Sinnliche Nächte mit dem Ex

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Der Liebe hat Nisha abgeschworen. Niemals möchte sie von einem Mann abhängig sein! Der Erfolg ihres Modelabels ist für sie das Allerwichtigste. Doch das braucht dringend eine Finanzspritze, und der Einzige, der als Investor infrage kommt, ist ausgerechnet ihr Ex Sameer! Während sie für eine Fashion Show in New York zusammenarbeiten, erwacht die erotische Anziehung zwischen ihnen von Neuem, und bald verbringen sie sinnliche Nächte miteinander. Aber kann Sameer sie endlich so lieben, wie Nisha es sich wünscht?


  • Erscheinungstag 28.02.2023
  • Bandnummer 2279
  • ISBN / Artikelnummer 0803232279
  • Seitenanzahl 144

Leseprobe

1. KAPITEL

„Nisha, du gehst nicht, bevor du nicht gefrühstückt hast.“

Nisha atmete tief durch. Noch dreißig Sekunden und ihre Mutter Reeta würde ins Bad gestürzt kommen. Rasch glättete sie die Grundierung auf ihrem Gesicht mit einem Schwamm und ließ den Zeigefinger über ihre Stirn gleiten. Die große Narbe von ihrer rechten Schläfe bis zur Braue über dem linken Auge war kaum sichtbar. Zu fühlen war sie allerdings nach wie vor, obwohl ihre Mutter so viel dafür gezahlt hatte, sie entfernen zu lassen.

Sie verteilte etwas Puder, dann kam der Eyeliner an die Reihe. Lipgloss musste warten, sie kam auch so schon zu spät.

Als sie die Badezimmertür aufzog, stand ihre Mutter Reeta vor ihr, in der einen Hand einen Bagel, in der anderen einen To-go-Becher mit Tee. „Ma!“

Ihre Mutter war fünfzehn Zentimeter kleiner als sie, was einiges besagte, da sie gerade mal eins siebzig maß. Reeta war gertenschlank und hatte den gleichen hellbraunen Teint wie sie. Da hörte die Ähnlichkeit aber auch schon auf. Nisha hatte einen breiten Mund, der ihrer Mutter war eher schmal. Ihre braunen Augen waren oval, die ihrer Mutter rund und noch dunkler.

„Wie willst du Kraft für deine Präsentation haben ohne etwas im Magen?“

Nisha seufzte nur und nahm ihr Becher und Bagel ab. Das ersparte ihr vielleicht eine lange Diskussion.

„Willst du etwa so gehen?“

Nisha sah an ihrem schlichten schwarzen Rock herunter, zu dem sie eine Jacke mit Stehkragen im Stile Nehrus trug. Das war das Outfit, mit dem sie bei allen Investoren-Treffen erschienen war.

„Was stimmt daran nicht?“

Aaare, du wirkst so steif. Du solltest ein Kleid anziehen. Etwas, das sexy ist. Und leg Lippenstift auf.“

„Ma, es ist kein Date. Ich versuche, einen ernsthaften Geschäftsmann davon zu überzeugen, das Geld in mein Label zu investieren, eine gute Entscheidung ist.“

„Du kannst nie wissen, wann bei so einem Treffen mal ein attraktiver Junggeselle auftaucht.“

Nisha wusste schon nicht mehr, wie oft sie ihrer Mutter zu erklären versucht hatte, dass sie weder an einem Date noch an einer Heirat interessiert war. Es gab nur einen Mann, den sie je hatte heiraten wollen. Ihm hatte sie ihre Narben zu verdanken. Im Moment interessierte sie nur eins, der erfolgreiche Start ihres Labels. Dafür war sie darauf angewiesen, dass das Treffen heute gut lief.

Ihre Geschäftspartnerin und beste Freundin Jessica hatte ihr gesagt, es sei der letzte Investor, der einem Treffen mit ihnen zugestimmt hatte. Sie hatte keine weiteren Kontakte, die sie ansprechen konnte. Ohne frisches Geld war es ihnen nicht möglich, mit einer Show an der Fashion Week teilzunehmen. Was im Klartext bedeutete, dass sie am Ende waren. Aber eine indische Mutter davon zu überzeugen, dass ihre dreißigjährige Tochter nicht an einer Heirat interessiert war, das war, als wolle man einem kleinen Kind am Weihnachtsmorgen erklären, dass es den Weihnachtsmann nicht gab.

„Ma, ich komme zu spät.“

„Aber, Nisha …“

„Bis später, Ma.“ Sie hauchte ihrer Mutter einen Kuss auf die Wange und verließ das kleine Apartment auf der neunzehnten Etage.

Nach New Yorker Maßstäben war das Fünfundsiebzig-Quadratmeter-Apartment im East Village der schiere Luxus. Ihre Mitarbeiter und ihre Freunde beneideten sie darum, aber nur sie kannte den Preis, den ihre Mutter dafür gezahlt hatte.

Bei dem Gedanken daran verspürte Nisha wieder die vertrauten Gewissensbisse. Ihre Mutter mochte ihr im täglichen Miteinander auf die Nerven gehen, doch sie hatte viel aufgegeben, um sie zu unterstützen. Zu viel. Das war umso mehr Motivation, ihr Label erfolgreich auf den Markt zu bringen. Nie wollte sie in die Lage ihrer Mutter kommen, von einem Mann abhängig zu sein.

Sie betrat den Fahrstuhl mit der großen Ledermappe mit ihrem Portfolio unter dem Arm. Die Mappe war ein Geschenk ihrer Mutter gewesen, nachdem Nisha ihr erklärt hatte, was sie mit ihrem Leben anfangen wollte. Eingraviert waren nur zwei Worte auf Hindi: Khush raho. Bleibe glücklich.

Beim Verlassen des Gebäudes gab sie dem Portier ein Zeichen, und er winkte ihr ein Fahrradtaxi herbei. Die waren im dichten New Yorker Verkehr auf kurzer Strecke wesentlich schneller als jedes Auto. Bis zu ihrem Studio waren es gerade mal zwei Meilen.

Sie stieg ein und nannte dem Fahrer die Adresse, und er setzte sie an der Ecke Tenth Avenue, West Thirteenth Street ab. Geschickt wich sie vor dem Studio dem Schlagloch aus, in dem sie sich vor einigen Monaten fast das Fußgelenk gebrochen hatte.

Jessica wartete bereits auf sie. „Gott sei Dank, dass du da bist. Uns bleibt noch genau eine Stunde, bis der Investor kommt. Die Models sind in einer halben Stunde da.“

Nisha lächelte ihr dankbar zu. Sie wusste, dass ihre Partnerin sicher schon seit zwei Stunden bei der Arbeit war und Zahlen zusammengestellt und Diagramme entworfen hatte, die den Investor beeindrucken sollten.

Sie hatte den kreativen Part in ihrer Zusammenarbeit, während Jessica sich um alles andere kümmerte. Sie bemühten sich, jeden nur möglichen Penny zu sparen. Models, Visagistinnen und Stylistinnen kosteten viel Geld, und die bisherigen Termine mit potenziellen Investoren waren alle im Sande verlaufen. Dies war ihre letzte Chance, das Geld aufzubringen, das sie brauchten, um an der Fashion Week teilzunehmen.

„Ich habe mir die Outfits angesehen, die du zusammengestellt hast. Ich finde, du solltest mehr von deinen indisch angehauchten Designs nehmen wie zum Beispiel das in Gelb-Blau. Die Farben fallen schön ins Auge.“

„Das ist etwas riskant.“

„Nicht bei diesem Investor. Er ist Inder, und er sagte, er mag deinen Stil, als ich ihm deine Entwürfe gemailt habe.“

„Von welchem Unternehmen kommt er?“ Nisha wusste selbst nicht, wieso ihr Puls jedes Mal schneller ging, sobald sie von einem Inder hörte. Es gab unendlich viele reiche Investoren aus Südasien. Sie hatte ein neues Leben angefangen. Hatte sich ein neues Land gesucht. Wieso konnte sie Sameer Singh nicht einfach vergessen? Wieso schoss er ihr immer wieder zu den unpassendsten Momenten in den Sinn.

„Von der Mahal-Group. Sie haben nur eine Bedingung. Falls sie sich zu dem Investment entschließen, muss die Show in ihrem neuen Hotel in New York stattfinden.“

Nisha entspannte ein wenig. Soweit sie wusste, hatte Sameers Familie keine Hotels in den Vereinigten Staaten, sondern nur in Indien. „Ist die Bedingung für dich akzeptabel?“

„Wir haben keine Wahl. Die Location ist nicht ideal, aber nur sie macht den Deal für sie interessant. Sie sind sogar bereit, die Kosten der Veranstaltung zu übernehmen. Falls das erste Event gut läuft, bieten sie an, eine weitere Show in ihrem Hotel in Vegas durchzuziehen. Das allein ist schon ein fetter Pluspunkt. Wenn wir die Kosten für die Veranstaltung sparen, können wir für das Geld zwei zusätzliche Näherinnen und Stickerinnen einstellen und die Entwürfe nehmen, die bisher zu teuer waren.“

Nisha biss sich auf die Unterlippe. Sie hatte Mühe, die Panik im Zaum zu halten, die in ihr aufstieg. Sie brauchten dieses Geld, ganz gleich zu welchen Bedingungen. Die Designs, die Jessica bei den vorherigen Terminen zurückgehalten hatte, waren einzigartig. Falls dieser Investor ihnen die Möglichkeit bot, auch diese Ideen zu verwirklichen, dann würde sie alles tun, um ihn zu überzeugen.

Sie verbrachten die nächste Stunde damit, alles für die kleine Modenschau vorzubereiten, die sie dem Mann zeigen wollten. Nisha zwang sich, sich ganz auf die Arbeit zu konzentrieren. Dabei machte sie ein paar der Atemübungen, die sie von ihrer Mutter gelernt hatte. Sie halfen ihr, ihren Körper mit positiver Energie aufzuladen, um gegen den bevorstehenden Stress gewappnet zu sein.

Als es so weit war, warteten sie in der Tür auf ihren Gast.

„Wer repräsentiert die Mahal-Group?“, erkundigte Nisha sich.

„Ein Mr. Singh.“

Nisha erstarrte. Singh war in Indien ein weitverbreiteter Name, aber wie viele reiche Hoteliers mit dem Namen Singh mochte es geben?

Eine Limousine mit Chauffeur hielt vor dem Gebäude. Als sie den Mann sah, der ausstieg, ließ ihre Anspannung nach. Nein, es war nicht Sameer Singh. Der hier war kleiner und etwas untersetzt. Sameer war groß, schlank und athletisch, mit einem Körper, von dem Frauen träumten. Es war acht Jahre her, seit sie ihn das letzte Mal gesehen hatte, aber sie würde ihn überall sofort erkennen. Lächelnd trat sie auf den Mann zu.

„Mr. Singh, ich bin Nisha Chawla. Vielen Dank, dass Sie sich Zeit für uns nehmen.“

Der Mann schüttelte ihr lächelnd die Hand. „Es freut mich, Sie kennenzulernen, Ma’am, aber ich bin nicht Mr. Singh.“ Er sprach mit starkem indischen Akzent, fast so wie ihre Mutter. „Mein Name ist Vinod Sharma. Ich bin der persönliche Assistent von Mr. Arjun Singh.“

Nishas Herz sank. So viele Zufälle konnte es nicht geben. Sameer hatte einen älteren Bruder, der Arjun hieß. Seine Familie betrieb Hotels in Indien. Hatten sie inzwischen in die Staaten expandiert? Sie bedauerte, sich vorher nicht genauer über den Investor informiert zu haben.

Ihre Freundin und Geschäftspartnerin trat vor. „Ich bin Jessica. Wir haben miteinander korrespondiert.“

Vinod Sharma schüttelte ihr die Hand. „Mr. Singh wird bald hier sein.“

Falls es Arjun war, konnte sie damit umgehen. Nisha war ihm ein paarmal begegnet. Er war kühl und ein cleverer Geschäftsmann, und er war nicht Sameer. Dennoch wollte ihr Magen sich nicht beruhigen. Eben deswegen bestand ihre Mutter immer darauf, dass sie ein Frühstück zu sich nahm.

Hinter der Limousine hielt ein Motorrad. Nisha stockte der Atem. Der Fahrer trug einen geschlossenen Helm zum schwarzen Geschäftsanzug, aber noch ehe er den Motor abstellte und die Maschine auf den Ständer stellte, wusste sie, dass es Sameer war. Sie erkannte es an der Art, wie er sich bewegte, und daran, wie er sich mit den Fingern durchs Haar strich, nachdem er den Helm abgenommen hatte.

„Ah, da ist ja Mr. Singh. Sehr gut.“

Nisha stand wie angewurzelt da.

Jessica versetzte ihr einen leichten Stoß in die Seite. „Ich sage dem Chauffeur, wo er parken kann. Nisha kann Sie schon herumführen.“

Nisha nahm nichts von dem wahr, was Jessica sagte. Ungläubig starrte sie den Mann an, der sie auch heute noch bis in ihre Träume verfolgte. Ihr erster Liebhaber. Der Mann, an den sie jedes Mal denken musste, wenn sie im Spiegel die Narbe auf ihrer Stirn sah. Er kam mit einem breiten Lächeln auf sie zu und schien ihre Überraschung gar nicht zu bemerken. Blieb einfach vor ihr stehen und legte ihr die Hände auf die Schultern.

„Nisha! Es ist schön, dich nach so langer Zeit wiederzusehen.“

Er wollte sie umarmen, aber sie wich zurück. „Wie kannst du es wagen, hier aufzutauchen?“

2. KAPITEL

Sameer hatte gewusst, dass sie nicht erfreut sein würde, ihn zu sehen, und er konnte ihr keinen Vorwurf machen. Er trat zurück und hob die Hände. „Tut mir leid, ich dachte, wir seien alte Freunde. Ich wollte dir nicht zu nahe treten.“

Nisha musterte ihn wütend. Hatte sie immer schon so ein Feuer im Blick gehabt? Die Antwort auf diese Frage kam ihm mit einem Erinnerungsblitz. Sie beide in einem Hotelzimmer in Mumbai. Ihr leises Stöhnen. Ihre zarte Haut unter seiner Brust. Ihre Beine um ihn geschlungen. Das Leuchten in ihren Augen, als er sie liebte. Überrascht von der Intensität der Erinnerung wich er noch einen Schritt zurück. Das Ganze war acht Jahre her. In der Zwischenzeit war so viel passiert. Es wäre ihm nicht in den Sinn gekommen, dass sich an seinen Gefühlen für sie nichts geändert hatte.

„Wir sind keine Freunde und werden es nie sein. Hätte ich gewusst, dass du hinter diesem Investor steckst, hätte ich Jessica gebeten, den Termin abzusagen. Wie kannst du glauben, du dürftest einfach so mein Studio betreten?“

Jessica legte ihr eine Hand auf die Schulter. „Nisha, kann ich dich kurz unter vier Augen sprechen?“

Nisha atmete tief durch. Sameer musste den Wunsch bezwingen, sie zu packen, damit sie sich beruhigte, wie er es damals im College oft getan hatte, wenn sie wütend war. Jessica zog sie beiseite. Er beobachtete die beiden Frauen durch die Glasfront des Büros. Das Studio war ein ehemaliges Warenlager, das nach dem neuesten Trend umgestaltet worden war.

Die hohe Decke mit den offenen Rohren war schwarz gestrichen. Moderne Leuchter mit nackten Glühbirnen hingen direkt über den Arbeitstischen, die überladen waren mit Stoffen und Schnittmustern. Mitten im Raum formte ein schmaler roter Teppich ein T. Am Kopfende waren Klappstühle aufgestellt.

Verglichen mit anderen Projekten handelte es sich hier für die Mahal-Group nur um ein kleines Investment. Das Studio war stylish, doch es fehlte ein Showroom in einer guten Lage. Diese mangelnde Sichtbarkeit war vermutlich der Grund dafür, wieso Nisha mit ihren Entwürfen noch nicht den Durchbruch geschafft hatte.

Die Glasfront des Büros war erstaunlich schalldicht. Das, oder die beiden Frauen flüsterten nur. Sameer lächelte, als er die vertrauten Gesten bei ihr sah und die Art, wie Nisha die Lippen schürzte. Sie hasste es, wenn sie eine Situation nicht unter Kontrolle hatte. Ihm hatte auch nichts daran gelegen, zu diesem Termin zu erscheinen, aber zumindest hatte er gewusst, was ihm bevorstand, während sie eindeutig davon überrascht worden war.

Als er sah, wie Nisha die Schultern durchdrückte, wusste er, dass sie ihm nicht die Tür weisen würde. Sie trat mit hocherhobenem Kinn zu ihm, und zum ersten Mal wurde ihm bewusst, wie viel kleiner sie war als er. Erst jetzt sah er, dass sie flache Schuhe trug. Er hatte sie nur ein einziges Mal ohne hohe Absätze gesehen, und das war gewesen, als sie das Hotelzimmer teilten.

Eine andere Erinnerung blitzte auf, sie nackt am Telefon, als sie beim Zimmerservice Tee bestellte. Er hatte die Arme um sie gelegt und genoss es, ihre zarte Haut an seinem Körper zu spüren. Ihm wurde heiß bei dem Gedanken daran, wie ihre zierliche Gestalt sich an ihn schmiegte.

Sudhar ja, Sameer! Er musste sich zur Ordnung rufen. Nisha war tabu. Nicht nur, weil er ihr das Herz gebrochen hatte, sondern auch, weil dieser Auftrag seine einzige Chance war, seiner Familie zu beweisen, dass er endlich erwachsen geworden war. Erwachsen und verantwortungsbewusst.

Nisha stellte sich so dicht vor ihn, dass er schon erwartete, sie werde ihm einen Finger in die Brust piken.

„Lass dir gesagt sein, ich habe dir nicht verziehen und ich werde dir nicht verzeihen. Aber Jessica hat sich sehr um diesen Termin bemüht und hart dafür gearbeitet. Sie betrachtet dich als einen seriösen Investor. Sei ehrlich, Sameer, bist du fähig, dich wie ein ernst zu nehmender Geschäftsmann zu benehmen?“

Hätte sich sonst jemand einen solchen Ton ihm gegenüber erlaubt, hätte er protestiert, aber als er das Feuer in ihrem Blick sah, verspürte er nur eins: Stolz. Diese Frau, die früher stets nur bitte und danke gesagt hatte und zusammengezuckt war, wenn irgendjemand sie kritisierte – diese Frau nahm es jetzt mit ihm auf. Er konnte ein Lächeln nicht unterdrücken und flüsterte so, dass nur sie es hörte: „Ich bin immer seriös, Nisha. Nur mit dir nicht.“

Sie kniff die Augen zusammen, doch ehe sie dazu kam, etwas zu sagen, trat Jessica zu ihnen und fragte: „Wie wäre es, wenn wir mit der Show beginnen, Mr. Singh? Die Models sind bereit.“

Er sah, wie Nisha die Lippen aufeinanderpresste. Sie wich seinem Blick aus. Offenbar brauchte sie Zeit, um sich zu beruhigen. Jessica führte ihn und Vinod zu den vorbereiteten Klappstühlen.

Nisha begab sich hinter die Sichtschutzwand. Er sah, dass sie sich mit zwei Frauen unterhielt, deren Köpfe zu sehen waren. Jessica berichtete währenddessen knapp darüber, wie sie ihr Unternehmen gestartet hatten und woher die Inspirationen für Nishas Entwürfe kamen. Dann ließ sie die Musik laufen.

Das erste Model kam den roten Teppich herunter. Sie posierte auf dem improvisierten Laufsteg in einem faszinierenden Kleid in Königsblau mit silberner Stickerei. Sameer versuchte, sich auf die Show zu konzentrieren, aber seine Gedanken schweiften immer wieder zu Nisha und ihrer gemeinsamen Zeit am College ab. Eine Unterhaltung fiel ihm ein:

„Siehst du diese Rocklänge, Sameer? Wäre es mein Design, hätte ich den Saum asymmetrisch gemacht, damit er zum Muster passt.“

Er sah in den Spiegel, vor dem sie sich drehte.

„Wenn ich mit dem College fertig bin, will ich als Model arbeiten. Ich will mein Foto auf den Covern der großen Modezeitschriften der Welt sehen. Vielleicht werde ich sogar international bekannt als das erste Model mit Normalgröße.“

„Deine Mutter wird dich nie mit tief ausgeschnittenen Kleidern und kurzen Röcken über einen Laufsteg laufen lassen.“

„Sie kann mich nicht aufhalten. Das kann niemand.“

Nisha war kein Model geworden. Durch seine Schuld. Im Geiste schüttelte er den Kopf über sich. Er wollte sich nicht wieder auf diese Spirale von Selbstvorwürfen begeben. Dies war seine Chance, einiges bei Nisha wiedergutzumachen. Er wollte dafür sorgen, dass ihr Label Erfolg hatte.

„Ihr erster Eindruck, Mr. Singh?“

Sameer zwang sich, sich Jessica zuzuwenden. Er schenkte ihr sein charmantestes Lächeln. „Bitte, sagen Sie doch Sameer zu mir.“

Sie erwiderte sein Lächeln. Aus den Augenwinkeln beobachtete er, wie Nisha zu ihnen herübersah. „Ich glaube, es wird Zeit, dass wir uns mit den Zahlen befassen“, sagte er.

Jessica war eine attraktive Frau mit großen blauen Augen und blondem Haar, das sie zurückgekämmt hatte, um ihre Wangenknochen zu betonen. Er hätte sie vielleicht anziehend gefunden, aber sobald Nisha in der Nähe war, fiel es ihm schwer, sich auf irgendeine andere Frau zu konzentrieren. Genau dazu zwang er sich jetzt. Jessica war Nishas Partnerin, und sie kannte ihn nicht. Sie war diejenige, die Nisha überreden konnte, ihm eine Chance zu geben.

Jessica entließ die Models und führte ihn und Vinod in ein Büro. Sameer spürte sofort, dass es Nishas sein musste. Es war schlicht, aber elegant eingerichtet mit vier blau-weiß-gestreiften Sesseln um einen kleinen Tisch. Auf dem Schreibtisch lag ein Stapel Papiere. Fotos von Kleidern und gerahmte Stoffe hingen an den Wänden. Das Ganze erinnerte an ihr Zimmer im College.

Jessica reichte jedem von ihnen eine Mappe mit Unterlagen und lenkte ihre Aufmerksamkeit auf die Seiten mit den Geschäftszahlen. „Nachdem Sie jetzt die künstlerische Seite unseres Unternehmens gesehen haben, will ich Ihnen erklären, wie unser Plan aussieht, Ihr Geld zu vermehren. Zuerst …“

Während Jessica sprach, musste Sameer an sich halten, um nicht zu Nisha hinüberzusehen, die in der Tür stand wie ein nervöses Pferd, jederzeit bereit zur Flucht. Sein Puls raste. Er hatte Gefühle erwartet, ja, aber nicht diese Welle an Emotionen, die ihn förmlich zu überwältigen drohte.

Er tat so, als konzentriere er sich auf die Papiere. Er wollte der Verachtung in Nishas Blick entgehen, die er dort mit Sicherheit sehen würde. Sein Job war es, ihrem Label zum Erfolg zu verhelfen.

Zusammen mit Jessica ging er die Zahlen durch. Sie sprachen über die Details der Show während der Fashion Week, dem ersten großen Auftritt von Nishas Label. Er stellte eine Frage, woraufhin Jessica sich an Nisha wandte: „Was meinst du dazu?“

Nisha war offenbar nicht bei der Sache gewesen. „Äh … wozu?“

„Der ursprüngliche Vorschlag war, die Show im Mahal-Hotel zu haben. Nachdem wir uns die Pläne jetzt angesehen haben, sind wir zu dem Schluss gekommen, dass die Räume für unsere Zwecke zu klein sind. Sameer schlägt vor, die Veranstaltung trotzdem dort zu machen, allerdings super-exklusiv mit einer beschränkten Anzahl von Einladungen.“

Nisha schüttelte den Kopf. „Das ist meine erste Show. Ich brauche so viel Außenwirkung wie möglich. Das heißt, jeder, der kommen will, sollte auch dabei sein können. Wenn das Hotel nicht groß genug ist, können wir unsere Ersatz-Location nehmen – ein Lagerhaus in Brooklyn …“

„Nisha, wenn ich …“, unterbrach Sameer sie.

Ihr Blick schoss Giftpfeile direkt in sein Herz.

Er zwang sich, weiterzusprechen: „Für deine erste Show ist ein Standort in Manhattan sehr wichtig. Du solltest in der Nähe der anderen Veranstaltungen der Fashion Week sein, weil die Besucher von einer Show zur nächsten gehen. Niemand nimmt eine umständliche Anfahrt in Kauf, wenn es um einen unbekannten Designer geht. Und wenn du mehr Plätze als Besucher hast, sieht das nicht gut aus. Sobald es sich herumspricht, dass diese Show so exklusiv ist, dass es schwer ist, an Karten zu kommen, werden alle dabei sein wollen, auch die größeren Namen.“

Nisha schüttelte den Kopf. „Das mag für die bekannten Label gelten, aber nicht für Newcomer wie mich.“

„Du bist kein Newcomer mehr. Deine Entwürfe sind schon in der Vogue vorgestellt worden, und du hast für einige Bollywood-Schauspielerinnen gearbeitet. Ich bin überzeugt, dass deine Show viel Interesse weckt. Wenn du die Teilnehmerzahl klein hältst, erhöht das nur den Reiz.“

„Entschuldige, Sameer, doch wie viel Erfahrung hast du in der Modebranche?“

„Ich kenne das Geschäft, Nisha.“

„Aber du kennst mich nicht.“

Autsch! Wirklich nicht? Als ob ich nicht wüsste, dass du mir eigentlich zustimmst, dass du jedoch bei deiner Position bleibst, weil du mir zeigen willst, wie stark du bist. So war es schon zu Collegezeiten bei ihnen gewesen.

Jessica mischte sich ein: „Wieso lassen wir das Thema Location nicht erst mal beiseite und kümmern uns um die anderen Probleme? Wir können später darauf zurückkommen, wenn Nisha und ich Gelegenheit hatten, noch mal alles zu überdenken.“

Nisha verschwand wortlos in die kleine Küche. Zum ersten Mal bemerkte er, dass etwas mit ihrem Gang nicht stimmte. Hatte sie sich nicht völlig von dem Unfall erholt? Trug sie deshalb keine hohen Absätze? Er wusste, sie hatte einen komplizierten Beinbruch gehabt und mehrere Operationen gebraucht, aber seine Mutter hatte gesagt, sie sei wieder vollkommen hergestellt.

Sie nahm eine Flasche Wasser aus dem Kühlschrank und trank daraus. Plötzlich sah sie hoch, und ihre Blicke trafen sich.

Er ging zu ihr.

Nisha richtete sich auf, als er näher trat, ihre Miene war eisig. Sie verschanzte sich hinter dem kleinen Küchentisch. Er blieb davor stehen. Es war wohl am besten, wenn er ihr nicht zu nah kam.

„Es ist deine Firma, oder?“

Sie drückte das Kreuz durch und hob das Kinn. Das war ihm Antwort genug.

„Und du brauchst Geld, um dich halten zu können – richtig?“

„Dein Geld brauchen wir nicht.“

„Die Zahlen, die mir deine Geschäftspartnerin gerade gezeigt hat, sagen etwas anderes.“

„Ich habe nicht behauptet, dass wir kein Geld brauchen – wir brauchen es nicht von dir!“

„Es kommt nicht von mir, sondern von meiner Familie.“

Sie kniff die Augen zusammen, sagte aber kein Wort.

„Du hast nicht die Zeit, noch einen anderen Investor zu suchen. Außerdem solltest du nicht Privates und Berufliches vermischen und dein Talent dadurch ausbremsen.“

„Wieso jetzt, Sameer?“ Die Bitterkeit in ihrem Ton war unüberhörbar. „Du hast dich acht Jahre nicht blicken lassen. Wieso jetzt?“

„Es war nicht meine Idee“, versicherte er ihr ruhig. Dabei hätte er ihr gern gesagt, dass er in den vergangenen acht Jahren fast jeden Tag an sie gedacht hatte. Dass er nicht gewusst hatte, wie er ihr wieder unter die Augen treten sollte. Diese Gelegenheit war ihm einfach in den Schoß gefallen.

Seine Schwester Divya hatte die Idee gehabt, südasiatische Kreative zu unterstützen und damit ihren Geschäftsbereich zu erweitern. Als Nishas Name auftauchte, dachte er lange darüber nach, ob er es ertragen könnte, beruflich mit ihr zu tun zu haben. Dann begriff er, dass es Schicksal war. Das Schicksal bot ihm hiermit eine zweite Chance. Mit einer Entschuldigung war es nicht getan, weder für Nisha noch für ihn. Er musste ihr zurückgeben, was er ihr genommen hatte: ihre Träume.

„Hör mal, Nisha, ich weiß, dass die letzten acht Jahre nicht leicht für dich waren, aber das gilt auch für mich.“

Sie lachte spöttisch. „Den Posts in den sozialen Medien nach zu urteilen, hattest du ja Gelegenheit genug, Partys zu feiern.“

Sie war ihm also gefolgt!

„Ganz so einfach ist es nicht. Ich bin erst vor neun Monaten aus der Reha gekommen, und dies ist das erste Projekt, das ich übernehme. Divya und Arjun möchten südasiatische Kreative unterstützen, und ich kenne niemanden, der es mehr verdient hätte als du. Dies ist nicht nur die Chance für dich, dein Label zu lancieren, sondern es ist auch eine Chance für mich. Ich muss beweisen, dass ich endlich kein Loser mehr bin.“

Das hatte er eigentlich gar nicht sagen wollen, aber seine übliche Art der gekonnten Schaumschlägerei war unmöglich unter diesem durchdringenden Blick. Er wandte sich ab, um nicht das Mitleid zu sehen, das sie jetzt sicher zeigte.

Er hatte drei Schwestern, die sich in alles einmischten, einen diktatorischen älteren Bruder, einen halsstarrigen Vater, eine gluckenhafte Mutter und eine nicht weniger um ihn besorgte Schwägerin. Es hatte lange gebraucht, bis er sich ihnen anvertraut hatte. Und noch länger, um seine Familie davon zu überzeugen, dass er jeden Tag hart daran arbeiten würde, nie mehr zurück in die Klinik zu müssen. Er hatte so viel Aufmerksamkeit und Mitleid erfahren, dass es für ein ganzes Leben reichte.

„Es geht also wieder einmal nur um dich?“

Verblüfft sah er auf. Nein, das war kein Mitleid in Nishas Blick, das war Wut.

Autor

Sophia Singh Sasson
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