Sinnliche Nächte mit der Comtesse

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Londons bester Liebhaber: Channing Deveril ist so gut im Bett, dass die Damen ihn dafür bezahlen. Nur Alina ersehnt sich etwas anderes von ihm. Die geschiedene Comtesse hofft, dass der attraktive Sohn eines Earls ihr Zugang zur feinen Gesellschaft verschafft. Doch stattdessen verlieren sie sich in einem lustvollen Rausch!


  • Erscheinungstag 25.03.2020
  • ISBN / Artikelnummer 9783733716004
  • Seitenanzahl 130
  • E-Book Format ePub
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Leseprobe

1. KAPITEL

Das Liebesspiel wird mich noch umbringen!

Channing Deveril bewegte sich behutsam, um nicht die Brünette zu stören, die, den Kopf an seine Schulter gelehnt, tief schlief. Er seufzte. So war es schon besser. Seit sieben Tagen hatte er nicht mehr in seinem eigenen Bett geschlafen, und er vermisste schmerzlich den Luxus eines großen Bettes ganz für sich allein, in dem er die langen Beine ausstrecken konnte, wie es ihm gefiel.

Ein Gefühl, das gewisse Leute in London nicht wenig überraschen würde, die glaubten, dass Channing Deveril der größte Glückspilz auf Gottes Erde war. Während sie gezwungen waren, sich durch langweilige Musikabende und öde Ausflüge in den Park zu quälen, und ihre Abende beim Tanz im Almack’s verbrachten, noch dazu ohne die Wohltat eines guten Tropfens und nur in dem Bemühen, eine der wenigen wahren Trophäen unter den Debütantinnen auf dem Heiratsmarkt zu gewinnen, konnte Channing sich brüsten, dass die Frauen um ihn kämpften. Und nicht irgendwelche Frauen, sondern die besten – die Frauen, die man erobern durfte und nicht zu heiraten brauchte, die reich waren und auf der Suche nach aufregenden Affären waren.

Würde man den Gerüchten glauben, bezahlten sie ihn sogar für seine Präsenz in ihrem Bett. Das war zwar ein Punkt, den jene gewissen Leute zu stolz waren, jemals zuzugeben, aber wer würde sich nicht gern etwas mehr Geld in die Tasche stecken und wer würde etwas dagegen haben, es auf diese Weise zu verdienen? Ihrer Meinung nach war Channing Deverils Leben ein Traum – so viele Frauen und so viel Geld!

Im Moment ähnelte sein Traum allerdings eher einem Albtraum. Jene Leute wären ebenfalls sehr erstaunt zu erfahren, dass sein erster Gedanke nach dem Erwachen, abgesehen von der Tatsache, dass der Sex ihn erschöpfte, eine Berechnung seiner Chancen war: Wie groß war die Wahrscheinlichkeit, dass er Lady Bixleys lavendelduftende Laken verlassen und die Tür erreichen konnte, bevor sie erwachte? Marianne Bixley hatte sich als wahre Tigerin entpuppt. Nichts hatte sie bremsen können – weder die Fesseln, noch die Augenbinde noch der Extra-Schuss Brandy.

Der dritte Gedanke war, dass er einfach nur nach Hause gehen wollte. Der „größte Glückspilz Londons“, wie man ihn hinter vorgehaltener Hand nannte, war müde, hatte einen Geschmack nach abgestandenem Wein im Mund und wollte sich einige wenige Stunden Schlaf in seinem eigenen Bett gönnen, bevor alles wieder von vorn anfing. Channing atmete tief ein und bewegte sich versuchsweise. Marianne Bixley murmelte etwas, rührte sich aber nicht. Sein Arm war frei. Jetzt musste Channing nur einige Momente warten und sich dann herumrollen.

Wie sollte er die Saison überstehen, wenn er jetzt schon so müde war? Die Saison hatte kaum angefangen. Die letzten zwei Wochen waren lediglich eine Art Einleitung gewesen. Die Osterzeit folgte bald, und danach würde die Saison erst richtig in Fahrt kommen. Die Agentur „League of Discreet Gentlemen“, seine sehr erfolgreiche Liga der Diskreten Gentlemen, schaffte es schon jetzt kaum, mit der begeisterten Nachfrage Schritt zu halten.

Die Liga war ein riesiger Erfolg geworden. Es wurde immer schwieriger für ihn, seine Männer so einzuteilen, dass sie die Verabredungen einhalten konnten und die Liga dennoch diskret blieb, wie ihr Name behauptete. Letzteres war zu einem Problem geworden, seit Nicholas D’Arcy, einer seiner besten Männer, im vergangenen Jahr fast dabei erwischt worden war, wie er die Frau eines Lords verwöhnte, noch dazu im Stadthaus besagten Lords. Dieser Zwischenfall hatte viel zu der traurigen Berühmtheit der Liga beigetragen, aber herzlich wenig zu deren Verschwiegenheit, die Channing bei Weitem vorzog.

Einer Frau Befriedigung zu verschaffen war seiner Meinung nach nichts, was die Öffentlichkeit etwas angehen sollte, und es hatte ihm sehr gefallen, dass der größte Teil des Londoner ton ursprünglich nicht sicher gewesen war, ob die Liga wirklich existierte oder nicht. Doch inzwischen wurde es immer schwieriger, den geheimnisvollen Zauber zu erhalten. Alles wurde immer schwieriger.

Das war allerdings nicht der Grund, weswegen er eingesprungen war und einige zusätzliche Aufträge übernommen hatte. Für gewöhnlich verbrachte er den Großteil seiner Zeit damit, das Programm aufzustellen, und das war schon Arbeit genug. Gewiss könnte er seinen Entschluss, wieder in die Rolle eines Vollzeit-Begleiters zu schlüpfen, mit dem zunehmenden Erfolg des Geschäfts rechtfertigen, aber er wusste, seine Motive waren weit selbstsüchtigerer Natur. Lady Marianne Bixley hätte eigentlich das Heilmittel für sein Leiden sein sollen. Bis jetzt glaubte er jedoch nicht, dass sie ihm geholfen hatte.

Neben ihm seufzte Lady Marianne leise auf. Ihr schien allerdings geholfen worden zu sein. Er hatte gute Arbeit geleistet letzte Nacht. Und er würde es wieder tun müssen, wenn er sich nicht bald von hier entfernte. Allein der Gedanke, dass er es nicht erwarten konnte, das warme Bett einer schönen Frau zu verlassen, bewies deutlich, dass das Heilmittel nicht gewirkt hatte. Nicht einmal die Tatsache seiner morgendlichen Erregung oder Lady Bixleys üppige Rundungen konnten ihn dazu bewegen, doch zu bleiben.

Channing hob behutsam das Laken und rollte sich aus dem Bett. Abrupt hielt er den Atem an, als Lady Marianne sich kurz regte, dann aber wieder still war. Schnell und leise kleidete er sich an. Seit wann reichte die leidenschaftliche Nacht mit einer Frau nicht mehr, um seine Stimmung zu heben? Ob er sich langweilte, sich einsam fühlte oder sinnliche Befriedigung erstrebte: Sex war sein Allheilmittel, sein ständiger Begleiter, seit er sechzehn gewesen war. Doch jetzt ließ er ihn gründlich im Stich. Die vergangenen achtzehn Monate waren in dieser Hinsicht eine einzige Enttäuschung gewesen.

Er griff nach seinen Stiefeln. Gleich würde er frei sein! Am besten zog er sie im Flur an, um weitere Geräusche zu vermeiden. Es war ja nicht so, als könnte er den Liebesakt nicht mehr vollziehen. Lady Marianne war der Beweis dafür, dass er selbst die größten erotischen Ansprüche erfüllen konnte. Schnell nahm er die restlichen französischen Briefchen – die beim Liebesspiel der Verhütung einer Empfängnis dienten – vom Nachttisch und stopfte sie in seine Manteltasche zurück. Wenn er sie zurückließe, würde er Lady Marianne noch den Eindruck vermitteln, er sei auf einen weiteren Auftrag aus. Verstohlen ging er auf die Tür zu.

Fast schon war er im Flur, die Hand noch auf dem Türgriff, da hörte er ihre Stimme, schlaftrunken und glutvoll. „Willst du schon gehen? Komm zurück ins Bett.“

Channing drehte sich zu ihr um, ein bedauerndes Lächeln aufsetzend. „Ich wünschte, ich könnte. Leider habe ich eine Verabredung, für die ich mich noch vorbereiten muss.“ Was auch stimmte. Amery DeHart, einer seiner aufstrebenden, neuen Begleiter, hatte um ein Gespräch gebeten, aber erst später am Morgen. Channing erkannte an Lady Mariannes Schmollmund, dass sie eine Verabredung mit einer Frau vermutete.

„Ich bin sicher, ich bin aufregender“, schnurrte sie und ließ das Laken sinken, um ihre vollen Brüste zu enthüllen. Ihr Blick heftete sich auf die Stelle, wo Channings erregte Männlichkeit sich deutlich unter dem Stoff seiner Hose abzeichnete. „Dein Schaft scheint derselben Meinung zu sein.“

„Bestimmt bist du das, aber Geschäft ist Geschäft.“ Er verbeugte sich knapp und ergriff die Gelegenheit, sich davonzumachen, während sie noch über seine Bemerkung nachdachte. Sie war eine kluge Frau und würde die Andeutung verstehen, und sie würde alles andere als erfreut darüber sein, als geschäftliche Angelegenheit angesehen zu werden. Nun, Verabredungen mit Leuten wie Amery DeHart waren nun einmal geschäftlich, und die mit Leuten wie Lady Marianne auch, selbst wenn sie nachts stattfanden. Die Sonne war aufgegangen. Es war höchste Zeit, dass er den Tag in Angriff nahm.

Drei Stunden später fand Channing es recht mühsam, den Tag in Angriff zu nehmen, selbst nach einem Bad und einem Kleiderwechsel. Er hatte auf das Nickerchen verzichten müssen, und so fiel es ihm jetzt schwer, sich zu konzentrieren. Channing fuhr sich mit der Hand durch das Haar und gab sich Mühe, alle Aufmerksamkeit auf das zu lenken, das Amery DeHart ihm sagte. Seine Gedanken wanderten dennoch immer wieder zu der Frage zurück, die ihn seit heute Morgen quälte: Wie lange schon fand er im Sex keine Erfüllung? Vielleicht war seine Unlust ein Zeichen dafür, dass er sich aus dem Geschäft zurückziehen und es jemandem überlassen sollte, der noch Verlangen danach verspürte so wie er, als er die Liga damals ins Leben gerufen hatte. In jedem Fall war es für ihn womöglich besser wegzugehen.

„Ich glaube, es wird Zeit, dass ich weggehe.“

Channing hörte den Rest nicht mehr. Amerys Worte hatten endlich seine ganze Aufmerksamkeit. Einen Moment lang fürchtete er, seine Gedanken laut ausgesprochen zu haben. „Verzeihung?“

Der missbilligende Blick in seinen Augen zeigte, dass Amery ahnte, wie unaufmerksam Channing die ganze Zeit gewesen war. „Ich sagte, ich denke, es wird Zeit für mich, wegzugehen und meine Familie auf dem Land zu besuchen“, wiederholte er geduldig.

„Du denkst doch nicht daran, ganz aufzuhören, oder?“ Das letzte Mal hatte Channing Nick D’Arcy aufs Land geschickt, und der verflixte Kerl hatte es doch tatsächlich geschafft zu heiraten. Channing wusste nicht, was er tun sollte, falls Amery auch noch ausfiel. Im Lauf des letzten Jahres hatte er sich immer mehr auf den jüngeren Mann verlassen, nachdem drei seiner Veteranen aufgehört hatten. Amery hatte sich als nützlich erwiesen, wann immer es darum ging, die neuen Gentlemen anzuweisen, die Channing als Ersatz eingestellt hatte – und die Damen schätzten ihn.

„Nicht für lange“, stellte Amery klar. „Ich habe einen Brief von daheim erhalten und denke, nicht mehr als drei oder vier Wochen fortzubleiben. Meine Schwester heiratet, und ich muss mich auch noch um eine andere Familienangelegenheit kümmern.“ Channing wusste, dass Amery die Arbeit bei ihm gefiel, aber dass er seine Familie auch sehr liebte. Wenn er wegen einer Hochzeit nach Hause fahren wollte, würde er seiner Schwester das beste Hochzeitskleid kaufen, dass er in London bekommen konnte. Channing regelte alle finanziellen Dinge und war sich bewusst, wie viel Geld Amery jedes Mal seiner Mutter schickte.

Amery seufzte zerknirscht, und Channing zweifelte keinen Moment an der Aufrichtigkeit seiner Gefühle. „Mir gefällt es überhaupt nicht, einen Auftrag mittendrin abzugeben, aber meine Kundin und ich planten, zu Ostern eine Hausparty außerhalb von London zu besuchen.“

Channing warf einen schnellen Blick auf den Kalender auf seinem Schreibtisch. Die Osterferien, der letzte Abstecher aufs Land, bevor die Saison richtig begann, fingen schon in drei Tagen an.

„Das kann ich auf keinen Fall schaffen“, fuhr Amery fort. „Aber es ist kaum fair, die Kundin jetzt im Stich zu lassen.“ Amery zwinkerte ihm zu. „Um ehrlich zu sein, denke ich sowieso, dass sie mit dir sehr viel besser dran wäre. Sie ist schon recht reif.“

„Ich bin erst dreißig Jahre alt, Amery, und leide wohl kaum schon unter Altersschwäche.“ Channing bemühte sich, nicht verärgert zu sein. Nur weil er daran dachte, sich zurückzuziehen, und den Morgen damit verbracht hatte, vor einer allzu wollüstigen Frau zu fliehen, hieß das noch lange nicht, dass er alt war! Er war lediglich bereit für ein neues Abenteuer.

„Es ist gar nicht ihr Alter, sondern die Reife ihrer Gedanken, ihres Verhaltens. Ich kann es nicht ganz erklären.“ Amery suchte offensichtlich mühsam nach Worten. Sehr interessant. Sonst war er nie um Worte verlegen. Dann brachte er es endlich hervor. „Ach, zum Teufel, Channing, sie ist eine Nummer zu groß für mich“, gab er unverblümt zu. „Sie ist mir zu kultiviert. Offensichtlich hat sie viel Zeit auf dem Kontinent verbracht.“

„Wer ist sie?“ Channing rief sich die kürzlich eingegangenen Aufträge in Erinnerung, keiner schien ihm aber zu passen. Amery sollte am Mittwoch die beiden Schwestern Baker zur Oper begleiten, da deren Bruder zurzeit nicht nach London kommen konnte, und am Donnerstag würde er mit der Frau eines Diplomaten zu einer Feier der belgischen Botschaft gehen. Mehrere Aufträge auf einmal waren ein Weg, jedermann in Verwirrung zu stürzen, was die Existenz der Liga anging. Doch auf keine dieser Frauen passte Amerys Beschreibung.

„Du kennst sie nicht. Sie ist eine der Kundinnen, die ich übernahm, als du nach der Geburt deines Neffen die Stadt verlassen hast. Sie heißt Elizabeth Morgan.“

Das erklärte alles. Channing hatte Amery die Leitung überlassen, als er im Februar für einige Wochen nach Hause gefahren war, um das neue Familienmitglied zu begrüßen.

„Ich glaube nicht, dass einer der neuen Männer das übernehmen kann“, fuhr Amery fort. „Nick oder Jocelyn wären sicher geeignet, wenn sie hier wären, aber …“ Er zuckte die Achseln. Nick und Jocelyn waren glücklich verheiratet, standen also eindeutig nicht zur Verfügung.

„Amery, hast du auch manchmal das Gefühl, der einzige Junggeselle in ganz London zu sein?“ Channing lachte leise, aber lustig war das alles ganz und gar nicht. Lieber Himmel, in den vergangenen zwölf Monaten war eine Hochzeit der anderen gefolgt. Nick und Jocelyn hatten geheiratet, ebenso Grahame – seine drei besten, erfahrensten Männer. Und im August hatten seine beiden Schwestern am selben Tag in einer Doppelhochzeit den Bund fürs Leben geknüpft.

Und sogar davor noch hatte sein älterer Bruder Finn Catherine Emerson, eine Freundin aus Kindertagen, geheiratet. Bald darauf war sein Erbe auf die Welt gekommen, ein schreiendes, rotgesichtiges kleines Geschöpf mit einem dichten Schopf schwarzer Haare, das Channings Herz vom ersten Moment an im Sturm erobert und viel dazu beigetragen hatte, die Spannung zwischen ihm und Finn zu mindern.

Amery lächelte nur. „Ich bin Junggeselle und stolz darauf. Die Ehe mag ja für manche das Richtige sein, aber Männer wie du und ich brauchen die Würze, den Nervenkitzel der Freiheit.“

Channing wusste, wovon Amery sprach: vom Kitzel, den der Sex einem versprach, entweder als Mittel zum Vergnügen oder zur Macht. Es gab nichts, was man nicht damit erreichen konnte. Schon vor Jahren hatte Channing erkannt, dass ihm die rein körperliche Liebe weit besser lag als alles, das gefühlvoller oder tiefgehender war. Wann immer Gefühle ins Spiel kamen, wurde man verwundbar. Er erinnerte sich sehr gut an eine solche Gelegenheit und wie besonders berauschend es gewesen war … aber ihm hatten weder die Nachwirkungen gefallen noch die Frau, die sie hervorgerufen hatte. Seit jener Erfahrung beschränkte er sich strikt auf das Körperliche und auf Frauen wie Marianne Bixley.

Angespannt beugte Amery sich vor. „Wirst du sie übernehmen, Channing? Ich würde dir ewig dankbar sein.“

Es blieb ihm nichts anderes übrig. Er konnte sonst niemanden schicken, und er schuldete Amery einen Gefallen dafür, dass der im Februar für ihn eingesprungen war. Es war nur fair, also nickte er. „Natürlich. Geh und pack deinen Koffer.“

Channing lehnte sich in seinen Sessel zurück und fuhr sich wieder mit der Hand durch das Haar, dieses Mal voller Unruhe. Er hatte nicht die Absicht gehabt, die Stadt zu verlassen, da er gehofft hatte, die Osterflaute nutzen zu können – um die Bücher der Liga durchzugehen und vielleicht vor Saisonbeginn mit einigen der neuen Männer zu arbeiten. Aber vielleicht war ja eine Hausparty genau was er brauchte, um ihn aus dem Grübeln zu reißen. Außerdem musste er zugeben, dass er neugierig geworden war auf diese Frau, der es gelungen war, Amery DeHart in die Flucht zu schlagen.

Er hoffte nur, dass die Gastgeberin der Gesellschaft nicht allzu langweilig war. Zu seinem Ärger hatte er vergessen, Amery zu fragen. Das richtige Rahmenprogramm war sehr wichtig für den Erfolg einer Hausparty. Sollte die Gastgeberin allzu konventionell sein, würde ihn das in den Wahnsinn treiben – so außergewöhnlich kultiviert und kosmopolitisch Elizabeth Morgan auch sein mochte.

2. KAPITEL

Lieber Himmel, der Aufenthalt hier würde sie ohne Zweifel in den Wahnsinn treiben. Aus freien Stücken hätte die Comtesse de Charentes, jedenfalls nicht Lady Lionels Osterfeier aufgesucht. Es versprach äußerst nichtssagend und langweilig zu werden. Das oberflächliche Geplapper der bis jetzt versammelten Gäste jedenfalls deutete bereits darauf hin, dass ihre Einschätzung richtig war. Doch die Comtesse hatte eine Mission, und die musste hier erfüllt werden. Sie war auf der Suche nach Männern – nach zwei Männern, um genau zu sein.

Die Comtesse ließ kühl den Blick durch Lady Lionels Salon schweifen. Ihr reserviertes Auftreten verriet nichts von dem Zorn, der in Wirklichkeit in ihr kochte.

Flüchtig sah sie zu ihrem Opfer hinüber – Roland Seymour. Ihr Puls beschleunigte sich, ihre Wut nahm bei seinem Anblick unwillkürlich zu. Der Mistkerl stand lediglich wenige Meter von ihr entfernt, und sie konnte nichts tun. Noch nicht. Doch sobald die Zeit gekommen war, würde sie ihn kastrieren, wenn auch nur im übertragenen Sinne. Seymour hatte ihre Familie bestohlen und dann versucht, ihre Schwester zu kompromittieren, um sie zur Ehe zu zwingen. Allerdings hatte Seymour einen taktischen Fehler begangen. Niemand durfte ihrer Schwester etwas zuleide tun. Eine schlechte Ehe in der Familie reichte. Und hier kam das Kastrieren ins Spiel. Dafür brauchte sie den zweiten Mann, der im Augenblick durch seine Abwesenheit glänzte.

Wieder schweifte ihr Blick durch den Raum und bestätigte ihr, dass Amery DeHart nicht hier war. Sie hatte so gehofft, er würde zeitig erscheinen. Zumindest würde er die Langeweile vertreiben, und wenn sie Glück hatte, würde sie sogar beginnen können, ihren Plan in die Tat umzusetzen. Ohne ihn würde es ihr nicht gelingen, Seymour vorgestellt zu werden, und das war unabdingbar.

Zwar würde ihr junger Begleiter sich offenbar verspäten, aber sie musste sagen, dass sie ihn gern mochte – seine Manieren und seinen Witz. Was sein bestes Stück anging hatte sie etwas ganz anderes im Sinn als bei Seymour, obwohl sie nicht wirklich Interesse daran hatte, mit DeHart zu schlafen. Die Erfahrung hatte ihr gezeigt, dass es jungen Männern im Bett meist an Raffinesse fehlte. Sie selbst wusste beim Liebesspiel eine gewisse Erfahrung zu schätzen. Nicht, dass sie auf eine Affäre aus war. Für so etwas hatte sie keine Zeit. Vielmehr ging es ihr um Rache, und DeHarts unbeschwerte Art würde sich dafür als sehr nützlich erweisen.

Sie zählte darauf, dass er sich mit Seymour anfreundete und sie ihm dann vorstellte. Auf diese Weise konnte sie sich leichter in seine Kreise einschleichen, ohne Verdacht zu erregen. Sobald das erst einmal erreicht war, würde sie den Rest allein übernehmen.

Plötzlich wurde die Menge sehr unruhig. Eine seltsame Erregung erfüllte die Atmosphäre. Amery musste endlich gekommen sein. Seine Gegenwart rief gemeinhin eine gewisse Aufregung hervor. Die Comtesse lächelte erleichtert. Sie hasste es, warten zu müssen. Es beunruhigte sie. Doch ihr Lächeln erstarrte, als ein ganz anderer Mann nun den Saal betrat: Channing Deveril, der arroganteste Engländer, der je auf Gottes Erdboden gewandelt war. Von allen Hauspartys musste er ausgerechnet bei dieser auftauchen.

Wie sehr wünschte sie, dass sie sich irrte, aber selbst aus der Entfernung war er unverwechselbar – mit seinem blonden Haar, dem attraktiven Gesicht, der hohen, schlanken, anmutigen Gestalt und der makellosen Kleidung. Heute trug er einen hochwertigen blauen Frackrock und dazu helle, eng anliegende Pantalons, die seine atemberaubende Figur und die auf Hochglanz polierten Stiefel aufs Beste zur Geltung brachten. Alles, was er tat, strahlte Sinnlichkeit aus. Selbst die schlichte Geste, mit der er ihre Gastgeberin begrüßte, indem er sich geschmeidig über ihre Hand beugte, hatte etwas Intimes an sich. Die Comtesse hatte ihn seit über einem Jahr nicht gesehen – und zwar seit einer Weihnachtsfeier, für die sie ihn als ihren Begleiter engagiert hatte und nach der sie sich alles andere als freundschaftlich voneinander getrennt hatten. Jetzt war es, als sähe sie ihn zum ersten Mal, so eindrucksvoll wirkte seine Erscheinung auf sie. Man konnte ihn den ganzen Tag lang ansehen, ohne genug von ihm zu bekommen, da würde ihr wohl jede Frau zustimmen. Allerdings wäre es alles andere als ratsam.

Die Comtesse wusste, wie gefährlich diese Art der Attraktivität sein konnte. Hinter der stattlichen Fassade und den amüsiert funkelnden blauen Augen verbarg sich ein Meister der körperlichen Liebe. Sie war gleich zweimal in den Genuss gekommen. Das erste Mal in Paris während einer kurzen, aber explosiven Beziehung, als sie noch verheiratet gewesen war. Zwar wurden sie damals nicht intim, doch deswegen war es nicht weniger aufregend gewesen. Das Ganze war sehr übel ausgegangen, zugegebenermaßen durch ihre eigene Schuld. Aber sie war jung gewesen, verzweifelt und verletzlich. Für das zweite Mal jedoch – oh, für das zweite Mal machte sie ihn ganz allein verantwortlich.

Es war einige Jahre später und hier in England gewesen. Sie hatte ihn wieder als Begleiter engagiert, der ihr helfen sollte, nach so vielen Jahren auf dem Kontinent wieder Fuß zu fassen in der vornehmen Gesellschaft. Es hatte nichts als ein geschäftliches Abkommen zwischen zwei reifen Erwachsenen sein sollen, die die Regeln kannten. Nur war ihr nicht bewusst gewesen, wie sehr er ihr Paris noch immer verübelte, wie unwiderstehlich er sein konnte und wie leicht er sie dazu bringen konnte zu glauben, dass es für ihn nicht nur ein nüchternes Abkommen war. Erst ließ er sie spüren, dass er ihr echte Gefühle entgegenbrachte – dann ließ er auf grausamste Weise die Maske fallen. Damit hatte er seine Rache bekommen. Bis heute hatte sie ihm nicht vergeben. Niemand hielt die Comtesse de Charentes zum Narren! Roland Seymour würde das nur allzu bald herausfinden, und Channing Deveril ebenfalls, falls er beschloss, ihr zu nahe zu kommen.

Am besten machte sie es ihnen beiden leicht und wartete im Garten auf Amery. Doch der Gedanke kam ihr zu spät. Bevor sie unentdeckt hinausgehen konnte, hatte Channing sie schon erspäht.

Er neigte leicht den Kopf, offensichtlich erstaunt über ihre Anwesenheit. Woraufhin sie ihn nur mit dem gleichen kühlen, majestätischen Lächeln bedachte, mit dem sie die Männer in Paris wissen ließ, dass sie besser daran tun würden, ihr aus dem Weg zu gehen.

Nun, wenigstens konnte sie sich damit trösten, dass Amery nicht weit sein konnte. Schließlich sprach alles dafür, dass Amery und Channing als gute Freunde zusammen gereist waren. Wahrscheinlich war Channing von einer anderen Dame hier engagiert worden. Vielleicht war Amery noch draußen an der Kutsche und gab Anweisungen für sein Gepäck und das seines Freundes.

Mehrere Minuten vergingen, doch Amery erschien noch immer nicht, obwohl Channing bei der Gastgeberin am Eingang verweilte und mit ihr plauderte. Irgendetwas stimmte hier nicht. Lady Lionel zog bestürzt die hellen Brauen zusammen, und gleich darauf trennte Channing sich von ihr und kam durch den Raum auf die Comtesse zu.

Bald war er schon bei ihr und beugte sich über ihre Hand wie er es schon bei Lady Lionel getan hatte. „Die Comtesse de Charentes. Enchanté. Obwohl es mich nicht überraschen sollte.“ Seine blauen Augen blitzten amüsiert auf. Channing lachte immer mit den Augen, was sie in der Vergangenheit stets bezaubernd gefunden hatte.

„Ich habe da ein kleines Problem, und ich dachte, Sie könnten mir vielleicht helfen. Ich bin auf der Suche nach einem Gast, einer Dame, die Lady Lionel allerdings nicht zu kennen scheint. Sehr seltsam, da es schließlich ihre Hausparty und ihre Gästeliste ist.“

„Und da dachten Sie, Sie fragen mich“, fuhr sie kühl fort.

„Nun ja, da Sie doch für gewöhnlich vertraut sind mit derlei Leuten.“

Jetzt begriff sie seinen belustigten Blick. Es stimmte tatsächlich. Sie kannte wirklich jeden, da sie sich bemüht hatte, so viele Leute wie möglich kennenzulernen, seit sie vor einem Jahr aus Paris zurückgekehrt war. Denn sie war so lange fort gewesen, dass sie alte Bekanntschaften hatte wieder auffrischen müssen. Wenn auch nicht jeder ihre Versuche willkommen geheißen hatte. Allerdings bedeutete „derlei Leute“ wohl auch, dass Channing einen gewissen Verdacht hegte, was die Identität der Gesuchten anging …

„Es wäre mir eine Freude, helfen zu können.“ Alina lächelte höflich, insgeheim wuchs jedoch ihre Sorge. Wo blieb Amery nur? „Allerdings müssen Sie wissen, dass ich auf jemanden warte. Er sollte jeden Moment erscheinen.“

Wo immer Amery war, Alina wünschte, er würde sich beeilen. Wenn es jetzt auch zu spät war, Erklärungen zu vermeiden. Sie hatte Amery einen falschen Namen genannt, als sie sich zum zweiten Mal um Hilfe an die Liga gewendet hatte, da sie Channing nicht begegnen wollte. „Wen suchen Sie?“, fragte sie jetzt. Je schneller sie seine Frage beantwortete, desto eher würde er sie in Ruhe lassen.

„Ich suche eine Mrs. Elizabeth Morgan. Vielleicht kennen Sie sie? Amery DeHart sollte sich hier mit ihr treffen.“

Also war ihre Sorge begründet gewesen. Wenn Channing nach Elizabeth Morgan suchte, bedeutete das, dass Amery nicht kommen würde. Sie hatte zwei Möglichkeiten: Entweder nahm sie allen Mut zusammen und beichtete ihm die Wahrheit oder sie leugnete, den Namen je gehört zu haben. Das allerdings würde sie zwingen, es allein mit Seymour aufzunehmen. Natürlich könnte Channing sich außerdem entschließen, dennoch zu bleiben, um ihr das Leben schwer zu machen. Das sähe ihm nur allzu ähnlich.

Also wählte sie die erste Möglichkeit. Trotzig hob sie das Kinn. „Amery DeHart sollte mich hier treffen. Ich bin Elizabeth Morgan.“

Channings Miene verhärtete sich. Alina sah ihm an, dass er es schon geahnt hatte. Sein Scharfsinn machte ihn zu einem gefährlichen Gegner und machte ihr klar, dass sie ihren Plan noch einmal würde umdenken müssen. Amery hätte ihre Anweisungen befolgt, ohne Fragen zu stellen. Channing gewiss nicht. Er würde wissen wollen, warum sie einen Mann benutzte, um einem anderen vorgestellt zu werden. Er würde Erklärungen verlangen und vielleicht sogar noch viel mehr – immerhin war er ein sehr leidenschaftlicher Mann. Du hast keinen Bedarf an ‚viel mehr‘, erinnerte sie sich streng. Im Allgemeinen ging es immer schlecht aus, wenn sie und Channing zusammenkamen.

Lautlos formte er mit den Lippen ein einziges Wort. Lügnerin.

Sie nahm die Beleidigung gelassen hin. „Wunderbar. Sie sind also gekommen, um noch eine Hausparty zu zerstören.“

Also hatte sie ihm das weihnachtliche Debakel nicht verziehen – nicht letzte Weihnachten, sondern das Jahr davor. „Wütend und schön, genau wie ich dich in Erinnerung hatte“, sagte er ruhig und wusste, wie sehr es sie ärgerte, dass er sich nicht von ihr herausfordern ließ.

In ihren hellblauen Augen blitzte es feurig auf. Schön war eher eine Untertreibung, wenn es darum ging Alina Marliss zu beschreiben – die Comtesse de Charentes, eine Engländerin, die eine französische Comtesse geworden war und sich jetzt wieder als Engländerin ausgab. Sie war wie ein Diamant mit ihrem platinblonden Haar und der makellosen Haut. Doch nicht nur ihre Schönheit verzauberte den Betrachter, auch ihre Persönlichkeit funkelte. Alina konnte ausgesprochen entzückend sein, wenn sie wollte. In diesem Moment wollte sie es offenbar nicht, da sie sich in der Offensive befand. Channing beschloss, den Angriff fortzusetzen.

„Du hast gelogen. Du hast Amery einen falschen Namen angegeben. Warum gehen wir nicht ein wenig im Garten spazieren und du erzählst mir alles? Ich finde es sehr interessant, dass du dir einen anderen Namen hast einfallen lassen, wo du doch schon so viele besitzt. Jetzt können wir Elizabeth Morgan noch zu Miss Alina Marliss und der Comtesse de Charentes hinzufügen.“

„Nenn mich nicht so“, zischte sie, ging an seiner Seite weiter, nahm aber nicht, wie ihm auffiel, seinen Arm. Die kleine Hexe war entschlossen, ihm ihre Unabhängigkeit zu demonstrieren.

„Ich dachte, die Witwe kann den Titel behalten. Irre ich mich?“, fragte er leise. Natürlich wusste er, wie sehr sie den Titel hasste.

„Nein. Wenn es allerdings nach mir ginge, würde ich es vorziehen, ihn nicht zu tragen.“ Ihr Ton ließ keinen Zweifel daran, wie verhasst ihr ihre Ehe gewesen war. Darüber hinaus sah sie es wohl auch als den Versuch einen Mannes, sie über den Tod hinaus als sein Eigentum auszugeben. Alina Marliss gehörte niemandem. Und gerade das machte sie zu einer so faszinierenden, köstlichen Herausforderung. Trotz ihrer Bemühungen, schlicht und einfach als Lady Marliss durchzugehen, ließ die Gesellschaft sie nicht vergessen, dass sie einst einen höheren Titel besessen hatte, selbst wenn es ein französischer gewesen war.

Draußen im Garten schien die Sonne warm auf sie herab, und leise Gespräche anderer Paare, die dort umherschlenderten, erfüllten die Luft. Channing führte sie auf einen einsameren Pfad und änderte seine Taktik. „Vielleicht könntest du mich aufklären, worum es bei deinem Arrangement mit DeHart ging?“ Insgeheim hoffte er, dass es ein eher oberflächliches Abkommen war. Er wollte nicht wissen, ob Amery mit ihr schlief. Dabei sollte es ihm eigentlich nichts ausmachen. Es war ein Auftrag, und in seiner Branche war Objektivität ebenso wichtig wie Diskretion.

„Warum ist er nicht gekommen?“, fragte sie, statt zu antworten.

„Er muss an einer Hochzeit teilnehmen. Seine Schwester heiratet. Nun, was ist das für ein Arrangement?“ Wie ihre Antwort auch aussehen mochte, sie waren beide erwachsene Menschen. Es sollte ihnen nicht schwerfallen, eine Woche lang in der Gesellschaft des anderen auszuhalten. Sie würden die ganze Zeit kaum allein sein. Nicht jeder Auftrag schloss auch eine intime Beziehung mit ein.

Sie schenkte ihm ein Lächeln, als hätte sie seine Gedanken gelesen. „Höre ich da etwa einen Hauch von Eifersucht heraus?“

„Du hörst einen Hauch von Unruhe heraus“, antwortete er. „Ich möchte wissen, womit ich es zu tun habe. Als wir uns das letzte Mal begegneten, wurde mir am Ende eine Vase an den Kopf geworfen.“

Sie schnaubte verächtlich. „Du hattest es verdient, weil ich wegen dir wie ein Dummkopf dastand.“

„Weihnachten tut mir leid. Mehr als entschuldigen kann ich mich aber nicht“, erwiderte er steif. Sie hatte nicht ganz unrecht, sich zu beschweren. Der unerfreuliche Zwischenfall war nun mal geschehen, und zwar bei Alinas erstem Vorstoß in die gute englische Gesellschaft. Sie hatte ihn für eine nicht unerhebliche Summe engagiert, um ihr diesen Vorstoß zu erleichtern, und er hatte seinen Beitrag dazu geleistet. Objektiv betrachtet, hatte er seine Pflichten auf bewundernswerte Weise erfüllt. Andererseits hatte es, was man „zwischenmenschliche Komplikationen“ nennen könnte, gegeben.

Aber warum rechtfertigte er sich plötzlich? Er war doch auf der Suche nach Antworten. „Ich bin jetzt hier und möchte alle Verpflichtungen erfüllen, die DeHarts Auftrag mit sich brachte.“

„Wirklich?“, fragte sie gedehnt und schien über den Vorschlag nachzudenken, während sie sich mit einem perfekt manikürten Fingernagel gegen das Kinn tippte.

Wieder durchfuhr Channing ein Stich der Eifersucht. War Amery ihr Liebhaber? Was empfand er bei der Vorstellung, den Platz seines Freundes in ihrem Bett zu übernehmen? Oder vielmehr, was empfand er dabei, dass Amery seinen Platz übernommen hatte? Die Männer der Liga teilten sich nie eine Klientin.

Sie lachte heiser. „DeHart und ich hatten ein rein gesellschaftliches Abkommen. Er stellt mir Leute vor, die ich kennenlernen möchte, und ich habe außerdem festgestellt, dass ich in meiner jetzigen Situation weniger unerwünschte Aufmerksamkeiten auf mich ziehe, wenn ich stets denselben Gentleman an meiner Seite habe.“

Mit „Situation“ meinte sie die Tatsache, dass sie verwitwet und vermögend war – was sie allen möglichen Avancen aussetzte. Dabei half es ihr nicht, dass ihr Mann ein französischer Adliger gewesen war und jeder wusste, wie viel lockerer die Moral der Menschen auf dem Kontinent war als hier in England.

„Was brauchst du von mir? Eine Vorstellung oder Schutz?“ Dank seiner Bemühungen hatte man Miss Alina Marliss wieder in der guten Gesellschaft aufgenommen. Aber beide wussten, dass es nur widerwillig geschehen war. Eine falsche Bewegung von ihr, und niemand würde zögern, sie ebenso schnell wieder zu verstoßen.

„Beides.“ Alina öffnete den Fächer, den sie an ihrem Handgelenk befestigt hatte, ein hübsches kleines Ding aus weißer Spitze, bemalt mit pinkfarbenen Rosen – die Art Accessoire, die eine anständige englische Dame mit sich führen würde, und ein Zeichen dafür, wie sorgfältig Alina sich auf diese Rolle vorbereitet hatte. „Ich muss Mr. Roland Seymour kennenlernen.“

„Ich fürchte, ich kenne ihn nicht.“ Er klang auch nicht nach jemandem, den Amery kennen würde. Schlichte Menschen ohne Titel waren nicht seine Spezialität.

„Aber du wirst ihn kennenlernen. Das ist ja der Sinn und Zweck einer Hausgesellschaft, nicht wahr? Sich unter die Gäste zu mischen und seinen Bekanntenkreis auf hoffentlich nutzbringende Weise zu erweitern.“ Alina fächelte sich träge Luft zu. Die Bewegung lenkte unaufdringlich die Aufmerksamkeit auf die festen Brüste unter dem zartrosafarbenen Musselin ihres trügerisch sittsamen Kleides.

Channing lächelte trocken und bemühte sich, den Blick nicht dort verweilen zu lassen, wenn es ihm auch verflixt schwerfiel. Und er wusste, dass sie das wusste. „Du möchtest, dass ich mich mit ihm anfreunde und dich dann in seine Kreise einführe“, vermutete er.

„So ungefähr. Spiel ein wenig Billard mit ihm.“ Sie lächelte ihm über den Rand ihres Fächers hinweg zu. „Schießt auf etwas, am besten nicht aufeinander. Tu eben, was Gentlemen so tun.“ Sie gab sich jede Mühe, ihn abzulenken – mit ihrem Lächeln, dem Fächer, ihren Reizen. Es weckte sein Misstrauen, ganz besonders da alles von einer Frau kam, die noch vor wenigen Minuten kühl und abweisend gewesen war.

„Warum?“ Obwohl er wusste, dass sie nur mit ihm spielte, konnte er nicht anders, als auf ihr Flirten einzugehen. Er beugte sich vor und atmete tief den zarten Rosenduft ihrer Seife ein. Sie war sogar so weit gegangen, sich wie eine Engländerin zu parfümieren.

„Ich wünsche, ein Geschäft mit Mr. Seymour zu machen.“

Er hob die Augenbrauen. „Wirst du mir verraten, was für eine Art von Geschäft?“

„Nein.“ Sie lachte und trat einen Schritt zurück. „Jetzt hast du eine Aufgabe zu erledigen und ich muss mich bei einigen Damen einschmeicheln. Wenn du mich also entschuldigen würdest.“

Das war eindeutig eine Verabschiedung und deshalb ließ er sie gehen. Amery hatte recht gehabt, als er sagte, dass man ihr die Zeit auf dem Kontinent ansah. Alina hatte ihre ersten Erfahrungen in den Pariser Salons gesammelt, wo Channing ihr – der außergewöhnlichen Comtesse de Charentes – zum ersten Mal begegnet war. Damals war sie eine verheiratete Frau gewesen, aber das hatte einen Flirt mit ihr nur noch aufregender gemacht. Auch heute und trotz all seiner Bedenken empfand er dieselbe innere Erregung. Alina konnte ihn auf eine Weise berühren, wie es die Marianne Bixleys dieser Welt nicht vermochten. Insgeheim wünschte er, ihre betörende Schönheit, ihr feinsinniger Humor und kluger Verstand würden nicht diese umwerfende Wirkung auf ihn haben.

Sie war das Ideal eines jeden Mannes. Vielleicht war das ja auch ihr ganz besonderer Trick, da sie es fertigbrachte, jedem Mann zu geben, was er wünschte. Noch hatte er jedenfalls keinen kennengelernt, der nicht ihrem Zauber verfallen wäre. Es ärgerte Channing und faszinierte ihn gleichzeitig. Denn eigentlich bildete er sich ein, weniger anfällig für weibliche Tricks zu sein – bei Alina war er offenbar nicht anders als alle anderen.

Gab es überhaupt jemanden, dem sie ihr wahres Gesicht zeigte? Früher einmal hatte er viel zu viele Stunden darauf verwandt zu grübeln, wie dieses wahre Gesicht aussehen mochte und wie er sie dazu überreden könnte, es ihm zu zeigen. Es war eine seiner unzähligen Fantasien, die er um sie gesponnen hatte.

Und er war auch heute Abend nicht der Einzige. Channing beobachtete, dass mehrere Männer ihr mit den Blicken folgten, während sie auf die Terrassentüren zuging. Ihre Gedanken waren nur allzu offensichtlich. Lord Barrett, verheiratet und Vater dreier Kinder, überlegte, wie er zurück in London eine Affäre mit ihr arrangieren könnte. Lord Durham fragte sich, wie er Zutritt zu ihrem Schlafzimmer erlangen könnte, am besten noch heute Abend. Lord Parkhursts Sohn, blond und träge, versuchte zu kalkulieren, ob er sie sich mit seinem Taschengeld als Mätresse würde leisten können. Ha, als würde Alina so etwas jemals zulassen! Channing hoffte nur, seine Bewunderung wäre nicht ebenso offensichtlich. Kein Wunder, dass sie meinte, sie bräuchte Amerys Schutz.

Er beobachtete seine eigene Zielperson am anderen Ende des Gartens, in ein Gespräch mit Elliott Mansfield vertieft. Channing und Elliott waren beide Klubmitglieder bei „White’s“. Ein guter Zeitpunkt also, seine Bekanntschaft mit ihm auszunutzen. Allerdings fragte er sich: Falls er hier war, um Alina vor unerwünschten Avancen zu beschützen, wer würde dann Roland Seymour vor ihr schützen? Geschäfte mit Alina Marliss waren gefährlich …

Channing war sich mittlerweile sicher, dass sie ihn für alle anderen Frauen verdorben hatte.

3. KAPITEL

Die Comtesse de Charentes suchte ihresgleichen, was Schönheit und Eleganz anging, als die Gesellschaft sich an jenem Abend zum Dinner im Salon versammelte. Alina machte ihren Auftritt allein und um fünf Minuten nach sieben. In einem zartgraugrünen Satinkleid strahlte sie eine so selbstsichere Sinnlichkeit aus, dass sie die Aufmerksamkeit jedes einzelnen Mannes im Raum und die Eifersucht jeder einzelnen Frau erweckte.

Sie hatte klug gewählt. Channing zweifelte keinen Moment daran, dass sie alles geplant hatte. Ihre Strategie war kühn und zeigte, dass sie keine Scham kannte und entschlossen war, den Gerüchten über sie direkt die Stirn zu bieten, die bereits nach dem Tee in Umlauf gebracht wurden. Es waren dieselben Gerüchte, die sie überallhin verfolgten. Ihr Mann war ohne erkennbaren Grund plötzlich gestorben, und das machte Alina gleichzeitig zu einer tragischen Figur und zu einer Verdächtigen. Channing hatte den Klatsch gehört und sofort versucht, ihm entgegenzuwirken. Natürlich nur, wie er sich selbst versicherte, weil Amery dasselbe getan hätte, wenn er hier gewesen wäre, und nicht etwa weil er noch irgendetwas für die Comtesse empfand. Nein, es war einfach sein Auftrag, für den sie ihn bezahlt hatte.

Dass die alten Gerüchte wieder auflebten, kam nicht unerwartet. Diese Menschen hier kannten die Comtesse nicht gut. Einige der kultivierteren Gäste wie Durham und Barrett waren ihr in London begegnet, die übrigen verkehrten nicht in so vornehmen Kreisen oder blieben lieber daheim auf ihren Landgütern. Und so waren sie völlig auf Spekulationen angewiesen, um sich eine Meinung über die relativ unbekannte Dame zu machen. Dennoch war Alina zu dieser Gesellschaft gekommen, obwohl sie gewusst hatte, was sie erwarten würde, und obwohl sie gewiss weit verlockendere Einladungen erhalten haben musste. Interessant, dass sie trotzdem hierher gekommen war. Jetzt stand sie in einem Raum voller Fremden und zog alle Blicke auf sich – wohlmeinende und weniger wohlmeinende.

Autor

Bronwyn Scott
Bronwyn Scott ist der Künstlername von Nikki Poppen. Sie lebt an der Pazifikküste im Nordwesten der USA, wo sie Kommunikationstrainerin an einem kleinen College ist. Sie spielt gern Klavier und verbringt viel Zeit mit ihren drei Kindern. Kochen und waschen gehören absolut nicht zu ihren Leidenschaften, darum überlässt sie den...
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