Romana Exklusiv Band 367

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SAG MIR NUR: ICH WILL! von GORDON, LUCY
Obwohl ein Italiener ihr einst das Herz brach, reist Natasha für einen Job nach Verona. Ihr neuer Chef ist kein anderer als Mario: ihr Ex! Damals hat er sie sehr verletzt, doch nun wandeln sie gemeinsam auf den Spuren von Romeo und Julia. Führt das Schicksal sie wieder zusammen?

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Auf Mallorca will Rose sich erholen. Doch sie erlebt eine böse Überraschung: In der Finca nebenan wohnt ausgerechnet Richard Night – der Inhaber eines riesigen Pflanzendiscounts, der ihren Blumenladen übernehmen will. Und jetzt bringt er mit seinem Charme auch noch ihr Herz in Gefahr …

EIN WEIHNACHTSENGEL FÜR JACK von ALISON ROBERTS
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  • Erscheinungstag 21.10.2023
  • Bandnummer 367
  • ISBN / Artikelnummer 9783751517393
  • Seitenanzahl 448
  • E-Book Format ePub
  • E-Book sofort lieferbar

Leseprobe

Lucy Gordon, Bella Bloom, Alison Roberts

ROMANA EXKLUSIV BAND 367

PROLOG

Venedig, die romantischste Stadt der Welt

Ja, so heißt Venedig wohl zu Recht, dachte Natasha Bates, als sie auf der Caféterrasse in der Nähe eines kleinen Kanals saß. Wo sonst hätte sie so schnell nach ihrer Ankunft ihrem Traummann begegnen und kurze Zeit später bereits wissen können, dass sie zusammen gehörten?

Nur Stunden nachdem sie hier eingetroffen war, um Urlaub zu machen, hatte sie Mario Ferrone kennengelernt. Der umwerfend attraktive junge Italiener mit den leuchtenden Augen und dem wohlklingenden Lachen hatte darauf bestanden, ihr die Stadt zu zeigen. Da der Besitzer des Hotels, in dem sie abgestiegen war, sein Bruder war, hatte sie anfangs geglaubt, seine Aufmerksamkeit sei eine Art Dienstleistung. Diesen Gedanken hatte sie jedoch schnell wieder verworfen. Sie hatten sich nämlich sofort zueinander hingezogen gefühlt, und nichts war ihr je schöner vorgekommen als ihre gemeinsame Zeit.

Romantik hatte in ihrem Leben bisher kaum eine Rolle gespielt. Sie war zwar hübsch und humorvoll, und es mangelte ihr nicht an Verehrern. Aber bei Männern schaltete sie automatisch auf Abwehr. Was mit ihrer Kindheit zusammenhing. Denn als sie zehn Jahre alt gewesen war, hatte ihr Vater sie und ihre Mutter wegen einer anderen Frau verlassen. Bis zu diesem Moment war sie ein glückliches Kind gewesen. Sie hatte ihren Vater geliebt und er sie ebenfalls, so schien es zumindest. Dann war er jedoch von jetzt auf gleich verschwunden, und sie hatte nie mehr etwas von ihm gehört.

„Vertrau den Männern nicht, sie werden dich bloß enttäuschen“, hatte ihre Mutter ihr wiederholt erklärt. Und diese Warnung hatte sie beachtet, bis sie Mario kennengelernt hatte. Er hatte ihre Welt völlig auf den Kopf gestellt.

Wie sie auf ihn reagierte, verwirrte sie. Sie sehnte sich mit jeder Faser ihres Herzens nach ihm. Manchmal hörte sie im Geist ihre Mutter sagen: „Du kannst keinem Mann vertrauen, Natasha. Denk daran.“

Nein, Mario war anders als seine Geschlechtsgenossen. Er war ehrlich, vertrauenswürdig und treu. Gestern Abend hatte er sie besonders leidenschaftlich geküsst. „Morgen möchte ich …“, hatte er danach geflüstert und dann unvermittelt geschwiegen.

„Ja? Was möchtest du?“

„Ich kann es dir jetzt nicht erzählen … Aber morgen wird sich alles ändern. Gute Nacht, mi amore.“

Nun saß sie hier im Café und wartete auf ihn. Würde er ihre Welt erneut durcheinanderbringen und ihr einen Heiratsantrag machen? Oh, bitte! Nervös sah sie auf ihre Armbanduhr. Mario verspätete sich. Ihre Nerven waren zum Zerreißen gespannt.

„Natasha!“

Sie wandte den Kopf und sah ihn auf sich zukommen.

„Entschuldige, dass ich nicht pünktlich bin. Ich wurde noch aufgehalten.“ Er setzte sich zu ihr an den Tisch, und ihr war, als sei er sehr angespannt.

„Ist alles in Ordnung?“

„Das wird es sehr bald sein.“ Er fasste ihre Hand. „Da gibt es etwas, das ich dir seit Tagen zu sagen versuche, aber …“

„Versuche? Ist es so schwierig, es mir zu sagen?“

Mario schaute ihr in die Augen. „Manche Dinge sind nicht leicht zu sagen.“

Ihr Herz klopfte wie verrückt. Ja, er wollte ihr einen Antrag machen. „Das hängt davon ab, wie sehr man sie sagen möchte“, erwiderte sie leise und beugte sich näher zu ihm. „Vielleicht möchtest du es nicht wirklich sagen.“

„Oh, doch. Du hast keine Ahnung, wie wichtig es ist.“

Er will mir seine Liebe gestehen, dachte sie aufgeregt und legte ihre Hand auf seine. „Sprich weiter“, meinte sie kaum hörbar.

„Natasha … ich will dir sagen …“

„Verräter!“

Der Ausruf ließ sie beide zusammenschrecken. Natasha blickte auf und sah eine hübsche, wütende Frau von Anfang dreißig vor dem Tisch stehen.

„Verräter! Lügner! Betrüger!“

Marios Gesicht war so blass, wie Natasha es noch nie gesehen hatte. Er erhob sich und sprach ärgerlich auf Italienisch mit der jungen Frau und bedeutete ihr zu gehen. Sie schrie ihn auf Englisch an und wandte sich dann Natasha zu.

„Es wird Zeit, dass du erfährst, wie er wirklich ist. Eine Frau genügt ihm nicht.“

Sie tobte weiter, bis Mario sie etwas vom Tisch wegzog und heftig auf sie einredete. Natasha verstand nicht, was er sagte, denn sie konnte kein Italienisch. Aber die dunkelhaarige Frau wurde immer zorniger.

„Er ist ein Lügner und Betrüger“, stieß sie erneut in perfektem Englisch hervor.

„Mario, wer ist diese Frau? Kennst du sie?“

„Und ob er mich kennt. Besser als dir lieb sein dürfte.“

„Tania, das reicht.“ Jede Farbe war aus Marios Gesicht gewichen. „Ich habe dir erklärt …“

„Oh, ja. Verräter! Traditore!

Einen Moment lang war Natasha versucht, sich zwischen die beiden zu stellen. Dann trieb ihr stürmisches Temperament sie zu einer noch ganz anderen Aktion. Während die zwei weiter miteinander stritten, floh sie aus dem Café.

Sie lief zu ihrem Hotel, bat an der Rezeption um die Rechnung und eilte in ihr Zimmer. Wenn Mario zurückkehrte, wollte sie von hier verschwunden sein. Wie hatte sie ihm nur vertrauen können?

„Du hattest recht“, sagte sie leise zu ihrer toten Mutter, während sie packte. „Die Männer sind alle gleich.“

Oh, Mario, du Verräter, du traditore, dachte sie, als sie das Hotel verlassen hatte und in einem Taxi zum Flughafen fuhr.

1. KAPITEL

Zwei Jahre später …

„Sorry, Natasha, aber die Antwort ist Nein. Du musst es akzeptieren.“

Wütend krallte Natasha die Finger um ihr Handy. „Erzähl mir nicht, was ich zu tun habe. Du hast mir erklärt, du würdest gern alles nehmen, was ich schreibe …“

„Das war vor langer Zeit. Die Dinge haben sich geändert. Ich wurde angewiesen, nichts mehr von dir zu kaufen.“

Schon wieder eine Absage! „Du bist der Herausgeber. Du entscheidest selbst, was gekauft wird.“

„Der Eigentümer des Magazins bestimmt, was gemacht wird, und das ist bindend. Du bist raus. Erledigt. Mach’s gut.“

Zornig und verzweifelt blickte Natasha auf ihr Handy, als sie Helen hinter sich fragen hörte: „Wieder eine Abfuhr? Das ist der sechste Herausgeber, der sich nach langer Zusammenarbeit von dir abwendet.“

Natasha drehte sich zu der Freundin um, die gleichzeitig ihre Mitbewohnerin war. „Es ist, als würden sie alle von jemandem kontrolliert, der sie anweist, mich kaltzustellen.“

„Und dieser Jemand dürfte Elroy Jenson heißen.“

Ja, sie hat recht, dachte Natasha. Jenson besaß ein riesiges Medienimperium, das ihr bis vor Kurzem einen guten Verdienst beschert hatte. Aber er hatte Gefallen an ihr gefunden und sie permanent verfolgt, obwohl sie ihn darum gebeten hatte, sie in Ruhe zu lassen. Schließlich war er zu weit gegangen, und sie hatte ihm eine schallende Ohrfeige verpasst. Einer seiner Mitarbeiter hatte den Vorfall mitbekommen, und die Geschichte in Umlauf gebracht.

„Jeder weiß, dass du ihn lächerlich gemacht hast“, sagte Helen mitfühlend. „Jetzt ist er dein Feind. Du und dein hitziges Temperament. Zwar hattest du allen Grund, wütend zu sein, aber …“

„Aber ich hätte mich beherrschen und an die Zukunft denken sollen, oder?“

„Ja. Mir ist klar, wie paradox es klingt. Aber du siehst, der Preis, den du dafür zahlen musst, ist hoch.“

„Ja.“ Natasha seufzte. Bis vor Kurzem war sie eine sehr erfolgreiche freiberufliche Journalistin gewesen, um deren forsche, aufschlussreiche Beiträge man sich gerissen hatte. „Wie kann ein einziger Mann so viel Macht haben?“

„Vielleicht solltest du für eine Weile ins Ausland gehen. Bis Jenson dich vergessen hat.“

„Das dürfte schwierig werden.“

„Nicht unbedingt. Die Agentur hat mir einen PR-Job in Italien vermittelt. Ich wollte dort schon anrufen, um ihnen mitzuteilen, dass sie jemand anderes finden müssen. Warum übernimmst du ihn nicht?“

„Ich kann nicht einfach … Das ist eine verrückte Idee.“

„Manchmal hilft auch Verrücktheit weiter“, erwiderte Helen.

„Aber ich spreche kein Italienisch.“

„Das ist kein Problem. Es dreht sich darum, eine Stadt international zu vermarkten.“

„Welche Stadt?“, fragte Natasha angespannt.

„Keine Sorge. Mir ist klar, dass du nicht nach Venedig willst. Es ist Verona, die Stadt von Romeo und Julia. Touristen lieben es, Julias Balkon zu besichtigen und andere Orte, an denen sich die ganze Geschichte zugetragen hat. Mehrere Besitzer von Luxushotels haben sich zusammengeschlossen, um für die Stadt die Werbetrommel zu rühren. Natürlich weiß ich, dass du nicht unbedingt auf Romantik stehst …“

„Das macht nichts.“

„Prima. Warum übernimmst du den Job nicht?“

„Wie kann ich das? Es ist deiner.“

„Ich habe ihn spontan angenommen, weil ich Streit mit meinem Freund hatte. Ich dachte, es wäre aus. Aber wir haben uns wieder versöhnt. Es wäre mir sehr recht, wenn du an meiner Stelle nach Italien fliegen würdest. Ich würde dich bei der Agentur wärmstens empfehlen. Und, Natasha, du darfst es nicht zulassen, dass ein Mann, den du seit zwei Jahren nicht mehr gesehen hast, weiterhin dein Leben bestimmt. Noch dazu, da er ein elender Mistkerl und Betrüger war. Deine Worte, nicht meine.“

„Ja, und ich habe sie ernst gemeint.“

„Also fahr nach Verona. Lass Mario und Elroy hinter dir, und ergreif die Chance zu einem Neuanfang.“

„Okay.“

„Wunderbar. Dann legen wir gleich los.“

Helen schaltete ihren Computer ein und kontaktierte die Agentur. Wenig später erhielt Natasha eine E-Mail, in der man ihr den Job anbot und direkt weitere Informationen schickte.

„Wie du siehst, gibt es kein Problem. Denk in Ruhe nach, was du machen willst“, sagte Helen und verschwand.

Es war nicht Verona, wo man ihr vor zwei Jahren das Herz gebrochen hatte, sondern Venedig. Trotzdem war die Entscheidung nicht leicht. Sollte sie England tatsächlich für eine Weile den Rücken kehren?

Natashas Gedanken schweiften zurück in die Vergangenheit. Sie hatte die Warnung ihrer Mutter befolgt, den Männern nicht zu vertrauen, und sich auf ihre Karriere als Journalistin konzentriert. Natürlich war sie ausgegangen und hatte geflirtet, sich aber zurückgezogen, bevor eine Beziehung zu eng werden konnte. Sie wollte nicht das Schicksal ihrer Mutter erleiden.

Dann hatte sie Mario kennengelernt, der sie so fasziniert hatte, wie noch kein anderer Mann zuvor. Ihr ganzer Körper hatte in ungeahnt herrlicher Weise auf ihn reagiert.

Wo immer sie zusammen aufgetaucht waren, hatten die Frauen ihm bewundernde Blicke und ihr giftige Blicke zugeworfen. Vermutlich waren sie neidisch darauf, dass sie das Bett mit ihm teilen dürfte. Aber dazu war es nie gekommen, obwohl sie mehrmals kurz davor gewesen war, der Versuchung zu erliegen. Als der Tag ihrer Abreise näher gerückt war, hatte Mario sie gebeten, noch etwas länger zu bleiben. Selig hatte sie zugestimmt.

Selbst jetzt, zwei Jahre später, war die Erinnerung an dieses Glücksgefühl noch unendlich schmerzhaft. Obgleich sie verzweifelt versucht hatte, diese aus ihrem Gedächtnis und ihrem Herzen zu verbannen.

Natasha stellte sich vor, was für ein Gesicht er wohl gemacht hatte, als er bemerkte, dass sie nicht mehr am Tisch saß. Dass sie sich quasi in Luft aufgelöst hatte. Und für ihn existiere ich auch nicht länger, dachte sie, und er für mich genauso wenig. Tatsächlich hatte es den Mann, den sie in ihm gesehen hatte, nie gegeben. Das musste sie endlich begreifen.

Unerbittlich führte sie sich ihre letzte Begegnung im Café vor Augen. Sie war so sicher gewesen, dass er ihr seine Liebe gestehen wollte, als er ihr erklärt hatte, er würde seit Tagen versuchen, ihr etwas zu sagen. Aber in Wirklichkeit hatte er sie loswerden wollen.

Und vermutlich hatte er den Nachmittag mit Tania im Bett verbracht. Jene Frau hatte geglaubt, er würde sie mit ihr, Natasha, betrügen. Genau genommen, hatte er sie beide betrogen.

Nach ihrer Flucht aus Venedig hatte sie dafür gesorgt, dass sie unerreichbar war für ihn. Sie hatte ihre Telefonnummer ebenso geändert wie ihre E-Mail-Adresse. Doch bevor der Account geschlossen worden war, hatte sie noch eine Nachricht von ihm empfangen:

Wohin bist du verschwunden? Was ist geschehen? Bist du okay?

Oh, ja, das bin ich, dachte sie trotzig. Sie war die einzige Person losgeworden, die sie verletzen konnte, und niemand würde es je wieder tun. Sie hatte Mario nicht geantwortet und all seine Mails ungelesen gelöscht.

Dann war sie zu Helen gezogen und hatte sich so in die Arbeit gestürzt, dass sie Elroy Jensons Aufmerksamkeit erregt hatte. Der Medienzar hatte sie angemacht und war sicher gewesen, dass eine kleine freiberufliche Journalistin ihn nicht abweisen würde. Als sie nichts von ihm hatte wissen wollen, hatte er es nicht glauben können und sie weiter bedrängt. Schließlich war es zu der Ohrfeige gekommen, die ihre erfolgreiche Karriere jäh beendet hatte.

Seither ging es in ihrem Leben steil bergab. Mittlerweile konnte sie sogar kaum noch die geringe Miete für ihr Zimmer bei Helen bezahlen. Es wurde höchste Zeit, dass sie etwas unternahm. Also würde sie ins kalte Wasser springen und den Job in Italien annehmen.

Sie kontaktierte die Agentur und sagte zu. Wenig später informierte man sie darüber, dass sie mit einem gewissen Giorgio Marcelli zusammenarbeiten würde. Die vereinigten Hotelbesitzer, die Comunità, hatten ihn als Publicity-Manager engagiert. Er würde sie am Flughafen von einem Chauffeur abholen lassen und sie dann im Dimitri-Hotel treffen, wo sie auch wohnen würde.

Während des Flugs zwei Tage später fing Natasha schon einmal an, sich auf die neue Tätigkeit vorzubereiten. Sie befasste sich mit Romeo und Julia, einem Liebespaar, das aus zwei verfeindeten Familien Veronas stammte. Sie waren lieber aus dem Leben geschieden, als ohne einander zu sein. Der Legende nach beruhte Shakespeares Tragödie auf wahren Begebenheiten. Es hatte die beiden wirklich gegeben. Und Natashas Aufgabe würde es sein, in die Geschichte einzutauchen und möglichst viele Leute dafür zu begeistern, es ebenfalls zu tun.

In der Lobby des Dimitri-Hotels, das im Stadtzentrum von Verona lag, kam ein etwa sechzigjähriger stämmiger Mann lächelnd auf Natasha zu.

„Ich bin Giorgio, Giorgio Marcelli“, stellte er sich vor. „Die Agentur hat mir mitgeteilt, dass die ursprünglich für den Job vorgesehene Dame absagen musste. Aber wie ich gehört habe, sind Sie eine Freundin von ihr und haben ausgezeichnete Referenzen.“

„Vielen Dank. Ich bin eine erfahrene Journalistin. Hoffentlich kann ich Ihren Erwartungen gerecht werden.“

„Davon bin ich überzeugt, Natasha. Ich bin sehr froh, dass Sie hier sind, denn ich habe dem Präsidenten der Comunità versprochen, dass er heute Abend mit Ihnen sprechen kann. Und es ist nie gut, ihn zu enttäuschen.“

„Ist er ein schwieriger Mensch?“

„Manchmal. In erster Linie ist er sehr energisch. Die Leute versuchen, ihn nach Möglichkeit nicht zu verärgern. Er hat dieses Hotel vor nicht ganz zwei Jahren gekauft, es weitgehend umgestalten lassen und die Personalstruktur komplett neu organisiert. Alles soll nach seinen Vorstellungen gemacht werden.

Es war auch seine Idee, dass die Hoteliers sich zu einer Comunità zusammenschließen. Alle sind davon ausgegangen, dass es sich um eine lockere Gemeinschaft handelt, doch er hat sie davon überzeugt, dass die Gruppe einen Leiter braucht. Daraufhin sind sie seinem Vorschlag gefolgt und haben ihn zum Präsidenten gewählt.

Vor einer Weile hat einer der anderen Hoteliers Interesse an der Position bekundet. Aber er wurde davon ‚überzeugt‘, den Präsidenten nicht herauszufordern. Auf welche Weise, weiß niemand, doch keiner war überrascht. Wenn der Boss Befehle erteilt, sind wir ganz Ohr. Vor allem ich, denn er kann mich jederzeit feuern. Ich erzähle es Ihnen nur, damit Sie aufpassen und ihn nicht verärgern. Heute Abend essen wir mit ihm, und morgen lernen Sie die übrigen Mitglieder der Comunità kennen. Sie freuen sich schon darauf, dass Sie unserer bezaubernden Stadt Aufmerksamkeit verschaffen werden.“

„Hat sie die nicht bereits? Romeo und Julia ist die berühmteste Liebesgeschichte der Welt.“

„Das ist richtig. Aber wir müssen einen Weg finden, wie die Touristen Teil dieser Geschichte werden können. Genug der langen Rede. Jetzt zeige ich Ihnen erst einmal Ihr Zimmer.“

„Es klingt, als würde dein Hotel echt gut laufen“, sagte Damiano Ferrone, als er seinen Bruder Mario in Venedig zum Auto begleitete. „Du hast eine große Zukunft vor dir.“

„Ja, das könnte sein.“ Mario lächelte.

„Daran besteht kein Zweifel.“ Damiano grinste. „Schließlich bin ich dein Lehrmeister gewesen.“

Damiano besaß mehrere Hotels, und hatte Mario einiges beigebracht. Am Ende hatte er dann sein eigenes Haus haben wollen. „Das stimmt. Ich habe beim Besten gelernt. Davon profitiere ich jetzt in Verona. Mehrere andere Hoteliers und ich haben uns zusammengetan, um mit Romeo und Julia für unsere Stadt zu werben.“

„Die Stadt der Liebenden“, meinte Damiano ironisch. „Das sollte dir gefallen. Wenn ich so an einige Geschichten denke, die ich über dich gehört habe.“

„Aber nicht mehr in letzter Zeit.“

„Das ist wahr. In den vergangenen zwei Jahren bist du zur Ruhe gekommen. Aber davor warst du ein ganz schöner Casanova.“

„Sind es nicht die meisten von uns, bevor wir die richtige Frau finden?“, fragte Mario.

„Da hast du wohl recht. Ich war auch kein Heiliger, bevor ich Sally kennengelernt habe. Aber du bist deiner Sally noch nicht begegnet. Was hat dich plötzlich so tugendhaft werden lassen?“

„Tugendhaft? Ich? Du brauchst mich nicht gleich zu beleidigen.“

„Dann scheint es nur so?“

„Nein, ich habe mich wirklich geändert. Nicht unbedingt zum Besseren.“

„Sag das nicht“, widersprach Damiano. „Du bist ein ernster, gesetzter, reifer …“

„Argwöhnischer, anspruchsvoller und manchmal fieser Kerl.“

„Warum machst du dich so schlecht?“

„Vielleicht weil ich mich besser kenne als sonst jemand. Ich bin nicht der nette Mensch, der ich einmal war. Wenn ich es je war.“

„Also was hat den Wandel bewirkt?“

Mario schlug seinem Bruder freundschaftlich auf die Schulter. „Frag nicht. Es ist eine lange Geschichte, an die ich mich nur ungern erinnere. Außerdem sollte ich jetzt los. Giorgio hat eine Journalistin engagiert, die die Werbung mit Romeo und Julia für uns umsetzen soll. Ich treffe sie nachher zum Abendessen.“

„Viel Glück.“

Nachdem sie sich zum Abschied umarmt hatten, schwang sich Mario hinters Steuer. Und auf der Fahrt nach Verona dachte er über Damianos Worte nach. Sein Bruder hatte keine Ahnung, dass dessen Heirat mit Sally vor vier Jahren einer der beiden Wendepunkte in seinem Leben gewesen war.

Sally hatte ihn stark angezogen. Er hatte diese Faszination bekämpft, indem er in Damianos Hotels in Rom, Florenz und Mailand gearbeitet hatte und bloß selten nach Venedig gekommen war.

Bis dahin hatte er unbekümmert gelebt. Er war ein charmanter, attraktiver junger Mann gewesen, der nie Probleme gehabt hatte, eine Frau zu erobern. Er hatte viele Freundinnen gehabt. Zu viele, wie er jetzt erkannte.

Zur Geburt von Damianos Sohn Franco war er nach Venedig zurückgekehrt und hatte erleichtert festgestellt, dass seine Gefühle für Sally nur noch freundschaftlicher Natur waren. Er hatte sich in seinem Job engagiert und zugleich das Leben genossen.

Dann war der andere große Wendepunkt eingetreten. Er war der Frau begegnet, mit der er für immer hatte zusammen sein wollen, die seinem Dasein Sinn verliehen hätte. Aber sein Traum war jäh zerplatzt, denn diese Frau hatte ihm von jetzt auf gleich den Rücken gekehrt. Er hatte eine trostlose Einsamkeit empfunden, die umso schrecklicher gewesen war, da er sich einer wunderbaren Zukunft so nahe geglaubt hatte.

Vor knapp zwei Jahren war ihm das Glück jedoch auf andere Weise hold gewesen. Er hatte das Hotel in Verona sehr günstig erwerben können, da der Vorbesitzer es unbedingt verkaufen wollte. Nun war er ein unabhängiger Hotelier, und wie es schien, zahlten sich seine Investitionen langsam aus. Er würde ein erfolgreicher Geschäftsmann werden, und dies würde ihn für den Schmerz und die Düsternis der Vergangenheit entschädigen.

„Es ist alles vorbereitet“, sagte Giorgio, nachdem er Mario in der Lobby begrüßt hatte.

„Ist die Engländerin eingetroffen?“

„Ja, vor rund einer Stunde. Allerdings hat die Agentur in ziemlich letzter Minute noch eine Änderung vornehmen müssen. Es ist nicht die angekündigte junge Frau, sondern deren Freundin. Aber sie wirkt sehr professionell“, erzählte Giorgio, während sie die Halle durchquerten.

„Ich freue mich schon darauf, sie gleich beim Abendessen kennenzulernen.“

„Wir können grundsätzlich jederzeit starten.“

Mario hörte seinem Publicity-Manager nicht mehr zu. Entgeistert schaute er die breite Treppe hinauf, die eine junge Frau gemächlich herunterging, während ihre Aufmerksamkeit den Bildern an der Wand galt. Als sie schließlich nach unten blickte, blieb sie so unvermittelt stehen, als würde sie ihren Augen nicht trauen.

Nein, das ist unmöglich, dachte Natasha entsetzt. Es konnte nicht Mario dort am Fuß der Treppe sein. Große Güte, doch, er war es! Und er wirkte, als würde er gerade seinen persönlichen Albtraum erleben. Schockstarre hielt sie gefangen, als er langsam auf sie zukam.

„Ich glaube … wir sind uns schon einmal begegnet“, meinte er zögerlich.

Diverse Antworten schwirrten ihr durch den Kopf. „Nein, noch nie“, hörte sie sich dann sagen, was ihn zweifellos überraschte. Bevor er aber etwas erwidern konnte, eilte Giorgio die Stufen herauf.

„Natasha, das ist Mario Ferrone, der Besitzer des Hotels und der Präsident der Comunità. Mario, dies ist Natasha Bates, die die Werbetrommel für unsere Stadt rühren wird.“

Er neigte leicht den Kopf. „Buongiorno, Signorina. Es freut mich, Sie kennenzulernen.“

„Ganz meinerseits.“ Auch sie deutete ein Nicken an.

„Reden wir beim Essen weiter“, schlug Giorgio vor und wies den Weg zu einem kleinen Nebenraum mit Blick auf die Etsch.

Kaum hatten sie sich an den Tisch beim Fenster gesetzt, kam ein Kellner herein und servierte das Essen. Was Natasha eine kleine Verschnaufpause gewährte, um sich von ihrem Schock zu erholen. Mario war noch immer umwerfend attraktiv. Allerdings schien sein Gesicht schmaler geworden zu sein, und die Züge energischer und reifer.

„Wie viel hat man Ihnen über Ihren Job gesagt?“, fragte Giorgio lächelnd, nachdem er ihnen Wein eingeschenkt hatte.

„Nur dass mehrere hiesige Hoteliers sich zusammengeschlossen haben und mit Romeo und Julia für Verona werben wollen.“

„Das stimmt. Die Touristikbehörde der Stadt macht ihre Sache zwar grundsätzlich sehr gut. Aber einige Hotelbesitzer wollen die berühmteste Lovestory der Welt noch als zusätzliches Aushängeschild nutzen.

Shakespeare hat die Geschichte von Romeo und Julia nämlich nicht erfunden. Es hat die Familien Montague und Capulet wirklich gegeben. Und sie hatten tatsächlich Kinder, die sich ineinander verliebt haben und gestorben sind. Das Ganze hat sich im frühen vierzehnten Jahrhundert ereignet. In den folgenden zweihundert Jahren wurde die Story immer wieder erzählt, bis Shakespeare sie dann schließlich in dem Theaterstück verarbeitet hat. Die Touristen kommen her, um Julias Balkon zu sehen und sich vorzustellen, wie sich die Szene abgespielt hat.“

„Nicht dass sie dort stattgefunden hat“, sagte Mario trocken. „Das Haus gehörte einer Familie Capello, und der Balkon wurde vor weniger als hundert Jahren von der Stadt angebaut.“

„Aber wenn dies bekannt ist …“

„Natürlich ist es das, wird jedoch ignoriert“, erklärte Giorgio heiter. „Die Leute neigen oft dazu, nur das zu glauben, was sie glauben wollen.“

„Wie wahr“, pflichtete Natasha ihm leise bei. „Deshalb kann man uns alle auch so leicht täuschen.“ Sie hatte nicht unmittelbar zu Mario gesprochen, hatte aber das Gefühl, dass er sie genauso angespannt beobachtete wie sie ihn.

„Und das können wir nutzen“, meinte Giorgio. „Julias Balkon, Julias Grab, an dem sich Romeo umgebracht hat, weil er ein Leben ohne sie nicht ertragen konnte, und wo sie sich aus demselben Grund getötet hat. Ist es wahr? Das wird es sein, wenn wir es wollen.“

„Oh, ja“, erwiderte Natasha grüblerisch. „Wahr, wenn wir es wollen. Bis wir eines Tages damit konfrontiert sind, dass es das nicht ist. Auch wenn wir es uns anders wünschen.“

„So ist das Showgeschäft“, antwortete Giorgio. „Man erschafft Fantasien, die die Leute glücklich machen.“

„Was könnten wir mehr wollen?“ Mario trank einen Schluck Wein und wandte sich dann plötzlich an sie. „Erzählen Sie uns etwas über sich, Signorina.“

Natasha blickte ihn an. „Entschuldigung, was haben Sie gesagt?“

„Ich sagte, ich würde gern etwas über Sie erfahren. Bestimmt gibt es vieles, was Sie uns erzählen könnten. Haben Sie familiäre Verpflichtungen? Können Sie einige Wochen hier in Verona bleiben, oder werden Sie zu Hause von jemandem vermisst?“

„Bei einer solch bezaubernden jungen Frau kann es nicht anders sein. Sie dürfte von Männern zuhauf verfolgt werden.“

„Was nicht heißt, dass ich sie an mich herankommen lasse“, meinte Natasha neckend zu Giorgio.

„Manche Frauen sind gut darin, sich unsichtbar zu machen“, warf Mario ein.

„Natürlich“, pflichtete Giorgio ihm bei. „Genau darin besteht die Kunst. Die Bewunderer nicht nahe genug herankommen zu lassen, sodass sie die Gefühle und Gedanken erkennen.“ Giorgio fasste Natashas Hand und hauchte einen Kuss darauf. „Signorina, wie ich sehe, sind Sie eine Expertin darin, ihre Verehrer rätseln zu lassen.“

„Aber worüber rätseln sie?“, fragte Mario. „Wird einer von ihnen hier auftauchen und seine Rechte einfordern?“

„Welche Rechte? Sie ist nicht verheiratet.“

„Das ist nicht von Belang. Man muss nur Romeo und Julia lesen, um festzustellen, dass Männer und Frauen diese Entscheidung schon bei der ersten Begegnung treffen können. Und niemand wagt es, ihnen im Weg zu stehen.“

„Wenn Menschen Verrat befürchten, können sie gewalttätig werden“, erwiderte Giorgio.

Natasha nickte. „Und wenn sie sicher sind, dass sie verraten wurden, weiß keiner, wie weit sie gehen würden, um es den anderen bereuen zu lassen“, antwortete sie nachdenklich und schaute Mario an. Ja, er hatte ihre Botschaft verstanden, denn er sah kurz beiseite. Auch klang er herausfordernd geschäftsmäßig, als er sich schroff erkundigte:

„Sollten wir also damit rechnen, dass ein eifersüchtiger Geliebter Ihnen hierher folgt?“

„Im Gegenteil.“ Sie blickte ihn genauso feindselig an wie er sie. „Sie können sicher sein, dass mich nichts und niemand dazu bringen wird abzureisen, bevor der Job erledigt ist“, erklärte sie ruhig. „Anders als so manche Menschen sage ich ehrlich, was meine Absichten sind. Ich mache keine Versprechen und breche sie dann.“

„Danach habe ich nicht wirklich gefragt.“

Nein, du hast wissen wollen, ob ich die Frechheit besessen habe, dich durch jemand anderes zu ersetzen, dachte sie und lächelte selbstbewusst. „Seien Sie versichert, dass ich ungebunden bin. Kein Mann erzählt mir, was ich zu tun habe, und sollte es jemand versuchen …“, sie beugte sich etwas näher zu ihm, „… würde ich dafür sorgen, dass er es bereut, mich kennengelernt zu haben. Darin bin ich gut.“

„Das glaube ich Ihnen sofort.“

Neugierig sah Giorgio von einem zum anderen. „Kennen Sie beide sich bereits?“

„Nein“, erwiderte Natasha schnell, bevor Mario etwas sagen konnte.

„Wirklich nicht? Mir ist, als würde ich einen Fechtkampf erleben.“

„So macht es größeren Spaß“, erklärte sie gelassen. „Erzählen Sie mir etwas über Verona. Es sei denn, natürlich, Mr. Ferrone möchte mich jetzt lieber nicht mehr engagieren. Dann packe ich meine Sachen und reise ab. Soll ich?“ Natasha rückte mit ihrem Stuhl zurück, um sich zu erheben, aber Mario hielt sie davon ab.

„Dazu besteht kein Grund. Wenden wir uns der Arbeit zu.“

„Ja, nur sie ist wichtig.“ Natasha setzte sich wieder richtig hin.

Einen Moment lang ließ er die Hand noch auf ihrem Arm liegen. „Also sind wir uns einig, und Sie bleiben?“

„Ja, das tue ich.“

2. KAPITEL

Natasha legte das Besteck beiseite und blickte Giorgio an, der nach besten Kräften seinen Charme versprühte. „Sie sind als Publicity-Manager für das Projekt verantwortlich. Wie lauten Ihre Anweisungen für mich?“

„Wir sollten uns zunächst die für Romeo und Julia wichtigen Orte ansehen. Vor allem den Balkon. Inzwischen kann man sogar in Julias Haus heiraten. Danach geht das Brautpaar dann immer auf den Balkon, wo Fotos geschossen werden.“

„Sehr praktisch.“ Natasha holte einen Block aus der Handtasche und fing an, sich Notizen zu machen. „Die Balkonszene ist der berühmteste Teil des Theaterstücks.“

„Ja. Die Leute lieben es, sich Julia vorzustellen, wie sie dort steht und sehnsüchtig fragt: ‚Wo bist du, Romeo?‘“

„Das ist nicht ganz richtig. Das alte englische Wort bedeutet nicht ‚wo‘, sondern ‚warum‘. Sie sagt eigentlich: ‚Warum bis du Romeo? Ein Montague und somit mein Feind?‘“

Giorgio lächelte sie gewinnend an. „Ich habe gleich gewusst, dass Sie für den Job wie geschaffen sind, Natasha. Sie sind nicht nur eine bezaubernde junge Frau, sondern auch noch eine Shakespeare-Expertin. Oh, entschuldigen Sie mich einen Moment“, meinte er dann und stand auf, als ein Mann auf der Türschwelle erschien und ihm bedeutete, dass er mit ihm sprechen wolle.

„Nimm dich vor Giorgio in Acht“, warnte Mario sie, nachdem er ihr Wein nachgeschenkt hatte. „Er ist ein ausgemachter Charmeur.“

„Natürlich. Es gehört zu seiner Show. Das ist völlig okay.“

„Solange du dich nicht einwickeln lässt.“

„Nein. Mittlerweile kann mich nichts und niemand mehr täuschen.“

Mario prostete ihr zu. „Das ist vielleicht ein Zufall. Ich frage mich, wer von uns beiden geschockter war.“

„Das werden wir nie wissen.“

„Vorhin hast du sehr energisch erklärt, dass wir uns nicht kennen.“

„Hättest du etwas anderes gesagt?“

„Nein. Allerdings hätte ich es wohl nicht so schnell und nachdrücklich behauptet. Du hast es bestritten, als würde dein Leben davon abhängen.“

„Aber wir haben uns nicht gekannt“, erwiderte Natasha. „Wir haben geglaubt, es zu tun, uns jedoch geirrt. Du hast gemeint, ich wäre leicht an der Nase herumzuführen. Sonst hättest du deine Zeit nicht mit mir verschwendet. Du hast nicht damit gerechnet, dass Tania auftauchen und mir zeigen würde, wie du wirklich bist.“

„Es stimmt, dass ich eine Beziehung mit Tania hatte. Aber sie war bereits vorbei.“

„So? Ich schätze, dass sie diese Ansicht nicht geteilt hat. Deshalb hat sie sich betrogen gefühlt, als sie uns miteinander gesehen hat. Nein, du hattest vor, mich abzuschieben. Weshalb du davon geredet hast, dass du mir etwas sagen müsstest, es jedoch nicht leicht sei. Aber es ist nie leicht, jemandem den Laufpass zu geben, oder?“

Mario wurde blass. „Nein? Du hast es jedenfalls problemlos geschafft.“

„Ja, denn du hast mir einen triftigen Grund geliefert.“

„Aber wie du es getan hast … Du bist spurlos verschwunden, damit ich dich nicht finden konnte. Kannst du dir vorstellen, was ich durchgemacht habe? Es war, als würde man einen Geist suchen. Ich bin fast verrückt geworden, weil du mir jede Chance genommen hast, dir zu erklären …“

„Mir was zu erklären? Dass du mit mir gespielt hast? Wärst du der Mann gewesen, für den ich dich gehalten habe …“ Sie hielt kurz inne. „Lassen wir es gut sein. Du warst nicht der Mann und konntest es nie sein. Es ist am besten, wenn wir Fremde bleiben.“

„Bleiben?“, wiederholte er scharf und fuhr dann in sarkastischer, bitterer Akzeptanz fort: „Ja, wir waren immer Fremde, oder?“

„Wir waren es und werden es immer sein. Das ist eine ausgezeichnete geschäftliche Basis.“

„Und du bist eine Geschäftsfrau?“

„Sehr richtig. Genau die bin ich. Verstanden?“

Mario nickte. „Verstanden.“

„Von jetzt an geht es nur ums Geschäft. Die Vergangenheit hat es nicht gegeben. Sie war eine Sinnestäuschung.“

„Eine Sinnestäuschung. Ja, das habe ich gedacht, als du dich in Luft aufgelöst hast. Und jetzt bist du genauso plötzlich wieder aufgetaucht.“

„Eine weitere Sinnestäuschung. Ich bin nicht wirklich da.“

„Wenn ich wegsehe, verschwindest du also wieder?“

„Vielleicht sollte ich es tun“, erwiderte Natasha trocken.

„Nein! Nicht noch einmal. Denk nicht einmal daran. Verstanden?“

„Ja, verstanden.“

„Versprich mir, dass du bleibst.“

„In Ordnung.“

„Bei deiner Ehre.“

„Sieh mal …“

„Sag es“, forderte Mario sie auf. „Beweis mir, dass ich dir zumindest dieses Mal vertrauen kann.“

„Dass du mir dieses Mal vertrauen kannst? Als wäre ich diejenige gewesen, die dich getäuscht hat … Du hast vielleicht Nerven!“

„Giorgio kommt zurück … Lächle.“

Natasha riss sich zusammen, erhob sich aber sofort, als Giorgio beim Tisch war. „Ich gehe schlafen. Es war heute ein langer Tag.“

„Sie haben recht“, meinte Mario. „Ruhen Sie sich aus. Wir treffen uns morgen früh um neun zum Frühstück.“

Giorgio blickte ihr nach und setzte sich. „Was ist da zwischen Ihnen los?“, fragte er Mario. „Sie reagieren irgendwie seltsam aufeinander. Für einen Moment habe ich wirklich gedacht, dass zwischen Ihnen etwas gewesen ist.“

„Nein, nichts. Sie müssen sich täuschen.“

„Schade. Die Liebe zwischen Romeo und Julia stand unter keinem guten Stern. Es wäre doch interessant, wenn ein anderes Paar diese Geschichte vermarktet. Letztlich haben es zwei Menschen nicht in der Hand, wenn sie zwar füreinander bestimmt sind, aber nicht zueinanderfinden können. Sie sollten die gemeinsame Zeit genießen, solange sie dauert, und danach akzeptieren, dass das Schicksal gegen sie ist.“

„Gibt man damit nicht zu leicht auf?“

„Romeo und Julia mussten es akzeptieren.“

„Und dann sind sie gestorben.“

„Ja, sie sind aus dem Leben geschieden. Aber das passiert für gewöhnlich nicht. Manchmal sterben die Menschen einfach innerlich.“

„Das ist wahr“, erwiderte Mario leise.

„Ich werde alle Mitglieder der Comunità kontaktieren und ein Treffen vereinbaren. Sie werden Natasha lieben. Mit ihr haben wir die richtige Person gefunden. Finden Sie nicht auch?“

Mario nickte. „Die richtige Person. Zweifelsohne.“ Er erhob sich. „Aber jetzt sollte ich ebenfalls los. Ich habe nach meiner Abwesenheit einiges aufzuarbeiten.“ Vor allem aber wollte er Giorgios zu scharfem Blick entkommen.

Eilig ging er nach oben, blieb jedoch vor seinem Apartment noch einmal stehen. Nachdenklich sah er zu der gegenüberliegenden Tür, die zu Natashas Zimmer gehörte, und fragte sich, was wohl dahinter geschah.

Der heutige Abend hatte stark an seinen Nerven gezerrt. Die bezaubernde Natasha von einst schien es nicht mehr zu geben. Jetzt war sie hauptsächlich die herzlose Frau, die verschwunden war, ohne ihm die Chance einzuräumen, sich zu verteidigen. Die Frau, die er wochenlang verzweifelt zu erreichen versucht hatte, bis er erkannt hatte, dass es zwecklos war. Und ihr Verhalten ihm gegenüber zeigte, dass sie ihren Triumph genoss.

Ein vernünftiger Mann hätte sie weggeschickt. Stattdessen hatte er sie sogar daran gehindert, abzureisen. Er wusste nicht, was ihn dazu getrieben hatte, und wollte es auch nicht ergründen.

Mario wandte sich um. Vielleicht würde er im Hotelgarten etwas Ruhe finden.

Natasha lief in ihrem Zimmer auf und ab. Sie war viel zu angespannt, um schlafen zu können. Mario hatte ihr vorgeworfen, sie hätte ihm keine Gelegenheit gegeben, sich zu verteidigen. Damit hatte er einen wunden Punkt berührt.

Warum hatte sie es nicht gemacht? Weil sie die Tochter ihrer Mutter war und deren Warnungen verinnerlicht hatte. Wieder und wieder hatte diese ihr erzählt, keinem Mann zu trauen. Dass sie den fadenscheinigen Erklärungen der Männer nicht glauben solle, denn sie seien bloß Lügen und würden sie noch mehr leiden lassen. Sie solle ihnen nie eine zweite Chance einräumen und sie erst gar nicht erklären lassen.

Sie war vor Mario geflohen, weil sie Angst gehabt hatte zu hören, was er zu sagen hatte. Das Schlimmste anzunehmen war ihr sicherer vorgekommen. Hatte sie damals das Richtige getan? Wie es schien, hatte er ebenfalls gelitten.

„Lass gut sein. Was geschehen ist, ist geschehen. Es ist vorbei.“

Energisch ging Natasha ins Bad, um zu einem pflanzlichen Schlafmittel zu greifen. Im letzten Jahr hatte sie oft nachts wach gelegen und sich manchmal damit geholfen. Sie wollte sich die nächsten Stunden nicht den Kopf über Mario zerbrechen. Außerdem musste sie morgen topfit sein.

Dann trat sie noch einen Moment hinaus auf den Balkon und ließ den Blick über den Hotelgarten zum glitzernden Wasser der Etsch schweifen. Und plötzlich fühlte sie sich Julia ganz nah, die sich nach dem Mann gesehnt hatte, an den sie ihr Herz verloren hatte, bevor sie gewusst hatte, wer er war. Als sie gemerkt hatte, dass sie sich in einen Feind verliebt hatte, war es zu spät gewesen.

„Zu spät“, sagte Natasha leise. „Ihm wieder zu begegnen war das Letzte, was ich wollte. Ich bin hergekommen, um neu anzufangen. Warum bist du es denn, Mario? Aber du musstest es sein, oder? Wenn ich mich darauf freue, neue Leute kennenzulernen, musst du auftauchen. Warum tust du das?“

Entsetzt wurde ihr bewusst, dass sie in ihrer Aufgewühltheit ihre Gedanken ausgesprochen hatte und zog sich schnell in ihr Zimmer zurück.

Reglos stand Mario unter einem Baum im Hotelgarten und beobachtete, wie Natasha den Balkon verließ. Es war fast dunkel. Sie hatte so leise geredet, dass er nicht sicher war, ob er richtig gehört hatte. Glaub nicht, was du gern glauben möchtest, ermahnte er sich, das ist gefährlich und endet womöglich in Ernüchterung. Und du hast dir geschworen, in Zukunft klüger zu sein, rief er sich zur Vernunft und wandte sich energisch um.

Mario runzelte die Stirn, als er am nächsten Morgen zum Frühstück erschien und nur Giorgio am Tisch sitzen sah. „Wo ist sie? Ich habe neun Uhr gesagt.“

„Seien Sie nicht so streng. Es ist erst kurz nach neun. Sie ist kein Roboter, sondern eine bezaubernde junge Frau.“

„Sie ist eine Angestellte, die sehr gut bezahlt wird. Wofür ich Pünktlichkeit erwarte und dass sie sich nach meinen Wünschen richtet. Würden Sie bitte in ihrem Zimmer anrufen.“

„Das habe ich in der letzten halben Stunde wiederholt getan. Vielleicht möchte sie nicht mit uns sprechen.“

Oder sie kann es nicht, meldete sich eine innere Stimme in Mario zu Wort. Gestern Abend hatte sie sich selbstbewusst gezeigt. Aber er hatte auch eine gewisse Unruhe und Unbehaglichkeit gespürt. Außerdem hatte es einen Moment gegeben, als sich in ihren Augen eine ähnliche Verletztheit gespiegelt hatte, wie er sie empfand. Und auf dem Balkon hatte sie irgendwie gehetzt und zerbrechlich gewirkt.

„Ich könnte hinaufgehen und bei ihr klopfen“, schlug Giorgio vor.

„Bleiben Sie hier, ich schaue mal nach, wo sie ist.“

Mario holte den Generalschlüssel aus seinem Büro. Wenig später verschaffte er sich Zutritt zu ihrem Zimmer, nachdem er umsonst geklopft hatte. Hoffentlich war ihr nichts zugestoßen.

Natasha lag so still im Bett, dass er besorgt zu ihr eilte. Erleichtert sah er dann, dass sie atmete. Und jetzt verschwinde wieder, bevor sie dich bemerkt, ermahnte er sich, konnte sich aber von ihrem Anblick nicht losreißen.

Er ging in die Hocke, um sie aus nächster Nähe zu betrachten. Ihre herrlichen Haare bedeckten das halbe Kopfkissen, und ihre bezaubernden Gesichtszüge waren entspannt. Einst hatte er davon geträumt, neben ihr aufzuwachen. Er beugte sich noch etwas tiefer zu ihr, bis er ihren Atem auf der Haut spüren konnte.

War er verrückt geworden? Ein kluger Mann würde schleunigst den Raum verlassen. Aber das war er nicht. Er war ein Mann, der von widersprüchlichen Wünschen beherrscht wurde.

Natasha drehte sich etwas, wodurch die Decke verrutschte und Mario offenbarte, dass sie nackt schlief. Wie oft hatte er sich in der Vergangenheit danach gesehnt, sie so zu sehen.

Er hatte gehofft, dass der Abend an jenem Tag in Venedig damit endete, dass sie einander eroberten und liebten. Aber dann war die Katastrophe über ihn hereingebrochen und hatte sein Leben zerstört.

Natasha bewegte sich erneut und streckte die Arme in seine Richtung aus, sodass er eilig zurückweichen musste. Wenn er nicht von ihr ertappt werden wollte, musste er rasch verschwinden, denn sie schien langsam aufzuwachen. Endlich siegte die Vernunft, und er stahl sich schnell aus dem Zimmer.

Auf dem Flur lehnte er sich erst einmal gegen die Wand und atmete tief durch. Schließlich war er zurück in der realen Welt und wieder völlig Herr über sich selbst. Und der wirst du auch bleiben, schwor er sich, während er zu Giorgio zurückkehrte.

„Haben Sie sie gefunden?“

Mario zuckte die Schultern. „Ich habe nicht großartig nach ihr gesucht. Vielleicht rufen Sie noch einmal an.“

Giorgio wählte die Nummer und hatte Natasha nach wenigem Läuten am Apparat. „Dem Himmel sei Dank. Wo waren Sie denn? … Wie bitte? … Wissen Sie nicht, wie spät es ist? In Ordnung, ich sage es Mario. Aber beeilen Sie sich.“ Er trennte die Verbindung. „Sie hat verschlafen.“

„Womöglich war der Reisetag sehr anstrengend.“ Mario schenkte sich Kaffee ein. „Außerdem ist es in England jetzt eine Stunde früher.“

Giorgio lachte. „Ich glaube viel eher, dass sie die Nacht nicht allein verbracht hat. Als ich sie gestern begrüßt habe, hat sie jede Menge Blicke auf sich gezogen. Vermutlich erzählt sie ihrem Liebhaber gerade, dass er schnellstmöglich ihr Zimmer verlassen soll …“

Verflixt, ich hätte das Schlafmittel nicht nehmen sollen, dachte Natasha. Zwar hatte sie nicht wach gelegen und sich den Kopf über Mario zerbrochen, doch am Ende hatte er sie in ihre Träume verfolgt. Sie hatte sein Gesicht dicht vor sich gesehen, und es war ihr gewesen, als hätte er sie intensiv betrachtet.

„Ich komme einfach nicht von ihm los“, sagte sie verzweifelt, als sie ins Bad eilte. „Wird mir das je gelingen?“

In einem Hosenanzug und mit Knotenfrisur erschien sie schließlich in dem kleinen Nebenraum. „Bitte entschuldigen Sie meine Verspätung. Ich war offenbar müder, als mir bewusst war.“

„So ein Reisetag ist anstrengend“, erwiderte Giorgio galant. „Ich kümmere mich um Ihr Frühstück.“ Er stand auf. „Möchten Sie Tee oder Kaffee?“

„Kaffee bitte. Und vielen Dank.“

„Stets gern zu Diensten.“

„Ich bin froh, dass wir einen Moment allein sind, Mario“, meinte Natasha. „So können wir ehrlich miteinander reden. Gestern Abend hast du erklärt, ich solle bleiben. Willst du das wirklich? Wärst du nicht besser dran ohne mich?“

„Wäre ich dieser Auffassung, hätte ich es gesagt.“

„Aber stell dir die Situation einmal vor. Wir müssen tagtäglich miteinander umgehen und so tun, als würden wir uns mögen. Das willst du doch sicher nicht? Du hast jetzt die Möglichkeit, mich loszuwerden.“

„Was ist mit dir? Willst du weglaufen?“

„Ich komme schon klar.“

„Aber du glaubst, ich nicht. Vielen Dank für das Vertrauen. Wir sind beide Profis. Die Zusammenarbeit wird funktionieren.“

„Du hast recht. Also abgemacht.“ Natasha streckte ihm die Hand entgegen, und er schlug ein.

„Abgemacht. Und ich sollte dich vielleicht vor Giorgios zuweilen ziemlich ausgefallenen Fantasien warnen. Er denkt nämlich, dass du die Nacht mit einem Liebhaber verbracht und deshalb verschlafen hast.“

„Wie bitte? Ich habe ein pflanzliches Schlafmittel geschluckt, um nach dem anstrengenden Tag schlafen zu können. Ein Liebhaber? Ich bin doch gerade erst ein paar Stunden hier.“

„Giorgio sieht in dir eine Frau, die in kürzester Zeit die Männer anzieht.“

„So eine Frechheit!“

„Er meint es als Kompliment.“

Natasha runzelte die Stirn und lachte dann. „Ich werde ihn zu nehmen lernen“, erwiderte sie, als Giorgio mit dem Kaffee erschien.

„Während Sie Ihr Frühstück genießen, organisiere ich Ihnen einen Stadtplan von Verona.“

„Das ist nicht nötig, Giorgio, ich habe mir gestern einen am Flughafen gekauft, um mich vorzubereiten.“ Sie holte ihn aus der Handtasche. „Je besser man plant, umso leichter ist das Leben.“

„Stimmt“, bestätigte Mario. „Es gibt jedoch Dinge, die man nicht planen kann.“

„Ja, und man kann sie auch nicht immer im Voraus erahnen. Man kann es versuchen, aber …“ Natasha zuckte die Schultern.

„Aber man wird immer von ihnen überrascht“, sagte Mario leise.

„Nicht immer. Nur manchmal. Man ist am besten vorbereitet.“

Neugierig blickte Giorgio von einem zum anderen. „Dann sollten wir uns an die Planung machen. Ich habe die anderen Mitglieder der Comunità kontaktiert, und sie brennen darauf, Sie kennenzulernen. Wir sind heute Abend alle zum Essen im Albergo Splendido eingeladen.“ Er lächelte Natasha an. „Es wird Ihr großer Auftritt werden.“

„Dann sollte ich mir als Erstes Verona anschauen, damit ich weiß, wovon ich spreche, und wie eine Expertin klinge.“

„Ich werde Sie herumführen. Wir werden bestimmt viel Spaß haben.“

„Zunächst würde ich gern zu Julias Haus in der Via Capello, anschließend zu dem Haus, in dem die Montagues lebten. Und ich möchte auch das Grab sehen. Danach kann ich mein Konzept ausarbeiten.“

„Direkt nach dem Frühstück brechen wir auf“, erwiderte Mario.

3. KAPITEL

Aufmerksam blickte Natasha aus dem Fenster und sog die Atmosphäre der geschichtsträchtigen Stadt ein, während der Chauffeur den Wagen durch Veronas Straßen steuerte. Im Flugzeug hatte sie schon ein wenig über die Stadt und ihre über zweitausend Jahre alte Geschichte gelesen. Einige Bauwerke aus der Römerzeit waren bis heute erhalten. Unter anderem das Amphitheater, in dem damals Gladiatorenkämpfe stattgefunden hatten.

„Wir biegen gerade in die Via Capello ein und kommen gleich zu Julias Haus“, meinte Mario.

Wenig später setzte der Fahrer sie vor einem Torbogen ab, und sie schlenderten mit vielen anderen Leuten in den Innenhof. Mit leuchtenden Augen schaute Natasha zu dem Balkon hinauf.

„Er ist bezaubernd und passt so perfekt zu dem Haus, dass man sich Julia leicht darauf vorstellen kann.“

„Sie steht tatsächlich dort drüben.“ Giorgio deutete zu einer Statue in der Nähe des Balkons.

Natasha beobachtete, wie mehrere Frauen und schließlich auch ein Mann zu der Bronzeplastik hingingen und ihr an die Brust fassten.

„Das ist Tradition und soll Glück bringen“, erklärte Mario. „Deshalb ist dieser Teil der Statue auch so blank, weil er sehr oft berührt wird. Die Leute suchen den direkten Kontakt, denn sie sehen in ihr eine Frau, die mehr über die Liebe weiß als sonst jemand auf der Welt.“

„Vielleicht stimmt es“, erwiderte Natasha leise. „Aber sie kennt nicht nur die Liebe, sondern auch das Leid.“

Sie schlenderte zu der Plastik und blieb ganz in der Nähe stehen. Währenddessen kam eine junge Frau, berührte Julia, schloss die Augen und sagte etwas. Schließlich öffnete sie sie wieder und trat lächelnd von der Statue zurück. Offensichtlich hatte sie den Eindruck, sie hätte eine Antwort erhalten.

Wenn es bloß so einfach wäre, dachte Natasha. Könnte Julia ihr wirklich antworten, würde sie mit ihr über ihre Verwirrung und ihre Gefühle reden und sie fragen, was sie empfinden sollte. Aber Julia konnte ihr nicht helfen, denn es gab sie nicht. Sie hatte nie gelebt, zumindest nicht so, wie die Leute es sich vorstellten. Und die Liebe, die sie verkörperte, war nur eine Illusion.

Natasha wandte sich um und sah Mario auf sich zukommen. „Hast du mit Julia gesprochen?“ Er hob eine Braue.

„Nein. Sie ist ein Fantasieprodukt. Nichts weiter.“

„Was für eine nüchterne Einstellung.“

„Ich bin ein nüchterner Mensch und froh darüber. Es ist nützlich.“

„Aber wenn du die romantische Geschichte vermarkten willst, solltest du nicht besser an sie glauben?“

Natasha lächelte leicht ironisch. „Man muss nicht an etwas glauben, um andere davon zu überzeugen, dass es wahr ist.“

„Ich frage mich, ob du recht hast?“

Ärger stieg in ihr auf und ließ sie spontan erwidern: „Du weißt, dass ich recht habe. Es ist letztlich bei uns allen so.“

„Du … bist also härter geworden?“

„Um einiges. Deshalb nimm dich in Acht.“

„Das musst du mir nicht sagen.“

„Du bist also schon beunruhigt. Prima.“

Einen verrückten Moment lang war er versucht, ihr seine Gefühle zu offenbaren, die er gehabt hatte, als er sie im Hotel auf der Treppe gesehen hatte. Ihr Anblick hatte ihn entzückt, wie er es immer getan hatte und weiterhin tat. Aber gleichzeitig hatten auch Alarmglocken in seinem Kopf zu schrillen begonnen und ihn gewarnt, dass sie nichts Gutes für ihn bedeutete.

„Und ich bin nicht die Einzige, die härter geworden ist, oder?“

„Stimmt, ich bin es ebenfalls. Das nennt man Überleben.“

„Genau. Solange das uns beiden klar ist, gibt es kein Problem. Und jetzt muss ich mich auf meine Arbeit konzentrieren.“

„Ja, schauen wir uns weiter um“, meinte Mario, als Giorgio sich zu ihnen gesellte und jemand rief:

Buongiorno, amici!

„Amadore!“ Giorgio streckte ihm die Hand entgegen.

Die drei Männer begrüßten sich auf Italienisch, und dann wandte sich Giorgio an Natasha. „Natasha, dies ist Amadore Finucci, ein Mitglied der Comunità. Amadore, dies ist Natasha Bates. Sie spricht kein Italienisch.“

„Miss Bates, ich freue mich, Ihre Bekanntschaft zu machen“, sagte er auf Englisch und deutete einen Handkuss an.

„Ganz meinerseits. Und nennen Sie mich Natasha.“

„Vielen Dank … Natasha. Wann sind Sie angekommen?“

„Gestern“, antwortete Giorgio. „Wir sehen uns heute Abend zum Essen in Ihrem Hotel, nicht wahr? Ihr Vater hat alle eingeladen.“

„Ja, ich weiß. Leider muss ich mich jetzt gleich wieder verabschieden. Aber ich freue mich schon auf das Dinner.“

Nachdem er gegangen war, bemerkte Natasha, dass Mario die Stirn runzelte. „Sie sind nicht froh über die Einladung, oder?“

„Er ist missgünstig, weil Amadores Hotel eines der luxuriösesten in Verona ist.“

„So ein Unsinn. Allerdings beneide ich ihn um die unerschöpflichen finanziellen Mittel, die er zur Verfügung hat.“

„Sein Ballsaal ist unglaublich.“

„Ballsaal?“, meinte Natasha. „Romeo und Julia haben sich in einem Ballsaal kennengelernt. Haben Sie einen Ballsaal, Mario?“

„Nein, und auch keines der anderen Hotels.“

„Das bringt mich auf eine Idee. Können wir zum Hotel zurückkehren? Ich muss mich an die Arbeit machen.“

„Wollen wir nicht mehr zu Romeos Haus?“, erkundigte sich Giorgio.

„Heute nicht. Ich habe jetzt etwas Dringenderes zu tun. Könnten Sie mir bitte eine Liste der Mitglieder der Comunità und ihrer Hotels mit deren Besonderheiten zusammenstellen? Dann kann ich mir ein besseres Bild machen und die Möglichkeiten einschätzen.“

„Natürlich“, antwortete Giorgio und sagte auf dem Weg zum Auto leise zu Mario: „Eine Frau, die weiß, was sie will. Vielleicht sollten wir uns vorsehen.“

„Streichen Sie das ‚vielleicht‘“, erwiderte Mario grimmig.

Kaum saßen sie im Wagen, holte Natasha den Notizblock aus der Handtasche. Sie schrieb ohne Ende, um all die Ideen festzuhalten, die ihr in den Sinn kamen.

„Wir sind da“, informierte Mario sie schließlich, der sie aufmerksam beobachtet hatte.

„Wie wäre es, wenn wir uns in einer halben Stunde zum Mittagessen treffen?“, schlug Giorgio vor, während sie ausstiegen.

„Nein danke. Wären Sie jedoch so nett, mir einen Imbiss nach oben zu schicken?“

„Aber …“

„Ich möchte meinen Faden nicht verlieren“, erklärte Natasha lächelnd und eilte davon.

In ihrem Zimmer vertiefte sie sich gleich wieder in die Arbeit und registrierte erst beim zweiten Mal so richtig, dass jemand an die Tür klopfte. „Entschuldigung, ich habe …“, sagte sie beim Öffnen und schwieg, als sie Mario mit einem Servierwagen auf dem Flur stehen sah.

„Das Essen, Signorina.“

Mit großen Augen verfolgte sie, was er für sie auftischte.

„Giorgio hat den Küchenchef angewiesen, sich anzustrengen, damit du auch sicher hierbleibst. Es gibt Chicorée-Risotto, Tiramisu und Prosecco.“

Es war ihr Lieblingsgetränk, das er oft für sie in Venedig bestellt hatte. Er hatte es nicht vergessen.

„Es schmeckt ausgezeichnet“, meinte sie beim Essen.

„Ich werde das Lob an Giorgio weiterleiten. Und hier sind die Informationen, um die du gebeten hast.“

Kurz blätterte sie darin. „Dieser Amadore kommt offenbar aus dem größten und besten Hotel, dem Albergo Splendido.“

„Es war einst ein Palast und wird dir gefallen. Du machst übrigens großen Eindruck.“

„Amadore schien es zweifellos so zu empfinden.“

„Nimm ihn nicht zu ernst. Er flirtet mit jeder Frau, der er begegnet.“

Natasha lachte auf. „Du hast mich vor Giorgio gewarnt und jetzt vor Amadore. Aber das ist nicht nötig. Ich erkenne, wenn ein Mann schauspielert und den romantischen Italiener gibt, weil er glaubt, eine Engländerin würde sich an der Nase herumführen lassen. Es stört mich nicht, und er ist charmant. Doch denk nicht, dass ich darauf hereinfalle.“

„Ich hätte vermutlich wissen müssen, dass du so reagierst“, erwiderte Mario schroff. „Ich frage mich, ob du je auf etwas hereinfällst.“

„Heutzutage nicht mehr. Nie wieder.“

„Und du meinst, das wäre bewundernswert?“

„Ich halte es für sicher.“

„Und Sicherheit ist wichtiger als alles andere? Egal, wem du wehtust.“

Ärger stieg in ihr auf. „Wem ich wehtue? Hast du das wirklich gesagt? Nach dem, was du gemacht hast?“

„Ich hatte nicht das gemacht, was du glaubtest, und ich hätte es erklären können. Aber du bist verschwunden, ohne mir die Chance dazu zu geben.“

„Ich weiß, was ich gesehen habe.“

„Warum willst du nicht erkennen, dass du das, was du gesehen hast, falsch gedeutet hast? Ja, ich hatte eine Affäre mit Tania. Ich bin kein Heiliger und habe nie behauptet, einer zu sein. Es war eine lockere Beziehung, und ich bekam immer mehr das Gefühl, dass ich sie beenden musste. In meinem Leben hatte sich etwas verändert. Ich war dir begegnet, und nichts war mehr, wie es vorher war. Ich musste mich der Tatsache stellen, dass ich dich wollte, und nicht sie.

An jenem Tag habe ich Tania gesagt, dass es zwischen uns vorbei wäre. Aber sie wollte es nicht wahrhaben. Sie ist mir gefolgt und hat uns zusammen gesehen. Ich habe mit ihr geredet und probiert, ihr klarzumachen, dass es mir leidtut, sie verletzt zu haben. Sie hat mich angeschrien und ist davongelaufen. Dann bin ich zu unserem Tisch zurückgekehrt und wollte dir alles erklären, aber du warst nicht mehr da.

Ich habe dich angerufen, doch du hattest das Handy abgeschaltet. Als ich ins Hotel gekommen bin, hattest du es kurz vorher verlassen. Ich habe immer wieder versucht, dich zu erreichen. Auf dem Handy, per E-Mail, unter deiner Adresse. Aber du hattest alle Kontaktmöglichkeiten unterbunden. Es war, als hättest du aufgehört zu existieren.“

„Genau. Ich hatte aufgehört zu existieren. Die naive, törichte Frau hatte sich in Luft aufgelöst“, erwiderte Natasha. „An ihre Stelle ist jetzt eine andere Frau getreten, und die ist misstrauisch, schwierig und zahlt mit gleicher Münze heim. Diese Frau ist ziemlich hart, und du wirst sie nicht mögen. Sei klug und werde sie los.“

„Nein. Ich ziehe es vor, sie dazubehalten und sie dazu zu bringen, dem ins Auge zu sehen, was sie getan hat.“

„Hast du mich deshalb herkommen lassen?“

„Was soll das heißen?“

„Ich glaube nicht, dass wir uns rein zufällig wiederbegegnet sind.“

Mario wurde blass. „Du denkst, ich hätte die Situation manipuliert?“

„Du hättest es tun können.“

„Ich habe es nicht gemacht. Aber vielleicht sollte ich dich der Manipulation bezichtigen? Wie mir Giorgio erzählt hat, hat die Agentur in ziemlich letzter Minute eine Änderung vorgenommen und statt der angekündigten jungen Frau deren Freundin geschickt. Also dich. Hast du deine Freundin überzeugt, dir den Job zu überlassen?“

„Ich hatte keine Ahnung, dass du hier sein würdest, bis ich dich in der Hotellobby erblickt habe.“

„Das Gleiche gilt für mich. Damit es klar ist, Natasha. Ich habe dich nicht hergelockt. Ich wollte dich nicht wiedersehen nach dem, wie du dich verhalten hast.“

„Wie ich …“

„Du hast mir das Gefühl vermittelt, als würde ich an einer Klippe hängen.“

„Ich weiß, wie das ist“, sagte sie leise mit ärgerlich klingender Stimme.

„In Ordnung. Für den Moment müssen wir die Dinge akzeptieren, wie sie sind. Wir stehen uns feindselig gegenüber, müssen aber wegen dieses Jobs zusammenarbeiten. Unsere Auseinandersetzung ist nicht vorbei, aber sie wird fair verlaufen.“

„Ich frage mich, ob deine Vorstellung von fair die gleiche ist wie meine.“

„Das wird sich wohl zeigen“, antwortete Mario, als Natasha ihr Handy ergriff, auf dem gerade eine SMS eingegangen war.

Du musstest nicht wegrennen. Wir können es in Ordnung bringen.

Auch wenn kein Name darunter war, wusste sie, dass sie von Elroy Jenson stammte. Er hatte ihr schon mehrere Nachrichten geschickt, seit er es verhinderte, dass sie in seinem Medienimperium einen Beitrag verkaufte. Zweifellos hatte er erwartet, dass sie kapitulieren würde. Das Ganze musste endlich aufhören. Schnell schrieb sie zurück:

Vergiss mich, wie ich dich vergessen habe.

Seine Antwort traf unverzüglich ein.

Würde es stimmen, wärst du nicht weggerannt. Komm nach Hause. Ich kann viel für dich tun.

Natasha stöhnte auf. Sie hatte gehofft, ihn durch den Job in Italien hinter sich lassen zu können.

„Was ist los?“, erkundigte sich Mario.

„Nichts. Alles ist bestens.“

„Das glaube ich nicht. Vielleicht solltest du deine Handynummer ändern. Es hilft sehr, denn dann kann der Typ dich nicht mehr erreichen. Was du natürlich selbst weißt. Also …“ Bevor Natasha es verhindern konnte, hatte er ihr den Apparat abgenommen und las die SMS. „Wegrennen? Was soll das heißen?“

„Ich laufe seit Monaten vor ihm weg. Es handelt sich um Elroy Jenson, den Medienmogul.“

„Ich habe schon von ihm gehört. Er besitzt auch Zeitungen hier in Italien und ist kein Mann, den man gegen sich aufbringen möchte.“

„Ich habe für seine Zeitungen und Magazine geschrieben und gut verdient. Doch dann hat er Gefallen an mi...

Autor

Lucy Gordon

Die populäre Schriftstellerin Lucy Gordon stammt aus Großbritannien, bekannt ist sie für ihre romantischen Liebesromane, von denen bisher über 75 veröffentlicht wurden. In den letzten Jahren gewann die Schriftstellerin zwei RITA Awards unter anderem für ihren Roman “Das Kind des Bruders”, der in Rom spielt.

Mit dem Schreiben...

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Bella Bloom
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Alison Roberts
Alison wurde in Dunedin, Neuseeland, geboren. Doch die Schule besuchte sie in London, weil ihr Vater, ein Arzt, aus beruflichen Gründen nach England ging. Später zogen sie nach Washington. Nach längerer Zeit im Ausland kehrte die Familie zurück nach Dunedin, wo Alison dann zur Grundschullehrerin ausgebildet wurde.
Sie fand eine Stelle...
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