Prickelnder Deal mit dem Milliardär

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Reporterin Juliette Grey hätte tausend Gründe, den sexy Griechen Gavriil Drakos zu hassen. Immerhin ist sein korrupter und machtversessener Vater schuld am Tod ihres Vaters! Doch plötzlich steht sie dem Multimilliardär am Traualtar gegenüber. Obwohl Juliette ihr Herz vor dem Tycoon schützen will, kommen sie einander vor der traumhaften Kulisse von Malibu Beach näher. Heiße Nächte und feurige Küsse auf der Hochzeitsreise bringen ihre Vorsätze endgültig ins Wanken. Doch kann sie dem Herzensbrecher wirklich vertrauen?


  • Erscheinungstag 29.04.2025
  • Bandnummer 2698
  • ISBN / Artikelnummer 0800252698
  • Seitenanzahl 144

Leseprobe

Emmy Grayson

Prickelnder Deal mit dem Milliardär

1. KAPITEL

Gavriil

Sieben Minuten zu spät zur Testamentseröffnung meines Vaters zu erscheinen, ist eine Genugtuung. Egozentrisch wie der alte Mann war, hat er Unpünktlichkeit immer gehasst.

Beim Eintreten werfe ich einen Blick nach rechts durchs Fenster. Der Anblick der Wolkenkratzer, die sich auf der kleinen Insel dicht an dicht drängen, raubt mir jedes Mal von Neuem den Atem. New York City mit seinen glänzenden Stahlbauten und der schier endlosen Energie ist etwas ganz anderes als Malibu, wo ich zurzeit lebe. Alessandra Wright, Anwältin und Nachlassverwalterin meines Vaters, hat angeboten, für diesen Termin zu mir nach Kalifornien oder sogar nach Griechenland zu fliegen, wo mein älterer Halbruder Rafael lebt. Warum er das ausgeschlagen hat, weiß ich nicht. Wir reden meistens nur über Geschäftliches miteinander. Drakos Development, der größte Immobilienkonzern der Welt, ist das, was uns verbindet.

Blut ist es jedenfalls nicht. Aber auch ich habe Alessandras Angebot abgelehnt. In Malibu habe ich mir ein nettes Leben geschaffen. Eine Villa auf einem über zwölftausend Quadratmeter großem Grundstück mit Privatstrand, ein Privatjet, mit dem ich von Los Angeles aus hinfliegen kann, wohin ich möchte, und ein Ruf als Geschäftsmann, den ich mir durch harte Arbeit und noch härtere Verhandlungsführung aufgebaut habe. Seit ich ihn übernommen habe, hat sich der Nordamerika-Sektor von Drakos von einem passablen Geschäftszweig hin zu einem mächtigen und erfolgreichen Unternehmensteil entwickelt.

Ich möchte nichts, was mit Lucifer Adomos Drakos zu tun hat, auch nur in der Nähe meines persönlichen Paradieses haben, auch nicht sein verfluchtes Testament. Laut einer Familienlegende hat mein Großvater seinen Sohn nach dem Teufel benannt, weil die Kindesmutter bei der Geburt gestorben ist. Was immer auch der Grund sein mag, er ist seinem Namen mehr als gerecht geworden. Mein Vater war gierig und brutal. Ohne ihn ist die Welt ein besserer Ort.

Ich wende den Blick ab von den Türmen und Hochhäusern, die wie Zähne in den Himmel ragen, und richte ihn auf die beiden Personen, die am gegenüberliegenden Fenster sitzen. Rafe blättert durch den dicken Stapel Papiere, er sitzt kerzengerade da. Sein schwarzes Haar ist zurückgekämmt und betont sein schmales Gesicht mit dem kantigen Kinn. Er sieht unserem Vater mit jedem Tag ähnlicher, eine Tatsache, die ihn ganz sicher nicht erfreut. Keiner von uns beiden mochte den Mann, der uns gezeugt hat.

Er sieht auf. Sein Blick trifft meinen. Die hellblauen Augen sind das Einzige, was wir gemeinsam haben. Sie markieren uns. Rafe zeigt nur selten Gefühle, deshalb weiß ich nicht, ob es ihn genauso quält wie mich – in den Spiegel zu blicken und die Augen unseres Vaters zu sehen.

Ich jedenfalls hasse es.

„Du bist spät dran.“

„Stimmt.“ Ich umrunde den Schreibtisch, an dem eine hochgewachsene schlanke Frau aufgestanden ist, um mich zu begrüßen. „Alessandra.“

Sie lächelt leicht und lässt zu, dass ich sie flüchtig auf die Wangen küsse. Die Frau könnte als Model arbeiten mit ihrem glänzend kastanienbraunen Haar, das ihr über die Schultern fällt und Gesichtszügen, die wie aus Marmor gemeißelt erscheinen. Stattdessen ist Alessandra Wright eine der weltweit jüngsten und erfolgreichsten Anwältinnen für Immobilienrecht geworden.

„Du siehst umwerfend aus. Wenn du später nichts vorhast, könnten wir zusammen essen gehen. Rein geschäftlich natürlich“, füge ich mit einem vielsagenden Lächeln hinzu.

Sie verdreht die Augen, als sie sich in ihren Bürosessel setzt. Trotz all der Neckereien und Flirts in den vergangenen Monaten würde nie etwas zwischen uns passieren. Das liegt nicht nur daran, dass ich niemals Privates und Geschäftliches vermische, sie ist einfach nicht mein Typ. Eines Tages wird sie heiraten und eine Familie gründen wollen. Verbindlichkeit steht ihr geradezu auf die Stirn geschrieben.

„So verlockend das auch klingt, muss ich leider ablehnen.“ Sie sieht auf ihre Armbanduhr und runzelt die Stirn. „Hoffentlich taucht Michail gleich auf.“

Ich trommele mit den Fingern auf die weiche Lederlehne meines Stuhls. Michail Drakos. Noch ein Halbbruder. Einer, dem weder Rafe noch ich je begegnet sind. Von seiner Existenz haben wir erst kürzlich erfahren.

Mein Brustkorb zieht sich zusammen. Dass es ein weiteres Kind gibt, hat mich nicht überrascht.

Aber Theós, es tut weh.

Mein Vater hat mich acht Tage vor seinem Tod angerufen. Es war das letzte Mal, dass wir miteinander gesprochen haben. Fast wäre ich nicht ans Telefon gegangen. Ich weiß bis heute nicht, warum ich es doch getan habe. Dass seine Stimme so schwach klang, hat mich mehr berührt, als es hätte tun sollen.

„Hallo, mein Sohn.“

Mein Vater lag im Sterben. Es war sein erster Anruf bei mir seit vielen Jahren – und das erste Mal, dass er mich Sohn nannte.

Einen Augenblick lang schien die Welt stillzustehen. Ich wartete ab, während Hoffnung mich erfüllte. Hoffnung darauf, dass er sich entschuldigen, seinen Stolz auf mich zum Ausdruck bringen würde. Dass er nach all den Jahren endlich etwas anderes tat, als mich mit Verachtung zu strafen.

Als er sprach, begann die Welt sich wieder zu drehen wie immer.

„Es gibt jemanden, von dem du wissen musst.“

Gehofft zu haben, dass Lucifer sich auch nur ein bisschen etwas aus mir machte, war ein Moment der Schwäche gewesen. Und Schwäche verleiht einem anderen Menschen die Macht, einen zu kontrollieren und zu manipulieren.

Einem wehzutun.

Denn es hat wehgetan, dass die letzten Worte, die ich von meinem Vater gehört habe, einem Sohn galten, der nach Rafe, aber vor mir geboren wurde. Einem Sohn, der zur heutigen Testamentseröffnung eingeladen wurde. Was bedeutet, dass er etwas erbt, obwohl er keine Kindheit bei Lucifer überleben musste. Er hat sich nicht ständig kritisieren lassen müssen. Hat sich nicht anhören müssen, dass er nichts wert sei und es auch nie sein würde.

Ich schiebe meine Verletztheit aus Jugendtagen beiseite. Lucifer kann Michail vererben, was er will. Solange es nichts mit meinem Anteil an Drakos Development zu tun hat.

Jemand klopft an die Tür. Ich balle eine Hand zur Faust.

„Herein!“, ruft Alessandra.

Ein Mann, der kaum verhohlene Wut ausstrahlt, betritt den Raum. Er ist größer als Rafe und ich, mit enorm breiten Schultern, sein Kiefer ist angespannt. Das einzige Merkmal, das ihn als Produkt einer der zahlreichen Affären Lucifers auszeichnet, sind seine Augen.

Hellblau funkeln sie vor Zorn, während er den Blick erst über Rafe, dann mich und schließlich über Alessandra gleiten lässt.

Da werden seine Schritte unsicher. Nur einen kurzen Augenblick lang, doch ich bemerke es. Ich blicke von ihm zu Alessandra. Sie lässt sich nichts anmerken, betrachtet ihn lediglich mit professionellem Interesse, das an Langeweile grenzt. Vielleicht hat ihn nur ihr gutes Aussehen überrascht.

Oder er ist so ein frauenfeindlicher Mistkerl wie sein Vater.

„Mr. Drakos.“ Alessandra steht auf und reicht ihm über den Schreibtisch hinweg die Hand. „Schön, dass Sie hier sind.“

Er beäugt ihre Hand, als sei sie eine Giftschlange.

„Mein Name ist Sullivan“, entgegnet er mit rauer Stimme. „Nicht Drakos.“

„Ich weiß nicht, wo du herkommst“, sage ich beiläufig, „aber hier gehört es zum guten Ton, die Hand zu schütteln, die einem gereicht wird.“

Michail schwingt zu mir herum und sieht mich mit bohrendem Blick an. Ich grinse ihn freundlich an, eine Waffe, mit der ich gut umgehen kann.

Eine Waffe und ein Schutzschild.

„Wer zum Teufel bist du?“

Ich lehne mich im Stuhl zurück und lasse mein Lächeln breiter werden. „Dein kleiner Bruder. Wollen wir uns in die Arme nehmen und die Familienvereinigung mit Wangenküsschen feiern?“

Er knurrt. Der Mann knurrt mich tatsächlich an.

„Jungs …“

Alessandras eisige Stimme dringt zu uns durch. Hastig streckt Michail die Hand aus und nimmt ihre. Sie verschwindet in seiner mächtigen Pranke.

„Ich bitte um Entschuldigung.“ Seine Stimme klingt erstickt, als fielen ihm die Worte schwer. „Ich möchte eigentlich gar nicht hier sein.“

„Warum bist du es dann?“

Endlich äußert sich auch Rafe. Kalt, mit einem Hauch Stahl in der Stimme, wie meistens. Der Mann ist nicht gerade für seine Warmherzigkeit bekannt. Aber wenn ihm etwas wichtig ist, dann ist das Drakos Development. Sollte er Michail als Bedrohung sehen, möge Gott unserem Halbbruder beistehen.

Michail lässt Alessandras Hand los und geht zu einem Fenster auf der anderen Seite des Raumes. Mit Amerikas größter Stadt im Hintergrund lehnt er sich lässig an die Scheibe.

„Ich habe meine Gründe.“

Seufzend lässt Alessandra sich wieder auf ihrem Stuhl nieder.

„Wenn ihr mir eurem Kräftemessen fertig seid, können wir anfangen.“

Sie wirft mir einen Blick zu, der mich davor warnt, einen Witz zu machen. Ich antworte mit einem Zwinkern, was sie einmal mehr dazu bringt, die Augen zu verdrehen. Doch ihre Mundwinkeln heben sich kaum merklich.

„Gentlemen, ich werde jetzt das Testament und den Letzten Willen eures Vaters verlesen. Bitte hebt eventuelle Fragen bis zum Schluss auf.“

Mir schwindet jeder Humor. Noch immer sitze ich zurückgelehnt auf dem Stuhl und lächele leicht. Doch innerlich stehe ich unter Hochspannung. Aber ich werde überleben, egal, was mein Vater verfügt hat.

Mein Lebenswerk zu verlieren wäre allerdings wie sterben. Anders als meine Mutter, die sich lieber ihrer Trauer hingegeben hat, als sich um ihren Sohn zu kümmern, und anders als mein Vater, dem nur seine eigene Person am Herzen lag, hat Drakos Development mir etwas gegeben für all die Arbeit, die ich in das Unternehmen gesteckt habe. Herauszufinden, was meine Geschäftspartner sich wünschen und ihre Träume Wirklichkeit werden zu lassen, während ich ein Geschäft nach dem anderen einfädelte – das alles hat mir immer etwas verliehen. Reichtum, Prestige, Anerkennung.

Es hat die Leere gefüllt, die die Vernachlässigung durch meine Eltern in mir hinterlassen hat und ist das Eine gewesen, auf das ich mich mein ganzes Leben lang verlassen konnte.

Mal abgesehen davon, dass Lucifer mir meine Stellung jederzeit hätte nehmen können.

„Ich, Lucifer Drakos, im Vollbesitz meiner körperlichen und geistigen Kräfte, erkläre hiermit mein Testament und meinen Letzten Willen.“

Alessandra fängt mit Rafe an. Abgesehen davon, dass er fünfunddreißig Prozent von Lucifers Anteilen an Drakos Development erhält, erbt er mehrere Luxusimmobilien, eine große Summe Geld und eigenartigerweise den Inhalt der Bibliothek der Villa auf Santorini. Außerdem hat unser Vater verfügt, dass Rafe die Leitung des europäischen und asiatischen Sektors von Drakos Development behält.

Das ist ein gutes Zeichen.

Aber keine Garantie …

Vor Hass zieht sich mir der Magen zusammen. Mir ist vollkommen bewusst, dass meine Zukunft von den Launen eines alten Mannes abhängt, der nur an sich selbst und seinen Kontostand gedacht hat.

Als Alessandra ähnliche Konditionen für mich vorliest, einschließlich der Feststellung, dass ich das Nordamerika-Geschäft weiterführen werde, beginnt sich das eiserne Band zu lösen, das sich vor vierundzwanzig Jahren um mein Herz gelegt hat, als ich erfahren habe, wer mein Vater ist. Nicht einmal Lucifers Tod hat die Anspannung lösen können, mit der ich gelebt habe, seit ich acht Jahre alt war. Konfrontiert mit einem Reichtum, den ich nicht fassen konnte, während ein Mann, dem ich noch nie begegnet war, mich voller Verachtung betrachtete.

Geschafft.

Ich habe meinen Anteil an Drakos Development.

Nachdem Alessandra vorgelesen hat, dass Michail die verbleibenden dreißig Prozent von Lucifers Anteilen erbt sowie einige Immobilien in Amerika und irgendein Vermächtnis für Michails Mutter, klinke ich mich mental aus und stelle mir die kommenden Monate vor. Manch einer würde meine Vorfreude auf das, was vor mir liegt, vielleicht eigenartig, sogar unangemessen finden, so kurz nach dem Tod meines Vaters. Doch sie verstehen nicht, welcher Frieden mich plötzlich erfüllt. Die Macht, die ich jetzt habe, ohne befürchten zu müssen, dass mir jederzeit alles genommen werden könnte. Wenn ich jetzt an meinen Terminkalender denke, tue ich es voller Zuversicht und Vorfreude. Die Pressekonferenz übermorgen in Malibu, um die aktuellen Projekte an der Westküste bekannt zu geben. Das Mississippi River Warehouse Projekt. Dann, in drei Wochen, ein Treffen mit dem Vorstand in Paris.

Und danach, denke ich lächelnd, ein langes Wochenende. Zwei oder drei Tage mit einer Frau in Italien wäre die perfekte Art zu feiern.

„Was die Bedingungen angeht …“

Sofort bin ich hellwach und richte mich auf.

„Bedingungen?“, wiederhole ich.

Der Schraubstock hat meine Brustkorb wieder so fest im Griff, dass er mir beinahe den Atem raubt. Alessandra bedenkt mich mit einem Blick, den ich nur als entschuldigend deuten kann, und liest weiter.

„Zu spät habe ich den Wert einer Familie erkannt. Eines Vermächtnisses. Deshalb müssen Rafael, Gavriil und Michail innerhalb eines Jahres nach Testamentseröffnung heiraten und mindestens ein Jahr lang verheiratet bleiben. Ansonsten verfällt ihr Anspruch auf das Erbe.“

2. KAPITEL

Juliette

Zwei Tage später

Als ich vier Jahre alt war, ist meine Mutter mit mir in einen Schmetterlingsgarten gegangen. Es war der Sommer, bevor sie gestorben ist. Die Schmetterlinge sind um uns herumgeflogen, ihre zarten Körper haben meine Haut gestreift, ihre Flügel waren samtweich und ihre Bewegungen blitzschnell.

Dieses Flattern spüre ich auch jetzt, während ich beobachte, wie sich der Ballsaal mit Menschen füllt, allerdings flattert es jetzt nur in meinem Bauch. Vor Aufregung und Entschlossenheit, aber auch vor Zweifeln.

Aufregung, weil ich gleich wieder einem Drakos gegenüberstehen werde. Entschlossenheit, weil ich meine vermutlich letzte Chance nutzen will, das Erbe meiner Familie zurückzuerlangen.

Und Zweifel, die mich seit Texas plagen. Dort hat alles begonnen. Ich habe im entscheidendsten Moment meines Lebens gezögert und erkennen müssen, dass wir alle zu Unmenschen werden können.

Ein unangenehmes, nagendes Gefühl hat von mir Besitz ergriffen und zieht mich nach unten. Die Zweifel sind immer größer geworden und haben die Motivation verdrängt, die mich meine ganze Karriere über angetrieben hat. Als ich von Lucifers bevorstehendem Tod erfahren habe, wurde es noch schlimmer. Dass der Mann, den ich mehr als alles andere auf der Welt gehasst habe, die Grundlage meines Ehrgeizes gewesen ist, war eine bittere Tatsache, die …

Stopp! Meinen Befindlichkeiten werde ich mich später widmen. Jetzt muss ich mich nicht nur davon überzeugen, dass Lucifer Drakos’ Grausamkeit mit seinem Tod endet, sondern auch das zurückholen, was er meiner Familie vor vierzehn Jahren gestohlen hat. Ich möchte der Frau etwas zurückgeben, die dafür gesorgt hat, dass ich alles hatte, obwohl mein Leben aus den Fugen geraten war. Diese Möglichkeit ist durch Lucifers Tod in greifbare Nähe gerückt.

Während der Ballsaal sich füllt, stehe ich an eine Säule gelehnt da und beobachte die Menschen, die hier erschienen sind. Ursprünglich hatte ich Gavriil Drakos’ Pressekonferenz einfach nur beiwohnen wollen, um herauszufinden, ob seine Pläne auch einen ganz bestimmten Küstenabschnitt im Staat Washington beinhalten.

Insbesondere das Haus meiner Familie, das Lucifer meinem Vater praktisch gestohlen hat.

Das Schlimmste ist, dass Lucifer danach nur ein einziges Mal in Grey House gewesen ist. Ich habe gesehen, wie er mit einer kleinen, zierlichen Blondine aus einer Limousine gestiegen ist. Sie sind auf dem Grundstück umherspaziert, der Wind hat ihre Stimme den Hügel hinabgetragen, wo ich mich hinter einem Busch versteckt hatte. Ich konnte nicht alles verstehen, aber doch genug. Ein Haus an der Küste wollte sie schon, aber nicht in einer Kleinstadt, in der es nur zwei Cafés und wenige Restaurants gab. Dass Menschen aus der ganzen Welt nach Rêve Beach kommen, um die Stille und ruhige Eleganz der Stadt zu genießen oder zwei der Restaurants preisgekrönt waren, interessierte sie nicht.

Danach habe ich Lucifer nie wieder am Grey House gesehen. Das Haus wurde renoviert. Ich habe zugesehen, wie es ein neues Dach bekommen hat und die Wände gesandstrahlt und gestrichen wurden.

Und dann stand es da. Leer und verlassen, wie ein Hohn, während mein Vater und ich beengt im ehemaligen Cottage des Wildhüters gelebt haben, das noch aus der Zeit stammt, als das Anwesen über riesige Ländereien verfügte. Ich habe meinen Vater beobachtet, wie er Tag für Tag am Zaun von Grey House stand und dem nachtrauerte, was er verloren hatte. Seine Frau. Sein Geschäft. Und schließlich eine weitere Frau, die ihn geliebt hat, obwohl er sich selbst nicht lieben konnte.

Als ich schließlich nach Seattle gezogen bin, hatte er nichts mehr. Nichts als eine leere Hütte und einen schier endlosen Vorrat an Vodka, sein einziger Gefährte, bis er eines Tages in die kalten Fluten des Pazifischen Ozeans gegangen ist.

Plötzlich wird mir heiß. Die Versuchung, Gavriil Drakos ausfindig zu machen, ihn an seinem maßgeschneiderten Kragen zu packen und meinen Zorn an ihm auszulassen, ist groß.

Aber das würde wenig bringen, abgesehen von kurzfristiger Befriedigung. Dafür würde es mir jede Chance verbauen, herauszufinden, was für Pläne er mit Grey House hat oder ob er vielleicht bereit ist, das Unrecht, das seine Vater begangen hat, wiedergutzumachen. Nicht nur für meinen Vater und mich, sondern vor allem für die Frau, die meine zweite Mutter geworden ist. Damit ich ihr mehr geben kann als ein winziges Cottage, das, wenn sie einen ihrer Multiple-Sklerose-Schübe erleidet, für einen Rollstuhl viel zu eng ist.

Trauer mischt sich in meine Wut. Das Wort Stiefmutter ruft das Bild einer bösen Frau aus den Märchenbüchern hervor. Doch nachdem mein Vater Dessie drei Jahre nach dem Tod meiner Mutter kennengelernt hatte, habe ich festgestellt, dass ich meine Mutter immer lieben würde, aber eben auch einen anderen Menschen. Dessie hat sich mir in den ersten Monaten ihrer Beziehung zu meinem Vater weder aufgedrängt noch mich ignoriert. Sie ist mir so nahe gekommen, wie ich sie gelassen habe, hat mich getröstet, wenn ich traurig war und sich zurückgezogen, wenn ich Raum für mich brauchte.

Eine Frau wie sie hat etwas Besseres verdient als einen Mann, der sich aufgab, nachdem er einen kolossalen Fehler begangen hatte. Die beiden haben nie geheiratet, aber Dessie war da, ein Teil unseres Daseins, bis mein Vater sie in seiner Verzweiflung und seinem Stolz schließlich aus seinem Leben vertrieb. Aber nicht aus meinem. Jedes zweite Wochenende hat sie den weiten Weg von Seattle nach Rêve Beach auf sich genommen, um mich zu besuchen, und als mein Vater schließlich kaum noch in der Lage war, für sich selbst, geschweige denn für einen Teenager zu sorgen, hat sie mich zu sich geholt.

Sie hat es verdient, ein eigenes Haus zu haben. Nicht verdient hingegen hatte sie es, den Job zu verlieren, was sie vor drei Jahren gezwungen hat, zurück zu mir nach Rêve Beach zu ziehen. Auch die Krankheit, die sie regelmäßig und für ungewisse Zeit aus ihrem Alltag reißt, hat sie nicht verdient. Zurzeit befindet sie sich in einer Einrichtung für betreutes Wohnen, die ich kaum bezahlen kann.

Ich hole tief Luft, schürze die Lippen und atme langsam wieder aus. Es steht viel zu viel auf dem Spiel, als dass ich mich meinen Gefühlen hingeben darf. Das hier muss ich vorsichtig angehen. Lucifer hat nichts Illegales getan. Er hat das Anwesen gekauft. Allerdings für einen Bruchteil seines Marktwertes, weil er die Leichtgläubigkeit meines Vaters ausgenutzt hat und dessen Verzweiflung darüber, dass es mit seinem Geschäft bergab ging. Es war widerwärtig und grausam.

Aber nicht illegal.

Auf illegale Aktivitäten bin ich erst vor fünf Jahren gestoßen. Ein weiteres Opfer. Eines, das Zwang, Gewaltandrohung und Schutzgeldzahlungen ausgesetzt war. Ohne zu zögern habe ich einen Artikel darüber geschrieben, der, als er später veröffentlich wurde, der Grundstein für meine Karriere wurde und der Welt gezeigt hat, was für eine Monster Lucifer wirklich war.

Ein Raunen geht durch den Saal, als eine Gruppe Männer durch eine Tür tritt und auf das Podium steigt. Angeführt wird sie von Rafael Drakos. Er ist groß, und seine Gesichtszüge sind so scharf und kalt, als wären sie aus Gletschereis gemeißelt. Er sieht seinem Vater auffallend ähnlich, was mich zu dem Zeitpunkt zurückkatapultiert, an dem ich das letzte Mal mit Lucifer persönlich gesprochen habe. Ich hatte ihn aufgesucht, nachdem er wegen des ganzen Wirbels um ihn seinen Posten als CEO von Drakos Development abgegeben hatte. Ich habe ihm ein Foto meines Vaters über den Tisch zugeschoben. Er hat den Mann, den er betrogen hatte, sofort wiedererkannt.

Mir läuft ein eisiger Schauer über den Rücken, als ich daran denke, wie Lucifer mich mit seinen hellen Augen angesehen und grausam gelächelt hat, während er mir anbot, mir das Haus zum aktuellen Marktwert zu verkaufen, was natürlich völlig unmöglich ist.

Noch bevor ich ihm antworten konnte, hat er mich angegrinst. „Es wäre doch eine Schande, in dieser Sache gegen mich zu kämpfen. Wer weiß, was alles ans Licht kommen würde.“

Die Trinkerei meines Vaters. Seine Spielsucht. Grey House hat mir alles bedeutet. Aber das ohnehin schon beschädigte Ansehen meines Vaters wollte ich nicht gänzlich ruinieren. Ich wollte auch nicht vor Gericht ziehen und Tausende Dollar riskieren.

Heute jedoch habe ich keine andere Wahl. Es steht viel mehr auf dem Spiel als vor fünf Jahren noch. Dieser Krankheitsschub bei Dessie dauert jetzt schon länger als einen Monat. Es ist der längste, den wir je erlebt haben. Ohne es laut auszusprechen, fragen wir beide uns dasselbe. Ist die Multiple Sklerose fortgeschritten? Wird es ihr wirklich noch einmal besser gehen, sodass sie ohne Hilfe laufen kann?

Angst breitet sich in mir aus, als Rafael auf dem Podium Aufstellung nimmt. Ich brauche Grey House. Nicht um selber darin zu leben, wie ich es mir früher erträumt habe, sondern um es zu verkaufen. Ich brauche das Geld, damit Dessie und ich über die Runden kommen. Der Gedanke bricht mir das Herz. Aber Alternativen gibt es nicht. Als Journalistin verdiene ich ganz anständig, aber nicht genug, um die Pflege zu bezahlen, die Dessie braucht.

So wenig ich Rafael und seine grüblerische, arrogante Haltung mag, ist er doch nicht meine Zielperson heute.

Mein Blick wandert zu dem Mann neben ihm. In meinem Unterleib regt sich ein leises Kribbeln. Breitschultrig, mit dunkelbraunem Haar und einem Lächeln, das er wie eine Waffe einsetzt. Es ist einfach nicht fair, dass ein Mann wie er so gut aussieht.

Im Laufe der Jahre hatten wir mehrmals miteinander zu tun, meistens auf Pressekonferenzen. Anders als sein Vater ist er meinen Fragen nie ausgewichen und hat auch nie gedroht, mich aus dem Saal werfen zu lassen. Da er die nordamerikanische Gruppe von Drakos Development leitet, ist er jetzt mit großer Wahrscheinlichkeit der Besitzer von Grey House.

Die Frage ist nur: Wie weit fällt der Apfel vom Stamm? Hat Gavriil Drakos eigenen Pläne mit Grey House? Weiß er überhaupt, dass es sich im Besitz seiner Familie befindet? 

Wenn ja, was hat er damit vor? Ich muss es wissen, um herauszufinden, wie ich am besten an ihn herantrete. Wird er das moralisch Richtige tun und die Differenz zu dem, was Grey House wirklich wert ist, bezahlen? Es mir überschreiben? Oder muss ich an die Öffentlichkeit treten und einen Skandal publik machen, den er nicht gebrauchen kann, weil er der Welt zeigen will, dass er nicht wie sein Vater ist?

Unsere Blicke treffen sich. Sein Grinsen wird breiter, eine Herausforderung, die mich ärgert, selbst wenn ich sie irgendwie erregend finde. Aber ich werde mich nicht ablenken lassen. Ich werde alles tun, was nötig ist, um Grey House zurückzubekommen. Damit ich für Dessie sorgen kann.

Gavriil

Sie steht am Rand der Menge und fixiert mich mit ihrem Blick, während ein selbstbewusstes Lächeln um ihre Lippen spielt. Widerwillig verspüre ich Bewunderung für sie. Ich sehe sie an und lächle.

Das Spiel läuft, Grey.

Direkt nach dem Termin bei Alessandra bin ich von New York zurück nach Malibu geflogen. Doch auch der Empfang durch die kalifornische Sonne konnte die Anspannung nicht lösen, die sich seit der Testamentseröffnung wie eine zusammengerollte Schlange in mir festgesetzt hat.

Eine Spannung, die sich noch erhöht hat, seit ich erfahren habe, dass Juliette Grey bei der Pressekonferenz dabei sein wird, der einzige Mensch der Welt, der meinen Vater in die Knie gezwungen hat.

Ich habe nichts zu verbergen. Aber das bedeutet nicht, dass sie nicht doch etwas aufgedeckt hat. Etwas, das Lucifer vor einem Tod getan hat und das Drakos Development endgültig ins Verderben stoßen könnte. Es gab nicht einen einzigen Artikel seit ihrer verheerenden Enthüllung vor einigen Jahren, der keine Anspielung auf Drakos Development enthalten hat. Ihre Besessenheit ist das Letzte, was ich jetzt gebrauchen kann, zumal ich jetzt erst einmal eine Frau finden muss, die ein Jahr bei mir bleibt, um diese verfluchte Bedingung zu erfüllen.

Anders als die anderen Menschen, die sich in Designerkleidung und teuren Kleidern und Anzügen im Ballsaal drängen, trägt Juliette ein weißes T-Shirt unter einem billig aussehenden grauen Blazer und eine schlichte schwarze Hose, das Haar ist zu einem Pferdeschwanz zusammengebunden. Ich lasse den Blick über ihre legere Aufmachung gleiten und ziehe eine Augenbraue hoch. Sie tut dasselbe und hebt beide Daumen.

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