Tanz mit dem Boss

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Es ist die Chance ihres Lebens: Makayla tanzt bei einer Audition für ihren Traumjob vor. Sie muss alles geben - erst recht, da Manager Hudson Watt der Jury vorsitzt, ihre unerreichbare große Liebe. Wenn sie gewinnt, wird sie mit ihm als Boss leben müssen, wird jeden Tag gegen das drängende Begehren kämpfen, gegen ihre Gefühle und die Schatten der Vergangenheit. Aber Makayla braucht diesen Job unbedingt, sonst ist sie am Ende. Also tanzt sie um ihr Leben …


  • Erscheinungstag 01.08.2019
  • Bandnummer 22
  • ISBN / Artikelnummer 9783745750935
  • Seitenanzahl 180
  • E-Book Format ePub
  • E-Book sofort lieferbar

Leseprobe

Für Nics Supernovas, das beste Support-Team, das man sich wünschen kann.

Eure Ideen zu Titelbildern, Charakteren und durchtrainierten Traumtypen sind einfach unbezahlbar!

1. KAPITEL

Makayla Tarrant hatte sich in ihren vierundzwanzig Lebensjahren schon so manche Peinlichkeit geleistet.

Zum Beispiel die, als Siebenjährige bei ihrer ersten Ballettaufführung starr vor Ehrfurcht von der Bühne zu fallen.

Dann wäre da der Busenblitzer, als ihr mit sechzehn bei ihrem Bühnendebüt das Trikot verrutscht war.

Oder die Szene, wie sie vor wildfremden schmierigen Kerlen in einer Spelunke in Kings Cross gestrippt hatte, um ihrer Mum ein anständiges Begräbnis ermöglichen zu können.

Doch nichts davon kam auch nur annähernd an die Demütigung heran, die sie empfand, als sie in das bisher wichtigste Vortanzen ihres Lebens marschierte und feststellen musste, dass der Besetzungschef Hudson Watt war. Alles in ihr verkrampfte sich, wenn sie auch nur daran dachte.

Er war ihr bester Freund aus Jugendzeiten.

Ihr Vertrauter.

Ihr Kumpel, auf den in jeder Lebenslage Verlass war.

Der einzige Mann, dem sie je wirklich vertraut hatte.

Bis zu jener Nacht vor fünf Jahren, als er sie nackt auf der Bühne gesehen hatte und ihre Welt in sich zusammengebrochen war.

Seitdem hatte sie ihn nicht mehr gesehen. Seit den abscheulichen Anschuldigungen, die sie einander an den Kopf geworfen hatten. Er hatte sie abgestempelt, ohne ihr die Chance zu geben, sich zu erklären. Sie wiederum hatte ihn aus ihrem Leben gestrichen, ohne es auch nur eine Sekunde zu bereuen.

Na gut, das war gelogen. Zu einer Zeit, da der unerwartete Tod ihrer Mum sie aus der Bahn geworfen hatte, einer Zeit, in der sie ihren Freund am meisten gebraucht hätte, einer Zeit, in der sie das Undenkbare getan hatte, um ein anständiges Begräbnis bezahlen zu können, hatte sich Watson in ein voreingenommenes Scheusal verwandelt – und sie den besten Freund verloren, den sie je gehabt hatte.

Damals tat sie so, als würde es ihr nichts ausmachen, doch in Wirklichkeit hatte sie um ihre verlorene Freundschaft beinahe ebenso getrauert wie um ihre Mum.

„Die Nächste“, rief Hudson ungeduldig, während er die Seiten auf einem Klemmbrett umblätterte.

Makayla rührte sich nicht. Sie konnte nicht. Sie verharrte auf der linken Bühnenseite, die Füße noch schwerer als das Herz, und wünschte, sie hätte den Mut, sich einfach umzudrehen und wegzulaufen, bevor er sie sah.

Doch sie brauchte diesen Job dringend. Ihre Mitbewohnerin Charlotte wollte demnächst ausziehen, und Makaylas Teilzeitjob im Le Miel, der hippsten Patisserie von ganz Sydney, brachte nicht genug Geld für die Miete, von allem anderen ganz zu schweigen.

Sie hatte in den letzten Wochen für achtzehn verschiedene Rollen vorgetanzt. Vergebens.

Das Embue war der coolste Nachtclub in einer Stadt voller trendiger Hotspots, und als sie gehört hatte, dass dort für Liveshows gecastet wurde, hatte sie sich augenblicklich beworben. Sie war wild entschlossen gewesen, die erste Tanzrolle seit Monaten zu ergattern. Doch jetzt, wo sie Hudson vortanzen musste, schwand ihre Entschlossenheit rasant.

Mist.

Was in aller Welt sollte sie nur tun?

In diesem Moment hob er den Kopf, und ihre Chance, unbemerkt zu flüchten, war dahin.

Erschrocken riss er die Augen auf und öffnete überrascht den Mund, bevor er die Lippen zu einer schmalen Linie zusammenpresste. Dann runzelte er die Stirn. Dass er nicht gerade erfreut war, sie zu sehen, war keine große Überraschung angesichts des Schimpfworts, das sie ihm bei ihrer letzten Begegnung an den Kopf geknallt hatte.

„Hi, Hudson“, begrüßte sie ihn mit gespielter Begeisterung und schaffte es, lässig zu klingen. Doch ihre Hand zitterte, als sie ihm zuwinkte. „Lange nicht gesehen.“

Sie wand sich innerlich, so gelangweilt und klischeehaft kam ihr diese Begrüßung vor. Sie musste ihre Beine förmlich zwingen, sich in Bewegung zu setzen und zur Mitte der Bühne zu gehen. Wo sie im Scheinwerferlicht stehen würde. Entblößt. Verletzlich.

Verdammt.

Nachdem er sie eine gefühlte Ewigkeit angestarrt hatte, die Augen wie Laser, nickte er. „Mak. Du tanzt also für die Hauptrolle vor?“

Mak … Nur Hudson sprach diese kurze Silbe so aus, dass es sie tief berührte; wie eine warme Hand, die ihr träge und sanft über die Wirbelsäule strich. Seine Stimme kam ihr tiefer vor, heiserer als bei ihrer letzten Begegnung … als er ihr gemeine Unterstellungen an den Kopf geworfen hatte und ihre Freundschaft zerbrach.

„Mak?“

Verdammt, er hatte sie beim Tagträumen erwischt. Doch da eine Flucht jetzt nicht mehr infrage kam – sie würde ihm nicht die Genugtuung bieten, ihn ihren inneren Aufruhr erkennen zu lassen –, straffte sie entschlossen die Schultern.

„Ja. Ich würde furchtbar gern die Hauptrolle in der neuen Produktion des Embue tanzen! Vielen Dank für die Chance.“

Sie ließ ihm keine Zeit zu antworten, sondern nickte dem musikalischen Leiter kurz zu, damit er ihren Song startete.

Sie würde sich besser fühlen, sobald die Musik einsetzte. Die Furcht, derentwegen sich ihr der Magen zusammenzog, würde vergehen. Die Nervosität, die ihre Muskeln verspannte, würde nachlassen. Das war auch unbedingt nötig. Denn sie durfte dieses Vortanzen nicht vermasseln. Es stand zu viel auf dem Spiel.

Als der erste dröhnende Basston eines Lady-Gaga-Hits aus dem Soundsystem erklang, fühlte Makayla eine Welle der Ruhe über sich hinwegrollen.

Das hier war ihr Ding.

Musik und Tanz und rhythmische Bewegungen – das verstand sie.

Männer, die sie verließen, wenn sie sie am meisten brauchte, eher nicht.

Als das Tempo anschwoll, begann sie mit ihrer Darbietung. Steps und Drehungen und Kicks, eine energiereiche Choreografie, die den Zuschauer überwältigen sollte. Sie ließ sich von der Musik vereinnahmen, stampfte rhythmisch mit den Füßen und ließ die Arme in perfekter Synchronisation durch die Luft wirbeln.

So war es schon immer gewesen. Von dem Moment an, da sie als neugierige Dreijährige ihre Mum in einer Abendrevue in Kings Cross auf der Bühne hatte tanzen sehen und von den glitzernden Kostümen, dem Make-up und dem Applaus wie gebannt gewesen war.

Sie hatte ihre Mutter angehimmelt und genauso werden wollen wie sie. Hatte nach der gleichen Anmut und Eleganz und Bühnenpräsenz gestrebt. Aber Makayla wollte mehr. Mehr Ruhm. Mehr Anerkennung. Mehr.

Broadway. Der Olymp. Ihr Traum.

Doch sofern sie nicht bald eine Hauptrolle ergatterte, würde sich ihr Traum in Luft auflösen, ebenso wie das, was sich noch auf ihrem Bankkonto befand.

Der Song näherte sich dem Ende, und Makayla setzte zum Finale an, einem Lauf über die Bühne inklusive Spagatsprung, bevor sie elegant auf den Füßen landete, die Arme in Siegespose hochgerissen.

Die Musik verklang, und die Stille war ohrenbetäubend.

Bei einigen Castings hatte sie schon erlebt, dass die Intendanten nach herausragenden Darbietungen applaudierten.

Hudson zuckte nicht mal mit dem Mundwinkel.

Sie schluckte den wachsenden Kloß im Hals hinunter und trat an den Rand der Bühne, aus dem Scheinwerferlicht heraus.

Hudson kritzelte etwas, bevor er mit unergründlicher Miene zu ihr aufsah.

Ihr rutschte das Herz in die Hose, aber sie zwang sich zu einem Lächeln. Einem Lächeln, das umso verkrampfter wirkte, je länger er sie aus schmalen Augen anstarrte.

„Wir melden uns“, sagte er und entließ sie mit einem kurzen Nicken.

Vor Enttäuschung drohten ihr die Knie zu versagen, aber nicht um alles in der Welt würde sie ihn merken lassen, dass sie am Boden zerstört war.

Sie kratzte ihr letztes bisschen Mut zusammen und stolzierte von der Bühne.

Hinter dem goldenen Plüschvorhang angekommen, zeigte sie ihm den Stinkefinger.

2. KAPITEL

Hudson verkniff sich ein Lachen.

Mak hatte ihm den Stinkefinger gezeigt, als sie glaubte, er könne sie nicht mehr sehen. Aber das Embue war für seine vielen Spiegel bekannt, und so hatte er genau mitbekommen, was sie bei ihrem Abgang von der Bühne getan hatte.

Temperamentvoll. Frech. Selbstbewusst. Immer noch dieselbe alte Mak. Und dennoch war sie längst nicht mehr dieselbe.

Fünf Jahre war es her, dass er sie in diesem Stripclub in Kings Cross gesehen hatte, splitterfasernackt vor einem Haufen sabbernder Höhlenmenschen. Fünf Jahre, seit er Mist gebaut hatte. Und was für einen Mist!

Sie war seitdem aufgeblüht, ihre Kurven waren fraulicher, ihre Beine einen Hauch länger, ihre Augen hatten ein tieferes Blau, ihr Haar ein sattes, wunderschönes Kastanienbraun. Schon früher, als sie miteinander aufwuchsen, war Mak eine Wucht gewesen, doch jetzt konnte ihr Anblick einen Mann buchstäblich in die Knie zwingen und darum betteln lassen, wieder aufstehen zu dürfen.

Als er ihren Namen auf der Bewerberliste gesehen hatte, hätte er schwören können, dass sein Herz einen Schlag aussetzte – diese Wirkung hatte sie auf ihn. Schon immer gehabt.

Seine erste Reaktion, nämlich ihren Namen durchzustreichen, hatte er rigoros unterdrückt. Schließlich war es nicht ihre Schuld, dass er jene Nacht nicht auslöschen konnte, in der er ihren Striptease mit angesehen und sich deswegen mit ihr überworfen hatte.

Wie oft hatte er danach zum Telefon gegriffen, um sich zu entschuldigen? Um zu sehen, ob es ihr gutging? Um sie davon abzubringen, einen liederlichen Weg einzuschlagen, von dem er aus erster Hand wusste, dass er in einer Tragödie enden würde?

Unzählige Male versuchte er vergebens, sich die richtigen Worte zurechtzulegen. Er wollte ihr eine Standpauke über die Gefahren halten, mit dem Strippen leichtes Geld zu machen. Sie vor diesem Teufelskreis warnen. Wollte ihr den wahren Grund für seine Angst erzählen – in der Hoffnung, sie würde verstehen, wieso er dermaßen ausgerastet war.

Stattdessen legte er jedes Mal wieder auf, weil er wusste, dass Worte den Schaden, den er in jener Nacht angerichtet hatte, nicht wiedergutmachen konnten.

Er hatte in seiner Wut furchtbare Dinge gesagt, hasserfüllte Dinge. Und sie leider nicht mehr zurücknehmen können.

Eine Woche später verließ er Kings Cross, zog in ein kleines Apartment im Stadtteil Manly und nahm den Managerjob im Embue an. Er mied die Clubs im Cross aus Angst, Mak auf der Bühne zu sehen. Er hätte es nicht ertragen, zuzusehen, wie diese schmierige Welt ihr ihre angeborene Unschuld raubte.

Doch er dachte im Laufe der Jahre oft an sie. Manche Frauen waren unvergesslich, und Mak war eine von ihnen.

Ihren Namen auf der Bewerberliste zu sehen, versetzte ihm einen Stich. Konnte er ihr wirklich erneut beim Tanzen zusehen, wo sie doch beim letzten Mal nackt gewesen war? Er fürchtete, dass es all die alten Gefühle wecken würde: Verärgerung, Ekel und auch eine gute Dosis Eifersucht. Verrückte, außer Kontrolle geratene Emotionen, wo es ihm doch überhaupt nicht zustand, irgendetwas davon zu empfinden.

Zwei Tage lang hatte er gezögert, bevor er die Agentur angerufen und um eine Liste mit potenziellen Tänzern gebeten hatte, die er sich ansehen wollte. Bevor er seine eigene Entscheidung hinterfragen konnte, hatte er auch Maks Namen auf die Liste gesetzt.

Und nachdem er nun vor wenigen Minuten gesehen hatte, was sie draufhatte, war er froh.

Mak konnte tanzen. Wirklich tanzen. Sie besaß genau die Art von Talent, die das Embue zu dem Schauplatz für Liveshows machen würde.

Hudson war besorgt gewesen, ihr Auftritt könne ihn in jene entsetzliche Nacht vor fünf Jahren zurückkatapultieren und seine Objektivität als Produzent ruinieren.

Doch Gott sei Dank war dem nicht so gewesen. Ihre geschmeidigen Bewegungen, ihre Fähigkeit, einen kleinen Raum zu beherrschen, ihre Bühnenpräsenz hatten ihn in ihren Bann geschlagen.

Als Tänzerin war Mak ganz einfach eine Wucht.

Umso mehr bereute er es nun, in den vergangenen fünf Jahren verpasst zu haben, wie sie vom Teenager zur Frau gereift war. In einer Welt, in der er niemandem schnell vertraute, war Mak eine gute Freundin gewesen. Eine der besten, abgesehen von Tanner.

„Vortanzen beendet?“ Tanner ließ sich auf den Sitz neben ihn fallen und verschränkte die Hände hinter dem Kopf. „Abby kriegt nämlich langsam Angst bei all den langbeinigen Schönheiten, die hier zeigen, was sie zu bieten haben.“

Hudson schnaubte „Deine Freundin weiß ganz genau, dass du sie anbetest und sie dich fest an der Leine hat.“

„Sie ist die Beste.“ Tanners dümmliches Grinsen verursachte Hudson Brechreiz.

Nicht, dass er seinem besten Kumpel und Boss das Glück nicht gönnte. Wenn jemand es verdiente, dann Tanner, nach all dem Scheiß, den er als Kind hatte ertragen müssen. Aber seit Abby vor einem Monat auf der Bildfläche erschienen war, war Tanner nur noch ein Schatten seines früheren Selbst. Er starrte zu den unmöglichsten Zeitpunkten entrückt ins Leere. Er verließ den Nachtclub früh, um sich mit Abby Schnulzen anzusehen. Er hatte keine Lust mehr, mit ihm um die Häuser zu ziehen wie früher.

Beziehungen waren echt das Letzte.

Tanner legte die Fingerspitzen aneinander und die Hände in den Schoß. „Also? Verschwende ich bloß meine Zeit, wenn ich dir die Chance gebe, diese Live-Show auf die Beine zu stellen?“

Das hoffte Hudson definitiv nicht. Seine Idee musste einfach funktionieren. Er schuldete Tanner etwas, und seine Schulden bezahlte er immer.

„Ich muss nur noch die Hauptrolle besetzen, dann können die Proben beginnen.“

Tanner nickte nachdenklich. „Wie war Makayla?“

Hudson zuckte zusammen und bekam augenblicklich ein flaues Gefühl in der Magengegend. Eines, das in ihm den Wunsch weckte, irgendetwas zu schlagen. Vorzugsweise Tanner, sofern er mit Mak geschlafen haben sollte.

Die Frauen lagen Tanner zu Füßen, das war schon immer so gewesen. Und Hudson war ja auch nicht neidisch auf ihn. Schließlich konnte er selbst sich ebenfalls nicht beklagen. Aber die Vorstellung, dass seine Mak mit irgendjemandem … wobei sie ja gar nicht die Seine war. Nicht mehr. Eigentlich war sie es nie gewesen, nicht wirklich. Dafür hatte sein Tobsuchtsanfall in jener Nacht vor fünf Jahren gesorgt.

„Mak war gut.“ Nur mit Mühe gelang es Hudson, seine Stimme unter Kontrolle zu halten und so zu tun, als sähe er sich die Recall-Liste an. „Woher kennt ihr zwei euch?“

Tanner lachte so laut auf, dass es durch den Club hallte. „Mann, du solltest dein Gesicht sehen. Du siehst aus, als hättest du in eine Zitrone gebissen.“

„Leck mich“, knurrte Hudson. Der Drang, Tanner eine reinzuhauen, wurde von Minute zu Minute größer.

„Die passendere Frage ist doch wohl: Woher kennst du Mak?“

Tanners Lachen verklang zu einem Kichern. „Deinem finsteren Gesichtsausdruck nach zu urteilen, gehe ich davon aus, dass du sie wesentlich besser kennst als ich.“

„Du hast meine Frage nicht beantwortet, du Wichser.“

Mit aufreizender Gelassenheit und entschlossen, ihn schwitzen zu lassen, verschränkte Tanner die Finger und streckte die Arme nach vorn. „Makayla arbeitet zusammen mit Abby im Le Miel. Und als Remy im Krankenhaus war und ich dort ausgeholfen habe, habe ich sie kennengelernt.“

„Oh.“ Hudsons Empörung verpuffte, und er kam sich vor wie ein Idiot, weil er vor lauter Eifersucht nicht mehr klar denken konnte.

Er hatte kein Recht, eifersüchtig zu sein, was Mak anging. Und wenn sie mit ganz Nord-Sydney im Bett gewesen wäre, hätte es ihm nichts ausmachen dürfen. Aber das tat es. Tief in seinem Innern, dort, wo ein Teil von ihm sie noch immer schrecklich vermisste, dort machte es ihm etwas aus. Und zwar verdammt viel.

„Wenn du sie Mak nennst, kennst du sie wohl schon länger als ich?“ Tanner grinste, doch seine Neugier war offensichtlich.

Hudson hätte lügen können. Aber solche Spielchen trieb er nicht mit Tanner. Sie hatten gemeinsam zu viel durchgemacht seit ihrer Zeit auf der Kings Cross Highschool. Zwei Außenseiter ohne Mütter, die sich so gut wie möglich mit ihren Arschlöchern von Vätern durchzuschlagen versuchten.

„Mak und ich kennen uns schon ewig“, erklärte er und rieb sich die verkrampften Nackenmuskeln. „Als ich in den Clubs im Cross gearbeitet habe, sind wir uns ständig über den Weg gelaufen. Ihre Mutter war dort Tänzerin und Kellnerin, und so haben wir uns angefreundet.“

Tanner spürte wohl, dass eine ernste Geschichte dahintersteckte, denn statt weiterhin idiotisch zu grinsen, sah er einfach geradeaus. „Wie kommt’s, dass du sie damals nie erwähnt hast?“

Weil Mak nur ihm allein gehört hatte. Der einzige Lichtblick in einer miesen Welt. Jemand, dem er vertrauen konnte. Jemand, der verstand, was es bedeutete, im Cross aufzuwachsen, weil auch sie selbst tagtäglich mit diesen Herausforderungen zu kämpfen hatte.

Aber davon erzählte er Tanner nichts. Stattdessen zuckte er die Schultern. „Ich hatte keine Lust, mich von dir damit aufziehen zu lassen. Sie ist jünger als ich, und ich wollte sie schützen.“

„Der edle Sir Galahad“, spöttelte Tanner und setzte wieder sein dämliches Grinsen auf. „Was ist passiert?“

„Wir haben uns entzweit.“ Die Untertreibung des Jahrhunderts, wenn man bedachte, was für einen verbalen Schlagabtausch sie sich an dem Abend geliefert hatten, als er zufällig in den Club geschneit war und sie beim Strippen gesehen hatte. „Bin ihr seit Jahren nicht mehr begegnet.“

Mit spekulativem Blick lehnte Tanner sich näher. „Also habt ihr beide nie … du weißt schon?“

„Nein.“

Nicht, dass er es nicht gewollt hätte. Aber Mak war aufgrund ihres Alters tabu gewesen – und wenn er völlig ehrlich war, auch aufgrund ihrer Naivität. Sie hatte eine Unschuld ausgestrahlt, die in einer ansonsten schmutzigen Welt wie ein Leuchtfeuer gewesen war. In einer Welt der Zuhälter, Prostituierten, Drogen und Stripperinnen. Einer Welt, in der er notgedrungen hatte arbeiten müssen, von der er sich aber nicht verderben lassen wollte. Darum hatte er sich stets nach Kräften bemüht.

Das war einer der vielen Gründe, weshalb er an jenem Abend ausgeflippt war, als sie sich nackt auf der Bühne gewunden hatte.

Deswegen und wegen seiner Mum.

„Tja, Mann, keine Ahnung, was mit dir nicht stimmt. Makayla ist eine Granate, und wenn ich Single wäre, würde ich definitiv versuchen, bei ihr …“

„Halt die Klappe!“

„Woah, immer mit der Ruhe, Großer.“ Tanner hielt die Hände hoch. „Ich sage bloß meine Meinung. Und wenn du bei einer harmlosen Bemerkung schon so überreagierst, solltest du dringend mal wieder vögeln.“

Völlig daneben lag Tanner ja nicht, aber Hudson würde seinem nervtötenden Freund nicht die Genugtuung bieten, sich das anmerken zu lassen. Seit Hudson diese Show plante, hatte er keine Zeit für Dates gehabt. Sein letzter Sex lag mindestens drei Monate zurück. Vielleicht war das der Grund, weshalb er auf die Bühne hatte springen und Mak in die nächstbeste Garderobe schleifen wollen, als er sie vor zehn Minuten dort oben gesehen hatte?

Klar, als ob das der einzige Grund wäre.

„Ich muss die Recalls organisieren, wenn du mich also entschuldigen würdest, ich habe zu tun.“ Er wedelte mit dem Klemmbrett vor Tanners Nase, und Tanner grinste, als hätte er seine lahme Ausrede durchschaut.

„Geh vögeln, Kumpel. Dann stehst du nicht mehr so unter Druck.“ Tanner stand auf und klopfte ihm auf die Schulter. „Laut Abby hatte Mak schon ewig kein Date mehr, also solltet ihr zwei eure Freundschaft vielleicht wieder auffrischen.“

Hudsons wütenden Blick bekam Tanner nicht mehr mit, als er davonschlenderte und zum Abschied die Hand hob. Aber verdammt, der Ratschlag klang wirklich verlockend.

Liebend gern würde Hudson die Vergangenheit hinter sich lassen und nach vorn schauen, was Mak anging. Aber wie könnte er sich ihr als Freund nähern, wo sie doch soeben die Hauptrolle in seiner Tanzshow ergattert hatte?

Jetzt hatte er zwar seine Hauptdarstellerin gefunden, aber sobald er es ihr sagte, wäre alles außer einer rein professionellen Beziehung zwischen ihnen unmöglich.

Maks Talent hatte ihn umgehauen. Sie hatte sich diese Rolle verdient.

Aber wo blieb er dabei?

3. KAPITEL

Als Makayla das Le Miel erreichte, hatte sie sich bereits dreiundvierzig verschiedene Möglichkeiten ausgedacht, wie sie Hudson wehtun könnte.

Köpfen, ausweiden, beschneiden … wobei sie gar nicht wusste, ob er Letzteres nicht ohnehin schon durch hatte, denn so nah waren sie sich ja nie gekommen. Aber sie hatte große Lust, es ohne Betäubung zu tun.

Sein knappes, abgedroschenes „Wir melden uns“ fühlte sich an wie eine Verhöhnung und war ihr durch den Kopf gehallt, bis sie mehrmals gegen das Lenkrad ihres Wagens schlug. Geholfen hatte es nicht. Hoffentlich würde es ihr bessergehen, wenn sie bei Abby Dampf abließ.

Denn eines war Makayla völlig klar: Hudson würde nicht anrufen. So, wie sie vor fünf Jahren auseinandergegangen waren, hegte er nicht die geringste Absicht, sie anzurufen. Niemals.

Und selbst wenn doch – würde sie den Job annehmen? Könnte sie mit einem Kerl zusammenarbeiten, der sie als Charakterschwein verurteilt und damit ihre Freundschaft beendet hatte?

Sie hatte mitbekommen, was in der Entertainment-Gerüchteküche gemunkelt wurde. Dass mit der Hauptrolle im Embue eine gute Chance einherging, auch eine Rolle im neuesten Tanzspektakel zu bekommen, das in ein paar Monaten im Opernhaus inszeniert werden sollte. Und danach … tja, ein Engagement im Wahrzeichen von Sydney würde in ihrem Lebenslauf wahnsinnig gut aussehen, falls sie es je an den Broadway schaffen sollte.

Broadway … Ihr großer Traum, seitdem sie in ihr erstes Tutu und ihre ersten Stepptanzschuhe geschlüpft war.

In ihrer Jugend hatte sie sich im Internet stundenlang Videoclips der Shows in den vielen Theatern in Midtown-Manhattan angesehen und sich gewünscht, sie würde zum Ensemble gehören.

Ihre Mum hatte sich nie über ihre Träume lustig gemacht. Stattdessen hatte Julia Tarrant die große Liebe ihrer Tochter zum Tanz unterstützt und jeden Cent, den sie verdiente, in Makaylas Tanzstunden investiert. Erst als ihre Mum gestorben war, hatte Makayla erkannt, wie viele Opfer ihre Mum gebracht hatte: Julia besaß keinerlei Ersparnisse, dafür aber eine detaillierte Liste darüber, wohin ihr Geld im Laufe der Jahre geflossen war. Die Ausgaben zeigten deutlich, wie sehr Julia ihre Tochter geliebt hatte.

Makayla hatte ihre Mum vergöttert, und als sie feststellen musste, dass sie sich kein anständiges Begräbnis leisten konnte … hatte sie drastische Maßnahmen ergriffen und für einen einzigen Abend diesen Stripteasejob angenommen.

Den Abend, an dem Hudson durchgedreht und ihre Freundschaft zerbrochen war.

„Uff“, brummelte sie vor sich hin, denn heute würde sie das Beignet und den Cappuccino, mit dem sie üblicherweise ihre Schicht begann, nicht hinunterbekommen.

Von allen Besetzungschefs für eine Tanzshow musste sie ausgerechnet an Hudson geraten.

Wieso um alles in der Welt produzierte er überhaupt eine Tanzshow im Embue? Damals war er Laufbursche für die Clubs im Cross gewesen. Hatte jeden Job angenommen, den er bekommen konnte. Er hatte immer davon gesprochen, es aus dem Cross herauszuschaffen, wenn er älter wäre, und in die Clubszene einzusteigen. Wie kam es also, dass er jetzt eine Bühnenshow produzierte?

Sie betrat die Küche und knallte die Tür fester zu als beabsichtigt, sodass Abby zusammenschrak und ihr der Backpinsel aus der Hand auf die Arbeitsfläche fiel.

„Meine Güte, was hat dich denn so auf die Palme gebracht?“ Abby wedelte mahnend mit dem Zeigefinger. „Ist dir nicht klar, wie viel Präzision und Genialität nötig sind, um ein perfektes Zitronenörtchen zu kreieren?“

Makayla verdrehte die Augen. „Du könntest auch im Schlaf Gebäck zubereiten, und es würde köstlich schmecken, also hör auf zu jammern.“

„Autsch. Da hat aber jemand schlechte Laune.“ Abby runzelte die Stirn, als Makayla sich mit finsterer Miene auf den nächstbesten Hocker plumpsen ließ. „Hey, was ist denn los?“

„Ich hatte heute Morgen ein Vortanzen. Es lief nicht so gut.“ Makayla verschränkte die Arme und merkte, dass heute nicht einmal die köstlichen Zimt- und Zuckeraromen, die von den Öfen herüberströmten, ihre Stimmung aufheitern konnten. „Es war eine große Sache. Und ich hab mir den Arsch abgetanzt.“

Besorgt runzelte Abby die Stirn. „Und sie haben sofort Nein gesagt?“

„Hudson meinte ‚Wir melden uns‘.“ Sie malte mit den Fingern Anführungszeichen in die Luft. „Aber das hab ich schon oft gehört.“

„Hudson? Ich kenne einen Typen namens …“

„Ja, er ist Tanners bester Freund. Ich wusste nicht, dass er im Embue arbeitet, als ich mich angemeldet habe, sonst hätte ich gar nicht erst vorgetanzt.“

Abby hatte ihre unausgesprochene Frage soeben beantwortet, aber Makayla musste ganz sichergehen. „Du und Tanner hattet doch nichts damit zu tun, dass ich für die Hauptrolle vortanzen durfte, oder?“

Verwirrt schüttelte Abby den Kopf. „Ich wusste gar nichts davon, und Tanner würde so was auch nicht machen. Er lässt seinen Mitarbeitern freie Hand und kümmert sich bloß um die finanzielle Seite.“

„Das dachte ich mir.“ Makayla sackte auf ihrem Hocker noch weiter in sich zusammen. Sie hätte sich freuen sollen, sich aus eigener Kraft ein so wichtiges Vortanzen verschafft zu haben. Doch sie konnte nur daran denken, dass diese Rolle längst ihr gehören würde, wenn jemand anderes für die Besetzung zuständig gewesen wäre.

„Ich kenne Hudson nicht gut, aber er scheint nett zu sein.“

„Er ist ein Arschloch.“

Das war nicht ganz wahr, und sie fühlte sich augenblicklich schuldig, weil sie es gesagt hatte. Hudson war einer von den Guten. Zumindest war er das gewesen, bis er durchgedreht war, ihr Vorhaltungen gemacht und sie zurechtgewiesen hatte, ohne überhaupt zu wissen, warum sie sich ausgezogen hatte.

Sie war von der Heftigkeit seines Zorns wie benommen gewesen. Hudson hatte ihr keine Chance gelassen, es ihm zu erklären. Er hatte an diesem Abend, an dem er sie strippen sah, sowieso nicht viel getan – außer hinter der Bühne die Beherrschung zu verlieren und wie ein Wahnsinniger zu schimpfen. Sie war schon beschämt genug gewesen, sich vor einem Raum voller sabbernder Idioten auszuziehen, aber sie hatte es durchgestanden, indem sie den Club und jeden darin ausgeblendet und sich ausschließlich auf ihre Mum konzentriert hatte.

Dann hatte Hudson seinen Sturm der Empörung über ihr entfesselt, und das zu einem Zeitpunkt, zu dem sie seine Unterstützung ganz dringend gebraucht hätte. Sie würde ihm niemals verzeihen, und das hatte sie ihm auch gesagt.

Abby wischte sich die Hände ab und setzte sich neben Makayla. „Was ist passiert?“

„Nichts.“ Sie schloss die Augen, atmete tief ein und öffnete sie wieder. „Na gut, das stimmt nicht ganz. Hudson und ich waren mal dicke Freunde. Und dann waren wir’s nicht mehr. Und als ich heute zum Vortanzen erschienen bin, war er der Besetzungschef, also ist es nur logisch, dass es das für mich war.“

Abby zog eine Augenbraue hoch. „Ich weiß ja nicht, was zwischen euch vorgefallen ist, aber glaubst du echt, dass er so kleinkariert ist?“

„Wer weiß?“ Sie griff sich ins Haar und band es wieder zu einem Pferdeschwanz. Auch das beruhigte sie nicht. Sie war aufgebracht und durcheinander, seit sie auf die Bühne im Embue marschiert war und dem Teufel in die Augen gesehen hatte. „Wir sind nicht gerade im Guten auseinandergegangen.“ Sie hob eine Hand. „Und bevor du fragst, so ist das Leben. Mehr habe ich dazu nicht zu sagen.“

„Okay.“ Abby warf ihr einen Seitenblick zu. „Du glaubst also, Hudson beurteilt dich nicht nach deinem tänzerischen Können? Dass er sich von eurer Vorgeschichte beeinflussen lässt?“ Abby schüttelte den Kopf. „Das wäre aber nicht besonders professionell von ihm.“

Bevor Makayla antworten konnte, klingelte ihr Handy. Sie zog es aus der Tasche und sah aufs Display: eine unbekannte Nummer.

„Ich warte noch auf die Rückmeldung von einem anderen Vortanzen, da muss ich also rangehen“, erklärte sie. Abby nickte, und Makayla nahm den Anruf entgegen. „Makayla Tarrant.“

„Hey, Mak, ich bin’s.“

Scheiße. Sie kannte dieses „ich“.

Und er war der letzte Mensch, mit dessen Anruf sie gerechnet hätte.

Sie brachte ein kurzes „Hi“ heraus, bevor er fortfuhr.

„Ich wollte dir Bescheid geben, dass dein Vortanzen beeindruckt hat. Komm doch bitte vorbei, damit wir reden können.“

Sie sollte ihm danken. Begeistert klingen. Aber ihr stand vor Schock der Mund offen, und sie konnte nur eines denken: Ich habe die Chance, einen tollen Job an Land zu ziehen, bei dem ich mit einem weniger tollen Typen zusammenarbeiten muss.

„Mak?“

Sie räusperte sich. „Klar, ich komme vorbei, danke. Wann brauchst du mich?“

Verdammt, das kam falsch rüber. Aber ihm schien es zu gefallen, denn er kicherte. „Kannst du heute Abend so gegen sieben ins Studio im Embue kommen?“

„Gut“, erwiderte sie. Sie war noch immer überrascht von seinem Angebot, schaffte es aber, gelassen zu klingen. „Bis dann.“

Sie legte auf, bevor er noch etwas sagen und sie noch mehr durcheinanderbringen konnte, und starrte ungläubig auf ihr Handy.

„Gute Nachrichten?“ Abby berührte sie am Arm, und Makayla nickte.

„Hudson lädt mich zum Recall ein.“

„Das ist ja toll, Süße!“ Abby beugte sich vor und umarmte sie. „Siehst du? Ich sag doch, er ist ein netter Typ.“

„Ja …“ Mak klang keineswegs überzeugt.

Etwas an Hudsons Tonfall störte sie. Ein Hauch von Herablassung? Als würde er ihr einen Riesengefallen tun. Wahrscheinlich spielte ihr lediglich ihre hyperaktive Fantasie einen Streich, aber einen Augenblick lang überlegte sie, ob sie ihn zurückrufen und ein vorheriges Engagement als Ausrede vorschieben und ihm absagen sollte.

Was ziemlich dumm wäre, wo sie diesen Job doch dringend brauchte und er ihr Sprungbrett zu Größerem sein konnte. Aber sie hatte kein Mitleid nötig, von niemandem, und auf keinen Fall würde sie kneifen, ohne es überhaupt versucht zu haben.

„Auch auf das Risiko hin, dass du mir den Kopf abreißt, gebe ich dir jetzt einen Rat.“ Abby sah ihr überraschend ernst in die Augen. „Das Tanzen ist dein Leben, nicht die Teilzeitarbeit in einer Patisserie, um deine Rechnung bezahlen zu können. Also was auch immer zwischen euch beiden vorgefallen ist, vergiss es und konzentrier dich darauf, das Beste aus dieser Chance zu machen, okay?“

Makayla gab nur ein zustimmendes Knurren von sich. „Seit wann bist du denn so weise?“

Abby grinste und tippte sich an die Schläfe. „Nach dem Chaos, das ich noch bis vor Kurzem mein Leben nannte, habe ich wohl das eine oder andere darüber gelernt, wie man die Vergangenheit hinter sich lässt.“

„Danke, Abs.“ Makayla beugte sich vor und umarmte ihre Freundin. „So eine Tanzrolle wie diese habe ich mir schon so lange gewünscht. Also werde ich diesen Recall für mich entscheiden, und wenn es mich umbringt.“

Dass sie sich dazu nach Feierabend in einem hippen Club mit einem Typen treffen musste, der einmal ihr bester Freund gewesen war? Überhaupt kein Problem.

Nicht wirklich.

4. KAPITEL

Hudson kam dieser Tage nicht mehr oft nach Kings Cross. Was weniger damit zu tun hatte, dass er seiner Vergangenheit entfliehen wollte, als damit, dass er sich weiterentwickelt hatte. Aber Bluey McNeil hatte ihn angerufen, und wenn der Mann anrief, der ihm zu seinem ersten Job verholfen hatte, dann sprang Hudson über seinen Schatten.

Bluey klang nicht gut. Er hatte während des kurzen Gesprächs dreimal gehustet. Ein trockener Husten, bei dem Hudson an Blueys tägliche Schachtel Zigaretten denken musste und daran, wie ausgezehrt er ausgesehen hatte, als er ihn vor drei Monaten das letzte Mal gesehen hatte.

Eine böse Vorahnung ließ Hudson schneller gehen, als er den berühmten El-Alamein-Brunnen umrundete, die Kneipe passierte, in der er seinen Vater unzählige Male volltrunken vorgefunden hatte, und den kleinen Jazzclub betrat, der treffenderweise Bluey’s hieß, nach seinem Besitzer.

Obwohl draußen die Sonne schien, herrschte im Club tiefste Nacht. Zwischen schwarzen Vorhängen strahlten Wandleuchter, und künstliche Kerzen sorgten für eine intime Atmosphäre. Ein paar Gäste saßen an den Tischen um die kleine Bühne herum, auf der ein einzelner Saxofonist spielte. Der Junge war kaum älter als zwanzig und nicht schlecht. Und offensichtlich war auch er eines von Blueys Wohltätigkeitsprojekten, so wie Hudson einst.

„Hey, Zwerg, danke, dass du gekommen bist.“ Eine Hand schlug ihm auf den Rücken, und Hudson grinste. Er war ein Spätzünder gewesen, weshalb Bluey ihn immer Zwerg genannt hatte. Der Spitzname war ihm geblieben, selbst als er mit siebzehn auf über eins achtzig in die Höhe schoss.

Doch als Hudson sich zu seinem alten Freund umdrehte, verging ihm das Grinsen. Bluey sah furchtbar aus. Ein wandelndes Skelett. Dünn wie Pergament spannte sich die Haut über seinen Wangenknochen. Tiefe Falten umringten seinen Mund. Und seine Blässe ließ erahnen, wie krank er war.

„Jederzeit, du alter Halunke.“ Hudson drückte Bluey auf Männerart an sich und war nicht überrascht, dass er die Arme hinter Blueys Rücken inzwischen hätte verschränken können. Bluey hatte enorm viel Gewicht verloren, und aus Hudsons böser Vorahnung von vorhin wurde handfeste Panik.

Autor

Nicola Marsh
Als Mädchen hat Nicola Marsh davon geträumt Journalistin zu werden und um die Welt zu reisen, immer auf der Suche nach der nächsten großen Story. Stattdessen hat sie sich für eine Karriere in der Gesundheitsindustrie entschieden und arbeitete dreizehn Jahre als Physiotherapeutin

Doch der Wunsch zu schreiben ließ sie nicht los...
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