Raffinierte Verführung auf Italienisch

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„Du kommst mit nach New York, cara!“ Aufgewühlt blickt Hausmädchen Lizzie Milliardär Niccolò Macario an, und sofort überwältigen sie heiße Erinnerungen: Wie sie ihm damals die Tür öffnete, damit er die zum Verkauf stehende Villa besichtigen konnte … wie sie sich Sekunden später küssten … Dass der smarte Playboy jetzt von Zukunft spricht, weckt in ihr Hoffnung, schließlich erwartet sie sein Kind. Tatsächlich schenkt Niccolò ihr von nun an pure Leidenschaft – Nacht für Nacht. Aber warum spricht er bei Tag nicht von Liebe?


  • Erscheinungstag 06.02.2024
  • Bandnummer 2635
  • ISBN / Artikelnummer 0800242635
  • Seitenanzahl 144

Leseprobe

PROLOG

„Ich soll ausziehen?“ Lizzies Finger umklammerten den Telefonhörer. Angst erfasste sie bei den Worten ihrer Chefin. „Ich … ich verstehe nicht.“

„Es ist doch ganz einfach, Lizzie.“ Sylvie sprach nun langsamer, klang dabei aber eindeutig genervt. „Das Haus muss verkauft werden. Zufällig kommt nächste Woche jemand, der es sich ansehen will. Leider ist die Sache damit beendet.“

„Aber …“ Lizzies Stimme verlor sich, als die Angst in ihr größer wurde.

Es gab einiges, was sie sagen wollte. Bloß, wie? Sie war kein Mensch, der souverän logische Argumente vortragen konnte, besonders nicht bei Arbeitgebern. Lizzie kannte ihre Grenzen. Sie war gut im Staubwischen, Putzen und im Malen von Tieren, vorzugsweise Hunden. Sie war dazu erzogen worden, nie eine Person infrage zu stellen, von der sie ihren Arbeitslohn erhielt, denn Sicherheit war das Wichtigste.

Aber Sylvie hatte sie nicht bezahlt. Seit Monaten lebte Lizzie von ihren Ersparnissen, während ihre Chefin sich in der charmanten Art der Oberklasse in vagen Ausflüchten erging. Dass man dankbar sein solle für ihre angebliche Freundschaft. Nur dass es keine echte Freundschaft war. Ein Freund würde sie nicht ohne Vorwarnung auf dem Trockenen sitzenlassen. Oder sie übervorteilen, ohne einen Gedanken daran zu verschwenden. Tief atmete sie durch. Also sag es ihr. Damit ihr klar wird, was das für dich heißt.

„Aber das bedeutet, dass ich kein Dach mehr über dem Kopf habe“, warf sie leise ein.

Sylvie tat so, als habe sie Verständnis dafür. „Das ist mir bewusst“, sagte sie tröstend. „Aber du bist fleißig und wirst bestimmt einen Job mit Unterkunft finden, wie bei mir. Außerdem schreibe ich dir ein glänzendes Zeugnis. Also musst du dir wirklich keine Sorgen machen.“

Lizzie schluckte. Der nächste Schritt fiel ihr noch schwerer, denn ihre Mutter hatte ihr immer erklärt, dass es stillos sei, über Geld zu sprechen. Doch was nützte ihr das, wenn die Schränke leer waren? „Aber du schuldest mir Geld“, krächzte sie, ihre Wangen glühend heiß. „Seit über drei Monaten habe ich nichts mehr bekommen.“

„Ja, ja. Leider gibt es ein kleines Cashflow-Problem. Hör zu, ich werde dir nichts versprechen, was ich nicht einhalten kann, Lizzie. Also, wie wär’s, wenn du dich mal gründlich im Haus umsiehst und dir statt Bezahlung alles mitnimmst, was du willst? Natürlich keine der Antiquitäten. Aber du wirst viele Kleider aus der vergangenen Saison finden, die ich nicht mehr tragen werde. Du könntest sie im Internet verkaufen und ein kleines Vermögen damit machen. So macht man das doch heutzutage, oder nicht? Hör mal, Liebes, ich muss jetzt los, draußen wartet ein Wagen auf mich. Ich wollte mich nur für alles bedanken. Und könntest du dafür sorgen, dass das Haus für nächsten Mittwoch blitzblank ist? Ein Niccolò Macario kommt dann, um es zu kaufen, hoffentlich. Anscheinend irgendein superscharfer italienischer Milliardär.“ Sylvie stieß ein heiseres Lachen aus. „Zu schade, dass ich nicht da sein werde.“

1. KAPITEL

Für seinen Aufenthalt in England hatte Niccolò einen schnittigen silbernen Sportwagen gemietet. Doch als er ins Zentrum des kleinen Ortes in den Cotswolds einbog, entschied er, den Wagen beim Ententeich abzustellen und die letzten zwei Meilen zu Fuß zu gehen. Er fühlte sich aufgedreht, mehr als üblich. Seine Nerven waren überreizt, sein Herz raste, er hatte trockene Lippen. Aber er versuchte, nicht zu viel darüber nachzudenken. Denn das half ohnehin nicht. Außerdem sollte er inzwischen an diese Reaktion gewöhnt sein. Es passierte immer an diesem Tag. Jedes Jahr, unweigerlich.

Seine Schritte verlangsamten sich, und er blieb vor einem beeindruckenden Herrenhaus stehen. Er sah sich um und versuchte, sich an der schönen Umgebung zu erfreuen, die in strahlendes Sonnenlicht getaucht war. Das alte Gebäude, das sich in den wolkenlosen Himmel erhob, hatte die Farbe von Honig und Sahne. Die Außenanlagen waren sehr schön und leuchteten in saftigem Grün. Der Duft der vielen Rosen erfüllte die Luft, und Bienen summten in den bunten Blumenbeeten. Ein sehr idyllischer Anblick. Das ländliche England zeigte sich hier von seiner besten Seite.

Niccolòs Augen verengten sich, denn die Schönheit war eine Illusion, wie so vieles im Leben. Das Haus zeigte Spuren von Vernachlässigung. Wenn man genauer hinsah, entdeckte man die abgeblätterte Farbe und die verkratzten Fensterscheiben. Das Unkraut, das der Überfluss an bunten Blumen nicht ganz verbergen konnte.

Sein Blick ging zu einem dekorativen Pool, und ein Seufzer stieg in ihm auf. Der Schmerz in seinem Herzen war im Sommer immer am stärksten, als würde das helle Sonnenlicht die Dunkelheit in seiner Seele verspotten. Und der Verlust und das Schuldgefühl waren so intensiv wie immer, selbst nach all diesen Jahren. Innerlich fühlte er sich wie tot. Als hätte jemand mit Gewalt alles vernichtet und bei ihm nichts als eine große Leere und ein Gefühl der Sinnlosigkeit zurückgelassen.

Genau deshalb entschied er sich an jedem Jahrestag dafür, ein Projekt wie dieses in Angriff zu nehmen, auch wenn er schon genug zu tun hatte. Zum einen war es eine Ablenkung, zum anderen konnte er sein ohnehin schon beträchtliches Vermögen noch weiter aufstocken. Der Kauf eines möglicherweise wertvollen Anwesens versetzte ihn zurück in die Anfangszeit, als er danach gehungert hatte, Erfolg zu haben. Jetzt brauchte er das Geld zwar nicht mehr, aber Arbeit war gut für seinen ruhelosen Geist. Sein Mund wurde schmal. Arbeit konnte alles ausmerzen, wenn man es zuließ.

Er sah auf seine Uhr, dann ging er zur Tür. Der Immobilienmakler wollte sich hier mit ihm treffen, aber bis jetzt war von seinem Wagen noch nichts zu sehen. Vielleicht war er auch zu Fuß gegangen. Als Niccolò auf die Klingel drückte, dachte er daran, was man ihm über dieses Anwesen erzählt hatte. Die Besitzerin war anscheinend eine reiche Dame der Gesellschaft und wollte unbedingt verkaufen. Sein Mund verzog sich zu einem selbstgefälligen Lächeln. Es war indiskret von dem Makler gewesen, dies auszuplaudern, aber vom Verhandlungsstandpunkt aus gesehen gut zu wissen.

Im Haus erklangen Schritte, dann wurde die schwere Eichentür geöffnet. Eine Frau stand in dem dunklen Flur. Sie wirkte wie eine seltsame Geistererscheinung mit rötlichen Haaren und durchsichtiger Haut mit Sommersprossen. Sie trug ein tiefgrünes, ärmelloses Seidengewand, das ihren sinnlichen Körper betonte. Das Kleid, das bis zum Steinboden fiel, war völlig unpassend für diese Tageszeit. Dass solch eine prachtvolle Gestalt ein so altes und historisches Haus bewohnte, passte hingegen durchaus.

Ihre vollen Lippen teilten sich, als sei sie schockiert. Unerwartet wurde Niccolò von Verlangen erfasst, als er sie ansah. Er wollte die Hand ausstrecken und sie berühren, um herauszufinden, ob ihre Haut wirklich so weich war, wie sie aussah. Er wollte mit dem Daumen ihre Lippen nachzeichnen. Sein Mund war trocken, als er den Kopf schüttelte, um diese unpassenden Gedanken zu verscheuchen. Seit wann machte er völlig fremde Frauen an? War es nicht immer umgekehrt gewesen?

Er räusperte sich, konnte jedoch das beengende Gefühl in seiner Brust nicht verscheuchen. „Niccolò Macario“, erklärte er kurz angebunden und hob fragend die Brauen, weil sie immer noch kein Wort sagte. „Ich glaube, Sie erwarten mich?“

Lizzie sah die große Gestalt mit den schwarzen Haaren an, die vor ihr stand. Was war mit all dem, was man ihr beigebracht hatte? Guten Morgen, Sir, kann ich Ihnen helfen? Ich glaube, Sie wollen sich das Haus ansehen, Sir? Nichts davon wollte ihr über die Lippen kommen. Ihr Kopf drehte sich, und sie konnte sich nicht rühren. Nicht sprechen. Sie war verunsichert und völlig durcheinander. Weil … weil …

Konnte dieser Mann wirklich echt sein?

Ungläubig blinzelnd sah sie ihn an.

Es lag nicht nur daran, dass er außergewöhnlich groß und muskulös war, mit zerzausten Haaren, die so dunkel waren wie die Flügel einer Krähe. Oder dass ihre Aufmerksamkeit ungewollt auf seine tadellos geschnittene Hose gelenkt wurde, die muskulösen Beine und das Seidenhemd, das seinen wohlgeformten Oberkörper einhüllte. Auch nicht an seinem leuchtenden Blick oder dem sexy Akzent, obwohl sie bei beidem eine Gänsehaut bekommen hatte. Nein, es lag an der Art und Weise, wie er sie ansah, mit forschendem, neugierigem Blick. Als würde er etwas sehen, womit er nicht gerechnet hatte. Etwas, das es wert war, sich anzuschauen. Normalerweise hätte Lizzie sich umgedreht, um zu sehen, ob jemand anders seine Aufmerksamkeit erregt hatte.

Allerdings wusste sie, dass niemand außer ihr da war.

Sie war allein in dem großen Haus, das ihr Zuhause gewesen war, und trug ein unverschämt teures Kleid, das ihrer Chefin gehörte und ihren Körper wie eine zweite Haut umschmeichelte.

Wie von Sylvie vorgeschlagen, hatte sie den Morgen damit verbracht, deren Garderobe durchzusehen. Sie hatte versucht, den möglichen Wert der verschiedenen Stücke herauszufinden und gegen ihr nicht bezahltes Gehalt abzuwägen. Die meisten der Kleidungsstücke waren nachlässig behandelt worden. Hin und wieder fand sich auch ein Rotweinfleck oder ein Loch von glühender Zigarettenasche, die die Kleider untragbar machten. Aber dieses war herausgestochen wie ein Leuchtturm. Nicht einmal im Traum hätte Lizzie sich vorstellen können, je solch ein Kleid zu tragen, selbst wenn sie es sich hätte leisten können. Sie zog immer praktische, bequeme Sachen an, die zu ihrer bescheidenen Stellung im Leben passten und zu ihrer Neigung, sich im Hintergrund zu halten. Aber irgendetwas hatte Lizzie dazu gedrängt, alle Bedenken über Bord zu werfen. Also war sie in das Kleid geschlüpft, hatte jedoch vorher ihren BH ausgezogen, damit er sich nicht unschön unter dem Seidenstoff abzeichnete.

Sie schluckte. Es war das Erlesenste, was sie je getragen hatte. Sie fühlte sich wie ein anderer Mensch in dem Kleid, und offensichtlich sah sie auch tatsächlich anders aus. Warum sonst sollte ein Mann wie Niccolò Macario scheinbar fasziniert von ihr sein, wenn sie normalerweise vom anderen Geschlecht kaum eines zweiten Blickes gewürdigt wurde?

„Sie erwarten mich?“, widerholte er nun leicht ungehalten, während er über ihre Schulter sah. „Ist der Immobilienmakler schon da?“

„Nein, noch nicht.“ Ihre Neigung, es allen recht zu machen, meldete sich wieder, und sie warf ihm ein mitfühlendes Lächeln zu. „Eigentlich sollte er schon hier sein.“

„Ja, sollte er“, stimmte er kühl zu.

„Vielleicht ist er aufgehalten worden.“

„Vielleicht“, räumte er mit einer wegwerfenden Handbewegung ein, die darauf hinwies, dass es ihn bereits langweilte, über den Makler zu sprechen. Dann runzelte er wieder die Stirn. „Aber Sie wollen Ihr Haus doch noch verkaufen?“

„Oh ja. Ja, natürlich“, entgegnete sie hastig und wollte ihn gerade darüber aufklären, dass es eigentlich nicht ihr Haus und sie nur die Haushälterin war. Doch irgendetwas hielt sie zurück. Offenbar hatte er falsche Schlüsse gezogen, weil sie diese wunderschöne Kreation trug, die einer der führenden Designer der Welt entworfen hatte. Sicher hätte er nicht dieselbe Frage gestellt, würde sie die unvorteilhafte graue Uniform und die robusten schwarzen Arbeitsschuhe tragen, auf die Sylvie immer bestanden hatte, mit der Begründung: „Ich denke, es ist besser, wenn die Angestellten so etwas tragen, Lizzie. Jeder möchte doch gerne wissen, woran er ist.“

„Ich bin eigentlich nicht die Eigentümerin“, sagte sie widerstrebend.

„Ach?“

Sie begegnete seinem hungrigen Blick und wusste nicht, was sie zu dieser Bemerkung veranlasst hatte. Weil sie sich freute, wenigstens einmal als Frau angesehen zu werden, statt nur als Angestellte? Weil sie wie ein Mensch mit eigenen Gedanken und Gefühlen behandelt wurde und nicht wie ein altes Möbelstück, auf dem man die Füße ablegen konnte?

„Ich ähm … passe auf das Haus auf“, platzte sie heraus. Was bis zu einem gewissen Grad auch stimmte. Nur für ihre Anwesenheit hier wurde sie ganz sicher nicht bezahlt. Sie war arm und bald obdachlos, aber im Moment wirkte sie nicht so, wenn man bedachte, wie dieser Mann sie immer noch ansah. Mit unverkennbarer Bewunderung in seinen schönen, ebenholzschwarzen Augen. Und plötzlich merkte Lizzie, dass sie dieses Spiel noch ein wenig länger spielen wollte. Eine Frau in einem teuren Kleid, die keine Angst vor der Zukunft hatte. Warum sollte sie nicht so tun, als sei sie diesem Mann gleichgestellt, auch wenn sie sehr gut wusste, dass es nicht stimmte? „Aber ich kenne das Anwesen sehr gut. Ich könnte Sie herumführen, wenn Sie wollen.“ Sie zögerte. „Oder Sie gehen ins Wohnzimmer und warten dort auf den Immobilienmakler.“

„Ja, das könnte ich. Aber ich habe nicht viel Zeit, weil ich heute Abend wieder in London sein muss.“ Seine Stimme klang wieder sachlich, und Lizzie fragte sich, ob es nur Einbildung gewesen war, dass seine Miene sich kurz verhärtet hatte.

„Ach so“, meinte sie unsicher.

„Und daher lasse ich mich stattdessen gerne von Ihnen herumführen“, fuhr er fort, bevor er sie mit fragendem Blick ansah. „Außer es gibt etwas anderes, was Sie lieber tun würden?“

Sein Lächeln wirkte sich verheerend auf sie aus, denn ihr Herz überschlug sich. Die Frage konnte wohl kaum ernst gemeint sein. Er musste sich doch bewusst sein, dass die meisten Frauen Himmel und Hölle in Bewegung setzen würden, um Zeit mit ihm verbringen zu können. Sie würde es sicher tun. Verdammt, ja. Denn nicht jeden Tag lief ihr ein Mann wie er über den Weg.

Als eine kleine Stimme sie warnte, sich nicht von seinem Charisma blenden zu lassen, schaltete sie sie aus. Denn sie war bestens dafür geeignet, ihn herumzuführen, und sie hatte auch nicht gelogen, als sie ihm sagte, dass sie über das historische Haus Bescheid wusste. Manchmal glaubte sie sogar, es besser zu kennen als Sylvie, und sie war sehr unglücklich, dass sie es verlassen musste. Über die Jahre hatte Lizzie Wert darauf gelegt, alles über jeden kostbaren Raum und jedes Kunstwerk, das sie sorgfältig poliert hatte, zu lernen. Und war jetzt nicht die perfekte Gelegenheit, ihr Wissen anzuwenden? Aus ihrem selbst erschaffenen Schatten herauszutreten und wenigstens einmal zu leuchten, bevor sie all die historische Pracht verlassen würde?

„Nein, da ist nichts, was ich lieber tun würde“, sagte sie aufrichtig. „Zufällig habe ich sogar den ganzen Tag für mich.“

„Ich glücklicher“, meinte er leise.

Sie räusperte sich. „Bitte. Kommen Sie herein.“

„Grazie.“

Lizzie sah, dass er leicht den Kopf beugte, ehe er eintrat. Als er an ihr vorbeiging, nahm sie den warmen Duft von Bergamotte, Gewürzen und noch etwas anderem wahr. Plötzlich fragte sie sich, ob sie den Mund zu voll genommen hatte, merkte jedoch, dass es ihr egal war.

„Soll… sollen wir hier unten anfangen?“, fragte sie und begann hastig, die Fakten über das Haus aufzuzählen, die sie so gewissenhaft gelernt hatte. Denn Ermecott Manor war ihr während all der Zeit so ans Herz gewachsen, als würde das Haus ihr gehören. „Dies ist die Eingangshalle. Sie wurde Mitte des siebzehnten Jahrhunderts gebaut, wobei die Buntglasfenster erst fast siebzig Jahre später eingebaut wurden.“ Sie deutete hoch zu den Fenstern, von denen leider einige gesprungen waren. Bei der plötzlichen Bewegung hoben sich ihre Brüste unter dem Seidenstoff und erinnerten sie daran, dass sie immer noch Sylvies Kleid trug und wie eine komplette Idiotin aussehen musste. Hatte Niccolò Macario deshalb scharf eingeatmet, als hätte irgendjemand dem Raum plötzlich allen Sauerstoff entzogen?

„Ich sollte mir besser etwas Passenderes anziehen“, meinte sie hastig.

Dunkle Augen sahen sie an. „Warum?“

„Ist das nicht offensichtlich?“ Sie stieß ein nervöses Lachen aus. „Das ist ein Abendkleid.“

„Aber es ist auch ein sehr schönes Kleid, das perfekt zu dieser historischen Umgebung passt“, bemerkte er klug. „Ganz sicher besser als Jeans, die Sie vermutlich als Alternative ausgewählt hätten.“

Zu ihrem Schrecken wurde Lizzie bei seinen Worten rot, die wie ein Kompliment klangen, obwohl sie auch in diesem Punkt nicht gerade viel Erfahrung hatte. Seit Dan war sie mit niemandem mehr ausgegangen. Er hatte Freude daran gehabt, sie schlecht zu machen, aus Gründen, die nur er selbst kannte. Warum sie das so lange hingenommen hatte, war eine andere Sache und hatte eher mit ihrer mangelnden Selbstachtung zu tun.

Sie widerstand dem Wunsch, sich Luft zuzufächeln und so die Aufmerksamkeit auf ihre heißen Wangen zu lenken. Stattdessen sah sie auf ihr Seidenkleid. Es hatte keinen Sinn, ihn darüber aufzuklären, dass sie kaum jemals Jeans trug, weil sie ihren Po zu dick fand. Aber sie wollte auch nicht nach oben gehen und riskieren, dass der Bann brach, mit dem er sie belegt zu haben schien. Vielmehr wollte sie an diesem herrlichen Gefühl festhalten und jede Sekunde genießen, wie jemand, der am Ende eines langen Tages in ein Schaumbad versinkt. Sie hob den Kopf, begegnete seinem Blick und hoffte, dass der Immobilienmakler nicht plötzlich an der Tür klingeln würde.

„Finden Sie wirklich, dass es in Ordnung ist?“, fragte sie naiv.

„Ja“, antwortete er harsch.

Ihre Blicke trafen sich, und sie schien nicht wegsehen zu können, genauso wenig wie er. Noch nie hatte sie jemanden so angestarrt und auch nicht das Gefühl gehabt, dass es okay war. Es war, als würde er eine stumme, unbekannte Macht über sie ausüben, die sie dazu brachte, sich nach etwas zu sehnen, was sich ihr vorher immer entzogen hatte.

Über ihre sexuelle Unlust hatte Dan sich am meisten beschwert. „Du bist wie ein Eisblock, Lizzie.“ Doch jetzt fühlte sie sich ganz sicher nicht wie ein Eisblock. Ihr Blut kochte, ihre Brüste waren geschwollen und die Brustwarzen zu schmerzhaften kleinen Kugeln geworden, die gegen die glatte Seide drängten. Ob er es bemerkte? Hatte sein Körper sich deshalb angespannt?

Sie spürte, wie sich Hitze in ihrem Schoß sammelte, und wandte sich ab, weil sie Angst hatte, er könnte die verrückten Gedanken erraten, die ihr durch den Kopf gingen. „Wenn das so ist, könnten wir ja mit der Führung weitermachen?“ Ihre Stimme klang aufgesetzt fröhlich, als sie mit unsicherem Finger auf einen der Flure deutete, die von der Vorhalle abgingen. „Wir können uns zuerst das Erdgeschoss ansehen.“

„Perfetto“, meinte er, und als er kurz lächelte, hätte sie beinahe geweint, weil er so schön aussah.

Niccolò folgte der Frau mit den leuchtenden Haaren durch die schattigen Räume und zwang sich, sich auf die getäfelten Wände, die abgetretenen Steinplatten und die Buntglasfenster zu konzentrieren. Er sah sich mit dem Auge eines Kenners um. Die Struktur des Hauses war sehr schön, aber er glaubte, dass es noch schöner sein könnte, würde man Geld hineinstecken.

„Dies ist das Zimmer, in dem die ursprüngliche Familie gegessen hat“, informierte ihn seine rothaarige Führerin im Plauderton. „Hier waren sie eher unter sich, abseits der wachsamen Augen ihrer Bediensteten.“

Si, die immer wachsamen Augen der Bediensteten“, bemerkte er. „Obwohl man in einem Haus dieser Größe unmöglich ohne sie auskommen kann.“

„Stimmt. Hausangestellte können ein zweischneidiges Schwert sein, oder nicht?“, sagte sie leicht säuerlich. „Ein bisschen so wie bei einem Besuch beim Zahnarzt. Man weiß, dass man es ertragen muss, wünscht sich aber, man müsste es nicht.“

Ihr scharfer Einwurf gab ihm die Entschuldigung, die er brauchte, um sie erneut zu mustern. Aber das hielt ihn nicht davon ab, sich zu fragen, was sie dazu veranlasst hatte. Denn er war gefesselt von den Augen, die zu ihm hochsahen. Sie waren von wirklich außergewöhnlicher Farbe – einem Grün wie frische Pistazien, umrahmt von Wimpern in der gleichen Farbe wie ihre Haare. Ihre Lippen wirkten seltsam einladend, und er merkte, dass er sie eine Sekunde länger als notwendig anstarrte. War das der Grund, warum sie – zu seiner unerwarteten Freude – rot wurde?

Als hätte sie zu viel von sich selbst preisgegeben, drehte sie ihm den Rücken zu, sodass sich ihm nun ihr ebenfalls reizender Po präsentierte. Die hellroten Haare fielen fast bis zu ihrer Taille, und er fragte sich, wie es sich anfühlen mochte, wenn er mit den Fingern durch die vollen Strähnen fahren würde. Sein Herz schlug schneller, und plötzlich fühlte Niccolò sich lebendig. Der Trostlosigkeit, die ihm das Herz schwermachte, schien von dem plötzlich drängenden Bedürfnis seines Körpers eine vorübergehende Begnadigung bewilligt worden zu sein. Und er wollte von ihr kosten. Diese weichen Lippen mit seinen bedecken. Doch zu der Lust gesellte sich Verwirrung, weil er sich an ein solch heftiges, unbedachtes Verlangen nur noch aus seiner Teenagerzeit erinnerte, in der sein Verhalten durch seine Hormone gesteuert worden war.

„Wollen Sie dieses Haus für eine Familie?“, fragte sie. „Falls Sie sich entscheiden, es zu kaufen, meine ich“, fügte sie schnell hinzu. „Es gibt hier … sehr gute Schulen in der Nähe.“

Niccolò wusste genau, was sie tat. Sie versuchte herauszufinden, ob er Single war oder nicht. So etwas kam vor. Oft sogar. Eine ungeschickte Frage, ausgelöst durch die erfolglose Suche nach einem Ehering oder dem Foto eines lächelnden Babys auf dem Startbildschirm seines Handys. Bei dem Gedanken daran verkrampfte sich sein Herz, und er wollte vor all dem Schmerz zurückschrecken, der noch in ihm war. Doch jahrelange Selbstdisziplin machte es ihm möglich, seine Reaktion zu unterdrücken, indem er kurz die Hände zu Fäusten ballte.

„Nein, ich habe keine Familie“, gab er scharf zurück. „Und an dieser Situation wird sich auch nichts ändern.“

„Aha“, meinte Lizzie.

Er wusste, dass er ihr mehr Informationen als nötig gegeben hatte, und fragte sich, was ihn zu dieser untypischen Offenheit veranlasst haben mochte. Wollte er, dass sie verstand, welche Art von Mann er wirklich war? Sie warnen, dass er trotz der starken Anziehungskraft zwischen ihnen nicht auf der Suche nach einer Frau war, die diesen eleganten Wohnsitz zieren würde – oder irgendeinen anderen? „Falls Sie es unbedingt wissen wollen, ich bin auf der Suche nach einem Anwesen, das ich umbauen kann.“

„Umbauen?“ Entsetzt sah Lizzie ihn an. „Das können Sie nicht machen!“, rief sie empört.

„Warum nicht?“

„Weil dies ein denkmalgeschütztes Gebäude ist. Es gibt strenge Vorschriften, was man damit machen darf oder nicht.“

„Was glauben Sie denn, was ich damit tun will?“, fragte er spöttisch. „Einen dreistöckigen Anbau hinstellen und im Keller einen Swimmingpool einbauen?“

„Ich weiß es nicht – sagen Sie es mir“, brauste sie auf, als habe er einen blanken Nerv getroffen. „Es kommen viel zu viele Leute hierher, die mit ihrem Geld winken und versuchen …“

„Was versuchen?“, fragte er, als ihre Stimme sich verlor.

Sie schüttelte den Kopf, als hätte sie zu viel gesagt. „Es spielt keine Rolle.“

„Doch. Erzählen Sie es mir. Ich bin neugierig.“ Und das stimmte, trotz der Tatsache, dass Menschen selten in so einer beleidigenden Offenheit mit ihm sprachen.

Sie zuckte mit den Schultern, und die dunkelgrünen Träger ihres Kleids schimmerten in dem gedämpften Licht. „Die Dinge zu verändern.“

„Und Sie mögen keine Veränderung?“

„Ist das nicht bei jedem Menschen so?“ Sie erinnerte sich daran, dass sie ihrer Chefin eigentlich helfen sollte, das Haus zu verkaufen. „Na ja, gegen Veränderungen, die wir selbst kontrollieren können, habe ich nichts.“

Gibt es so etwas überhaupt? überlegte Niccolò. Er dachte an seine tote Schwester. An seine Mutter. Und an den Vater, der nach dem Unfall keinen Hehl daraus gemacht hatte, wie sehr er ihn verachtete. Er dachte daran, dass eine einzige Entscheidung das ganze Leben verändern konnte, so wie sein eigenes – und dass es ohne diese Entscheidung nie zu diesem Albtraum gekommen wäre. Aber niemand kann die Vergangenheit umschreiben, egal wie sehr man es will, dachte er verbittert. Es war die Gegenwart, die ihm Sorgen machen sollte.

„Ich plane keinen großangelegten Anschlag auf ein allseits beliebtes Gebäude. Ganz so geschmacklos und unsensibel bin ich nicht“, sagte er ruhig, denn er wollte ihr diesen melancholischen Ausdruck nehmen, der sich über ihr Gesicht gelegt hatte.

„Was haben Sie denn dann damit vor?“, wagte sie neugierig zu fragen, ehe sie hinzufügte: „Falls Sie es kaufen sollten.“

Sein Mund verzog sich zu einem Lächeln. „Wie wär’s, wenn Sie heute Abend mit mir essen? Dann erzähle ich es Ihnen.“

Blinzelnd sah Lizzie ihn an, nicht sicher, ob sie richtig gehört hatte. Hatte er sie wirklich eingeladen? War das ein Date?

„Sie wollen mit mir zu Abend essen?“

„Ist das ein verrückter Vorschlag?“

Ja, natürlich. So etwas passierte einer Frau wie ihr nicht. Sie überlegte, was wohl als Nächstes geschehen wäre, hätte es nicht in diesem Moment an der Tür geklingelt, worauf beide erstarrten, als seien sie verblüfft über das Geräusch aus der Außenwelt.

„Das ist der Makler“, flüsterte sie, als sie durch das Fenster spähte und den Mann sah, den sie bereits kannte.

„Machen Sie nicht auf“, flüsterte er zurück.

„Er … er hat einen Schlüssel.“

Autor

Sharon Kendrick
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