Perfekte Braut – verzweifelt gesucht!

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Lebt hier die Frau, die mich einfach weggab? Dr. Lula Chance vermutet ihre leibliche Mutter in dem Dorf Atlee Wold. Lula möchte sie finden und zur Rede stellen; dann will sie wieder weg. Doch bis dahin arbeitet sie in der Familienpraxis der Familie James. Und der attraktive Dr. Oliver James ändert mit einem heißen Kuss alles - vielleicht sogar ihr Leben?


  • Erscheinungstag 21.10.2020
  • ISBN / Artikelnummer 9783733719692
  • Seitenanzahl 130
  • E-Book Format ePub
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Leseprobe

1. KAPITEL

Dr. Oliver James packte gerade seine Sachen zusammen, als sein Vater Patrick den Kopf zur Tür hereinstreckte.

„Hast du eine Minute Zeit?“

Erstaunt sah Olly seinen Vater an. „Ja, sicher. Was gibt’s?“

Die beiden Männer betrieben eine Gemeinschaftspraxis in dem hübschen kleinen Ort Atlee Wold in Hampshire. Allerdings hatte Patrick vor, sich schon bald in den wohlverdienten Ruhestand zu verabschieden. Um die Zeit zu überbrücken, bis ein neuer Praxispartner für Olly gefunden war, hatte Patrick eine Vertretungsärztin angestellt.

„Die neue Ärztin, von der ich dir erzählt habe, ist da“, erklärte er gut gelaunt. „Ich würde sie dir gern vorstellen.“

Richtig. Die neue Vertretungsärztin. Schon seit Wochen verdrängte Olly den Gedanken daran, dass sein Vater in Rente gehen würde. Doch die Ankunft der neuen Ärztin zwang ihn, den Tatsachen ins Auge zu sehen.

Er seufzte. Es war ein langer, anstrengender und sehr kalter Tag gewesen. Am liebsten wäre er nach Hause gegangen und hätte ein schönes, heißes Bad genommen. Danach vielleicht noch ein heißer Kakao und dann früh ins Bett.

Leider würde diese angenehme Vorstellung ein Wunschtraum bleiben, denn er hatte in dieser Nacht Rufbereitschaft. Was bedeutete, dass er mehr oder weniger vollständig angezogen mit seinem Pieper auf dem Nachttisch im Bett liegen würde, immer in Alarmbereitschaft.

„Sie ist schon da? Ich wusste gar nicht, dass sie heute schon ankommt.“

„Nun ja, sie ist nicht direkt hier. Also nicht hier in der Praxis. Im Augenblick ist sie im Gemeindezentrum und gibt einen Kurs.“

Beeindruckt sah Olly seinen Vater an. „Obwohl sie noch keine fünf Minuten hier ist, gibt sie schon einen Kurs?“ Offenbar war sie eine sehr außergewöhnliche Frau.

Patrick lachte. „Als sie wegen ihres Vorstellungsgesprächs letzten Monat bei mir war, hat sie Flyer ausgelegt. Hast du die Werbezettel nicht gesehen? Sie gibt Bauchtanz-Kurse für jedermann im Gemeindezentrum.“

Olly grinste. „Bauchtanz? Hier bei uns? Ich kann mir nicht vorstellen, dass sich dafür irgendjemand anmeldet. Viel zu extravagant für unsere lieben Mitbürger. Außerdem ist es so kalt, dass niemand freiwillig vor die Tür geht.“

„Ich habe ihr versprochen, dass wir vorbeischauen. Dabei kannst du sie dann gleich kennenlernen. Ihr werdet schließlich eine Weile miteinander arbeiten müssen – bis wir einen Nachfolger für mich gefunden haben.“

Da war sie wieder, die unangenehme Erinnerung daran, dass sein Vater sich zurückziehen und sich damit alles verändern würde.

„Sie ist nicht an einer Dauerstelle interessiert?“ Olly hatte kein Verständnis für Vertretungsärzte, die von einer Praxis zur anderen tingelten, ohne jemals irgendwo sesshaft zu werden. Wie konnte sie es aushalten, niemals richtig heimisch zu werden? Er selbst würde diese Art von Arbeit hassen.

„Sie ist sich noch nicht sicher. Aber sie hat es auch nicht kategorisch ausgeschlossen. Anscheinend möchte sie sich alles erst in Ruhe ansehen.“

„Sollte es nicht eigentlich so sein, dass wir ihr eine Art Probezeit geben?“ Olly fühlte sich mit der Praxis, die bereits seit drei Generationen von seiner Familie betrieben wurde, sehr verbunden. Auch die Tatsache, dass sein Vater eine Ärztin eingestellt hatte, passte ihm nicht. Vermutlich versuchte sein alter Herr wieder einmal, ihn zu verkuppeln, damit Olly eine Familie gründen und die nächste Generation von Hausärzten in Atlee Wold sicherstellen würde.

„Wir werden es ja sehen. Sie ist auf jeden Fall eine ganz reizende junge Dame. Ich bin mir sicher, dass du sie mögen wirst“, erklärte sein Vater und blinzelte Olly verschwörerisch zu.

„Dad, die Rolle des Amor passt nicht zu dir“, bemerkte Olly trocken.

Sein Vater lachte. „Und warum nicht?“

„Weil dir Flügel nun einmal nicht stehen. Außerdem gefällt mir die Vorstellung von dir mit Pfeil und Bogen in der Hand nicht.“

„Ich habe keine Ahnung, wovon du sprichst. Abgesehen davon brauchst du dir bei ihr keine Sorgen zu machen, mein Sohn. Sie erfüllt nicht ein einziges Kriterium deiner Anforderungsliste für die perfekte Frau.“

Olly schmunzelte. Er war es gewohnt, dass man ihn wegen seiner Liste aufzog. Trotzdem hielt er daran fest, denn er glaubte fest daran. Die Frau, die er einmal heiraten würde, also die Gattin des einzigen Arztes im Ort, musste ganz bestimmte Eigenschaften haben. Sie musste anständig sein, loyal, charmant, gelassen und pragmatisch. Jemand, der zu Hause die Stellung hielt, sich um Haushalt und Kinder kümmerte und den Ehemann tatkräftig unterstützte.

Gut, diese Vorstellungen waren vielleicht ein bisschen altmodisch, aber war es denn wirklich falsch, sich eine verlässliche Frau zu wünschen?

Patrick, der seine Gedanken wahrscheinlich erriet, schüttelte den Kopf und knipste dann das Licht aus. Gemeinsam stapften Vater und Sohn durch den Schnee zu Ollys altem Geländewagen.

Da das Dorf keinen Räumdienst hatte, waren die Straßen vereist und nur schwer befahrbar. Trotzdem war vor den meisten Häusern der Schnee geräumt, denn die jüngeren Leute halfen hier ihren älteren Nachbarn. Wie in so vielen kleinen Orten herrschte auch in Atlee Wold ein starker Gemeinschaftssinn.

Als sie vor dem Gemeindezentrum standen, traute Olly seinen Augen nicht. Es gab keinen einzigen freien Parkplatz! Aus dem Gebäude klang laute orientalische Musik.

„Das gibt’s doch nicht …“

Er parkte ein Stück entfernt auf dem Seitenstreifen und stieg aus.

Patrick folgte ihm. „Hier ist ja richtig was los“, bemerkte er lachend.

Olly schüttelte verwundert den Kopf.

Das Gemeindezentrum war hell erleuchtet, und die Musik mit den dumpfen, rhythmischen Klängen wurde immer lauter, je näher sie kamen.

Olly war fassungslos. Wie war es einer Fremden gelungen, den halben Ort zu einem Bauchtanz-Kurs zu locken? Bei einem Vortrag über Rosenzucht oder einem Bingo-Abend hätte ihn dieser rege Zulauf nicht gewundert, aber Bauchtanz?

Obwohl er es sich nicht eingestehen wollte, wuchs seine Neugier auf diese erstaunliche Frau von Minute zu Minute. Er hatte sich bereits ein bestimmtes Bild von ihr gemacht. Da sie Ärztin war, musste sie eine einigermaßen vernünftige Person sein. Vermutlich eine sehr patente, etwas strenge Frau mittleren Alters, die sich mit diesem Bauchtanz-Kurs eine kleine Extravaganz erlaubte. Auf jeden Fall bestimmt keine Frau, die seiner Liste entsprechen würde.

Denn Bauchtanz-Lehrerin stand definitiv nicht darauf!

Er klopfte sich den Schnee von den Schuhen und folgte seinem Vater ins Gebäude. Das Foyer war leer und dunkel, doch aus dem hinteren Saal ertönte Musik.

„Gehen wir hinein!“, rief sein Vater, um den Lärm zu übertönen.

Olly nickte und öffnete die Flügeltür. Wie angewurzelt blieb er stehen, als er die Frau erblickte, die den Kurs gab. Sein Vater lächelte, während Olly seine neue Kollegin mit offenem Mund anstarrte.

Das konnte doch unmöglich die neue Hausärztin sein!

Damit hatte er nun wirklich nicht gerechnet. Sie war klein und hatte eine zierliche, aber dennoch sehr weibliche Figur, die von ihrer Kleidung – soweit man das als Kleidung bezeichnen konnte – nur spärlich verdeckt wurde. Ihr schwarzes Haar war im Nacken kurz geschnitten, doch an den Seiten war es lang und in allen Farben des Regenbogens gefärbt. Himmelblaue, pinkfarbene und rote Strähnen fielen ihr ins Gesicht. Sie trug mehrere klirrende Armreifen, und in ihrem Bauchnabel funkelte ein kleiner Brillant. Mit ansteckender Begeisterung wirbelte sie vor ihren Schülern herum und brachte ihnen die ersten Bauchtanz-Bewegungen bei.

„Ist alles in Ordnung, Olly?“, erkundigte Patrick sich schmunzelnd.

Wie um alles in der Welt kann diese Frau eine Hausärztin sein? Sie sieht kein bisschen danach aus!

Andererseits – wie sah denn eine Ärztin aus?

Um ihre Taille hatte sie ein schimmerndes Tuch geschlungen, das ihren perfekten Po sehr vorteilhaft betonte und bei jeder Bewegung glitzerte und klimperte. Als sie auf ihre zierlichen Füße deutete, bemerkte Olly Tattoos, bunten Nagellack und kleine Zehenringe. Wie gebannt sah er sie an. Mit ihren großen braunen Augen erwiderte sie seinen Blick und lächelte.

Patrick beugte sich grinsend zu seinem Sohn. „Vergiss nicht, den Mund wieder zu schließen. Du siehst nämlich gerade aus wie ein hungriges Nilpferd.“

Natürlich befolgte Olly den Rat seines Vaters. Er schluckte.

Das konnte unmöglich eine Ärztin sein. Sie sah eher aus wie ein kleiner Kobold. Oder eine Fee. Ja, das war es – sie musste eine Fee sein. Mit Zauberkräften.

Wie sonst hätte sie es schaffen sollen, all diese Menschen herzubringen? Olly kannte die meisten hier. Leute, die seit Jahren an Arthritis litten. Oder an Hüft- und Knieschmerzen. Doch heute waren sie alle da, tanzten ausgelassen und sahen unverschämt glücklich dabei aus.

Bestimmt hatte die Fee dort vorn sie verhext.

Eine seiner Patientinnen, Mrs. Macabee, hatte ihn entdeckt. „Huhu, Dr. James! Schön, dass Sie da sind! Machen Sie mit?“

Fasziniert sah Olly zu, wie die alte Dame mit den Hüften wackelte. Doch dann fiel ihm ein, weshalb er hier war. „Tut mir leid, Mrs. Macabee, aber ich tanze nicht. Abgesehen davon bin ich geschäftlich hier.“

„Geschäftlich?“, lachte sie, während sie den Anweisungen der neuen Hausärztin folgte.

Olly konnte es nicht fassen. Das halbe Dorf war hier, Junge und Alte, und niemanden schien es zu kümmern, wie lächerlich sie mit ihren wallenden Tüchern und schwingenden Röcken aussahen.

Allerdings musste er zugeben, dass die Musik wirklich sehr mitreißend war. Ohne es zu merken, hatte auch er angefangen, im Rhythmus mit dem Fuß zu wippen.

Plötzlich war das Lied zu Ende, und die neue Ärztin dankte allen Teilnehmern fürs Mitmachen. Applaus brandete auf, und die Leute drängten sich um sie, um ihr zu danken.

Olly verzog missbilligend das Gesicht, während er darauf wartete, dass er seiner neuen Kollegin endlich vorgestellt werden konnte.

Sein Vater sah ihn amüsiert an.

„Warum grinst du denn so?“, fragte Olly mürrisch.

„Wegen deines Gesichtsausdrucks.“

„Was stimmt damit nicht?“

Patrick lachte. „Es stimmt rein gar nichts damit. Du siehst aus, als hättest du in eine Zitrone gebissen.“

„Unsinn!“

Sein Vater irrte sich. Natürlich sah er nicht so aus. Warum auch? Das würde ja den Verdacht nahelegen, dass er auf die neue Kollegin eifersüchtig wäre. Und dafür gab es nun wirklich keinen Grund. Sie hatte es also geschafft, die biederen Leute des Ortes zu einer Bauchtanz-Stunde zu überreden. Na und?

Der kleine Kobold kam zu ihnen herüber. „Hi!“

Sie sprühte noch immer vor Energie und schien sehr zufrieden mit dem Verlauf des Nachmittags zu sein.

Patrick stellte sie einander vor. „Lula, das hier ist mein Sohn Oliver. Olly, darf ich dir Lula Chance vorstellen?“

Steif streckte Olly ihr die Hand entgegen. „Lula? Ein sehr ungewöhnlicher Name.“

„Es ist die Kurzform von Louise. Aber ich bevorzuge Lula. Weil es sich wie Hula anhört.“

Olly musterte ihre schlanke Taille. „Und das machen Sie regelmäßig?“

„Was?“

Er schluckte. „Hula-Hop?“

Sie strahlte ihn so übermütig an, dass er verlegen ihrem Blick auswich.

„Manchmal schon.“

Mit einem flauschigen Handtuch tupfte sie sich den Schweiß aus dem Dekolleté, und Olly musste seine ganze Selbstbeherrschung aufbringen, um nicht auf ihren verheißungsvollen Ausschnitt zu starren.

„Sie sind also der Mann mit der Liste?“

Olly lief rot an. „Stimmt. Offenbar gibt es wirklich keine Geheimnisse in unserem Dorf. Willkommen auf dem Land.“

Patrick lachte und legte Lula die Hand auf die Schulter. „Das haben Sie großartig gemacht, Lula. Ihr Kurs ist ein voller Erfolg!“

Sie nickte, wobei ihre blau-rot-pink gefärbten Strähnen wippten. „Beim ersten Mal kommen immer viele Leute. Die Kunst besteht darin, sie regelmäßig zu motivieren.“

„Ich glaube, die Kunst besteht vielmehr darin zu vermeiden, dass jemand einen Herzinfarkt bekommt“, bemerkte Olly trocken. „Haben Sie eine Sauerstoffmaske dabei?“

Patrick lachte schallend. „So ein Quatsch! Aber jetzt zum Geschäftlichen: Sind Sie schon eingezogen?“

„Nein. Meine Sachen sind noch im Auto. Sie haben mir den Schlüssel doch noch gar nicht gegeben.“

Erstaunt sah Olly sie an. „Welchen Schlüssel?“

Lula runzelte die Stirn. „Ähm … Ich glaube, es heißt Moonrose Cottage. Nicht wahr, Patrick?“

Patrick? Sie nennt ihn Patrick? Nicht Dr. James?

„Moonrose? Sie ziehen doch nicht etwa in Grans altes Cottage?“

Sein Vater sah ihn tadelnd an. „Doch, das tut sie. Und du wirst ihr helfen!“ Er reichte Lula den Hausschlüssel.

Olly konnte es nicht fassen. Patrick wusste doch, wie viel Moonrose Cottage ihm bedeutete! Es war nicht nur das Cottage seiner Großmutter gewesen, sondern auch das Haus, in dem Ollys Mutter aufgewachsen war. Ein Ort voller Erinnerungen. Sie konnten doch nicht diesen Kobold darin wohnen lassen. Bestimmt würde sie wilde Partys feiern oder sonst etwas Verrücktes tun. Moonrose war ein ruhiges, abgelegenes Haus. Hübsch und ordentlich – wie es sich gehörte.

„Aber ich habe doch Rufbereitschaft“, wehrte Olly ab.

„Lula hat angeboten, die Bereitschaft mit dir zu teilen, während du ihr beim Auspacken hilfst“, erklärte Patrick grinsend. „Nett, nicht wahr?“

Olly bemerkte, dass Lula ihn belustigt ansah. Erstaunlicherweise spürte er dabei ein leises Kribbeln im Bauch.

„Ja, wirklich nett von Ihnen, Lula. Sind Sie denn gar nicht müde? Erst die lange Fahrt, dann die Tanzstunde und nun noch Rufbereitschaft. Ist das nicht ein bisschen viel?“

„Ich fülle meine Tage gern mit möglichst viel Leben aus“, erklärte sie, und obwohl sie dabei lächelte, hatte Olly das Gefühl, dass sie es vollkommen ernst meinte.

Patrick räusperte sich. „Ich lasse euch jetzt allein. Olly, ich werde zu Fuß nach Hause gehen. Du begleitest Lula, und ich sehe euch zwei dann morgen früh.“

Er schüttelte Lula zum Abschied die Hand und ging davon.

Olly verspürte eine leichte Unsicherheit. An Frauen wie Lula war er nicht gewöhnt. Sie war so lebendig und offen und auch ein bisschen verrückt. Ganz anders als alle anderen Frauen in Atlee Wold.

„Sie ziehen also ins Moonrose Cottage.“ Er starrte ihr Haar an. Es erinnerte wirklich an einen Regenbogen.

„Ja. Übrigens ein interessanter Name.“

„Es wurde nach den blauen Moon-Rosen benannt, die meine Großmutter als junge Frau im Garten angepflanzt hat. Falls Sie bis zum Sommer bleiben, werden Sie sie sehen. Sie sind wirklich außergewöhnlich schön.“

Sie lächelte. „Bestimmt sind sie das.“

„Wollen wir losfahren?“

Lula nickte und wies auf zwei Kisten, auf denen jeweils eine dicke Decke lag. „Würden Sie mir die Kisten zum Auto tragen? Ich konnte sie nicht im Wagen lassen.“

Olly nickte, stellte die Kisten übereinander und hob sie hoch. Gemeinsam gingen sie hinaus und ließen die Eingangstür hinter sich ins Schloss fallen.

Draußen tauchte die Weihnachtsbeleuchtung den Schnee in ein sanftes Licht. Die roten, blauen, grünen und gelben Lampen ließen das Dorf märchenhaft erscheinen und sorgten dafür, dass Lula noch schillernder aussah als vorher.

Sie war definitiv eine Fee.

„Alles in Ordnung?“, fragte sie.

Olly blinzelte. „Wie bitte?“

„Sie haben mich angestarrt.“

Olly fuhr sich verlegen mit der Zunge über die Lippen. „Ähm … ja. Ich habe mich gerade gefragt, wo Sie Ihren Wagen geparkt haben.“

„Da hinten. Ich wollte den Kursteilnehmern nicht den Parkplatz direkt vor dem Eingang wegnehmen.“

„Wie nett von Ihnen.“

„Danke. Also?“

„Also was?“

„Fahren Sie vor mir her und zeigen mir den Weg zum Cottage?“

„Natürlich. Aber lassen Sie uns erst einmal abwarten, ob Ihr Auto anspringt.“

„Oh, keine Sorge. Sie springt immer an.“

„Sie?“

„Betsy.“

„Ihr Auto heißt Betsy?“

„Betsy, der Käfer.“ Lula blieb vor einem roten Wagen mit großen schwarzen Punkten stehen. Ein Marienkäfer-Auto.

Wieder einmal war Olly sprachlos. Erst nach einigen Sekunden hatte er sich gefasst. „Hübsch.“

„Finde ich auch. Warten Sie, ich schließe auf. Am besten stellen Sie die große Kiste gleich auf den Beifahrersitz. Und die kleinere in den Kofferraum.“

Wie versprochen sprang Betsy auf Anhieb an. Olly wies auf seinen Geländewagen, der ein Stück weiter die Straße hinunter geparkt war. Lula nickte. Sie würde auf ihn warten.

Ich könnte dich umbringen, Dad! Was um alles in der Welt hast du getan?

Als Vertretungsärztin war sie die totale Fehlbesetzung. Wieso hatte sein Vater sie eingestellt? Es musste doch geeignetere Kandidaten gegeben haben. Ruhige, solide Ärzte, die besser ins Kleinstadtleben passten. Besser als dieser durchgeknallte Kobold.

Er stieg in seinen Geländewagen und fuhr los. Mit einem Blick in den Rückspiegel vergewisserte er sich, dass Lula ihm folgte.

Unwillkürlich musste er an seine Liste für die perfekte Frau denken.

Lula erfüllte kein einziges seiner Kriterien.

Trotzdem fühlte er sich unwiderstehlich von ihr angezogen.

Bestimmt hatte sie ihn irgendwie verhext.

Während Lula Olly durch das verschlafene Dorf folgte, wurde ihr klar, dass sie einen Fehler gemacht hatte. Nach dem Vorstellungsgespräch mit Patrick hatte sie gewusst, dass sie in einer von ihm und seinem Sohn geführten Familienpraxis arbeiten würde. Doch wie hätte sie ahnen sollen, dass der Sohn dieses freundlichen älteren Mannes so atemberaubend attraktiv war? Sie hatte in ihrer Naivität angenommen, dass er einfach ein weiterer Kollege sein würde, und hatte sich ganz auf den eigentlichen Grund für ihren Umzug nach Atlee Wold konzentriert.

Doch als er vorhin im Gemeindezentrum aufgetaucht war …

Es war ihr fast so vorgekommen, als ob ein Filmstar seinen Auftritt gehabt hatte. Er war umwerfend und sexy und machte gleichzeitig einen beruhigend bodenständigen Eindruck. Es hatte Lula einige Mühe gekostet, ihn zu ignorieren und ihren Kurs zu Ende zu bringen. Einmal war sie sogar über ihre eigenen Füße gestolpert – was aber glücklicherweise niemand bemerkt hatte.

Und nun folgte sie ihm. Durch die dunklen, verschneiten Straßen. Die Rücklichter seines altersschwachen Wagens gaben ihr die nötige Orientierung.

Schließlich parkte Olly vor einem kleinen, strohgedeckten Cottage, das wie verwunschen neben einem Waldstück lag. Sogar bei Dunkelheit sah es sehr hübsch aus, und Lula konnte sich gut vorstellen, wie schön es im Sommer sein musste, wenn im Garten blaue Rosen blühten und Schmetterlinge und Bienen umherschwirrten.

Das Cottage lag nicht weit entfernt von der Gemeinschaftspraxis und dem Gemeindezentrum, sodass Lula sich fest vornahm, am kommenden Tag zu Fuß zur Arbeit zu gehen. Wenn sie sich recht erinnerte, waren ihre Gummistiefel in einer der Kisten in ihrem Kofferraum. Am kommenden Tag würde ein kleiner Transporter ihre restlichen Habseligkeiten bringen.

Vor der Haustür überreichte Olly ihr den Schlüssel. Lächelnd nahm sie ihn entgegen. „Keine Sorge, ich werde mich gut um das Haus Ihrer Großmutter kümmern“, versprach sie.

„Daran habe ich keine Sekunde gezweifelt“, sagte Olly. „Wie wäre es, wenn ich als Erstes den Kamin anheize und dann Ihre Sachen aus dem Auto lade?“

Lula nickte. „Hört sich gut an.“

Auch wenn es eine komische Vorstellung war – sie beide, allein in einem abgelegenen Cottage, vor einem kuschligen Kaminfeuer …

Die Tür ließ sich problemlos aufschließen, und Lula war gespannt auf das, was sie im Inneren des Hauses erwartete. Patrick hatte ihr das Cottage zu einem Vorzugspreis vermietet. Für den gleichen Betrag hätte sie in London nicht einmal eine Abstellkammer bekommen.

Nachdem sie das Licht angemacht hatte, hielt sie die Luft an. Es war wunderschön! Die niedrigen Decken schufen eine heimelige Atmosphäre, die durch die hübschen alten Möbel noch verstärkt wurde. Chintz-bezogene Stühle, bunte Samtkissen und ein abgenutztes, grünes Ledersofa verliehen dem Wohnzimmer einen ganz eigenen Charme. Die Wände waren weiß getüncht und wurden von dunklen Balken durchzogen. Vor dem großen Kamin lag bereits ein ansehnlicher Haufen Feuerholz.

„Dann mache ich mal Feuer“, erklärte Olly.

Lula lächelte. „Schon gut, das kann ich auch selbst. Wie wäre es, wenn Sie die Kisten aus Betsy holen?“

Er nickte, doch Lula wusste genau, dass er den Kamin lieber selbst angezündet hätte. Typisch Mann!

Sie mochte Olly schon jetzt. Er war charmant, etwas altmodisch und insgesamt sehr englisch. Seine äußere Erscheinung war klassisch attraktiv mit dunkelblondem Haar und leuchtend blauen Augen.

Genau mein Typ.

Doch obwohl sie ihn äußerst attraktiv fand, hoffte Lula, dass es bei einem rein kollegialen Miteinander bleiben würde. Sie war nicht nach Atlee Wold gekommen, um sich in eine romantische Affäre zu stürzen.

Die Anzünder funktionierten einwandfrei, und so züngelten schon bald die ersten Flammen an den Holzscheiten. Zufrieden wärmte Lula sich die Hände vor dem Feuer, während Olly gerade die größere der beiden Kisten hereintrug.

„Was ist eigentlich hier drin?“

Sie nahm ihm die Kiste aus der Hand und stellte sie auf einem Tisch ab. Dann zog sie die schützende Decke herunter. „Darf ich vorstellen? Nefertiti und Cleo!“

Olly trat einen Schritt zurück, sein Mund offen vor Schreck und Entsetzen. „Sind das … Ratten?“

Lula grinste, während sie sich bückte, um den Käfig zu öffnen und die beiden Ratten – eine dunkelbraun, die andere weiß – auf ihre Arme klettern zu lassen.

„Ja. Dumbo-Ratten – sie heißen so wegen der größeren Ohren. Sind sie nicht schön?“

Verstört sah Olly sie an und überlegte offenbar, ob er es mit einer Verrückten zu tun hatte. „Es sind Ratten!“

„Stimmt. Sehr intelligente Tiere.“

„Genau wie Delfine. Trotzdem haben Sie keinen in Ihrer Badewanne, oder?“ Er beobachtete, wie die Ratten ihr über die Schultern liefen, und fragte: „Was ist in der anderen Kiste?“

Lula lachte. „Anubis. Sie sollten ihn schnell hereinholen. Er ist auf Kälte sehr empfindlich.“

Olly starrte sie an. „Und was ist Anubis?“

Amüsiert von seiner Reaktion zwinkerte sie ihm zu. „Ich werde ihn holen. Hier!“

Sie nahm die beiden Ratten und setzte sie auf Ollys Schulter.

Entsetzt sah Olly sie an. Er war wie zur Salzsäule erstarrt und konnte offensichtlich nicht fassen, was mit ihm passierte. „Bitte beeilen Sie sich …“

Lula lachte leise in sich hinein, während sie ihre Jacke überzog und nach draußen ging. Kurz darauf kam sie mit der kleineren Box zurück.

Olly stand noch immer reglos im Raum, die beiden Ratten auf seiner Schulter. „Bitte nehmen Sie sie mir wieder ab!“

Lula lachte, denn er sah wirklich zu witzig aus in seiner verkrampften Haltung mit seinem panischen Blick. Sie nahm in jede Hand eine Ratte und setzte sie wieder in ihren Käfig.

Olly seufzte erleichtert auf. „Danke. Und nun Anubis. Was ist er?“

Unsicher sah sie ihn an. „Er ist meine große Herausforderung.“

„Herausforderung? Warum?“

„Weil ich panische Angst vor ihm habe. Aber da ich entschlossen bin, alle meine Ängste zu überwinden, habe ich ihn mir von einem Freund geliehen. Ich darf ihn behalten, bis ich es geschafft habe. Konfrontationstherapie.“

Olly nickte. „Verstehe. Arachnophobie?“

Lula nickte und befreite auch diesen Käfig von der Decke. Im Inneren entdeckte Olly zwischen einigen Holzstücken und etwas Erde eine große, sehr dunkle und sehr haarige Vogelspinne.

Er beugte sich vor. „Er ist riesig! Größer als meine Hand.“

„Und wunderschön, nicht wahr?“

„Ich dachte, Sie hätten Angst davor?“

„Das habe ich. Trotzdem finde ich ihn schön.“

Olly schüttelte den Kopf. „Sie sind ja vollkommen verrückt.“

Sie mussten beide lachen, doch dann zog Lula fröstelnd die Schultern hoch und stellte sich vor den Kamin. „Mir ist kalt.“

„Soll ich die restlichen Sachen aus dem Auto holen?“

„Aber nur, wenn es Ihnen nichts ausmacht.“

„Das hängt ganz davon ab, ob ich noch weitere Zootiere in Betsy vorfinde.“

Lula lächelte. „Keine Sorge. In den übrigen Kartons sind nur noch Wollsocken, Pullover und ähnlich langweilige Dinge.“

Gemeinsam packten sie die restlichen Kisten aus. Gerade als Lula sich etwas frisch machen wollte, klingelte Ollys Telefon. Die Leitstelle informierte ihn, dass einer seiner Patienten wegen starker Schmerzen in der Brust einen Notruf abgesetzt hatte.

„Es ist Mr. Maynard. Er lebt auf einer etwas abgelegenen Farm. Wir nehmen meinen Wagen.“

Lula nickte zustimmend. Solange sie sich noch nicht in Atlee Wold auskannte, hatte sie nichts dagegen, bei Olly mitzufahren. Außerdem lernte sie so gleich einen ihrer neuen Patienten kennen.

Während der Fahrt setzte Olly sie über Mr. Maynard ins Bild.

„Er ist zweiundachtzig Jahre alt und lebt allein. Früher hatte er auf seiner Farm einen großen Stall voller Milchkühe, aber da er weder verheiratet war noch Kinder hatte, musste er in den Neunzigerjahren den Betrieb aufgeben und seine Herde verkaufen. Seitdem lebt er allein da draußen.“

Ein sehr einsames Leben, überlegte Lula. „Wie kommt er denn in den Ort?“

„Gar nicht. Seine Arthritis ist so schlimm, dass er nicht mehr fahren kann. Molly aus dem Supermarkt fährt zweimal die Woche zu ihm und bringt ihm Lebensmittel. Ansonsten versorgt er sich selbst.“

„Hat er sonst noch Gesundheitsprobleme?“

„Bluthochdruck. Aber dagegen nimmt er ein Medikament.“

Mitten in der Nacht durch den winzigen Ort zu fahren war irgendwie surreal. Häuser, Straßen und Bäume lagen unter einer dicken Schneedecke, und die spärlichen Straßenlaternen tauchten die Szenerie in ein gedämpftes Licht. Allerdings nur, solange sie noch im Ort waren. Kaum hatten sie die Gemeindegrenze passiert, wurde es stockdunkel. Da es wieder heftig zu schneien angefangen hatte, konnte Olly nur sehr langsam fahren.

Endlich erschien am Straßenrand ein Schild. „Burner’s Farm“. Olly bog ab, und sie gelangten über eine mit tiefen Schlaglöchern gespickte Zufahrt zum Haus. Das alte Farmhaus war umringt von zerfallenen Nebengebäuden und machte einen heruntergekommenen Eindruck.

Autor

Louisa Heaton
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