Romana Exklusiv Band 390

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AUF MALLORCA WARTET DAS GLÜCK von PENNY ROBERTS

Ungläubig sieht die schöne Physiotherapeutin Renee, wer der Sportler ist, den sie bei der Reha auf Mallorca unterstützen soll: Pablo Ruiz, bis zu seinem Unfall eine Legende im Rennsport, sexy, ihr heimlicher Schwarm! Aber auch der Mann, der ihren Bruder ruiniert hat …

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  • Erscheinungstag 26.07.2025
  • Bandnummer 390
  • ISBN / Artikelnummer 0853250390
  • Seitenanzahl 448

Leseprobe

Penny Roberts, Danielle Stevens, Susan Clarks

ROMANA EXKLUSIV BAND 390

Penny Roberts

1. KAPITEL

Biegen Sie in fünfhundert Metern … rechts ab. Dann … nach einem Kilometer … Sie haben Ihr Ziel erreicht.

Renee fuhr auf der staubigen Landstraße rechts ran und bedachte ihr Smartphone, das in einem Halter am Armaturenbrett des silbernen Mietwagens klemmte, mit einem ungläubigen Blick.

„Wirklich?“, fragte sie in die Stille und schüttelte den Kopf. „Ist das dein Ernst?“

Wobei – so still war es eigentlich gar nicht. Da die Klimaanlage des Wagens auf halber Strecke ausgefallen war, hatte sie sich gezwungen gesehen, beide Seitenfenster herunterzulassen, weil die Hitze im Fahrzeuginneren ansonsten einfach nicht auszuhalten gewesen war. Von draußen drang sogar eine Vielzahl von Geräuschen an ihr Ohr. Da war das Rascheln des Windes in den Blättern der knorrigen alten Steineiche, die am Wegesrand hinter einer halb verfallenen Steinmauer stand, und das schier ohrenbetäubende Singen der Zikaden.

Renee nahm ihr Smartphone aus dem Halter und stieg aus. Mit einer Hand beschattete sie ihre Augen gegen die hoch am Himmel stehende Sonne.

Ringsum erstreckten sich Schafweiden und kleine Olivenhaine. Ein Stück entfernt sah sie ein kleines Wäldchen, und in weiter Ferne die Serra de Tramuntana, dessen Höhenzüge in der Sonne flirrten. Doch nirgends auch nur das kleinste Anzeichen von Zivilisation.

Sie unterdrückte einen Fluch und schüttelte entnervt ihr Telefon. Das Teil musste kaputt sein. Anders konnte sie sich nicht erklären, wie sie in dieser gottverlassenen Gegend gelandet war.

Nervös strich sie sich eine rotbraune Haarsträhne, die sich aus ihrem lockeren Zopf gelöst hatte, hinters Ohr. Es war mittlerweile schon früher Nachmittag, und eigentlich hätte sie bereits vor mehr als einer Stunde ihr Ziel erreichen sollen. Die Agentur, von der sie engagiert worden war, konnte sie telefonisch nicht erreichen – da schaltete sich nach dreimaligem Klingeln stets die Bandansage ein. Und nach der Nummer ihres zukünftigen Patienten hatte sie nicht gefragt.

Schön dumm …

Aber wer hätte auch damit rechnen können, dass der Routenplaner ihres Smartphones sie ausgerechnet heute im Stich lassen würde?

Du. Du hättest damit rechnen können, ja, sogar damit rechnen müssen. So, wie bei dir in letzter Zeit alles, aber auch wirklich alles schiefgeht, sollte es dich eigentlich nicht wundern, dass auch dieses Mal nichts reibungslos abläuft.

Noch einmal ließ sie den Blick über die hügelige Landschaft schweifen, in der verzweifelten Hoffnung, doch noch irgendwo in unmittelbarer Nähe ein Haus zu entdecken. Aber wo sollte sich das versteckt haben? Es war aussichtslos. Sie würde zu spät zu ihrem neuen Job kommen, und damit den schlechtesten ersten Eindruck hinterlassen, den man nur machen konnte. Dabei brauchte sie diesen Job wirklich dringend.

Die physiotherapeutische Praxis, die sie vor fast einem Jahr eröffnet hatte, lief nur sehr schleppend an. Es fehlte an allen Ecken und Enden Geld, und daran würde sich vermutlich auch so bald nichts ändern. Aller Anfang war nun mal schwer. Und unter normalen Umständen hätte sie ein solches Projekt auch nicht ohne entsprechende finanzielle Rücklagen in Angriff genommen.

Doch dummerweise war ihr nicht wirklich eine andere Wahl geblieben, nachdem sie ihre vorherige Anstellung auf so unschöne Art und Weise verloren hatte. Sie hatte sich zwar nichts zuschulden kommen lassen, aber welcher Arbeitgeber stellte schon gern jemanden mit einem Lebenslauf wie dem ihren ein? Letztlich hatte sie das Dilemma, in dem sie nun steckte, ihrem Ex-Chef zu verdanken.

Dr. Michael Keagan war eine angesehene Größe auf dem Gebiet der Sportmedizin gewesen, dessen Patienten-Datenbank sich las wie das Who’s who der erfolgreichsten internationalen Sportler.

Renee hatte großes Glück gehabt, als Physiotherapeutin in seiner Praxis anfangen zu dürfen. Oder zumindest hatte es so ausgesehen. Ebenso wie Michael ihr wie der perfekte Mann vorgekommen war. Charmant, wortgewandt, klug und respektvoll ihr gegenüber. Genau das hatte sie sich immer in einer Beziehung gewünscht – umso erfreuter war sie gewesen, als er irgendwann anfing, mit ihr zu flirten. Sie gingen ein paarmal nach Feierabend miteinander Kaffee trinken – der Rest war Geschichte.

Doch es war einfach zu gut gewesen, um wahr zu sein. Perfekte Männer existierten wohl doch nicht außerhalb von Liebesfilmen und Romanen. Michael jedenfalls war kein Märchenprinz, wie sie zu ihrer großen Enttäuschung hatte feststellen müssen.

Sie hatte nicht nur herausgefunden, dass er einige seiner prominenten Patienten mit illegalen Dopingmitteln versorgte, er war zudem auch noch mit einer anderen Frau verheiratet. Ersteres hatte sie unglaublich wütend gemacht, Letzteres ihr das Herz gebrochen. Aber sie hatte Michaels Vergehen nicht aus Rache den entsprechenden Stellen gemeldet.

Bei Doping verstand sie keinen Spaß. Dieses Teufelszeug hatte schon zu viele Menschen in den Ruin getrieben.

Sie schob den Gedanken an Michael und ihren Stiefbruder Felix beiseite. Das alles lag nun fast vier Jahre zurück, in denen sie hauptsächlich als Schwangerschaftsvertretung oder in befristeten Anstellungsverhältnissen gearbeitet hatte. Dass eine große Managementagentur sie überraschend engagiert hatte, um einen Klienten bei der Reha zu unterstützen, konnte womöglich einen echten Wendepunkt für sie darstellen. Es gab in der Gegenwart also wahrlich genug, das ihre volle Aufmerksamkeit erforderte. Sie konnte es sich nicht erlauben, sich von der Vergangenheit ablenken zu lassen.

Denn eines stand fest: Sie brauchte diesen Job.

Sie brauchte ihn dringend.

Ihr schien nichts anderes übrig zu bleiben, als bis zum nächsten Ort zu fahren und sich von dort aus durchzufragen. Sie drehte den Schlüssel im Zündschloss herum und …

Nichts.

Ungläubig schüttelte Renee den Kopf und versuchte es erneut. Wieder erfolglos.

„Das kann doch nicht wahr sein!“ Mit der flachen Hand schlug sie aufs Lenkrad, bis sie versehentlich die Hupe erwischte und so erschrak, dass sie schlagartig wieder ruhig wurde.

Also gut, das war nur ein weiterer Rückschlag in einer endlos langen Serie von Rückschlägen. Damit konnte sie umgehen. Sie musste es.

Zumindest, so dachte sie, habe ich jetzt einen guten Grund, zu spät zu kommen. Nicht, dass ihr das in irgendeiner Form weiterhalf …

Sie saß fest, mitten im Nirgendwo, und hatte keine Ahnung, was sie als Nächstes tun sollte. Letztlich blieb ihr nur eines: Sie musste die Autovermietung anrufen. Immerhin gehörte denen dieser Schrotthaufen, daher waren sie doch auch verantwortlich dafür, ihn zum Laufen zu bringen!

Aber als Renee ihr Handy zückte, blinkte der letzte Balken der Akkuanzeige bereits, und im nächsten Moment wurde das Display auch schon schwarz.

Konnte ein Mensch wirklich so viel Pech haben?

Sie hatte das Gesicht in den Händen verborgen, als sie aus der Ferne ein ratterndes Geräusch hörte. Sofort kletterte sie aus dem Wagen. In den letzten anderthalb Stunden war sie keiner Menschenseele mehr begegnet. Vielleicht wendete sich ja das Blatt, und sie hatte endlich mal wieder Glück.

Wie sich herausstellte, war es damit dann doch nicht so weit her, denn es näherte sich zwar ein Fahrzeug – aber was für eines!

Der alte Motorroller sah aus, als würde er vor allem vom Rost zusammengehalten. Sein Fahrer, ein Mann mit wettergegerbtem Gesicht und grauem Haar, fuhr hinter Renees Mietwagen an den Straßenrand und stieg ab.

Sofort fing er an, auf Spanisch auf sie einzureden.

Renee hob die Hand. „Entschuldigen Sie, aber ich spreche leider kein Spanisch“, erklärte sie betont langsam auf Englisch, in der Hoffnung, dass der Mann sie vielleicht verstehen konnte.

Doch er schüttelte den Kopf. „No habla ingles.“

Na prima.

Zum Glück hatte Renee die E-Mail ausgedruckt, die die Agentur ihr geschickt hatte. Darin stand auch die genaue Adresse ihres Patienten.

Sie bedeutete dem alten Mann, kurz zu warten, nahm ihre Handtasche aus dem Wagen und kramte nach dem Ausdruck. Er war beschämend verknittert, als sie ihn schließlich fand und dem Mann überreichte.

Der runzelte die Stirn, während er las – doch schon bald erhellte sich seine Miene. „Sí, sí“, sagte er und fügte dann etwas hinzu, das Renee nicht einmal ansatzweise verstand.

Die Ratlosigkeit stand ihr offensichtlich deutlich ins Gesicht geschrieben, denn der Mann lachte und klopfte hinter sich auf den Bock seines Rollers.

Renees Augen weiteten sich. Oh nein, das war ganz und gar keine gute Idee. Es wunderte sie, dass die Maschine unter dem Gewicht des Alten noch nicht zusammengebrochen war.

Sie winkte ab, doch der Mann lächelte nur strahlend und klopfte beharrlich weiter auf den Platz hinter sich. Dabei redete er, wie Renee annahm, beruhigend oder ermunternd auf sie ein – sie verstand ja kein Wort.

Schließlich gab sie ihren Widerstand auf. Was hatte sie schon für eine Wahl? Entweder sie blieb hier und hoffte, dass irgendwann im Laufe des Tages noch ein weiteres Fahrzeug vorbeikam – oder sie ergriff diese Chance. Ihren Trolley, der im Kofferraum des Wagens lag, konnte sie auch später noch holen. Alles war besser, als weiter hier herumzustehen und auf ein Wunder zu warten.

Sie schloss den Wagen ab, ließ ihre Sachen, abgesehen von ihrer Handtasche, aber darin zurück.

Ein wenig unsicher saß sie auf und hielt sich fest. Der Mann ließ den Motor seines Rollers an, und schon ging es los.

Zu ihrer eigenen Überraschung fand Renee die Fahrt sogar recht angenehm, als sie sich erst einmal an das neue Fortbewegungsmittel gewöhnt hatte. Der Wind spielte mit ihrem Haar und fühlte sich angenehm kühl auf ihrer Haut an. Davon abgesehen, hatte man eine vollkommen andere Perspektive, war sowohl der Maschine als auch der Straße näher. Die ganze Erfahrung hatte etwas … Erdendes.

Etwa nach einem halben Kilometer bog der Alte auf einen Feldweg ein, den Renee vom Wagen aus nicht hatte erkennen können. Nun stellte sie überrascht fest, dass er geradewegs auf das kleine Wäldchen zuzuführen schien.

Ein unterdrücktes Stöhnen drang aus ihrer Kehle, als sich hinter den Wipfeln der Bäume die Umrisse eines Gebäudes abzeichneten.

Ihre Navigations-Software war also doch nicht defekt – sie hatte ihr einfach nicht genug vertraut.

Bei dem Haus, das langsam hinter den Bäumen zum Vorschein kam, handelte es sich um eine typische mallorquinische Finca. Zweistöckig, komplett aus sandfarbenem Naturstein errichtet, mit relativ flachem Dach und verhältnismäßig kleinen Fenstern, die die Hitze draußen hielten.

Umgeben von knorrigen Steineichen und Ölbäumen, die Schatten spendeten, befand sich ein großer, ovaler Pool, dessen Wasser türkisblau im hellen Sonnenschein glitzerte.

Es war ein prachtvolles Anwesen, was sie bei dem Honorar, das ihr in Aussicht gestellt worden war, nicht zu wundern brauchte. Bei der Frage, wer es eigentlich war, den sie behandeln sollte, hatte sich die Agentur extrem geheimnisvoll gegeben. Sie würde erst erfahren, mit wem sie es zu tun hatte, wenn sie ihr Ziel erreichte.

Angeblich wollte man vermeiden, dass irgendetwas an die Medien durchsickerte, daher nahm Renee an, dass es sich um einen echten VIP handelte. Um jemanden, dessen Verletzung womöglich bislang vor der Öffentlichkeit geheim gehalten worden war.

Der alte Mann ließ seinen Roller vor der Tür des Wohnhauses ausrollen, und Renee stieg ab. Sie bedankte sich mit einem Kopfnicken, und der Mann schenkte ihr ein strahlendes Lächeln, ehe er auf dem Vorplatz wendete und dann wieder in Richtung Landstraße davontuckerte.

Renee atmete tief durch. Jetzt, wo sie an ihrem Ziel angelangt war, befiel sie heftige Nervosität. Immerhin hatte sie ja keine Ahnung, was genau sie erwartete.

Sie ballte die Fäuste und straffte die Schultern. Dann trat sie zur Tür und drückte auf die Klingel.

Das Herz klopfte ihr bis zum Hals, doch sie ließ sich nichts anmerken, als die Tür geöffnet wurde und sie sich einer älteren Mallorquinerin gegenübersah.

Die Frau hatte ihr silbergraues Haar streng zurückgekämmt und am Hinterkopf zu einem Knoten zusammengefasst. Es ließ ihr Gesicht, dessen Züge ohnehin schon scharf geschnitten waren, noch strenger wirken.

Unwillkürlich nahm Renee Haltung an. „Ich … Mein Name ist Renee Hayworth, ich … glaube ich werde erwartet …“

Die Frau musterte sie einen Moment lang durchdringend, und Renee begann schon zu fürchten, dass sie erneut an der Sprachbarriere scheitern würde, als sie schließlich nickte.

„Kommen Sie herein“, sagte sie auf Englisch, dem ein starker Akzent anhaftete. „Ich werde melden, dass Sie eingetroffen sind. Wo ist Ihr Gepäck?“

„Es gab leider ein paar Schwierigkeiten mit meinem Mietwagen“, entgegnete Renee mit einem entschuldigenden Achselzucken. „Er steht noch etwa zwei Kilometer entfernt oben an der Landstraße. Ein älterer Herr war so freundlich, mich bis hierher mitzunehmen und …“

„Jemand wird sich darum kümmern“, fiel die Frau ihr ins Wort. „Und nun kommen Sie.“

Renee tat ihr Bestes, das unhöfliche Verhalten zu ignorieren, das man ihr gegenüber an den Tag legte. Sie war schließlich nicht zum Vergnügen hier.

Sie beeilte sich, der Frau ins kühle Halbdunkel des Hauses zu folgen. Der Eingangsbereich war groß, mit einer Steintreppe, die ins obere Stockwerk führte, und ging in den weitläufigen Wohnbereich über, der in verschiedene Ebenen aufgeteilt war. Der Boden war ebenfalls mit Naturstein ausgelegt, der jedoch so glatt poliert war, dass er wie kostbarer Marmor glänzte. Die Wände, die von zahlreichen Torbögen durchbrochen wurden, waren weiß getüncht. Weiß war auch die vorherrschende Farbe der Einrichtung. Renee sah eine wuchtige Wohnlandschaft aus Leder und mehrere Regale und Vitrinen, in denen moderne Dekorationsgegenstände platziert waren.

Renee hatte sich schon immer gefragt, wer sich solche Möbel kaufte, die zwar elegant aussahen, aber keinen wirklichen Stauraum boten. Sie vermutete, dass sie es schon bald erfahren würde.

„Ich zeige Ihnen Ihr Zimmer“, riss die ältere Frau sie aus ihren Gedanken. „Es ist recht klein, aber ich nehme an, dass Sie ohnehin nicht viel Zeit dort verbringen werden, daher erschien es mir angemessen.“

Die Treppe hinauf durch einen schmalen Korridor gelangten sie zu einer Tür, die ein Stück offen stand. Die ältere Frau – sie hatte sich immer noch nicht vorgestellt, aber Renee nahm an, dass es sich um die Haushälterin ihres Patienten handelte – blieb im Korridor stehen und bedeutete ihr einzutreten.

Das war auch besser, denn für zwei Personen war der Platz wirklich reichlich eng. Es gab einen schmalen Kleiderschrank, ein Bett, eine kleine Nachtkonsole und einen Schreibtisch, und die restliche freie Fläche reichte gerade noch, um sich umzudrehen.

Renee störte das nicht. Sie wohnte in Oxford auch in einem winzigen Apartment. Sie brauchte nicht viel Platz. Dennoch war die Tatsache, dass man ihr eine bessere Besenkammer als Schlafplatz überlassen hatte, nicht sonderlich ermutigend.

Und noch immer wusste sie nicht, mit wem sie es in den kommenden Wochen zu tun haben würde. Alles, was man ihr gesagt hatte war, dass sie ihrem Patienten nach einer Verletzung dabei helfen sollte, seine Mobilität zurückzuerlangen. Das konnte natürlich alles Mögliche heißen. Sie hoffte nur, dass es sich nicht zu lange hinziehen würde. Zwar hatte sie einen Vertreter gefunden, der sich während ihrer Abwesenheit um ihre Praxis kümmerte, aber dieses Arrangement konnte nicht von unbegrenzter Dauer sein.

„Vielen Dank“, sagte sie und wandte sich an die Frau. „Wann werde ich meinen Patienten kennenlernen?“

„Ich werde ihn über Ihr Eintreffen in Kenntnis setzen. Alles Weitere wird er dann nach eigenem Ermessen entscheiden.“

Renee nickte. Diese ganze Geheimnistuerei ging ihr langsam wirklich gegen den Strich. Sie war hier. Sie würde ihren Patienten ohnehin bald zu sehen bekommen. Wie sonst sollte sie ihm dabei helfen, wieder auf die Beine zu kommen?

Sie wollte gerade eine entsprechende Bemerkung machen, als die Frau sagte: „Mein Name ist übrigens Valeria. Wenn Sie irgendetwas benötigen, wenden Sie sich bitte stets an mich.“

Damit nickte sie, wandte sich ab und ließ Renee einfach stehen.

Renee atmete tief durch und ließ sich auf ihr Bett sinken. Heimweh überkam sie, und sie schloss die Augen und zwang sich, sich nicht davon überwältigen zu lassen. Sie war stärker als das. Stärker als das Gefühl, unwillkommen zu sein. Das hier war ein Job, das musste sie sich immer wieder vor Augen halten. Und wenn sie ihn erfolgreich zum Abschluss gebracht hatte, würde sie sich ohne finanziellen Druck darum kümmern können, ihre Praxis in Gang zu bringen.

Da sie nichts anderes zu tun hatte, bis ihr Gepäck gebracht wurde, trat sie auf den Balkon vor ihrem Zimmer. Ihr eröffnete sich ein prächtiger Blick auf den Garten, in dem überraschend üppige und farbenfrohe Blumen blühten.

Renee wunderte sich ein wenig über das viele Grün, das sie seit ihrer Ankunft auf der Insel gesehen hatte. Irgendwie hatte sie erwartet, dass das Landesinnere eher karg und trostlos sein würde – staubige, trockene Ebenen unter der grellen Sommersonne – doch dem war gar nicht so.

Sie ließ ihren Blick schweifen und atmete scharf ein, als sie zu ihrer Rechten eine Person bemerkte, die ihre Bahnen im türkisblau glitzernden Wasser des Pools zog. Die Bewegungen waren geschmeidig und kraftvoll, die Umrisse, vom Wasser verzerrt, ganz eindeutig die eines Mannes.

Er schwamm an den Beckenrand und zog sich anscheinend mühelos daran hoch. Renee konnte nicht wegsehen, stattdessen ließ sie ihren Blick über den Körper des Mannes wandern.

Ein Sportler, ganz offensichtlich. Jeder Muskel war klar definiert, die goldene Haut darüber straff und makellos. Nun, beinahe makellos. Von seinem rechten Fußgelenk, die Wade hinauf bis knapp über dem Knie erstreckte sich eine selbst aus der Entfernung deutlich erkennbare Narbe.

Die Verletzung musste schon sehr groß gewesen sein, wenn solche Male zurückblieben. Und sie war auch noch nicht alt – weniger als ein halbes Jahr, schätzte Renee dem Aussehen der Narbe nach.

Der Mann nahm sich ein weißes Frotteehandtuch von einer Liege und fing an, sich abzutrocknen. Renee beobachtete das faszinierende Spiel seiner Muskeln und konnte sich einfach nicht davon losreißen.

Schließlich drehte er sich um, und sie trat hastig einen Schritt zurück. Das musste ihr Patient sein, und sie wollte nicht gleich einen furchtbaren Eindruck machen, indem sie sich dabei erwischen ließ, wie sie ihn in seinem halbnackten Zustand anstarrte.

Sie war überrascht über sich selbst. Es war normalerweise gar nicht ihre Art, von einem attraktiven Äußeren ließ sie sich nicht so leicht beeindrucken. Äußerlichkeiten waren schön und gut, aber am Ende waren es doch andere Werte, die wirklich zählten.

Gerade als sie ins Zimmer zurückgehen wollte, drehte er sich so, dass sie sein Gesicht sehen konnte.

Renee erstarrte.

Das … konnte nicht sein. Unmöglich!

Und dann begegneten sich plötzlich ihre Blicke, und es gab keinen Zweifel mehr.

Er war Pablo Ruiz – der weltberühmte Rennfahrer.

Und der Mann, der das Leben ihres Bruders Felix zerstört hatte.

Pablo ließ das Handtuch achtlos zu Boden fallen, während er die Rothaarige auf dem Balkon mit einem harten Blick maß. Das musste die Physiotherapeutin sein, die ihm sein Management hergeschickt hatte.

In seinen Augen war dies nur Verschwendung von Zeit und Geld. Die Ärzte konnten behaupten, was sie wollten – er wusste einfach, dass er niemals wieder der Alte sein würde. Und daran konnte auch nicht irgendeine Masseurin etwas ändern, indem sie ihm die Hand auflegte.

Frustriert griff er nach seiner Gehhilfe, die an der Sonnenliege lehnte. Doch weil er noch immer diese Frau fixierte, stieß er nur mit der Hand dagegen, sodass der Stock klappernd zu Boden fiel.

Pablo fluchte unterdrückt und beugte sich steif herab. Aber seine Finger konnten den Griff des Stocks nicht ganz erreichen – nicht, wenn er sich nicht entweder auf die Liege setzte oder in die Knie ging.

Ersteres war in Pablos Augen ein Zeichen von Schwäche, und die zweite Möglichkeit …

Er biss die Zähne zusammen und verlagerte sein Gewicht auf das gesunde linke Bein. Gleichzeitig versuchte er, die Knie ein wenig zu beugen, um mit den Fingern näher an die Gehhilfe zu gelangen.

Das ging ein paar Zentimeter weit gut – bis plötzlich ein so heftiger Schmerz durch sein rechtes Bein zuckte, dass ihm für einen Augenblick regelrecht schwarz vor Augen wurde.

Er schwankte, verlor das Gleichgewicht und fiel. Hart.

Nur mit Mühe gelang es ihm, einen Aufschrei zu unterdrücken. Seine Kieferknochen malten. Er stöhnte leise. Sein ganzes Bein schien in Flammen zu stehen, so überwältigend war der Schmerz.

Immerhin kann ich jetzt den Stock erreichen, dachte er mit einem Anflug von schwarzem Humor.

Was war nur aus ihm geworden? Das war so was von jämmerlich! Er wusste wirklich nicht, wie er es schaffte, seinen eigenen Anblick jeden Morgen im Spiegel zu ertragen.

„Du kannst froh sein, dass du mit dem Leben davongekommen bist“, wurden Freunde und Bekannte nicht müde, ihm zu versichern. Aber Pablo sah das ein wenig anders. Dieser Unfall hatte ihm alles genommen, was ihm im Leben je etwas bedeutet hatte.

Er war Rennfahrer, um Himmels willen. Er konnte nichts anderes. Es war das Einzige, in dem er wirklich gut war. Ohne den Motorsport war sein Leben keinen Pfifferling wert.

Geld mochte er genug haben, um sich auch ohne weitere Siege ein bequemes Leben ermöglichen zu können. Aber – Madre de Dios! – er war gerade einmal zweiunddreißig. Es war noch viel zu früh für ihn, um sich zur Ruhe zu setzen.

Und Geld war nun einmal nicht alles. Er wäre lieber arm wie eine Kirchenmaus, und hätte dafür seinen Stolz und seine Würde zurück.

Ein Schatten fiel über ihn, und Pablo blickte auf.

Die Rothaarige vom Balkon stand vor ihm. Ihre Miene wirkte verschlossen, als sie ihm die Hand entgegenstreckte. „Kommen Sie, ich helfe Ihnen auf.“

Pablo ignorierte ihre Hand und runzelte die Stirn. „Ich brauche Ihre Hilfe nicht“, knurrte er und rollte sich herum, sodass er auf seinem linken Knie hockte. Er fühlte sich hilflos wie ein Käfer, der auf dem Rücken lag – und er hasste es. Und das alles auch noch unter den Augen dieser Frau, die er nicht hierhaben wollte.

Unter großen Anstrengungen und heftigen Schmerzen rappelte er sich auf. Er stützte sich schwer auf seinen Gehstock und versuchte, seine keuchende Atmung zu beruhigen.

„Mein Name ist Renee Hayworth, ich bin …“

„Ich weiß, wer Sie sind“, fiel er ihr barsch ins Wort. „Und nur zu Ihrer Information: Es war nicht meine Idee, Sie hierherzuholen. Ich halte das alles für vollkommen überflüssig, aber ich war das ständige Drängen meines Managements einfach leid. An Ihrer Stelle würde ich mich also nicht allzu häuslich einrichten. Je früher ich Sie wieder loswerde, desto besser.“

Natürlich wusste Pablo, dass er seinen Frust an der falschen Adresse ablud. Die junge Frau konnte schließlich nichts dafür, dass er mit seinem Schicksal nicht im Reinen war. Sie war nur hier, um ihm zu helfen, und verdiente eine solche Behandlung nicht.

Das zu wissen, und sich entsprechend zu verhalten, waren zwei vollkommen verschiedene Paar Schuhe.

Doch ganz offensichtlich hatte er sich umsonst Gedanken darüber gemacht, ob er die Gefühle der Physiotherapeutin verletzt hatte. Sie wirkte jedenfalls wenig beeindruckt.

„Das trifft sich gut“, sagte sie. „Ich möchte nämlich auch keinen Tag länger hierbleiben, als unbedingt nötig. Wissen Sie, der Verdienst, den man mir in Aussicht gestellt hat, ist wirklich verlockend. Aber Geld kann einem auch nicht jeden Job versüßen.“

Er schaute sie an – und spürte, wie seine Mundwinkel zuckten. Ganz schön frech. Normalerweise überschlugen sich die Leute schon, wenn sie ihn zum ersten Mal trafen. Ein Verhalten, das er schon immer befremdlich gefunden hatte. Warum sollte irgendjemand zu ihm aufblicken? Er hatte in seinem Leben, wenn man einmal von seiner Obsession vom Motorsport absah, nichts Besonderes geleistet. Hatte er mit der Tatsache, dass er bei einem Rennen als Erster über die Ziellinie gefahren war, das Problem der Überbevölkerung gelöst? Gab es seinetwegen weniger Hunger auf der Welt?

Es war nicht so, dass er auf seine Fans für ihre Begeisterung herabsah. Ganz und gar nicht. Aber er verstand nicht recht, warum sie ihn wegen seiner sportlichen Erfolge so wichtig nahmen.

Pablo selbst fühlte sich im Augenblick wirklich alles andere als wichtig. Und dass die Physiotherapeutin das offenbar ganz ähnlich sah, war irgendwie … erfrischend.

„Da haben Sie wohl recht“, entgegnete er. „Und es ist erfreulich, dass wir uns in dieser Angelegenheit einig sind. Auf diese Weise wird es uns sicher leichtfallen, die Zeit zu überbrücken, bis wir beide wieder getrennter Wege gehen können. Von mir aus brauchen Sie Ihr Voodoo-Köfferchen auch gar nicht auszupacken, das ist ohnehin alles zwecklos.“

„Zwecklos?“ Sie runzelte die Stirn. „Was meinen Sie damit?“

Er hob eine Braue. „Ich meine damit genau das, was ich sage. Was immer Sie auch glauben, für mich tun zu können – vergessen Sie es. Ich bin ein Krüppel, und das wird auch so bleiben.“

2. KAPITEL

Fassungslos starrte Renee ihn an.

Wie er dastand, schwer auf seinen Gehstock gestützt, die Schultern leicht vorgebeugt, strahlte er eine solche Bitterkeit aus, dass sie fast das Gefühl hatte, sie in der Luft schmecken zu können.

Doch anstatt Mitgefühl mit ihm zu empfinden, war sie einfach nur wütend. Und zwar nicht einmal so sehr wegen der Sache mit Felix. Dabei hatte sie schon allein deswegen genug Grund, ihn zu hassen. Er hatte ihren Bruder damals im Zuge des großen Dopingskandals immerhin schwer belastet.

Felix schwor nach wie vor Stein und Bein, dass er niemals Dopingmittel eingenommen hatte, und natürlich glaubte Renee ihm. Immerhin war er ihr Bruder – und wenn er sagte, dass Pablo Ruiz ihm vermutlich etwas untergeschoben hatte, dann war das sicher auch so.

Aber das war ein Thema, mit dem sie sich später befassen würde.

Jetzt sah sie nicht Pablo Ruiz vor sich, den erfolgreichen Rennfahrer, der ohne mit der Wimper zu zucken die Karriere ihres Stiefbruders zerstört hatte. Nein, er war ihr Patient. Und wenn sie eines auf den Tod nicht ausstehen konnte, dann war es, wenn ihre Patienten sich selbst niedermachten.

„Krüppel“, wiederholte sie trocken. „Fallen Ihnen vielleicht noch andere so farbenfrohe Worte ein, um sich zu beschreiben? Nur zu Ihrer Information: Das Wort dürfen Sie, solange ich hier bin, aus Ihrem Wortschatz streichen. Ich werde es nicht dulden, dass Sie so über sich oder sonst jemanden sprechen.“ Sie bedachte ihn mit einem harten Blick, der schon so manchen in die Knie gezwungen hatte. „Und falls Sie sich fragen, ob ich das wirklich ernst meine – absolut. Ich würde an Ihrer Stelle nicht versuchen, mich zu provozieren. Als Physiotherapeutin weiß ich genau, wo ich zupacken muss, damit es so richtig wehtut …“

Natürlich meinte sie das nicht ernst. Sie würde nie etwas tun, was einem Patienten in irgendeiner Form Schmerzen verursachte – zumindest nicht über das Maß hinaus, das zur Verbesserung seines Zustands unbedingt notwendig war. Aber er sollte gar nicht erst auf die Idee kommen, dass er sich bei ihr alles erlauben konnte.

Er mochte ihr Patient sein, doch offiziell arbeitete sie für sein Management. Wäre es nach ihm gegangen, hätte sie das Angebot sicher überhaupt nicht bekommen. Seinen Kommentaren nach zu urteilen, stand er ihrem Beruf nicht gerade aufgeschlossen gegenüber. Er schien Physiotherapeuten für eine Art moderne Wunderheiler zu halten. Dabei waren sie nun wirklich nichts dergleichen.

Aber es gab immer Leute, die Vorurteile gegenüber jedem hatten, der im medizinischen Bereich arbeitete und keinen Doktortitel besaß. Daran war Renee gewöhnt, damit konnte sie umgehen.

„Das dürfte schwierig für Sie werden, da ich nämlich gar nicht vorhabe, Ihre Dienste in Anspruch zu nehmen. Mein Management wird Sie natürlich für die Zeit, in der Sie hier sind, bezahlen. Aber ich sehe keinen Grund, mich irgendwelchen Hoffnungen hinzugeben, die am Ende ohnehin nicht wahr werden können.“

Renee verschränkte die Arme vor der Brust. „Verstehe ich das richtig? Sie wollen mich dafür bezahlen, dass ich hier herumsitze und den ganzen lieben langen Tag Däumchen drehe?“

„Wenn man von dem Detail absieht, dass nicht ich Sie bezahle, sondern mein Management, dann ja. Sie haben mich absolut richtig verstanden.“

Sie schüttelte energisch den Kopf. „Nein, kommt überhaupt nicht infrage.“

Seine Stirn legte sich in Falten. „Wie meinen Sie das?“

„Genauso, wie ich es gesagt habe“, entgegnete sie. „Ich will für meine Leistungen bezahlt werden, nicht fürs Herumsitzen. Davon abgesehen, glaube ich, dass ich Ihnen wirklich helfen kann.“

Unwirsch winkte er ab. „Unfug. Niemand kann das. Mein Unfall liegt jetzt siebeneinhalb Monate zurück, und in den vergangenen zwei Monaten kann ich keinerlei Verbesserung feststellen. Ich muss mich damit abfinden, dass meine Karriere und mein Leben, wie ich es bisher gelebt habe, am Ende sind. Ich brauche niemanden, der mir einen Floh ins Ohr setzt und mir vormacht, dass ich jemals wieder ganz der Alte sein werde.“

Renee seufzte. Es war nicht das erste Mal, dass sie es mit einem Patienten zu tun hatte, der aufgrund seines Schicksals verbittert war. Und normalerweise bemühte sie sich stets darum, empathisch und verständnisvoll zu sein. Aber dieser Mann hatte das Leben ihres Stiefbruders zerstört – und darüber konnte sie nicht einfach so hinweggehen.

Im ersten Schock hatte sie einfach alles hinwerfen und abreisen wollen. Doch dann war ihr ein Gedanke gekommen. Vielleicht konnte sie die Situation ja nutzen, um Felix von den ungeheuerlichen Anschuldigungen reinzuwaschen, die Pablo gegen ihn erhoben hatte.

Wie Pablo Ruiz war Felix ein begeisterter und extrem erfolgreicher Rennfahrer gewesen. In seiner letzten Saison war er drauf und dran, Ruiz seine Position als Top-Fahrer im Team streitig zu machen. Einen Rang, den dieser seit Jahren für sich beansprucht hatte.

Doch ehe es dazu kommen konnte, hatte es vor etwas mehr als vier Jahren einen riesigen Skandal gegeben, der Felix’ Karriere beendete. Ein Skandal, an dessen Entstehung sie selbst nicht ganz unschuldig gewesen war – allerdings konnte sie nicht ahnen, welche Konsequenzen ihr Handeln für ihren Stiefbruder haben würde.

Ihr Ex – der Sportmediziner Michael Keagan – hatte Pablo Ruiz und Felix behandelt. Renee hingegen hatte nicht mit ihnen gearbeitet. Sie war aus allen Wolken gefallen, als sie durch einen Zufall herausfand, dass Michael in unsportliche Machenschaften verwickelt war.

Doping.

Anfangs hatte sie noch gezögert, doch schließlich war ihr klar geworden, dass sie ihren Chef und Liebhaber melden musste. Ein solches Verhalten widersprach in jeder Hinsicht ihrem beruflichen Ethos. Sie konnte nicht einfach wegsehen und so tun, als wüsste sie von nichts.

Also hatte sie sich an die entsprechenden Stellen gewandt, und von da an hatten die Dinge ihren Lauf genommen.

Wie sich herausstellte, gaben Michaels Akten keine Informationen darüber preis, wessen Leistungen durch Doping künstlich gesteigert worden waren. Aber irgendjemand hatte die Patientenliste an die Presse durchsickern lassen, und so kamen schnell die wildesten Spekulationen auf.

Natürlich machten diese auch vor Pablo Ruiz und Felix nicht halt. Es wurde gemunkelt und getuschelt – der Skandal beeinflusste den gesamten Sport. Niemand, der je irgendwie mit Michaels Praxis in Verbindung gestanden hatte, wurde verschont. Und als die bekanntesten Sportler standen Pablo und Felix ganz besonders im Rampenlicht. Während ihr Stiefbruder sich mit Kommentaren komplett zurückhielt, hatte Pablo Ruiz sämtliche Schuld auf Felix abgewälzt.

In offiziellen Tests wurde tatsächlich Dopingmittel in Felix’ Blut nachgewiesen. Doch ihr Stiefbruder beteuerte, dass er niemals willentlich gedopt hatte – und Renee glaubte ihm.

Mit dieser Meinung stand sie allerdings vollkommen allein da. Die Medien stürzten sich wie die Aasgeier auf die Geschichte. Jeder Winkel von Felix’ Privatleben wurde durchleuchtet, seine Vergangenheit, die Scheidung seiner Eltern … Als Jugendlicher hatte er sich für kurze Zeit mit den falschen Freunden eingelassen, und natürlich wurde auch das ans Tageslicht gezerrt. Irgendein Reporter hatte es sogar für eine gute Idee gehalten, einen von Felix’ alten Weggefährten zu interviewen. Was der über ihren Stiefbruder zu sagen gehabt hatte, war alles andere als schmeichelhaft gewesen.

Für ihn war damals eine Welt zusammengebrochen. Vom Motorsportverband mit einer lebenslangen Sperre belegt, war seine Karriere am Ende. Langjährige Freunde ließen ihn einfach fallen, und sogar sein eigener Vater wandte sich von ihm ab.

Das alles lag nun mehr als vier Jahre zurück. Und Renee hatte sich furchtbar schuldig gefühlt, weil sie es gewesen war, die den Stein überhaupt erst ins Rollen gebracht hatte. Hilflos musste sie mit ansehen, wie Felix in einen Strudel aus Selbstmitleid, Verzweiflung und Wut geriet, aus dem er aus eigener Kraft nicht mehr herauskam.

Sie schüttelte den Kopf, um die Erinnerungen loszuwerden. Felix war jetzt wieder auf einem guten Weg. Er hatte einen sicheren Job und seit mehr als einem Jahr keinen Tropfen Alkohol mehr getrunken. Aber sie wusste, dass er nie ganz mit allem hatte abschließen können.

Dass sie jetzt engagiert worden war, um Pablo Ruiz als Physiotherapeutin bei seiner Rekonvaleszenz zu unterstützen, war eine riesige Chance.

Sie würde sich in Ruiz’ Haus aufhalten, mit ihm unter einem Dach leben. Mit ein wenig Glück würde sie vielleicht etwas finden, was Felix entlastete. Oder zumindest etwas, das Zweifel an der Aussage von Pablo Ruiz erweckte. Ganz egal was.

Doch das konnte nur funktionieren, wenn sie sich frei im Haus bewegen konnte. Und deshalb musste sie bleiben. Zumindest vorerst.

Sie atmete tief durch und setzte ein Lächeln auf, das sich absolut falsch und gestellt anfühlte. „Geben Sie mir zumindest eine Chance, mich selbst davon zu überzeugen, dass tatsächlich alles verloren ist. Auf diese Weise kann ich mein Gesicht wahren, und Sie bekommen von mir die Bestätigung, dass Sie die ganze Zeit recht hatten.“

Er hob eine Braue und schien ernsthaft darüber nachzudenken. Renee fing bereits an, Hoffnung zu schöpfen, als seine Miene sich verfinsterte und er den Kopf schüttelte.

„Lächerlich“, knurrte er. „Ich lasse mich ganz bestimmt nicht auf so eine alberne Vereinbarung ein.“

Renee klopfte das Herz bis zum Hals. „Na kommen Sie schon, was haben Sie denn zu verlieren?“

Ohne ein weiteres Wort wandte er sich ab und humpelte zum Haus zurück. Renee konnte nichts anderes tun, als dastehen und ihm nachblicken.

Wie lange auch immer ihr Aufenthalt hier dauern mochte – sie war sicher, dass es ihr sehr, sehr lang vorkommen würde.

Der Rest des Tages verlief ohne weitere Zwischenfälle. Renee sah Pablo nur noch einmal, als er gerade das Speisezimmer betrat. Sie selbst würde ihr Abendessen in der Küche einnehmen, zusammen mit Valeria. Immerhin war sie kein Gast des Hauses, sondern lediglich eine Art Angestellte. So zumindest hatte Valeria es ihr gegenüber geäußert.

Die Mahlzeit verlief schweigsam. Die Haushälterin war ganz offenkundig nicht an Smalltalk interessiert. Auch machte sie auf Renee nicht den Eindruck, dass sie irgendetwas über sie persönlich in Erfahrung bringen wollte. Sie sprach nur das Nötigste mit ihr, und Renee brachte von sich aus kein Gespräch in Gang, auch wenn sie die Stille als ein wenig bedrückend empfand.

Sie war froh, als sie sich ein wenig später auf ihr Zimmer zurückziehen konnte. Sie trat hinaus auf den kleinen Balkon und schaute zu, wie die Sonne hinter den Bergen versank. Der Himmel glühte einen Moment lang in einem so feurigen Rot, dass es aussah, als würde er in Flammen stehen. Über ihr glitzerten bereits die ersten Sterne. Anders als in London, wo sie aufgewachsen war, oder in Oxford, wo sie ihre Praxis aufgemacht hatte, gab es hier draußen so gut wie keine künstlichen Lichtquellen. Sie konnte sich nicht entsinnen, die Sterne jemals so strahlen gesehen zu haben. Es war atemberaubend, und für einen Moment vergaß sie alle Sorgen und Probleme.

Sie stützte sich mit beiden Händen auf die Brüstung, schloss die Augen und genoss die sanfte Brise, die ihre Haut wie ein Streicheln liebkoste. Einen Moment lang blieb sie einfach so stehen, dann seufzte sie und kehrte wieder in ihr Zimmer zurück.

Obwohl sie wirklich müde war, brauchte sie in dieser Nacht lange, um zur Ruhe zu kommen. Entsprechend gerädert fühlte sie sich am nächsten Morgen, als ihr Wecker sie um kurz vor sieben aus dem Schlaf riss.

Eigentlich musste sie gar nicht früh aufstehen. Pablo Ruiz hatte ihr klar und deutlich zu verstehen gegeben, dass ihre Dienste hier nicht erwünscht waren. Was sollte sie also den ganzen lieben langen Tag machen?

Sie war nicht der Typ Mensch, der sich einfach zurücklehnte und nichts tat. Sie brauchte eine Aufgabe. Etwas, bei dem sie sich nützlich fühlen konnte. Und die Sache war die: Sie glaubte wirklich, dass sie Pablo Ruiz helfen konnte.

Ihr kam nicht einmal der Gedanke, ihm ihre Hilfe wegen dem, was er Felix angetan hatte, vorzuenthalten. Diese beiden Dinge hatten rein gar nichts miteinander zu tun. Sie nahm ihren Beruf viel zu ernst, um sich von persönlichen Gefühlen beeinflussen zu lassen.

Ihr Frühstück nahm sie allein ein. Sie hatte keine Ahnung, wann Valeria aufgestanden war, aber so, wie sie die ältere Frau einschätzte, war sie bereits auf den Beinen, seit sich die ersten zaghaften Sonnenstrahlen über den Horizont getastet hatten.

Pablo Ruiz bekam sie ebenfalls nicht zu sehen. Weder beim Frühstück noch danach, doch sie hörte manchmal das Pochen seines Stocks, wenn er im oberen Stockwerk auf und ab lief.

Den Vormittag verbrachte sie auf ihrem Zimmer und überlegte, wie sie am besten weiter vorgehen sollte. Sie musste sich ungestört im Haus bewegen können, aber das war nicht so leicht, wenn sie nie wusste, wo sich die anderen Bewohner aufhielten.

Und solange sie nicht mehr war als ein geduldeter Gast – wenn überhaupt – würde sie nie einen Einblick über die Tagesabläufe erhalten.

Entschlossen griff sie nach ihrem Handy und rief erneut die Nummer der Agentur an, von der sie engagiert worden war. Große Hoffnung machte sie sich nicht, da sie am Vortag dort niemanden erreichen konnte. Doch zu ihrer Überraschung meldete sich schon beim zweiten Klingeln jemand.

„Ähm … Mein Name ist Renee Hayworth. Ich wurde engagiert, um …“

„Oh, die Physiotherapeutin“, fiel ihr die Frau am anderen Ende der Leitung ins Wort. „Ja, mir ist bekannt, wer Sie sind. Hatten Sie schon Gelegenheit, mit Señor Ruiz zu arbeiten?“

„Das genau ist der Grund meines Anrufs. Leider war es mir bisher nicht möglich, mir das Bein des Patienten auch nur anzusehen.“

Man konnte das Stirnrunzeln ihrer Gesprächspartnerin förmlich hören. „Und warum nicht, wenn ich fragen darf?“

„Das ist einfach erklärt: Señor Ruiz weigert sich, einer Untersuchung zuzustimmen – und eine Behandlung durch meine Person lehnt er kategorisch ab.“

Einen Moment lang herrschte Schweigen, dann räusperte sich ihre Gesprächspartnerin. „Können Sie bitte einen Moment dranbleiben, Miss Hayworth?“

„Natürlich“, entgegnete Renee, doch da hörte sie bereits die Warteschleifenmusik. Lange musste sie sich nicht gedulden. Es vergingen keine fünf Minuten, da knackte es in der Leitung, und eine Männerstimme meldete sich.

„Miss Hayworth?“

„Ja?“

„Vielen Dank, dass Sie uns so zeitnah in Kenntnis gesetzt haben. Wir werden dafür sorgen, dass Ihr Patient sich Ihnen gegenüber zukünftig kooperativer zeigen wird.“

Renee lag die Frage auf der Zunge, wie dieser Mann ein solches Wunder vollbringen wollte, doch sie schluckte sie hinunter. Stattdessen bedankte sie sich und beendete das Gespräch.

Sie ließ sich auf ihr Bett sinken und verschränkte die Arme hinter dem Kopf.

Jetzt galt es nur noch abzuwarten und auf das Beste zu hoffen.

Es vergingen keine zwei Stunden, bis sie Schritte hörte, die vom Pochen von Holz auf Holz begleitet wurden. Kurz darauf klopfte es energisch an ihrer Tür, und die Stimme ihres Patienten erklang.

„Miss Hayworth? Auf ein Wort, bitte.“

Renee unterdrückte ein Seufzen. Sie konnte sich natürlich vorstellen, worum es ging – und seine Laune schien auch dementsprechend.

Sie ging zur Tür und öffnete. „Señor Ruiz.“ Sie lächelte ihr professionellstes Lächeln. „Was kann ich für Sie tun?“

Er runzelte die Stirn. „Wollen Sie mir allen Ernstes weismachen, dass Sie das nicht wissen? Ich habe vorhin einen Anruf meines Managements erhalten. Und stellen Sie sich vor, was man mir mitgeteilt hat.“

„Klären Sie mich gerne auf.“

„Man hat mir ans Herz gelegt, doch mit meiner neuen Physiotherapeutin zusammenzuarbeiten, wenn ich nicht gegen die Bedingungen meines Managementvertrags verstoßen will. Möchten Sie mir vielleicht erklären, wie die davon erfahren haben?“

Renee straffte die Schultern und reckte das Kinn. „Sehr gern, obwohl Sie sich die Antwort sicher bereits denken können. Ich habe Kontakt mit der Agentur aufgenommen, weil ich nicht einsehe, für eine Leistung bezahlt zu werden, die ich nicht erbringen kann.“

Seine Augen wurden schmal. „Ich kann es nicht ausstehen, wenn man versucht, mich auszutricksen. Sie mischen sich in Angelegenheiten ein, die Sie nicht das Geringste angehen.“

Renee verschränkte die Arme vor der Brust. Sie dachte gar nicht daran, sich von ihm einschüchtern zu lassen. „Das sehe ich allerdings anders“, entgegnete sie. „Sie sind nicht mein Auftraggeber, Señor Ruiz. Natürlich sind Sie mein Patient – zumindest wenn es uns gelingt, tatsächlich einmal an diesen Punkt zu gelangen –, und entsprechend bin ich Ihnen gegenüber auch verpflichtet. Ebenso wie ich es als Gast in Ihrem Haus bin. Aber was meine Arbeit betrifft, lasse ich mich auf keine Kompromisse ein.“ Sie neigte den Kopf ein Stück zur Seite. „Und ich verstehe ganz offen gestanden auch nicht, warum Sie nicht wenigstens einen Versuch wagen wollen. Was haben Sie denn zu verlieren?“

Seine Miene blieb abweisend, doch in seinen Augen sah sie eine Vielzahl von Gefühlen, die miteinander rangen.

Was ging in diesem Mann vor? Wieso zeigte er sich so kalt und unnahbar? Sie erinnerte sich gut, dass er bei seinen Fans immer besonders beliebt dafür gewesen war, dass er so offen und zugänglich war. Er hatte stundenlang gut gelaunt Autogramme gegeben, jedem im Rahmen seiner Möglichkeiten ein wenig seiner Zeit gewidmet, Selfies gemacht und Fragen beantwortet.

Der Pablo Ruiz, der ihr gegenüberstand, schien ein vollkommen anderer Mann zu sein.

Lag das alles nur an seinem Unfall? Daran, dass er nicht mehr so konnte, wie er wollte? Oder war dies sein eigentliches, sein wahres Gesicht?

Renee hatte ihm seine Freundlichkeitsmasche nie wirklich abgekauft. Nachdem er Felix so übel mitgespielt hatte, konnte sie das einfach nicht. Ein Mann, der rücksichtslos einen anderen über die Klinge springen ließ, um seine eigene Haut zu retten, war in ihren Augen einfach nur falsch und unehrenhaft.

„Ich glaube nicht, dass ich mich Ihnen erklären muss“, entgegnete er brüsk und riss sie damit in die Gegenwart zurück. „Wenn es nach mir ginge, wären Sie überhaupt nicht hier. Ich habe keine Lust, meine Zeit mit irgendwelchen Gymnastikübungen zu verschwenden, nur um Ihnen einen Gefallen zu tun.“

„Auch nicht, wenn diese … Gymnastikübungen Ihnen dabei helfen könnten, wieder vollständig auf die Beine zu kommen?“

„Daran glaube ich nicht, und das wissen Sie auch ganz genau.“

„Wo wir wieder bei meiner anfänglichen Frage wären: Was haben Sie zu verlieren?“

Die Frage hallte in Pablos Ohren wider. Was hatte er zu verlieren?

Alles, antwortete er für sich selbst. Er hatte in den vergangenen Monaten so viel verloren, er würde es nicht ertragen, auch nur eine weitere Sache zu verlieren – und wenn es nur ein Funken Zuversicht war, den er eigentlich gar nicht mehr hatte.

Oder seinen Stolz.

Das war alles, was ihm noch erhalten geblieben war, und er hielt mit eisernem Willen daran fest.

Und dennoch … So ungern er es sich selbst gegenüber auch eingestehen wollte – die Worte dieser Frau ließen ein winziges bisschen Hoffnung in ihm aufkeimen. Was, wenn er sich täuschte? Wenn es ihr wirklich gelang, das Unmögliche möglich zu machen?

Wie üblich versuchte er, den Gedanken beiseitezuschieben. Es half nichts, wenn er sich selbst etwas vormachte. Das war sinnlos und würde am Ende nur zu noch mehr Enttäuschung und Bitterkeit führen.

Aber was, wenn nicht?

Diese leise, aber eindringliche Stimme verfolgte ihn nun schon seit seinem Gespräch mit der Physiotherapeutin am Pool. Sie hatte einfach etwas ungemein Überzeugendes an sich. Sie schien wirklich daran zu glauben, dass sie ihm helfen konnte. Und konnte er absolut sicher sein, dass sein aktueller Zustand sich nicht weiter verbessern ließ?

Selbst, wenn es nur ein kleines bisschen war, wäre es das nicht wert?

Er fuhr sich mit beiden Händen durchs Haar, dann schaute er Renee Hayworth an. Die rotbraunen Haare hatte sie zu einem Zopf zusammengefasst, und sie trug lockere schwarze Yogahosen und ein einfaches smaragdgrünes T-Shirt. Nichts an ihr erinnerte an die Frauen, mit denen er früher ausgegangen war. Die wären in einem solchen Outfit niemals vor die Tür gegangen – ebenso wenig wie perfekt geschminkt und gestylt.

Nein, Renee Hayworth fiel ganz und gar nicht in sein Beuteschema. Dennoch musste er zugeben, dass sie schön war. Sehr sogar.

Er wandte den Blick ab. „Also gut“, hörte er sich selbst sagen. „Ich gebe Ihnen eine Chance. Eine. Sie haben genau eine Woche. Wenn ich bis dahin nicht wenigstens einen kleinen Fortschritt sehe, war’s das.“

„Eine Woche ist zu …“

Er hob die Hand, und Renee verstummte. „Eine Woche – und ich verspreche, dass ich keine Wunder erwarte. Aber sollte ich keine noch so geringe Veränderung sehen …“

Sie musterte ihn eindringlich, und schließlich nickte sie. „Also gut, ich nehme die Herausforderung an. Aber im Gegenzug werden Sie in den nächsten sieben Tagen genau das tun, was ich von Ihnen verlange.“ Sie streckte ihm die Hand entgegen, ihre Miene war ernst. „Also – Deal?“

Kurz zögerte er, denn irgendwie war ihm ihre Bedingung nicht ganz geheuer. Doch dann sagte er sich, dass er mit allem, was sie von ihm verlangte, schon irgendwie fertig werden würde.

Er schlug ein. „Deal.“

3. KAPITEL

Bereits als es am nächsten Morgen in aller Herrgottsfrühe an seiner Tür klopfte, bereute Pablo seine Entscheidung inständig.

Der Himmel leuchtete noch in zarten Pastellfarben, und ein Blick auf den Wecker auf seinem Nachttisch sagte ihm, dass es gerade einmal kurz vor sechs war.

Er zog das Kissen über seinen Kopf, um das hartnäckige Klopfen auszublenden – erfolglos.

Schließlich rollte er sich mit einem Seufzen von der Matratze, griff nach seinem Gehstock, der am Nachttisch lehnte, und humpelte zur Tür. Er war sich ziemlich sicher, dass seine Miene alles andere als erfreut wirkte, als er die Tür aufriss. Renee Hayworth jedoch wirkte vollkommen ungerührt.

„Einen wunderschönen guten Morgen“, sagte sie fröhlich, und wenn überhaupt möglich, ließ es seine Laune nur noch weiter dem absoluten Nullpunkt entgegensinken.

„Was wollen Sie?“

Sie hob eine Braue. „Sie haben mir sieben Tage gegeben, Señor Ruiz. Und ich gedenke diese kurze Zeit so gut wie irgend möglich zu nutzen. Wenn Sie Ihr Ultimatum also nicht verlängern möchten …“

Pablo fuhr sich mit einer Hand über die Augen und unterdrückte ein Stöhnen. „Nein, ich möchte das Ultimatum nicht verlängern“, entgegnete er gereizt.

„Dann schlage ich vor, dass Sie sich jetzt fertig machen, und wir treffen uns in …“, sie warf einen raschen Blick auf ihre Armbanduhr, „… zehn Minuten unten beim Pool.“ Sie lächelte, doch es wirkte nicht besonders ermutigend. „Und seien Sie pünktlich.“

Sie trat von der Tür weg, und Pablo ließ sie ins Schloss fallen. Er rieb sich mit beiden Händen übers Gesicht und versuchte die bleierne Müdigkeit abzuschütteln, die von ihm Besitz ergriffen hatte.

Eigentlich war er nie ein Langschläfer gewesen. Selbst an den Wochenenden war er allerhöchstens bis halb acht im Bett geblieben. Er war ein aktiver Mensch gewesen, der immer mit irgendetwas beschäftigt sein musste. Stillstand war ihm ein Graus gewesen, und sein Sport hatte ihm zum Glück mehr als ausreichend Gelegenheit geboten, immer in Bewegung zu bleiben.

Und dann war der Unfall passiert.

Zweieinhalb Wochen hatte er im künstlichen Koma gelegen, ehe die Ärzte ihn wieder zurückholten. Als ihm bewusst wurde, wie viel sich in der Zwischenzeit verändert hatte, wünschte er sich mehr als einmal, sie hätten es nicht getan.

Alles war anders. Alles, was er als gegeben angenommen hatte, war ihm genommen worden. Das Einzige, was ihn aufrecht gehalten hatte, war Clarisse gewesen.

Er hatte ihr zwei Wochen vor dem Unfall einen Heiratsantrag gemacht. Davor waren sie bereits fast ein Jahr zusammen gewesen – die längste Zeit, die er es je mit einer Frau ausgehalten hatte.

Clarisse war ein Model. Jung, erfolgreich und wunderschön. Und Pablo konnte sich an ihr gar nicht satt sehen. Der Gedanke, dass sie die Frau war, die er heiraten wollte, war ihm ganz spontan während der Siegesfreier gekommen, nachdem er den Grand Prix in Monaco für sich entschieden hatte. Sie war perfekt für ihn. Selbstbewusst, unabhängig, und – vielleicht der wichtigste Punkt von allen – sie engte ihn nicht ein.

Er hatte geglaubt, dass es Liebe war. Dass sie einfach verstand, wie sehr er seinen Freiraum brauchte, und ihn genug liebte, um ihn nicht in einen Käfig sperren zu wollen.

Wie sehr er sich doch getäuscht hatte …

Hastig schüttelte er den Gedanken an Clarisse ab. Seine Stimmung war an diesem Morgen ohnehin schon schlecht genug – er musste sie nicht noch zusätzlich verschlimmern.

Eine kurze Wäsche später schlüpfte er in graue Trainingshosen und ein einfaches weißes T-Shirt. Sein rechtes Bein war, wie zumeist am Morgen, steif, und er brauchte ein bisschen, um in seine Laufschuhe zu kommen. Schließlich humpelte er, seinen Stock fest im Griff, die Treppe hinunter.

Renee war bereits draußen am Pool, als er ins Freie trat. Sie lag seitlich auf einer neongelben Isomatte und streckte ihr linkes Bein im rechten Winkel in die Höhe. Als sie Pablo erblickte, huschte ein Lächeln über ihre Lippen. „Sie sind spät, Señor Ruiz.“

Er verzog das Gesicht. „Könnten Sie wohl damit aufhören, mich so zu nennen? Ich habe immer das Gefühl, dass mein Vater hinter mir steht – und das ist nicht unbedingt etwas, wonach es mich verlangt.“

Mit einem leisen Schnauben rollte sie sich auf den Bauch, griff nach ihrem Fußgelenk und zog es nach oben. „Eine unschöne Kindheit würde zumindest erklären, dass Sie sich zu einem so … schwierigen Charakter entwickelt haben.“

Eines musste er ihr lassen: Diese Frau besaß tatsächlich Courage, so mit ihm zu sprechen. Das wagte sonst niemand – abgesehen vielleicht von Valeria, die grundsätzlich immer sagte, was sie dachte.

Und, fügte er mit einem seltsamen Flattern in der Brust hinzu, sie hatte einen verdammt hübschen Hintern, gut gerundet und …

Was waren das für Gedanken? Er schüttelte den Kopf über sich selbst. Sie war seine Physiotherapeutin. Noch dazu eine, die er eigentlich gar nicht wollte. Es war absurd, sie auch nur auf diese Weise anzusehen.

Er ballte die Hände zu Fäusten. „Ich würde es begrüßen, wenn sie solche Kommentare in Zukunft für sich behalten könnten“, knurrte er. „Und was mein anderes Anliegen betrifft – nennen Sie mich bitte Pablo.“

Sie zuckte mit den Achseln. „Schön, Pablo, mein Name ist, wie Sie sicher bereits wissen, Renee. Und nun fände ich es recht sinnvoll, wenn wir mit der Arbeit beginnen könnten – was meinen Sie?“

Er nickte, sagte aber nichts. Es lenkte ihn irgendwie ab, sie so zu sehen – verbogen wie ein Bretzel.

Sie ließ ihren Knöchel los, richtete sich in eine sitzende Position auf und schaute ihn fragend an. „Also schön, was haben Sie mit Ihrem bisherigen Therapeuten so gemacht?“

Verständnislos schaute er sie an und schüttelte den Kopf.

Sie blinzelte. „Was soll das heißen?“

„Dass es keinen Therapeuten gab – ich dachte, das wäre klar“, entgegnete er barsch. Er bereute bereits, sich überhaupt auf diese alberne Vereinbarung eingelassen zu haben. Diese ganze Situation war einfach nur absurd. Sein Knie schmerzte, und die Muskeln in seiner Wade waren hart und verkrampft. Er wusste genau, er würde nicht einmal in der Lage sein, sich einigermaßen mit Anstand auf der neonpinkfarbenen – ausgerechnet pink! – Matte niederzulassen, die sie für ihn ausgerollt hatte.

Er presste die Zähne aufeinander. Jeder einzelne Tag seit dem Unfall war eine neue Demütigung gewesen. Er war immer stark gewesen. Geradlinig. Stolz. Sein Körper war für ihn ein Instrument gewesen, das er meisterhaft zu spielen gewusst hatte.

Viele Menschen dachten, als Renn...

Autor

Danielle Stevens
<p>Danielle Stevens liebt London, wo sie und ihr Ehemann gern Zeit bei ausgedehnten Spaziergängen im Hyde Park oder beim Shopping auf der Regent Street verbringt. Doch auch überall sonst auf der Welt fühlt sie sich zu Hause. So haben ihre Reisen sie unter anderem bereits nach Spanien, Frankreich, Griechenland und...
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Susan Clarks
<p>Neben ihrem großen Vorhaben, die Welt zu retten, träumte Susan Clarks schon früh davon, einen Roman zu verfassen. Prompt verschob sie die Weltrettung auf später und widmete sich stattdessen ausgiebig dem kreativen Schreiben. Bisher hat sie mehrere Romane veröffentlicht, darunter die Serie „Restless“.</p>
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