SOS – ich liebe dich!

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Wie ein Blitz trifft sie die Liebe! Die junge Sanitäterin Lia würde brennend gern mehr mit Inselarzt Sam Taylor tun, als nur mit ihm Hand in Hand zu arbeiten. Doch selbst nach gefährlichen Rettungseinsätzen auf Wildfire Island bleibt Sam zurückhaltend …


  • Erscheinungstag 23.01.2021
  • ISBN / Artikelnummer 9783751505376
  • Seitenanzahl 130
  • E-Book Format ePub
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Leseprobe

1. KAPITEL

Das Läuten des Telefons ging fast im Lärm unter, als sich die Familie Roselli in der Küche zum Abendessen versammelte.

Der Raum war nicht besonders groß. Wäre die gesamte Familie hier gewesen, hätte man an den wuchtigen Holztisch unter der mit Weinreben bewachsenen Pergola draußen im Hof ausweichen müssen. Was schwierig geworden wäre, da es in Strömen regnete. Tropischer Regen, wie man ihn im Norden Australiens gewohnt war und der binnen Sekunden alles durchnässte. Dagegen bot auch das dichte sattgrüne Weinlaub keinen Schutz.

Also quetschten sich die Rosellis in die Küche. Der Tisch nahm die eine Hälfte ein und bot Platz für zehn Personen, wenn sie dicht zusammenrückten. Die andere Hälfte mit Arbeitsplatte, Herd und Ofen war unbestritten Adriana Rosellis Reich. Dass zusätzlich auch ein Rollstuhl manövriert werden musste, machte die Sache nicht einfacher, und genau deshalb war der Geräuschpegel gerade ziemlich hoch.

„Au … Das war mein Fuß! Kannst du nicht aufpassen, Fiona?“

„Wenn du dich nicht mit deiner schrecklichen Musik zudröhnen würdest, hättest du uns kommen sehen. Mach dich mal dünn, Guy!“

„Erst entschuldigst du dich. Du hast mir bestimmt den Zeh gebrochen.“

„Du solltest dich entschuldigen! Siehst du, jetzt hast du Angel zum Weinen gebracht …“

„Vorsicht! Wenn mir diese Lasagne hinfällt, habt ihr ein Problem. Mamma mia …“ Adriana hob rasch die große dampfende Auflaufform höher, als ihr jüngster Sohn die Ellbogen einsetzte, um an ihr vorbei zu seinem Stuhl zu gelangen. „Wann werden sich meine Kinder jemals ihrem Alter entsprechend verhalten? Womit habe ich das verdient? Lia, warum ist das Brot noch nicht auf dem Tisch?“

„Kommt sofort … Oh, ist das das Telefon?“

Es dauerte einen Moment, bis die anderen begriffen. Adriana ließ die Lasagne in die Mitte des Tisches plumpsen und schlug die Hände vor den Mund, bevor sie – wie auch alle anderen, bis auf Angel – Nico anstarrte.

War es der Anruf, auf den sie den ganzen Tag gewartet hatten?

„Ich gehe ran.“

„Nein, ich!“

„Es ist bestimmt für Nico. Er sollte rangehen.“

Doch Nico sah aus wie ein Opossum im Scheinwerferlicht … zu verängstigt, um sich rühren zu können.

„Ich gehe.“ Lia hielt den Korb mit frisch gebackenem, duftendem Brot ihrem Bruder Guy hin. Aber der hatte die Augen geschlossen und bewegte den Kopf zu dem hypnotisierenden Beat in seinen Ohren.

Außerdem war ihre jüngere Schwester Elena schneller.

„Lia? Ist für dich.“

„Was?“ Ungläubig schüttelte sie den Kopf. Wer rief sie an ihrem freien Tag an? Ihr Leben bestand aus Arbeit und ihrer Familie. Für mehr war kein Platz, und sie wollte es auch gar nicht anders haben. Sie liebte ihr Zuhause und jeden Einzelnen dieser verrückten, lebhaften, lauten Familie von ganzem Herzen.

„Sag ihnen, dass ich zurückrufe. Ich bin beschäftigt.“

Lia stellte das Brot neben eine der Salatschüsseln und lächelte ihrem Vater zu, der am Kopfende saß und stumm darauf wartete, dass das Chaos sich legte. Danach warf sie einen prüfenden Blick auf Teller, Gläser und Besteck. Elena war fürs Tischdecken zuständig gewesen. Wo war das Spezialbesteck, das Angel brauchte, um selbstständig zu essen?

„Es ist Bruce!“, rief Elena. „Er sagt, es ist wichtig.“

Bruce? Ihr Vorgesetzter in der Ambulanz? Nein, er war mehr als nur ein Chef. Bruce hatte sie ermuntert, sich fortzubilden, um die nötigen Qualifikationen für ihren Traumjob bei den Rettungsfliegern zu erwerben. Er war ihr Mentor und ein guter Freund. Wenn Bruce sagte, es sei dringend, dann war es das auch.

„Komme …“ Der Geräuschpegel um sie herum stieg wieder an, doch sie hörte noch den leisen Disput, als ihre Mutter Guy kurzerhand die Ohrstöpsel herauszog. Oder dass Fiona Elena ermahnte, weil sie Angels Besteck vergessen hatte. Genauso nahm sie wahr, dass Nico Löcher in die Luft starrte und das Schweigen ihres Vaters nicht nur Ausdruck seiner üblichen Geduld zu sein schien.

Aber jetzt konnte sie sich darum nicht kümmern. All das musste warten.

„Bruce?“ Lia schob die dichten langen Locken beiseite und presste das Telefon ans Ohr. „Hallo. Was gibt’s?“

Bei dem Krach verstand sie nur die Hälfte. Lia schlüpfte aus der Küche in den Flur. „Sag das noch mal. Ich soll was tun …?“

Sam Taylor liebte die Stille auf Wildfire Island. Besonders um diese Zeit des Tages, wenn die Sonne fast am Horizont verschwand und der Duft tropischer Blüten intensiver wurde.

Er atmete tief durch und schloss für einen Moment die Augen. Dann öffnete er sie wieder und blickte von seinem Aussichtspunkt auf den Ozean, der die Insel umschloss. Sie war seine Heimat geworden, seit er vor einigen Jahren am hiesigen Krankenhaus angefangen hatte.

Von dort war er vorhin losgegangen und befand sich nun oberhalb der Goldmine. Er erhaschte einen Blick auf das Dorf und die felsige Landspitze mit der kleinen Kirche. Die Klippen auf der anderen Seite versperrten ihm die Sicht auf Sunset Beach, doch heute war kein Abend, um sich am Strand das feurige Naturschauspiel anzusehen, das der Insel ihren englischen Namen gegeben hatte. Dichte Wolken zogen über den Himmel und verdeckten die untergehende Sonne. Es würde nicht mehr lange dauern, bis sie sich zusammenballten und die für diese Jahreszeit typischen heftigen Regengüsse niederprasselten. Im Pazifik herrschten zu dieser Zeit tropische Wirbelstürme.

Ein anstrengender Arbeitstag lag hinter ihm, und er hatte diesen strammen Marsch gebraucht. Zurzeit fehlte es ihnen an Personal. Die Lage hatte sich verschärft, als Jack, der Hubschrauberpilot, zu einem Rettungseinsatz gerufen wurde und eine der Krankenschwestern ihn begleiten musste.

Sam setzte seine Hoffnungen auf die neuen FIFOs, die mit der morgigen Versorgungsmaschine auf die Insel kommen sollten – diesmal ein Rettungssanitäter und eine Krankenpflegekraft. Das Fly-in-fly-out-Programm, das medizinische Fachkräfte auf die entlegenen Inseln im Pazifik schickte, war eine der wichtigen Säulen, die den Bestand des Krankenhauses auf Wildfire sicherten.

Sam seufzte und spürte, wie die Anspannung allmählich von ihm abfiel. Nicht zum ersten Mal fand er bei dem Anblick, der sich ihm bot, tiefen Frieden. Weit draußen sah er die dunklen Umrisse der Inseln. Die größte, Atangi, war am längsten besiedelt. Dort gab es Geschäfte und Schulen. Andere Inseln wie French Island flogen er und seine Kollegen regelmäßig an, um dort Sprechstunden abzuhalten. Und dann waren da noch die winzigen unbewohnten Inseln, darunter die eine, die seit Kurzem ihm gehörte.

Was hatte er für ein Glück gehabt, dass so viele Handwerker nach Wildfire gekommen waren, um das Labor auszubauen und das neue Tagungszentrum zu errichten! Das verschaffte ihm die willkommene Gelegenheit, einigen von ihnen weitere Aufträge anzubieten und auf diese Weise sein Traumhaus und den Anleger bauen zu lassen. In seinem eigenen kleinen tropischen Inselparadies, für das er noch einen Namen finden musste.

In nicht allzu ferner Zukunft würde er nach dem Dienst nicht in eine der Unterkünfte zurückkehren, die für Klinik- und FIFO-Personal zur Verfügung standen, sondern sich in sein Boot setzen, um den Feierabend in herrlich ruhiger Abgeschiedenheit inmitten idyllischer, nahezu unberührter Natur zu genießen.

Sam dachte dabei nicht an seine Jacht. Auch wenn er seine Segeltörns liebte, so brauchte er für den Weg von und nach Wildfire ein Boot, das ihn in Notfällen in kürzester Zeit zum Krankenhaus brachte. Deshalb war er auf der Suche nach einem neuen Schnellboot. Vielleicht ein Festrumpf-Schlauchboot.

Anders als sonst packte ihn allerdings heute nicht die gewohnte Vorfreude auf den Tag, an dem es endlich so weit sein würde. Zum ersten Mal beschlichen ihn leise Zweifel, ob er wirklich die richtige Entscheidung getroffen hatte.

War der hektische Tag daran schuld, dass er sich fragte, ob es wirklich eine gute Idee war, wenn zwischen ihm und der Klinik der Ozean lag? Er sah die völlig panische Mutter vor sich, deren Kind ein anaphylaktischer Schock drohte, nachdem es allergisch auf einen Bienenstich reagierte. Wenn er nun nicht hier gewesen wäre, als ein paar Minuten über Leben oder Tod entschieden? Oder die Notoperation an einem entzündeten Blinddarm, der jeden Moment hätte platzen und eine lebensbedrohliche Sepsis auslösen können?

Oder machten die atmosphärischen Spannungen ihn einfach unruhig? Der Wind, der an Stärke zunahm, die dunklen Wolken, die sich auftürmten?

Nein. Die Ursache lag tiefer, hatte mit seiner Arbeit oder dem Wetter nichts zu tun. Der Schatten, den er spürte, kam von der Leere, die sich immer mal wieder in seiner Seele ausbreitete. Das Gefühl von Einsamkeit, das ihn gelegentlich wie aus dem Hinterhalt erwischte.

Aber war er nicht auf diese abgelegenen Inseln gezogen, um zu entkommen? Und Einsamkeit war nun einmal der Preis dafür.

Sam wandte sich vom Meer ab und sah sich um, hatte für einen Augenblick vergessen, dass Bugsy nicht bei ihm war. Der Hund gehörte zum Krankenhaus, und alle, die dort arbeiteten, kümmerten sich abwechselnd um ihn, solange sein Frauchen drüben auf dem Kontinent war. Heute hatte ihn eine der Schwestern übernommen, sodass Sam bei seinem täglichen Spaziergang auf den treuherzigen Labrador verzichten musste.

Das ist der Grund, dachte er. Bugsy war nicht bei ihm, deshalb fühlte er sich einsam.

Vielleicht sollte er sich einen vierbeinigen Gefährten anschaffen. Einen Portugiesischen Wasserhund zum Beispiel. Dem würde es Spaß machen, Boot zu fahren, ob nun zu den Inseln oder zum Fischen. Oder auch mit ihm zusammen in der malerischen Bucht mit dem schneeweißen Sandstrand zu schwimmen, die den Ausschlag gegeben hatte, die winzige Insel zu kaufen.

Dann hätte er den besten Job der Welt an einem Ort, wo er für immer ungestört glücklich sein konnte, und ein treues Wesen an seiner Seite. Ein Wesen, das nicht mehr von ihm erwartete als seine Liebe.

Was könnte er noch verlangen?

Am Tisch war nur noch ein Stuhl frei, als Lia in die Küche zurückkam. Teller, gefüllt mit köstlich duftender Hackfleischsoße, Nudeln und cremigem geschmolzenem Käse, wurden herumgereicht.

„Was wollte Bruce?“ Elena schnappte sich eine dicke, warme Scheibe Brot und legte sie zu ihrer Lasagne. „Mit dir ausgehen?“

„Bruce ist alt genug, um mein Vater zu sein“, erwiderte Lia ernst. „Und ich bin alt genug, um zu wissen, wie lächerlich so ein Date wäre.“

„Ach, hör auf“, fauchte Elena. „Mike ist erst neununddreißig.“

„Und du sechsundzwanzig. Dreizehn Jahre, Lena. Zähl mal nach, das ist fast eine Generation.“

„Ich habe wenigstens einen Freund. Du wirst noch als alte Jungfer enden, Lia.“

„Es reicht.“ Adriana sprach ein Machtwort. „Setz dich, Lia, und iss. Du bist viel zu dünn. Ich kann von hier aus deine Knochen sehen.“

Lia zog es vor, weder auf die Bemerkung ihrer Schwester noch die ihrer Mutter zu reagieren. Sie glitt auf den Stuhl neben Angels Rollstuhl.

„Wie gut du deinen Löffel hältst, Schatz. Braves Mädchen … Vergiss nicht zu pusten. Die Lasagne ist bestimmt noch heiß.“

Sie machte es ihr vor; Angel kicherte, der Löffel in ihrer Hand kippte, und das Essen landete in Angels Schoß.

„Vielen Dank auch, Lia.“ Aber Angels Mutter, Lias Schwester Fiona, lächelte, während sie das kleine Malheur aufwischte. „Komm, das versuchen wir noch mal, Angel, ja?“

„Was wollte Bruce denn nun?“ Nico stocherte in seinem Essen und hoffte anscheinend auf eine Ablenkung von dem, was ihm durch den Kopf ging.

„Er hat mir einen Job angeboten – für zwei Wochen bei einem Rettungshubschrauber-Team, auf einer Insel zweihundert Meilen nordwestlich von Cairns. Sie heißt Wildfire.“

„Eine Insel?“ Adriana schüttelte den Kopf. „Willst du Urlaub machen?“

„Dort gibt es ein Krankenhaus, Mamma. Das medizinische Personal ist für ein riesiges Gebiet zuständig und versorgt die Insulaner. Bruce meint, das wäre großartig für mich. Ich könnte Erfahrungen sammeln, zu denen sich hier nie die Gelegenheit bieten wird. Und falls es mir gefällt, hätte ich die Möglichkeit, in regelmäßigen Abständen für zwei Wochen hinzufliegen und dort zu arbeiten.“

„Du kannst nicht weg“, meldete sich Elena zu Wort. „Nico wird bald operiert, vielleicht schon übermorgen, und du weißt, dass Mamma in Krankenhäusern halb durchdreht. Du bist die Einzige, die uns richtig erklären kann, was abläuft, und die Mamma beruhigen kann. Sonst weint sie die ganze Zeit. Und es ist ja nicht nur die Operation. Hinterher kommt noch die Chemo. Das wird schrecklich.“

„Nein, wird es nicht.“ Lia warf ihrer Schwester einen warnenden Blick zu, bevor sie sich lächelnd an ihren Bruder wandte. „Du schaffst das, Nico. Natürlich hört sich das alles beängstigend an, aber Hodenkrebs hat sehr hohe Heilungschancen, und bei dir wird die Behandlung Erfolg haben. Mach dir keine Gedanken.“

„Versprochen?“ Für Nico war Lia – wie auch für den Rest der Familie – die medizinische Expertin.

Lia lächelte beruhigend. „Versprochen.“ Sie glaubte fest daran.

„Hast du denn Lust auf den Job?“, fragte Fiona skeptisch.

„Ja, es hört sich total aufregend an. Schon der Name der Insel klingt nach Abenteuer. Wildfire …“

„Brennt es da oft?“ Adriana warf ihrer Tochter einen sorgenvollen Blick zu. „Du willst doch nicht irgendwohin, wo Feuer ist!“

„Wildfire Island? War das nicht neulich in den Nachrichten?“ Guy legte die Gabel hin und fischte sein Handy aus der Tasche. „Ich glaube, in einer Goldmine gab’s eine Explosion.“

„Ausgeschlossen.“ Adrianas Löffel landete klirrend auf dem Steingutteller. „Ich lasse dich nicht dahin, wo Minen hochgehen!“

„War doch keine Explosion.“ Guy klang enttäuscht, nachdem er weiter nach unten gescrollt hatte. „Nur der Stollen ist eingebrochen. Es gab Verletzte und eine Riesenrettungsaktion, aber jetzt ist alles okay. Und warum sollte Lia in eine Mine gehen?“

„Eben. Wisst ihr, was das Beste an dem Angebot ist? In zwei Wochen würde ich drei Mal so viel verdienen wie hier im selben Zeitraum. Wir könnten endlich die neuen Gehhilfen für Angel kaufen.“

„Nein …“ Adriana reichte Lia einen reichlich gefüllten Teller. „Mir ist das alles zu gefährlich. Hubschrauberflüge zwischen Inseln weit draußen im Meer – was ist, wenn du abstürzt?“

„Ich mache nichts anderes als hier auch. Bruce kennt den Piloten. Der Mann soll top sein. Und es ist mein Job, Mamma, das weißt du doch. Mein Traumberuf!“

„Normal ist das nicht.“ Adriana seufzte. „Du bist zweiunddreißig, Lia. Du solltest längst verheiratet sein und bambini haben. Sieh dir deine Schwester an. In deinem Alter war sie schon mamma.“

„Mmm.“ Lia und Fiona warfen sich vielsagende Blicke zu. Fiona hatte einen hohen Preis gezahlt. Angel war zu früh zur Welt gekommen und hatte während der schwierigen Geburt zu wenig Sauerstoff bekommen. Ihr Vater ertrug es nicht, eine behinderte Tochter zu haben, und verließ Frau und Kind.

„Das mit dem Geld ist Hammer“, sagte Guy mit vollem Mund. „Ich würd’s machen. Hey, du könntest das Dach reparieren lassen,. Dann muss ich in meinem Zimmer nicht mehr über den Eimer stolpern, wenn’s regnet.“

Ihr Vater hatte sich an der Diskussion bisher nicht beteiligt. Jetzt sah er von seinem Teller auf, und Lia erkannte den beschämten Ausdruck in seinen Augen. Es ging ihr zu Herzen.

Es ist nicht deine Schuld, versicherte sie ihm stumm. Du findest eine andere Stelle, bevor die Abfindung alle ist.

Laut sagte sie etwas anderes, bat als Tochter den Vater um einen Rat. „Was meinst du, Dad? Soll ich annehmen?“

Er erwiderte ihr Lächeln, und die Wärme in seinem Blick verriet ihr, dass er die Absicht hinter ihren Worten erahnt hatte und für diese Geste dankbar war.

„Wenn du es möchtest, solltest du es tun, cara.“

Lia nickte gedankenvoll. „Ich glaube, das werde ich.“

„Mamma mia.“ Adriana bekreuzigte sich. „Wann musst du los?“

„Morgen. Der Kollege, für den ich einspringen soll, hatte wohl einen Unfall, und Bruce wurde gebeten, Ersatz für ihn zu suchen. Bruce stellt mich gerne frei.“

Bewundernd und beklommen zugleich starrten alle am Tisch Lia an, als würde ihnen erst jetzt die Tragweite des Angebots bewusst.

„Ich habe ihm versprochen, so schnell wie möglich zurückzurufen, nachdem ich mit euch gesprochen habe. Nico? Du hast das letzte Wort. Möchtest du, dass ich während deiner OP hier bin? Dann sage ich ab und bleibe.“

„Mach es“, antwortete ihr Bruder. „Ich habe genug Familie um mich herum. Außerdem bin ich nur zwei Tage im Krankenhaus. Schick mir ein paar coole Bilder, dann kann ich mit meiner tollen Schwester angeben, die sich mutig darauf stürzt, die Welt zu retten.“

Lia grinste. „Worauf du dich verlassen kannst. Gut.“ Sie schob sich eine Gabel voll Lasagne in den Mund. „Ich telefoniere kurz mit Bruce und fange an zu packen. Morgen früh um halb sechs muss ich am Flughafen sein.“

„Ich fahre dich hin.“

Während ihr Vater bei seinen Worten lächelte, brach ihre Mutter in Tränen aus. Einen Moment lang war Lia versucht, es sich noch einmal zu überlegen. Doch dann sah sie zu Angel hinüber. Ja, sie konnten das Extrageld gut gebrauchen.

Sie schob ihren Stuhl zurück, stand auf und ging, um ihren Anruf zu erledigen.

„Holla …“ Jack Richards, der Hubschrauberpilot von Wildfire Island, schob die Sonnenbrille tiefer und lugte über den Rand. „Siehst du, was ich sehe, Sam?“

Zwei junge Leute waren aus dem Flugzeug geklettert und liefen nun über die Landepiste auf sie zu. Der Mann muss der Rettungssanitäter sein, dachte Sam und wunderte sich nicht, dass Jack ihm gerade einen bedeutungsvollen Stoß in die Rippen versetzt hatte. Die neue FIFO-Krankenschwester war in der Tat ein Hingucker: hochgewachsen und schlank, mit dunkler Lockenmähne, die der Wind genüsslich zerzauste, und endlos langen Beinen in knappen Shorts. Die große Sonnenbrille verdeckte fast ihr halbes Gesicht, doch selbst auf die Entfernung sah man, dass die junge Frau einen üppigen Mund hatte, wie geschaffen für ein hinreißendes Lachen.

Und zum Küssen …

Wie gut, dass sie während ihrer Arbeitszeit sicher im Krankenhaus untergebracht war, statt mit einem blendend aussehenden Rettungsflieger einsame Inseln anzusteuern. Romantische Techtelmechtel mit den FIFO-Kräften kamen vor, und vor allem Jack ließ sich kaum eine Gelegenheit entgehen. Für Sam hingegen war das Thema tabu. Eine Affäre kam nur weit weg von hier infrage, in seinem Urlaub, wo ihn niemand kannte. Die M’Langi-Inseln waren sein Zuhause, und das würde er nicht aufs Spiel setzen. Schließlich hatte er selbst erlebt, welch niederdrückenden Folgen es haben konnte, wenn man sich blind auf jemanden einließ.

Aus der kleinen Maschine wurde das Frachtgut ausgeladen. Neben allem anderen, das regelmäßig vom australischen Festland hierhertransportiert wurde, war auch der medizinische Nachschub, den Sam bestellt hatte, dabei. In den letzten beiden Wochen hatten es mehrere kleine Unfälle gegeben, sodass im Krankenhaus Verband- und Nahtmaterial knapp geworden war.

„Lass uns nachsehen, ob alles mitgeliefert worden ist“, sagte er zu Jack. „Bei diesem Wetter möchte ich den Piloten nicht länger als nötig hier aufhalten.“

Als sie aus dem Schatten traten, hatte der Wind merklich aufgefrischt.

„Hallo.“ Sam streckte dem männlichen Neuzugang die Hand hin. „Ich bin Sam Taylor – einer der dauerhaft ansässigen Ärzte hier am Krankenhaus.“

„Freut mich, Sie kennenzulernen. Ich bin Matt.“

„Willkommen auf Wildfire Island. Ist das Ihr erster FIFO-Einsatz?“

„O ja.“ Matt grinste schief. „Vielleicht auch der letzte – nach dem Flug!“

„Ach komm, Matt.“ Mit beiden Händen versuchte die junge Frau, ihr Haar zu bändigen. „Hat doch Spaß gemacht.“

Das freche Lächeln verriet, dass Schönwetterflüge ihr zu langweilig waren. Sam konnte nicht anders, er musste auch lächeln. Eine junge Frau, die nicht nur umwerfend schön, sondern auch mutig war – welcher Mann würde sich davon nicht angezogen fühlen?

„Ich bin Lia Roselli.“ Sie musste ihre Haare teilweise loslassen, um ihm die Hand zu geben, und prompt presste ihr der Wind die Locken auf Augen, Mund und Nase. Lachend strich sie sich die dunklen Strähnen beiseite.

Ihr Lachen passte zu ihrem atemberaubenden Aussehen. Kein Wunder, dass Jack sie wie ein Idiot angrinste.

Erst jetzt merkte Sam, dass er sie auch immer noch lächelnd ansah. Er hatte Mühe, wieder ein ernstes Gesicht zu machen.

„Irgendwo muss ich ein Haarband haben.“ Lia wühlte in ihrem weichen Lederrucksack. „Tut mir leid, ich hätte hier etwas professioneller auftauchen sollen.“

„Sie wussten ja nicht, dass sich ein Zyklon zusammenbraut.“ Jack hatte Matt die Hand geschüttelt und wandte sich Lia zu. „Ich bin Jack Richards.“

„Oh … Sie sind mein Pilot!“ Das Zopfgummi war vergessen, und sie schüttelte ihm begeistert die Hand. „Irre. Ich freue mich sehr, mit Ihnen zusammenzuarbeiten.“

„Sie sind der Rettungssanitäter?“

Sam hatte nicht so erstaunt klingen wollen. Den Blick, den ihm die beiden Neuen jetzt zuwarfen, den hatte er verdient. Sogar Jack sah ihn verwundert an.

Er hatte es geschafft, mit nur wenigen Worten wie einer dazustehen, für den Krankenpflegekräfte immer weiblich waren und der einer Frau die gefährlichen Aufgaben der Rettungsmedizin nicht zutraute. Dabei vertrat er weder die eine noch die andere Ansicht.

Vielleicht hatte seine verblüffte Nachfrage weniger damit zu tun, dass er überrascht, als damit, dass er enttäuscht war. Selbst die Krankenschwestern, die in sicherer Entfernung im Krankenhaus arbeiteten, waren nicht gegen Jacks Charme immun. Lia hatte keine Chance.

Himmel noch mal … War er etwa eifersüchtig?

„Sam hat das Memo nicht bekommen“, versuchte Jack, ihm aus der Patsche zu helfen. „Und ich muss zugeben, dass uns die FIFO zum ersten Mal eine Rettungssanitäterin schickt.“

„Und wahrscheinlich auch die erste männliche Krankenschwester?“ Matt lächelte. „Gut, dass wir da sind, was, Lia? Wird Zeit, dass hier das einundzwanzigste Jahrhundert einkehrt.“

Alle lachten, und die Spannung löste sich. Danach nahm es noch einige Minuten in Anspruch, die Lieferungen mit der Bestellliste auf seinem Klemmbrett zu vergleichen, was zusätzlich für Ablenkung sorgte. Als schließlich das Gepäck der FIFOs ausgeladen wurde, hatte sich Sam so weit erholt, dass er einen Versuch unternehmen konnte, seinen Fauxpas wiedergutzumachen.

„Gut, dass Sie hier sind“, meinte er zu Matt, als der seinen Rucksack schulterte. „Wir versuchen, die Inselbewohner dazu zu ermuntern, sich als Krankenpflegekräfte ausbilden zu lassen. Sie könnten da ein Vorbild sein. Was halten Sie davon, in der Highschool drüben auf Atangi in einer Schulstunde über Ihren Beruf zu sprechen?“

„Ich bin für alles zu haben. Meine Arbeit macht mir viel Spaß, und ich bin gern bereit, die Jungs dafür zu gewinnen.“

„Hey … Ich liebe meinen Job auch.“ Lia lächelte Sam strahlend an. „Vielleicht könnte ich mitkommen und die Mädchen inspirieren?“

Jack grinste. „Das heißt, Sie sind auch für alles zu haben?“

Das war gewollt zweideutig. Aber Lia bewies, dass sie nicht nur mit rauem Wetter fertigwurde.

„Alles in professionellem Rahmen“, sagte sie bestimmt.

Als sie Bruce’ Angebot annahm, hätte Lia im Leben nicht daran gedacht, dass auf der Insel auch ein romantisches Abenteuer auf sie warten könnte. Abgesehen davon hatte sie dafür sowieso keine Zeit. Ihre Arbeit und ihre Familie beanspruchten sie voll und ganz.

Außerdem, falls sie überhaupt Interesse gehabt hätte, jemanden kennenzulernen, dann bestimmt nicht Jack. Diesen Typ Mann kannte sie. War mit solchen Männern ausgegangen, nur um festzustellen, dass sie eine Frau fallen ließen und weiterzogen, sobald sie sich mehr von der Beziehung wünschte.

Trotzdem fragte sie sich, ob sie nicht zu harsch gewesen war. Freundlicher fügte sie hinzu: „Ich freue mich sehr darauf, neue Erfahrungen zu sammeln. Wenn es mir gefällt, komme ich beim nächsten Einsatz wieder. Der Kollege, den ich vertrete, hat sich eine komplizierte Fraktur zugezogen und wird nicht so schnell wieder arbeiten können.“

„Ich hab’s ihm gesagt: Paragliding ist ein tückisches Hobby.“ Jack streckte die Hand aus, wie um Lia anzubieten, ihr das Gepäck zu tragen, überlegte es sich jedoch anders und rückte stattdessen seine Sonnenbrille zurecht.

Sam verkniff sich ein Lächeln. Lia konnte gut auf sich aufpassen.

„Nicht dass er Anfänger wäre.“ Jack sah zum Himmel und betrachtete die Wolken. „Hat einfach Pech gehabt, vermute ich.“

„Glück für mich …“ Lia schwang sich den Rucksack auf den Rücken, als hätte er kein Gewicht. „Vor allem das Timing. Wer hätte gedacht, dass sie einem so viel zahlen, wenn man in der Zyklon-Saison herkommt?“

Sam verging das innere Lächeln. Lia blickte ihn leicht erstaunt an. Hatte er sich seine Gefühle anmerken lassen? Es war ihm egal. Mehr als die meisten Menschen hatte er einen guten Grund, sich nicht um die Meinung von jemandem zu scheren, dem es ums Geld ging.

„Kommen Sie“, sagte er zu Matt und wandte sich ab. „Ich zeige Ihnen Ihre Unterkunft und das Krankenhaus.“

Was sollte das jetzt?

Lia stand da, den Rucksack auf dem Rücken, und kam sich vor wie bestellt und nicht abgeholt. Was war mit ihrer Unterkunft? Und müsste sie nicht auch das Krankenhaus besichtigen? Wenigstens die Notaufnahme, um sich ein Bild davon zu machen, wo sie Schwerverletzte und Kranke ablieferte, welche Ausrüstung vorhanden war, welche Standards dort herrschten?

Hatte es etwas damit zu tun, dass Jack ungeniert mit ihr geflirtet hatte? Natürlich musste sie ihn in die Schranken weisen. Sie würde zwei Wochen lang mit dem Mann zusammenarbeiten und wollte nicht mehr als eine kollegiale Beziehung zu ihm, die sich hoffentlich auf gegenseitigen Respekt und Vertrauen gründete.

Ihr fiel wieder ein, wie erstaunt Sam Taylor reagiert hatte, dass Matt die Krankenpflegekraft und nicht der Rettungssanitäter war.

Lias anfängliche Euphorie legte sich ein wenig. Sam war zweifellos ein attraktiver Mann, aber er strahlte etwas aus, das sie nicht ganz einordnen konnte. So als wäre er aus Versehen hier.

Autor

Alison Roberts
<p>Alison wurde in Dunedin, Neuseeland, geboren. Doch die Schule besuchte sie in London, weil ihr Vater, ein Arzt, aus beruflichen Gründen nach England ging. Später zogen sie nach Washington. Nach längerer Zeit im Ausland kehrte die Familie zurück nach Dunedin, wo Alison dann zur Grundschullehrerin ausgebildet wurde. Sie fand eine...
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Alison Roberts
<p>Alison wurde in Dunedin, Neuseeland, geboren. Doch die Schule besuchte sie in London, weil ihr Vater, ein Arzt, aus beruflichen Gründen nach England ging. Später zogen sie nach Washington. Nach längerer Zeit im Ausland kehrte die Familie zurück nach Dunedin, wo Alison dann zur Grundschullehrerin ausgebildet wurde. Sie fand eine...
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