Romana Gold Band 63

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KOMM MIT MIR NACH IRLAND von KIM LAWRENCE
Auf einem Herrensitz in Irland steht Scarlet vor einer schweren Entscheidung: Während sie Roman O’Hagan liebt, scheint er sie nur aus Vernunftgründen heiraten zu wollen. Soll sie trotzdem Ja sagen – in der Hoffnung, dass Roman irgendwann ihre Gefühle erwidert?

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  • Erscheinungstag 11.06.2021
  • Bandnummer 63
  • ISBN / Artikelnummer 9783751503297
  • Seitenanzahl 444
  • E-Book Format ePub
  • E-Book sofort lieferbar

Leseprobe

Kim Lawrence, Penny Roberts, Trish Wylie

ROMANA GOLD BAND 63

1. KAPITEL

„Ich dachte schon, Sie würden sich verspäten“, meinte seine persönliche Assistentin, als Roman O’Hagan in den leeren Konferenzraum geschlendert kam.

„Ich weiß nicht, ob ich das jemals erwähnt habe, Alice, aber Sie legen gesteigerten Wert auf Pünktlichkeit“, entgegnete Roman, schlüpfte aus seinem Jackett und hängte es über eine Stuhllehne. „Und falls es Ihnen entfallen sein sollte – ich bin hier der Boss und kann es mir daher erlauben, zu spät zu kommen.“

Alice, die seit vier Jahren für ihn arbeitete und sich nicht daran erinnern konnte, dass er sich in dieser Zeit jemals verspätet hatte, stellte einen Becher Kaffee vor ihn auf die polierte Platte des Konferenztisches.

„Also gut, Boss. Ich habe es geschafft, uns auf den Flug um halb fünf nach Dublin zu buchen.“

„Ausgezeichnet.“ Er ließ sich auf den ledernen Drehsessel fallen und streckte seine langen Beine genüsslich aus, ehe er mit einer Grimasse hinzufügte: „Was man von diesem Kaffee nicht behaupten kann! Was haben Sie nur damit angestellt?“ Er blickte misstrauisch auf die hellbraune Flüssigkeit in seinem Becher.

„Der ist entkoffeiniert, und falls es Ihnen entfallen sein sollte, so ist Kaffeekochen nicht meine Aufgabe. Ich tue es nur, weil ich so nett bin.“

„Da hab ich aber Glück“, erwiderte Roman sarkastisch.

„Allerdings.“ Alice hielt an der Tür inne. „Ihr Bruder hat übrigens angerufen.“

„Hat er eine Nachricht hinterlassen?“

„Nicht für Sie.“

Roman hob seine dunklen Augenbrauen ob dieser Bemerkung. Er war sich hundertprozentig sicher, dass sein Bruder Luca der Grund dafür war, dass seine Assistentin in den vergangenen Monaten eine ganze Kleidergröße abgenommen hatte.

Es fiel ihm immer schwerer, taktvoll zu schweigen und sie nicht darauf hinzuweisen, dass sein Bruder nicht gerade zu den heiratswilligen Männern gehörte.

„Er hat gesagt, dass er noch mal anruft.“

Die Telefonkonferenz begann wirklich gut, verflachte aber zusehends, nachdem der zweite Sprecher das Wort ergriffen hatte.

Wie ist es nur möglich, dass jemand so lange redet und dabei absolut nichts sagt?

Roman unterbrach den ausschweifenden Wortschwall mit einer Zwischenfrage. Die Antwort war jedoch noch umständlicher und bestätigte die Vermutung, dass dieser hoch bezahlte Topmanager weder das Problem erkannt noch die nötige Recherchen unternommen hatte.

„Sie glauben also, dass der europäische Markt bereit ist für ein Projekt dieser …“ Bevor er die Frage zu Ende formulieren konnte, wurde er von einer Frauenstimme unterbrochen, einer tiefen, leicht rauchigen, sehr attraktiven Frauenstimme.

„Entschuldigen Sie bitte, aber spreche ich mit Mr. O’Hagan?“

„Wer ist das?“

„Einem Mr. Roman O’Hagan?“

„Wie in aller Welt …? Das hier ist eine private …“

„Ich versuche, einen Mr. O’Hagan zu erreichen. Könnten Sie mir sagen, mit wem ich spreche?“

Diese Mischung aus selektiver Taubheit und Hartnäckigkeit war äußerst nervtötend, auch wenn die Frau eine unheimlich sexy Stimme hatte, entschied Roman.

O’Hagan Construction war erst vor Kurzem von der Presse als vorbildlich bezeichnet worden, weil man dort überdurchschnittlich viele Frauen in Führungspositionen beschäftigte, doch keine von denen nahm an der heutigen Telefonkonferenz teil.

Roman hatte nicht die leiseste Ahnung, wer die Frau war oder wie es ihr gelungen war, mitten in eine äußerst wichtige Konferenz zu platzen. Er bezweifelte aber auch, ob es die Mühe wert war, das herauszufinden.

„Ich weiß nicht, wie Sie es geschafft haben, hierher durchgestellt zu werden …“ Roman hielt abrupt inne. Sein träges Lächeln enthielt eine Spur Selbstverachtung. Konnte es sein, dass er sich deshalb so tolerant und geduldig zeigte, weil der Störenfried eine so sexy Stimme hatte? Vor seinem geistigen Auge sah er zu dem rauchigen Timbre lange Beine, verführerische Lippen und langes blondes Haar.

„Nun, fragen Sie nicht mich! Vielleicht sind Sie jetzt an der Reihe, mich abzuwimmeln“, meinte sie bitter. „Man hat mich schon zu jeder anderen Person in diesem verdammten Gebäude durchgestellt!“

Adieu schöne Verführerin, hallo schnippische Lehrerin. Na ja, die Fantasie war ja auch zu nett gewesen.

„Würde es Ihnen etwas ausmachen, aufzulegen? Das hier ist eine private und vertrauliche Unterredung.“ Manche Männer mochten ja herrische Frauen bevorzugen – jedem das Seine, war sein Motto – aber sein Geschmack ging ganz sicher nicht in diese Richtung.

„Ich habe nicht das geringste Interesse an Ihrer Unterredung“, machte ihm die Besitzerin dieser rauchigen Stimme unmissverständlich klar. „Und ich warne Sie: Wenn ich mir noch einmal die ‚Schöne blaue Donau‘ anhören muss, dann kann ich nicht für die Konsequenzen garantieren. Wollen Sie dafür verantwortlich sein, dass eine Frau nackt durch die Gegend läuft und dabei Kauderwelsch erzählt?“

„Das käme auf die Frau an …“

„Es freut mich, dass Sie das so amüsant finden.“

„Lassen Sie einen eigentlich jemals ausreden?“

„Um Himmels willen, ich bitte nicht um eine persönliche Audienz beim Papst, ich will einfach nur Mr. O’Hagan sprechen. Wie ich bereits unzähligen Leuten erklärt habe, ist es verdammt wichtig.“

Roman verzog die Lippen zu einer zynischen Grimasse. Er verschränkte die Hände hinter dem Kopf und lehnte sich in seinem Ledersessel zurück.

„Es hätte mich überrascht, wenn es das nicht wäre“, bemerkte er trocken.

Leute, die ihn sprechen wollten, hielten sich und das, was sie ihm zu sagen hatten, immer für unglaublich wichtig. Neunzig Prozent boten ihm an, ein Vermögen zu machen; alles was sie dazu brauchten, war ein bisschen von seinem Kapital, um ihre Projekte zum Laufen zu bringen. Die wenigsten dieser Typen kamen je dazu, ihm ihre Pläne persönlich mitzuteilen, da sie normalerweise nicht zu ihm durchgestellt wurden.

Diese Regel hatte er einführen müssen, nachdem er eine Situation auf verheerende Weise falsch eingeschätzt hatte. Er war eines Morgens in sein Büro gekommen, um dort eine Frau mittleren Alters vorzufinden, die ihm seit geraumer Zeit nachgestellt hatte, die er in seiner unbegrenzten Weisheit jedoch als harmlos abgetan hatte. Die Frau war mit einem langen, scharfen Küchenmesser gekommen und hatte seine entsetzte Assistentin bereits als Geisel genommen.

Alice hatte eine Narbe zurückbehalten. Unbewusst fasste er sich an die Wange. Ihre war zum Glück nicht zu sehen, aber seine eigene erinnerte ihn jedes Mal an seine schlechte Menschenkenntnis, wann immer er in den Spiegel blickte.

„Alice“, rief er, während er seinen Sessel herumdrehte, sodass er die offene Tür anstarrte. „Ich habe eine Verrückte in der Leitung, können Sie bitte etwas dagegen tun?“

„Ich bin keine Verrückte!“ Die Stimme der fremden Frau zitterte vor Empörung.

„Also gut“, brummte er. „Trotzdem befinden Sie sich in einem Privatgespräch, also legen Sie endlich auf! Wenn Sie eine Nachricht loswerden wollen, dann können Sie das an anderer Stelle tun.“

„Haben Sie eigentlich überhaupt nicht zugehört? Ich habe keine Zeit für andere Stellen … Hat Ihnen schon mal jemand gesagt, dass sie gar keine Manieren haben?“

„Es wurde schon mal erwähnt, aber selten wird mir so was ins Gesicht gesagt.“

„Sehr witzig“, kam die sarkastische Antwort. „Wenn ich die Gelegenheit hätte …, also hören Sie, sind Sie Mr. O’Hagan?“

„Ich bin Roman O’Hagan. Und wenn Sie nicht auflegen, meinen Sie, Sie könnten mir dann endlich mal sagen, wer Sie sind? Selbst wenn es nur darum geht, dass Sie mich in Zukunft nicht noch einmal belästigen.“

Diese Drohung rief ein hörbares Seufzen am anderen Ende der Leitung hervor. „Das hätten Sie doch wirklich sofort sagen können, anstatt derart meine Zeit zu verschwenden.“

Ihre Zeit zu verschwenden …?“ Roman konnte nur hoffen, dass seine Manager weiter schweigen würden.

„Mein Name ist Scarlet Smith.“

Scarlet … Roman stellte fest, dass er schon wieder an lange Beine und blondes Haar dachte. Nicht dass ihn das dazu bringen könnte, sich mit einer derart nervtötenden Frau zu verabreden!

„Ich leite die Kinderkrippe an der Universität.“

Also hatte er beinahe richtig gelegen mit seiner Vermutung, sie sei Lehrerin.

„Ihre Mutter eröffnet die Krippe heute offiziell. Sie ist gerade in meinem Büro, und ich fürchte, es geht ihr nicht besonders gut.“

Roman schob sich sofort in eine aufrechte Position. Seine entspannte Haltung war verflogen. „Was ist passiert?“

„Ich will Sie nicht erschrecken …“

„Das tun Sie aber, also kommen Sie zur Sache“, unterbrach er sie barsch.

„Ihre Mutter ist vor einer kurzen Weile in Ohnmacht gefallen. Jetzt scheint es ihr besser zu gehen.“

Seine Mutter wurde nicht ohnmächtig. „Was sagt der Arzt?“, fragte Roman, während er bereits mit einem Arm in sein Jackett schlüpfte.

„Sie war nicht beim Arzt.“

Er hörte den schuldbewussten Klang in der attraktiven Stimme und zog seine Augenbrauen missbilligend zusammen.

„Warum nicht, zum Teufel?“, wollte er wissen. „Ich brauche den Wagen“, fügte er zusammenhangslos hinzu, während er sich an seine Assistentin wandte, die wusste, wann sie keine Fragen stellen durfte. „Und sagen Sie alle meine Termine für den Rest des Morgens ab. Dann richten Sie Dr. O’Connor aus, dass er mich in der Universität treffen soll.“

„Unser Flug …?“

„Stornieren.“

„Ihre Mutter hat nicht zugelassen, dass ich einen Arzt oder den Krankenwagen rufe.“

Roman drehte sich um, als wolle er der Frau in der Leitung ins Gesicht sehen. „Hat nicht zugelassen? Sie war ohnmächtig!“

„Weniger als eine Minute.“

Roman konnte es nicht leiden, wenn Menschen nicht für ihre Taten geradestanden und versuchten, die Schuld von sich zu weisen.

„Lassen Sie mich Ihnen eines versichern, Miss Smith, wenn meine Mutter sich einen Nagel abgebrochen hat und das hätte verhindert werden können, wenn Sie einen Arzt gerufen hätten, dann werde ich Sie und die Universität derart verklagen, dass Ihnen Hören und Sehen vergeht!“, versprach er ihr, ehe er den Hörer auf die Gabel knallte.

Seine Assistentin schaltete sich ein. „Wirklich, manchmal sind Sie einfach unmöglich!“

„Was soll das? Frauensolidarität?“

„Ich glaube, Sie wissen gar nicht, wie sehr Sie die Leute einschüchtern“, entgegnete sie und schüttelte dabei missbilligend den Kopf.

„Doch, Alice. Ich weiß genau, wie ich die Leute einschüchtere.“ Er zeigte ein raubtierhaftes Grinsen. „Das ist das Geheimnis meines Erfolges …“

„Blödsinn“, widersprach Alice. „Das Geheimnis Ihres Erfolges ist, dass Sie nur für die Arbeit leben und kein Privatleben haben. Ihnen fehlt die Balance.“

„Wenn Sie ein bisschen eingeschüchterter wären und weniger forsch, wäre das nicht schlecht“, brummte er.

„Das arme Mädchen heult sich wahrscheinlich gerade die Augen aus.“

„Tut mir leid, aber ich kann mit Inkompetenz nichts anfangen, und schon gar nicht, wenn sie meine Familie gefährdet“, schloss Roman grimmig.

Im Gegensatz zu Alices Vermutung war das „arme Mädchen“ weder eingeschüchtert noch in Tränen aufgelöst. Sie ging einen Universitätskorridor entlang, und Leute, die ihr normalerweise einen freundlichen Gruß zugerufen hätten, warfen einen Blick auf ihr sonst so heiteres Gesicht und trauten sich nicht, sie anzusprechen.

Wieder andere starrten sie neugierig an, während sie einige der Wahrheiten vor sich hin schimpfte – die Akustik war exzellent – die sie Roman O’Hagan gern ins Gesicht geschleudert hätte.

Natürlich hätte sie einen Krankenwagen rufen sollen, das wusste sie auch – für wie dumm hielt er sie eigentlich?

David Anderson, der Vizekanzler der Universität, wirkte unglaublich erleichtert, als sie durch die Tür trat.

„Ich dachte, du wolltest nur einen Moment weg, Scarlet?“, fragte er, während er sie ein wenig zur Seite zog, sodass sie außerhalb der Hörweite der blassen Frau waren, die auf Scarlets Stuhl saß.

„Wie geht es ihr?“, fragte Scarlet, die auf sein Handzeichen reagierte und leise sprach.

„Besser, denke ich. Sie hat mich gebeten, ihren Wagen zu bestellen.“

„Das ist nicht der Mühe wert, David. Ihr Sohn ist auf dem Weg“, antwortete sie beiläufig.

So gestresst wie David ohnehin schon war, sah sie wenig Sinn darin, ihm zu erzählen, dass sich der millionenschwere Bauunternehmer in einer äußerst gefährlichen und rachsüchtigen Stimmung befand.

Dennoch warf ihr der Vizekanzler einen verärgerten Blick zu, den sie geflissentlich ignorierte.

„Du hast Roman O’Hagan angerufen, nachdem sie dich ausdrücklich gebeten hatte, es nicht zu tun?“, stöhnte er.

„Hat sie das?“

„Ich weiß genau, dass sie das getan hat, Scarlet, denn ich war da, als sie es nicht nur ein Mal, sondern zwei Mal gesagt hat.“

„Na ja, vielleicht hat sie das getan“, gab Scarlet widerwillig zu. „Aber sie hat uns auch ausdrücklich gebeten, keinen Arzt oder Krankenwagen zu rufen“, erinnerte sie ihn. „Und das fand ich auch falsch.“

„Sie ist eine sehr wichtige Person; wir können ihre Wünsche nicht einfach ignorieren.“

„Das hast du ja auch nicht; ich habe es.“

David wirkte ein wenig besänftigt durch diese Bemerkung. „Das stimmt.“

„Nenn mich einfach ‚Scarlet, der Sündenbock‘“, meinte sie fröhlich.

David warf ihr einen vorwurfsvollen Blick durch seine Brille zu. „Ich gehe jetzt und organisiere jemanden, der sich um Mr. O’Hagan kümmert.“

Das war mindestens ein Job für drei Leute, dachte Scarlet bissig: eine Person, die vor ihm buckelte, eine andere, die Rosenblätter auf seinen Weg streute, und nicht zuletzt eine dritte, die das enorme Ego dieses Typen streichelte. Sie beneidete niemanden, der nett zu ihm sein musste. Nur weil er reich war, gab ihm das in ihren Augen noch lange keinen Freifahrschein.

„Wo ist nur der rote Teppich, wenn man einen braucht?“

David schaute sie entnervt an. „Ich hoffe, du warst nicht unfreundlich zu ihm.“

Scarlet setzte einen ebenso unschuldigen wie erstaunten Gesichtsausdruck auf.

„Sieh mich nicht so an, Scarlet, das macht mir Angst. Ich kenne dich, seit du sechs Jahre alt bist“, erinnerte er sie.

„Warum sollte ich unfreundlich sein zu dem Mann? Ich habe ihn nur angerufen, um ihm zu sagen, dass es seiner Mutter nicht gut geht.“

„Hmph.“ David ließ sie mit der Ermahnung zurück, keine weiteren eigenmächtigen Entscheidungen zu treffen, wenn sie ihren Job behalten wollte.

„Geht es Ihnen besser?“, fragte Scarlet, während sie sich der elegant gekleideten Frau näherte, die auf ihrem Stuhl saß.

„Viel besser, danke“, antwortete Natalia O’Hagan in ihrem weichen italienischen Akzent.

Sie sah nicht annähernd alt genug aus, um einen Sohn im Alter von Roman O’Hagan zu haben.

Wenn er seinen Playboy-Lebensstil nicht gerade schon als Teenager angefangen hatte, dann musste er so Anfang dreißig sein, um all die schönen Frauen gehabt haben zu können, mit denen er in Verbindung gebracht worden war.

Scarlet lächelte Natalia zu. Die ältere Frau war ihr von Anfang an sympathisch gewesen. Im Gegensatz zu ihrem Sohn wirkte sie wie eine warme, herzliche Person, ohne versnobt oder kühl zu sein.

Vielleicht hatte Roman O’Hagan die Arroganz von seinem Vater geerbt. Da waren immerhin italienische und irische Gene zusammengekommen, doch soweit sie es beurteilen konnte, mangelte es dem Ergebnis dieser Mischung sowohl am Charme der Iren als auch am Charisma der Italiener.

Trotz ihrer vorherigen Aussage zitterte die Hand der älteren Frau, als sie ein Glas Wasser an ihren Mund führte.

Scarlets Angst wuchs. Insgeheim schalt sie sich einen Schwächling, dass sie es nicht fertig gebracht hatte, sich durchzusetzen und einen Arzt zu rufen.

Zumindest in dieser Hinsicht hatte Natalias unmöglicher Sohn recht gehabt.

Sie hätte darauf bestehen sollen, doch als die Autoritäten der Universität, die David zur Eröffnungszeremonie begleiteten, sie überstimmt hatten, was hatte sie da getan? Sie hatte klein beigegeben.

„Lassen Sie mich doch wenigstens jemanden von der Erste-Hilfe-Abteilung hier in der Universität holen …“, begann Scarlet, nur um von einem ungeduldigen Kopfschütteln unterbrochen zu werden.

„Sie klingen wie meine Söhne.“

Scarlet hatte keine Kontrolle über ihren schockierten Gesichtsausdruck. „Ich?“

„Wissen Sie, ich betrachte mich selbst als glückliche Frau“, sagte Natalia. „Zwei Söhne, die ich sehr liebe, und sie sind wirklich gut zu mir. Aber“, meinte sie bekümmert, „sie sind beide viel zu sehr um mich besorgt. Roman ist vielleicht der Schlimmste.“

„Er hat die furchtbare Angewohnheit zu glauben, dass nur er weiß, was das Beste ist“, fuhr sie fort. „Wenn ich ihn lassen würde, würde er entscheiden, wie ich mein Leben zu führen habe.“

„Sie müssen ihm Paroli bieten!“

Natalia hob eine Augenbraue, als sie die Vehemenz in Scarlets Aussage hörte.

Scarlet errötete und zwang sich, weniger heftig zu reagieren. „Ich schätze, es ist die Aufgabe eines Sohnes, sich um das Wohlergehen seiner Mutter zu sorgen. Wahrscheinlich wird meiner das auch eines Tages tun“, fügte sie leicht hinzu.

Sie haben einen Sohn?“ Die dunklen Augen musterten Scarlets schlanke Figur. Sie trug ihr normales Joboutfit – Jeans und eins der bunten, kinderfreundlichen T-Shirts, die alle Mitarbeiter der Krippe trugen.

„Himmel, Sie sehen so jung aus, oder vielleicht werde ich auch einfach nur alt.“

„Sie sind nicht alt.“

„Wenn ich mir diese Kleinen ansehe, dann fühle ich mich …“ Sie hielt plötzlich inne, als sie durch das Fenster in den angrenzenden Raum blickte. „Dieses Kind – wie ist sein Name?“

Es war eine ganz normale Frage, aber Scarlet verstand nicht, warum ein derart angespannter Zug um den Mund der Frau lag und sie ihre Hände im Schoß verkrampfte.

„Welches? Wir haben einige Kinder hier. Möchten Sie sich vielleicht hinlegen …?“, schlug sie zaghaft vor. „Falls Sie sich nicht wohlfühlen?“

„Es geht mir gut.“ Das schwache Lächeln trug wenig zu Scarlets Beruhigung bei. „Der kleine Junge, von dem ich spreche, ist der, der mir die Blumen gegeben hat. Der dort drüben sitzt.“

Scarlet folgte dem Blick der leichenblassen Frau durch die Glasscheibe, die ihr Büro von dem neuen Spielzimmer trennte, zu der kleinen Person mit dunklen Haaren, die im Schneidersitz auf dem Boden saß und mit einigen Bauklötzen spielte.

„Sam“, antwortete Scarlet, während sie sich über die Erregung in der Stimme der anderen Frau wunderte.

„Ich hoffe, ich habe ihn nicht erschreckt.“

„Sam lässt sich nicht so schnell Angst einjagen“, entgegnete Scarlet.

„Das dachte ich mir“, kam die seltsame Antwort. „Seine Mutter … arbeitet sie in der Universität?“

„Sam ist mein Sohn, derjenige, den ich vorhin erwähnt habe.“ Scarlet bemühte sich, ihren Stolz nicht zu offen zu zeigen. „Einer der Vorteile, die Kinderkrippe der Universität zu leiten, ist es, dass ich ihn mit zur Arbeit bringen kann.“

Sie?“

Scarlet ertrug gleichmütig die Verwunderung, die sich auf sie richtete. Die Reaktion überraschte sie nicht. Sam war ein außergewöhnlich hübsches Kind, und alles was an ihr bemerkenswert war, war ihre absolute Gewöhnlichkeit. Dennoch trieb ihr das leise geflüsterte „Unglaublich!“ die Röte ins Gesicht.

Als hätte sie ihren Fehltritt bemerkt, so senkte der VIP-Gast verlegen seinen Blick.

„Und wie alt ist Sam?“

„Er ist im April drei geworden.“

„Er scheint sehr weit für sein Alter.“

„Sam hat eine schnelle Auffassungsgabe“, stimmte Scarlet zu und konnte diesmal den Stolz nicht ganz unterdrücken.

„Sie und Ihr Ehemann müssen sehr glücklich über ihn sein.“

„Ich bin nicht verheiratet.“ Selbst in diesen aufgeklärten Zeiten war Scarlet daran gewöhnt, dass diese Aussage bestimmte Grade an Missbilligung hervorrief, doch das erleichterte Aufflackern in Natalias braunen Augen war eine Reaktion, die Scarlet noch nie erlebt hatte.

Es dauerte auch nur einen kurzen Moment, und Scarlet wusste nicht, ob sie sich das Ganze nur eingebildet hatte. Warum sollte die Tatsache, dass sie unverheiratet war, eine vollkommen Fremde erleichtern?

„Dann ist Sams Vater …?“

„Es gibt nur Sam und mich, und so wollen wir es auch“, entgegnete Scarlet betont selbstbewusst.

2. KAPITEL

„Als Frau alleine – das muss sehr hart sein?“

„Alleinerziehende Mütter sind heutzutage nicht mehr so ungewöhnlich.“

„Aber Sie waren nie verheiratet?“

Scarlet, die sich allmählich sehr über das hartnäckige Beharren der älteren Frau auf diesem Thema wunderte, schüttelte den Kopf. „Nie.“ Vielleicht war jetzt ein guter Zeitpunkt, das Gespräch in eine andere Richtung zu lenken und zuzugeben, dass sie ihren tyrannischen Sohn angerufen hatte.

„Hören Sie, Mrs. O’Hagan …“

„Natalia bitte, meine Liebe.“

Natalia, ich weiß, dass Sie mich gebeten hatten, es nicht zu tun.“ Scarlet holte tief Luft und gestand dann: „Die Sache ist die, ich habe Mr. O’Hagan angerufen … ich meine Ihren Sohn, den Kontrollfreak“, schloss sie unglücklich.

„Ich verstehe es vollkommen, wenn Sie sauer auf mich sind“, fuhr sie fort, „aber ich dachte wirklich, dass jemand Bescheid wissen sollte …“ Scarlet hielt abrupt inne, als sich eine kühle Hand auf ihren Arm legte.

„Ich bin nicht sauer auf Sie, mein Kind.“

Scarlet stieß einen erleichterten Seufzer aus. „Das freut mich sehr.“

„Haben Sie selbst mit Roman gesprochen? Ich frage“, fügte Natalia hinzu, „weil ich oft genug selbst nicht zu ihm durchkomme. Er wird strengstens überwacht.“

Das können Sie laut sagen!

„Nach einer Weile habe ich es geschafft“, erwiderte Scarlet mit leisem Lächeln.

„Manchmal denke ich, dass diese Sicherheitsgeschichte überhandnimmt. Seit der Geiselnahme ist es sehr schwierig, Zugang zu Roman zu erhalten. Aber das wissen Sie ja sicherlich.“

„Geiselnahme?“, fragte Scarlet entgeistert. Sie hatte keine Ahnung, wieso die ältere Frau annahm, sie wisse irgendetwas über ihren Sohn.

„Oh, ich bin sicher, Sie haben davon gelesen. Diese Frau, die total von ihm besessen war? Das war vor etwa vier Jahren.“

Scarlet schüttelte den Kopf. Sie hatte keine Lust zu erklären, dass sich damals ihre Welt auf das Sterbebett ihrer Schwester reduziert hatte.

„Vielleicht waren Sie außerhalb des Landes?“

„Sehr unwahrscheinlich“, entgegnete Scarlet. „Ich werde seekrank und habe Flugangst.“

„Wie unangenehm. Nun ja, diese Frau hatte meinen Sohn nie getroffen, aber irgendwie hat sie sich eingeredet, sie hätten eine Beziehung. Sie hat ihm geschrieben, ihn angerufen, ihm Geschenke geschickt … Zuerst tat sie Roman leid, und er dachte, wenn er sie ignoriert, wird sie irgendwann verschwinden. Doch eines Morgens kam er in sein Büro, und die Frau bedrohte seine Assistentin mit einem Messer.“

„Guter Gott!“, stieß Scarlet erschrocken hervor. „Wurde jemand verletzt?“

„Roman gelang es, sie zu überzeugen, Alice freizulassen, und offensichtlich wollte sie das Messer schon abgeben, als die Polizei erschien. Die Frau brach in Panik aus. Sowohl Roman als auch Alice wurden verletzt. Alice sogar schwer. Gott sei Dank haben sie sich beide wieder erholt.“

„Das muss ja ein traumatisches Erlebnis gewesen sein.“

„Das war es auch, obwohl Roman mehr darum besorgt war, das Leben eines anderen Menschen aufs Spiel gesetzt zu haben. Aber ich weiß, dass es nicht sein Fehler war.“ Scarlet, die nichts dergleichen hatte andeuten wollen, schwieg. „Roman hat allerdings ein stark übertriebenes Verantwortungsbewusstsein.“

Scarlet lächelte höflich und fragte sich insgeheim, wie weit eine Mutter solche Dinge schönte. Dieser sensible, besorgte Mustersohn klang ganz sicher nicht nach dem Mann, mit dem sie vor Kurzem telefoniert hatte!

„Roman bewundert Frauen mit Mut und Esprit.“

Roman gelingt es mühelos, seine Bewunderung zu verbergen. „Wirklich …?“, antwortete sie, weil sie keine Ahnung hatte, was sie sonst dazu sagen sollte.

„Scarlet.“ David stand in der Tür. „Könnte ich dich einen Moment sprechen? Mrs. O’Hagan, Sie sehen schon viel besser aus.“

Jetzt bemerkte auch Scarlet, dass die ältere Frau wieder ihre normale Gesichtsfarbe hatte. „Ich bin gleich zurück“, versprach sie.

Was allerdings nicht der Fall war, denn David teilte ihr mit, dass Roman O’Hagan im Gebäude war und es besser wäre, wie er sich ausdrückte, wenn ein etwas älterer Mitarbeiter ihn begrüßen würde. „Das hat nichts mit deinen Fähigkeiten zu tun, Scarlet. Es ist lediglich ein Zeichen des Respekts.“

Scarlet widersprach nicht. „Ich denke auch, dass er das erwarten kann.“

Es war ihr mehr als Recht, nicht zugegen zu sein, wenn dieser tyrannische Multimillionär auftauchte. Wenn sie nett zu ihm sein müsste, würde sie wahrscheinlich ersticken.

Roman fuhr sich voller Ungeduld mit den Fingern durch die glänzenden Strähnen seines dunklen Haars.

„Ja, ich musste Philip mitbringen; er ist schließlich dein Arzt.“

„Und wie ich ihm bereits sagte, bin ich ohnmächtig geworden, nicht mehr. Du benimmst dich wie ein aufgeregtes Huhn, Roman“, erklärte Natalia ihrem Sohn verärgert. Ergeben streckte sie ihren Arm aus, damit der Arzt ihren Blutdruck messen konnte. „Normal?“, fragte sie, als er das Stethoskop herunternahm.

Der Arzt nickte. „Wenn all meine Patienten so gesund wären wie Sie, dann hätte ich nichts zu tun“, meinte er gut gelaunt.

Natalia warf ihrem Sohn einen triumphierenden Blick zu. „Ich hab es dir ja gesagt“, murmelte sie befriedigt.

„Aber du wirst noch weitere Tests machen?“, hakte Roman bei seinem Freund nach.

„Das könnte ich, aber …“

„Dann tu es.“

Natalia stöhnte entnervt. „Das ist genau der Grund, weshalb ich nicht wollte, dass sie dich anrufen. Du lässt alles stehen und liegen, eilst herbei, und dabei hast du sicherlich tausend andere, wichtigere Dinge zu tun.“

„Oh ja, mehrere Tausend“, bestätigte Roman, und seine Mundwinkel verzogen sich zu einem sarkastischen Lächeln. „Natürlich alle wesentlich wichtiger als die Gesundheit meiner Mutter.“

„Nun ja, es freut mich zu hören, dass die Familie dir noch wichtig ist, Roman.“

Er hob eine seiner dunklen Augenbrauen, während er das Gesicht seiner Mutter musterte. Er hatte es schon immer verstanden, zwischen den Zeilen zu lesen, und daher fragte er: „Habe ich irgendetwas verpasst?“

„Wie ich hörte, hast du mit Scarlet am Telefon gesprochen.“

„Scarlet – die Blondine?“

„Sie ist nicht blond. Obwohl sie es natürlich gewesen sein könnte, als du sie gekannt hast.“

„Hat sie etwa behauptet, mich zu kennen?“ Er war daran gewöhnt, dass sich Frauen an ihn heranmachten, aber wenn diese hier glaubte, sie könnte dazu seine Mutter benutzen, dann würde sie sich noch wundern!

„Beruhige dich Roman. Sie hat dich kaum erwähnt, was auch nicht weiter verwunderlich ist“, fügte Natalia ernst hinzu. „Es muss eine sehr schmerzhafte Situation für sie gewesen sein.“

„Aha, sie hat dir erzählt, dass ich ihr gedroht habe, richtig? Glaub mir, sie hat es verdient. Wie kann man nur so verantwortungslos sein und keine medizinische Hilfe holen?“

Natalia blickte ihren Sohn einen Moment an, dann schien sie zu einer Entscheidung gekommen zu sein. Sie wandte sich an den Arzt. „Philip, mein Lieber, würde es Ihnen etwas ausmachen, uns allein zu lassen? Ich muss etwas mit Roman besprechen.“

Der Arzt schloss seinen Koffer. „Aber natürlich, kein Problem.“

„Wird das lange dauern, Mutter?“, fragte Roman, nachdem sich die Tür hinter dem Doktor geschlossen hatte.

„Hätte ich mir einen Termin geben lassen sollen?“, gab sie verärgert zurück. „Du magst ja ein wichtiger Mann sein, aber vielleicht erinnerst du dich daran, dass du die Firma leitest, weil ich deinen Vater dazu überredet habe, sich zur Ruhe zu setzen.“

Genau genommen, war es der Herzinfarkt seines Vaters gewesen, der ihn und seinen Bruder Luca davon überzeugt hatte, die Leitung der Firma übernehmen zu müssen. Das frische Blut und die neuen Ideen hatten dem Unternehmen gut getan, und schon bald war das Vermögen der Familie weiter angewachsen.

„Also gut, Mutter, wirst du mir dann vielleicht in nächster Zukunft verraten, was ich verbrochen habe?“, brummte Roman. „Ich habe mein Gewissen durchforstet und nichts Konkretes gefunden. Daher muss ich zugeben, dass ich neugierig bin.“

Natalias Augen funkelten gefährlich, als ihr Sohn ihr ein Lächeln schenkte, das genauso zynisch wie charmant war. Sie erwiderte das Lächeln nicht.

„Hör auf damit.“ Ihre Söhne hatten den Charme ihres irischen Vaters geerbt, dazu das dunkle, gute Aussehen ihrer Mutter, und sie hatten keinerlei Skrupel, beides zu benutzen, wenn es darum ging, das zu erreichen, was sie sich vorgenommen hatten. Roman hatte eigentlich immer alles bekommen, was er haben wollte – mit einer bedeutenden Ausnahme.

Er runzelte die Stirn, als er seine Mutter betrachtete. „Ist etwas passiert? Dad …?“

Natalia hörte die Angst in seiner Stimme und schüttelte sofort den Kopf. Sie sah ihm in die Augen und holte tief Luft. „Scarlet Smith.“ Sie schleuderte ihm den Namen wie eine Anklage entgegen.

„Die Frau mit der spitzen Zunge, die keine Blondine ist. Wenn du mehr über sie wissen willst, musst du jemand anders fragen, denn das ist alles, was ich von der Frau weiß.“

Natalia schaute ihren Sohn einen Moment forschend an, dann sackte sie erleichtert in sich zusammen. „Du hast es also nicht gewusst.“ Sie seufzte. „Es hätte mich auch sehr gewundert“, gestand sie.

„Ich habe es nicht gewusst und weiß es immer noch nicht“, bemerkte er trocken.

„Roman, ich heiße bei Weitem nicht alles gut, was du tust. Aber ich konnte mir beim besten Willen nicht vorstellen, dass du dich einfach deiner Verantwortung entziehst und zulässt, dass dein Sohn aufwächst, ohne zu wissen, wer du bist.“

Romans Gesichtszüge hatten sich bei der ersten Bemerkung seiner Mutter gerade entspannt, als sie urplötzlich die Bombe platzen ließ.

„Sohn!“ Unter seiner olivfarbenen Haut war Roman leichenblass. „Wenn das deine Vorstellung von einem Scherz ist …“, stieß er mühsam hervor.

„Ich würde wohl kaum mit so etwas scherzen“, entgegnete Natalia. „Schau, ich kann ja verstehen, dass das ein Schock für dich ist.“

„Wie verständnisvoll von dir.“ Romans Ironie kam bei seiner Mutter gar nicht an. „Ich habe keinen Sohn, und ich habe auch niemals eine …“, er suchte nach dem Namen der Frau, „… wie hieß sie, Scarlet Smith getroffen?“

„Ja, ein wunderbares Mädchen.“ Sie schaute ihren Sohn an und schüttelte den Kopf.

„Sei ehrlich – ist es so unmöglich?“

„Meinst du nicht, ich wüsste es, wenn ich einen Sohn hätte?“, fragte er verdächtig ruhig.

Natalia zuckte mit den Schultern. „Nur wenn die Mutter sich dazu entschließt, es dir zu sagen, Roman.“

„Nur mal angenommen, es ist tatsächlich meine Gewohnheit, Frauen zu schwängern, wovon du offensichtlich ausgehst. Warum sollte die Frau es mir nicht sagen? Warum sollte sie sich damit abmühen, das Kind alleine großzuziehen?“ Ein Verdacht zeichnete sich auf seinem Gesicht ab. „Oder ist sie verheiratet?“

„Du schläfst mit verheirateten Frauen?“

Roman rollte mit den Augen. „Nein, ich schlafe nicht mit verheirateten Frauen“, stieß er zwischen zusammengebissenen Zähnen hervor.

„Also gut, ich akzeptiere, dass du nicht wusstest, dass du ein Kind hast. Jetzt weißt du es aber. Was wirst du tun?“, wollte seine Mutter wissen.

„Zum letzten Mal – ich habe kein Kind!“

Natalia seufzte schwer. „Es bringt nichts, es zu leugnen.“

„Ich leugne nicht“, brüllte er.

„Doch das tust du, und es besteht kein Grund, so zu schreien, ich bin nicht taub.“

Der Zorn verrauchte, als er die Tränen in den Augen seiner Mutter sah. „Setz dich“, bat er sie. Doch seine Besorgnis klang ungeduldig.

„Ich habe das Kind gesehen, Roman, es sieht exakt wie du in diesem Alter aus.“

Roman betrachtete sie einen Moment, dann lachte er erleichtert.

„Das ist nicht witzig, Roman“, klagte sie.

„Nein, du hast recht, ich wollte mich nicht über dich lustig machen“, stimmte er sofort zu und setzte sich neben seine Mutter. „Also gut, das Kind sieht aus wie ich in dem Alter. Aber ich kenne keine Scarlet Smith. Das einzige Mal, das ich mit ihr gesprochen habe, war am Telefon. Glaub mir, ich vergesse keine Namen.“

„Scarlet muss ihren Namen geändert haben, damit du sie nicht findest.“

„Das wirkt ein bisschen übertrieben, wenn man bedenkt, dass ich gar nicht nach ihr gesucht habe.“

„Nimm das nicht so auf die leichte Schulter“, fuhr sie ihn an.

„Ich weiß, dass du Großmutter werden willst, aber ich werde nicht so tun, als hätte ich ein Kind gezeugt, nur um dir einen Gefallen zu tun.“

„Das würdest du nicht sagen, wenn du den Jungen gesehen hättest, Roman.“

„Glaubst du wirklich, ich würde mich nicht an den Namen einer Frau erinnern, mit der ich geschlafen habe?“

„Wenn es vier Jahre her ist, dann könntest du Probleme damit haben. Es gab eine ganze Menge Frauen. Ich weiß, ich hätte das nicht ansprechen sollen … aber …“

„Du tust es trotzdem.“ Romans Gesichtsausdruck wirkte resigniert.

„Dies ist kein Thema, über dass ich gerne rede.“

„Dann sind wir schon zu zweit.“

Von seiner Jugendfreundin sitzen gelassen zu werden, nachdem die Hochzeitseinladungen schon verschickt waren, war keine Erinnerung, in der er gerne schwelgte. Doch genau das hatte seine Mutter gemeint. Es war ein Fehler, den ein Mann nur ein Mal in seinem Leben beging. Nie wieder …

„Was ich damit sagen wollte ist, dass du durchaus One-Night-Stands gehabt hast“, erklärte Natalia ungerührt.

„Können wir vielleicht mein Liebesleben außen vor lassen?“

„Geh und sieh dir den Jungen an, dann wirst du verstehen, Roman. Das ist alles, worum ich dich bitte. Würde es dich etwa nicht verletzen, deinen eigenen Sohn nicht zu kennen?“

„Ich habe keinen Sohn.“

„Bist du dir da hundertprozentig sicher?“

Roman hob die breiten Schultern; offensichtlich konnte er die Diskussion nur dadurch beenden, dass er seiner Mutter den Wunsch erfüllte. Er seufzte. „Also gut, wo finde ich die Mutter meines Kindes?“

„Kannst du nicht zu ihm gehen?“

„Mr. O’Hagan hat ausdrücklich darum gebeten, dich zu sprechen.“

„Ich habe wirklich nicht viel getan.“

„Das habe ich auch gesagt …“ David riss sich von der Nachricht los, die er gerade las und fügte beschwichtigend hinzu: „Ich habe ihm erklärt, dass wir als Team arbeiten, aber es sieht so aus, als sei dein Name im Gedächtnis seiner Mutter hängen geblieben, und natürlich hast du mit ihm telefoniert.“

„Das muss es sein“, stimmte Scarlet unglücklich zu. Oh mein Gott, es wäre wirklich Pech, wenn der Mann seine Drohung wahr machen und sich beschweren wollte, doch dann hätte er das gegenüber David äußern können.

„Es ist eine sehr nette Geste.“

„Männer wie Roman O’Hagan machen keine netten Gesten, wenn sie dafür nicht eine Gegenleistung erwarten“, entgegnete sie zynisch.

„Hör zu, je länger wir hier diskutieren … Gott, Scarlet, was hast du da für Kleider an?“

David kannte sie, seit sie ein kleines Mädchen war und war so etwas wie ein Onkel für sie gewesen. Sie selbst war sorgsam darum bemüht, ihre persönliche Beziehung aus der Arbeit herauszuhalten. Leider legte sich David keine ähnlichen Beschränkungen auf, und so gab er Kommentare ab, die er bei seinen anderen Mitarbeitern niemals wagen würde.

„Geliehen. Ein Baby hat mich voll gespuckt.“

„Tja, und du warst diejenige, die unbedingt einen gut bezahlten Job in der Stadt aufgeben wollte, um mit Kindern zu arbeiten“, erinnerte er sie.

„An Tagen wie diesen frage ich mich, warum.“

„Nein, das tust du nicht. Du liebst jede Minute. Ich weiß nicht warum, aber du tust es.“

Scarlet grinste ihn an. „Ich schätze, es ist vollkommen undenkbar, ihn darum zu bitten, an einem anderen Tag wiederzukommen?“ David warf ihr über den Brillenrand hinweg einen Blick zu, als hätte sie den Verstand verloren.

„An einem anderen Tag wiederkommen?“

Scarlet zuckte die Achseln. „Ich dachte, ich frage mal.“ In dem Moment sah sie ihr Spiegelbild in der Fensterscheibe. „Mein Gott“, stöhnte sie, „ich sehe wie eine Obdachlose aus.“

„Nun, ich habe dich schon attraktiver gesehen, aber er ist nicht hier, um dich um ein Rendezvous zu bitten, Scarlet, also sehe ich kein Problem. Mr. O’Hagan wartet in meinem Büro.“ David wandte sich zum Gehen.

„Kommst du nicht mit?“, rief Scarlet entsetzt.

„Ich habe einen wichtigen Termin. Ist dir vielleicht schon einmal in den Sinn gekommen, dass du den Mann mögen könntest?“

„Nein.“

„Dann tu so als ob.“ Es war keine Bitte.

Roman blickte ungeduldig auf seine Uhr. Wenn er diese Geschichte mit Scarlet Smith vor dem Lunch erledigte, dann konnte er noch nach Dublin fliegen und Alice treffen, die bereits dort war. Das wäre die beste Lösung.

Es kam ihm auch nicht für eine Sekunde in den Sinn, dass seine Mutter recht haben könnte. Es war vollkommen ausgeschlossen, dass er ein Kind gezeugt hatte. Er war ja schon so manches in seinem Leben gewesen, aber niemals unvorsichtig.

Resolut richtete er seine Gedanken auf das Meeting, das ihn in Dublin erwartete.

Scarlet klopfte in der Hoffnung an die Tür, dass niemand antworten würde. Es blieb auch tatsächlich ruhig, aber die Tür, die bereits halb offen gestanden hatte, schwang nun ganz auf. Der Mann, der dadurch sichtbar wurde, fuhr gerade mit einem Finger über einen ledergebundenen Buchrücken und schien ihre Anwesenheit gar nicht zu bemerken.

Sie räusperte sich, woraufhin er sich umdrehte. Dunkle Wimpern enthüllten Augen, die fast rabenschwarz waren, aber goldene Flecken enthielten. Scarlet wich dem durchdringendsten Blick aus, mit dem sie jemals gemustert worden war.

Romans erster Gedanke, als er die kleine, braunhaarige Gestalt sah, die unentschlossen im Türrahmen stand, war: Das muss ein Fehler sein. Er hatte ja nicht wirklich eine blonde Göttin mit langen Beinen erwartet, aber das hier?

Er runzelte die Stirn. Die Frau, mit der er telefoniert hatte, hatte kein Blatt vor den Mund genommen, und diese Person schien sich vor ihrem eigenen Schatten zu fürchten! Sie konnte ihm ja nicht mal in die Augen sehen!

Unerwarteterweise fühlte er sich enttäuscht.

„Mr. O’Hagan …?“, murmelte Scarlet.

Die Stimme war die richtige, erstaunlich tief und mit einem rauchigen Timbre, das er nach wie vor sehr sexy fand, aber alles andere war falsch, inklusive der furchtsamen Art, mit der sie seinem Blick auswich und kaum ein Wort herausbrachte.

Nette Stimme, schade um den Rest.

Miss Smith?“

Scarlet nickte und widerstand mühsam dem Drang, sich für ihre Aufmachung zu entschuldigen.

„Warum kommen Sie nicht herein und setzen sich?“

„Ich bleibe lieber hier.“

Er sah sie ungeduldig an. „Ich beiße nicht.“

Sie errötete, als sie seinen sarkastischen Ton bemerkte. Sie musste ja wie eine Idiotin wirken, wie sie da stand, als würde sie jederzeit wegrennen wollen. Sie straffte die Schultern, überwand ihren Unwillen, trat ein und schloss die Tür hinter sich.

„So lernen wir uns also endlich kennen.“

Sie nickte mit gesenktem Kopf.

Mutter glaubt wirklich, ich habe mit dieser Frau geschlafen?

Er kannte Frauen, die in dem sprichwörtlichen Sack gut aussahen, doch diese Frau gehörte nicht dazu. Das T-Shirt reichte ihr fast bis zu den Knien, womit es zumindest weitestgehend die hässlichen Jogginghosen überdeckte, die sie trug. Die flachen Lederschuhe, die das Outfit komplett machten, waren nicht wirklich schlimm, aber sie konnten nicht verhindern, dass die Frau insgesamt klein und formlos wirkte.

Er hatte nicht das leiseste Interesse herauszufinden, was unter dieser Verkleidung steckte, obwohl er ihr gerne die unattraktive Brille abgenommen hätte, die den größten Teil ihres Gesichts verdeckte.

Scarlet fühlte sich mehr als unwohl, während sein Blick über sie glitt. Selbst wenn sie sorgfältig zurechtgemacht gewesen wäre, wäre sie sich neben ihm unscheinbar vorgekommen. Er war etwa ein Meter neunzig groß und sah sogar noch besser aus als in den Zeitungen!

„Miss Scarlet Smith?“ Smith war ein häufiger Name; vielleicht war sie die Falsche? Sie wirkte so verlegen, als sei sie in ein fremdes Büro geraten. „Sie wissen, wer ich bin?“

Wusste das nicht jeder? Sie hob ihren Blick. Vielleicht war das das Problem – sie hatte noch nicht um ein Autogramm gebeten.

„Ich bin Scarlet. Der Vizekanzler hat mir gesagt, dass Sie mich sprechen wollten, Mr. O’Hagan.“

Um ihren sinnlichen Mund spielte ein verächtliches Lächeln. Nach ihrem Telefongespräch wunderte es sie gar nicht, dass es ihn irritierte, wenn man ihn nicht sofort erkannte und ihm zu Füßen fiel.

Versprechen hin, Versprechen her – Mr. O’Hagan würde damit leben müssen, dass sie nicht vorhatte, ihm die Stiefel zu lecken!

Sie öffnete bereits den Mund, weil sie ihn bitten wollte, die Unterredung kurz zu halten, als sie ihm direkt in seine dunklen Augen schaute.

Scarlet zog scharf die Luft ein und vergaß prompt, was sie hatte sagen wollen. Er hatte wirklich die außergewöhnlichsten Augen, die sie je gesehen hatte – schokoladenbraun mit goldenen Sprenkeln. Dazu ein absolut perfektes Profil, wenn man mal von der dünnen Narbe absah, die seine linke Wange zeichnete.

Schnippisch sagte sie sich, dass italienische Männer dafür in der Regel unheimlich eitel waren. Sie bezweifelte, dass Roman O’Hagan an einem Spiegel vorbeigehen konnte, ohne sein Äußeres zu mustern.

Macht, Geld und ein guter Anzug – wahrscheinlich ließ sie sich wie alle anderen einfach nur von diesen Statussymbolen beeindrucken.

Jetzt sei mal ehrlich: Ist es der Anzug oder der Mann, der drin steckt? Es ist nicht seine gesellschaftliche Position, die dich so schwach werden lässt!

Sie stellte sich ihren inneren Überlegungen gegenüber taub und entschied, dass es das Beste war, die ganze Angelegenheit so schnell wie möglich hinter sich zu bringen.

„Wie geht es Mrs. O’Hagan?“ Scarlet empfand es als Erleichterung, dass sie diesmal das Interesse nicht heucheln musste. „Fühlt sie sich besser? Sie hatte doch keinen Rückfall oder dergleichen?“

„Es geht ihr wesentlich besser, vielen Dank, und ich plane keine rechtlichen Schritte gegen Sie.“

„Umso besser – aus mir wäre auch nicht besonders viel herauszuholen.“ Man musste sich den Kerl nur ansehen, und schon war sonnenklar, dass seine Geschäftsmethoden genauso skrupellos waren, wie seine Rivalen behaupteten.

Ein neu erwachtes Interesse flackerte kurz in Romans Augen auf. Nun, das klang schon wesentlich mehr nach der Frau, mit der er telefoniert hatte, entschied er.

„Sie haben Ahnung von BWL?“, fragte er spöttisch. „Ich habe meinen Master in Harvard gemacht; wo waren Sie?“

„Auf der London School of Economics“, kam es wie aus der Pistole geschossen.

Ihre Antwort brachte das überhebliche Grinsen zwar nicht zum Verschwinden, aber zumindest hatte sie die Genugtuung, dass er leicht überrascht wirkte.

„Sie wollen mir sagen, dass Sie einen Abschluss in BWL haben?“

Er hatte eine dieser aristokratischen Nasen, die nur dazu gemacht schienen, hoch in der Luft getragen zu werden. Scarlet hätte ihm am liebsten eine Ohrfeige verpasst. Da sie aber nicht wirklich zu körperlicher Gewalt greifen konnte, musste sie sich wohl mit einer sarkastischen Retourkutsche begnügen.

„Ja, in der Tat, ich habe einen Abschluss in BWL, doch normalerweise lasse ich das nicht in eine Unterhaltung einfließen, denn das kommt leicht als angeberisch rüber.“ Sie blinzelte und setzte einen absolut unschuldigen Gesichtsausdruck auf. „Meinen Sie nicht auch?“, fragte sie. „Und außerdem“, fügte sie nachdenklich hinzu, „könnte eine solche Prahlerei die Leute dazu verleiten zu denken, dass ich vielleicht einen Minderwertigkeitskomplex habe.“

Die Tatsache, dass er sie einen Moment absolut perplex anstarrte, verlieh ihr ein Gefühl tiefer Befriedigung.

„Ich bezweifle, dass irgendjemand bei Ihnen auf die Idee kommt, Sie könnten einen Minderwertigkeitskomplex haben“, murmelte Roman nach einer Minute konsternierten Schweigens. Warum auch immer sie zu Beginn wie ein verängstigtes Kind im Türrahmen gestanden hatte, es hatte nichts mit mangelndem Selbstbewusstsein zu tun; ihre jetzige Haltung machte das mehr als deutlich.

Sie beugte leicht den Kopf und lächelte. „Vielen Dank“, sagte sie, obwohl sie sehr wohl wusste, dass seine Bemerkung nicht als Kompliment gemeint war.

„Wie ich hörte, waren Sie sehr freundlich zu meiner Mutter“, brachte er das Gespräch wieder auf ungefährlicheren Boden.

„Es ist leicht, freundlich zu ihr zu sein, sie immerhin ist ja auch sehr nett …“ Scarlet biss sich unwillkürlich auf die Zunge, nachdem ihr damit eine neue Beleidigung herausgerutscht war.

Ihr Gegenüber hob eine seiner dunklen Augenbrauen, sodass er sie fragend anschaute.

„Wirklich eine sehr sympathische Frau“, wiederholte sie hastig.

Oh Gott, sie hatte David versprochen, dass sie sich vorbildlich benehmen würde. War das wirklich erst ein paar Minuten her? Sie musste sich unbedingt am Riemen reißen.

„Sie war auch voll des Lobes von Ihnen“, entgegnete er.

„Sie ist zu freundlich; ich habe kaum etwas getan“, antwortete sie bescheiden. „Noch nicht einmal einen Krankenwagen habe ich gerufen.“ Du konntest es einfach nicht dabei belassen, nicht wahr, Scarlet?

„Nun ja, die Besten unter uns geraten in einer solchen Situation in Panik.“

„Das ist sehr verständnisvoll von Ihnen, aber …“

„Ja, es ist sehr nett von mir, nicht wahr? Meine Assistentin hatte schon Angst, dass ich Sie zum Weinen bringen würde.“

„Aber“, protestierte sie und warf ihm dabei einen Blick voller Abneigung zu, „ich bin nicht in Panik geraten!“ Dann erst sank seine letzte Bemerkung ein. „Weinen? Ich werde doch nicht weinen!“ Der bloße Gedanke war eine Beleidigung.

„Ich bin sehr erleichtert, das zu hören.“ Er neigte den Kopf ein wenig zur Seite und betrachtete ihr erhitztes Gesicht. „Sie meinen also, dass Sie den richtigen Anruf getätigt haben, und sind bereit, Ihre Taten – oder den Mangel daran – zu rechtfertigen?“

„Natürlich habe ich nicht den richtigen Anruf gemacht“, überraschte sie ihn und zog dabei eine Grimasse. „Hören Sie, ist das eine offizielle Beschwerde? Wenn ja, dann finde ich nicht, dass wir beide uns unterhalten sollten.“

„Es ist keine Beschwerde, weder offiziell noch inoffiziell, es sei denn, Sie hätten das gerne.“

Scarlets Kiefer verkrampfte sich ob seines Sarkasmus. „Dann kamen Sie wahrscheinlich, um sich dafür zu entschuldigen, dass Sie mich so unfreundlich am Telefon abgefertigt haben?“, meinte sie unschuldig.

Ein gefährliches Funkeln trat in seine Augen. „Treiben Sie es nicht zu weit.“

Scarlet nahm die Warnung mit einem Achselzucken hin und rieb sich über die Arme, auf denen sich plötzlich eine Gänsehaut gebildet hatte. Wenn sich seine Stimme zu einem heiseren Flüstern senkte, schien sie fast greifbar.

„Sie haben einigen Eindruck auf meine Mutter gemacht … Sie und Ihre kleine Tochter …?“ Roman hielt es nicht für nötig, das Kind auf besonders subtile Art und Weise ins Gespräch zu bringen.

„Sohn.“

„Ah ja, richtig“, stimmte er zu.

Er hätte nicht weniger interessiert klingen können. Er gab sich überhaupt nicht die Mühe zu verbergen, dass er nur unter Zwang hier war, dachte Scarlet und biss die Zähne aufeinander. „Sam“, fügte sie dann noch hinzu.

Roman sah, wie ihr Gesichtsausdruck unwillkürlich sanfter wurde, als sie den Namen des Kindes aussprach. Sie sieht eigentlich gar nicht so schlecht aus. Er musterte diskret ihr herzförmiges Gesicht – makellose Haut, schönes Haar; die Brille war eine Schande, und natürlich auch der unmögliche Kleidungsstil.

Aber er war nicht hier, um eine Typberatung durchzuführen, ermahnte er sich. Er war hier, um seine Mutter davon zu überzeugen, dass keine unbekannten Enkelkinder von ihr durch die Gegend liefen.

„Meine Mutter macht sich Sorgen darum, dass ihr Zusammenbruch Sam vielleicht erschreckt hat?“

„Er hat es nicht persönlich genommen“, entgegnete sie. „Sagen Sie ihr, dass sie sich keine Gedanken machen muss.“ Oh Gott, lass das bitte bald vorbei sein.

Ihre haselnussbraunen Augen blickten auf die Uhr. Noch zehn Minuten bis zum Lunch, eine der stressigsten Zeiten in der Krippe. Sie verlagerte ihr Gewicht von einem Bein aufs andere und unterdrückte einen Seufzer, als sie aufschaute.

Sie errötete leicht, als Roman O’Hagan die Augenbrauen hochzog.

„Es tut mir leid, aber ich sollte eigentlich gerade woanders sein“, erklärte sie und musste sich alle Mühe geben, bedauernd zu klingen.

„Langweile ich Sie?“ Frauen blickten normalerweise nicht auf die Uhr, wenn sie in seiner Gesellschaft waren. „Oder hätte ich mir einen Termin geben lassen sollen?“

Die sarkastische Bemerkung vertiefte die Farbe auf ihren Wangen.

„Nun, wenn ich eine kleine Warnung gehabt hätte, hätte ich Ihnen sagen können, dass es heute nicht gerade ideal ist“, erwiderte Scarlet rundheraus. „Es ist mir natürlich vollkommen klar, dass meine Zeit nicht so kostbar ist wie Ihre …“ Der Schock in seinen Augen ließ sie abrupt innehalten, sodass die neuerliche Beleidigung in der Luft hing.

Was ist nur los mit mir? Ich habe David versprochen, dass ich nett zu ihm sein würde. Das erfordert doch keine großen Fähigkeiten, ich muss einfach nur den Mund halten. Sie musste sich schnell etwas überlegen, wie sie aus der Situation herauskam.

„Was natürlich auch der Fall ist. Ich möchte Ihnen wirklich nicht Ihre kostbare Zeit stehlen, auch wenn es fantastisch war, Sie kennenzulernen.“ War das schmeichlerisch genug? Sie hob eine Hand an die Stirn. Oh Gott, klinge ich wirklich so idiotisch wie ich mich fühle?

„Es freut mich, dass Sie so begeistert sind.“

Sie wäre am liebsten im Erdboden versunken, als sie die Belustigung in seiner Stimme hörte.

„Und es tut mir auch leid, wenn es gerade unpassend ist“, fuhr er fort, „aber der Vizekanzler sagte mir, dass es kein Problem sei.“

„Natürlich hat er das gesagt. Sie sind einflussreich und wohlhabend und …“ Sie brach ihre zornige Entgegnung ab, als sich ihre Blicke begegneten. „Ich meine, Sie sind … es tut mir leid.“ Sie zwang sich zu einem steifen Lächeln. „Das war unhöflich.“

„Ja, das war es.“ Es war schwierig, zu entscheiden, ob er verärgert oder amüsiert war.

David wird mich umbringen. Sie atmete langsam aus und rieb sich mit einer Hand übers Gesicht.

„Vielleicht setzten wir unser Gespräch besser beim Lunch fort?“, schlug er vor.

Scarlet hörte seine Stimme wie durch einen dichten Nebel und versuchte sich darauf zu konzentrieren, was er gesagt hatte.

„Lunch …?“, wiederholte sie ungläubig.

Ihre Hormone mussten verrücktspielen. Daher die weichen Knie und die Schmetterlinge im Bauch. Er war ein attraktiver Mann – Ende der Geschichte. Sie musste es wirklich nicht noch weiter verkomplizieren.

„Sie können Ihren Sohn mitbringen.“

„Lunch!“, stammelte sie erneut.

„Sicher, ich kenne ein nettes Restaurant hier in der Nähe.“

„Großer Gott, nein!“

Romans Augen weiteten sich leicht, doch ansonsten zeigte er keinerlei Reaktion auf ihre entsetzte Antwort. Er war sein Leben lang von Frauen verfolgt worden und daher sehr schlecht darauf vorbereitet, dass man seine Einladung mit Abscheu zurückwies.

„Nun, jetzt weiß ich wirklich, wo ich hingehen muss, wenn ich Streicheleinheiten für mein Ego brauche“, äußerte er sarkastisch.

Wieder einmal zu spät fiel Scarlet ihr Versprechen David gegenüber ein, und sie versuchte, ihre Absage zu mildern.

„Das war … das war sehr freundlich von Ihnen“, erklärte sie, obwohl sie insgeheim wusste, dass dieser Mann nichts ohne Grund tat. Was zu der Frage führte, warum er sie zum Essen eingeladen hatte? Hatte er eine ganz besonders perfide Bestrafung im Sinn, weil sie ihm am Telefon Paroli geboten hatte?

„Aber wir haben im Moment wirklich sehr viel zu tun, zumal auch noch einige meiner Mitarbeiter krank sind.“

„Aber ansonsten wären Sie gerne mitgekommen?“

Angesichts seiner spöttischen Miene gelang es Scarlet gerade noch, ihre Gefühle hinter einer Maske zu verbergen.

Was waren ihre Gefühle? In einem Wort – primitiv. Sie wusste, wie sich Lust anfühlte, doch noch nie war sie ihr so unwillkommen wie jetzt. Sie durfte nicht so ein Drama daraus machen, schließlich hatte sie sich auch früher schon zu Männern sexuell hingezogen gefühlt.

Sie holte tief Luft und war sich dabei bewusst, wie ihre steifen Brustspitzen das T-Shirt streiften.

Er schenkte ihr ein wissendes Lächeln, das sie vollends auf die Palme brachte – ihr Zustand war doch allein seine Schuld!

„Wenn Sie mich entschuldigen würden, ich muss jetzt gehen“, erklärte sie ihm abrupt, wandte sich um und floh aus dem Raum.

Sie lief geradewegs in David hinein. Wahrscheinlich hatte er absichtlich auf sie gewartet.

„Ho, ho, nicht so schnell“, rief er, während er ihr die Hände auf die Schultern legte. „Du rennst, als wären sämtliche Höllenhunde hinter dir her.“

Nach dem, was sie gerade erlebt hatte, wären die Höllenhunde ein Kinderspiel.

„Die Mädchen werden mich schon vermissen. Ich hatte ihnen versprochen, dass ich beim Lunch helfen würde.“

David ließ seine rechte Hand auf ihrer Schulter liegen. „Wie ist es gelaufen?“

„Was …? Oh, mit Mr. O’Hagan? Super, absolut wunderbar.“

David sah sie aufmerksam an und stöhnte dann. „Oh Gott, du warst schon immer eine furchtbare Lügnerin. War es denn zu viel verlangt, nett zu dem Mann zu sein?“

„Und wie nett sollte ich sein? Hätte es gereicht, all seine Worte wie einen Quell der Weisheit zu behandeln, oder sollte ich etwa mit ihm schlafen?“

„Es reicht, Scarlet. Er hat mehrere Stipendien für Studenten aus sozial schwachen Familien gestiftet!“

Die Sekunden vergingen, während denen Scarlet mit offenem Mund dastand. Schließlich schluckte sie schwer und holte tief Luft.

„Du machst Witze!“ Ihr Grinsen verschwand, als David es nicht erwiderte. „Oh Gott, ich komme mir vor wie …“

„Engstirnig, vorurteilsbehaftet?“

„Unter anderem“, gab sie kleinlaut zu.

David schüttelte den Kopf. „Ich weiß nicht, warum du so ein Problem damit hast, dass der Mann großzügig und sozial engagiert sein kann?“

Scarlet wusste es. Es lag an dem Typ Mensch, den er repräsentierte.

Sie hatte kein Problem damit, hinter ein unattraktives Gesicht zu blicken, und sie beurteilte niemanden nach seinem Akzent, seinem Bankkonto oder nach dem Auto, das er fuhr. Aber wenn es um Menschen ging, die an den richtigen Orten lebten, die richtigen Kleider trugen und mit den richtigen Leuten verkehrten, dann hatte ihre Toleranz ein Ende. Sie wusste das und war keinesfalls stolz darauf.

Scarlet kannte solche Menschen. Ihre Schwester war ein Mitglied ihres exklusiven Zirkels gewesen, und wie viele von ihnen hatten Abby im Krankenhaus besucht, nachdem sie durch die Chemotherapie alle Haare verloren hatte? Abbys Freunde hatten wichtigere Dinge zu tun gehabt, als Scarlet sie der Reihe nach kontaktiert hatte, um ihnen zu sagen, wie sehr es ihre Schwester aufheitern würde, ein vertrautes Gesicht zu sehen.

Ein paar hatten vage Versprechungen gemacht, aber schlussendlich hatte sich keiner dieser guten Freunde sehen lassen, wie Scarlet sich voller Bitterkeit erinnerte. Wenn es im Leben hart auf hart kam, dann verschwanden die Roman O’Hagans dieser Welt in ihren schicken Sportwagen …

3. KAPITEL

Scarlet zog die Vorhänge vor die Glasscheibe, durch die ihr Büro von dem Spielzimmer der Kleinen getrennt war. Dann schlüpfte sie rasch aus den geliehenen Kleidern und legte sie in einem ordentlichen Stapel auf einen Stuhl. Sie trug nur noch ihren weißen Baumwollslip, als sie ihre eigenen Kleider ausschüttelte. Sie waren zwar zerknittert, aber immer noch tausend Mal besser als das, was sie vorher angehabt hatte.

Wenn sie halbwegs vernünftig gekleidet gewesen wäre, hätte sie sich in ihrer Begegnung mit Roman O’Hagan dann weniger idiotisch benommen?

Müßig, jetzt noch darüber zu spekulieren. Kurz entschlossen stieg sie in ihre blassblaue Jeans und zog die eng geschnittene Hose über ihre schmalen – manche würden sagen knabenhaften – Hüften.

Dann griff sie nach ihrem T-Shirt und versuchte vergeblich, es in Form zu ziehen. Es musste mindestens eine Nummer eingegangen sein, hatte den Waschgang in der großen Industriemaschine aber trotzdem immer noch besser überstanden als ihr BH, der wie ein Baby-Lätzchen aussah.

Sie hörte das Klopfen an ihrer Tür, als sie gerade dabei war, das T-Shirt über den Kopf zu ziehen.

„Komm rein, Angie“, rief sie mit gedämpfter Stimme. „Ich wollte dich nur fragen, ob du morgen für Barbara einspringen könntest.“

Roman, der einen riesigen Teddybär im Arm hatte, stieß die Tür auf und trat ein.

Er hatte beschlossen, diese absurde Geschichte zu Ende zu führen, weil er ein Mann war, der nie auf halbem Weg stehen blieb. Wenn seine Mutter fragte, wäre er so außerdem in der Lage zu erklären, dass er Scarlet und ihren Sohn gesehen habe und beide nichts mit ihm zu tun hätten. Nur dadurch war Natalia zufriedenzustellen.

Lediglich aus diesem Grund hatte er auch die Essenseinladung ausgesprochen. Er legte bestimmt keinen gesteigerten Wert auf die beleidigende Gesellschaft von Scarlet Smith, aber es schien ihm die einfachste Art, ihren Sohn kennenzulernen.

„Ich wäre dir wirklich dankbar“, murmelte Scarlet, die immer noch glaubte, sie redete mit Angie. Sie stöhnte leicht, als sie versuchte, ihre Hand durch einen Ärmel zu schieben. „Warte einen Moment, ich glaube, dieses Ding ist geschrumpft.“

Sie schnalzte bedauernd mit der Zunge. Das T-Shirt war mit Selbstporträts von einigen der älteren Kinder, darunter auch Sam, bedruckt. Jetzt, wo es derart eingegangen war, würde sie es nicht mehr tragen können.

„Na ja, es hätte auch schlimmer kommen können – die Maschine hat meinen BH total ruiniert“, gestand sie. „Das ist eine der Situationen, in denen es von Vorteil ist, flachbrüstig zu sein“, lachte sie erstickt, ehe sie tief Luft holte, um den engen Stoff über ihre kleinen, wohlgeformten Brüste zu ziehen.

Roman beklagte sich mit keinem Wort; und er hatte überhaupt kein Problem damit, „einen Moment zu warten“. Er genoss den uneingeschränkten Blick auf einen schmalen Rücken und einen perfekt geformten Po; und er fand sie auch durchaus nicht flachbrüstig. Sein Eintritt war perfekt getimt – er hatte freie Sicht auf ihren nackten Oberkörper.

Er war vollkommen überrumpelt. Der Anblick dieser rosigen, runden Brüste hatte ihn auf der Stelle erstarren lassen, und extrem primitive Gefühle waren trotz der Tatsache, dass er ein moderner Mann war, schmerzvoll zutage getreten.

Es war absolut unglaublich. Scarlet Smith war alles andere als formlos, stattdessen hatte sie einen schlanken Körper voller sexy Kurven. Diese Verwandlung raubte ihm den Atem.

Damit war es offiziell. Er hatte keinen Sohn – nie im Leben hätte er es vergessen, mit Scarlet Smith geschlafen zu haben!

Sie schob sich das T-Shirt über den flachen Bauch und drehte sich dann um. Das Lächeln auf ihrem Gesicht erstarb, als sie sah, wer ihr gegenüber stand. „Sie!“, keuchte sie entsetzt.

Einen furchtbaren Moment lang starrte sie ihn einfach nur an, dann schaltete sich ihr Gehirn wieder ein. Sie zwang sich dazu, den angehaltenen Atem langsam auszustoßen, sie ließ die Arme sinken, die sie in einer instinktiven Geste schützend über der Brust verschränkt hatte und tastete auf dem Schreibtisch hinter ihr nach der Brille, die sie vor ein paar Minuten abgelegt hatte.

Dio! Das ist einfach unglaublich.“

Mit ihren zitternden Händen brauchte sie eine Weile, ehe sie die Brille gefunden hatte. Sie setzte sie wieder auf, sodass sie sein dunkles, attraktives Gesicht klar erkennen konnte.

Sie war stark in Versuchung geführt, die Brille wieder abzunehmen.

Roman runzelte die Stirn. „Diese Brille ist zu groß und schwer für Ihr Gesicht“, schalt er sie.

Scarlet schüttelte leicht den Kopf. „Ich weiß, aber vor fünf Jahren war sie absolut modisch.“ Sie lächelte ihn verschmitzt an. „Das war meine Punk-Phase“, meinte sie trocken. „Ich kann es kaum abwarten, bis ich sie wieder in die dunkle Schublade legen kann, wo sie die vergangenen Jahre versteckt war“, gestand sie.

„Warum machen Sie es dann nicht?“

„Ich darf keine Kontaktlinsen tragen, solange meine Hornhautverletzung nicht ausgeheilt ist, und für diesen Zeitraum wollte ich mir keine neue Brille kaufen.“

Hornhautverletzung! Wie ist das passiert?“

„Ein dummes Missgeschick – wirklich. Ein Baby hat mir eine Rassel direkt ins Auge geschlagen, können Sie sich das vorstellen?“

Die meisten Leute fanden es amüsant, wenn sie die Geschichte erzählte, aber nicht Roman O’Hagan. Seine Lippen verzogen sich zu einer dünnen Linie.

„Dieses Missgeschick hätte Sie ihr Augenlicht kosten können.“

Ihr Gesichtsausdruck zeigte, dass sie das ein wenig übertrieben fand. „So weit würde ich nun nicht gehen.“

„Das merke ich.“ Er klang äußerst missbilligend. „Sie haben nur ein Paar Augen, normalerweise ist es eine gute Idee, auf sie zu achten.“

Wenn man ihn reden hört, könnte man meinen, ich hätte es absichtlich getan!

„Ich mag meine Augen genauso sehr wie jeder andere auch.“

„Ich bin mir sicher, dass sehr viele Menschen Ihre Augen mögen – sie sind wunderschön. Genauso wie der Rest von Ihnen.“

Wunderschöne Augen …? Wunderschöner Rest von mir …? Bevor Scarlet diese außergewöhnliche Aussage verdauen konnte, erkannte sie, wo sein heißer Blick ruhte, und automatisch nahmen ihre Arme wieder ihre schützende Position ein. Sie holte tief Luft, während ihr gesamter Körper von einer heißen Schockwelle erfasst wurde.

„Guter Gott“, fauchte sie. „Man könnte meinen, Sie hätten noch nie zuvor eine Frau ohne T-Shirt gesehen!“

Und so wie du redest, könnte man meinen, du wärst noch nie zuvor von einem Mann betrachtet worden!

Tatsächlich sorgte sein glühender Blick dafür, dass Scarlets Brustspitzen sich versteiften und hart gegen den Stoff drückten. Es war äußerst beschämend, dass sie keinerlei Kontrolle über ihre Reaktion hatte.

Roman lachte leise, während er langsam wieder in ihr Gesicht schaute. „Tut mir leid, aber ich hatte nicht erwartet, Sie halb nackt zu sehen.“ Während er sprach, glitt sein Blick erneut über ihre schlanke Figur.

„Mein Gott“, meinte er mit einem Kopfschütteln. „Sie sehen so anders aus … anders in positiver Hinsicht, falls ich mich nicht deutlich genug ausgedrückt habe.“ Roman bezweifelte, dass er jemals zuvor so unbeholfen formuliert hatte. „Ich wollte Sie nicht in Verlegenheit bringen.“

„Seltsam, ich hatte das Gefühl, Sie bringen mich nur zu gern in Verlegenheit.“

Er lächelte. „Wenn Sie sich fragen, was ich gesehen habe, als ich hereinkam – ich habe überhaupt nichts gesehen.“

Scarlet war sich zu neunzig Prozent sicher, dass er log, was sie auch nicht trösten konnte. Trotzig schob sie ihr Kinn vor. „Die Sache ist mir kein bisschen peinlich.“ Nun, das, Scarlet, wird ihn sicherlich überzeugen.

„Warum sollte es auch? Wir sind beide erwachsen … und mündig.“

Das heisere „mündig“ ließ ihr einen Schauer über den Rücken laufen. „Ich hatte bloß nicht mit Ihnen gerechnet.“ Vorwurfsvoll fügte sie hinzu: „Sie haben mich überrascht.“

Das ist die Untertreibung des Jahrhunderts.

Sie beobachtete, wie er langsam ausatmete und den Kopf schüttelte, als wolle er so seine Gedanken ordnen.

„Wenn es ein Trost ist – auch ich war überrascht.“ Das war jetzt bestimmt nicht die beste Gelegenheit, aber ein Mann konnte sich wohl nicht aussuchen, wann ihn die Lust überwältigte.

„Ich hatte Sie für jemand anderen gehalten … für eine Kollegin“, erklärte sie.

„Soll ich hinausgehen und noch mal hereinkommen?“, bot er an.

„Seien Sie nicht albern“, fauchte sie. „Kann ich irgendetwas für Sie tun?“

Roman betrachtete einen Moment lang ihr erhitztes Gesicht, dann durchquerte er den Raum.

Scarlet sah zu, wie er den riesigen Teddybär, den er trug, auf einem Sessel absetzte. Es war eigentlich nichts, was man übersehen konnte, aber ihr ganzer Fokus war derart auf den Mann selbst gerichtet gewesen, dass sie das Stofftier bis jetzt gar nicht bemerkt hatte.

Von seiner Last befreit, blickte Roman Scarlet erneut an. Er fuhr sich mit einer Hand durch die dichten, glänzenden Strähnen seines dunklen Haars.

„Geht es immer noch um unser Telefongespräch?“, fragte er sie.

„Ich weiß nicht, was Sie meinen.“

„Ich scheine Sie irgendwie aufzuregen.“

Wenn er wüsste, wie sehr, würde sie vor Scham im Boden versinken. „Ich nehme an, dass Sie aus einem bestimmten Grund hier sind, Mr. O’Hagan.“

„Oder können Sie es nicht ertragen in ein und demselben Raum mit mir zu sein?“

„Ich möchte nicht unhöflich sein, Mr. O’Hagan, aber ich bin wirklich in Eile. Sie waren unmöglich“, gab sie schließlich zu, obwohl sie auf die Angelegenheit eigentlich nicht mehr hatte zu sprechen kommen wollen, „aber nicht schlimmer, als ich es von jemandem wie Ihnen erwartet hätte.“

Autsch …! Aber abgesehen davon, dass ich gedroht habe, Sie zu verklagen, habe ich sonst noch etwas getan, womit ich Sie verärgert habe?“, wollte er mit einem neugierigen Stirnrunzeln wissen…

Abgesehen davon, dass Sie mich mit Blicken ausgezogen haben?

„Natürlich nicht.“ Selbst Scarlet war von ihrem Ton nicht überzeugt. „Wenn Sie mir jetzt vielleicht sagen könnten, womit ich Ihnen helfen kann? Ich muss nämlich wirklich wieder an die Arbeit.“

Er ignorierte ihren Einwand vollkommen. „Ich wüsste nicht, wie ich Sie beleidigt haben könnte, da wir uns ja noch nie zuvor gesehen haben“, er hielt inne und ließ seinen Blick erneut über ihre Kurven wandern, „oder vielleicht sind wir uns begegnet, als Sie eine andere Maskerade trugen. Ich muss schon sagen, dass ich diese hier bevorzuge.“

Autor

Penny Roberts
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