New Orleans Gentlemen

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"Roarke: der Abenteurer"
Bevor Daria das Bewusstsein verliert, flüstert sie dem Journalisten Roarke O'Malley ein brisantes Geheimnis zu. Roarke ist besorgt - aber gleichzeitig ist seine Neugierde geweckt. Was wird Daria sagen, wenn sie wieder erwacht? Nichts - denn sie hat ihr Gedächtnis verloren ...

"Shayne: der Verführer"
Als Shayne O'Malley die attraktive Antiquitätenhändlerin Bliss Fortune auf einer Party in Paris anspricht und verführerisch mit ihr flirtet, verfolgt er damit ein ganz bestimmtes Ziel: Er will von nun an in ihrer Nähe sein, um zu beweisen, dass Bliss eine Juwelendiebin zu sein scheint ...

"Michael: der Beschützer" Ein offensichtlich Verrückter schickt der Schauspielerin Lorelei in New Orleans so beängstigende Briefe, dass sie sich schließlich an den Privatdetektiv Michael O'Malley wendet - Michael, der noch immer genauso charmant und fürsorglich wie damals ist, als sie ein Paar waren ...


  • Erscheinungstag 01.06.2014
  • ISBN / Artikelnummer 9783955763855
  • Seitenanzahl 448
  • E-Book Format ePub
  • E-Book sofort lieferbar

Leseprobe

New Orleans Gentlemen

JoAnn Ross

Roarke – Der Abenteurer

Aus dem Amerikanischen von M.R. Heinze

JoAnn Ross

Shayne – Der Verführer

Aus dem Amerikanischen von M.R. Heinze

JoAnn Ross

Michael – Der Beschützer

Aus dem Amerikanischen von M.R. Heinze

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MIRA® TASCHENBUCH

MIRA® TASCHENBÜCHER
erscheinen in der Harlequin Enterprises GmbH,
Valentinskamp 24, 20354 Hamburg
Geschäftsführer: Thomas Beckmann

Copyright dieser Ausgabe © 2014 by MIRA Taschenbuch
in der Harlequin Enterprises GmbH

Titel der nordamerikanischen Originalausgaben:

Roarke: The Adventurer
Shayne: The Pretender
Michael: The Defender

Copyright © 1997 by JoAnn Ross
erschienen bei: Harlequin Books, Toronto

Published by arrangement with
HARLEQUIN ENTERPRISES II B.V./S.àr.l.

Konzeption/Reihengestaltung: fredebold&partner gmbh, Köln
Umschlaggestaltung: pecher und soiron, Köln
Redaktion: Mareike Müller
Titelabbildung: Getty Images, München

ISBN eBook 978-3-95576-385-5

www.mira-taschenbuch.de

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eBook-Herstellung und Auslieferung:
readbox publishing, Dortmund
www.readbox.net

JoAnn Ross

Roarke – Der Abenteurer

Aus dem Amerikanischen von M.R. Heinze

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Zeichen (ohne Leerzeichen) 207.787

1. KAPITEL

Es war Mardi Gras, Karneval in New Orleans. Die ganze Stadt war auf den Beinen und feierte. In dieser ausgelassenen Stimmung war ein Toter in ihrem Hotelzimmer das Letzte, was Daria Shea erwartet hatte.

Zuerst merkte sie nicht einmal, dass er tot war.

“Sie haben sich verspätet”, warf sie dem Mann vor, der in dem Sessel am Fenster zum Hof saß. Daria legte die Handtasche und eine Einkaufstüte auf den Tisch. “Wir sollten beim Essen arbeiten. Ich habe uns Sandwiches besorgt.”

Bestimmt schwieg er, weil er nicht einverstanden war. Damit hatte sie schon gerechnet. Und wie üblich ging sie prompt in die Defensive.

“Da draußen ist die Hölle los. Selbst wenn wir irgendwo in der Stadt einen freien Tisch gefunden hätten, wären wir nicht ungestört gewesen.”

Noch immer sagte er nichts, sondern starrte sie nur stumm wie eine der handbemalten Kokosnüsse an, die beim Umzug vom Zulu–Wagen in die Menge geworfen wurden. Nahm er ihr übel, dass sie ihn bei der Ankunft aus Washington nicht erwartet hatte? Er war schließlich derjenige, der sich verspätet hatte. Gereizt holte sie zwei Flaschen aus der Tüte – Mineralwasser für sich und Bier für ihn.

“Hat Ihre Mutter Ihnen nie gesagt, dass man nicht schmollen soll?” Als sie noch immer keine Antwort erhielt, wurde ihr mulmig. “Martin? Das ist wirklich nicht komisch.” Ein kalter Schauer lief ihr über den Rücken, während sie langsam zu ihm ging, und ihr Herz schlug schneller. “Martin, was ist denn?”

Sobald sie Bundesanwalt Martin Fletcher an der Schulter berührte, kippte er nach vorne und fiel auf den Fußboden.

Daria presste die Hand auf den Mund, um nicht laut loszuschreien, packte ihre Handtasche und ergriff die Flucht.

Die Blue Bayou Lounge im Whitfield Palace Hotel von New Orleans erinnerte Roarke an die Barszene aus dem Film “Krieg der Sterne”. Eine über zwei Meter große Marie Antoinette mit gepuderter Perücke und großem Adamsapfel unterhielt sich angeregt mit einem Mann, der sich als Riesen–Kondom verkleidet hatte, und einer üppigen Rothaarigen in BH und knappen Shorts, die bis über die Knie reichende Stiefel und eine Peitsche trug, alles aus schwarzem Leder. Jeder Sado–Maso–Anhänger wäre bei ihrem Anblick in Verzückung geraten.

Ein Mann in einem Trikot aus Silberlamee mit riesigen Flügeln und einem glitzernden Heiligenschein tanzte mit einer Nonne. Am Rand der winzigen Tanzfläche verglichen drei Bodybuilder ihre schwellenden Muskelpakete.

“Ich liebe Mardi Gras, Sie auch?” fragte eine Frau.

Roarke drehte sich zögernd zu dem neuen Gast um, der sich auf den frei gewordenen Barhocker neben ihm gesetzt hatte. Hätte er Einsamkeit gesucht, hätte er nicht ausgerechnet während des Mardi Gras nach New Orleans heimkehren dürfen.

“Unvergleichlich”, bestätigte er.

Die Blondine trug unter dem durchsichtigen Minikleid nur einen silbernen Tanga. Nicht einmal der Anblick ihrer sagenhaften, offenbar chirurgisch vergrößerten Brüste löste bei Roarke auch nur die geringste Reaktion aus. Vielleicht hatte sein Chef beim Fernsehen doch Recht gehabt, als er ihm vorwarf, zeimlich ausgebrannt zu sein.

“Wie bitte?” fragte er, als er merkte, dass die Blondine noch etwas gesagt hatte.

“Ich habe gefragt, ob Sie aus New Orleans sind.”

Bevor Roarke antworten konnte, dass er mit der Zeit alle Wurzeln verloren hatte, lief eine Brünette in einem hautengen schwarzen Katzenkostüm und einer Halbmaske auf ihn zu, schlang die Arme um seinen Nacken und küsste ihn mitten auf den Mund.

Ihre Lippen waren so weich, und sie duftete so gut, dass Roarke ein leichtes Verlangen verspürte. Ihr Verhalten überraschte ihn nicht. Da hatte er während des Mardi Gras schon Verrückteres erlebt. Also legte er die Hände auf ihre schlanke Taille und wollte die Fremde näher zu sich heranziehen.

“Wo warst du denn, Darling?” fragte sie und wich zurück. “Ich habe Jan und Harvey versprochen, dass wir sie im Perunia’s zum Abendessen treffen. Wir hätten schon vor einer halben Stunde dort sein sollen. Ich will jetzt unbedingt eine Riesenportion Shrimp Creole, und du kennst mich. Ich erwarte, dass man mir jeden Wunsch erfüllt.”

Wegen der Maske konnte er ihr Gesicht nicht erkennen, doch ihre Augen hinter den Sehschlitzen der Maske funkelten leidenschaftlich, als sie ihn förmlich vom Barhocker zog.

“Ich habe keine Ahnung, wer Jan und Harvey sind”, antwortete Roarke, während sie ihn durch die Menschenmenge führte. “Aber die Sache mit deinen Wünschen, die man dir erfüllen soll, interessiert mich, Schätzchen.”

Sie sah sich gehetzt in der Bar um. “Bitte”, drängte sie und ging eilig mit ihm durch die Hotelhalle. “Spielen Sie mit, und stellen Sie keine Fragen, bis wir auf der Straße sind.”

Schlagartig erinnerte Roarke sich an seinen letzten Einsatz als Journalist in Moskau, an die Explosion und an das riesige Loch an der Stelle, wo er seinen Wagen geparkt hatte.

Diese Frau mochte wie Cat Woman aussehen, wie die Blumen im Garten seiner Mutter duften und wie Honig schmecken, aber er hatte keine Lust, sich auf ein neues Abenteuer einzulassen.

“Hören Sie, Schätzchen …”

“Bitte”, flehte sie. “Sie sollen mir nur helfen, einem unbeschreiblich aufdringlichen Mann zu entkommen.”

Daria hatte Roarke O’Malley sofort erkannt, als sie in die Blue Bayou Lounge geflohen war. Im Fernsehen sah er einfach hinreißend aus, wenn er von den Kriegsschauplätzen der Welt berichtete. Und weil er so hinreißend aussah, tauchten ständig Geschichten über sein wildes Liebesleben in allen Klatschzeitschriften auf.

Daria hatte keine Ahnung, was er hier in New Orleans machte, aber er bot ihr Sicherheit. Roarke O’Malley war der einzige Mann in der Stadt, der ihr garantiert nicht nach dem Leben trachtete.

Seine Reportagen hatten bewiesen, dass er mehr zu bieten hatte als ein attraktives Gesicht auf dem Bildschirm. Er war klug genug, jede Lüge zu durchschauen. Daria hätte ihm gern die Wahrheit erzählt und ihn sogar um Hilfe gebeten, doch sie kannte die Medien. Daher fürchtete sie, er könnte ihre Story veröffentlichen, bevor sie Schutz erhielt. Also durfte sie sich ihm nicht anvertrauen.

Zwar war sie eine schlechte Lügnerin, aber zum Glück hatte sie vor Gericht gelernt zu bluffen. Sie schenkte Roarke ein strahlendes Lächeln, das die härtesten Männer auf die Knie gezwungen hätte.

“Ich hatte mit ihm das schlimmste Blind Date, das man sich überhaupt vorstellen kann”, behauptete sie und streichelte scheinbar unbewusst, aber sehr verführerisch seinen Arm.

Sie war gut, verdammt gut sogar. Das musste Roarke ihr zugestehen. Aber sie schwindelte. Und er wusste aus eigener Erfahrung, dass Frauen das Blaue vom Himmel herunterlogen, damit ein Mann ihre Wünsche erfüllte.

“Warum ich?”

“Was?” fragte sie ungeduldig und nervös.

“Warum soll gerade ich Ihnen helfen?”

“Oh.” Sie holte tief Luft und lenkte für einen Moment seinen Blick auf ihre Brüste, die zar nicht so üppig wie bei der Blondine in dem durchsichtigen Kleid waren, das Katzenkostüm aber gut ausfüllten. “Sie wirken Vertrauen erweckend.” Durch die Sehschlitze hindurch ließ sie den Blick über ihn gleiten. “Und sehr kräftig.”

“Kräftig genug, um mit dem aufdringlichsten Kerl fertig zu werden.” Warum sollte er nicht eine Weile mitmachen? “Es sei denn, es handelt sich um einen Footballspieler oder einen Profiringer.”

“Nein.” Daria stockte. Wie sollte sie ihm erklären, dass sie keine Ahnung hatte, wie der Mann aussah, der sie umbringen wollte?”Ich nehme es wenigstens nicht an.”

Wie schon in der Bar sah sie sich auch in der Hotelhalle ängstlich um und betrachtete jede einzelne Person, als suchte sie jemanden. Als ein Mann im dunklen Anzug hinter einer der Marmorsäulen auftauchte und auf sie zukam, verkrampfte sie sich.

“Könnten wir uns später unterhalten?” fragte Daria. “Sie machen die Leute auf uns aufmerksam.”

Sie hastete weiter auf die Drehtür zu, ohne Roarke loszulassen. Er hätte sie allerdings auch begleitet, hätte sie sich nicht an seinem Arm festgekrallt.

“Wenn Sie keine Aufmerksamkeit erregen wollen, sollten Sie sich anders kleiden”, bemerkte er. “Und wieso kennen Sie den Beruf dieses Kerls nicht?”

“Es ist Mardi Gras”, erwiderte sie, als würde das ihr Aussehen und ihr Verhalten vollkommen erklären. “Welchen Kerl meinen Sie?”

“Den, mit dem Sie sich verabredet haben, ohne ihn zu kennen.”

“Ach, den. Also … wir … wir sind nicht so weit gekommen, dass wir uns über seinen Beruf unterhalten hätten.”

“Das klingt nach Abneigung auf den ersten Blick.”

“Ich bin eine recht gute Menschenkennerin … wenigstens meistens”, erwiderte sie leise.

Auf dem Bürgersteig standen die Menschen dicht an dicht gedrängt, um die abendliche Parade anzusehen. Manche Leute hielten aufgespannte Regenschirme verkehrt herum. Sie hofften auf Souvenirs, die von den Wagen geworfen wurden und die sie zusammen mit ihren Hurrikanbrillen und den Voodooketten nach Hause mitnehmen wollten. Dabei ging es ruppig zu. Roarke hatte selbst gesehen, wie nette ältere Damen mit blau gefärbtem Haar einen Mann mit Fußtritten traktierten, um an eine unechte Perlenkette zu kommen.

Vor drei Stunden war Roarke auf dem Flughafen eingetroffen. Seither war die Temperatur wegen der aufziehenden Wolken um zehn Grad gefallen. Ein kräftiger Wind hatte sich erhoben, brachte den Geruch von Regen mit sich und raschelte in den Blättern der Bananenstauden in einem nahen Garten.

“Ihnen ist doch klar, dass es heute Abend bei Petunia’s sehr voll sein wird.”

“Ich habe nicht die Absicht, dorthin zu gehen”, wehrte sie ab. “Sicher nicht, nachdem ich es in der Blue Bayou Lounge ausposaunt habe.” Hufe klapperten auf dem Pflaster. Als ein berittener Polizist näher kam, wandte sie sich hastig ab.

“Hören Sie.” Roarke reichten die Spielchen jetzt. “Lassen wir den Unsinn. Wenn Sie tatsächlich ein Kerl belästigt, halten wir den Polizisten an und …”

“Nein, das ist wirklich nicht nötig”, wehrte sie hastig ab, beugte sich zu Roarke und küsste ihn auf die Wange. “Vielen Dank für Ihre Hilfe. Es ist schön, dass es in den Südstaaten noch immer Kavaliere gibt.”

Er hätte darauf vorbereitet sein müssen, aber der flüchtige Kuss lenkte ihn einen Moment ab. Die Frau löste sich von ihm und verschwand im Karnevalsgetümmel.

“Verdammt!” Roarke war keine Fehlschläge gewöhnt, und sein Reporterinstinkt sagte ihm, dass er einer spannenden Story auf der Spur war. Hastig nahm er die Verfolgung der schönen Unbekannten auf.

Darias Herz schlug zum Zerspringen, als sie sich einen Weg durch die bunt kostümierte Menschenmenge bahnte. Wieso hatte Martins Mörder nicht im Hotelzimmer auf sie gewartet? Vielleicht war ihm das zu riskant gewesen. Aber sie war überzeugt, dass er es auch auf sie abgesehen hatte.

Ihr Mörder konnte jeder der Maskierten sein – vielleicht Pan mit der Flöte oder Ra, der golden funkelnde Sonnengott, der plötzlich vor ihr auftauchte. Er packte sie an den Armen und erstickte ihren Schrei durch einen Kuss. Sekundenlang fühlte sie seine gepiercte Zunge in ihrem Mund. Dann ließ er sie los und suchte sich das nächste Opfer.

Eine Hand legte sich auf ihren Po, und jemand wollte sie an sich drücken. Um keine Aufmerksamkeit zu erregen, wehrte sie sich nicht gegen die plumpe Vertraulichkeit, sondern hastete weiter. In ihrem Kopf drehte sich alles, und vor ihren Augen verschwammen vor Angst die Bilder. Sie wusste nur eines: Je weiter sie sich vom Polizeirevier entfernte, desto sicherer war sie.

An der Ecke bog Daria in die Saint Peter Street ein, ließ den Fluss hinter sich und kämpfte sich durch die Menge der lachenden und singenden Menschen. Trotz des Lärms auf den Straßen hörte sie das Klicken ihrer hohen Absätze auf dem Pflaster. In ihren Ohren klang es so laut wie Schüsse.

Ihre Nerven waren zum Zerreißen angespannt, und nur mit Mühe unterdrückte sie einen Schrei, als mehrere Betrunkene sie aufhielten.

“Warum denn so eilig?” fragte einer von ihnen und rieb sich lasziv an ihr, während sich ein anderer von hinten an sie presste.

Wütend und verängstigt rammte sie ihm den hohen Absatz auf den Fuß.

Fluchend ließ er sie los. Daria lief weiter und prallte beinahe gegen drei ältere Nonnen, die das Fest beobachteten. Schon überlegte sie, ob sie sich an die Frauen um Hilfe wenden sollte, wollte sie aber nicht in Lebensgefahr bringen. Also lief sie weiter, ohne zu wissen, wer ihr Mörder war und wo er auf sie lauerte.

Normalerweise wäre die Rampart Street völlig verlassen gewesen. An den elf Tagen des Mardi Gras, an denen Umzüge stattfanden, drängten sich jedoch überall Menschen, die auf die bunten Festwagen warteten. Auf ihrem Weg zum Municipal Auditorium im Louis Armstrong Park mussten sie hier vorbeikommen.

Bei mehreren Laternen auf der Brücke, die in den Park führte, waren die Glühbirnen entweder kaputtgegangen oder zerschossen worden. Trotz der vielen Zeugen wäre es ein gefährlicher Fehler gewesen, nachts den Park zu betreten. Auf der Basin Street wäre Daria aber auch nicht sicherer gewesen. Die Basin Street führte in mehreren Biegungen zwischen dem Park und dem Saint Louis-Friedhof Nr. 1 hindurch, auf den sich eine Frau nicht einmal tagsüber wagte.

Daria überlegte soeben, welchen Weg sie einschlagen sollte, als sie von hinten gepackt wurde. Eine in einem Lederhandschuh steckende Hand hielt ihr den Mund so fest zu, dass sie keine Luft mehr bekam. Als der Unbekannte sie zu sich heranzog, fiel ihr Blick auf eine schwarze Henkersmütze. Gnadenlos zerrte der Angreifer sie zum Friedhof.

“Hey, Mann!” rief ein Student in einem Sweatshirt der Tulane University. “Was machen Sie da?”

“Meine Frau und ich hatten einen kleinen Streit”, erwiderte der Mann freundlich, während sich seine Finger schmerzhaft in Darias Haut gruben. “Ich will mich nur in Ruhe mit ihr unterhalten.”

Der Student war offensichtlich nicht überzeugt. “Ist alles in Ordnung, Ma’am?”

Der Mann presste sie so fest an sich, dass sie deutlich eine Waffe in seiner Manteltasche fühlte. “Sagen Sie ja, oder der Junge ist tot”, zischte er ihr ins Ohr. Sein Atem roch nach Bourbon.

Daria zweifelte nicht daran, dass er seine Drohung wahr machen würde. “Alles bestens”, rief sie. Dabei bebte ihre Stimme vor Angst.

Der Tulane-Student betrachtete sie noch einmal eingehend. Als ihm seine Kameraden zuriefen, er solle sich beeilen, zuckte er die Schultern. Er wurde vermutlich nicht gebraucht.

“Braves Mädchen”, sagte der Mann leise. “Sie kommen jetzt mit mir. Ein Freund von Ihnen will sich mit Ihnen unterhalten.”

Daria wusste, dass es keine Unterhaltung geben würde, weil sie eine zu große Gefahr darstellte. Sie musste wie Martin sterben.

In ihrer Verzweiflung riss sie sich los, doch der Mann packte sie am Haar und riss sie derb zu Boden. Mit aller Kraft kam sie wieder auf die Knie. Hinter den Löchern in der Henkersmütze sah sie die Augen des Mörders, Augen, die sie an einen Tiger erinnerten, der seine Beute erspäht hatte.

Daria kämpfte ihre Angst nieder. Sie musste ruhig bleiben. Sie war eine intelligente Frau, hatte in Stanford Jura studiert und als Jahresbeste bestanden. Sie war sogar als Mitarbeiterin für einen Richter des Obersten Gerichtshofs im Staat vorgesehen gewesen, als sie die Stelle bei der Staatsanwaltschaft angetreten hatte. Bestimmt fand sie einen Ausweg aus ihrer Lage.

“Damit kommen Sie nie durch”, warnte sie den Mann, während ihr Herz unerträglich schlug.

“Wollen wir wetten?” Seine Stimme klang tief und rau. “Du hättest dich nicht einmischen sollen, du Miststück. Jetzt lernst du, was mit einer Frau passiert, die ihre Nase in anderer Leute Angelegenheiten steckt.”

Er riss sie hoch und zerrte sie auf den dunklen Friedhof. Die Muscheln, die hier überall anstelle von Kies verwendet wurden, knirschten unter ihren Füßen. Die Grabmäler aus weißem Marmor schimmerten geisterhaft im silbrigen Mondschein, der zwischen den winterlich dichten Regenwolken hindurchfiel.

“Das reicht.” Er schleuderte sie gegen eines der größeren Gräber. Daria prallte mit dem Kopf an den Marmor und glitt langsam zu Boden.

Wie ironisch! Der Mörder hatte ausgerechnet das Grab von Marie Laveau gewählt, um sie umzubringen. Jeder, der bei der früheren Voodoo-Königin von New Orleans Hilfe suchte, hatte auf das Grab ein Kreuz gemalt. Münzen, Muscheln und bunte Perlen lagen vor dem Grab als Bezahlung.

Der Mann kniete sich neben sie und zog die Pistole, die sie gefühlt hatte, aus der Tasche. In diesem Moment erschienen zwei schwarze Jugendliche hinter dem Grab.

“Polizei!” schnauzte der Killer die beiden an.

Mehr brauchte er nicht zu sagen. Die beiden warfen einen Blick auf Daria, den Mann und die Waffe und rannten weg. Auch wenn sie vermutlich nicht mit ehrlichen Absichten auf den Friedhof gekommen waren, wollte Daria sie doch nicht in Gefahr bringen, indem sie um Hilfe rief.

“Also, wo waren wir stehen geblieben?” Sein gelassener Ton war genauso Furcht einflößend wie die Mündung der Pistole, die er Daria an die Schläfe drückte. Die Waffe war mit einem Schalldämpfer ausgestattet. Dieser Mann hatte Übung im Töten und würde beim geringsten Zeichen von Widerstand sofort abdrücken.

Daria hatte nicht genug Luft zum Schreien. Kampflos wollte sie jedoch auch nicht aufgeben. Heimlich fasste sie mit beiden Händen in die Muscheln.

“Ich habe keine Ahnung, wovon Sie reden”, stieß sie hervor.

“Wenn du mit einer Lüge stirbst, kommst du direkt in die Hölle”, bemerkte er ganz beiläufig.

“Es ist nicht gelogen.”

Er versetzte ihr einen harten Schlag ins Gesicht und strich anschließend mit einem Finger über ihre schmerzende Wange. “Wie schade, dass wir nicht mehr Zeit haben”, murmelte er. “Du siehst wirklich nicht schlecht aus.” Seine Hand glitt an ihrem Hals hinunter. “Ich habe nie begriffen, was du an dem Kerl findest, mit dem du dich verlobt hast. Ein Jammer, dass du stirbst, ohne zu wissen, wie gut es mit einem richtigen Mann sein kann.”

Plötzlich kam ihr eine Idee. “Warum muss es denn so sein?” fragte sie.

Er zog den Reißverschluss an der Vorderseite ihres Katzenkostüms herunter. Der schwarze BH, den sie darunter trug, hob sich deutlich von ihrer blassen Haut ab.

“Was meinst du?” Er strich mit dem Lauf der Waffe zwischen ihren Brüsten entlang und genoss es sichtlich, dass Daria erschauerte.

“Wenn Sie mich tatsächlich umbringen wollen …”

“Sicher will ich das.”

“Ich möchte nicht als Jungfrau sterben.”

Volltreffer! Als die Hand mit der Waffe stockte und er sie überrascht ansah, wusste sie, dass sie das Zauberwort ausgesprochen hatte.

“Du lügst.”

“Das kann man feststellen.”

“Du bist verlobt.”

“Na und? Ich bin ein altmodisches Mädchen. Außerdem haben Sie Recht, was James betrifft”, improvisierte sie. “Einmal haben wir es fast gemacht …” Sie verstummte und versuchte, verlegen zu wirken. “Also … er konnte nicht … nun ja, Sie wissen schon.”

Er lachte rau. “Das kann ich mir vorstellen.”

“Sogar zum Tode verurteilten Verbrechern erfüllt man einen letzten Wunsch”, erinnerte sie ihn.

“Wenn du versuchst, mich hereinzulegen, bringe ich dich um.”

“Sie werden mich ohnehin umbringen”, erwiderte sie. “Ich will noch etwas davon haben.”

Er sah sie bohrend an. “Ihr Juristen müsst immer verhandeln.”

“Das liegt uns im Blut.”

Sein Lachen klang sanfter und gefährlicher, während er ihre Brüste betrachtete. “Ich muss verrückt sein! Ich überlege tatsächlich, ob ich es machen soll.”

Daria nahm die Maske ab und bemühte sich um einen verführerischen Gesichtsausdruck. “Ich möchte, dass Sie eine Frau aus mir machen. Danach können Sie mit mir meinetwegen tun und lassen, was Sie wollen. Töten Sie mich, wenn es sein muss. Aber vielleicht sind wir zusammen so gut, dass Sie mich behalten wollen. Niemand müsste das je erfahren.”

“Ich habe mir schon immer eine Lustsklavin gewünscht. In ,Rawhide’ habe ich einen Artikel gelesen.” Es überraschte Daria nicht, dass er eines der schlimmsten Pornomagazine erwähnte. “Der Typ prozessierte mit seiner Frau um das Sorgerecht für die Kinder und nahm ihre Anwältin gefangen. Das Miststück musste alles tun, was er wollte. Alles”, betonte er, “sonst hätte er sie in Stücke geschnitten.”

Unwillkürlich schauderte Daria. “Mich müssten Sie nicht zwingen. Ich würde alles tun, was Sie wollen.” In ihrer verzweifelten Lage griff sie zu jedem erdenklichen Mittel. Sie legte die Hand auf den Reißverschluss seiner Jeans. “Ich möchte es gern.” Sie ekelte sich, doch sie wollte überleben.

Er sah sich auf dem verlassenen Friedhof um. “Nicht hier.”

“Wo denn?”

“Im Bayou. Dort hört dich niemand schreien.”

Wenn er sie aus der Stadt hinausschaffte, war sie verloren.

Er zerrte sie so heftig auf die Beine, dass es in ihrer Schulter knackte und sie schmerzlich zusammenzuckte. Dann presste er sie an sich, zog die Henkersmütze vom Kopf und küsste sie so hart, dass ihre Zähne aufeinander stießen. Ungeduldig fasste er ihr ins Haar, schob ihren Kopf nach hinten und zwang ihr seine Zunge in den Mund. Nur mit Mühe unterdrückte sie ein Würgen. Dieser brutale Kuss war nicht mit dem zu vergleichen, den sie mit Roarke O’Malley getauscht hatte.

Sofort kam ihr ein anderer Gedanke. Wäre sie vor dem Reporter nicht weggelaufen, würde sie jetzt nicht in der Klemme stecken. Nun war sie ganz auf sich allein gestellt.

So einfach wollte sie sich nicht umbringen lassen. Mit aller Kraft rammte sie dem Mann das Knie zwischen die Beine. Als er sich zusammenkrümmte, schleuderte sie ihm die scharfkantigen Muscheln ins Gesicht.

Er brüllte wie ein verwundeter Löwe. Daria wirbelte herum und lief zurück zur Straße.

2. KAPITEL

Roarke fand die Frau schon zehn Minuten, nachdem sie vor ihm weggelaufen war. Er ging gerade durch die Rampart Street, als er auf eine Menschenansammlung unter einer Straßenlaterne traf. In der Mitte des Kreises stand ein Polizist neben einer bewusstlosen Frau.

Obwohl sie auf dem Bauch lag, erkannte Roarke sie sofort an dem hautengen Katzenkostüm. Die Blutlache wurde von dem winterlichen Regen weggespült, der inzwischen eingesetzt hatte. Neben ihr entdeckte er eine schmale schwarze Umhängetasche.

Er schlängelte sich an den Schaulustigen vorbei. “Roarke O’Malley”, sagte er und zeigte dem Polizisten seinen Presseausweis. “WorldWide Broadcasting Network. Was ist passiert?”

Der Polizist, der noch nicht alt genug aussah, um sich zu rasieren, ließ sich von Roarkes Ausweis nicht beeindrucken. “Wenn ich sage, dass alle zurückbleiben sollen, dann meine ich alle, auch Reporter”, sagte er so verächtlich, als wollte er Reporter mit Drogenhändlern und Serienmördern in einen Topf werfen.

Roarke hätte es in seinem Beruf nicht bis an die Spitze gebracht, wenn er nicht einen messerschafen Verstand gehabt hätte. Diese Frau wollte er nicht mehr aus den Augen lassen. “Ich bin nicht nur Reporter, sondern auch ihr Mann.”

Ein aufgeregtes Raunen lief durch die Menge. Der Polizist blieb allerdings misstrauisch. “Machen Sie mit Ihrer Frau hier Urlaub?”

“Ja.”

Roarke kniete sich neben die Frau. Ihr Haar war nass und blutbeschmiert. Jemand hatte ihr die Maske abgenommen. Sie war hübsch, aber jetzt war ihr Gesicht erschreckend blass.

“Merkwürdig, dass Sie nicht zusammen waren wie andere Leute im Urlaub.”

“Wir wurden im Gedränge getrennt. Das kann doch leicht passieren.” Es hätte ihm gerade noch gefehlt, hätte er sich jetzt verdächtig gemacht. “Wir müssen etwas für sie tun.”

“Ich habe einen Krankenwagen angefordert”, erwiderte der Polizist.

Es war auf sie geschossen worden. Roarke hatte genug Schusswunden gesehen, um sofort zu erkennen, dass eine Kugel ihren Kopf gestreift hatte.

“Bei Mordanschlägen auf eine verheiratete Frau gilt der Ehemann stets als Hauptverdächtiger”, sagte der Polizist, als würde er aus dem Handbuch für angehende Polizisten zitieren.

“Ja, ich habe auch einen Fernseher und sehe mir Krimiserien an.” Roarke bremste sich. Mit spöttischen Bemerkungen würde er hier nichts erreichen. “Vielleicht war es ein Unfall. Könnte sein, dass jemand in die Luft geschossen hat. Einmal muss die Kugel wieder herunterkommen.”

“Zu viele Privatpersonen knallen zum Mardi Gras mit ihren Waffen herum”, stellte der Polizist missbilligend fest.

“Wie Recht Sie doch haben.” Es lag Roarke nicht, höflich und nachgiebig zu sein, doch wenn es nötig war, konnte er sich so geben. “Eigentlich ist es ein Wunder, dass nicht die Hälfte der Leute blutend in den Straßen herumliegt.” Er strich der Fremden das Haar aus der Stirn. Sie war so blass, dass ihre Haut ihn an den weißen Muschelkalk erinnerte, mit dem die Gehwege überall in der Stadt bestreut waren. “Wo bleibt denn nur der Krankenwagen?”

Wie aufs Stichwort tauchte ein rot-weißer Rettungswagen mit heulender Sirene auf. Die Schaulustigen wichen zur Seite. Das zuckende Rotlicht auf dem Dach des Wagens spiegelte sich in den Pfützen auf der Straße und verlieh der nüchternen Szene einen surrealen Hauch.

“Wohin wird sie gebracht?” fragte Roarke den Sanitäter, der Blutdruck und Puls maß, während sein Kollege eine Infusion legte.

“Ins Tulane.”

“Hey”, sagte der Polizist plötzlich. “Sie heißen O’Malley?”

“Ja.”

“Sind Sie Mike O’Malleys Bruder, der Sensationsreporter?”

“Mike ist mein Bruder.” Der “Sensationsreporter” klang nicht wie ein Kompliment, aber Roarke ging nicht näher darauf ein. “Sie kennen ihn?”

“Jeder kennt Mike. Hat uns allen echt Leid getan, dass er nach der Sache mit dem Vergewaltiger den Polizeidienst quittiert hat.”

Roarke wollte keine Zeit verlieren, indem er auf die Abneigung seines großen Bruders gegenüber der Polizei von New Orleans einging. “Man kann es niemandem verübeln, wenn er sein eigener Chef sein will.”

“Nein.” Der Cop runzelte die Stirn. Offenbar überlegte er angestrengt, was er jetzt tun sollte.

“Hören Sie, Officer”, sagte Roarke, während die Sanitäter die Frau auf eine Trage hoben. “Ich weiß, wie knapp die Polizei zu Karneval mit Leuten ist. Ich könnte doch mit meiner Frau ins Krankenhaus fahren, während Sie einige Detectives auftreiben und zu uns schicken, damit sie uns befragen.”

Der junge Cop betrachtete die bewusstlose Frau und Roarke. “Na ja, das geht in Ordnung, weil sie mir im Moment ohnehin nichts sagen kann und Sie Mikes Bruder sind.”

“Wenn Sie mitfahren wollen, dann kommen Sie”, drängte der Sanitäter. “Die Lady ist heute Nacht nicht unsere einzige Kundin.”

Bevor der Polizist seine Meinung ändern konnte, griff Roarke nach der Handtasche und stieg in den Krankenwagen. Während sie sich mit blinkendem Rotlicht und heulender Sirene mühsam einen Weg durch die Menschenmengen auf den Straßen bahnten, griff Roarke nach der Hand der Frau.

Der Solitär, der an ihrer linken Hand glitzerte, war nur einer der Gründe, wegen denen er ihr die Geschichte von der Verabredung nicht geglaubt hatte.

“Wer bist du?” murmelte er und streichelte ihre schlaffe Hand.

Plötzlich öffnete sie die Augen. Er fand Schmerz und Angst in ihrem Blick.

“Bitte.” Sie sprach so leise, dass die Sanitäter sie nicht hören konnten. “Helfen Sie mir, damit sie mich nicht umbringen.”

Er beugte sich über sie. “Wer will Sie denn umbringen?”

Ihre Augen schlossen sich wieder, und sie murmelte etwas, was er jedoch nicht verstand.

“Ich kann Ihnen nur helfen, wenn Sie mir sagen, wer Sie umbringen will”, raunte er ihr ins Ohr.

Sie öffnete die Augen nicht mehr. Wahrscheinlich hatte sie wieder das Bewusstsein verloren. Als er schon dachte, sie wäre nicht mehr ansprechbar, flüsterte sie: “Die Polizei.”

Seine Chefs bei WBN hatten ihm vorgehalten, er wäre ausgebrannt, vielleicht sogar völlig am Ende. Auch wenn er es nie zugegeben hätte, hatte er nach seinem fehlgeschlagenen Einsatz in Moskau vor achtundvierzig Stunden gedacht, dass es stimmen könnte. Doch jetzt war Roarke auf Cat Woman gestoßen, wer immer sie auch sein mochte, und zu seinem Bedauern stellte er fest, dass er doch nicht aus seiner Haut konnte.

Er hob ihre Handtasche vom Boden des Krankenwagens auf und öffnete sie. Lippenstift und Antibabypillen interessierten ihn nicht. Er griff nach der Brieftasche. Ihrem in Louisiana ausgestellten Führerschein entnahm er die üblichen Angaben – Größe, Gewicht, Augen- und Haarfarbe. Und ihren Namen – Daria Shea. Trotz der ernsten Miene war das Foto besser als die normalen Bilder in Ausweisen, was ihn bei ihrem guten Aussehen allerdings nicht verwunderte.

Er fand zwanzig Dollar und zwei Kreditkarten.

“Treffer”, sagte er leise, als er auf einen Ausweis stieß. Sie war stellvertretende Staatsanwältin. Dadurch wurde das Rätsel, das sie umgab, noch interessanter. Er hatte keine Ahnung, ob sie ihm die Wahrheit gesagt hatte, aber falls es stimmte, war er über eine brisante Sache gestolpert. Es kam nicht jeden Tag vor, dass Polizisten jemanden umbringen wollten, der eigentlich auf derselben Seite stand wie sie.

In der Ambulanz des Tulane University Medical Centers herrschte Hochbetrieb. Ständig trafen neue Patienten mit Krankenwagen, Taxis, Privatautos und sogar zu Fuß ein. Die meisten Verletzten waren kostümiert, genau wie viele Mitglieder des medizinischen Personals, die sie versorgten.

Roarke saß ungeduldig im Warteraum und fragte sich frustriert, wieso eine einfache Computertomographie so lange dauerte. Schon wollte er sich auf die Suche nach der geheimnisvollen Frau machen, als Michael Patrick O’Malley eintraf.

“Nett von dir, die Familie von deiner Rückkehr zu verständigen”, sagte er trocken zur Begrüßung.

“Ich musste ohne Vorwarnung in die Staaten zurückkommen.”

Mike umarmte ihn und betrachtete seinen jüngeren Bruder mit einem Blick, der bei Verhören sicher Wunder gewirkt hatte. “Dann scheinen die Gerüchte zu stimmen, die letzte Woche bei CNN aufgetaucht sind.”

Roarke war nicht in der Stimmung, sich ausfragen zu lassen. Nachdem er aus Moskau kommend auf dem Kennedy Airport gelandet war, hatte ihn Darren Fairfield, Präsident des WorldWide Broadcasting Network, in seinem Büro abgekanzelt. Daraufhin hatte Roarke ihm den Presseausweis auf den Schreibtisch geworfen.

Zum Glück hatte Jordan Conway, Vizepräsident und Chef der Nachrichtenabteilung, eingegriffen, die Gemüter beruhigt und eine Denkpause für alle Beteiligten vorgeschlagen.

Roarke hatte zögernd einem Urlaub zugestimmt und den nächsten Flug nach New Orleans gebucht. Hier hatte er sich ein Zimmer im Whitfield Palace genommen, war in die Lounge gegangen, um etwas zu trinken, und hatte Cat Woman getroffen. Obwohl er nicht zum ersten Mal in seinem Leben seit achtundvierzig Stunden pausenlos auf den Beinen war, machte sich allmählich die Erschöpfung bemerkbar.

“Ich habe niemanden umgebracht”, sagte er abweisend.

“Freut mich zu hören”, erwiderte sein Bruder gelassen. “Stimmt es, dass in Moskau jemand versucht hat, dich umzubringen?”

“Ja.” Roarke setzte sich. Er sah noch deutlich den Feuerball vor sich, in den sich sein Wagen verwandelt hatte.

“Möchtest du darüber reden?”

“Vielleicht später.” Noch waren die Wunden zu frisch.

“Wie du willst.” Mike setzte sich zu ihm.

“Ich vermute, dieses Bürschchen von Polizist hat dich verständigt.”

Mike lachte. “Sie werden immer jünger … oder wir werden älter. Das ist deprimierend”, fügte er seufzend hinzu.

Roarke gab ihm Recht, schwieg jedoch.

“Allerdings vermute ich, dass der Junge die Geschichte etwas durcheinander gebracht hat”, fuhr Mike fort. “Er sagte, deine Frau sei angeschossen worden.”

Roarke steckte in der Klemme. Nie hatte er einen seiner Brüder belogen. Sagte er jetzt jedoch die Wahrheit, mischte Michael sich unweigerlich ein. Solange er, Roarke, aber nicht genau wusste, worum es ging, wollte er niemanden gefährden. Zu deutlich hatte er noch vor Augen, wie schrecklich Natascha gestorben war.

Natascha, seine Geliebte in Moskau, die ihm Informationen über die russische Mafia und deren Boss Dimitri Davidov versprochen hatte. Davidov hatte sie umbringen lassen, weil sie für ihn eine größere Gefahr darstellte als der amerikanische Journalist.

Da er es sich nie verzeihen würde, wenn sein älterer Bruder seinetwegen umkäme, entschied Roarke sich für eine Lüge. “Das ist eine lange Geschichte, aber es stimmt mehr oder weniger. Vermutlich wurde sie von einer verirrten Kugel getroffen.”

“CNN hat nicht gemeldet, dass du verheiratet bist.”

“Das weiß niemand. Wir wollten es für uns behalten, bis wir mit Freunden und Verwandten richtig feiern können.”

“Ich verstehe.” Mike schlug einen trügerisch sanften Ton an. “Wann wolltest du Mom denn berichten, dass sie eine Schwiegertochter hat?”

“Das ist einer der Gründe, aus denen ich hergekommen bin.” Verdammt, wenn man einmal log, verstrickte man sich immer tiefer. “Ich wollte meine Frau der Familie vorstellen.”

“Ist sie Russin?”

“Nein, Amerikanerin.”

“Wo hast du sie kennen gelernt?”

“Das ist ja ein richtiges Verhör. Wann holst du denn die grellen Lampen?”

“Ich will nur alles über unser neues Familienmitglied erfahren”, erwiderte Mike ruhig. “Wie heißt sie?”

Gute Frage, dachte Roarke. Eine Frage, die der Polizist auf der Rampart Street auch schon hätte stellen sollen. Aber vielleicht hatte der Kerl es sehr genau gewusst, weil er zu den Polizisten gehörte, vor denen sie floh.

“Daria. Ihr Mädchenname ist Shea.”

Roarke hatte den Eindruck, dass Mike den Namen kannte. “Hübscher Name. Ist sie es?”

“Ist sie was?” Roarke fühlte sich immer mehr wie ein Tatverdächtiger. Sein Bruder war zwar vor über einem Jahr bei der Polizei ausgeschieden und hatte seine eigene Privatdetektei eröffnet, aber ein Polizist blieb vermutlich immer Polizist.

“Ist sie hübsch?”

“Ja, aber …”

“Ich weiß, du hast sie wegen ihres Verstandes geheiratet”, sagte Mike lächelnd.

“Wie gefällt es dir denn in deinem neuen Beruf?” fragte Roarke, um das Thema zu wechseln. “Führst du das gleiche sagenhafte Leben wie Thomas Magnum, dem sich ständig die schönsten Frauen an den Hals werfen?”

“Bisher musste ich noch keiner einzigen Frau ausweichen, aber die Arbeit gefällt mir. Und weil ich nicht für den Rest meines Lebens hinter untreuen Ehepartnern her sein wollte, habe ich mich auf Personen- und Firmenschutz spezialisiert. In diesen unsicheren Zeiten habe ich viel mehr zu tun, als ich überhaupt schaffe.”

“Dann hast du dich eindeutig richtig entschieden.” Die Doppeltür am Ende des Raums öffnete sich.

“Ich denke schon.” Mike warf einen Blick auf die Trage, die ein Pfleger vor sich herschob “Ist sie das?”

“Ja.” Roarke stand auf und trat auf die Trage zu. Die Verletzung war tatsächlich nur ein Streifschuss. Der Arzt hatte sie verbunden. Von dem Sturz hatte Daria Prellungen im Gesicht. “Endlich bist du wieder wach.”

“Ja.” Sie betrachtete ihn verwirrt. “Kennen wir uns?”

Spielte sie, oder erkannte sie ihn wirklich nicht? Und wenn sie ihm nichts vorspielte, hatte sie noch mehr vergessen? Als sein Bruder zu ihm trat, wusste Roarke nicht, ob er sich über ihre Gedächtnislücken freuen sollte oder nicht.

Falls sie sich nicht erinnerte, konnte sie ihn nicht als Lügner entlarven. Andererseits konnte sie ihm dann auch keine Informationen über die Gründe für den Anschlag auf ihr Leben liefern.

“Aber sicher kennst du mich.” Er lächelte besorgt und küsste ihre Hand. “Ich bin dein Mann.”

“Mein Mann?” fragte sie, als hätte sie das Wort noch nie gehört. “Wir sind verheiratet?”

“In guten wie in schlechten Zeiten. Hoffen wir, Liebling, dass nie schlechtere Zeiten kommen und dieser Zwischenfall in unseren Flitterwochen das Schlimmste war, was uns je zustößt.”

“Flitterwochen?”

“Mr. O’Malley?” Eine attraktive Ärztin trat zu ihnen und streckte ihm die Hand hin.

“Roarke O’Malley.” Er drückte ihr die Hand.

“Ich weiß”, versicherte die Ärztin lächelnd. “Ich sehe mir immer Ihre Sendungen an. Vorhin sagte ich zu Ihrer Frau, dass sie sich sehr glücklich schätzen kann.”

“Ich werde Ihnen ganz bestimmt nicht widersprechen, aber es hat nichts mit Glück zu tun, wenn man angeschossen wird.”

“Nun, Glück ist relativ”, erwiderte die Ärztin. “Um ein Haar wäre Ihre Frau tot gewesen.”

“Tot?” fragte Daria entsetzt.

“Es war ein Unfall, Liebling”, versicherte Roarke eine Spur zu hastig. Sein Bruder zog die Augen zu schmalen Schlitzen zusammen. “Vermutlich ein übler Karnevalsscherz, der schief gelaufen ist.”

Verwirrt wandte sie sich an die Ärztin. “Ich kann mich an nichts mehr erinnern.”

“Das ist in einem solchen Fall nicht ungewöhnlich, Mrs. O’Malley”, versicherte die Ärztin. “Die Wunde ist nicht tief, aber bei Kopfverletzungen kommt es öfters zu Gedächtnisverlust. Früher oder später wird Ihnen fast alles wieder einfallen. Sie dürfen sich nur nicht unter Druck setzen.”

“Fast alles?”

“Es könnten einige Gedächtnislücken zurückbleiben. Das kann man nie vorhersehen.” Durch den Eingang wurde eine Trage hereingerollt. Ein Sanitäter kauerte auf einem reglosen Mann und versuchte ihn wiederzubeleben. “Tut mir Leid, ich muss weg”, sagte die Ärztin und eilte davon.

“Wie geht es jetzt weiter?” fragte Roarke.

“Ihre Frau bleibt bei uns”, erklärte eine Krankenschwester, die unvermittelt neben ihm auftauchte. “Zur Beobachtung.”

“Ich muss hier bleiben?” Daria war eindeutig nicht begeistert über diese Aussicht.

Roarke beobachtete sie genau und fand Angst in ihrem Blick. Selbst wenn sie sich nicht erinnerte, warum sie angeschossen worden war, wusste sie doch, dass sie in Gefahr war.

“Es ist nur für eine Nacht.” Er war allerdings auch nicht begeistert, dass sie im Krankenhaus bleiben musste. “Ich werde nicht von deiner Seite weichen.”

“Na, sehen Sie”, meinte die Krankenschwester und rollte die Trage weiter. “Wir bringen Sie auf Ihr Zimmer, und morgen früh sind Sie so gut wie neu.”

“Wir müssen miteinander reden”, sagte Mike, als Roarke ihr folgen wollte.

“Kann das nicht warten?”

“Nein.”

Mikes Ton duldete keinen Widerspruch. Roarke ärgerte sich darüber, dass sein Bruder sich noch immer als Polizist aufspielte, und drückte Daria einen Kuss auf die Wange. “Ich bin gleich bei dir, Liebling.”

Sie nickte schwach.

“Was ist denn so wichtig, dass es nicht bis morgen warten kann?” fragte Roarke und wandte sich an seinen Bruder.

Mike sah sich in dem überfüllten Warteraum um. “Gehen wir nach draußen. Da sind wir ungestört.”

Frustriert, aber neugierig gehorchte Roarke.

“Du bist nicht verheiratet”, sagte Mike, sobald sie vor dem Gebäude standen.

“Wie kommst du darauf?”

“Deine ,Ehefrau’ trägt nur einen Verlobungsring.”

“Vielleicht hat sie den Ehering verloren.” Roarke erinnerte sich daran, wie er sich mit zehn Jahren von Johnny Druen hatte anstiften lassen, ein Batman-Heft bei Newberry’s in der Saint Charles Avenue zu klauen. Als Mike die Übeltat entdeckte, hatte er seinen Bruder in den Laden gebracht und gezwungen, sich zu entschuldigen, das Heft zu bezahlen und einen Monat täglich die Fenster zu putzen und den Laden zu fegen.

“Vielleicht hatte sie nie einen Ehering”, sagte Mike. “Darauf kommt es nicht an. Wichtig ist nur, dass du dich vielleicht mit einer Mörderin eingelassen hast. Ich will wissen, worum es geht.”

“Mit einer Mörderin?” fragte Roarke ungläubig. “Das ist doch lächerlich.”

“Du wohnst im Whitfield, nicht wahr?”

“Ja. Es sollte mich eigentlich nicht überraschen, dass du das herausgefunden hast.”

“Ich bin noch immer ein Detektiv”, erinnerte Mike ihn. “Und ich habe noch genügend Verbindungen zur Polizei, um zu wissen, dass heute Abend in einem Zimmer des Whitfield Palace Hotels eine Leiche gefunden wurde.”

“Zufall”, behauptete Roarke. Daria hatte behauptet, Polizisten wollten sie umbringen. Wie würde sein Bruder reagieren, wenn er das erfuhr? Die meisten Polizisten von New Orleans waren wie Mike anständige Männer, die in einer immer gefährlicheren Welt für Gerechtigkeit kämpften. Allerdings gab es bei der Polizei auch genügend schwarze Schafe. “Ich habe jedenfalls niemanden getötet.”

“Natürlich nicht. Du hast deine Fehler, aber nicht einmal du würdest einen Ermittler des Justizministeriums umlegen.”

“Des Justizministeriums?” Roarke horchte auf. Daria war stellvertretende Staatsanwältin. Die Sache wurde immer brisanter.

“Ja. Der Mann war kein Gast des Hotels.”

“Vielleicht hat er einen anderen Namen angegeben. Oder er hat jemanden besucht.” Roarke brauchte kein Hellseher zu sein, um zu wissen, was als Nächstes kam.

“Stimmt, er hat eine Frau besucht. Eine Frau, deren Beschreibung auf deine Ehefrau zutrifft.”

“Behauptest du, sie hätte einen Bundesanwalt umgebracht?”

“Wenn sich herausstellt, dass der Tote in ihrem Zimmer gefunden wurde, wird sie eine Menge Fragen beantworten müssen.”

Die erste Frage, dachte Roarke, war, wozu sie ein Hotelzimmer brauchte, wenn sie laut Führerschein in der Stadt wohnte.

“Vielleicht war der Mörder des Bundesanwalts auch hinter ihr her.”

“Das ist eine Möglichkeit”, bestätigte Mike. “Durch ihren angeblichen Gedächtnisverlust erhält der Fall jedenfalls eine interessante Wende.”

“Jetzt redest du wieder wie ein Polizist.”

“Und du benimmst dich wie jemand, der etwas zu verbergen hat”, stellte Mike fest. “Warum erzählst du mir nicht einfach, was du weißt?”

Roarke war erleichtert, dass er nun doch die Wahrheit sagen konnte. “Ich weiß weniger als du. Ich hatte nicht einmal eine Ahnung von dem Toten.”

Dann erklärte er, wie er Daria kennen gelernt, sie in der Menge aus den Augen verloren und verletzt wiedergefunden hatte. Und er fügte hinzu, dass sie behauptet hatte, Polizisten würden ihr nach dem Leben trachten.

“Das ist eine schwere Anschuldigung”, meinte Michael grimmig.

“Ich weiß. Es ist möglich, dass sie gelogen hat, um jeden Verdacht von sich abzulenken. Aber als sie mir das von den Polizisten erzählte, war sie nahezu bewusstlos. Ich glaube nicht, dass sie in diesem Zustand noch lügen konnte.”

“Manche Menschen lügen ganz automatisch.”

“Wem sagst du das?” Roarke hatte es nur zu oft erlebt. Zuallererst musste er Daria Shea aus dem Krankenhaus herausholen, bevor die Polizei auftauchte. Sofern sie während der Fahrt im Krankenwagen die Wahrheit gesagt hatte, war das unbedingt nötig.

Und danach wollte er ungeachtet ihrer Amnesie herausfinden, wie diese rätselhafte Frau in einen tödlichen Strudel geraten war.

3. KAPITEL

Daria lag im Bett und starrte frustriert zur Decke. Sie versuchte, sich an irgendetwas zu erinnern, was vor dem Erwachen in der Ambulanz geschehen war. Das Einzige, woran sie sich erinnerte, waren viele Menschen, Lärm und Angst.

Angst wovor?

Der Diamant an ihrer linken Hand funkelte. Bestimmt hatte er ihn ihr geschenkt – dieser Mann, der in der Ambulanz behauptet hatte, ihr Ehemann zu sein. Dieser hoch gewachsene Mann mit dem dichten schwarzen Haar und den Augen, die so dunkel waren wie die Nächte in den Bayous von Louisiana.

Aha! Hastig hielt sie diesen Gedanken fest. Sie wusste, wie ein Bayou nachts aussah. Vor ihr entstand das Bild eines stehenden Gewässers und von Bäumen, an deren Ästen Spanisches Moos herunterhing.

“Ob ich dort mit ihm wohne?”

Die Nase des Mannes sah aus, als wäre sie mehr als einmal gebrochen worden. Die Lippen erinnerten sie an einen Poeten. Das waren Lippen, die Grund genug waren, um diesen Mann tatsächlich zu heiraten. Ihr Gedächtnis versagte jedoch völlig, als sie versuchte, sich eine vertrauliche Szene zwischen ihnen vorzustellen.

“Lieber Himmel!” Daria schlug die Hände vor das Gesicht. “Was soll ich bloß machen?”

Roarke stand in der offenen Tür, wollte diese Frau trösten, hielt sich jedoch eisern zurück. In Moskau hatte es ihn fast das Leben gekostet, dass er sich mit einer wunderschönen, geheimnisvollen Frau eingelassen hatte. Vielleicht war er nicht der Allerklügste, aber er lernte aus Fehlern.

Entschlossen betrat er das Zimmer und zog leise die Tür hinter sich zu. “Ist das auch wahr?” fragte er schroffer als beabsichtigt.

Sie zuckte zusammen, senkte die Hände und blickte ihn vorsichtig an. “Ob was wahr ist?”

“Dass du dich an nichts erinnerst.”

“Warum sollte ich lügen?” fragte sie abwehrend.

“Vielleicht wegen einer solchen Kleinigkeit wie einer Leiche in deinem Hotelzimmer.”

“Was?” Sie wurde noch blasser.

“Die Polizei hat in einem Zimmer des Whitfield Palace einen toten Bundesanwalt gefunden. Das Zimmer war von einer Frau belegt worden, die dir laut Beschreibung zum Verwechseln ähnlich sieht.”

“Ich erinnere mich an kein Hotelzimmer”, behauptete sie. “Ich erinnere mich auch an keinen Mann, schon gar nicht an einen Toten.”

“Das behauptest du.”

“Warum sollte ich lügen?”

“Weil du ihn vielleicht umgebracht hast.”

“Niemals. Ich würde nie jemanden erschießen.” Davon war sie restlos überzeugt.

“Interessant, dass du weißt, dass er erschossen wurde.”

“Hast du das nicht soeben gesagt?”

“Nein. Ich habe nur erzählt, dass ein Bundesanwalt tot aufgefunden wurde, sonst nichts. Ich habe keine Details erwähnt.”

Daria stieß langsam den Atem aus. “Wie ist das möglich? Wieso weiß ich, dass der Mann erschossen wurde, ohne dass ich mich an etwas erinnere?”

Das war eine gute Frage, auf die Roarke unbedingt eine Antwort finden wollte. Er trat neben das Bett. “Fangen wir mit deinem Namen an. Erinnerst du dich wenigstens daran?”

“Die Ärztin hat mich Mrs. O’Malley genannt.” Dabei hatte Daria allerdings das Gefühl gehabt, dass es nicht stimmte.

Roarke hielt sich an seine Geschichte, bis er genauer beurteilen konnte, woran sie sich erinnerte und woran nicht. “Stimmt, du bist meine Frau – Daria Shea O’Malley.”

Er wartete, dass sie das Gegenteil behauptete oder zumindest auf ihren eigenen Namen reagierte. Doch man sah ihr nicht an, ob ihr der Name etwas sagte.

Daria wiederholte den Namen, doch er löste keine Erinnerungen aus. Sie war den Tränen nahe. “Wie heißt du mit Vornamen?”

“Roarke.”

“Roarke.” Der Name kam ihr nicht im Geringsten bekannt vor. “Habe ich dich so genannt?”

“Meistens schon, gelegentlich auch Schatz oder Liebling. Wenn ich die Handtücher nicht vom Fußboden im Bad aufhebe, drückst du dich deutlicher aus.”

Er wollte sie zum Lächeln bringen, doch Daria konnte ihrer Lage keine humorvollen Seiten abgewinnen, und trotz der häuslichen Szene, die er erwähnt hatte, gelang es ihr noch immer nicht, sich vorzustellen, wie sie zusammenlebten.

“Wie lange sind wir schon verheiratet?”

“Noch nicht lange.”

“Also, das hilft mir garantiert weiter. Kennen wir uns schon lange?” Bestimmt nicht. Daria konnte sich nicht vorstellen, einen so beindruckenden, dynamischen Mann wie ihn zu vergessen. Einem solchen Mann wollte man nicht in die Quere kommen. Er war der geborene Beschützer.

Wie kam sie jetzt ausgerechnet darauf? Hatte sie vielleicht Schutz gesucht?

“Wir haben uns Hals über Kopf ineinander verliebt. Und wir wollten unsere Ehe geheim halten, bis wir nach New Orleans zurückkehren und unsere Familien mit der Neuigkeit überraschen konnten.”

“Bis wir zurückkehren konnten? Soll das heißen, dass ich hier lebe? Habe ich keinen Trauring, weil es eine Blitzhochzeit war?”

“Richtig, Mrs. O’Malley.” Falls Daria den Gedächtnisverlust nur vortäuschte, machte sie das sehr überzeugend.

“Aber wieso sollte ich ein Hotelzimmer mieten, wenn ich hier lebe?” flüsterte sie verstört.

“Das weiß ich nicht, Liebling”, erwiderte Roarke gelassen. “Das müssen wir herausfinden.”

Wir … Dieses Wort gefiel Daria nicht sonderlich. Sie erinnerte sich überhaupt nicht an diesen Mann, schon gar nicht an eine Hochzeit.

Schweigend betrachtete sie Roarke eine Weile. “Man sollte doch meinen, dass ich etwas so Wichtiges wie eine Hochzeit nicht vergessen könnte.”

“Allerdings.” Mutwillig lächelnd beugte er sich zu ihr. “Ich muss schon sagen, Schätzchen, das schmerzt. Dass du dich nicht mehr an unsere Flitterwochen erinnerst, verletzt mein Selbstwertgefühl.”

Seine lächelnden Lippen berührten beinahe ihren Mund. Es hätte genügt, den Kopf ganz leicht anzuheben und …

“Ich habe dich geküsst!” Sie wusste, wie seine Lippen sich anfühlten. Ungewollt sprach sie es aus, anstatt es für sich zu behalten.

“Das ist ja schon einmal ein Anfang.” Vielleicht sollte er sie küssen, um ihr Gedächtnis anzuregen. Nur um das auszuprobieren und aus keinem anderen Grund, beugte er sich noch tiefer über sie und berührte fast ihre weichen Lippen …

“Tut mir Leid”, sagte eine tiefe Stimme.

Daria wich vor Roarke zurück und sah zur Tür.

“Hat dir schon einmal jemand gesagt, dass du störst?” fragte Roarke, ohne den Blick von Daria abzuwenden.

“Ich hielt es für angebracht, meine neue Schwägerin in der Familie willkommen zu heißen”, erwiderte Mike. “Ich muss nämlich wieder weg.”

Roarke drehte sich zu seinem Bruder um. “Hast du eine heiße Verabredung?”

“Ich muss arbeiten. Der Kasinobesitzer auf einem der Flussdampfer verdächtigt seinen Manager des Betrugs. Ich spiele schon die ganze Woche Black Jack.” Lächelnd zeigte er Roarke und Daria die Hände. “Das sind die flinksten Finger in der ganzen Gegend.”

In der Nähe dieses netten Mannes, der seinem Bruder sehr ähnlich sah, entspannte Daria sich. “Vom Kartenspiel verstehe ich zwar nichts, aber die meisten Frauen bevorzugen Männer mit sanften Fingern.”

Sein herzliches Lachen brach sicher unzähligen Frauen das Herz. Doch so attraktiv und sympathisch sie ihn auch fand und so wohl sie sich auch bei ihm fühlte, er wirkte auf sie bei weitem nicht so stark wie sein Bruder.

“Ich bin Michael Patrick, der älteste und attraktivste O’Malley–Bruder. Willkommen in unserer Familie.” Er kam ans Bert, beugte sich herunter und küsste sie auf die Wange. “Ich bin überzeugt, dass du perfekt zu uns passt.” Nach dem brüderlichen Kuss wandte er sich an Roarke. “Wir müssen noch einmal miteinander reden.”

Roarke fürchtete ein eingehendes Verhör. Er wollte schon ablehnen, sah seinem Bruder jedoch an, dass er nicht nachgeben würde. Man hatte ihn oft stur genannt, aber was Sturheit anging, so übertraf niemand Michael Patrick O’Malley. Diese Eigenschaft hatte ihn nicht nur zu einem großartigen Polizisten gemacht, sondern oft genug auch seine Brüder schrecklich genervt.

Roarke wandte sich an seine angebliche Braut. “Mike muss sich mit mir um eine Familienangelegenheit kümmern, aber ich komme bald wieder.” Er streichelte Darias Wange. Das sollte bloß wie die zärtliche Geste eines Ehemannes wirken. Trotzdem freute es ihn, als sie etwas Farbe bekam.

“Gut.” Daria begriff es nicht, aber sie wollte nicht, dass er sie allein ließ. Damit sie aber nicht wie eine hilflose Frau wirkte, die sich an ihn klammerte, zwang sie sich zu einem Lächeln. “Ich laufe dir bestimmt nicht weg.”

Roarke vertraute ihr nicht im Geringsten. Um nicht zu riskieren, dass sie ihm noch einmal entkam, blieb er vor der Zimmertür auf dem Korridor stehen.

“Also, fang schon an.”

“Womit?”

“Mit der fälligen Predigt des großen Bruders.”

“Für dich hole ich nicht mehr die Kastanien aus dem Feuer, seit du Lila Comeaux’ zweifelhaften Ruf verteidigt und dich deshalb an der Sacred Heart High School mit der ganzen Footballmannschaft angelegt hast.”

“Hätte ich gewusst, dass sie es mit fast jedem Typen in der Schule trieb, wäre ich auch nicht für sie eingetreten”, erwiderte Roarke. Lila hatte ihm damals eine Szene gemacht, weil er Billy Jones zusammengeschlagen hatte, ohne zu wissen, dass der Fullback des Teams sie während eines Spiels hinter der Zuschauertribüne geschwängert hatte.

“Lila ist Schnee von gestern”, fuhr Mike fort. “Was die gegenwärtige Geschichte angeht, wollte ich dir nur sagen, dass das Fernsehen über den Mord im bekanntesten Hotel der Stadt berichten wird.”

Roarke fluchte leise vor sich hin. “Hast du das von deinen ehemaligen Kollegen erfahren?”

“Nein, von einer alten Freundin, Desiree Dupree.”

“Von der Reporterin, mit der du zusammengelebt hast, als ich das letzte Mal daheim war?”

“Ja, genau die meine ich. Sie hat einen anderen geheiratet, einen ehemaligen Staatsanwalt, der jetzt Romane schreibt, aber wir stehen noch in Kontakt.”

“Verstehe.”

“Du brauchst nicht so zu grinsen. Wir sind nur Freunde. Nicht jeder O’Malley-Bruder bevorzugt kurzlebige Beziehungen.”

Nein, nur Roarke und Shayne. Mike war stets verantwortungsbewusst gewesen. Das war kein Wunder. Ihr Vater war die meiste Zeit fort, und ihre Mutter wurde nicht mit drei Söhnen fertig. Mike hatte letztlich die Rolle des Vaters übernommen, während seine Brüder heranwuchsen.

Bei dieser Jugend war es kein Wunder, dass er Polizist geworden war. Auf diese Weise hatte er sozusagen auch außerhalb der Familie den großen Bruder gespielt, bis er in einen Strudel politischer Interessen geraten war.

“Was weiß die Presse?”

“Nur dass man eine Leiche in einem Zimmer gefunden hat, das von einer Frau gemietet wurde. Desiree meint, die Polizei weiß, wer diese Frau ist, will jedoch noch keinen Namen nennen.”

“Vielleicht will die Polizei warten, bis man sie verhaftet hat, und sich dann erst an die Presse wenden”, wandte Roarke ein. “Oder sie ist selbst hinter dieser Frau her.”

Mike schüttelte den Kopf. “Wie stellst du das bloß an? Du hältst dich erst seit wenigen Stunden in der Stadt auf und bist schon in einen gefährlichen Fall verwickelt.”

“Das ist Talent”, erwiderte Roarke lächelnd und wurde gleich wieder ernst. “Hör mal, die Sache bleibt unter uns, klar?”

Mike sah ihn finster an. “Eigentlich sollte ich dich ohrfeigen, weil du es überhaupt für nötig hältst, das zu betonen.”

“Tut mir Leid. Ich habe verlernt, Menschen zu vertrauen.”

“Geht mir genau wie dir. Also, worum dreht es sich denn nun? Und erzähle mir nicht, sie wäre eine russische Spionin.”

“Nein, nichts dermaßen Spektakuläres. In dem Ausweis, den ich in ihrer Brieftasche fand, steht, dass sie stellvertretende Staatsanwältin ist.”

“Daria Shea. Der Name hätte mir gleich etwas sagen müssen”, erwiderte Mike.

“Du kennst sie?”

“Nicht persönlich. Sie trat ihre Stelle an, als ich den Polizeidienst quittierte. Aber ich habe von ihr gehört. Sie steht im Ruf, sehr klug und absolut ehrlich zu sein – völlig untypisch für diese Stadt. Man erzählt sich auch, sie würde hart arbeiten und wie ein Pitbull kämpfen, um Verbrecher hinter Gitter zu bringen – ohne Ansehen der Person. Und damit ist sie etlichen Leuten auf die Zehen getreten.”

“Auch bei der Polizei?”

“Es gibt Gerüchte über eine Ermittlung wegen Korruption”, erklärte Mike. “Daria Shea hat außerdem zwei Richter hochgehen lassen, die gegen Geld Anzeigen wegen Verkehrsdelikten unter den Tisch fallen ließen, und einen Richter, weil er von einem Drogenring bezahlt wurde.”

“Eine aufrechte und tatkräftige Staatsanwältin macht sich in dieser Gegend zwangsläufig zahlreiche Feinde.”

“Das halte ich noch für eine Untertreibung.” Mike wählte seine Worte sorgfältig. “Sie macht auch nicht wie viele erfolgreiche Frauen auf ,Magnolie aus Stahl’, um sich Respekt zu verschaffen. Eigentlich zeigt sie immer ihre Krallen. Ich habe sogar gehört, dass manche Männer sie zum Ausgehen eingeladen haben und sich dabei nicht nur kalte Füße, sondern sogar Frostbeulen an den Zehen geholt haben.”

Wenn Roarke allerdings an Darias heißen ersten Kuss dachte, konnte er sich nicht vorstellen, dass sein Bruder in diesem Punkt Recht hatte.

“Ich nehme nicht an, dass du nach Moskau zurückkehren wirst?” fragte Mike.

“Auf keinen Fall.”

“Wie wäre es denn, wenn du dich in den New Yorker Büros der Fernsehgesellschaft zeigst?”

“Kommt nicht in Frage.” Das war der letzte Ort auf der Welt, wo Roarke jetzt sein wollte.

“Ich dachte mir schon, dass du das sagen wirst.”

“Ich kann dir nicht verraten, was ich machen werde, Mike”, erklärte Roarke bedauernd. “Du darfst deine Lizenz nicht riskieren. Also darf ich dich nicht einweihen.”

“Meine Lizenz ist unwichtig, wenn es darum geht, meinen Bruder vor einem Killer zu schützen.”

“Mir wird nichts passieren.”

“Den Satz habe ich doch schon einmal gehört.”

“Und ich lebe noch.”

“Ich weiß, und das ist in meinen Augen ein Beweis dafür, dass es Wunder gibt.” Mike schüttelte den Kopf. “Versprich mir wenigstens, dass du dich bei mir melden wirst.”

“Mache ich.”

“Behältst du sie bei dir?” Als Roarke ihm nur stumm einen Blick zuwarf, winkte Mike ab. “Schon gut, ich habe verstanden. Es geht mich nichts an.” Er holte eine Visitenkarte und einen Stift hervor und schrieb etwas auf die Rückseite der Karte. “Das ist meine Handy-Nummer. Du kannst mich jederzeit anrufen, wenn du etwas brauchst.”

Roarke steckte die Karte in die Hemdtasche. “Danke, das werde ich. Es ist schon eine tolle Sache, einen großen Bruder zu haben.”

“Es ist schon eine schreckliche Sache, einen kleinen Bruder zu haben, der ständig in Schwierigkeiten gerät.”

Sie umarmten sich, und in diesem Moment begriff Roarke, warum er heimgekommen war. Die Familie zog einen unwiderstehlich an, besonders wenn man einen Tiefpunkt im Leben erreicht hatte. “Tust du mir einen Gefallen?”

“Gern”, antwortete Mike sofort.

“Bleib ungefähr zehn Minuten hier, während ich einen Anruf erledige.”

“Du meinst, ich soll Wache schieben.”

“Ja”, bestätigte Roarke ernst. “Genau.” Nach einem besorgten Blick auf die geschlossene Tür des Krankenzimmers ging er los, um Darias Flucht vorzubereiten.

Zwanzig Minuten später rief Daria ungläubig: “Du kannst doch von mir nicht erwarten, dass ich das anziehe!”

Roarke betrachtete das hauchdünne Haremskostüm, das er einer Krankenschwester für hundert Dollar abgekauft hatte. “Das ist doch nicht schlecht.”

Sie verschränkte die Arme und wirkte jetzt schon eher wie eine unerbittliche Staatsanwältin. Offenbar hatte der Schlag auf den Kopf ihren Charakter nicht verändert.

“Das ist praktisch durchsichtig.”

“Nicht direkt. Darunter befindet sich immer noch ein undurchsichtiger Glitzer-Bikini.”

Unwillig betrachtete sie das schimmernde und schillernde Kostüm. “Ich mag ja das Gedächtnis verloren haben, aber ich bin eindeutig nicht der richtige Typ Frau für einen Glitzer-Bikini.”

Da hat sie Recht, dachte Roarke im Hinblick darauf, was Mike ihm über sie erzählt harte. Jedenfalls wollte er nicht unnötig Zeit verlieren und zügelte daher sein Temperament.

“Wir haben Mardi Gras. Wann willst du gefährlich leben, wenn nicht jetzt?”

“Ich würde sagen, ein Streifschuss am Kopf reicht mir an gefährlichem Leben für eine Nacht.”

“Verdammt, bist du immer so stur?” rief er aus.

“Ich glaube schon”, erwiderte sie ungerührt.

“Na, großartig!” Kein Wunder, dass jemand sie umbringen wollte. Wenn sie so weitermachte, geriet er selbst in Versuchung, ihr den hübschen Hals umzudrehen. “Das Katzenkostüm, in dem sie dich eingeliefert haben, ist voller Blut, und darum …”

“Ich habe ein Katzenkostüm getragen?”

“Ja, und es hat ausgesehen, als wäre es dir auf die Haut gemalt. Darum verstehe ich nicht, warum du dich über dieses Kostüm dermaßen aufregst! Aber da du das Katzenkostüm nicht anziehen kannst und das Krankenhaus wohl kaum in diesem wundervollen Designer-Nachthemd, das sie dir hier verpasst haben, verlassen möchtest …”

“Nein”, fiel sie ihm ins Wort. “Ich bin zwar überzeugt, dass New Orleans nur dank der Klimaanlagen bewohnbar ist, aber ich ziehe trotzdem nichts mit eingebauter Klimaanlage an.” Keinesfalls wollte sie ihren nackten Po der frischen Luft aussetzen.

“Du hast keine andere Wahl, als in den Harem einzutreten.”

“Wenn ich in der Stadt wohne, könntest du mir doch von daheim etwas zum Anziehen holen.”

“Kommt nicht in Frage, zumindest jetzt nicht. Es reicht, wenn heute Nacht einer von uns beiden eine Schusswunde am Kopf hat.”

Sie betrachtete ihn durchdringend. “Du glaubst nicht, dass rein zufällig auf mich geschossen wurde?”

Roarke durfte nicht vergessen, dass sie eine intelligente Frau war, die ihn trotz ihrer Amnesie durchschauen konnte. “Nein, unter den gegebenen Umständen und mit diesem Toten in deinem Hotelzimmer glaube ich nicht an einen Zufall.”

“Aber warum?” fragte sie verstört. “Warum sollte mich jemand erschießen wollen?”

“Das werden wir herausfinden.” Er hielt ihr noch einmal das Kostüm hin. “Zuerst müssen wir aus dem Krankenhaus verschwinden.”

Jetzt zögerte Daria nicht länger, nahm das Kostüm entgegen und setzte sich auf. Trotz der höllischen Kopfschmerzen nahm sie sich zusammen.

“Ich ziehe mich nicht um, wenn du zusiehst”, erklärte sie.

“Hey, wir sind doch verheiratet”, wandte Roarke ein. “Ich habe dich schon oft nackt gesehen.”

Daria war überzeugt, sich daran erinnern zu können, falls sie mit diesem Mann schon einmal zusammen nackt gewesen wäre. “Verschwinde, O’Malley. Meinetwegen kannst du mich für verrückt halten, aber deine Ehefrau will jetzt allein sein.”

Damit hatte Roarke schon gerechnet. “Ich warte draußen.”

Roarke O’Malley war ein Mann, der eine Frau beschützen konnte. Und Daria brauchte Schutz. Aber vielleicht brauchte sie auch Schutz vor diesem Mann!

“Was ist denn jetzt los?”

Daria wurde klar, dass Roarke nichts entging. Das machte ihn gefährlich. “Woher soll ich wissen, dass ich dir vertrauen kann?” fragte sie rundheraus.

“Das Gleiche könnte ich dich fragen.” Roarke stand ihr auf der anderen Seite des Bettes gegenüber. “Außerdem warst du es, die uns in diesen Schlamassel gebracht hat. Ich saß ganz friedlich in der Blue Bayou Lounge und trank mein erstes Bier, als du aus dem Nichts aufgetaucht bist und mich mitten auf den Mund geküsst hast.”

“Ich wusste doch, dass ich dich geküsst habe!”

“Und ob du das getan hast.” Jetzt lächelte er, und dieses verwegene und sehr männliche Lächeln sandte einen prickelnden Schauer durch ihren Körper. “Und glaube mir, Schätzchen, es war umwerfend.”

“Es ist wohl nicht ungewöhnlich, wenn eine Frau ihren Mann küsst”, erwiderte sie und freute sich unerklärlicherweise darüber, dass er den Kuss als angenehm in Erinnerung hatte.

“Nein, es ist nicht ungewöhnlich.” Wahrscheinlich nahm sie ihm die Geschichte von der Heirat noch immer nicht ab. “Und da unsere Flitterwochen andauern, ist es wohl auch nicht ungewöhnlich, wenn ein Mann seine Ehefrau direkt auf der Tanzfläche lieben will, selbst wenn sie dann wegen Erregung öffentlichen Ärgernisses verhaftet werden.”

“Verhaftet …”

Das war keine Frage. Sie wiederholte das Wort, als hätte es eine besondere Bedeutung. Roarke wartete geduldig ab.

“Verdammt, ich dachte, jetzt würde mir etwas einfallen”, sagte sie enttäuscht.

“Keine Sorge, die Ärztin meinte, dass du dich nicht unter Druck setzen sollst. Entspann dich.”

“Du kannst leicht reden”, sagte Daria enttäuscht. “Schließlich hast nicht du das Gedächtnis verloren. Ich kann mich an nichts erinnern, und das macht mir Angst.”

4. KAPITEL

Daria wünschte sich vergeblich einen bodenlangen Spiegel. In dem kleinen Spiegel des schlecht beleuchteten Badezimmers sah sie sich nur mit Mühe. Klar war jedoch, dass niemand, der nicht auffallen wollte, dieses Kostüm anziehen würde.

Der durchscheinende Stoff in den Farben des Mardi Gras – Gold, Grün und Purpur – zeigte mehr von ihren Beinen als die kürzesten Shorts. Und der Glitzer-BH, der an die Kostüme der Tänzerinnen auf der Bourbon Street erinnerte, wirkte wie ein Wonderbra. Nie hätte sie sich träumen lassen, ohne plastische Chirurgie einen derartigen Busen vorweisen zu können.

Sie überlegte gerade, ob sie die Ärmel heraustrennen und irgendwie über den Brüsten befestigen konnte, als es an der Tür klopfte.

“Ich bin es”, sagte die mittlerweile vertraute tiefe Stimme. “Bist du angezogen?”

“Kommt darauf an, was man darunter versteht.” Seufzend schickte sie sich ins Unvermeidliche. Entweder trug sie das Kostüm oder das Krankenhausnachthemd, und das kam überhaupt nicht in Frage. “Sag jetzt bloß nichts”, warnte sie, als Roarke hereinkam. “Kein einziges Wort.”

Sie hatte nichts zu befürchten, weil es ihm glatt die Sprache verschlug.

“Keine frivolen Gedanken.”

“Dein Wunsch sei mir Befehl.”

“Und keine lüsternen Blicke.”

Roarke schüttelte den Kopf. “Meine Mom, eine wahre Südstaaten-Lady, hat sich sehr bemüht, aus ihren drei Söhnen perfekte Gentlemen zu machen. Und ich habe mich meinerseits bemüht, ihre hohen Ansprüche zu erfüllen. Aber, Schätzchen, du verlangst Unmögliches.”

Frustriert holte sie tief Luft und erkannte ihren Fehler, als die Brüste beinahe aus dem Glitzer-BH sprangen. “Wieso stehen Männer mehr auf große Brüste als auf Verstand?”

“Ich weiß nicht, wie andere darüber denken. Mir persönlich ist alles, was über das Normalmaß hinausgeht, glatt zu viel. Und was den Verstand angeht, so langweilen mich geistlose Frauen. Sex spielt sich schließlich hauptsächlich im Kopf ab.”

Daria war nicht in der Stimmung, sich über Sex zu unterhalten, während sie seine Blicke förmlich auf der Haut fühlte. “Wollten wir nicht das Krankenhaus verlassen?”

Sie schlug einen kühlen Ton an, der im krassen Gegensatz zu ihrem Aussehen stand. Es stimmte, was Roarke gesagt hatte. Er bevorzugte intelligente Frauen, und am liebsten hätte er sie auf dieses schmale Krankenhausbett gezogen. Doch das war eine verrückte Idee. Erst einmal musste er dafür sorgen, dass Daria am Leben blieb, damit er ihre Story bekam und seinen Chefs beweisen konnte, dass er keineswegs ausgebrannt war.

“Ich bin bereit.”

Durch einen schmalen, dunklen Korridor erreichten sie einen Seitenausgang des Krankenhauses. Ein rotes Schild über der Tür warnte davor, dass dieser Ausgang für Personal reserviert war.

“Gibt es denn keinen Alarm?” fragte Daria und betrachtete die oberhalb der Tür verlaufenden Drähte.

“Es hat einen gegeben.” Roarke drückte die Tür auf. “Jetzt nicht mehr.”

“Ich kann mich nicht entscheiden, ob ich beeindruckt oder betroffen sein soll.”

“Es ist ein altes System, das jeder ausschalten könnte.”

“Aber nicht jeder würde das tun.”

Er führte sie über den Parkplatz. “Hinter dir sind Killer her, Schätzchen, nicht hinter mir.”

Das mochte stimmen, doch Daria passte sein herablassender Ton nicht. “Dafür habe ich das unendliche Glück, dass du dich um mich kümmerst.”

Es überraschte sie nicht sonderlich, dass ihr Sarkasmus ihn nicht beeindruckte. “Das kannst du laut sagen. Du hast schließlich nicht besonders gut auf dich selbst aufgepasst.”

Sie mochte nicht wissen, wer sie war. Sie mochte die schlimmsten Kopfschmerzen haben, die man sich vorstellen konnte. Und sie mochte aus ihr unbekannten Gründen von einem ihr Unbekannten angeschossen worden sein. Trotzdem war Daria nicht der Typ Frau, der sich von einem Macho einfach überrollen ließ. Dabei war es unwichtig, dass er ihr vermutlich das Leben gerettet hatte.

Roarke tat noch zwei Schritte, ehe er merkte, dass sie stehen geblieben war. “Was ist denn jetzt wieder los?”

“Ich muss dir ganz klar sagen …” setzte sie zornig an, verstummte und begann zu schwanken.

Roarke stützte sie. Dann entdeckte auch er den schwarz-weißen Streifenwagen, der soeben vor der Ambulanz hielt.

“Los.” Er legte den Arm um ihre Taille und führte sie weiter. “Höchste Zeit, dass wir verschwinden.”

Offenbar hatte er ein klares Ziel. Er war überhaupt ein Mann, der stets wusste, was er wollte. Als er jedoch vor einem unauffälligen braunen Wagen stehen blieb, war sie enttäuscht.

“Was ist?” fragte er.

“Nichts. Ich hätte von dir nur ein anderes Auto erwartet.”

“Das liegt vermutlich daran, dass der Wagen nicht mir gehört.” Er öffnete die Beifahrertür. “Steig ein.”

“Stehlen wir den Wagen?”

“Eine Frau, auf die geschossen wurde, sollte sich über solche Kleinigkeiten nicht den Kopf zerbrechen.”

“Trotzdem …”

“Wenn du mir noch lange widersprichst”, erklärte er ganz sanft, “kommen die Polizisten dahinter, dass du untergetaucht bist, und werden uns suchen. Ich kann mich zwar ganz gut zur Wehr setzen, aber im Moment möchte ich es nicht mit zwei bewaffneten Polizisten aufnehmen.”

Daria sah ihn fassungslos an. “Woher weißt du, dass die Polizei hinter mir …”

“Als sie vorfuhren, bist du wie ein Reh im Scheinwerferlicht erstarrt. Außerdem hast du mir im Krankenwagen verraten, dass Polizisten versuchen, dich umzubringen.”

“Ich habe das gesagt?” Während sie einstieg, tauchte eine vage Erinnerung auf.

“Ja.” Er schnallte sie an, beugte sich dabei über sie, und seine Brust berührte ihre Brüste. Es machte ihn sichtlich nervös.

Rasch richtete er sich wieder auf, schloss die Beifahrertür und setzte sich hinter das Steuer.

“Hast du die Schlüssel?”

“Wir müssen improvisieren.” Er holte den Schraubenzieher hervor, den er aus einem Werkzeugkasten mitgenommen hatte.

“Wahrscheinlich ist es besser, ich weiß nicht, wo du das gelernt hast”, sagte sie leise, während er die Zündung kurzschloss.

“Man lernt mit den Jahren so einiges.” Der Motor sprang an. “Du kennst doch das Motto der Pfadfinder: ,Sei immer bereit!’“

“Und ein Auto zu stehlen ist viel einfacher, als ein Lagerfeuer anzuzünden oder Zelte aufzustellen.”

Er verließ den Parkplatz und fuhr Richtung LaSalle. “Eines muss ich dir zugestehen, Schätzchen. Du hast Schneid.”

“Ich kann mir nicht vorstellen, dass du eine Frau ohne Schneid geheiratet hättest.”

Ihre Angst war einer Zuversicht gewichen, die er früher ebenfalls empfunden hatte. Wenn sie bei ihrer Arbeit auch nicht unterzukriegen war, wunderte es Roarke nicht, dass ihr jemand nach dem Leben trachtete.

“Hast du schon einen Plan?” In diesem Teil der Stadt war weniger los. Alle Touristen drängten sich im Französischen Viertel.

“Verlasse nie deine Wohnung ohne Plan.”

Sein scherzhafter Ton löste eine Erinnerung aus – eine Erinnerung an diesen Mann in ihrem Wohnzimmer. Aber er war nicht persönlich dort gewesen, sondern im Fernsehen.

“Du bist Roarke O’Malley!”

“Das sagte ich doch schon.”

“Du hast mir deinen Namen genannt, aber nicht deinen Beruf.”

“Die meisten Ehefrauen wissen, was ihre Männer machen”, entgegnete er amüsiert.

Jahrelang hatte sie seine Berichte aus den Krisengebieten der ganzen Welt verfolgt. Daria konnte nicht glauben, dass sie vergessen hatte, mit einem der berühmtesten Fernsehjournalisten des Landes verheiratet zu sein.

Gerade als sie darüber eine Bemerkung machen wollte, fuhr Roarke in ein Parkhaus. “Sag bloß, wir klauen noch einen Wagen”, sagte sie seufzend.

“Nicht nötig.” Auf der zweiten Ebene bog er in eine freie Parkbucht ein. “Wir steigen in meinen Wagen um. Ich lasse ihn immer hier, wenn ich nicht in der Stadt bin.”

Roarke war seit einem Jahr nicht mehr in New Orleans gewesen. Hoffentlich hatten die Angestellten dafür gesorgt, dass die Batterie geladen war. Jedenfalls hatte er sie dafür extra bezahlt.

“Wird die Polizei nicht deinen Wagen suchen? Immerhin haben uns etliche Leute in der Ambulanz zusammen gesehen, und du hast allen erzählt, du wärst mit mir verheiratet. Wenn sie einfach deinen Namen in den Computer eingeben und …”

“Du siehst zu viel fern”, unterbrach er sie. “Wir kommen schon durch.”

Insgeheim gestand Roarke ihr zu, dass sie Recht hatte. Sie mussten allerdings das Haus erreichen, damit Daria sich ausruhen und ihr Gedächtnis wiederfinden konnte.

Daria folgte ihm zum Aufzug, mit dem sie auf das sechste Parkdeck hinauffuhren. Roarke bog in einen Gang ein und blieb vor einem schwarzen Porsche stehen.

“Als weltbekannter Journalist verdient man offenbar gut”, stellte sie fest. Der schnittige Wagen passte zu Roarkes Persönlichkeit – dunkel und gefährlich.

“Ich bin zufrieden.” Er ließ sie einsteigen, doch als er sie wieder anschnallen wollte, wehrte sie hastig ab.

“Ich mache das selbst.”

Er hatte sich schon zu ihr gebeugt. Ihre Gesichter waren nur wenige Zentimeter voneinander entfernt. Nur noch ein kleines Stück, und er …

Verdammt! Wie konnte er auch nur an einen Kuss denken, wenn gefährliche Killer hinter ihnen her waren? Daria Shea hatte etwas an sich, das ihn zu den ungünstigsten Zeitpunkten erregte.

“Wie du willst.” Er ärgerte sich über seine mangelnde Selbstbeherrschung.

Daria betrachtete ihn vorsichtig aus den Augenwinkeln. Er war zornig, obwohl sie nicht wusste, womit sie ihn verärgert hatte. “Du hättest mit mir das Krankenhaus nicht verlassen müssen”, sagte sie leise.

“Doch, das war nötig.”

“Aber nicht, weil wir angeblich verheiratet sind. Wir sind gar nicht verheiratet, nicht wahr?”

Er überlegte kurz und seufzte. “Nein.”

“Dachte ich es mir doch.” Sie konnte sich nicht entscheiden, ob sie darüber erleichtert war oder nicht. “Warum hast du geschwindelt?”

“Weil ich auf diese Weise bei dir bleiben konnte, bis ich mehr erfahren würde. War doch keine schlechte Idee.”

“Es ist nett von dir, dass du dich um mich kümmerst.”

“Leg das bloß nicht falsch aus. Ich bin Reporter, und ich habe eine Story gewittert. Und da ich im Moment an nichts anderem arbeitete, wollte ich der Sache nachgehen.”

“Verstehe.” Sie hatte die Warnung begriffen. Sein Verhalten ihr gegenüber hatte keine persönlichen Gründe. Und wenn sie dumm genug war, etwas anderes zu vermuten oder zu erhoffen, stand ihr eine Enttäuschung bevor.

Roarke fuhr auf die dritte Parkebene und fluchte.

“Was ist?” Gleich darauf entdeckte sie den Streifenwagen, der auf sie zukam. “O nein!”

“Im Handschuhfach liegen ein Block und ein Stift. Sieh nach!”

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