Nur noch ein allerletztes Mal ...

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Carmel will bloß eins von ihrem griechischen Noch-Ehemann Damian Kalymnios: dass er endlich die Scheidungspapiere unterzeichnet. Deshalb reist sie sogar nach Athen, um ihn persönlich zu treffen. Doch dort überrascht der attraktive Unternehmer sie mit einem unmoralischen Angebot: Nur wenn Carmel gegenüber seiner schwer kranken Großmutter so tut, als hätten sie sich versöhnt und wären wieder ein Paar, stimmt er der Scheidung zu. Ein gewagtes Spiel beginnt, denn gegen alle Vernunft begehrt sie Damian bald mehr denn je …


  • Erscheinungstag 19.08.2025
  • Bandnummer 172025
  • ISBN / Artikelnummer 0800250017
  • Seitenanzahl 144

Leseprobe

Dani Collins

Nur noch ein allerletztes Mal …

1. KAPITEL

Als das Auto anhielt, schloss Carmel Davenport die Augen. Sie kämpfte gegen den Drang an, der langsam in ihr hochkroch. Aber in Wirklichkeit wollte sie gar keinen Alkohol. Sie wollte die Betäubung. Die Gefühle, die in ihr tobten, waren einfach zu schmerzhaft. Schwer und heiß.

Sie hielt die Augen geschlossen, konzentrierte sich auf die Atemtechniken, die sie gelernt hatte. Ließ die Reue und die Scham los und den Schmerz über verschwendete Zeit und Gelegenheiten. Eine Bilderfolge in lebhaften Farben spielte hinter ihren Augenlidern. Ein Mann mit schwarzem Haar und gebräunter Haut, auf der Wassertropfen glitzerten. Ein unverschämtes Lächeln, ein heißer Blick, eine Berührung, die sich wunderbar aufregend anfühlte. Liebkosungen, die ihr das Gefühl gaben, besonders zu sein.

Carmel atmete tief aus. Genau diese Momente waren es, die sie für selbstverständlich gehalten und verschwendet hatte.

In ihrem Inneren flüsterte eine Stimme, sie sei wertlos und dumm. Fest ermahnte sie sich, dass das nicht stimmte. Sie konnte zwar die Vergangenheit nicht ändern, aber sie konnte künftig klügere Entscheidungen treffen.

Sie musste vorausschauen, nicht zurück. Nicht länger im Fegefeuer des Selbsthasses verharren.

„Entschuldigung“, murmelte sie dem Chauffeur ihres Bruders zu, der geduldig in der heißen Sonne Athens auf ihr Aussteigen wartete.

Sie zog ein paar Taschentücher aus ihrer Handtasche. Sie hasste es, zu weinen. Es war ein Kontrollverlust. Und die Tränen würden ihr sorgfältig aufgetragenes Make-up verlaufen lassen.

Vor dem Termin heute hatte sie alles an ihrem Outfit sorgfältig überdacht und gegen die kritischen Stimmen in ihrem eigenen Kopf verteidigt.

Was würde Damian davon halten? Es war fünf Jahre her. Carmel war nicht mehr vierundzwanzig, dünn wie ein Streichholz mit gebleichtem blondem Haar und der Tendenz, eine Menge Haut zu zeigen. Wie würde er auf das natürliche Braun reagieren? Auf die zusätzlichen Kilos? Ihre Nüchternheit?

Als ob sie seine Anerkennung brauchte.

Nein, sie brauchte eine Scheidung.

Dazu war seine Zustimmung nicht einmal nötig. Sie hätte die Scheidung beantragen und warten können, ob er dagegen Einspruch erhob. Aber lieber wäre es ihr, wenn er sie heute unterzeichnete, damit das Ganze ohne Verzögerung durchging.

Damit sie ihre Reise fortsetzen konnten. In eine bessere Zukunft …

Sie setzte einen Fuß auf den Bürgersteig, nahm die Hand, die der Fahrer ihr reichte, und ließ sich aus dem Auto helfen. „Ich gehe zu Fuß zurück“, sagte sie. Es war ihr egal, ob ihre Frisur sich dabei auflöste oder sie schwitzte. Nach der Begegnung mit ihrem Noch-Ehemann würde sie irgendwie den Kopf freibekommen müssen.

„Ich warte gern auf Sie.“ Der Fahrer wusste so gut wie sie, dass sie auf dem Weg zwischen diesem Bürogebäude und dem Penthouse ihres Bruders an mindestens drei Bars vorbeikommen würde.

„Es geht schon.“ Hoffte sie. „Bitte erzählen Sie meinem Bruder nicht, wo ich heute war. Das möchte ich selbst tun.“

„Sie sprechen bestimmt sowieso mit ihm, bevor ich es tue. Ich würde es ihm nur sagen, wenn er mich danach fragt.“

Aber Atlas würde fragen, denn er vertraute ihr immer noch nicht.

Seine Frau Stella war es gewesen, die überschwänglich gesagt hatte: „Natürlich kannst du bei uns wohnen, solange wir weg sind.“

Atlas hatte nicht widersprochen. Aber er hatte die Haushälterin angewiesen, allen Alkohol unter Verschluss zu halten.

„Dann schicke ich Ihnen eine Nachricht, wenn mein Treffen vorbei ist.“ Die Tage, als Carmel die Angestellten ihres Bruders hatte bestechen oder bezirzen können, damit sie ihre Geheimnisse hüteten, waren vorüber.

Und das war auch gut so.

Nicht, dass sie noch viele Geheimnisse hatte.

Nur diesen Ehemann, den sie vorhatte loszuwerden.

Sie schaute hoch zu dem Gebäude.

Vermutlich hätte sie Atlas bitten sollen, die Angelegenheit für sie zu klären. Sie glaubte nicht, dass Damian an ihrem Geld gelegen war – welchem Geld? –, aber er würde vielleicht versuchen, an ihr Kapital zu gelangen, das Unternehmen, das sie von ihrer Mutter geerbt hatte, oder ihre Wohnung in London.

Nein. Sie wollte Atlas von dieser überstürzten, kurzlebigen Ehe nichts erzählen. Sie verstanden sich endlich etwas besser. Das wollte sie nicht gefährden, indem sie ihm eine weitere ihrer alten Sünden beichtete.

Carmel war es leid, ständig wegen ihrer Vergangenheit in der Defensive zu sein. Um Hilfe bitten zu müssen. Sie musste das hier selbst schaffen und die Sache mit Damian ins Reine bringen.

Obwohl die Aussicht darauf sie erschreckte.

Zum x-ten Mal schaute sie in ihre Umhängetasche, um sicherzugehen, dass der Umschlag noch da war.

Eine Hupe drängte ihren Fahrer, seinen Platz vor dem Haus zu räumen. Als er losfuhr, drehte sie sich um, betrat durch die Drehtür das Gebäude und zeigte dem Sicherheitsmann den Umschlag und die Karte ihres Anwalts.

Ihrer Assistentin war es gelungen, kurzfristig einen Termin mit Damian zu vereinbaren, indem sie behauptet hatte, sie habe Papiere einer englischen Anwaltskanzlei, die seine Unterschrift benötigten. Was auch stimmte.

Es war nur nicht die ganze Wahrheit.

Die ganze Wahrheit, der wirkliche Grund, warum sie nicht Atlas gefragt oder die Sache ihrer Anwältin überlassen hatte, war, dass sie Damian sehen wollte.

Und wenn er wüsste, dass sie ihn sehen wollte, würde er sie nicht empfangen. Das hatte er das letzte Mal gesagt.

Ich will dich nie wiedersehen.

Die Verachtung in seiner Stimme saß seit fünf Jahren wie ein Dorn in ihrer Brust. Sie war dafür verantwortlich, dass Carmel ernstlich versucht hatte, trocken zu werden.

Nicht, dass ihr das sofort gelungen war. Sie hatte den Entzug mehrfach abgebrochen. Versucht, sich irgendwie am Riemen zu reißen, und war gescheitert.

Aber jetzt stellte sie sich der Herausforderung. Und ihren eigenen Dämonen.

Oder zumindest dem, den sie geheiratet hatte.

Sie ließ sich einen Besucherausweis reichen. Während der Fahrstuhl sie ins oberste Stockwerk beförderte, versuchte sie, das Zittern ihrer Knie und das Schwitzen ihrer Handflächen irgendwie zu unterbinden.

Ihre Nervosität wuchs, als der Fahrstuhl immer höher stieg. Dies war eins der höchsten Gebäude in Athen, und es war ihr nicht entgangen, dass Damians Name außen angebracht war. Der ganze Komplex gehörte ihm.

Ihre Familie war immer reich gewesen. Die Marmorböden, die Glaswände und die luxuriöse Einrichtung waren nichts Neues für sie. Trotzdem war sie beeindruckt. Als sie Damian kennengelernt hatte, führte er ein kleines Start-up im Bereich grüner Energien. Jetzt dominierte er die Branche in Europa und hatte in andere Teile der Welt expandiert.

Am Empfangstresen begrüßte sie ein Sekretär und führte sie in einen Wartebereich.

Sie hörte die Worte des Mannes kaum, so laut schlug ihr Herz. So unauffällig, wie sie konnte, konzentrierte sie sich auf ihre Atmung. Am liebsten hätte sie den Umschlag in den Händen zerknüllt.

Es würde schon funktionieren, sagte sie sich. Damian wollte nicht mit ihr verheiratet sein. Die Hochzeit war eine überhastete Entscheidung gewesen, nach ein paar leidenschaftlichen Tagen und Nächten. Er hatte große Träume gehabt. Carmel hatte ihm das Geld dafür geben wollen. Mit der Hochzeit, hatte sie geglaubt, würde sie Zugang zu ihren Treuhandfonds bekommen. Und ihr Vater würde sie dann nicht mehr drängen können, einen seiner Bekannten zu heiraten.

Zu keinem Zeitpunkt war Carmel davon überzeugt gewesen, dass die Ehe halten würde. Das konnte Damian auch nicht wirklich gedacht haben. Er war großzügig und liebevoll gewesen. Besitzergreifend genug, um alle anderen Männer böse anzustarren, die es gewagt hatten, in ihre Richtung zu schauen. Aber sein Fehler war ihm schon bewusst geworden, als sie in London angekommen waren.

Hast du gerade Wodka in deinen Mimosa getan?

Das hatte sie. Weil sie wusste, wie entsetzt ihr Vater darauf reagieren würde, dass sie einen Handwerker geheiratet hatte, den sie im Urlaub in Griechenland getroffen hatte.

„Wie der Vater, so die Tochter“, sagte sie, als Oliver bei Damians Anblick verächtlich den Mund verzog. „Zumindest habe ich meinen Lover geheiratet, und es wird nicht in fünfzehn Jahren ein Baby irgendwo auftauchen.“

„Gut“, sagte ihr Vater. „Das heißt, du kannst ihn loswerden.“

Sie seufzte. Sie gab Atlas keine Schuld mehr an der Untreue ihres Vaters. Aber für die Art, wie Damian sie angeschaut hatte, als er ihn so verächtlich gemustert hatte, war sie allein verantwortlich.

Deshalb hast du mich geheiratet? Um es ihm zu zeigen?

Das Telefon des Sekretärs klingelte. Der junge Mann antwortete auf Griechisch, das Carmel besser verstand, als sie es sprach. Atlas’ Mutter war Griechin gewesen. Über die Jahre hatte Carmel genug gelernt, um ihn zu belauschen.

Málista, kyrie, aber Ihr Termin für zehn Uhr ist hier.“ Der Blick des Sekretärs wanderte zu ihr. „Sie hat Dokumente von einer Kanzlei aus London.“ Er gab einen bejahenden Laut von sich. Als er sich Carmel zuwandte, legte sich ein entschuldigender Ausdruck auf sein Gesicht.

Nein! Carmel sprang auf die Füße.

„Ich brauche nur zwei Minuten“, sagte sie auf Englisch. Verzweifelt versuchte sie, die passenden Worte auf Griechisch zu finden. „Dýo lepta.“ Sie hielt zwei Finger hoch.

Kyrie?“, sagte der Sekretär und runzelte die Stirn.

Ein lauter Knall ertönte, als die beiden breiten Türen am Ende des Flurs so kräftig aufgestoßen wurden, dass sie gegen die Wände stießen.

Carmel zuckte zusammen und das Herz sprang ihr fast aus der Brust. Da war er, ein wütender Racheengel.

Damian Kalymnios. Ihr Ehemann.

Sie hatte oft im Internet nach ihm gesucht. Seine Bilder tauchten häufig im Zusammenhang mit prestigeträchtigen Projekten oder Verhandlungen auf. Aber keins dieser Fotos hatte sie darauf vorbereitet, ihm wieder gegenüberzustehen.

Er war immer noch groß und hatte breite Schultern, aber er wirkte nun deutlich reifer. Seine Muskeln blieben auch unter dem grauen, maßgeschneiderten Anzug sichtbar. Der Dreitagebart war verschwunden; er war glatt rasiert, sodass man seine Kinnspalte sah. Sein schwarzes Haar trug er jetzt kürzer. Und er wirkte grimmig.

Als sich ihre Blicke trafen, las Carmel in seinen Augen nichts als Wut. Und Verachtung.

Autsch.

Sie hatte sich gegen diese Verachtung gewappnet, aber es tat doch weh. Und es überraschte sie, wie sehr sie sich wünschte, dass dieses Gefühl mit der Zeit ein wenig nachgelassen hätte.

Nicht, dass sie ihn erkennen ließ, was sie fühlte. Wenn ihre frühere Unaufrichtigkeit für eins gut war, dann für die Fähigkeit, Gleichgültigkeit vorzutäuschen. Aus Selbstschutz.

Sie hob das Kinn und schenkte ihm ein kühles, gefasstes Lächeln. „Hallo, Damian.“

„Nein“, sagte er tonlos auf Englisch und dann auf Griechisch zu seinem Sekretär: „Ich werde im Homeoffice arbeiten, wenn ich die Zeit dazu finde.“

„Ja, Sir. Der Pilot ist bereit für den Abflug. Ist das hier eine Angelegenheit für die Security?“ Er schaute zu Carmel.

„Nein.“ Damian wechselte zurück ins Englische. „Sie wird hier gleich wieder verschwinden.“

Ohne sie eines weiteren Blickes zu würdigen, ging er an ihr vorbei den Flur entlang in Richtung Fahrstuhl.

„Damian.“ Carmel lief ihm hinterher und versuchte, auf ihren hohen Absätzen nicht auszurutschen. Sie schwenkte den Umschlag in seine Richtung. „Ich bin nur hier, um dir das hier zu geben. Lies es, unterschreibe, und dann müssen wir nie wieder ein Wort miteinander reden.“

„Das muss ich sowieso nicht.“ Er drückte auf den Knopf. „Wie ich mich entsinne, habe ich dir auch gesagt, dass ich dich nie wieder sehen will!“

„Das weiß ich, aber …“ Ich möchte mich entschuldigen. „Bitte, nimm sie einfach.“ Sie hielt ihm weiter den Umschlag hin. „Es ist an der Zeit. Das weißt du.“

Damian ignorierte den Umschlag, genau, wie er damals die erste Ausfertigung der Scheidungsvereinbarung nicht beachtet hatte.

Die Tür öffnete sich. Er betrat den Fahrstuhl.

Carmel folgte ihm.

Jetzt schaute er sie an. Von oben herab. In seiner Wange zuckte ein Muskel. Es wirkte, als ob er kurz davor war, sie aus dem Fahrstuhl zu schubsen. Aber dann müsste er sie anfassen. Stattdessen drückte er auf einen Knopf und starrte stur geradeaus.

Carmels Magen verkrampfte sich. „Möchtest du dieses Kapitel nicht auch endlich abschließen?“

„Nein. Ich möchte lieber verheiratet bleiben und den Namen deiner Familie in den Schmutz ziehen.“ Er zitierte ihren Vater. „Aber warte.“ Er kniff sich gespielt nachdenklich ins Kinn. „Ist es in Wirklichkeit nicht eher andersherum?“

Die unangenehme Hitze verlegener Röte stieg ihr in die Wangen. „Ich werde nicht so tun, als hätte ich das nicht verdient. Aber ist das nicht ein Grund mehr für eine Scheidung?“

„Hast du gerade gesagt, du hättest das verdient?“ Sein Ton schwankte zwischen Wut und Hohn. „Das klingt beinahe wie Ehrlichkeit, Carmel.“

„Ein neuer Trend, den ich ausprobiere.“ Sie schenkte ihm ein sarkastisches Lächeln.

„Und das sollen dir die Leute abnehmen?“

Die Tür öffnete sich. Sie hatten einen kleinen Raum auf dem Dach erreicht, durch dessen Fenster sie den Hubschrauber sehen konnte. Damian ging geradewegs hinaus in den Sonnenschein.

Carmel blieb keine Zeit zum Nachdenken. Sie eilte ihm hinterher, überholte ihn und blockierte die Tür zum Helikopter, sodass er nicht einsteigen konnte.

„Was soll das?“ Es klang gleichzeitig verblüfft und wütend.

„Gib mir, wofür ich hier bin! Ich will eine Scheidung, Damian. Unterschreib.“ Sie tippte ihm mit dem Umschlag vor die Brust.

„Ich weiß, du bist eine verwöhnte, reiche Göre, die meint, dass die Welt sich nur um sie dreht. Aber meine Welt tut das ganz sicher nicht.“

Sie waren sich zu nahe. Carmel konnte die Wut spüren, die von ihm ausging, aber nicht nur das. Was für Pheromone sein Körper auch ausstieß, sie reagierte darauf. Ihr Puls ging schneller. Ein Gefühl atemloser Erwartung durchflutete sie.

„Geh zur Seite – oder ich zwinge dich dazu.“

„Und gibst mir damit etwas, das ich gegen dich verwenden kann?“ Sie würde die Drohung nicht wahr machen, aber sie hatte viel Erfahrung darin, mit schmutzigen Tricks zu kämpfen. Manche Gewohnheiten waren schwer abzulegen. „Jetzt im Moment ist es eine einvernehmliche Scheidung wegen unüberbrückbarer Differenzen. Belassen wir es doch dabei.“

„Du hast dich kein bisschen verändert, oder?“, sagte er mit resignierter Wut.

Das war das Schlimmste, was jemand zu ihr sagen konnte.

Von ihm, jemandem, der ihre hässlichsten Seiten gesehen und sie dazu gebracht hatte, sich ändern zu wollen, war es umso schmerzhafter.

„Ist das die neue Taktik? Einschüchterung und Drohungen?“ Damian kam näher, seine Stimme leise und gefährlich. „Bist du sicher, dass du mich wirklich provozieren willst?“

Sie legte ihm ihre Hand auf die Brust. Bei der Berührung durchfuhr sie ein Gefühl wie ein elektrischer Schock.

Wenn sie ihm nicht direkt gegenübergestanden hätte, wäre ihr vielleicht entgangen, wie sich seine Pupillen weiteten. Sein Blick wanderte zu ihren Lippen, und in der Luft lag eine Spannung wie vor einem Gewitter.

Vielleicht hatte sie sich wirklich nicht verändert, wenn sie immer noch diese selbstzerstörerischen Impulse hatte.

Der Pilot kam um den Hubschrauber herum und zuckte die Schultern. „Me synchoreíte.“

Damian riss den Kopf hoch und warf Carmel einen anklagenden Blick zu. „Ich bin so weit.“ Zu Carmel sagte er auf Englisch: „Ich bin auf dem Weg zu jemandem, der mir wichtig ist, und ich will sie nicht warten lassen. Geh mir aus dem Weg!“

Bei dem weiblichen Pronomen zuckte Carmel beinahe zusammen. „Ich bin sicher, sie würde wollen, dass du mich los bist.“ Sie traf eine spontane Entscheidung. Am Türgriff zog sie sich in die Kabine hoch und setzte sich auf einen der luxuriösen Ledersitze.

„Hast du einen Todeswunsch?“, stieß Damian hervor.

„Wieso? Willst du mich rausschubsen, sobald wir abgehoben haben?“ Ihre Finger zitterten, als sie sich festschnallte. „Auf die Weise wärst du mich natürlich auch endgültig los.“

„Bring mich nicht in Versuchung!“

„Du scheinst es eilig zu haben. Das kann ich berücksichtigen.“ Sie hoffte, dass er das Zittern in ihrer Stimme nicht hörte. „Du kannst die Papiere durchschauen, während wir in der Luft sind.“

„Seit wann nimmst du Rücksicht auf andere?“ Er stieg in den Hubschrauber und setzte sich auf den Platz neben sie.

„Noch einer dieser neuen Trends, die ich ausprobiere.“

Er nickte dem Piloten zu, der sichtlich unbehaglich in der Nähe stand, und gab ihm zu verstehen, dass er abheben sollte.

„Ich bringe dich nicht hierher zurück“, sagte Damian. „Der Weg zum Fähranleger ist lang.“ Er schaute betont auf ihre hohen Schuhe. „Und die Fähre fährt einmal am Tag. Um zehn Uhr morgens. Heute wird das nichts mehr.“

„Ich komme schon zurecht.“ Es wäre nicht das erste Mal, dass sie irgendwo festsaß. Sie hatte ihre EC- und Kreditkarten dabei. Zumindest war sie diesmal nüchtern.

„Darauf wette ich“, murmelte er verächtlich. Er nahm wahrscheinlich an, dass sie sich an den nächstbesten Mann wenden würde, um Hilfe zu bekommen.

Das war nicht ungerechtfertigt. Wie man Menschen manipulierte, hatte Carmel von einem Experten gelernt.

Sie verbarg ihre Scham hinter einer Maske der Gleichgültigkeit.

Der Pilot schloss die Tür und verschwand in seiner Kabine. Der Rotor begann sich zu drehen, der Motor sprang an.

„Kannst du das jetzt bitte lesen?“ Sie reichte Damian den Umschlag.

„Nein.“ Damian hielt sein Telefon ans Ohr und ließ jemanden wissen, dass er ihr Treffen leider absagen musste. Es folgte eine ganze Reihe geschäftlicher Telefonate.

Carmel nutzte die Gelegenheit, um Atlas’ Fahrer zu schreiben, dass er sie nicht abholen musste, und seiner Haushälterin Bescheid zu geben, dass sie über Nacht wegbleiben würde. Ihr Bruder war in New York, das hieß, Erklärungen konnten warten.

Als sie nach Süden flogen und unter ihnen das Meer lag, begriff sie, dass sie zu Damians Heimatinsel südlich von Mykonos unterwegs waren.

Sie hatten sich vor fünf Jahren kennengelernt, als Carmel mit Freunden eine Kreuzfahrt durch die Kykladen unternommen hatte. Anschließend war sie ein paar Tage mit ihm auf Mykonos geblieben. Sein Zuhause hatte sie nie gesehen.

Die Leute, mit denen sie zusammen gewesen war, waren keine echten Freunde gewesen. Es hatte sie nicht gekümmert, dass sie mit einem ihr unbekannten Mann zurückgeblieben war.

Als Tochter eines vermögenden Vaters war Carmel immer von Menschen umgeben gewesen, die gern ein aufregendes Partyleben führten, besonders, wenn sie am Ende die Rechnung zahlte. Echte Freunde hatte sie nie gehabt. Alle Leute mit ein bisschen Vernunft hatten sich schnell von ihr und ihrem ausschweifenden Lebensstil distanziert. Was blieb, waren oberflächliche Bekannte, die nichts als Spaß haben wollten. Als sie begonnen hatte, ihr Leben zu ändern, hatte sie begriffen, wie schädlich diese Menschen für sie waren, und sich von ihnen zurückgezogen.

Mittlerweile hatte sie immerhin eine echte Freundin: ihre Schwägerin Stella. Tatsächlich war sie es, von der sie gelernt hatte, was Freundschaft wirklich bedeutete. Sodass sie sich ihre Schwägerin zum Vorbild nahm. Stella war liebenswert. In ihrer Gegenwart wurde selbst der harte Atlas zum Schmusebären. Zu sehen, wie er seine Frau anschaute, machte Carmel gleichzeitig froh und neidisch.

Niemand würde sie je so ansehen, wenn sie sich nicht grundlegend änderte.

Und ganz sicher nicht der Mann, der gerade sein letztes Telefonat beendet hatte, ungeduldig sein Jackett auszog und es auf den Sitz gegenüber warf.

„Warum jetzt?“, fragte er.

O Gott. Carmel hatte sich die Worte tausendmal zurechtgelegt, aber jetzt stolperte sie darüber. „Ich, ähm …“ Sie schluckte. „Ich bin dabei, mein Leben grundlegend zu ändern.“ Vorsichtig legte sie die Hände in ihren Schoß. „Inzwischen bin ich trocken. Ich führe das Unternehmen meiner Mutter und versuche …“ Innerlich wollte sie sich ducken. Sie wünschte, das hier wäre nicht nötig. Aber das war es. „Ich versuche, die Menschen, die ich verletzt habe, um Entschuldigung zu bitten.“

Damian gab ein ersticktes Geräusch von sich. „Und deshalb schleichst du dich mit einer Lüge in mein Büro ein und besetzt meinen Hubschrauber?“

„Funktioniert das nicht so mit den Entschuldigungen? Das war ein Scherz!“, sagte Carmel, als sie sah, wie er die Lippen zusammenpresste.

Humor war für sie eine bewährte Verteidigungstaktik. Und eine ihrer wenigen guten Eigenschaften, auch wenn sie ihn nicht immer angemessen dosierte. Aber man konnte nicht alles an sich ändern, oder?

„Hör zu. Du hast recht“, gab sie zu. „Es war sicher nicht die beste Taktik. Ich hätte dir die Unterlagen über meine Anwältin schicken lassen können, aber ich wollte persönlich mit dir sprechen. Dir ins Gesicht sehen und zugeben, wie falsch ich mich verhalten habe. Ich wusste, dass es meinen Vater ärgern würde, wenn ich dich heirate. Das war dir gegenüber nicht fair. Aber ich habe wirklich geglaubt, ich könnte dich finanziell unterstützen. Deinen Ärger, als sich das alles in Wohlgefallen aufgelöst hat, habe ich verdient. Ich hätte dir gegenüber ehrlich sein sollen. Vor allem im Hinblick darauf, wie mein Vater reagieren würde.“

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