.

Oder der Ratschlag dieser Tante mit einer Alibifamilie und die vorgeschlagene Fakehochzeit von Selina hatten nicht nur den Grund, dass Marc sich nicht ernsthaft binden wollte, sondern dass er überhaupt nicht an Frau und Kind interessiert war.

Möglicherweise wollte er sich nicht in ein Image pressen lassen, das er auf Dauer nicht aufrechterhalten konnte.

Rico war sich ziemlich sicher, dass Marc, so wie er ihn immer ansah, irgendetwas an ihm fand, das über normales Interesse an einer Person hinausging. Und auch die Bemerkung, er hätte schon öfter einen nackten Kerl gesehen, könnte seinen Verdacht bestätigen, dass Marc schwul war. Es sei denn, er spielte nebenbei in einer Footballmannschaft und nutzte die Gemeinschaftsduschen. Dann hatte er ganz sicher schon viele nackte Kerle gesehen.

Rico wurde noch heißer, als ihm ohnehin schon war, wenn er an Marc auch nur dachte. Allerdings wurde ihm auch schlagartig klar, wie gefährlich diese Situation für ihn und sein Image werden konnte. Marc könnte eine der größten Versuchungen werden, der er jemals gegenübergestanden war. Er musste sich extrem zusammenreißen, wenn er nicht wollte, dass doch noch irgendwann aufflog, dass er bi war.

Eine ganze Weile hörte Marc nur die gleichmäßigen Schwimmzüge von Rico und ab und zu ein Johlen aus der Suite der Band. Selbst der Straßenlärm drang nicht bis ganz nach oben auf die Terrasse durch, abgesehen von den immer wieder aufkommenden Sirenen der Polizeifahrzeuge und Krankenwagen.

Marc fragte sich, wieso Rico sich immer wieder von seinen Bandkumpels absonderte und warum er lieber hier draußen im Pool schwamm, anstatt seinem Ruf gerecht zu werden und sich mit einer Frau nach der anderen zu vergnügen.

Bestand dieses Business wirklich nur aus Show, wie seine Kollegen oft behaupteten? Marc hatte sich nie darum gerissen, Filmstars oder Musiker zu betreuen. Zu viel Rummel, zu wenig Disziplin. Es würde ihn verrückt machen, wenn er ständig darauf hinweisen müsste, dass es durchaus einen Sinn hatte, die besprochenen Maßnahmen einzuhalten. Und er fragte sich schon jetzt, wie er die nächsten Tage überstehen sollte, wenn Rico weiterhin versuchte, ihre Abmachungen zu umgehen, wie vorhin bei der Ankunft.

Aber andererseits fand er es auch spannend, herauszufinden, was Rico für ein Geheimnis mit sich herumschleppte. Das, was er von sich zeigte, war nicht zu hundert Prozent er selbst, dessen war Marc sich sicher. Rico agierte in der Öffentlichkeit perfekt, genau wie man es von einem Rockstar erwartete: rebellisch, unangepasst, keine Regeln akzeptierend. Nur was davon war echt und was aufgesetzt?

Und was war mit seinem Ruf als Womanizer, wenn er sich einfach so davonstahl, wenn es interessant wurde?

Marc scrollte auf seinem Handy durch einige Yellow-Press-Seiten. Aber recht viel Erkenntnis brachten ihm die Artikel im Netz nicht. Die Presse gab genau das wieder, was er ohnehin schon über Rico gehört und gelesen hatte. Er war sich fast sicher, dass Rico nicht nur ein guter Musiker, sondern auch ein ziemlich guter Schauspieler war, der seine eigene Rolle perfekt verinnerlicht hatte.

Marc warf einen Blick zurück zum Pool, weil er Rico nicht mehr schwimmen hörte. Jetzt lehnte er gedankenverloren am Poolrand, hatte sein Kinn auf den Armen abgestützt und den Blick ins Nirgendwo gerichtet. Marc hätte zu gern gewusst, was ihm gerade durch den Kopf ging. Er schaute seltsam ernst und nachdenklich drein. War das wohl so ein Moment, in dem der echte Rico zum Vorschein kam?

Rico veränderte seine Position, und Marc verfolgte das Muskelspiel an seinen Schultern und an seinem Rücken. Wie würde es sich wohl anfühlen, wenn er mit Rico zusammen im Pool wäre – hinter ihm, dicht an ihn gepresst, während er mit seiner Hand in Ricos Shorts …

Er konnte gerade noch verhindern aufzustöhnen. Schnell biss er sich auf seine Unterlippe und starrte wieder auf die Häuser gegenüber, um ja nicht weiter darüber nachzudenken, was er und Rico im Wasser alles anstellen könnten.

Verdammt noch mal! Wenn er so weitermachte, würde der Job wirklich anstrengend werden, und er würde am Ende Blasen an seiner rechten Hand haben, weil er den ständigen Druck eigenhändig loswerden musste.

Rico überlegte angespannt, wie er aus dem Wasser steigen könnte, ohne dass Marc bemerkte, welche körperlichen Reaktionen er bei ihm auslöste. Vielleicht sollte er einfach behaupten, dass er gerade an eine heiße Nummer gedacht hatte. Es wäre ja noch nicht einmal gelogen. Und wenn er Glück hätte, würde Marc es nicht einmal auf sich beziehen. Aber peinlich wäre es trotzdem.

Oder sollte er warten, bis Jack und die anderen mit den Mädels herauskamen? Dann hätte er zumindest eine glaubwürdige Erklärung. Allerdings konnte das noch eine ganze Weile dauern. Er wollte eigentlich nur raus aus dem Hotel und irgendwohin, wo es sich nicht ständig so eng anfühlte. Er wollte kein Gekreische, und er wollte ganz sicher keine Orgie im Pool mit Groupies, die sich nur wieder darum streiten würden, wer ihn als Erstes untertauchen dürfte. Der Einzige, mit dem er sich hier vergnügen wollte, war Marc. Aber das war unmöglich.

„Kannst du mir ein Handtuch rüber werfen?“, rief er Marc zu und drückte sich gegen die kalte Poolwand, was sich nicht gerade angenehm anfühlte. Aber zumindest zeigte es etwas von der Wirkung, die er sich erhofft hatte. Vielleicht half es, sich einfach ein Kühlpack in die Hosentasche schieben, wenn er noch länger so scharf auf Marc war.

Marc warf zielsicher ein Handtuch neben die Pooltreppe und stand auf, um sich auf die Brüstung der Terrasse zu lehnen und hinunter auf die Straße zu schauen. Rico fragte sich, ob Marc sich wohl zusammenreimen konnte, warum er sich nicht selbst ein Handtuch geholt hatte.

Schnell stieg er aus dem Wasser und band sich das Handtuch um, bevor Marc sich wieder zu ihm umdrehte. Da er immer noch auf die Straße hinuntersah, ging Rico zu ihm hinüber und lehnte sich neben ihn. Etwas zu nah, wie er feststellte, als Marc sich zu ihm drehte und ihn dabei mit seinem Arm streifte.

Rico fühlte die Hitze, die von der Stelle, an der sie sich berührt hatten, durch seinen ganzen Körper schoss, und sein Atem beschleunigte sich. Aber Marc trat einen Schritt zurück und setzte wieder seine undurchschaubare Mine auf. Der unbeugsame Blick aus seinen klaren grünen Augen war auf Ricos Gesicht gerichtet, doch Rico hatte das Gefühl, dass Marc immer wieder seinen Mund anstarrte.

Er lächelte, und Marc sah sofort zur Seite. Ertappt!

Rico war versucht, Marc an sich zu ziehen und zu ergründen, ob er tatsächlich so distanziert bleiben konnte, wie er es gerade vorgab zu sein. Doch er durfte sich in keinem Fall dazu hinreißen lassen, Marc anzufassen. Schon gar nicht hier auf der Hotelterrasse. Die Gefahr war zu groß, dass irgendjemand etwas mitbekam, und das konnte er auf keinen Fall noch einmal riskieren.

„Können wir los?“, fragte er, weil ihm nichts anderes einfiel, um die Situation aufzulösen.

Marc nickte. „Wenn du mir sagst, wohin du willst.“

„Lass dich überraschen“, antwortete Rico und grinste breit.

„Ich mag keine Überraschungen“, meinte Marc und sah ihn auffordernd an.

„Das war nicht der Deal“, entgegnete Rico beharrlich. „Selina wollte nur, dass du mitkommst, aber es war nicht die Rede davon, dass ich dir vorher sagen muss, wo ich hinwill.“

„Ich werde es ja sowieso sehen, oder nicht?“

„Ja, aber bis dahin musst du mir nachlaufen und kannst nicht von vornherein versuchen, mich davon abzuhalten.“

Marc musterte ihn noch genauer, tastete ihn mit seinen Blicken förmlich ab, und Rico konnte nichts dagegen tun, dass es ihn unglaublich scharf machte. Sosehr er sich darüber geärgert hatte, überwacht zu werden, so sehr gefiel ihm der Gedanke, dass er sich von nun an der gesamten Aufmerksamkeit von Marc sicher sein konnte. Zumindest für ein paar Tage.

„Dir ist aber schon klar, dass ich dich von allem abhalten werde, was ich als gefährlich einschätze“, sagte Marc ernst.

Rico grinste. „Dann hoff mal, dass du schnell genug bist. Komm jetzt und zieh dir am besten was Dunkles an.“

Marc sah ihm nach und schüttelte den Kopf. Worauf hatte er sich da nur eingelassen? Schnell genug würde er vermutlich sein, er war ja schließlich darauf trainiert, schnell zu sein, aber er bezweifelte, dass er Rico irgendetwas abschlagen konnte, sobald der sein umwerfendes Lächeln einsetzte. Selbst sein kleines überlegenes Grinsen ließ schon Marcs Verstand aussetzen. Wie konnte der Kerl ihn nur so in der Hand haben? Die ganze Situation war mehr als verrückt, und das Verrückteste war, dass Marc sich irgendwie darauf freute, noch tiefer in die Sache hineinzugeraten.

Kaum war er umgezogen, klopfte es schon an seiner Zimmertür.

Rico lehnte an der Wand gegenüber. Komplett in Schwarz gekleidet – schwarze Jeans, schwarzes T-Shirt, schwarze Sweatjacke und schwarze Turnschuhe.

Marc musterte ihn von oben bis unten. „Wie kommst du auf die Idee, dass dich so keiner erkennt?“

Rico verdrehte wieder die Augen, was Marc ziemlich süß fand, wie er schon am Morgen im Bus festgestellt hatte. Dabei hatte er noch nie einen Kerl süß gefunden. Das war bisher definitiv kein entscheidendes Merkmal gewesen, wenn er nach einem One-Night-Stand Ausschau gehalten hatte. Im Gegenteil, als sein jüngerer Bruder Anthony seine Frau kennengelernt und sie ihn auch als süß bezeichnet hatte, hatten sein älterer Bruder und er ihn ständig damit aufgezogen. An Süßem leckte man allerhöchstens mal, aber als erwachsener Mann so bezeichnet zu werden, war peinlich. Wobei er es Rico ja nicht zu sagen brauchte, dass er ihn süß fand – und nur allzu gern einmal an ihm lecken würde.

Er hatte Mühe, sich nicht anmerken zu lassen, worüber er gerade wieder nachdachte. Stattdessen zog er die Augenbrauen hoch, um Rico daran zu erinnern, dass er ihm noch eine Antwort schuldig war.

„Okay ich zeig’s dir“, antwortete Rico betont gelangweilt. Er band sich die Haare zusammen und zog sich die Kapuze weit über das Gesicht. „Jetzt muss schon jemand direkt vor mir stehen, um mich zu erkennen.“

Marc zog kopfschüttelnd die Tür hinter sich zu und steckte die Schlüsselkarte ein.

„Dafür siehst du jetzt aus wie ein Gangster“, erwiderte er. „Wie oft hat dich denn die Polizei schon in dem Aufzug aufgehalten?“

„Polizei? Wieso sollte mich die Polizei aufhalten? Ich lauf denen doch nicht freiwillig vor die Füße. Da wo ich aufgewachsen bin, lernt man, wie man unter dem Radar fliegt. Los jetzt, bevor es wieder Tag wird.“

KAPITEL 3

Rico schien sich in der Stadt auszukennen. Immer wieder bog er in schmale Gässchen ein, in denen es dunkler, aber auch deutlich verdreckter war als in den großen Straßen. Und diese Gassen verliefen alles andere als direkt in eine Richtung. Trotzdem glaubte Marc – auch ohne auf sein Handy zu schauen – zu wissen, wo sie waren und in welche Richtung Rico wollte, wenngleich der sich einen Spaß daraus zu machen schien, ihn im Ungewissen zu lassen.

Immer wieder grinste Rico ihn an, und seine dunklen Augen funkelten im Licht der einzelnen Straßenlaternen. Den einen oder anderen Blick spielte Marc zurück; er konnte nicht anders. Rico wirkte nahezu entspannt und machte den Eindruck, als hätte er sein Leben lang nichts anderes getan, als im Dunkeln in den finsteren Gassen einer Großstadt herumzulaufen. Und vielleicht traf das auch zu. Richtig viel schien auch Selina nicht über ihn zu wissen, zumindest nichts von dem, was Rico absichtlich zurückhielt.

Es reizte Marc ungemein, Rico besser kennenzulernen. Nur war ihm überdeutlich bewusst, dass seine ungewohnten Gefühle für Rico, gegen die selbst seine übliche Disziplin nicht ankam, seine Arbeit nicht einfacher machen würden.

„Was willst du am Wasser?“, fragte Marc, als ersichtlich war, dass sie in Richtung Detroit River liefen.

„Nichts“, antwortete Rico nur und grinste verschmitzt.

Marc holte tief Luft. Es fiel ihm unheimlich schwer, sich ohne Plan und Ziel auf das einzulassen, was Rico vorhatte. Wie sollte er für Ricos Sicherheit sorgen, wenn er keine Ahnung hatte, welche Gefahren auf ihn zukommen könnten? Er glaubte zwar nicht, dass ihnen plötzlich der Stalker gegenüberstehen könnte, weil Rico offenbar ganz genau wusste, wie man potenzielle Verfolger abschüttelte, aber in den verlassenen Ecken, auf die Rico zusteuerte, konnten alle möglichen zwielichtigen Gestalten abhängen.

„Bist du nervös?“, fragte Rico und grinste erneut.

„Hm“, murrte Marc. „Nervös nicht. Ich habe nur das Gefühl, ich werde meinem Job nicht gerecht.“

„Musst du immer an deinen Job denken? Hab doch einfach mal Spaß!“

„Fürs Spaßhaben werde ich aber nicht bezahlt.“

„Da hast du dir aber eindeutig den falschen Beruf ausgesucht, würde ich mal behaupten.“

Marc sah ihn von der Seite an. „Sagst du mir wenigstens, ob da, wo du hinwillst, andere Leute sind?“

„Falls du wissen willst, ob ich mich mit jemandem treffe, kann ich das eindeutig verneinen. Und falls einer deiner Hintergedanken zu der Frage war, dass ich mir vielleicht Drogen organisieren will, kann ich dich auch beruhigen: Ich bin seit Jahren clean und habe nicht mehr vor, das zu ändern. Ich kann nämlich nicht arbeiten, wenn ich high bin.“ Rico war stehen geblieben und sah Marc ernst an. „Wie ich Selina schon gesagt habe, ich muss einfach mal raus. Wochenlang mit den anderen im Bus oder im Hotel eingepfercht zu sein, ist mir zu eng. Ich brauche meine Ruhe, um kreativ zu sein, und ich arbeite am besten nachts. Es steckt wirklich nichts anderes dahinter, okay?“

Marc nickte. „Okay.“

„Abgesehen davon sind wir ohnehin da.“

Er bog um die Ecke der Gasse, und kurz darauf standen sie vor einem alten Industriegebäude, das ein paar hundert Meter vom Ufer des Detroit River entfernt lag und vor sich hin faulte.

Marc zog die Augenbrauen hoch. „Und was willst du hier?“

Rico deutete die Feuerleiter entlang zum Flachdach des Gebäudes. „Von da oben haben wir eine erstklassige Aussicht.“

„Nein!“

Rico sah ihn vorwurfsvoll an. „Was nein? Du wolltest mich doch nicht von der Arbeit abhalten.“

„Ich glaube kaum, dass du zum Schreiben von Songs auf das Dach eines einsturzgefährdeten Gebäudes klettern musst.“

Rico griff nach den ersten Sprossen der Leiter. „Doch, muss ich. Und jetzt komm, bevor der Mond höher steigt. So ein geniales Licht haben wir so schnell nicht mehr.“

Marc atmete tief durch und stieg hinter Rico her, der geschmeidig wie eine Katze auf das Dach kletterte, was Marc erneut das Gefühl gab, überflüssig zu sein. Ganz offensichtlich wusste Rico, was er wollte und was er tat.

„An solchen Orten bin ich normalerweise ganz allein und kann die Aussicht genießen, den Mond ansehen und mich auf neue Ideen konzentrieren.“

Rico drehte sich mit ausgestreckten Armen um seine eigene Achse und lächelte dabei selig. Marc schloss die Augen, um nicht sofort wieder von Ricos Lächeln aus dem Konzept gebracht zu werden und daran denken zu müssen, wie es wäre, ihn einfach gegen die Wand des aufgemauerten Treppenaufgangs zu drücken und zu küssen, bis ihm die Knie nachgaben.

„Aussicht und Mond hättest du auf der Hotelterrasse auch gehabt“, murrte er.

„Aber nicht so wie hier.“ Rico zog sein Handy aus der Jackentasche und richtete den Fokus der Kamera auf einen alten Wasserspeicher, der verrostet auf dem Dach stand und den Eindruck machte, als könnte er jeden Moment zusammenbrechen. Das einzig Interessante, das Marc der Szene zugestehen musste, war, wie das alte Gestell den vollen Mond einrahmte und dessen weiches Licht auch den brüchigen Beton darunter weniger schmutzig und hart erscheinen ließ.

„Ich hab noch nie gehört, dass jemals ein Song über einen alten Wasserspeicher geschrieben wurde.“ Marc besah sich das Gestell genauer und überlegte, in welche Richtung der Speicher wohl fallen würde, wenn er einknickte.

„Du würdest dich wundern, worüber schon Songs geschrieben wurden. Man hört es nur nicht immer aus den Texten heraus. Ich kenne einen Kollegen, der schreibt seine Texte grundsätzlich in einer uralten Gruft und das sind alles Love Songs. Frag den mal, was ihn da inspiriert“, rief Rico ihm von der Seite zu, und Marc stellte mit Entsetzen fest, dass Rico am Rand des Daches balancierte und etwas unten am Fluss zu beobachten schien.

„Geh von der Kante weg!“

Es knarzte bedrohlich und Marc befürchtete, dass die Kante im nächsten Augenblick abbrechen würde. Rico sprang zurück und lachte. „Uuups, ist wohl nicht mehr so ganz fest.“

Marc packte ihn am Arm. „Lass bloß diesen Blödsinn, sonst …“

„Sonst was? Legst du mich sonst übers Knie?“ Rico lachte ihn tatsächlich aus, während Marc kaum wusste, wie er das ungewohnte Herzrasen stoppen sollte, das ihn bei dem Gedanken, dass Rico abstürzen könnte, überfallen hatte. Der Kerl machte ihn noch wahnsinnig!

Er atmete tief durch, um sich nicht zu einer unüberlegten Handlung hinreißen zu lassen. Am liebsten hätte er Rico vor Wut geschüttelt oder ihn vor Erleichterung, dass nichts passiert war, geküsst. Er war sich selbst nicht sicher, wie er seine Gefühle einordnen sollte. Schnell ließ er Ricos Arm wieder los und versuchte Abstand zu gewinnen.

„Sonst kündige ich und sag Selina, sie soll dich wirklich in den Schrank sperren“, knurrte er. Was vermutlich das Beste wäre. Mit Rico zu arbeiten, war schlimmer, als einen Kindergeburtstag seiner Nichten und Neffen zu beaufsichtigen. Und das kostete ihn schon immer Nerven für ein halbes Jahr.

Rico zog sich ein paar Schritte zurück in die Mitte des Daches und schüttelte verärgert seine Locken aus seiner Kapuze. „Du bist wirklich eine Spaßbremse.“

„Das war kein Spaß, das war lebensgefährlich!“, fuhr Marc ihn an, doch Rico zuckte nur mit den Schultern.

„Ist das so ein Musikerding? Die Grenzen ausloten, bis man sie überschreitet? Wird man dann zu einer Legende?“

Rico setzte sich neben die Tür des Treppenhauses auf den Boden und starrte den Vollmond an. „Hast du dir Sorgen um mich gemacht?“

„Nein!“, log Marc. „Ich habe nur keine Lust, erklären zu müssen, warum ich dich nicht davon abhalten konnte, von einem fünfstöckigen Gebäude zu fallen und damit das Ende deiner Tournee zu versäumen.“

Mühsam versuchte Marc, den Aufruhr in seinem Körper einzudämmen, den Rico auslöste, egal was er tat. Wenn er nur wüsste, wie er endlich wieder seine übliche Distanz herstellen könnte. Keine Gefühle zuzulassen, weder Wut noch Angst – das war das, was ihn bisher in seinem Job zu einem der Besten gemacht hatte. Ganz gleich, was passierte. Jeder konnte sich darauf verlassen, dass er einen klaren Kopf behielt.

Nur Rico schaffte es mit einer Leichtigkeit, ihn derart aus dem Konzept zu bringen, dass Marc sich nicht mehr sicher war, ob er jemals wieder zu seiner alten Form zurückfinden würde. Dabei hatte er in den letzten fünfzehn Jahren auf nichts anderes hintrainiert, als sich endlich so im Griff zu haben, dass er nie wieder diese Angst und Hilflosigkeit spüren musste, die ihn damals fast um den Verstand gebracht hätte.

Rico hatte es geschafft, dass innerhalb eines einzigen Tages alles wieder beim Teufel war.

...

Autor

Lorena Morrissen
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Zoe Larsen
Neben dem Schreiben liebt die Hamburgerin Zoe Larsen die Liebe und Mousse au chocolat in allen Varianten. Trotzdem lässt ausgerechnet Paris sie zu ihrer Schande kalt. Deshalb spielen ihre Geschichten in allen anderen Winkeln der Erde. Vom Großstadtdschungel New Yorks bis zu den grünen Hügeln Irlands – Inspiration findet sie...
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