Reich & Schön - Best of Julia 2018

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Mit diesem eBundle präsentieren wir Ihnen die schönsten und erfolgreichsten Julia-Romane aus 2018 - romantisch, aufregend und extravagant. Die kleine Auszeit vom Alltag für die selbstbewusste Frau … Happy End garantiert!

SINNLICH VERFÜHRT VOM FEIND

Zärtlich küsst der Fremde ihre Tränen fort und liebt sie eine sinnliche Nacht lang. In seinen starken Armen gelingt es Allegra, die Trauer um ihren geliebten Vater zu vergessen, doch am nächsten Morgen schickt ihr geheimnisvoller Liebhaber sie einfach fort. Was hat sie ihm bloß getan? Allegra versteht es nicht. Bis sie ihn bei der Testamentseröffnung wiedersieht: Der italienische Milliardär Rafael Vitali war der größte Feind ihres Vaters! Nichtsahnend hat Allegra sich ihm hingegeben, mit Folgen, die sie für immer verbinden werden …

HOCHZEITSNACHT MIT EINEM MILLIARDÄR

Ungeahnte Erregung erfasst Susannah, als ihr Noch-Ehemann Leonidas Betancur sie verlangend in die Arme zieht und stürmisch küsst. Dabei hat sie sich doch nur auf den weiten Weg zu ihm in die Rocky Mountains gemacht, um endlich die Scheidung zu fordern. Aber plötzlich ist der einst so kühle, abweisende Milliardär, der gleich am Tag ihrer arrangierten Heirat wieder aus ihrem Leben verschwand, wie verwandelt. Ehe sie sich versieht, lässt sie sich zu einer leidenschaftlichen Liebesnacht verführen - mit gänzlich unerwarteten Folgen …

VERLOBT MIT DEM GRIECHISCHEN PLAYBOY

Unvermittelt findet Emily sich im Blitzlichtgewitter wieder: Irgendwer muss der Klatschpresse verraten haben, dass der griechische Milliardär Loukas Kyprianos sie heiraten will, weil sie sein Kind erwartet! Dabei war sie nur eine Nacht mit ihm zusammen, und sein unerwarteter Antrag hat bestimmt nichts mit großer Liebe zu tun … wovon Emily immer geträumt hat. Sondern nur damit, dass er zu seinen Vaterpflichten steht. Trotzdem sagt Emily zögernd Ja zu dem berüchtigten Playboy, der ihr fast alles verspricht. Außer sein Herz …


  • Erscheinungstag 03.01.2019
  • ISBN / Artikelnummer 9783733739171
  • Seitenanzahl 432
  • E-Book Format ePub
  • E-Book sofort lieferbar

Leseprobe

Cover

Kate Hewitt, Caitlin Crews, Melanie Milburne

Reich & Schön - Best of Julia 2018

IMPRESSUM

JULIA erscheint in der HarperCollins Germany GmbH

Cora-Logo Redaktion und Verlag:
Postfach 301161, 20304 Hamburg
Telefon: +49(0) 40/6 36 64 20-0
Fax: +49(0) 711/72 52-399
E-Mail: kundenservice@cora.de

© 2017 by Kate Hewitt
Originaltitel: „Engaged for Her Enemy’s Heir“
erschienen bei: Mills & Boon Ltd., London
in der Reihe: MODERN ROMANCE
Published by arrangement with HARLEQUIN ENTERPRISES II B.V./S.àr.l.

© Deutsche Erstausgabe in der Reihe JULIA
Band 2336 - 2018 by HarperCollins Germany GmbH, Hamburg
Übersetzung: Annette Stratmann

Abbildungen: Harlequin Books S.A., alle Rechte vorbehalten

Veröffentlicht im ePub Format in 05/2018 – die elektronische Ausgabe stimmt mit der Printversion überein.

E-Book-Produktion: GGP Media GmbH, Pößneck

ISBN 9783733710156

Alle Rechte, einschließlich das des vollständigen oder auszugsweisen Nachdrucks in jeglicher Form, sind vorbehalten.
CORA-Romane dürfen nicht verliehen oder zum gewerbsmäßigen Umtausch verwendet werden. Sämtliche Personen dieser Ausgabe sind frei erfunden. Ähnlichkeiten mit lebenden oder verstorbenen Personen sind rein zufällig.

Weitere Roman-Reihen im CORA Verlag:
BACCARA, BIANCA, ROMANA, HISTORICAL, MYSTERY, TIFFANY

 

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1. KAPITEL

Die Leute schienen einen Leichenschmaus für eine gute Gelegenheit zu halten, sich wieder einmal gepflegt zu betrinken. Zumindest kam es Allegra Wells so vor, auch wenn sie nicht gerade viel Erfahrung auf diesem Gebiet hatte. Sie selbst hielt sich lieber an Mineralwasser. Nachdem sie Allegras Vater zu Grabe getragen hatten, stand sie mit ihrem Glas in der Hand am Rand des prächtigen Festsaals in Rom und sah zu, wie die Trauergäste fröhlich dem Alkohol zusprachen.

Eigentlich hätte sie traurig oder verbittert sein müssen, doch alles, was sie spürte, war eine bleierne Müdigkeit.

So hätte es nun wirklich nicht sein sollen.

Vor fünfzehn Jahren wäre es nicht so gewesen.

Sie trank einen weiteren Schluck Wasser. Beinah hätte sie sich gewünscht, es wäre Alkohol, der sich wie flüssiges Feuer in ihren Magen fraß. Dann hätte sie wenigstens etwas empfunden. Vielleicht hätte ein starker Drink den Panzer aus Eis zum Schmelzen gebracht, der sie schon so lange gefangen hielt, dass sie die lähmende Kälte kaum noch wahrnahm. Denn eigentlich hatte sie sich in ihrem kleinen, bescheidenen Leben in New York ganz gut eingerichtet.

Doch heute Abend, zwischen all den fremden Leuten, wurde ihr schmerzhaft bewusst, wie isoliert sie war in dieser Welt, die sie nur noch aus der Ferne kannte. Genau wie ihren Vater, den Mann, der sie im Stich gelassen hatte, ohne auch nur mit der Wimper zu zucken.

Seine zweite Ehefrau und seine Stieftochter waren ihr nie zuvor persönlich begegnet, aber sie hatte Fotos von den beiden im Internet gesehen. Allegra war zufällig darauf gestoßen, als sie in einem schwachen Moment den Namen ihres Vaters in die Suchmaschine eingegeben hatte. Alberto Mancini, Direktor von Mancini Technologies. Tatsächlich gab es genug Schlagzeilen über ihn im Netz, denn seine neue Gattin war deutlich jünger als er und allem Anschein nach brennend an ihrem gesellschaftlichen Aufstieg interessiert. Dass die ganz in schwarze Spitze gehüllte Frau sich am Grab des Verstorbenen geziert eine Träne aus dem Augenwinkel tupfte, machte sie in Allegras Augen nicht unbedingt sympathischer.

Sie selbst wurde von der Witwe ihres Vaters komplett ignoriert, doch das war auch nicht weiter verwunderlich. Niemand hier wusste, wer Allegra war. Hätte der Testamentsvollstrecker sie nicht kontaktiert, sie hätte nicht einmal von der Beerdigung erfahren.

Nun stand sie hier, umringt von lachenden, schwatzenden Menschen, die eifrig damit beschäftigt waren, der gesellschaftlichen Etikette Genüge zu tun und ihre Eitelkeiten zu pflegen. Allegra fragte sich, warum sie überhaupt hier war. Was erhoffte sie sich davon? Sicher, ihr Vater war gestorben, doch das war er für sie schon vor fünfzehn Jahren. Und sie für ihn. Keine Nachricht, kein Brief, kein Anruf in all der langen Zeit. Nichts. Das war ein Grund zur Trauer. Nicht der Tod dieses Mannes, sondern der Verlust ihres Vaters, der nun schon viele Jahre zurücklag.

Sein Tod führte ihr nur noch einmal drastisch vor Augen, was sie all die Jahre schmerzlich vermisst hatte. War sie deshalb hier? Um einen Schlusspunkt unter all das Leid zu setzen?

Ihre Mutter hatte Allegras Wunsch, an der Beisetzung teilzunehmen, als Verrat und persönliche Beleidigung empfunden und sie mit eisigem Schweigen gestraft. Allegra bekam jetzt noch eine Gänsehaut, als sie daran dachte. Jennifer Wells hatte nie verwunden, dass ihr Mann sie und ihre Tochter von einem auf den anderen Tag aus seinem Leben verbannt hatte. Mit einem glatten, sauberen Schnitt.

Glatt und sauber? Nein. Blutig und grausam war es gewesen, nach einem behüteten Dasein in Luxus und Sicherheit plötzlich zu Armut und Einsamkeit verdammt zu sein. Allegra hatte verzweifelt versucht, die plötzlichen Veränderungen zu verstehen – die Abwesenheit ihres Vaters, die schmallippigen Erklärungen ihrer Mutter, die keine waren.

Dein Vater hat unsere Ehe für beendet erklärt. Ich kann nichts dagegen tun. Er will nichts mehr mit uns zu tun haben, weder mit mir noch mit dir. Und er zahlt keinen Penny Unterhalt.

Ihr Vater ließ sie allein? Einfach so? Allegra konnte es nicht glauben. Ihr Vater liebte sie doch! Er schwenkte sie herum, kitzelte sie, nannte sie seine kleine Blume.

Jahrelang hatte sie auf einen Anruf, eine Mail, einen Brief von ihm gehofft, doch alles, was sie bekommen hatte, war Schweigen.

Was wollte sie also hier? Ihr Vater war tot, und niemand von den Trauergästen wusste, wer sie war und was sie dem Toten einmal bedeutet hatte.

Ihr Blick fiel auf einen Mann mit blitzenden Augen und rabenschwarzem Haar. Er stand etwas abseits, genau wie sie, und die Art, wie er mit wachsamer Miene das Geschehen beobachtete, weckte ihr Interesse.

Sie kannte ihn nicht, wusste nicht, in welchem Verhältnis er zu ihrem Vater gestanden hatte, und doch fühlte sie sich ihm auf seltsame Weise verbunden. Was nicht hieß, dass sie ihn ansprechen würde. Natürlich nicht. Sie war schon immer schüchtern gewesen, und die Scheidung ihrer Eltern hatte es nicht besser gemacht.

Allegra behielt ihn unauffällig im Auge, überzeugt, dass er ohnehin keine Notiz von ihr nehmen würde. Wer war sie schon? Eine blasse junge Frau in einem tristen schwarzen Kleid mit wirren roten Locken. Langweilig. Unscheinbar. Er dagegen war ein echter Hingucker, was auch zahlreiche andere Frauen im Saal dazu brachte, ihn mehr oder weniger verstohlen anzuhimmeln.

Er war nicht nur umwerfend attraktiv, sondern auch unverschämt sexy. Sein großer, muskulöser Körper strahlte eine Vitalität aus, die auf einer Trauerfeier fast schon unanständig wirkte, ihn aber umso anziehender machte. Sie beklagten hier einen Toten, und dieser Mann sprühte vor Leben. Mit seinem funkelnden Blick, den locker zu Fäusten geballten Händen und der sprungbereiten Haltung erinnerte er Allegra an einen Boxer im Ring.

Mehr noch als sein gutes Aussehen faszinierte sie die brodelnde Energie, die von ihm auszugehen schien. Vielleicht, weil sie spürte, wie sehr es ihr selbst daran mangelte. Sie fühlte sich müde und leer, er dagegen …

Wer war er? Warum war er hier?

Vielleicht sollte sie sich doch einen Drink gönnen, bevor sie in ihr tristes Pensionszimmer zurückkehrte. Entschlossen bahnte sie sich einen Weg zur Bar. Morgen würde sie wie gewünscht an der Testamentseröffnung teilnehmen, obwohl sie sich nicht vorstellen konnte, dass ihr Vater ihr irgendetwas vererbt hatte. Dann würde sie nach New York zurückfliegen, diese ganze leidige Angelegenheit hinter sich lassen und neu anfangen, und zwar wirklich. Denn das war ihr bisher nicht gelungen, wie ihr plötzlich klar wurde.

Sie bestellte ein Glas Rotwein und zog sich damit in eine ruhige Nische zurück. Der erste Schluck rann samtweich durch ihre Kehle und nahm den Ecken und Kanten in ihrem Innern die Schärfe.

„Verstecken Sie sich?“

Beim Klang der warmen, sonoren Männerstimme blickte sie überrascht auf und erschrak, als sie sah, wer vor ihr stand. Er.

Wie durch ein Wunder war plötzlich ihr Märchenprinz zur Stelle, als hätte sie ihn, kraft ihrer Gedanken, quer durch den Saal herbeigezaubert. Nur sein spöttischer Blick und der harte Zug um seinen Mund passten nicht recht ins Bild.

War er am Ende der Bösewicht?

Allegra brachte kein Wort heraus, starrte ihn nur an. Er sah wirklich ausgesprochen gut aus, der elegant gekleidete Mann mit dem dichten dunklen Haar, den wachen hellbraunen Augen und dem Dreitagebart, der sein kantiges Kinn zierte. Ein bisschen so, wie sie sich Mephisto vorstellte – düster, verwegen und von einer Aura der Macht und mühsam gezügelter Energie umgeben, der sie sich kaum entziehen konnte.

„Nun?“, hakte er nach, seine Stimme dunkel und sinnlich wie geschmolzene Bitterschokolade.

„Ja, ich verstecke mich.“ Nervös trank sie einen weiteren Schluck Wein. „Ich kenne hier niemanden.“

„Schleichen Sie sich öfter auf fremde Begräbnisfeiern ein?“ Er grinste frech, und sie senkte verlegen den Blick. Sie wollte nicht zugeben, wer sie war. Die verstoßene Tochter. Das verlassene Kind, das hoffte, noch etwas abzukriegen.

„Nur, wenn es Freigetränke gibt“, scherzte sie und erhob ihr Glas. „Kannten Sie ihn? Alberto Mancini, meine ich.“ Der Name ihres Vaters kam ihr nur schwer über die Lippen, und zu ihrer Überraschung glaubte sie, einen Anflug von Zorn in den Augen des Fremden aufflackern zu sehen. Aber sie konnte sich auch getäuscht haben.

„Nicht direkt. Mein Vater hatte früher einmal geschäftlich mit ihm zu tun. Ich bin hier, um … um ihm Respekt zu zollen.“

„Aha.“ Allegra bemühte sich, ihre fünf Sinne beisammenzuhalten. Der Ausdruck schläfrigen Interesses, mit dem ihr Gegenüber sie musterte, brachte ihre Haut zum Prickeln. Sie hatte das Gefühl, von unsichtbaren Fingern gestreichelt zu werden. Nie zuvor hatte sie so unmittelbar körperlich auf einen Mann reagiert, was allerdings auch damit zu tun haben konnte, dass ihre Nerven ohnehin blank lagen. „Das ist nett von Ihnen. Wie, sagten Sie, war Ihr Name?“

„Den habe ich Ihnen noch gar nicht genannt.“ Wieder bedachte er sie mit einem dieser aufreizenden Blicke, bei denen sie sich vorkam, als wäre er der Raubvogel und sie die Beute. „Aber mein Name ist Rafael.“

Rafael Vitali hatte keine Ahnung, wer die Frau war, aber er war fasziniert von ihren tizianroten Locken und den großen grauen Augen, die so unverhüllt ihre Gefühle widerspiegelten: Erschöpfung, Sorge, Trauer. Trauer?

Er fragte sich, in welchem Verhältnis sie zu Mancini gestanden hatte. Obwohl es ihm eigentlich egal sein konnte, jetzt, da sein Plan aufgegangen und der Gerechtigkeit Genüge getan war. Doch seine Neugier war geweckt. War die Rothaarige eine Freundin der Familie? Oder, weniger harmlos, eine heimliche Geliebte des Verstorbenen? Sie war jedenfalls nicht hier, um sich an der Bar zu bedienen, so viel war sicher. Was verbarg sie vor ihm?

Er trank von seinem Whisky und betrachtete ihr Gesicht, auf dem sich die Emotionen abzeichneten wie Wellen auf einem See: Verwirrung, Hoffnung, Kummer.

Eine Geliebte, entschied er. Obwohl sie jung genug war, um Mancinis Tochter zu sein. Mancinis zweite Ehefrau und seine Stieftochter standen mit mürrischen Mienen auf der anderen Seite des Saals und wirkten eher gelangweilt als traurig. Rafael hätte vielleicht noch einen Funken Mitgefühl mit Mancinis Witwe gehabt, hätte er nicht gewusst, wie gierig sie sich über das Vermögen ihres Mannes hergemacht hatte. Nun, morgen würde sie feststellen, wie wenig davon noch übrig war. Und das erschien ihm nur fair. Schließlich war auch seine Mutter dank Mancini als mittellose Witwe geendet.

Und was seinen Vater anging …

Er wappnete sich gegen den aufkommenden Schmerz, gegen die quälenden Erinnerungen, die er verdrängen musste, um nicht verrückt zu werden. Normalerweise verbot er sich jeden Gedanken an seinen Vater, doch Mancinis Tod hatte die Tür zum düstersten Kapitel seines Lebens weit aufgestoßen. Die alte Wunde brannte wie eh und je und setzte einen Sturm von Gefühlen frei, den er unbedingt bändigen musste.

Pass auf die beiden auf, Rafael. Du bist jetzt der Mann im Haus. Du musst deine Mutter und deine Schwester beschützen, egal was auch geschieht …

Nein! Er musste die Tür zur Vergangenheit schnell wieder zuschlagen, und er wusste auch schon, wer ihm dabei helfen würde.

„Ich hoffe, die Bar ist es wert“, sagte er zu seiner neuen Bekannten, und sie lächelte verschämt.

„Ich bin nicht hier, um Getränke zu schnorren.“

„Dachte ich mir.“ Er lehnte sich mit der Schulter gegen die Wand, um der hübschen Rothaarigen näher zu sein, die noch dazu so verführerisch duftete. Sie war wirklich süß mit ihren silbergrauen Augen, den vollen Lippen und den rötlichen Sommersprossen auf der cremeweißen Haut. „Also, woher kennen Sie Mancini?“

Sie zuckte mit den Schultern. „Dass ich ihn kannte, ist lange her. Ich weiß nicht, ob er sich überhaupt noch an mich erinnert hätte.“ Ihr trauriges kleines Lachen weckte in Rafael einen Anflug von Mitgefühl, was ihm gar nicht passte. Schließlich hatte er gerade beschlossen, mit ihr ins Bett zu gehen. Warum auch nicht? Sie war eine von Mancinis Verflossenen, eine Goldgräberin, die für Geld und Schmuck alles tat. Warum sollte er Mitleid mit ihr haben?

Allerdings wirkte sie erstaunlich zerbrechlich. Sie sah aus, als könnte ein einziger Windhauch sie umblasen. Unter ihrem schlichten schwarzen Kleid zeichnete sich eine schmale, aber äußerst reizvolle Figur ab. „Wer könnte Sie schon vergessen?“, erwiderte er galant und stellte amüsiert fest, dass sie errötete.

„Wenn Sie wüssten.“ Sie lachte nervös. „Welche Art von Geschäften hat Ihr Vater denn mit mei… mit Mancini getätigt?“

„Die beiden hatten eine neuartige Technik für Mobiltelefone entwickelt. Inzwischen längst überholt, aber damals revolutionär.“ Und sie hätte seinem Vater ein Vermögen eingebracht, wenn Mancini ihn nicht ausgetrickst hätte. Und wenn er am Leben geblieben wäre.

„Davon verstehe ich nichts. Ich verstehe nicht mal mein eigenes Smartphone.“ Sie senkte die rotgoldenen Wimpern, hob ihr Glas an die Lippen und trank.

„Und Sie?“, fragte Rafael. „Was machen Sie beruflich?“

Er schätzte sie auf Ende zwanzig. Hatte sie einen neuen Sugardaddy gefunden, von dem sie sich aushalten ließ?

„Ich arbeite in einem Café in Greenwich Village. Einem Musikcafé, wo es Instrumente und Noten zu kaufen gibt. Es ist eine Art Treffpunkt für Musikbegeisterte.“

„Und Sie sind eine von ihnen, nehme ich an.“

„Ja“, kam es leise zurück. „Ja, Musik bedeutet mir sehr viel.“

Rafael war leicht irritiert von der Inbrunst, mit der sie sprach. Er war nicht auf tiefe Gefühle aus, nur auf ein lockeres, sexuell befriedigendes Abenteuer.

„Ich denke, ich sollte jetzt gehen“, sagte sie zögernd, doch etwas in ihrem Blick sagte ihm, dass sie insgeheim hoffte, er würde sie zurückhalten. Und das tat er.

„Der Abend ist noch jung.“ Wie zufällig streifte er ihr Bein mit seinem, damit sie spürte, wie heiß er auf sie war. „Wir können auch woanders hingehen. Welche Musik hören Sie am liebsten?“

„Nun, ich weiß nicht, ob Sie damit etwas anfangen können …“

„Versuchen Sie’s.“

„Okay.“ Ihr Lächeln verwirrte ihn. Wie ein Sonnenstrahl schien es in den dunkelsten Winkel seiner Seele vorzudringen. „Ich liebe den dritten Satz der Cellosonate von Schostakowitsch. Kennen Sie ihn?“

„Leider nicht.“

„Schostakowitschs Musik ist so gefühlvoll. Sie berührt mich wie keine andere.“

„Sie machen mich neugierig.“ Rafael hatte nur einen Aufhänger gesucht, um sie in seine Suite zu locken, aber jetzt interessierte ihn die Musik wirklich. „Ich wohne hier im Hotel und habe eine erstklassige Musikanlage. Darf ich Sie einladen, das Stück gemeinsam mit mir zu hören?“

Sie sah ihn überrascht an. „Tja, also …“

„Meine Minibar hat auch mehr zu bieten als diese Plörre hier“, setzte er humorvoll hinzu, nahm ihr das Glas aus der Hand und stellte es weg. „Kommen Sie.“

„Ich weiß nicht recht …“

„Ich aber.“ Entschlossen zog er sie mit sich zur Tür, wobei er die neugierigen, teils neiderfüllten Blicke der anderen Gäste ebenso konsequent ignorierte wie vorher die Annäherungsversuche diverser Frauen. Er wollte nur die eine, deren Hand er jetzt hielt.

Als er mit ihr in den Aufzug stieg, begann sein Herz vor Erwartung zu rasen. Er hatte sich lange nicht mehr so auf eine Frau gefreut wie jetzt auf sie. Wenn sie es sich nur nicht anders überlegte!

„Sie haben ein bezauberndes Lächeln“, raunte er ihr zu.

„Finden Sie?“

Er nickte. Ihr Lächeln war wirklich bezaubernd. Scheu und wunderschön wie eine sich zaghaft öffnende Blüte. Fast kam es ihm vor, als wäre sie wirklich so unerfahren, wie sie tat. Obwohl … ganz unschuldig konnte sie nicht sein, wenn sie um Mancini trauerte.

„Ja, finde ich.“ Er zog sie so dicht an sich, dass sich ihre Körper fast berührten. Die Luft zwischen ihnen knisterte vor Spannung. „Ich würde es gern öfter sehen.“

„Wir waren auf einer Beerdigung. Da gibt es nicht viel zu lächeln.“

Ihre nüchterne Erwiderung brachte ihn etwas aus dem Konzept, doch zum Glück hielt der Aufzug jetzt in der obersten Etage. Die Tür glitt auf, und sie standen in Rafaels großzügiger Penthouse-Suite.

Hastig schob Rafael seine staunende Begleiterin in den Raum hinein und war froh, als sich die Aufzugtür hinter ihnen schloss. Endlich allein!

2. KAPITEL

Was mache ich hier? Allegra hatte das Gefühl, als wäre sie unvermittelt in ein anderes Leben hineingestolpert. Welche Frau folgte einem attraktiven Fremden spontan in sein Hotelzimmer? Welche Frau verfiel Hals über Kopf dem Charme eines Mannes, den sie gar nicht kannte?

Sie doch nicht! Sie tat nie etwas Unerwartetes oder Ungehöriges. Sie führte ein stilles, bescheidenes Leben, arbeitete im Café, und ihr bester Freund war der achtzigjährige Besitzer, der sie wie seine Enkelin behandelte. Ihr Leben war ruhig und sicher, und genau so wollte sie es haben.

Und doch war sie von der Sekunde an, als Rafael ihre Hand ergriffen hatte, verloren gewesen. Oder gefunden? Es kam ihr vor, als hätte er einen Schalter in ihr umgelegt, von dem sie selbst nicht gewusst hatte, dass es ihn gab. Einen, der ganz neue Empfindungen in ihr auslöste und sie von Kopf bis Fuß unter Strom setzte.

Sie fühlte etwas! Nach der Starre, in der sie so lange verharrt hatte, war das gut und erschreckend zugleich. Ein Weckruf, der ihr zeigte, dass sie immer noch lebendig war und dass sich jemand – irgendjemand – für sie interessierte, sie begehrte, ihre Nähe suchte. Eine beglückende, geradezu überwältigende Erfahrung.

Rafael hielt noch immer ihre Hand. Sein Blick war warm, sein Lächeln sexy. Sie wusste, sie hätte ihm nicht erlauben sollen, sie so anzusehen. Es war gefährlich. Zu groß war die Verlockung, sich kopfüber ins Abenteuer zu stürzen und zu sehen, wohin die Reise ging. Angeblich waren sie hier, um Schostakowitsch zu hören, aber Allegra war nicht naiv. Sie wusste, warum Rafael sie mitgenommen hatte.

Rasch entzog sie ihm ihre Hand und ging in der Suite umher, um sich die luxuriösen Details näher anzusehen. Die hohen Decken und Marmorfußböden, die edlen Holzverkleidungen, die seidenen Kissen, mit denen die Sofas im Wohnbereich bestückt waren.

„Beeindruckend.“ Ihre Stimme klang dünn vor Nervosität. „Und erst diese Aussicht!“ Die Suite war an drei Seiten verglast und bot einen atemberaubenden Blick auf das abendliche Rom. „Ist das dort das Kolosseum?“ Vage zeigte sie in eine Richtung, während Rafael von hinten an sie herantrat, so dicht, dass sie die Hitze seines Körpers spürte. Ein winziger Schritt zurück, und sie würde sich an ihm verbrennen.

Sie sehnte sich nach dieser Berührung, fürchtete sich aber auch davor. Das alles hier war neu für sie. Neu und unbekannt und gefährlich.

Aber was konnte ihr schon passieren? Rafael konnte sie nicht verletzen. Nicht so schlimm, wie sie bereits verletzt worden war. Das würde sie nicht zulassen. Sie war nervös, das schon, aber es gab nichts, wovor sie Angst haben musste.

„Ja, das ist das Kolosseum.“ Rafael fasste sie sanft an den Schultern. Mutig geworden, lehnte sie sich zurück, bis sie seine breite Brust im Rücken spürte, warm und solide wie eine Mauer. Am liebsten wäre sie für immer so stehen geblieben.

Sie schloss die Augen und genoss den Moment, denn genau das brauchte sie jetzt: das Gefühl, mit einem anderen Menschen verbunden zu sein. Das Gefühl, durch und durch lebendig zu sein.

Sie war den Großteil ihres Lebens allein gewesen. Zu schüchtern, um in der Schule Freunde zu finden, zu verstört und verletzt, um sich ihrer Mutter anzuvertrauen, zu misstrauisch, um bei den wenigen Männern, mit denen sie im Laufe der Jahre ausgegangen war, nach Liebe zu suchen. Aber das hier, das wollte sie. Eine einmalige heiße Begegnung, die ihr das Gefühl gab, zu leben und gemocht zu werden. Danach würde sie sich umdrehen und gehen, unversehrt und sicher wie zuvor.

„Möchten Sie ein Glas Champagner?“

Sie nickte. Normalerweise trank sie kaum Alkohol, doch dies war ein besonderer Anlass, und der musste gefeiert werden.

„Klingt wunderbar.“

Während Rafael zum Kühlschrank ging, versuchte Allegra, ihre wirren Gedanken und Gefühle unter Kontrolle zu bringen. Was hatte der Mann nur an sich, dass sie auf ihn zustürmen anstatt vor ihm davonlaufen wollte? Warum war sie plötzlich so risikofreudig?

Als der Korken knallte, fuhr sie herum. Rafael füllte die beiden Sektkelche so schwungvoll, dass Schaum auf den Boden tropfte. „Cin-cin“, sagte er, wieder mit diesem sexy Lächeln auf den Lippen, und reichte ihr eins der Gläser.

„Cin-cin.“ Seit ihrem zwölften Lebensjahr hatte sie niemandem mehr auf Italienisch zugeprostet. Das Wort rief bittersüße Erinnerungen wach an einen Silvesterabend in ihrem früheren Zuhause in den Abruzzen, umgeben von schneebedeckten Berggipfeln. Damals hatte ihr Vater ihr zum ersten Mal erlaubt, Champagner zu trinken. Sie spürte noch das köstliche Prickeln auf der Zunge und das Glücksgefühl, das in ihr aufgestiegen war, weil sie sich im Schoß ihrer Familie geliebt und geborgen gefühlt hatte.

War das alles nur Einbildung gewesen? Eine einzige große Lüge? Oder sah sie die Vergangenheit im Nachhinein durch eine rosarote Brille, verklärt von kindlichem Wunschdenken, Trauer und Sehnsucht? Vielleicht war ihr Vater gar nicht der hingebungsvolle Familienmensch gewesen, an den sie sich zu erinnern glaubte. Vielleicht hatte er an jenem Abend gleich wieder nach dem Telefon gegriffen und sie nicht weiter beachtet. Wer wusste das schon? Nicht einmal ihren Erinnerungen konnte sie noch trauen.

Sie trank einen Schluck Champagner, und er schmeckte genauso köstlich wie damals. Heftig blinzelte sie gegen ihre Tränen an. Sie wollte jetzt nicht melancholisch werden. Nicht in Gegenwart dieses fremden Mannes.

„Erzählen Sie mir von sich“, bat sie. „Womit verdienen Sie Ihr Geld?“

„Ich bin Unternehmer.“

„In welcher Branche?“

„Immobilien. Gewerbeimmobilien, um genau zu sein. Hotels, Ferienanlagen und dergleichen.“

Er war also reich. Sehr reich sogar. Das hätte sie sich denken können, so selbstbewusst, wie er auftrat. Schon sein Aftershave – sinnlich herb, mit einer dezenten Sandelholznote – roch nach den oberen Zehntausend. Zu denen hatte auch sie einst gehört, bevor ihre Eltern sich hatten scheiden lassen. Sie hatte nicht gewusst, wie privilegiert sie war, bevor ihre Mutter und sie in der rauen Wirklichkeit gelandet waren.

Nicht dass sie besonderen Wert auf das Geld ihres Vaters gelegt hätte, auch wenn ihre Mutter sich bitter darüber beklagte, dass sie keinen Unterhalt bekam und den wenigen Schmuck, den sie noch besaß, versetzen musste. Natürlich war es ein gewaltiger Abstieg von der feudalen Villa in den Abruzzen zu der Zweizimmerwohnung in dem Teil der Innenstadt, in dem die weniger feinen Leute wohnten. Keine Privatschule mehr, kein Urlaub mehr. Um sich über Wasser zu halten, waren sie auf die Großzügigkeit von Jennifer Wells wechselnden Freunden angewiesen gewesen, einer Parade von Männern, denen Allegra lieber aus dem Weg gegangen war.

Doch während ihre Mutter mit den äußeren Umständen gehadert hatte und darüber wütend und verbittert geworden war, hatte Allegra mehr als alles andere unter der Trennung von ihrem Vater gelitten. Damals hatte sie sich geschworen, sich nie wieder von der Liebe oder dem Wohlwollen eines anderen Menschen abhängig zu machen. Menschen ließen einen im Stich – gerade diejenigen, die einem am nächsten standen. Sie hatte ihre Lektion gelernt, und sie musste sie kein zweites Mal lernen.

„Lieben Sie Ihren Beruf?“, fragte sie, nur um das Gespräch in Gang zu halten. Sie war noch nicht bereit, auf die erotischen Signale einzugehen, die Rafael aussandte.

„Sehr sogar.“ Er stellte sein Glas ab und schaltete die supermoderne Hi-Fi-Anlage neben dem Marmorkamin ein. „Die Cellosonate von Schostakowitsch, dritter Satz, richtig?“

„Ja!“ Allegra war angenehm überrascht, dass er sich das Stück gemerkt hatte. „Haben Sie es denn auf CD?“, fragte sie erstaunt.

„Ich fürchte nein“, sagte er nachsichtig lächelnd, „aber die Anlage ist mit dem Internet verbunden.“

„Oh, klar.“ Allegra lachte verlegen. „Ich sagte ja, Technik ist nicht mein Ding.“

Sekunden später fluteten die ersten noch verhaltenen Töne den Raum.

„Kommen Sie.“ Rafael streckte die Hand nach ihr aus, und Allegra ging zu ihm.

Schon nahm die Musik sie gefangen, stahl sich in ihre Seele und berührte sie auf eine Weise, wie es kein Mensch je gekonnt hatte. Musik war alles für sie – Freund, Vater, Geliebter. Sie hatte der Musik den Platz eingeräumt, der eigentlich einem nahestehenden Menschen vorbehalten war. Musik verletzte einen nicht. Musik ließ einen nicht im Stich.

Zu den wehmütigen Klängen des Cellos ließ sie sich Seite an Seite mit Rafael auf einem der Sofas nieder. Er legte ihr den Arm um die Schultern, und es fühlte sich völlig richtig an, wie die Fortsetzung der Musik auf einer anderen Ebene. Ehrfürchtig lauschten sie dem nun einsetzenden ergreifenden Wechselspiel von Cello und Piano.

Als Rafael sie enger an sich zog, legte Allegra wie selbstverständlich den Kopf an seine Schulter und schloss die Augen. Sie brauchte das jetzt – die Musik, Rafael, den Champagner. Sie wollte sich auf dieser Welle von Wohlgefühl und prickelnder Erwartung treiben lassen und sehen, wohin es sie führte.

Es gefiel ihr zu spüren, wie sich Rafaels Brust im Rhythmus seines Atems hob und senkte, seine Fingerspitzen federleicht über ihren Arm glitten, seine Lippen fast ihre Schläfe berührten. So nah war sie noch keinem Mann gekommen. Sie wünschte, sie hätte bis in alle Ewigkeit so mit ihm dasitzen können.

Die Musik schwoll an, steigerte sich zu einem dramatischen Crescendo und verklang. Stille senkte sich über den Raum.

„Das Cello ist das Instrument, das der menschlichen Stimme am ähnlichsten ist“, sagte Allegra nach einer Weile leise. „Vielleicht spricht es mich deshalb so an.“

„Ein erstaunliches Werk.“ Rafael tupfte ihr behutsam eine Träne von der Wange. „Es macht einen sehnsüchtig und traurig zugleich.“

„Ja.“ Genau so empfand sie es auch. Gerührt wandte sie sich ihm zu und lächelte ihn durch einen Schleier von Tränen an. Was sie in seinen Augen sah, sandte einen heißen Schauer durch ihren Körper. Sein begehrlicher Blick löste noch weit stärkere Gefühle in ihr aus als vorher die Musik.

Atemlos vor Erwartung hob sie ihm das Gesicht entgegen, als er den Kopf senkte, um sie zu küssen. Der warme Druck seiner Lippen auf ihren war Frage und Antwort zugleich – traumhaft schön, aber noch lange nicht genug.

Sie krallte die Finger in den glatten Stoff seines Hemdes, während Rafael fortfuhr, sie zu küssen. Nie hätte sie gedacht, dass ein Kuss so wundervoll sein konnte, so zärtlich und aufwühlend zugleich. Es fühlte sich an, als würde der Mann, der sie küsste, sie ganz genau kennen.

Und es wurde noch besser. Rafael fasste sie an den Schultern, drückte sie sanft auf die Couch nieder und beugte sich mit leuchtenden Augen über sie.

„Du bist wunderschön.“ Mit den Fingerspitzen strich er ihr die Locken aus der Stirn, zog andächtig die Konturen ihrer Wangen und ihres Kinns nach. Verträumt lächelnd schloss Allegra die Augen.

Langsam und wie zur Probe ließ Rafael die Finger an ihrem Hals hinabgleiten, dann weiter zu ihrem Ausschnitt. Als sie nicht protestierte, legte er beide Hände warm und fest um ihre Brüste.

„Eine andere Art von Musik“, flüsterte er, während sein Mund der Spur seiner Finger folgte. Allegra lachte; es war ein leises, atemloses Lachen. Ja, er hatte recht. Auch dies war Musik, eine ganz neue, aufregende Art von Musik, mit der er sie bekannt machte.

Zu ihrem eigenen Erstaunen verspürte sie weder Angst noch Unsicherheit. Im Gegenteil, sie fühlte sich großartig. Und sie wollte sich weiterhin großartig fühlen. Sie wollte aufblühen unter den Händen dieses Mannes, wollte Nähe und Vertrautheit spüren, nur für diese eine Nacht. Wann würde sie je wieder Gelegenheit dazu haben?

Irgendwie war es Rafael gelungen, das Oberteil ihres Kleides herabzuziehen und ihren BH zur Seite zu schieben. Allegra stöhnte auf, als sie seine streichelnde Zunge an ihrer nackten Brust spürte.

„Oh …!“ In ihrem heiseren Ausruf kam eine ganze Fülle neu entdeckter Gelüste zum Ausdruck. Sie schlang die Arme um Rafael und ließ die Hände an seinem Rücken auf und ab wandern, während er ihre Brustspitzen küsste. Als er die Hand unter ihren Rock schob, drängte sie sich ihm voller Verlangen entgegen. Wie unglaublich gut sich das anfühlte! Sie hatte ja keine Ahnung gehabt …

Rafael hob den Kopf und sah sie aus dunkel glänzenden Augen an.

„Kommst du mit mir ins Schlafzimmer?“

Ihr bebender Körper und ihr rasendes Herz kannten nur eine Antwort.

„Ja.“

Rafael sprang auf und zog sie vom Sofa hoch. Halb nackt, mit zerrauften Locken, folgte sie ihm in das große, elegante Schlafzimmer. Dort stand auf einem Podest ein riesiges Doppelbett mit einem Überwurf aus nachtblauem Satin.

Rafael drehte sich zu ihr um, nahm ihr Gesicht in beide Hände und küsste sie auf den Mund. Voller Hingabe erwiderte sie seinen langen, tiefen Kuss.

Sie merkte kaum, wie er den Reißverschluss am Rücken ihres Kleides öffnete, bis es zu Boden glitt und sie nur in BH und Slip vor ihm stand, beides schwarz und schlicht wie ihr Kleid und nicht sonderlich sexy. Doch Rafael musterte sie mit solch unverhohlener Bewunderung, dass ihr ganz heiß wurde vor Freude. Es war das erste Mal, dass ein Mann sie so ansah. Dass ein Mann sie begehrte.

Sanft, aber bestimmt zog er sie an sich. Allegra zitterte vor Erregung, als sie den harten Druck seiner Erektion hautnah zu spüren bekam.

„Frierst du?“

Sie schüttelte den Kopf. Nein, sie fror nicht. Es war ein milder Frühlingsabend, und im Hotel war es angenehm warm. Sie zitterte seinetwegen, und das wusste er auch, aber es war ihr egal. Schon fuhr er fort, sie zu küssen. Ihren Mund, ihren Hals, die Mulde zwischen ihren Brüsten.

Seufzend grub sie die Finger in sein Haar und hielt sich an ihm fest. Sie hatte das Gefühl, jeden Moment abheben zu müssen, so sehr genoss sie seine zarten, verführerischen Küsse auf ihrer Haut.

Mit einer raschen Bewegung befreite er sie von ihrem BH. Immer noch küsste er sie, glitt mit den Lippen an ihrem Körper herab, dann zog er ihr den Slip aus und sank vor ihr auf die Knie. Allegra konnte sich kaum auf den Beinen halten, als er die Hände um ihren Po legte und mit dem Mund, dem Mund …

Ihr Atem ging schnell und flach, so sehr genoss sie dieses unerhörte Vergnügen. Es war unglaublich intim, wie Rafael da vor ihr kniete und ihre geheimste Stelle liebkoste, nur um ihr Vergnügen zu bereiten. „Oh …“, keuchte sie. „Oh!“

Sein leises dunkles Lachen erregte sie nur noch mehr. Schon spürte sie den Orgasmus wie eine Woge heranrollen. Rafael erhob sich, schob sie zum Bett und drückte sie auf die Decke nieder. Zitternd vor Ungeduld lag sie da und sah zu, wie er sich auszog, seine breite, bronzefarbene Brust entblößte, den von stahlharten Muskeln durchzogenen Bauch. Seine Beine waren lang und kräftig, und nicht nur die …

Er war der schönste Mann, den sie je gesehen hatte.

„Anfassen erlaubt“, raunte er, als er sich zu ihr legte und ihren Körper mit seinem bedeckte. Sein heißer Kuss raubte ihr den Atem. Sie spürte das harte Pulsieren seiner Lust, als er sich an sie drängte. Es machte sie so wild vor Verlangen, dass sie alles um sich herum vergaß.

Ein lautes Stöhnen kam über ihre Lippen, als Rafael mit seinen langen geschickten Fingern in die feuchte Hitze zwischen ihren Schenkeln vordrang. Er streichelte, neckte und liebkoste sie, bis die heiß ersehnte Erfüllung zum Greifen nah war. Bebend vor Anspannung bohrte sie die Fingernägel in die feste Haut seiner Schultern.

Da – endlich – ließ er sich nicht länger bitten und drang, groß und hart, in sie ein. Der kurze Schmerz, den sie verspürte, war nichts im Vergleich zu dem wunderbaren Gefühl, mit Rafael vereint zu sein.

Er aber hielt mitten in der Bewegung inne, und sie hörte ihn leise fluchen.

„Was ist?“, fragte sie verwirrt.

„Du warst noch Jungfrau?“, kam es ungläubig zurück.

„Ja“, hauchte sie.

Wieder fluchte er, schloss die Augen und legte die Stirn an ihre. „Ich hatte keine Ahnung. Das hättest du mir sagen müssen …“

„Rafael!“ Sie hob sich ihm entgegen in einer stummen Bitte, die mehr sagte als alle Worte. Er durfte nicht aufhören. Nicht jetzt. Sie wollte ihn doch so sehr!

Stöhnend gab er nach und begann sich erneut in ihr zu bewegen, erst langsam, dann schneller und leidenschaftlicher. Mit jedem Mal, das er vor- und zurückglitt, genoss Allegra es mehr, ihn in sich zu spüren. Wie vorher die Musik, steigerte sich ihr Liebesspiel zu einem stürmischen Crescendo, das in einem überwältigenden Höhepunkt endete. Allegra schrie auf, und während sie das Gefühl hatte, in ein glitzerbuntes Meer aus Lust und Wohlbehagen abzutauchen, verhallte ihr Schrei wie der letzte Ton eines ganz besonderen Liedes. Des schönsten, das sie je gehört hatte.

Rafael rollte sich von ihr herunter. Sie war noch Jungfrau gewesen! Damit hatte er nun wirklich nicht gerechnet. Schuldgefühle schnürten ihm die Kehle zu.

Er hatte einem Menschen die Unschuld geraubt. Er hatte einen Menschen benutzt, den er hätte beschützen müssen. Dabei hatte er sich geschworen, es nie wieder zu tun!

Wenn er gewusst hätte, wie unerfahren sie war, hätte er sie niemals mit in seine Suite genommen, sie schon gar nicht verführt.

Oder? Die Musik, die erotisch aufgeladene Atmosphäre, die Hoffnung in den Augen dieser Frau, das alles hatte eine tiefe Sehnsucht in ihm geweckt. Wie dumm von ihm! Sex sollte Spaß machen, weiter nichts. Schnell, problemlos, unverbindlich sollte er sein. Er konnte nur hoffen, dass seine Bettgefährtin es genauso sah und nichts von ihm erwartete, was er nicht geben konnte.

Sie hatte ihm den Kopf verdreht mit ihrer unschuldigen Art und ihrer heißblütigen Reaktion. So sehr, dass er sogar vergessen hatte, ein Kondom zu benutzen! Die Erkenntnis jagte ihm einen eisigen Schauer über den Rücken. Er hatte die Kontrolle verloren.

Zerknirscht betrachtete er den schönen, lang hingestreckten Körper der Frau, die still neben ihm auf der blauen Satindecke lag. Der rosige Hauch, den das heiße Liebesspiel auf ihrer porzellanzarten Haut hinterlassen hatte, machte sie nur noch anziehender. Ihre rotgoldenen Locken kringelten sich auf dem Kissen. Rafael wollte die Hände in ihrem weichen Haar vergraben und sie voller Verlangen auf den Mund küssen, und das, obwohl er noch erhitzt war von dem großartigen Sex, den er gerade erst mit ihr gehabt hatte. Und obwohl er nun von ihrer Unschuld wusste. Er wollte sie, wie er noch keine Frau gewollt hatte.

Sie wandte sich ihm zu und schlang die Arme um ihn, doch ihre zärtliche Geste ließ ihn innerlich zu Eis gefrieren. Er war verwirrt, alarmiert und kämpfte mit seinem schlechten Gewissen. Bettgeflüster war nicht seine Sache. Absolut nicht. Die Frauen, mit denen er sich sonst vergnügte, wussten, worauf sie sich einließen und dass emotionale Verstrickungen für ihn nicht infrage kamen, sie aber hatte diese Warnung nicht erhalten. Unerfahren, wie sie war, erwartete sie jetzt vermutlich eine zärtliche Reaktion von ihm. Eine Nähe, zu der er nicht fähig war.

Er wollte nicht, dass ihm jemand zu nahekam. Jemand, den er verletzen oder enttäuschen konnte. Schlimm genug, dass er diese süße junge Frau für einen One-Night-Stand missbraucht hatte.

Seufzend schob sie ein Bein zwischen seine Beine und schmiegte sich an ihn.

„Er fehlt mir“, flüsterte sie. „Er fehlt mir so sehr.“

Rafael erstarrte. Was zum Teufel … „Wer?“, fragte er tonlos. „Wer fehlt dir?“

„Ich weiß, das sollte er nicht. Ich habe ihn vor fünfzehn Jahren das letzte Mal gesehen. Und doch fehlt er mir. Ich vermisse, was wir einmal hatten – oder wovon ich damals geglaubt habe, dass wir es hatten. Deshalb bin ich zu seiner Beerdigung gekommen. Weil ich gehofft habe, endlich mit ihm abschließen zu können.“

Sie sprach von Mancini, aber … fünfzehn Jahre? Vor fünfzehn Jahren konnte sie unmöglich Mancinis Geliebte gewesen sein, dafür war sie zu jung.

Fragend musterte er ihr hübsches, blasses Gesicht. „Wer bist du?“

Ihre Augen waren tränennass. „Ich bin Allegra, seine Tochter.“

Rafael musste sich auf die Zunge beißen, um nicht laut zu fluchen. Mancinis Tochter! In seinen Armen lag die Tochter seines ärgsten Feindes und suchte Trost bei ihm, weil ihr geliebter Vater gestorben war. Der Mann, der seinen Vater so gut wie ermordet hatte!

Das stürzte ihn in ein wahres Gefühlschaos aus Wut und Scham, Abscheu und Entsetzen, Bedauern und Enttäuschung. Er hasste die Rolle, die er selbst in diesem Drama spielte. Er hatte einer Frau die Unschuld genommen, der er niemals hätte zu nahekommen dürfen. So lange hatte er die Mancinis gehasst, so lange darauf hingearbeitet, das Unrecht zu vergelten. Doch wie stand er jetzt da? Allegra brauchte seinen Beistand, und er konnte ihr keinen geben.

Wortlos befreite er sich aus ihren Armen, stand auf und zog seine Boxershorts über. Er hörte die Bettdecke rascheln, dann Allegras leise, ängstliche Stimme.

„Rafael?“

„Du solltest jetzt gehen.“ Er bemühte sich gar nicht erst um einen weniger schroffen Ton. Zu groß war der Zorn, der jetzt in ihm aufstieg.

Mancinis Tochter. Wusste sie, was ihr Vater getan hatte? Wusste sie, dass er Blut an den Händen hatte? Wohl eher nicht. Sie musste damals noch ein Kind gewesen sein.

Und doch, sie war eine Mancini! Und sie vermisste ihren Vater, den Mann, den er selbst abgrundtief gehasst hatte. Er wiederum hatte ihre Unerfahrenheit ausgenutzt …

Zerrissen zwischen Wut und Schuldgefühlen, hatte Rafael nur den einen Gedanken – er musste sie loswerden, und zwar sofort.

„Du … du willst, dass ich gehe?“, fragte sie ungläubig.

„Ich bestelle dir ein Taxi.“ Er zog seine Hose an. Als Allegra sich immer noch nicht rührte, hob er ihr Kleid auf und warf es ihr hin. Es fiel ihr direkt in den Schoß, doch sie saß nur da, mit zerwühltem Haar, die Decke über der Brust zusammengerafft, und sah ihn aus großen Augen an.

„Ich verstehe nicht …“

„Was gibt es da zu verstehen? Wir hatten einen One-Night-Stand, und der ist jetzt vorbei. Wenn ich gewusst hätte, dass du noch Jungfrau warst, wäre es vielleicht etwas anders abgelaufen, aber so …“ Er zuckte mit den Schultern. „Es scheint dir ja trotzdem gefallen zu haben.“

Allegra sah aus, als hätte er sie geohrfeigt. Dann reckte sie ihm in einer rührenden Mischung aus Gekränktheit und Stolz das Kinn entgegen.

„Ja, das hat es. Aber ich bin nicht so naiv, dass mir nicht auffallen würde, wenn ein Mann dringend an seinen Umgangsformen arbeiten sollte. Deine sind lausig.“

„Danke für den Tipp, aber das ändert nichts an der Sache.“ Rafael verschränkte abwehrend die Arme vor der Brust. Noch mehr emotionalen Aufruhr ertrug er nicht. Es blieb dabei, sie musste gehen.

Sie sah ihn lange und eindringlich an. „Würdest du mich dann bitte allein lassen, damit ich mich in Ruhe anziehen kann?“

Er hätte sie darauf hinweisen können, dass er schon alles von ihr gesehen hatte, doch das erschien selbst ihm zu grausam. Ihre mühsam beherrschte Haltung imponierte ihm, also nickte er nur und verließ den Raum. Er brauchte jetzt einen Drink. Etwas Stärkeres als Champagner. Er hatte mit Allegra geschlafen, um zur Ruhe zu kommen. Jetzt war er ruheloser als zuvor, und die Erinnerungen ließen ihn nicht mehr los.

Alles, was du hast, ist deine Ehre, Rafael. Die kann dir keiner nehmen. Deine Ehre und deine Verantwortung als Mann.

Wie viel war davon noch übrig?

Allegra kam aus dem Schlafzimmer, als er sich gerade einen doppelten Whisky einschenkte. Es fiel ihm schwer, sich nicht umzudrehen, als sie mit klappernden Absätzen an ihm vorbei zum Lift ging.

„Auf Wiedersehen“, sagte sie leise. Es klang traurig und stolz zugleich. Dann war sie verschwunden.

Rafael starrte in die Nacht hinaus und führte das volle Glas zum Mund. Doch statt zu trinken, schleuderte er es an die Wand, wo es klirrend zerbrach.

3. KAPITEL

Als Allegra die Kanzlei von Signor Fratelli betrat, fühlte sie sich elend. Nicht nur aus Nervosität, sondern vor allem wegen der Dinge, die am Vortag passiert waren. Dem Tag, an dem ihr Vater beerdigt worden war. Dem Tag, an dem sie den größten Fehler ihres Lebens begangen hatte.

Sie war hocherhobenen Hauptes aus der Hotelsuite spaziert, doch ihr Selbstwertgefühl lag am Boden, nachdem Rafael sie so schäbig behandelt hatte.

Dabei war er anfangs so zärtlich gewesen. Er hatte ihr das Gefühl gegeben, gemocht und respektiert zu werden. Alles Lüge? Wieder einmal? Offenbar musste sie ihre Lektion doch ein zweites Mal lernen. Menschen waren nicht das, was sie vorgaben zu sein. Sie erzählten und taten alles Mögliche, um zu bekommen, was sie wollten. Dann drehten sie sich um und gingen.

Und sie blieb allein zurück. Allein und verletzt.

Obwohl sie eigentlich keinen Grund hatte, verletzt zu sein. Das jedenfalls hatte sie sich einzureden versucht, als sie später in ihrem Pensionszimmer im Bett gelegen und mit brennenden Augen an die Decke gestarrt hatte. Schließlich hatte sie sich ausdrücklich vorgenommen, sich nicht von Rafael wehtun zu lassen. Für sie war das, was sie mit ihm erlebt hatte, vielleicht etwas Besonderes gewesen, aber im Grunde war er nicht mehr als ein Fremder für sie. Ein attraktiver, egoistischer, gefühlskalter Fremder. Es war ja nicht so, als hätte sie ihn geliebt.

Sie dachte an ihren Vater, der sie verlassen hatte, obwohl sie ihn so sehr gebraucht hatte. Er war einfach gegangen, ohne einen Blick zurückzuwerfen. Sie hatte mit ansehen müssen, wie ihre Mutter sich in ihrem Elend vergrub. Seit ihrem achtzehnten Lebensjahr war Allegra auf sich allein gestellt, und im Laufe der Zeit waren eine Menge Träume zerplatzt. Die Sache mit Rafael war nicht halb so schlimm. Es lag an ihr, wie sie damit umging.

Signor Fratelli, der Notar, hatte aus unerfindlichen Gründen darauf bestanden, dass sie an der Testamentseröffnung teilnahm. Sie war sicher, dass ihr Vater ihr nichts hinterlassen hatte, und ihr graute vor dem Zusammentreffen mit seiner zweiten Ehefrau und deren Tochter. Aber es half nichts, da musste sie durch. Und dann würde sie nach New York zurückfliegen und so weitermachen, als wäre nichts passiert.

„Signorina Mancini.“ Der Notar empfing sie in einem vornehmen Büro mit holzvertäfelten Wänden und ledernen Clubsesseln. „Danke, dass Sie gekommen sind.“

„Mein Name ist Wells.“ Allegras Mutter hatte nach der Scheidung ihren Mädchennamen wieder angenommen, und den trug nun auch Allegra. Sie sah kurz zu Caterina Mancini hinüber, die sie ohne ein Zeichen von Mitgefühl aus ihren gletscherblauen Augen musterte, um sich dann grußlos abzuwenden.

Caterinas Tochter warf Allegra ein kleines, betretenes Lächeln zu, doch Allegra hatte nicht die Kraft, es zu erwidern. Unter anderen Umständen, in einem anderen Leben, hätte sie die junge Frau, die eine ebenso kühle blonde Schönheit war wie ihre Mutter, aber längst nicht so arrogant, vielleicht gern kennengelernt. So aber musste sie sich zwingen, überhaupt neben den beiden Frauen Platz zu nehmen, mit denen ihr Vater ihre Mutter und sie ersetzt hatte.

Nach ein paar einleitenden Sätzen, die mehr oder weniger an ihr vorbeirauschten, kam Signor Fratelli zur Sache.

„Zu meinem Bedauern muss ich Ihnen mitteilen, dass sich Signor Mancinis Besitzverhältnisse vor einigen Wochen entscheidend verändert haben.“

Caterina sah ihn scharf an. „Wie darf ich das verstehen?“

„Ein anderes Unternehmen hält jetzt die Aktienmehrheit an Mancini Technologies.“

„Die Aktienmehrheit?“, wiederholte Caterina mit hoher, schriller Stimme.

„So ist es. Signor Vitali von V-Property hat sich die Anteile gesichert. Er wird in Kürze hier sein, um Ihnen die Lage persönlich zu erläutern.“

Während Caterina lautstark lamentierte, ließ sich Allegra müde zurücksinken. Was interessierte es sie, dass irgendein Fremder die Firma ihres Vaters übernommen hatte? Sie hätte gar nicht erst herkommen sollen. Nicht zu diesem Termin, nicht nach Italien.

„Ah, da ist er ja.“ Die Tür ging auf, und auf der Schwelle stand, wie ein Racheengel aus Allegras schlimmsten Albträumen, Rafael.

Fassungslos starrte sie ihn an. In seinem dunkelblauen Anzug wirkte er kühl und distinguiert, sein Blick glitt ohne erkennbare Regung über sie hinweg. Allegra sackte noch tiefer in ihrem Sessel zusammen. Ihre Gedanken überschlugen sich, und heiße Erinnerungen an Rafaels Hände auf ihrer Haut brachten ihren Puls zum Rasen.

Was um alles in der Welt hatte er hier zu suchen?

Der Notar erhob sich. „Willkommen, Signor Vitali.“

Ihr vernebeltes Hirn brauchte einen Moment, um die Lage zu erfassen. Rafael war Signor Vitali von V-Property. Er hatte die Firma ihres Vaters übernommen. Hatte er von Anfang an gewusst, wer sie war? Betrachtete er sie etwa als Teil des Inventars?

Ihr war so übel, dass sie kaum mitbekam, was Rafael sagte, aber offenbar lösten seine Worte bei der Witwe einen Sturm der Entrüstung aus. Rafael gab sich gelangweilt, der Notar wirkte zunehmend verzweifelt.

„Das können Sie nicht machen, Signor Vitali!“, keifte Caterina, die vor Aufregung rote Flecken am Hals bekam.

„Ich kann“, erwiderte Rafael gelassen. „Mancini Technologies wird aufgelöst.“

Teilnahmslos hörte Allegra zu, als er darlegte, wie er die offenbar seit Jahren schwächelnde Firma ihres Vaters abzuwickeln gedachte. Signor Fratelli ergänzte seine Ausführungen um die niederschmetternde Nachricht, dass das Privatvermögen des Verstorbenen, einschließlich der Villa in den Abruzzen, an das Firmenvermögen gekoppelt und somit ebenfalls verloren war. Allegra begriff nur eins, nämlich dass ihr Vater bei seinem Tod so gut wie bankrott gewesen war.

Wütend ging Caterina erneut auf Rafael los: „Sie sind schuld an seinem Tod! Den Herzinfarkt hat er Ihrer feindlichen Übernahme zu verdanken. Sie haben ihn umgebracht!“

Rafael musterte sie mit versteinerter Miene. „Zumindest bin ich nicht der Einzige, an dessen Händen Blut klebt.“

„Was soll das heißen?“, rief Caterina erbost, erhielt aber keine Antwort.

Erschöpft wandte Allegra sich an den Notar. „Verzeihung, aber ich würde gern gehen.“ Keine Sekunde länger wollte sie mit Rafael im selben Raum bleiben. Er hatte sie benutzt, sich wahrscheinlich insgeheim über sie lustig gemacht. Die Tochter des Mannes, den er ruiniert hatte, ging mit ihm ins Bett und war Wachs in seinen Händen!

„Ich habe etwas für Sie, Signorina“, sagte Signor Fratelli und lächelte bedrückt. „Ein Vermächtnis Ihres Vaters.“

Verblüfft nahm Allegra die schwarze Samtschatulle entgegen, die ihr der Notar überreichte. In ihre Verzweiflung mischte sich ein Hauch von Freude über das unerwartete Geschenk. Sie hätte es lieber allein geöffnet, doch Caterina reckte so gierig den Hals, als wollte sie es ihr aus der Hand reißen, und auch die anderen sahen sie erwartungsvoll an.

Behutsam öffnete sie die Schatulle und zog eine wunderschöne alte Perlenkette daraus hervor, mit einem herzförmigen Anhänger aus dunkelgrünem Saphir, eingefasst in winzige Diamanten. Allegra kannte die Kette. Sie hatte ihrer Großmutter gehört, der Mutter ihres Vaters, und ihre Mutter hatte sie immer gern getragen. Fest schlossen sich ihre Finger um die kostbaren Perlen. Kostbar nicht wegen ihres materiellen Werts, sondern weil ihr Vater sie ihr hinterlassen hatte. Er hatte sie also nicht vergessen.

„Grazie“, flüsterte sie.

„Da ist noch ein Brief an Sie, Signora.“

Hoffnung keimte in Allegra auf. Vielleicht würde sie jetzt verstehen, warum ihr Vater sie verlassen hatte. „Grazie, Signor Fratelli. Vielen Dank.“ Sie nahm den Brief und erhob sich.

Als sie an Rafael vorbeikam, stieg ihr ein Hauch seines männlich herben Dufts in die Nase, und schon wurde die Erinnerung an die letzte Nacht wieder lebendig. Seine Hände und Lippen auf ihrer Haut, sein heißer Körper an ihrem …

Sie schaffte es, einigermaßen würdevoll den Raum zu verlassen, aber sie hatte kaum die Treppe erreicht, als die Tür hinter ihr wieder aufgerissen wurde.

„Allegra?“

Sie hielt kurz inne, setzte ihren Weg dann aber umso entschlossener fort.

„Allegra.“ Mit wenigen Schritten war Rafael bei ihr. Schon seine Hand an ihrem Arm genügte, um sie vor Sehnsucht fast schwach werden zu lassen, doch sie schüttelte ihn ärgerlich ab.

„Wir haben uns nichts mehr zu sagen.“

„Doch, das haben wir.“ Rafaels Befehlston ließ sie wütend herumfahren.

„Was willst du denn noch? Du hast deine Rache bekommen, genügt dir das nicht?“

„Rache? Ich nenne das Gerechtigkeit.“

Allegra konnte ihm kaum ins Gesicht sehen, so verletzt war sie. „Du wusstest, dass ich seine Tochter bin, oder? War es ein Kick für dich zu sehen, wie ich auf dich abfahre, nachdem du meinen Vater vernichtet hast?“

„Ich wusste nicht, wer du bist, sonst hätte ich dich nicht angerührt.“ Die Kälte in seiner Stimme ließ Allegra frösteln. „Ich möchte nichts mehr mit den Mancinis zu tun haben. Nie wieder.“

„Warum? Was hat mein Vater dir getan?“

„Das spielt keine Rolle mehr.“

„Gut, dann kann ich ja gehen.“ Sie wandte sich ab, entschlossen, Rafael Vitali ein für alle Mal aus ihrem Leben zu streichen. Sie würde vergessen, dass sie ihn jemals getroffen hatte. Dass er überhaupt existierte.

„Wir haben nicht verhütet“, sagte er grimmig.

Vier Worte, die sie vor Schreck erstarren ließen. Sie hatte sich so von ihren Gefühlen hinreißen lassen, dass sie an eine simple Notwendigkeit wie diese überhaupt nicht gedacht hatte. Jetzt schämte sie sich für ihre Naivität.

„Solltest du feststellen, dass du schwanger bist, musst du es mir sagen“, setzte er in herrischem Ton hinzu.

„So, meinst du?“, brauste Allegra auf. „Du wolltest mich gestern Nacht nur noch loswerden, warum solltest du dich also für mein Kind interessieren?“

Unser Kind.“ Er hielt ihr eine Visitenkarte hin, und automatisch griff sie zu. „Ich hoffe natürlich, die Sache erledigt sich von selbst, aber wenn nicht, stehe ich natürlich zu meiner Verantwortung. Ich kümmere mich um das, was mir gehört.“

Die Sache? Allegra zitterte vor Wut. Am liebsten hätte sie die Visitenkarte in Stücke gerissen, aber das erschien ihr zu kindisch, also zerdrückte sie sie nur in ihrer Faust.

„Wie du dir denken kannst, habe ich nicht die geringste Lust, je wieder ein Wort mit dir zu wechseln.“

„Ich meine es ernst, Allegra.“

„Ich auch.“ Sie ließ ihn stehen und marschierte die Treppe hinunter.

Zurück in ihrem Pensionszimmer, immer noch aufgewühlt nach der Begegnung mit Rafael, öffnete sie mit bebenden Fingern den Brief ihres Vaters.

Liebe Allegra,

vergib einem alten Mann die Fehler, die er aus Sorge und Angst begangen hat. Mein Ruf war mir wichtiger als Deine Liebe, und das werde ich immer bereuen.

Deine Mutter liebte diese Halskette, aber sie gehört Dir. Bitte behalte sie, und zeige sie ihr nicht.

Ich erwarte nicht, dass Du mich verstehst, noch weniger, dass Du mir verzeihst.

Dein Papa

Lautlos weinend las Allegra die Zeilen ihres Vaters ein zweites und ein drittes Mal. Sein Ruf war ihm wichtiger gewesen als sie. Was meinte er damit? Sein Brief gab keine Antworten, sondern warf nur noch mehr Fragen auf.

Immerhin schien er sein Handeln bereut zu haben. Er hatte sie also doch geliebt. Warum hatte er sie dann verlassen?

Rafael saß im Büro des Notars. Sein Magen verkrampfte sich, als er an den Schmerz und die Enttäuschung in Allegras Augen dachte. Er hatte sich ihr gegenüber schrecklich verhalten, das wusste er. Aber ihr Vater hatte seinen auf dem Gewissen! Im Vergleich dazu war das, was Rafael ihr angetan hatte, noch harmlos.

Und sollte sie tatsächlich von ihm schwanger sein, würde er selbstverständlich für das Kind sorgen, keine Frage. Auch wenn er inständig hoffte, dass die Nacht ohne Folgen geblieben war. Wie sehr er sich wünschte, sie hätte gar nicht erst stattgefunden!

Nein, da belog er sich selbst. Die Nacht mit Allegra war pure Leidenschaft gewesen. Er hatte den besten Sex seines Lebens gehabt und vor Verlangen nicht mehr klar denken können, nur deshalb hatte er es versäumt, ein Kondom zu benutzen.

„Signor Vitali? Gibt es noch etwas zu klären?“

Rafael zwang sich, seine Aufmerksamkeit wieder dem Notar und den beiden Frauen im Raum zuzuwenden. Er hatte gedacht, er würde es genießen, Caterina Mancini am Boden zerstört zu sehen. Doch egal wie habgierig sie auch sein mochte, sie tat ihm leid. Sie hatte mit dem Tod seines Vaters nichts zu tun, und jetzt, Auge in Auge mit ihr, bekam sein Vergeltungsschlag einen bitteren Beigeschmack.

Wenn sie recht hat, dachte er betroffen, und Mancini ist wirklich an dem Schock über den Verlust seiner Firma gestorben, dann habe ich ihn getötet, so wie er meinen Vater getötet hat.

Doch Zweifel und Schuldgefühle waren das Letzte, was er jetzt gebrauchen konnte. Wenn er Mancinis Tod herbeigeführt hatte, dann war das eben so. Er hatte nur der Gerechtigkeit Genüge getan, daran musste er einfach glauben.

Allegra verbrachte den Rückflug nach New York wie in Trance. Sie hatte nur den einen Wunsch: alle Trauer und Enttäuschung hinter sich zu lassen.

Zurück in ihrem Studioapartment im East Village hatte sie endlich das Gefühl, dass die Welt wieder ein Stück weit in Ordnung war. Sie genoss die Ruhe und den Frieden in ihren eigenen vier Wänden hoch oben im sechsten Stock, wo der Verkehrslärm nur noch gedämpft zu hören war. Gleich nach ihrer Ankunft hatte sie bei Anton, ihrem Chef und Vermieter, vorbeigeschaut, doch jetzt brauchte sie Musik, um sich zu entspannen.

Aus Gewohnheit griff sie nach Schostakowitsch, zögerte aber und entschied sich für Elgar. Sollte Rafael ihr die Freude an ihrem Lieblingskomponisten für immer verdorben haben? Sie hatte es sich gerade auf dem Sofa gemütlich gemacht, als das Telefon klingelte. Ihr sank das Herz, als sie sah, dass es ihre Mutter war, die anrief.

„Und?“, platzte Jennifer ohne Begrüßung heraus. „Hat er dir etwas hinterlassen? Oder mir?“

„Es war eine schöne, festliche Beerdigung“, sagte Allegra ruhig, was ihre Mutter mit einem verächtlichen Laut quittierte. „Und nein, wir haben nichts geerbt“, fuhr sie fort, dem Willen ihres Vaters entsprechend, auch wenn sie nicht verstand, warum ihre Mutter nichts von den Perlen erfahren sollte. „Es gab wohl auch nichts zu vererben.“ Sie erzählte kurz von der Firmenübernahme durch Rafael Vitali, bemüht, keine Emotionen aufkommen zu lassen. Sie musste die Nacht mit ihm vergessen, sofort und auf der Stelle.

„Vitali?“, wiederholte Jennifer scharf. „Vitali hat Mancini Technologies gekauft?“

„Ja.“

„Nun, was geht uns das an“, meinte Jennifer wegwerfend.

„Stimmt“, sagte Allegra düster. „Nur dass Caterina Mancini behauptet, Vitali habe …“ Sie wollte schon „Papa“ sagen, brachte es aber nicht über die Lippen. „Sie behauptet, Vitali habe ihn umgebracht, indem er ihm einen tödlichen Schock versetzt hat.“ Der Gedanke, dass Rafael den Tod ihres Vaters verschuldet haben könnte, belastete sie sehr.

Und ich bin mit ihm ins Bett gegangen!

„Wie auch immer, es ist vorbei“, erklärte ihre Mutter nach kurzem Schweigen, und Allegra musste ihr schweren Herzens beipflichten.

Ja, es war vorbei. Alles. Aus und vorbei.

Während der nächsten vier Wochen gab Allegra sich alle Mühe, ihr Leben weiterzuleben wie bisher. Sie arbeitete im Café, plauderte mit den Gästen, ging im Park spazieren und versuchte, den täglichen kleinen Freuden etwas abzugewinnen. Doch nach der wundervollen Nacht mit Rafael erschien ihr der Alltag farblos und fad.

Natürlich war es idiotisch, Rafael zu vermissen, nachdem er ihr so übel mitgespielt hatte. Dennoch kam sie sich vor wie Dornröschen – wach geküsst und nicht in der Lage, wieder einzuschlafen. Umso entschlossener versuchte sie, ihn zu vergessen.

Etwa einen Monat nach ihrer Rückkehr aus Rom erbrach sie ihr Frühstück. Sie schob es auf den Imbiss vom Vorabend, doch als ihr am nächsten Morgen erneut übel wurde, kam ihr ein banger Verdacht. Am dritten Tag besorgte sie sich einen Schwangerschaftstest.

Schockiert starrte sie auf die beiden rosa Linien im Testfeld. Wie ein eiskalter Guss traf sie die Erkenntnis, dass sie nicht nur auf Rafael Vitali hereingefallen war, sondern auch noch ein Kind von ihm erwartete!

Ein Kind. Ihr Kind. Ein zartes kleines Geschöpf, bereit, sich zu entfalten. Der Gedanke löste so starke Muttergefühle in ihr aus, dass ihr der Atem stockte. Sie hatte nie ernsthaft daran gedacht, ein Kind zu bekommen. Das Singledasein war bei ihr Dauerzustand, und es war weit und breit kein Partner in Sicht.

Und nun … ein Baby! Ein Mensch, den sie lieben, mit dem sie eine Familie gründen konnte. Eine richtige Familie. Nie würde sie ihr Kind im Stich lassen, wie ihr Vater es getan hatte, oder ihren Frust und ihre Bitterkeit an ihm auslassen wie ihre Mutter. Sie würde ihrem Kind die beste Mutter sein, die sie nur sein konnte. Schon jetzt liebte sie dieses winzige Wesen mit einer Innigkeit, die sie selbst überraschte.

Ein Baby. Ein Neuanfang. Eine neue Chance, zu lieben, zu leben, glücklich zu sein.

Schützend legte sie eine Hand an ihren Bauch und schloss die Augen.

4. KAPITEL

„Chéri?“

Rafael sah zu der Frau hinüber, die er in einer Bar in Paris aufgelesen hatte. Ihr neckischer Tonfall ging ihm auf die Nerven. Irritiert musterte er ihren perfekten Körper, ihre üppige Oberweite, ihren Schmollmund. Nichts davon sprach ihn an. Er konnte sich nicht einmal an ihren Namen erinnern.

„Geh jetzt.“

Ihre knallroten Lippen öffneten sich zu einem verblüfften O. Angewidert wandte Rafael sich ab. Er hatte die Frau nicht angerührt und hatte auch nicht vor, es zu tun. Seit der Nacht mit Allegra hatte er keine Lust mehr, mit irgendeiner anderen Frau zu schlafen.

„Rafael …“, flötete seine Barbekanntschaft, doch er wies ihr mit einer stummen Geste die Tür. Er hatte geschäftlich in Paris zu tun, und während die attraktive Blondine beleidigt aus seiner Suite stolzierte, stellte er beschämt fest, dass er sich gerade genauso schäbig verhielt wie damals in Rom.

Hatte er denn nichts daraus gelernt?

Verdammt! Er hatte fest damit gerechnet, dass Allegra ihn anrief. Zumindest anstandshalber, um ihm mitzuteilen, dass sie nicht schwanger war. Doch wie konnte er Anstand von ihr verlangen, wenn er selbst so brutal gegen alle Gesetze des Anstands verstieß?

Sie hatte nicht angerufen. Also war sie nicht schwanger, und er konnte mit seinem Leben fortfahren wie gewohnt. Konnte Allegra Wells und ihr süßes Lächeln vergessen, ihren warmen, anschmiegsamen Körper, ihre leidenschaftliche Umarmung, die ihm das Gefühl gegeben hatte, endlich angekommen zu sein.

Idiot!

Das mit ihr war doch nur ein flüchtiges Abenteuer gewesen, eins von vielen, ohne jede Bedeutung. Allegra Wells war für immer aus seinem Leben verschwunden, und das war auch gut so. Er war fertig mit den Mancinis. Er hatte die Firma zerschlagen, die auf dem Grab seines Vaters erbaut worden war.

Die Gerechtigkeit hatte gesiegt. Nur leider gab es niemandem, mit dem er den Sieg hätte feiern können. Seine Eltern waren tot, und er hatte keine Ahnung, wo Angelica steckte. Die Familie, die zu beschützen er versprochen hatte, war zerbrochen. Und immer noch plagte ihn diese Ruhelosigkeit und innere Leere. Das Gefühl, dass irgendetwas – irgendjemand – in seinem Leben fehlte.

„Es wird jetzt ein bisschen kalt.“

Allegra zuckte zusammen, als die Ärztin das Gel auf dem schon leicht gerundeten Bauch verteilte und dann mit dem Ultraschallkopf darüberfuhr. Sie war jetzt in der achtzehnten Woche und konnte es kaum abwarten, ihr Baby zu sehen. Gespannt blickte sie auf den Monitor, auf dem ein verschwommenes, schwarz-weißes Etwas erschien, untermalt vom Stakkato der kindlichen Herztöne.

Das Bild wurde schärfer. Deutlich erkannte Allegra Kopf, Arme, Beine und das kleine schlagende Herz ihres Kindes, alles eingebettet in ihren Bauch wie ein Geschenk. Sie stieß einen leisen Freudenschrei aus und lächelte unter Tränen.

Leicht war die Schwangerschaft bisher nicht gewesen. Seit Allegra vor drei Monaten beschlossen hatte, das Kind zu behalten, war ihr jeden Morgen übel gewesen. Sie hatte Gewicht verloren, quälte sich mühsam zur Arbeit und wusste beim besten Willen nicht, wie sie später als alleinerziehende Mutter zurechtkommen sollte.

Denn dass sie ihr Kind allein großziehen würde, stand für sie fest. Sie wollte nicht, dass Rafael von ihrer Schwangerschaft erfuhr. Ihr Kind brauchte keinen Vater, der eines Tages spurlos verschwand, so wie ihrer es getan hatte. Sie wusste zwar immer noch nicht, warum ihr Vater gegangen war, aber sie hatte keinen Grund anzunehmen, dass Rafael es nicht genauso machen würde. Ihre Erfahrung sprach dagegen.

Es würde nicht leicht werden, in ihrer winzigen Wohnung und mit ihrem schlecht bezahlten Job ein Kind großzuziehen. Doch die Begeisterung über den Anblick ihres ungeborenen Babys ließ alle Zukunftsängste in den Hintergrund treten.

Stirnrunzelnd drückte die Ärztin den Ultraschallkopf fester auf den Bauch.

„Stimmt etwas nicht?“, fragte Allegra besorgt.

„Einen Moment, bitte, Ms. Wells.“ Die Gynäkologin warf einen Blick auf ihre Unterlagen, musterte dann wieder konzentriert den Bildschirm.

Allegra fröstelte. Etwas war nicht in Ordnung, das sagte ihr ihr ängstlich hämmerndes Herz. Ihre Schwangerschaft verlief nicht so, wie sie sollte.

„Bitte, Dr. Stein. Sagen Sie mir, was los ist.“

Kurz darauf hatte sie ihre Antwort. Die Worte hallten in ihrem Kopf wider, unmissverständlich grausam und doch unbegreiflich. Ein pränataler Herzfehler, so viel hatte sie verstanden.

„Was heißt das genau?“, fragte sie mit vor Entsetzen bebender Stimme.

„Den Bildern nach zu urteilen, könnte es sich um einen lebensbedrohlichen Defekt handeln“, teilte die Ärztin ihr in ruhigem Ton mit. „Dann hätte das Kind kaum Chancen, die ersten Lebensmonate zu überstehen.“ Allegra rang nach Luft. „Wir setzen sofort einen Termin für eine Fruchtwasseruntersuchung an, um sicherzugehen, womit wir es hier zu tun haben“, fuhr Dr. Stein fort. „Leider kann das zwei bis drei Wochen dauern, aber allein anhand des Ultraschallbilds lässt sich keine exakte Diagnose stellen.“

Völlig benebelt verließ Allegra die Klinik und kehrte nach Hause zurück. Mechanisch stieg sie die Treppen zum sechsten Stock hinauf und ließ sich auf ihr Bett fallen, eine Hand an ihren Bauch gepresst. Die ständige Übelkeit hatte sie so geschlaucht, dass sie bisher nicht dazu gekommen war, sich konkrete Gedanken über die Zukunft zu machen. Und nun war es gar nicht mehr sicher, ob es diese Zukunft überhaupt gab. Wie sollte sie diese quälende Ungewissheit nur drei Wochen lang aushalten?

Trotz aller Verwirrung und Panik war ihr eins jedoch klar: Sie musste es Rafael sagen. Egal, wie mies er sie behandelt hatte, er hatte ein Recht zu erfahren, dass sie ein Kind von ihm erwartete. Und wie es um dieses Kind stand.

Seit ihrer Rückkehr aus Rom hatte sie alles getan, um ihn aus ihren Gedanken zu verbannen. Sie hatte sich eingeredet, dass sie ihn auch später noch informieren konnte. Später, wenn es ihr wieder besser ging und sie wieder festen Boden unter den Füßen hatte, würde sie überlegen, ob und welche Rolle er im Leben ihres Kindes spielen sollte.

Nun aber überschlugen sich die Ereignisse. Sie hatte eine schwerwiegende Entscheidung zu treffen, und daran musste sie Rafael teilhaben lassen, egal wie unangenehm ihr das war.

Die Fruchtwasseruntersuchung rückte näher, doch erst zwei Tage vor dem Termin fasste Allegra sich ein Herz, kramte Rafaels Visitenkarte hervor und wählte seine Nummer.

Er war beim zweiten Läuten am Apparat. „Ja?“

„Hier ist Allegra.“ Ihre Stimme war kaum lauter als ein Flüstern.

Am anderen Ende der Leitung blieb es sekundenlang still.

„Ja?“, wiederholte Rafael, diesmal deutlich zurückhaltender.

„Ich rufe an, weil ich dir etwas mitteilen muss. Ich bin schwanger, und …“ Sie hörte ihn scharf einatmen.

„Schwanger? Von mir?“

„Natürlich von dir.“

„Und warum erfahre ich das erst jetzt, nachdem du die halbe Schwangerschaft schon hinter dir hast?“

„Fast“, erwiderte sie leise.

„Also, warum?“

„Bitte, Rafael, hör mir zu. Die Ultraschalluntersuchung hat ergeben, dass das Baby höchstwahrscheinlich krank ist. Ernsthaft krank.“ Sie wäre fast in Tränen ausgebrochen, nahm sich aber zusammen. Rafael war der Letzte, von dem sie sich Trost erhoffte.

„Was genau ist das Problem?“, fragte er nach einem Moment angespannten Schweigens.

„Ein Herzfehler“, sagte sie unglücklich. „In zwei Tagen habe ich eine Fruchtwasseruntersuchung, und dann müssen wir entscheiden …“

„Wo? In New York?“

„Ja.“

„Ich komme.“

Ihr stockte der Atem. „Du … kommst?“

„Es ist mein Kind, oder?“

„Ja, sicher.“

„Dann komme ich. Ich rufe dich morgen noch einmal an wegen der Details.“

Rafael trommelte ungeduldig mit den Fingern auf die Armlehne seines Sitzes, während sich die Limousine durch den Großstadtverkehr von Manhattan schlängelte. Er war auf dem Weg zu Allegras Apartment im East Village. Der Zorn darüber, dass sie ihm ihre Schwangerschaft verschwiegen hatte, wurde überlagert von der Angst um sein ungeborenes Kind. Er würde ein Kind haben! Einen Menschen, den er behüten, umsorgen und um jeden Preis beschützen würde, wenn er nur die Gelegenheit dazu bekam.

Vielleicht würde ihm dieses kleine, unschuldige Wesen seinen inneren Frieden zurückgeben. Mit Allegras Unehrlichkeit würde er sich später auseinandersetzen. Jetzt mussten sie erst einmal diese Krise bewältigen. Er hatte schon einmal die Menschen im Stich gelassen, die auf ihn angewiesen waren. Noch einmal würde ihm das nicht passieren. Er würde für sein Kind da sein, koste es, was es wolle.

Der Wagen hielt vor einem hohen Backsteingebäude, und Rafael stieg aus. Seine Miene verfinsterte sich, als er beim Blick auf das Klingelschild feststellte, dass Allegra offenbar ganz oben wohnte. Es sah nicht so aus, als hätte das Haus einen Aufzug. Die vielen Treppen jeden Tag, das konnte nicht gut für das Baby sein!

Er drückte auf den Klingelknopf. Aus der Gegensprechanlage ertönte eine schwache Stimme: „Ich komme.“

Die Hände in den Hosentaschen vergraben, musterte er die heruntergekommene Fassade, den verdreckten Hauseingang, die überquellenden Mülltonnen. Dies war kein Platz zum Leben für eine Mutter mit Kind.

Als Allegra die Tür öffnete, konnte er bei ihrem Anblick nur mit Mühe verbergen, wie schockiert er war. Sie sah furchtbar aus! Ihre Haut war ungesund blass, ihr Haar spröde und glanzlos, und sie hatte stark abgenommen. Das T-Shirt und die leichte Sommerhose, die sie trug, hingen wie die Lumpen einer Vogelscheuche an ihr herab.

Rafael trat einen Schritt auf sie zu, und obwohl sie zurückzuckte, fasste er sie entschlossen am Arm. „Du siehst aus, als würdest du gleich umfallen.“

„Mir ging es nicht gut.“

„Warum hast du dich nicht früher bei mir gemeldet?“ Es gelang ihm nicht, den Vorwurf aus seiner Stimme herauszuhalten.

„Bitte, lass uns nicht streiten. Dieser Tag ist schon hart genug für mich.“

„In Ordnung.“ Nachdem er ihr beim Einsteigen geholfen hatte, sank sie erschöpft auf die ledergepolsterte Rückbank. „Was heißt das, dir ging es nicht gut?“, fragte er, als sich der Wagen in Bewegung setzte.

„Morgenübelkeit“, sagte sie müde. „Ich konnte kaum etwas bei mir behalten. Die Ärzte sagen, es müsste sich bald legen. Das heißt, wenn …“ Ihre Stimme erstarb, und ihre Augen füllten sich mit Tränen.

Wenn ich das Kind behalten kann. Wenn es gesund ist.

Rafael wusste, was sie hatte sagen wollen.

„Wir brauchen mehr Informationen, bevor wir eine Entscheidung treffen können.“ Eine Entscheidung hatte er bereits getroffen. Er würde Allegra nicht allein lassen, und sie würde auch nicht weiter in dem schäbigen Mietshaus wohnen. Ihr Platz, was immer auch geschah, war an seiner Seite. Er würde für sie und das Kind sorgen.

Wieder dachte er an jenen grauenhaften Tag zurück, als er es versäumt hatte, seine Lieben zu beschützen. Er war zu schwach, zu unentschlossen und zu naiv gewesen. Doch diesmal würde er nicht versagen. Diesmal würde er wie ein Löwe für die Familie kämpfen, die ihm so unerwartet zugefallen war.

Allegra wunderte sich zwar darüber, wie hochgradig angespannt Rafael war, doch ihr selbst ging es nicht anders. Sie hatte kaum geschlafen aus Angst vor der bevorstehenden Prozedur und dem, was dabei herauskommen könnte.

Nun saß sie hier neben Rafael im Wagen, roch den herben Duft seines After Shaves, spürte seine brodelnde Energie und wurde von Sehnsucht überwältigt. Sehnsucht nach seinen Küssen, seinen Berührungen. Und das in dieser Situation! Noch dazu, nachdem er sie so schlecht behandelt hatte. Wie dumm von ihr.

Die Fahrt zum Krankenhaus legten sie schweigend zurück, was Allegra ganz recht war. Sie hätte jetzt keinen Smalltalk ertragen, noch weniger ein Problemgespräch.

Auf dem Weg zum Behandlungsraum legte Rafael einen Arm um sie, und sie genoss seine Fürsorglichkeit. Obwohl sie sich geschworen hatte, sich nie wieder auf einen anderen Menschen zu verlassen, tat es jetzt gut, eine starke Schulter zum Anlehnen zu haben.

Kurz darauf lag sie schon auf dem Untersuchungstisch, Rafael saß neben ihr. Gerührt bemerkte sie, wie seine sonst so harten Züge eine ungewohnte Weichheit annahmen, als die Herztöne des Babys laut und kräftig zu hören waren. Sein staunender Blick und sein zittriges Lächeln schufen eine ganz neue Nähe zwischen ihnen. Doch war das ein Grund, ihm zu vertrauen?

„Keine Sorge, es wird nicht lange dauern. Ich benutze ein lokales Betäubungsmittel für die Einstichstelle, und bis auf ein unangenehmes Gefühl und vielleicht anschließend ein paar leichte Krämpfe dürften Sie nichts spüren“, versicherte die Ärztin. Als Allegra die lange Nadel sah, griff sie erschrocken nach Rafaels Hand. Zwar spürte sie den Einstich nicht, doch das Ganze machte ihr Angst.

Nach ein paar Minuten war alles vorbei.

„Bist du in Ordnung?“, fragte Rafael besorgt.

„Ja, ich glaube schon.“ Bis auf ein leichtes Ziehen im Bauch tat ihr nichts weh, aber sie war den Tränen nahe und etwas wackelig auf den Beinen, auch wenn sie es nicht zugeben wollte. Sie versuchte, Rafaels Arm wegzuschieben, doch er ließ es nicht zu.

„Heute sollten Sie sich noch schonen, aber morgen können Sie wieder Ihrer gewohnten Beschäftigung nachgehen“, sagte Dr. Stein, was Rafael schweigend, jedoch mit deutlichem Missfallen zur Kenntnis nahm.

Erst als sie wieder im Wagen saßen und Rafael dem Chauffeur das Fahrtziel nannte, wurde Allegra klar, dass er nicht vorhatte, sie nach Hause zu bringen.

„Was soll das?“, fragte sie. „Wohin fahren wir?“

„Zu meinem Hotel am Central Park.“

„Ich will aber nach Hause!“ Sie wollte ihr Bett, ihre Musik, ihre vertraute Umgebung.

„Deine Wohnung ist völlig ungeeignet für eine Frau in deinem Zustand. Mit den vielen Treppen gefährdest du nur unser Baby.“

„Andere Schwangere müssen auch Treppen steigen.“

„Aber es geht hier um dich. Offen gesagt, du siehst erbärmlich aus. Blass, ausgemergelt und völlig am Ende. Du brauchst Erholung.“

„Besten Dank auch“, erwiderte sie spitz. „Und was schlägst du vor? Dass ich umziehe?“

„Genau. Bis das Untersuchungsergebnis vorliegt, wohnst du bei mir im Hotel.“

Allegra sah ihn entgeistert an. Ja, sie hatte eine Schulter zum Anlehnen gebraucht, zumindest vorübergehend, aber sie brauchte niemanden, der die Kontrolle über ihr Leben übernahm. „Ich kann und ich will nicht bei dir wohnen. Ich habe einen Job, und …“

„Melde dich krank.“

„Das kann ich nicht!“

„Dann erledige ich das für dich.“

Sie war so empört über seine Bevormundung, dass ihr auf die Schnelle kein besseres Gegenargument einfiel als: „Du spinnst ja wohl.“

„Wenn du meinst.“ Ihr Protest prallte an ihm ab wie an einer Backsteinmauer, während der Wagen weiter in Richtung Central Park brauste, weg von ihrem Zuhause, ihrem Job, ihrem Leben.

Autor

Kate Hewitt

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