Sinnliches Wiedersehen mit dem Feind

– oder –

 

Rückgabe möglich

Bis zu 14 Tage

Sicherheit

durch SSL-/TLS-Verschlüsselung

Schon wieder Überstunden mit dem Feind! Seit Esmeralda unerwartet das Medien-Imperium ihres Vaters geerbt hat, gerät sie ständig mit Topmanager Rodrigo Almanzar aneinander. Dass sie schon mal eine kurze, heiße Affäre mit ihm hatte, macht alles nur noch komplizierter. Denn einerseits streiten sie hitzig – andererseits sind da die gestohlenen Küsse, die heimlichen Umarmungen voll zärtlicher Sinnlichkeit. Warum kann Esmeraldas erbitterter Rivale nicht im Job so ein perfekter Partner sein wie im Bett?


  • Erscheinungstag 07.12.2021
  • Bandnummer 2215
  • ISBN / Artikelnummer 9783751503969
  • Seitenanzahl 144
  • E-Book Format ePub
  • E-Book sofort lieferbar

Leseprobe

1. KAPITEL

Esmeralda Sambrano-Peña lehnte sich an die Tür zu der kleinen Wohnung in Washington Heights, in der sie mit ihrer Mutter lebte, und brauchte einen Augenblick, um wieder zu Atem zu kommen. In der Wohnung hörte sie ihre Mutter und ihre drei Tanten aufgeregt reden und lachen. Die vier trafen sich jede Woche, und als Esmeralda sich die Runde vorstellte, lächelte sie müde. Ihre tías mit ihrer Vorliebe für Nachbarschaftsklatsch und anzügliche Witze machten ihr immer gute Laune. Nach diesem extrem langen und enttäuschenden Tag war es tröstlich, die vertrauten Stimmen zu hören.

Ihr Lächeln erstarb, als ihr klar wurde, dass sie ihrer Mutter vor ihren tías erzählen musste, dass ihr Projekt abgelehnt worden war. Wieder einmal. Esmeralda seufzte und versuchte, sich zusammenzureißen, während sie noch einen Augenblick an die Tür gelehnt stehen blieb. Die Ablehnung heute war schmerzhafter gewesen als die vorherigen, weil sie dieses Mal viel weiter gekommen war. Die Pilotfolge einer Fernsehserie, die sie jetzt seit knapp zwei Jahren zu verkaufen versuchte, wäre um ein Haar tatsächlich umgesetzt worden. Doch die Produzenten hatten im letzten Augenblick einen Rückzieher gemacht. Sie hatten behauptet, dass das Thema keinen Verkaufserfolg versprach. Esme prustete vor lauter Frustration, steckte den Schlüssel ins Schloss und öffnete die Tür.

„Hola, Mami!“, rief sie in das kleine Wohnzimmer hinein, während sie die Schuhe auszog und ihre Jacke an die Garderobe hängte. Die Wohnung war nicht sehr groß, aber der Platz reichte für sie beide. Sie hatten jede ein Zimmer für sich, dazu gab es ein Wohnzimmer und eine Küche. Am Riverside Drive war das für New Yorker Verhältnisse ein Glücksfall. Esme war noch immer nicht wohl dabei, wenn sie daran dachte, wie sie und ihre Mutter in der gemeinsamen Wohnung gelandet waren. Sie wurde auch zehn Jahre später immer noch wütend bei dem Gedanken, dass sie gezwungen gewesen waren, herzuziehen.

„Mija, deine tías sind da“, rief ihre Mutter so laut, als wäre Esme auf einem anderen Kontinent und nicht in derselben Wohnung.

Sie schüttelte den Kopf und verzog den Mund zu einem Lächeln, als sie das Wohnzimmer betrat. Die vier älteren Frauen hatten es sich auf dem Ecksofa gemütlich gemacht, und jede von ihnen nippte an einem Weinglas. Sie hatten sich schick gemacht, wie immer. Weder ihre Mutter noch ihre Tanten wären jemals auf die Idee gekommen, das Haus ohne ein perfekt zusammengestelltes Outfit und makelloses Make-up zu verlassen.

Sie ging zu ihnen und gab jeder ein Küsschen auf die Wange. Eigentlich trafen sie sich, um Ratgeber zu besprechen, aber sie hielten sich höchstens eine halbe Stunde mit positiven Bestätigungen und Gesprächen über die Bücher auf. Die übrige Zeit widmeten sie sich dem gut gekühlten, süßen Moscato-Wein und dem neuesten Klatsch aus der Nachbarschaft oder von zu Hause in der Dominikanischen Republik.

„Ich sehe schon, ihr seid eifrig dabei zu diskutieren“, neckte sie die vier und setzte sich zwischen ihre Mutter und ihre Tante Rebeca.

„Was haben sie gesagt?“, fragte ihre Mutter Ivelisse, ohne sich um die Bemerkung über die vergessen Ratgeber auf dem Couchtisch zu kümmern. Und natürlich spitzten sämtliche tías die Ohren, als ihr Meeting mit den Produzenten erwähnt wurde. Sobald Esme sich hingesetzt hatte, fiel ihr auf, dass ihre Mutter ein wenig angespannt wirkte. Auf ihrem sonst so fröhlichen Gesicht lag ein fragender Ausdruck, als rechne sie mit Schwierigkeiten. Wahrscheinlich hatte sie sich schon gedacht, dass Esmes Meeting in die Hose gegangen war.

Esme schloss die Augen und schüttelte den Kopf, sie war am Boden. „Sie haben abgelehnt.“ Sofort wurde sie aus allen Richtungen mit aufmunternden Worten überschüttet. Ihre Mom legte einen Arm um sie, und ihre tías rückten alle heran, sodass sie ihr das Bein oder den Arm tätscheln konnten.

„Das ist deren Pech, Mija. Eines Tages werden diese Dummköpfe schon einsehen, wie genial du bist, und dann ist es für sie zu spät.“ Esme öffnete die Augen und stellte fest, dass ihre tía Rebeca ein finsteres Gesicht machte. Sie war schon immer Esmes größter Fan gewesen. Selbst als Esme noch mit dem Handy kurze Videos über die Ereignisse in ihrem Viertel gemacht hatte, hatte Rebeca sich immer hingesetzt und sie sich mit ungeteilter Aufmerksamkeit angesehen. Sie sagte ihr immer ehrlich ihre Meinung.

„Danke“, sagte Esme erschöpft. Sie war dankbar für ihre Liebe und Unterstützung. Aber sie war zu müde, um viel über die unsinnigen Gründe zu sagen, mit denen die Produzenten ihre Ablehnung gerechtfertigt hatten. „Aber reden wir nicht von mir. Was gibt es denn sonst noch – ist heute gar nichts Spannendes passiert?“

Zu Esmes Überraschung drängte niemand sie, mehr von ihrem Meeting zu erzählen. Stattdessen richteten alle erwartungsvoll ihre Blicke auf Esmes Mom, die daraufhin ein Gesicht machte, das sie sonst nur bekam, wenn sie Esme heftige dominikanische Schuldgefühle machen wollte. Sie machte sich auf alles gefasst. „Qué pasó, Mami?“

Ivelisse antwortete nicht sofort, stattdessen ließ sie sich Zeit, um sich vorzubeugen und etwas vom Tisch zu nehmen. Die Stimmung im Zimmer veränderte sich sofort. Die tías hielten ihre Blicke alle auf einen Brief gerichtet, als ob er eine tickende Zeitbombe wäre. Aus irgendeinem Grund fiel Esme dabei auf, dass die antike Armbanduhr, die Ivelisse niemals abnahm, im Licht der Tischlampe glitzerte. Die goldene Cartier-Uhr war ein Geschenk von Esmes Vater gewesen. Und trotz allem, was er ihr angetan hatte, hütete Ivelisse die Armbanduhr wie einen kostbaren Schatz. „Der ist heute für dich gekommen, Mija“, sagte ihre Mutter und riss sie aus ihren Gedanken.

Esme las mit zusammengekniffenen Augen den Namen, der in der linken oberen Ecke des Umschlags stand. Sie wusste, dass es sich dabei um den Anwalt handelte, der das Vermögen ihres Vaters verwaltete. Sie nahm ihrer Mutter den Umschlag aus der Hand und stellte fest, dass er aufgeschnitten war. „Mami“, rief sie empört, als sie den Briefbogen hervorholte. Ivelisse zuckte mit den Schultern. Sie tat nicht einmal so, als ob sie sich schämte.

„Morgen ist es so weit, Esmeralda.“

Ihre Mutter brauchte nicht genauer zu sagen, was sie meinte. Esmeralda wusste Bescheid.

In großen schwarzen Buchstaben ganz oben auf dem Bogen des teuren Briefpapiers standen die Worte „Letzte Aufforderung“. Seit dem Tod des Vaters, den sie nie wirklich gekannt hatte, waren elf Monate und siebenundzwanzig Tage vergangen. Seitdem sie erfahren hatte, dass er in seinem Testament, zum Entsetzen seiner Ehefrau und seiner anderen Kinder, verfügt hatte, dass Esmeralda Präsidentin und CEO des Fernsehstudios werden sollte, aus dem er ein milliardenschweres Imperium gemacht hatte. Sein letzter Wunsch war es gewesen, dass die Tochter, um die er sich sein Leben lang kaum gekümmert hatte, die Leitung seiner Firma übernahm. Esme konnte es selbst noch immer nicht glauben und hatte sich große Mühe gegeben, es nicht zur Kenntnis zu nehmen, obwohl ihre Mutter ihr die Benachrichtigungen gezeigt hatte, die seit dem Tod ihres Vaters jeden Monat gekommen waren. Aber sie hatte das Erbe auch nicht ausgeschlagen, und jetzt musste sie sich endlich entscheiden.

Patricio Sambrano hatte in den Siebzigern klein angefangen. Er hatte Hörspiele und Nachrichtensendungen für die lateinamerikanische Bevölkerung in New York produziert. Er hatte sofort Erfolg mit seinen Sendungen und war zur Legende geworden, weil er schnell begriffen hatte, dass die Menschen ihre eigenen Geschichten sehen wollten. Er setzte auf der Insel Manhattan und in den ganzen USA alle Räder in Bewegung und brachte über die nächsten fünfzehn Jahre lateinamerikanisches Leben ins US-amerikanische Fernsehen. Er war innovativ, mutig und beharrlich gewesen, indem er gefordert hatte, dass ihre Kultur gezeigt wurde. Sein großes Erbe hieß auch heute noch Sambrano Studios. Damals war es der erste Fernsehsender in den USA gewesen, der nur auf Spanisch sendete.

Ihr Vater hatte aus dem Nichts etwas aufgebaut, weil er einfallsreich und talentiert gewesen war. Ein afro-dominikanischer Mann, der die Schule nach der sechsten Klasse abgebrochen hatte, hatte das alles geschafft. Aber so scharfsinnig Patricio in geschäftlichen Dingen war, so chaotisch und undiszipliniert war er in seinem Privatleben gewesen. Esmeralda selbst war das Ergebnis einer dieser chaotischen Phasen. Er hatte die Tochter eines dominikanischen Finanzinvestors geheiratet, nur wenige Wochen nach ihrer Verlobung – damit bekam er die Mittel, mit dem Studio zu expandieren. Es war ein mutiger Schritt, durch den er all seine Träume verwirklichen konnte. Er hatte alle damit überrascht, vor allem Esmeraldas Mutter, die seit fünf Jahren eine Beziehung mit Patricio geführt und erst aus den Sambrano-Abendnachrichten von der Hochzeit erfahren hatte. Sie war mit Esmeralda schwanger gewesen, als ihr klar geworden war, dass der Mann, den sie liebte, nie vorgehabt hatte, mit ihr eine Familie zu gründen.

Ivelisse war am Boden zerstört gewesen, weil er sie so hintergangen hatte, und als sie Patricio endlich erzählt hatte, dass sie ein Kind erwartete, hatte er ihr gesagt, dass er finanziell für sie sorgen würde, aber nie ein Vater für irgendein Kind außerhalb seiner Ehe sein konnte. In diesem Punkt hatte er zumindest sein Wort gehalten.

Und dann, nachdem er sie neunundzwanzig Jahre lang so behandelt hatte, als gäbe es sie gar nicht, hatte ihr Vater seine Frau und seine ehelichen Kinder übergangen, um ihr den Chefposten bei Sambrano zu übertragen. Als könne er damit wiedergutmachen, dass sie sich ihr Leben lang bedeutungslos vorgekommen war. Dass ihr Vater sie jahrzehntelang ignoriert hatte und sie von anderen Informationen über ihn bekam, weil er nicht einmal ans Telefon ging, wenn sie anrief.

Allerdings war er tatsächlich für ihre Ausbildung aufgekommen, die ihr den Einstieg ins Fernsehgeschäft ermöglicht und ihr die Erfahrung verschafft hatte, die sie brauchte, um ein Fernsehstudio zu leiten. Denn ganz gleich, wie oft sie versucht hatte, sich einzureden, dass es ihr egal war, was ihr Vater von ihr hielt, sie hatte sich trotzdem wegen des Film- und Fernsehstudiengangs für die University of Southern California entschieden, als es darum ging, auf welches College sie gehen sollte. Sie war wohl ein Dummkopf mit einem Vaterkomplex, und auch wenn sie ihr Leben lang unsichtbar für ihn gewesen war, sehnte sie sich nach seiner Anerkennung.

Aber sie hatte ihn nie um einen Job gebeten. Sie wollte ohne seine Hilfe bis an die Spitze des Fernsehgeschäfts aufsteigen. Sie hätte nicht gedacht, dass er ihre Bemühungen überhaupt bemerkt hatte, aber sein letzter Wunsch war es nun mal gewesen, ihr sein TV-Erbe anzuvertrauen. Sie konnte als CEO von Sambrano so viel erreichen, aber nicht, wenn sie dafür ihre Seele verkaufen musste.

Vielleicht wollte Patricio auch nur die Früchte seiner Investitionen gewinnbringend für seine Familie in sein Imperium einbauen.

Mi amor, woran denkst du gerade?“ Die sanfte Stimme ihrer Mutter durchdrang den Tumult von Esmes Gedanken. Schuldgefühle und Anspannung fuhren ihr wie ein Stich ins Herz, während sie noch einmal den Brief begutachtete. Er fühlte sich schwer in ihren Händen an. War das ihre Chance, um die Zukunft des Fernsehens für Lateinamerikaner zu beeinflussen? Doch ihr Vater hatte ihr noch nie irgendetwas gegeben, wofür er keine Gegenleistung erwartet hatte, und der Preis war fast immer ihr Stolz gewesen. Sie hatte schon vor langer Zeit gelernt, nach Fallstricken Ausschau zu halten, wann immer Patricio Sambrano im Spiel war.

„Mami, das ist doch ein Witz. Das ist wieder nur eine Strategie von ihm, um mich in die Schranken zu weisen. Das lassen seine Frau und seine Kinder niemals zu.“

Ihre Mutter und ihre Tanten beantworteten das mit einem Chor von Zungeschnalzen und Kopfschütteln. Ihre Tante Yocasta ergriff das Wort, ehe ihre Mutter etwas sagen konnte. „Mi niña, du weißt ja, dass ich über diesen cabrón noch nie etwas Gutes zu sagen hatte. Aber er setzt doch sein Erbe nicht aufs Spiel, nur um irgendetwas zu beweisen. Es sieht ihm allerdings ähnlich, über den Kopf dieser bruja, die er geheiratet hat, zu entscheiden, dass du das Kommando übernehmen sollst. Wenn er glaubt, dass das für die Firma das Beste ist, dann ist das wohl so.“

Sogar ihre tía Zenaida, die ihren drei Schwestern normalerweise das Debattieren überließ, mischte sich ein. „Patricio war immer schon gnadenlos, wenn es um sein Geschäft ging“, stellte sie fest, und die anderen nickten zustimmend. „Ich kann mir sehr gut vorstellen, dass er dich im Auge behalten hat.“ Sie beugte sich vor, um an einer von Esmes Locken zu zupfen. Sie musste lächeln. „Ich habe diesen Mistkerl gehasst, möge er in Frieden ruhen.“ Bei diesen Worten bekreuzigten sich alle vier gleichzeitig, als ob sie nicht eben noch den Namen dieses Mannes verflucht hätten. Esme hätte darüber lachen sollen, wie albern das alles war, aber sie war wie erstarrt von dem Sturm widersprüchlicher Gefühle, der in ihr tobte.

„So oder so: Das Studio ist ihm immer das Wichtigste gewesen“, sagte Zenaida, woraufhin die anderen Frauen wieder eifrig nickten. „Wenn er dich als Präsidentin und CEO ausgesucht hat, dann, weil er geglaubt hat, dass du die Richtige für den Job bist.“

„Seine Frau wird mir das Leben zur Hölle machen“, sagte Esme und konnte das Misstrauen in ihrer Stimme nicht unterdrücken. Carmelina Sambrano würde nicht zögern, sie zu demütigen. Aber das brachte Ivelisse auf den Plan.

„Sie kann es versuchen, aber du musst dir das ja nicht gefallen lassen“, sagte ihre Mutter mit einer Zuversicht, die Esmeralda nur zu gern geteilt hätte. „Und außerdem hättest du doch das Sagen.“

„Ich weiß ja nicht, Mami.“ Es gefiel ihr überhaupt nicht, dass sie sich allein bei dem Gedanken daran, dass die Witwe und die Kinder ihres Vaters sie ablehnen könnten, unbedeutend fühlte.

Ivelisse schnalzte noch einmal mit der Zunge und zog Esme an sich. „Die sind doch egal. Du gehst da morgen hin und nimmst deinen Platz ein. Dann kannst du alles tun, was du immer schon tun wolltest, wozu dir aber bisher die Gelegenheit gefehlt hat.“

Bei den Worten ihrer Mutter glommen in Esmes Brust Hoffnung und Sehnsucht auf. Ivelisse hatte recht, sie hatte in den letzten fünf Jahren bis zum Umfallen geschuftet – immer wieder hatte sie vergeblich versucht, ihre Projekte zu verkaufen, aber sie hatte keine Chance. Weil ihre Ideen nicht „kommerziell“ genug waren oder dem „Durchschnittszuschauer“ angeblich nichts sagten. Sie hatte es satt, dass die Türen vor ihrer Nase zugeknallt wurden. Wenn sie Präsidentin von Sambrano Studios wurde, konnte sie ihren Traum verwirklichen. Sie konnte Sendungen produzieren, die alle Gesichter der lateinamerikanischen Kultur zeigten.

Falls Carmelina sie nicht vorher ausbootete.

„Mami, diese Frau wird mich niemals bleiben lassen. Und ich will nicht auf ihr Niveau sinken.“ Ivelisse war eine wunderbare Mutter gewesen, sanft und liebevoll, aber wenn es darauf ankam, war sie eine Kämpferin, und als sie den Namen ihrer alten Widersacherin hörte, loderten in ihren Augen Flammen auf.

„Carmelina hat keine Ahnung, wie sie dich bekämpfen soll, Schätzchen. Diese Frau hat noch keinen einzigen Tag in ihrem Leben gearbeitet. Wenn du da reingehst – klug, kompetent, voller neuer Ideen –, weiß der Vorstand gar nicht, wie ihm geschieht.“ Esmes Hoffnung wurde zu einer kleinen Flamme, die von dem Vertrauen genährt wurde, das ihre Mutter in sie hatte. Aber sie hatte auf die harte Tour gelernt, dass sie sich auf nichts verlassen durfte, was von ihrem Vater kam.

„Aber meinst du nicht, dass der Vorstand inzwischen längst jemanden ausgesucht hat? Jemanden, der nicht so viel Unruhe mitbringt wie ich?“

Bei dieser Frage wandte ihre Mutter den Blick ab, und das wiederum machte Esme stutzig. „Mami?“, fragte sie misstrauisch, während sie noch einmal den Brief in ihren Händen überflog und danach suchte, was ihre Mutter ihr nicht sagen wollte. Als sie den allerletzten Absatz erreicht hatte, verstand sie, was los war. Ihr wurde abwechselnd heiß und kalt – und das nur, weil sie den Namen schwarz auf weiß las. Der letzte Anstoß, den sie noch gebraucht hatte, um sich in ein Meer fragwürdiger Entscheidungen zu stürzen.

„Er?“, fragte sie gepresst und sah aus dem Augenwinkel, wie ihre Mutter dabei zusammenzuckte.

Rodrigo Almanzar war so etwas wie ein Ziehsohn ihres Vaters und jahrelang ihre einzige Verbindung zu Patricio gewesen. Der Mann, dem sie ihr Herz und ihren Körper geschenkt hatte, nur um von ihm verlassen zu werden, als sie ihn am meisten gebraucht hätte. Der Mann, dessen Name ihr immer noch sehnsüchtige Schmerzen bereitete und sie vor Wut zittern ließ. Wieso tat das nach so langer Zeit noch immer so weh?

Sie hatte genug von all diesen komplizierten Gefühlen, die sie überkamen, wenn es um die Sambrano Studios ging. Vor allem, wenn es um den hochgewachsenen, großmäuligen, arroganten Arsch ging, der wahrscheinlich hoffte, dass sie genau das tun würde, worüber sie bis eben nachgedacht hatte. Ihren Stolz und ihre Vergangenheit die Entscheidung für sie treffen zu lassen.

Das hätte sie vielleicht sogar getan, wenn er nicht derjenige wäre, der sonst Präsident und CEO werden würde. Sie hätte es nicht aus Gier getan und auch nicht, um ihre Mutter zu besänftigen, aber sie würde es aus Rache tun. Rodrigo hatte sie betrogen, nur damit er weiter das Schoßhündchen ihres Vaters sein konnte. Jetzt würde sie ihm alles wegnehmen, wofür er seine Seele verkauft hatte. Genau in dem Augenblick, in dem er glaubte, dass es ihm niemand mehr nehmen konnte.

„Ehrlich gesagt …“, sagte sie, stand auf und spürte das Stechen in ihrem Herzen, das sie normalerweise nur dann hatte, wenn sie vorhatte, etwas sehr Unvernünftiges zu tun, „… habt ihr recht.“ Die vier Frauen in ihrem Wohnzimmer sahen sie misstrauisch an. „Ich sage schon seit Jahren, dass ich nicht zögern würde und nur eine Chance bekommen müsste. Es wäre mir natürlich lieber, wenn die Umstände anders wären, aber ich darf mir das einfach nicht entgehen lassen. Sambrano hat schon morgen eine neue Präsidentin und CEO.“

Ihre Mutter musterte Esme misstrauisch, wahrscheinlich ahnte sie, was den Ausschlag für ihren Sinneswandel gegeben hatte, während ihre Tante Yocasta sie erfreut in die Arme nahm. „Ay, schade, dass wir Carmelinas Gesicht nicht sehen können, wenn Esme morgen zur Vorstandssitzung geht.“

2. KAPITEL

Mit gemischten Gefühlen fuhr Rodrigo Almanzar über seine Hermès-Krawatte und das Jackett des anthrazitgrauen Brioni-Anzugs, den er sich extra für diesen Tag bestellt hatte. In der Firma, in der er schon seit seinem sechzehnten Lebensjahr arbeitete, endlich das Ruder in die Hand zu nehmen, rechtfertigte es, fünfzig Riesen zu verprassen, auch wenn er sich das alles ganz anderes vorgestellt hatte.

Er wünschte sich, dass der Preis dafür, bei Sambrano Studios ganz nach oben zu kommen, nicht der Verlust von Patricio gewesen wäre. Trauer und die übliche verwirrende Mischung aus Gefühlen, die sein alter Mentor in ihm auslöste, verdrängten die gespannte Vorfreude, die er schon die ganze Woche über empfunden hatte. Patricio war mehr als nur sein Mentor gewesen. Er war früher einmal der beste Freund seines Vaters und der Retter seiner Familie gewesen. Der Mann hatte Rodrigo alles beigebracht, was er über das Geschäft wusste, das er liebte. Patricio hatte viele Schwachpunkte gehabt und über die Jahre hatte Rodrigo ihn mehr als einmal richtig grausam erlebt. Aber das Band zwischen Rodrigo und Patricio war unzerreißbar stark geblieben.

Abgesehen von einem Abend. Als Rodrigo alles aufs Spiel gesetzt hatte, und das bekommen hatte, was er sich so sehnlichst wünschte. Allerdings hielt sein Glück nicht lang. Seine Loyalität hatte Rodrigo die Frau gekostet, die er liebte. Treu bis in den Tod, hatte seine Mutter immer gesagt, und vielleicht stimmte das.

Am Abend einer seiner letzten Tage, als der ehemals hochgewachsene und mächtige Mann von seiner Krankheit schon schwer gezeichnet gewesen war, hatte Patricio ihm gestanden, dass Rodrigo ihm ähnelte. Dass er ein Mann geworden war, wie er es immer gern gewesen wäre. Rodrigo schüttelte den Kopf und wischte die Bemerkung beiseite, aber Patricios Blick war so voller Zuneigung und Stolz gewesen, dass Rodrigo an seinem Schreibtisch sitzen blieb, obwohl er verabscheute, was Patricio alles getan hatte. In dieser Firma zu bleiben hatte bedeutet, dass Rodrigo seine Seele verkaufen musste.

Dieser Gedanke brachte ihn direkt zu dem Menschen, über den er schon seit Tagen versuchte, nicht nachzudenken. Eigentlich sogar schon seit Wochen. Seitdem der Testamentsvollstrecker einen letzten Versuch unternommen hatte, mit Esmeralda Sambrano-Peña Kontakt aufzunehmen, um sie zu fragen, ob sie den letzten Wünschen ihres Vaters entsprechen und die Leitung von Sambrano Studios übernehmen wollte. Rodrigo hielt nichts davon, die Regeln zu umgehen, aber er fand, es sprach für sich, dass die Kontaktaufnahmeversuche des Testamentsvollstreckers fast zwölf Monate lang unbeantwortet geblieben waren. Ganz gleich, wie sehr er sich wünschte, offiziell zum Präsidenten und CEO ernannt zu werden, er hatte seine Sorgfaltspflicht erfüllt. Er hatte sich verdammt noch mal ein Bein ausgerissen, um sicherzustellen, dass Esmeralda die Gelegenheit bekam, den Posten für sich in Anspruch zu nehmen.

Nachdem er das ganze letzte Jahr mit Leuten wie Carmelina Sambrano gerungen hatte, war Rodrigo überzeugter als je zuvor, dass er die Kontrolle übernehmen musste. Esmeralda hatte nicht die Nerven, mit dieser Schlange und ihren Verbündeten zurechtzukommen. Die süße und umgängliche Esmeralda war den schmutzigen Auseinandersetzungen nicht gewachsen.

Er räusperte sich und sah sich um. Die Zentrale von Sambrano in Midtown Manhattan befand sich in einem Art-déco-Gebäude aus den Zwanzigern. Patricio hatte den ursprünglichen Stuck und die Holzelemente sorgfältig restaurieren lassen, doch dieser Sitzungssaal war das Kronjuwel der Vorstandsetage. Er war riesengroß, und man konnte von hier aus den Central Park sehen. Sämtliche Wände hatten Holzvertäfelungen, die dem Raum eine warme Atmosphäre verliehen, auch wenn die Meetings hier in letzter Zeit alles andere als warm gewesen waren.

In den opulenten weinroten Ledersesseln saßen alle zehn Mitglieder des Vorstandes von Sambrano Studios und dazu noch Carmelina mit ihren Kindern Perla und Onyx. So wild wie Carmelina auf das Geld ihres Ehemannes war, so gleichgültig schien ihren Kindern das Erbe der Familie zu sein. Perla schien sich für nichts anderes zu interessieren als für ihre Reisepläne, und Onyx fiel nur ein, dass es das Studio gab, wenn er eine Einladung zu einer Promiparty benötigte.

Nutzlos. Alle drei.

Aber das war Rodrigo ganz recht. Er würde die Führung übernehmen, und er wusste, was zu tun war, hatte seit Jahren alles sorgfältig geplant – und solange Esmeralda nicht auftauchte, schien ein Hindernis bereits aus dem Weg geräumt zu sein. Er erhob sich, denn er hatte plötzlich das Gefühl, dass er das Meeting dringend vorantreiben musste. „Meine Damen und Herren.“ Er sorgte dafür, dass seine Stimme so viel Kraft hatte, dass sie den ganzen Raum ausfüllte. Sogar Perla und Onyx lösten ihre Blicke von ihren Handys und richteten ihre Aufmerksamkeit auf Rodrigo. „Vielen Dank, dass Sie heute alle erschienen sind. Ich kann nicht behaupten, dass ich keine gemischten Gefühle hätte.“

Rodrigo schwieg, um Luft zu holen. Die Gefühle in seiner Brust trafen ihn selbst unerwartet. „Patricio war wie ein Vater für mich …“ Er kümmerte sich nicht um das verächtliche Schnauben, das er aus Carmelinas Richtung zu hören glaubte, und konzentrierte sich auf die Menschen im Raum, denen genau wie ihm etwas daran lag, dass ihr Lebenswerk nicht den Bach hinunterging. „Es wird nicht leicht sein, in seine Fußstapfen zu treten. Es erfüllt mich mit unermesslichem Stolz, offiziell bei Sambrano zu übernehmen, und ich hoffe, dass wir eine Zukunft für das Studio schaffen können, auf die er stolz gewesen wäre.“

Sein Herz schlug schneller, als ihm klar wurde, was er da gerade gesagt hatte. Jetzt war es wirklich so weit. Sechzehn Jahre unermüdlicher Arbeit und persönlicher Opfer für die Firma zahlten sich nun aus. Er würde Präsident und CEO von Sambrano Studios werden. Er würde derjenige sein, der sie in die Zukunft führte.

So manch einer in diesem Raum – eigentlich sogar in der ganzen Fernsehbranche – redete hinter vorgehaltener Hand gerne über den „gefühlskalten“ Nachfolger bei Sambrano. Sie witzelten darüber, dass Rodrigos Gefühle chirurgisch von Patricio entfernt wurden, ehe er ihn zum Programmleiter gemacht hatte. Aber solches Gerede perlte von seinem Brioni-Anzug ab. Sie redeten über ihn, weil er sich nicht hatte unterkriegen lassen, weil er Erfolg gehabt hatte, wo so viele andere gescheitert waren. Er war vor acht Jahren der jüngste Programmleiter in der ganzen Branche gewesen. Als er vor einem Jahr wegen Patricios Krankheit, die ihn zum Rücktritt gezwungen hatte, stellvertretender CEO geworden war, war er einer der höchstbezahlten Latinos in der gesamten Medienbranche geworden. Sie hassten ihn, weil sie gerne an seiner Stelle gewesen wären. Und er hatte nicht vor, sich dafür zu entschuldigen, wie er hierhergekommen war.

Autor

Entdecken Sie weitere Bände der Serie

Sambrano Studios