Sündige Geheimnisse

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Diese Frau birgt ein sündiges Geheimnis - und der Reporter Thomas würde alles dafür tun, es ihr zu entlocken! Er flirtet mit Amalie, bis sie sich vertrauensvoll an ihn schmiegt. Doch plötzlich hat Thomas Skrupel - und Gefühle ...


  • Erscheinungstag 31.01.2016
  • ISBN / Artikelnummer 9783733772918
  • Seitenanzahl 130
  • E-Book Format ePub
  • E-Book sofort lieferbar

Leseprobe

1. KAPITEL

Amy Lee Star hatte durchaus etwas von einem kleinen behänden Vogel an sich, und so passte der Name sehr gut zu ihr. Ihre großen Augen schienen ständig in Bewegung zu sein und folgten den lebhaften Gesten, mit denen sie ihre Worte begleitete. Sie war zierlich, hatte feste, kleine Brüste und wurde von ihren Schülern an der Highschool und auch allgemein von den Inselbewohnern als unscheinbar eingeschätzt, mit ihrem glatten dunklen Haar, dem blassen Teint und ihrem sanften Wesen.

So fahrig sie manchmal wirkte, so vorsichtig und verschwiegen war sie in allem, was ihr persönliches Leben betraf. Da keiner auf Bellefort Island etwas über ihr Privatleben wusste, ging man davon aus, dass es wohl auch nicht besonders interessant sei. Kein Mensch wäre auf die Idee gekommen, dass Amy Lee Star einen Geliebten hatte, dessen Namen sie selbst nicht kannte.

Thomas James Jericho überflog noch einmal die ersten beiden Absätze von „Rendezvous“ und schlug dann das Buch mit einer schnellen Bewegung zu. Nachdenklich strich er über den Samtumschlag. Schon lange hatte er einen Verdacht, und jetzt war der nahezu Gewissheit geworden. Madame X war ganz anders, als er erwartet hatte. Sie hatte zu wenig mit der unscheinbaren, sanftmütigen Frau gemeinsam, die in den „Black-Velvet“-Geschichten immer wieder auftauchte. Und ihm würde der Pulitzerpreis ein weiteres Mal entgehen, wenn er einen solchen seichten Artikel wirklich schrieb.

Und wenn er sich nun irrte? Thomas runzelte die Stirn. Nach seiner Erfahrung bauten Romanschriftsteller die eigene Person immer in ihre Werke ein, ob bewusst oder unbewusst, versteckt oder offen. Insofern hätte Madame X, die geheimnisvolle Schriftstellerin, eigentlich das Abbild der Romanfigur Amy Lee Star sein sollen.

Doch das absolute Gegenteil war der Fall.

Und das ist noch untertrieben, dachte er, während er den spektakulären Auftritt der Autorin während der Party zum Erscheinen ihres neuesten Buches beobachtete, gut hinter einer breitfächerigen Palme versteckt. Madame X war eine Traumfrau, die leibhaftig gewordene Männerfantasie. Norris Yount, der Verleger der beiden „Black-Velvet“-Bände mit erotischen Geschichten, konnte seinem Himmel gar nicht genug danken. Die Pebblepond Press verkaufte die Bände sehr gut, und wenn der Verleger in Hollywood eine Schauspielerin für die Rolle der Autorin angefordert hätte, hätte seine Wahl nicht besser ausfallen können.

Was Thomas in seinem Verdacht bestätigte, dass der Verleger vielleicht genau das getan und eine Schauspielerin für diese Rolle engagiert hatte.

Madame X war einfach zu hinreißend, um echt zu sein. Sie hatte glänzendes blondes Haar, das den gleichen Goldton hatte wie die Kette und die Ohrringe, die sie trug. Ihre fantastischen Beine kamen in den schwarzen, seidig schimmernden Strümpfen besonders gut zur Geltung. Sie trug ein enges, trägerloses Kleid, selbstverständlich aus schwarzem Samt, das ihre fantastische Figur betonte. Ihr ebenmäßiges Gesicht hatte einen makellosen Teint, die roten Lippen waren zum Küssen wie geschaffen, und die großen blauen Augen blickten gleichzeitig unschuldig und verführerisch.

Ja, diese Frau war die perfekte Besetzung für eine meisterhafte Inszenierung, die bis auf einen zynischen Beobachter bisher keiner zu durchschauen schien.

Wenn diese sogenannte Madame X auch nur eine Zeile der „Black-Velvet“-Bücher geschrieben hatte, würde Thomas James Jericho den mit einer riesigen Straußenfeder geschmückten Hut von Younts Frau verspeisen. Mit Ketchup und Senf.

Madame X richtete sich in ihren Pumps mit den schwindelerregend hohen Absätzen zu voller Größe auf, lächelte strahlend und wandte sich dann dem Literaturkritiker des New York Express zu, der immer eine Fliege trug und der blonden Frau jetzt etwas ins Ohr flüsterte. Thomas sah nur, wie sie kokett die Lider senkte, und hörte ihre dunkle, rauchige Stimme, konnte aber nicht verstehen, was sie sagte. Der Kritiker lächelte geschmeichelt, und sofort entspannte sich Younts verkniffenes Gesicht. Er war Madame X nicht von der Seite gewichen, seit sie den Raum betreten hatte. Aber jetzt schlug er dem einflussreichen Kritiker jovial auf die Schulter und schlenderte zu den anderen Gästen hinüber.

Ganz offensichtlich war der Auftritt von Madame X, ob sie nun falsch oder echt war, ein Erfolg. Thomas sah mürrisch vor sich hin, stieß sich dann von der kühlen Marmorwand ab, an der er gelehnt hatte, und drängte sich durch die Menge der in kleinen Gruppen zusammenstehenden Leute. Bei dem allgemeinen Geräuschpegel konnte er nur hin und wieder ein Wort aufschnappen. Hier waren alle versammelt, die normalerweise auf solchen Empfängen zu finden waren: Buchhändler, Verleger, Schriftsteller, Kritiker und die übliche Schickimicki-Gesellschaft.

Thomas hörte, wie eine silberblonde Frau, deren Haare mit Sicherheit gefärbt waren, zu ihrer kichernden Freundin sagte: „Ich besaß bereits ein Paar Abendhandschuhe aus schwarzem Samt, und so zog ich sie an und bestellte eine Limou…“

Aha, aus „Limousine Lover“, dachte er, aus dem zweiten Band von „Black Velvet“.

„Die Bücher gehen weg wie warme Semmeln!“ Einer der Angestellten der PR-Abteilung von Pebblepond Press bemühte sich, ein paar Buchhandelsvertretern das Produkt anzupreisen.

Thomas schüttelte langsam den Kopf. Über Geschmack ließ sich nicht streiten. Sein Blick fiel auf Lars Torberg, einen Schauspieler, der meist in zweitklassigen Actionfilmen mitspielte. Er schien von Madame X geradezu fasziniert zu sein.

Eine Kellnerin reichte Kanapees herum, und Thomas sah, wie Kelly Ann Spofford, die spitzzüngige Talkshow-Moderatorin, sich bediente und sich dann zu ihrer Begleiterin umwandte. „Ehrlich gesagt“, sagte sie und kaute herzhaft, „es sind doch eigentlich nur Schweinereien.“

Mrs Yount machte eine Handbewegung, dass ihre Diamanten blitzten. „Gut möglich, aber eben sehr gut verkäufliche Schweinereien, Liebste.“

Kelly Ann fixierte den Ring. „Vier Karat? Von Harry Winston?“

Thomas wandte sich ab und schob sich an der blauhaarigen, untersetzten Psychologin vorbei, die als Hollywoods berühmteste Sextherapeutin galt. „Ich würde auch auf Platz eins der Bestsellerliste des Express stehen“, sagte sie gerade und warf Madame X einen giftigen Blick zu, „wenn ich nur halb so gut aussähe wie sie.“

Ein bärtiger Buchhändler aus Manhattan lachte. „Ja, ihre Bücher verkaufen sich genauso fantastisch, wie sie aussieht.“

Immer die alte Leier, dachte Thomas. Die Luft war zum Schneiden dick, da halfen auch die paar Grünpflanzen in der Halle nichts. Es schien keinen zu bekümmern, ob Madame X nun wirklich die Autorin war. Sex, Skandale und Geld waren das Einzige, was die Menschen hier interessierte. Sie nickten und applaudierten und griffen nach ihren Gläsern wie eine Herde williger Schafe, immer bereit, sich vor dem zu verneigen, der gerade den Ton angab.

Thomas lächelte verächtlich. Wie ihm das alles zuwider war.

Der einzige Gast, der ähnlich zu empfinden schien wie er, war eine dunkelhaarige Frau in einem taubengrauen Kleid, die nicht weit von ihm entfernt an der Wand lehnte. Thomas sah genauer hin. Im Grunde sah sie genauso aus, wie er sich Madame X vorstellte. Und ebenso wie er schien sie sich hier nicht wohlzufühlen. Ihre Augen hinter den großen Brillengläsern blickten unruhig hin und her, und sie hielt ihren Plastikbecher mit Wein so fest umklammert, dass Thomas Angst hatte, sie würde ihn gleich zerdrücken.

Wahrscheinlich so eine arme Büromaus, die sich die Einladung aus dem Papierkorb des Verlegers gefischt hat, dachte Thomas. Oder eine Frau, die auch erotische Geschichten schrieb und sich bei ihrem unbedeutenden Aussehen keine Chancen ausrechnete, denn heutzutage kam es vor allem darauf an, im Fernsehen eine gute Figur zu machen.

Das kehlige Lachen von Madame X klang zu ihm herüber. Thomas sah, wie sich die Frau in dem taubengrauen Kleid auf die Zehenspitzen stellte, um über den Schriftsteller mit der silbernen Löwenmähne hinwegblicken zu können, der seinen Anhängern gerade erklärte, weshalb er zehn Jahre für sein Hauptwerk brauche.

„Pardon“, sagte die Maus und bahnte sich ihren Weg durch die Menge in Richtung Madame X. Ach so, dachte Thomas, ein Fan.

Er wollte ihr schon folgen, um zu sehen, ob sie sich tatsächlich ein Autogramm holen würde, als er die weiße Lockenpracht von Harry Bass erblickte. Der Chefredakteur von NewsProfile verabschiedete sich gerade mit Wangenküsschen von der silberblonden Frau. Da er um etliches kleiner war als sie, konnte er ihr genau in den Ausschnitt blicken.

Thomas zog Harry beiseite. „Ich will raus aus der Sache.“

„Das haben wir doch nun schon lange genug diskutiert. Darf ich dich daran erinnern, dass wir einen Vertrag miteinander haben? Unterschrieben und besiegelt.“

„Ich dachte ja, ich könnte es, aber ich kann es einfach nicht.“ Thomas deutete mit dem Kopf auf Madame X. „Sieh sie dir doch nur an. Was soll man dazu noch sagen?“

Harrys Augen leuchteten auf, obgleich er Madame X kaum sehen konnte, so dicht war sie von Bewunderern umringt. Harry war zwanzig Zentimeter kleiner als Thomas, stämmig und untersetzt und hatte ein verlebtes Gesicht. Seit seiner letzten Scheidung versuchte er sich den Anschein eines Schürzenjägers zu geben, vor allen Dingen, wenn seine Exfrau in der Nähe war. Und da Rosie Bass die Lektorin der letzten „Black-Velvet“-Ausgabe war, war sie natürlich anwesend.

„Bilder“, sagte Harry nur. „Ich will jede Menge sexy Farbfotos. Haut will ich sehen.“

Thomas rollte mit den Augen. Als er angefangen hatte, als freier Journalist für Harry zu arbeiten, war NewsProfile eine seriöse Wochenzeitung gewesen, die fundierte Berichte zu den Themen Politik, Wissenschaft, Wirtschaft und Kunst brachte. Doch neuerdings waren die Artikel immer seichter geworden, und ganzseitige Modefotos und oberflächliche Interviews bestimmten die Qualität. Die Auflage war daraufhin steil in die Höhe gegangen.

„Für so etwas braucht ihr mich doch nicht“, sagte Thomas. Unglücklicherweise brauchte er seinerseits die Zeitung. Oder er musste einfach eine andere Geldquelle finden, um die Anzahlung für das Haus zusammenzubekommen. Das allerdings sehr schnell.

„Wir haben einen Vertrag“, entgegnete Harry scharf. „Willst du den brechen?“

„Sei doch vernünftig. Was du brauchst, ist ein saftiger Artikel darüber, wie Madame X es genießt, das Leben der Reichen und Berühmten zu führen. Und sie kann das, weil sie weiß, wie man auf die unterdrückten sexuellen Wünsche der amerikanischen Hausfrau eingeht. Lass Doppler das doch machen, er hätte sicher große Lust zu der Recherche. Oder die Clarke, die das Ganze vom feministischen Standpunkt aus betrachten wird.“

„Nein, ich will dich.“

„Ach, Harry, das meinst du doch nicht ernst.“

„Ich sag dir was. Ich gebe dir …“ Harry blickte Thomas aus zusammengekniffenen Augen an und nannte eine Zahl, die mehr als doppelt so hoch war wie Thomas’ sowieso reich bemessenes Honorar. „Und ich gebe dir die Titelzeile.“

„Seit wann soll das denn eine Titelstory werden?“

Harry grinste. „Seit ich Madame X gesehen habe.“

Thomas rieb sich nachdenklich das Kinn. Das war wirklich eine Versuchung. Die Story würde sicher absoluter Schund, aber eben sehr profitabel. Und er hatte nicht nur eine gute Verwendung für das Geld, er brauchte es dringend, auch wenn er diesen Gedanken immer gern verdrängte.

Harry setzte zum letzten Angriff an. „Außerdem darfst du dir dann deine drei nächsten Interviewpartner selbst aussuchen. Und ich hätte auch nichts gegen diesen miesepetrig aussehenden Umweltexperten, auf den du so scharf bist. Sofern du da mit Abbildungen etwas sparsamer bist.“

Thomas stöhnte. „Ich soll also zwei Wochen mit Madame X herumreisen, nur damit ich später über jemanden schreiben darf, der etwas zu sagen hat?“

„Sieh sie dir doch an“, sagte Harry. „Das kann doch gar nicht so schlimm sein.“

„Verdammt“, meinte Thomas brummig. Aber er wusste schon, dass er es tun würde.

„Wir müssen alle mal von unserem hohen Ross herunter, Thomas.“

„Ja, und tiefer als diese Typen hier geht es ja wohl nicht.“

Harry betrachtete eine junge Frau in einem schwarzen Minikleid, wie es auf den Partys in Manhattan jetzt Mode war. „Das ist deine Sache. Ich sehe überall nur wunderhübsche junge Frauen.“

„Harry, das Mädchen da könnte deine Tochter sein. Wenn Rosie das sieht, reißt sie dir den Kopf ab.“

„Und wirft ihn auf den Misthaufen.“ Harry wandte sich halb ab und strich sich gedankenverloren über das weiße Haar. Immer noch machte es ihm etwas aus, wenn seine Frau erwähnt wurde. „Und überhaupt, was für eine Rosie? Ich kenne keine Rosie.“ Er machte ein paar Schritte in Richtung des Mädchens. „Ich möchte wissen, wie sie heißt.“ Er bahnte sich seinen Weg durch die Menge.

„Warte, Harry!“, rief Thomas.

Harry sah sich gereizt um.

„Warum ausgerechnet ich? Du weißt genau, dass ich diese Art der Aufträge hasse. Warum soll gerade ich diese seichte Geschichte über Madame X schreiben? Du hast doch genügend Leute.“

„Weil du der Beste bist. Und weil ich vielleicht gerade keine seichte Geschichte will.“

„Was meinst du damit?“

Nun wurde Harry von der Menge verschluckt, die den Tisch umringte, an dem Madame X Freiexemplare ihres neuesten Buches signierte. Thomas konnte noch hin und wieder seinen weißen Kopf sehen und hörte dann so etwas wie „… irgendetwas ist da faul …“.

Ja, dachte Thomas, während er sich durch die Menge schob. Irgendetwas ist da faul. Und das musste er herausfinden.

Madame X sah hoch, während ihr eine Assistentin ein aufgeschlagenes Buch zuschob. Sie fuhr sich mit der Zungenspitze über die Lippen und sah Thomas lächelnd an. „Und wie heißen Sie, mein Lieber?“ Sie gab ihrer Stimme einen weichen Südstaatenakzent und strich eine blonde Locke zurück, die ihr ins Auge gefallen war.

Er lächelte, wenn auch etwas verkrampft. Er musste das Vertrauen dieser charmanten Betrügerin gewinnen, denn er brauchte das Geld, das ihm der Artikel bringen würde. Seit seinem ersten Honorar hatte er gespart, um sich einmal dieses Haus kaufen zu können. Und jetzt, wo es endlich zum Verkauf stand, musste er sich eben selbst verkaufen.

Er hoffte nur, es lohnte sich.

Amalie Dove war so nervös wie ein Amateur auf dem Hochseil. Und ihre Situation war damit durchaus vergleichbar. Es war noch ein Segen, dass Lacey als erfahrenes Model und Schauspielerin den schwierigeren Part übernommen hatte. Solange Amalie nicht erklären musste, weshalb sie ständig in Laceys Nähe war, und Lacey nicht zu sehr improvisieren musste, müssten sie dieses Verwechslungsspiel eigentlich durchstehen.

Und dann brauchten sie nur die nächsten vierzehn Tage die gleiche Komödie aufzuführen.

Du lieber Himmel. Amalies Hände zitterten, als sie automatisch das nächste Exemplar von „Black Velvet II“ aufschlug und zu Lacey hinüberschob. Worauf hatte sie sich da eingelassen? Warum hatte sie überhaupt diese ganze Betrügerei angefangen?

Wenn sie ehrlich war, hatte alles damit begonnen, dass sie der Veröffentlichung der ersten „Black-Velvet“-Sammlung zugestimmt hatte. Sie hatte dann die Situation noch verschlimmert, indem sie ein Foto ihrer früheren Zimmergenossin aus dem College an Pebblepond Press geschickt hatte, als die PR-Abteilung um ein Autorenfoto bat. Damals schien das nur ein kleines Vergehen zu sein, so hatte Amalie sich wenigstens zu beruhigen versucht. Wie hätte sie auch ahnen können, dass diese kleine Betrügerei zu einem solchen Schlamassel führen würde?

Amalie schlug wieder ein Buch auf. Gab es irgendeine Möglichkeit, aus der Sache noch heil herauszukommen?

Nein. Die PR-Tour stand fest, alle Hotels waren gebucht. Zehn Städte in vierzehn Tagen, Signierstunden und Presseauftritte. Da gab es keinen Spielraum mehr.

Amalie Jane Dove, die wirkliche Madame X, war in ihrer eigenen Falle gefangen.

„Und wie heißen Sie, mein Lieber?“ Laceys Stimme klang verführerisch, und Amalie schob ihr das Buch zu. Dabei warf sie einen kurzen Blick auf den Fremden. Denn obgleich Lacey die Rolle der Madame X den ganzen Abend perfekt gespielt hatte, hatte sie noch nie diesen zuckersüßen Tonfall gehabt, selbst nicht Norris Yount gegenüber.

„Thomas“, sagte der große Fremde mit dem dunkelblonden Haar. Er sprach leise, und seine Stimme klang dunkel und irgendwie gefährlich.

Amalie erschauerte, ohne zu wissen, warum.

Wie albern. Der Mann war alles andere als gefährlich, er war einfach ein Partygast. Jetzt erkannte sie ihn wieder. Er war ihr vorhin schon aufgefallen, weil er wie ein Panther im Käfig in der Halle auf und ab gegangen war. Außerdem trug er eine etwas zerknitterte braune Lederjacke über einem einfachen weißen Hemd zu ausgewaschenen Jeans, während die anderen Gäste sich tüchtig in Schale geworfen hatten. Und noch etwas war anders, sein ausgesprochen skeptischer Gesichtsausdruck. Aber er war sicher nicht gefährlich, das bildete sie sich nur ein.

Aus der Nähe sah der Mann wirklich extrem skeptisch aus, auch wenn er sich jetzt halbherzig bemühte, freundlich zu blicken. Aber das Lächeln wirkte aufgesetzt, die grünen Augen zynisch, und er strahlte insgesamt eine gewisse Aggressivität aus. Das bedeutet Gefahr, dachte Amalie alarmiert, und automatisch richtete sie sich auf.

„Thomas … und weiter?“, fragte Lacey unbekümmert und sah ihn von unten her an. Sie lächelte, und die roten Lippen glänzten feucht. Amalie warf Thomas schnell einen Blick zu. Sie kannte dieses Marilyn-Monroe-Lächeln. Schließlich hatte Lacey es im College ausdauernd vor dem Spiegel geübt und damit das Bad blockiert, während Amalie mit Duschhaube und Handtuch vor der Tür wartete.

Die meisten Männer schmolzen bei diesem Lächeln dahin. Nicht so dieser. „Jericho“, ergänzte er freundlich, beugte sich vor und sah Madame X tief in die Augen. „Ich hoffe, das genügt.“ Er zog lächelnd eine Augenbraue hoch und gab Lacey sein eigenes Exemplar von „Black Velvet II“ zum Signieren. Dadurch bekam der ganze Vorgang etwas Intimes.

Amalie war überrascht, dass sie so etwas wie Eifersucht empfand, und presste die Lippen zusammen. Sie war es zwar gewohnt, dass Lacey fast auf alle Männer anziehend wirkte, aber in diesem Fall hätte sie nichts dagegen gehabt, wenn dieser attraktive Mann sie, Amalie, auf diese Art und Weise angesehen hätte. Aber vielleicht hätte sie dann keinen Grund mehr, sich diese erotischen Fantasien auszudenken, die bei den Lesern so beliebt waren. Vielleicht war das der Preis, den sie zahlen musste.

Ein hoher Preis. Amalie seufzte leise und betrachtete die langen, offenbar sehnigen Beine des Fremden. Sie musste zugeben, dass sie für diesen männlichen Körperteil eine besondere Schwäche hatte, und Thomas war besonders gut gebaut. Vielleicht trug er deshalb auch diese ausgebleichten engen Jeans, obwohl sie fehl am Platz waren. Amalie musste lächeln.

Lacey hob langsam den Blick und sah Thomas dann direkt in die Augen, während sie etwas in das Buch schrieb. Amalie beugte sich ein wenig vor, um das Geschriebene lesen zu können. Für Thomas. 555-8192.

Amalie holte hastig Luft. Sie war so entsetzt, dass sie nicht merkte, wie Thomas sie überrascht ansah. Lacey unterschrieb mit einem besonders verschnörkelten „Madame X“ und hielt ihm lächelnd das Buch hin.

Amalie nahm es ihr schnell aus der Hand. „Das geht auf keinen Fall!“, zischte sie.

„Am…“ Lacey schluckte schnell den Rest des Namens herunter, da ihr gerade noch rechtzeitig einfiel, dass sie die Rollen getauscht hatten. „Äh … ich bin doch nur freundlich, meine Süße.“ Sie strahlte Amalie an. „Daran ist doch nichts verkehrt?“

„Doch“, flüsterte Amalie ihr ins Ohr. „Du kannst ihm doch nicht die Telefonnummer von Lacey Longwood in Manhattan geben, wenn du Amalie Dove bist, alias Madame X.“

„Aber sieh ihn dir doch an“, wisperte Lacey. „Er ist einfach hinreißend!“

„Das ist mir egal …“ Amalie stockte kurz, denn die Wahrheit sah ganz anders aus. „Also sollte es dir auch egal sein, Amalie!“

Lacey seufzte. „Wahrscheinlich hast du recht.“

Ja, leider, dachte Amalie. Sie entschuldigte sich kurz bei Thomas und steckte das Buch mit der Telefonnummer in ihre Tasche, die sie unter ihrem Stuhl verstaut hatte. „Sie haben hoffentlich nichts dagegen, Thomas“, sagte sie hastig und nahm ein neues Buch von dem Stapel. „Dieses hier ist genauso gut.“

Er sah sie verblüfft an, aber er forderte sein Buch nicht zurück. Zu spät fiel Amalie ein, dass sie durch ihr Verhalten eventuell seinen Verdacht erregt hatte. Egal, die schlimmste Katastrophe hatte sie gerade noch verhindern können.

Unter seinem prüfenden Blick fühlte sie sich ausgesprochen unbehaglich, obgleich sie sich doch vor wenigen Augenblicken noch gewünscht hatte, er möge sie ansehen. Das Blut stieg ihr in die Wangen, als er die Augen zusammenkniff und sie kühl musterte. Wie ein Panther, der seine Beute nicht aus den Augen ließ.

„Das ist für Sie, Darling“, sagte Lacey und presste die Lippen auf die Buchseite, genau unter ihre Unterschrift. „Das ist ein Extraservice nur für Sie, Thomas.“

Er blickte auf die Buchseite und lächelte kurz. Nur ein harmloser Fan, beruhigte Amalie sich.

Aber wenn er nun hinter etwas anderem her war?

Thomas nahm das Buch unter den Arm. „Jetzt, wo ich die mysteriöse Madame X kennengelernt habe, werde ich ihre Geschichten sicher noch aufregender finden.“ Er trat ein paar Schritte zurück, und wieder sah er zu Amalie hinüber.

Lacey zuckte leicht mit den Schultern und winkte ihm zum Abschied zu. Thomas nickte, aber er ließ Amalie nicht aus den Augen, während er sich langsam umwandte.

Obwohl sie seinen Blick gern erwidert hätte, tat sie es nicht. Ob gefährlich oder nicht, Thomas war ein enorm attraktiver Mann und schien merkwürdigerweise immun gegen Laceys verführerische Ausstrahlung. Irgendetwas hatte er in Amalie angerührt, sodass es ihr schwerfiel, auf ihre übliche zurückhaltende Art und Weise zu reagieren.

Aber sie musste es tun. Sie war hier unter falschen Voraussetzungen, und nur wenn sie ihre wahre Identität verriet, hätte ihre Bekanntschaft eine Zukunft. Zumindest in einem korrekten, ordentlichen Sinn.

Sofort war der Gedanke da: Warum sollte sie nicht endlich einmal etwas Verbotenes, Unkorrektes tun?

Himmel, sie war wohl nicht recht bei Trost. Wahrscheinlich kamen ihr solche Gedanken, weil sie ständig mit erotischen Abenteuern zu tun hatte. Aber es war besser für sie, wenn sie sich ihre Situation klar vor Augen hielt und solche Wünsche verdrängte. Sie war eine feige Autorin, die sich verleugnen ließ, und keine Femme fatale. Sie hatte zwar die tollsten erotischen Fantasien und konnte sie auch zu Papier bringen, aber sie hätte nie den Mut, sie auch auszuleben.

Langsam zog sie sich hinter die Buchstapel zurück. Normalerweise brauchte sie sich um zu viel Aufmerksamkeit keine Sorgen zu machen, wenn die attraktive Lacey an ihrer Seite war. Warum aber hatte sich dieser Mann anders verhalten?

Vorsichtig blickte sie über den Bücherstapel. Da hinten war er, sie erkannte ihn an seinem kräftigen dunkelblonden Haar, das ihm über den Kragen fiel, und an der Lederjacke, die seine breiten Schultern betonte.

Sie strich sich über das Gesicht, ihre Wangen glühten. Hatte irgendjemand ihre übertriebene Reaktion auf Thomas Jericho bemerkt? Strahlte sie nach außen die übliche Gelassenheit aus, obgleich sie wildes Verlangen empfand?

Offensichtlich. Lacey flirtete jetzt mit dem Filmschauspieler. Keiner bemerkte die unscheinbare Assistentin, weil aller Augen auf Madame X gerichtet waren. Genauso hatte Amalie es geplant.

Ich sollte erleichtert sein, dachte sie und strich sich mit den feuchten Handflächen über die Hüften. Wer weiß, was hätte passieren können, wenn sie es gewagt hätte, sich als Madame X zu erkennen zu geben.

„Ich war umwerfend als Madame X“, sagte Lacey. Sie warf das Haar zurück und deutete einen Knicks an, voller Grazie und Bescheidenheit, so als hätte man ihr gerade einen Oscar verliehen. „Ich möchte den Mitgliedern der Akademie danken …“

„Pst!“, zischte Amalie und drückte auf den Knopf, damit der Fahrstuhl sich in Bewegung setzte. Endlich allein. Sie seufzte vor Erleichterung und lehnte sich gegen die kühle Marmorwand.

Lacey kickte die Pumps von den Füßen und ließ sich dann neben Amalie gegen die Wand sinken. „Sag mir, dass ich fantastisch war, Amalie. Du weißt, wir Schauspieler wollen ständig bestätigt werden.“

Amalie war ehrlich. „Du warst toll. Du warst die perfekte Madame X.“ Sie schwieg kurz, und in ihrer Stimme klang so etwas wie Bedauern mit, als sie fortfuhr. „Du warst sehr viel eindrucksvoller, als ich jemals hätte sein können.“

Lacey zog die Augenbrauen hoch und schüttelte leicht den Kopf. „Ich bin immer noch der Meinung, du hättest den Part ohne Weiteres selbst übernehmen können. Du hast wunderschöne Augen und einen tollen Teint. Ein bisschen Make-up, ein Push-up-BH, eine neue Frisur, und du hättest die ganze Anerkennung selbst ernten können.“

„Ich wäre vor Verlegenheit gestorben.“ Amalie strich sich eine schwarze Strähne aus dem Gesicht. Sie war das genaue Gegenteil von Lacey. Lacey war eine hochgewachsene Blondine mit üppigen Kurven, Amalie dagegen klein und schlank mit einem Pagenschnitt wie Audrey Hepburn. Allerdings hatten sie beide blaue Augen, wobei Amalies Augen dunkler, beinahe veilchenfarben waren, und sehr ähnliche Stimmen. Beide kamen aus South Carolina, sprachen also mit einem starken Südstaatenakzent.

Lacey sah Amalie nachdenklich an. „Du solltest dich nicht länger verstecken, sondern zugeben, dass du Madame X bist. Das würde dir guttun.“

„Um dann den Medien und den Fans ausgeliefert zu sein? Vielen Dank. Dann würde ich lieber meine Tantiemen für ‚Black Velvet‘ zurückgeben.“

„Das meinst du doch nicht ernst?“

„Mir wird ganz elend, wenn ich mir die Reaktion der Inselbewohner vorstelle. Ich als Autorin von zwei Bänden erotischer Geschichten!“ Amalie lehnte den Kopf gegen die Wand und seufzte. „Du warst doch mal bei mir zu Hause, Lacey. Du weißt, wie ruhig und konservativ Belle Isle ist.“

„Und erst die … Senatorin!“

„Bitte, Lacey. Daran möchte ich lieber nicht erinnert werden.“ Amalie sah schnell nach oben und war froh, keine Überwachungskamera zu sehen. Bisher wussten noch nicht einmal die wenigen Leute von Pebblepond Press, die den wirklichen Namen von Madame X kannten, von ihren Verbindungen zu der Senatorin von South Carolina mit dem gleichen Nachnamen. Und sofern Lacey und Amalie ihre Maskerade als Madame X und deren unscheinbare Assistentin durchhielten, würden sie es auch nie erfahren.

Der Fahrstuhl stoppte im obersten Stockwerk. Hier im Penthouse hatte Norris Yount sein Büro. Amalie hielt die Fahrstuhltür auf, während Lacey wieder in ihre Pumps schlüpfte.

„Warum Mr Yount dich wohl sprechen will?“ Amalie war beunruhigt. Sie blickte den Flur hinunter, der mit einem dicken Teppich ausgelegt war. Am Ende des Flurs drang Licht aus einer offenen Bürotür.

Lacey trat aus dem Fahrstuhl. „Er will dir wahrscheinlich zu der gelungenen Buchpremiere gratulieren.“

Autor

Carrie Alexander
Von Anfang an stand fest, dass Carrie Alexander einen kreativen Beruf ausüben würde. Bereits als Kind hatte sie eine überaus lebhafte Fantasie, dachte sich Geschichten aus und malte viel.

Schließlich wurde sie Bibliothekarin. Sie versuchte sich in ihrer Freizeit an Horrorgeschichten und malte in Öl. Damals entdeckte sie ihre erste...
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