Tiffany Pure Lust Band 8

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NUR EINE NACHT MIT DEM BAD BOY? von ANNE MARSH
Lederjacke, Tätowierungen auf beiden Armen. Rev verströmt eine Aura der Gefahr und löst in Evie ein Kribbeln aus, wenn sie auf seinem Motorrad durch die Wüste rasen. Leider gehört Evies Bruder einer rivalisierenden Rockergang an, und bald gerät sie zwischen die Fronten …

RIVALEN AUS LEIDENSCHAFT von JC HARROWAY
Ausgerechnet Jack Demont, ihr Schwarm aus Teenager-Jahren und jetzt Architekt, schnappt Harley das Morris Building vor der Nase weg. Die Rivalität zwischen ihren Familien brandet hoch – genau wie die erotische Spannung zwischen ihnen. Als sie der Leidenschaft nachgeben, stellt sich nur noch eine Frage: Können Harley und Jack den alten Groll hinter sich lassen?


  • Erscheinungstag 30.09.2023
  • ISBN / Artikelnummer 8054230008
  • Seitenanzahl 320

Leseprobe

Anne Marsh, JC Harroway

TIFFANY PURE LUST BAND 8

1. KAPITEL

Eve

Sehen Sie das große, rosa Wohnmobil gleich da vorn am Lake Mead? Kaum zu übersehen. Ich habe es an beiden Seiten mit glitzernden Regenbogen und Einhörnern bemalt, und mittendrin prangt mein Geschäftsname. Perfectly Princess Parties. Der ganze Glitzerkram ist tolle Werbung, so, als würde ich mit einer mobilen Reklametafel durch Las Vegas fahren.

Die besagte Partyprinzessin, das bin ich – und es gibt kein einziges fünfjähriges Mädchen (und ehrlich gesagt auch keinen Jungen) in Vegas, das in mir nicht die Heldin all seiner Märchenträume sieht. Ich habe mich auf Geburtstagspartys spezialisiert – wir sind das Entertainment vor dem Kuchen. Mit unseren Prinzessinnenkleidern, unserem Glitter und unserer Show schlagen wir unser Publikum dermaßen in den Bann, dass es so werden will wie wir, wenn es groß ist. Irgendwann im Alter zwischen fünf und fünfundzwanzig merken diese Mädchen meistens, dass mehr als Kleid und Krönchen nötig sind, um Herrin über das Universum zu sein, aber solange die Fantasievorstellung andauert, macht sie einen Riesenspaß. Und ja, ich bin zynisch. Man begegnet in meinem Geschäft mehr Fröschen als Prinzen.

Da heute gefühlte fünfhundert Grad in Vegas herrschen, halten wir unsere monatliche Mitarbeiterbesprechung am See ab. Er ist ebenso künstlich wie die meisten Attraktionen der Stadt, aber trotzdem einfach herrlich. Wir sind unsere Buchungen der nächsten Monate durchgegangen, haben neue Partyideen besprochen und die Arbeit in unserem kurzzeitigen Vorstandsbüro (dem Picknicktisch unter einem besonders knorrigen Joshua Tree) dann gegen ein wohlverdientes Bad im See eingetauscht.

Ich lasse mich im Wasser treiben und versuche so zu tun, als würde ich nicht noch immer über unsere nötige Gewinnmarge und darüber nachdenken, wie wir neue Aufträge an Land ziehen können. Finanziell sind wir noch nicht in trockenen Tüchern. Ich lege den Kopf zurück, und so entspannt und verkehrt herum sieht alles gleich viel besser aus. Meine drei Teilzeitprinzessinnen arbeiten zwar nebenher noch als Showgirls auf dem Strip, aber immerhin können sie ihre Rechnungen bezahlen. Unser singender Drache ist ansonsten Elvis-Imitator. Gerade summt er einer meiner Mitarbeiterinnen in bester King-Manier etwas vor. Wir alle gönnen uns diesen Moment, um auf andere Gedanken zu kommen und Spaß zu haben. Irgendwann erreichen wir sie schon noch – die finanzielle Sicherheit, die gesicherte Rente und die Vollzeittätigkeit.

Der Einzige, der nicht hier ist? Rocker. Mein Geschäftspartner und kleiner Bruder, der mir hoch und heilig versprochen hatte, sich hier mit uns zu treffen, aber wieder einmal nicht aufgetaucht ist. Er arbeitet in einer Autowerkstatt und fertigt Wunschlackierungen an. Außerdem ist er Mitglied im Black Dogs Motorradclub. Er schwört, der Club sei grundehrlich und alles, was man im Fernsehen sieht oder im Internet lesen kann, sei zu achtundneunzig Prozent Erfindung.

Was mir Sorgen macht, sind die restlichen zwei Prozent.

Mein kleiner Bruder ist mittlerweile stattliche eins neunzig groß. Ich habe Rocker praktisch großgezogen, nachdem unsere Eltern uns haben sitzen lassen, und ich habe mein Bestes gegeben. Geld und Bildung – diese beiden Dinge geben einem Sicherheit, helfen einem aus einem schlechten Viertel heraus in ein besseres. Das Prinzessinnenparty-Unternehmen ist unser Erste-Klasse-Ticket raus aus East Las Vegas. Irgendwohin, wo es sicher ist. Ich weiß vielleicht nicht viel über Clubs und deren Farben, aber ich weiß, dass Biker und sicher nicht unbedingt verwandte Begriffe sind – und Rocker hat in letzter Zeit ziemlich geheimnisvoll getan.

Es platscht an meinen Füßen, und jemand zieht mir an den Zehen. „Die Kavallerie ist hier.“

Ich richte mich reflexhaft auf und stoße dabei mit dem Hintern auf den Grund des Sees. Carlie lacht, starrt aber bereits mit sehnsüchtigem Blick die Straße hinauf. Mein Bruder hat sich zu einem ziemlich heißen Kerl entwickelt, und das Bad-Boy-Biker-Image ist für einige meiner Angestellten wie das Sahnehäubchen auf dem Eisbecher. Carlie fährt sich mit den Fingern durch die Haare und rückt sich den Busen in ihrem winzigen Bikinioberteil zurecht – eindeutige Rocker-Vorkehrungen.

Und tatsächlich rast da eine große, glänzende, viel zu laute Harley mit siebenfacher Schallgeschwindigkeit auf unseren Lagerplatz zu. Rocker fährt zu schnell. Und er bremst auch zu schnell und zu hart, sodass er in einer Staubwolke neben dem Wohnmobil zum Stehen kommt. Ich wate aus dem See, schnappe mir mein Handtuch und wappne mich gegen seine Ausreden. Er ist unglaublich kreativ, wenn es darum geht, seine Abwesenheit zu erklären.

„Ich komme wohl zu spät zur Party.“ Rocker verzieht den Mund zu einem hinreißend reumütigen Grinsen. Objektiv betrachtet sehe ich genau, weshalb Carlie von meinem Bruder schwärmt. Dunkelblonde Bartstoppeln liegen wie ein Schatten unter seinen unglaublich hohen Wangenknochen, und das Haar fällt ihm zerstrubbelt ins Gesicht, was irgendwie verrucht wirkt. In abgewetzten Jeans und beeindruckenden schwarzen Motorradstiefeln sieht er ganz schön lässig aus.

Er schwingt sich von seinem Bike und zieht mich grinsend in seine Arme. Genau deshalb kann ich ihm nie lange böse sein – egal, was wir in der Zwischenzeit getan haben oder wie unregelmäßig wir uns mittlerweile sehen, er freut sich immer, mich zu sehen. Er liebt mich und scheut sich nicht, das auch zu zeigen. Hinter mir versagen Carlie beinahe die Knie, als er mich zärtlich auf die Stirn küsst. Ein Kerl, der keine Angst hat, seine Gefühle zu zeigen, ist nicht nur ein Märchenprinz, sondern mindestens genauso selten.

„Ist zu spät zu kommen jetzt in, Rocker?“

Er schnippt mir sanft gegen die Nase. „Ich wurde aufgehalten. Club-Angelegenheiten.“

Es sind immer Club-Angelegenheiten. „Ich hätte dich hier gebraucht.“

Er sieht sich demonstrativ um. „Sieht so aus, als hättest du alles im Griff.“

Mhm. Diese Unterhaltung ist weder neu noch wird sie mit der Zeit besser. „Ich dachte, wir sind Partner.“

„Ich bin der stille Teilhaber, der das Startkapital geliefert hat. Du steuerst den Grips bei.“

Wieder ein unbefangenes Lächeln, aber ich merke, dass das Thema für ihn erledigt ist. Und er hat ja nicht ganz unrecht. Ich brauche vor den Müttern ein blitzsauberes Image – also tut er mir im Grunde sogar einen Gefallen, indem er unter dem Radar bleibt. Außerdem schwingt er sich einfach wieder auf sein Bike und haut ab, wenn ich ihn zu sehr unter Druck setze.

„Du siehst müde aus.“ Das ist keine Höflichkeitslüge – er hat dunkle Augenringe, und sein hübsches Gesicht sieht etwas mitgenommen aus.

„Der Club hält mich auf Trab.“ Sein Tonfall macht deutlich, dass wir auch diesem Thema nicht weiter auf den Grund gehen werden.

„Du weißt, dass du jederzeit bei mir arbeiten kannst, wenn du willst.“ Darüber haben wir zwar schon ungefähr eine Million Mal geredet, aber ich kann es gar nicht oft genug sagen. Ich werde immer für Rocker da sein.

Er deutet mit dem Kopf auf das Wohnmobil. „Kannst du dir im Ernst vorstellen, dass ich dieses Ding fahre?“

„Was hast du gegen das Prinzessinnenmobil?“ Zugegeben, der Spritverbrauch ist enorm, aber es bringt uns ans Ziel und ist großartige Werbung. All meine Kostüme und Requisiten passen rein, und es befördert meine Prinzessinnen von einer Party zur nächsten.

Rocker ist gerade dabei, sämtliche Gründe aufzuzählen, weshalb ein fahrbarer Untersatz in Rosa nichts für ihn ist, als sein Handy klingelt. Er sieht aufs Display und verschwindet kurz, um den Anruf entgegenzunehmen.

„Ich muss los“, erklärt er, als er wieder zurückgeschlendert kommt.

Er drückt mich kurz mit einem Arm an sich. „Sei vorsichtig, Evie, mir zuliebe!“

„Ich bin immer vorsichtig“, erwidere ich, und traurigerweise ist das die Wahrheit.

„Versprich’s mir“, beharrt er, und es scheint ihm wirklich ernst zu sein.

„Geht’s auch etwas deutlicher?“

Er flucht. „Evie …“

„Hat es irgendwas mit deinem Club zu tun?“ Ich zeige auf das Abzeichen auf seiner Lederweste. Am liebsten würde ich ihm das Ding von der Brust reißen, aber damit wäre das Problem nicht gelöst.

„Kann sein. Es braut sich Ärger zusammen“, sagt er langsam. „Vertrau mir. Du willst keine Einzelheiten hören, Evie. Aber ich hab alles im Griff. Du musst dir keine Sorgen machen.“

Manche Dinge ändern sich nie: Rocker schwört, er hätte eine Sache unter Kontrolle, ich mache mir Sorgen, und dann schmiede ich ein halbes Dutzend Pläne, um besagte Sache aus der Welt zu schaffen. Ich liebe meinen kleinen Bruder, aber ich halte nichts von dem Lebensstil, den er sich ausgesucht hat. Seine Biker-Kumpel bedeuten Ärger. Heute allerdings will er wirklich nicht über das reden, was auch immer ihn beschäftigt, also nicke ich und verspreche ihm, ganz besonders vorsichtig zu sein. Er schwingt sich auf sein Bike und rast schneller los, als ich ihn je habe fahren sehen. Was auch immer sich da an Ärger zusammenbraut, muss wirklich übel sein.

Sein Abgang kann sich sehen lassen – er ist sogar noch spektakulärer als das Prinzessinnenmobil. Samantha kommt zu mir herüber und fächelt sich Luft zu.

„Meine Güte, ist dein Bruder heiß.“

Ich lächle gezwungen, auch wenn die Attraktivität meines Bruders das Letzte ist, worüber ich mit meinen Co-Prinzessinnen diskutieren will. Ich habe größere Sorgen. „Es gibt Dinge, die ich nicht unbedingt hören will.“

„Wer ist heiß? Und plaudern wir jetzt aus dem Nähkästchen?“ Carlie watet aus dem See und kommt zu uns.

„Rocker hat Ärger.“

Samantha legt mir den Arm um die Schultern und drückt mich sanft. „Du musst aufhören, dir Sorgen um diesen Mann zu machen. Er ist erwachsen und kommt schon klar.“

„Komisch. Genau deshalb mache ich mir ja Sorgen. Alles war viel einfacher, als er noch Angst vor den Monstern im Kleiderschrank hatte.“

„Denk lieber darüber nach, mal wieder auszugehen oder dich zumindest mal wieder flachlegen zu lassen“, entgegnete Samantha. „Frag Rocker doch, ob er dich einem heißen Biker vorstellen kann.“

„Keine Biker“, sage ich mit Nachdruck.

„Echt nicht?“ Carlie klingt skeptisch.

Biker sind faszinierend, aber in der Datingwelt sind sie quasi die Eisbären – ein Nur-gucken-nicht-anfassen-Typ von Mann, dem man lieber im Zoo als in freier Wildbahn begegnet. Von außen verdammt reizvoll, aber im Innern wild und ungezähmt. Ich liebe Bad Boys, aber ich bewundere sie lieber aus sicherer Distanz.

„Biker sind Bad Boys. Auf so was kann ich verzichten.“

„Und wenn du nun einen Bad Boy mit einem Herzen aus Gold finden würdest?“

Bleiben wir realistisch. „Bevor ich so einen finde, bin ich neunzig. Ich will jemand Nettes.“

„Aber stell dir den Sex vor. Laaaaangweilig.“ Samantha schneidet eine Grimasse und watet zurück in den See. Während sie einen spektakulären Bauchklatscher ins kühle Nass macht, werfe ich einen Blick auf mein Handy. In zwanzig Minuten müssen wir unterwegs sein, sonst geraten wir in den Verkehr. Aber fünf Minuten sind noch drin.

Ich wate auch wieder ins Wasser zu meinen Mädels. „Ich hatte so lange keinen Sex mehr, dass ich schon gar nicht mehr weiß, wie es geht.“

Das ist natürlich übertrieben, aber sowohl Carlie als auch Samantha sehen mich an, als hätte ich soeben verkündet, es würde nie wieder eine Episode von Game of Thrones geben. Und keine Schokolade mehr im ganzen Land. Oder Wein.

„Aber jeder hat doch Sex! Hast du irgendwas Ansteckendes? Oder irgendein Gelübde abgelegt, das dich davon abhält?“

„Nicht jeder muss Sex haben. Nicht jeder will Sex haben.“ Meistens bin ich nach der Arbeit eh viel zu müde, um mir überhaupt Gedanken ums Ausziehen zu machen, geschweige denn darum, mich auf sexy Art auszuziehen und dann dafür zu sorgen, dass mein Kerl auf seine Kosten kommt. In den letzten achtzehn Monaten habe ich zwölf Stunden am Tag gearbeitet, um mein Prinzessinnenparty-Geschäft ins Rollen zu bringen, und langsam zahlt sich die Mühe aus.

„Da müssen wir dringend was tun!“ Carlie wirft Samantha einen Blick zu, den ich problemlos deuten kann. Die beiden haben keinerlei Hemmungen und regelmäßig fantastischen Sex (zumindest klingt es so, wenn sie davon erzählen – und glauben Sie mir, damit halten sie nicht hinterm Berg).

Samantha nickt und geht zu ihrer Handtasche. Ein paar Sekunden später kommt sie mit ihrem Handy in der Hand eilig zurück ins Wasser und tippt wie eine Wahnsinnige darauf herum. Internetsurfen im Wasser – da scheint mir die Katastrophe schon vorprogrammiert zu sein. Vielleicht sollte Apple sich mal was Wasserdichtes einfallen lassen, aber bisher sind sie wohl noch nicht auf diese Idee gekommen.

„Wir besorgen dir einen One-Night-Stand“, verkündet Samantha.

„Wie wär’s mit dem?“ Carlie tippt ein Foto auf dem Smartphone an, aber Samantha schüttelt so energisch den Kopf, dass ich jede Menge Wasser abbekomme (ihr Handy auch – sie lebt echt gefährlich).

„Der Typ ist Renn- und kein Fernfahrer, wenn du verstehst, was ich meine. Eve braucht jemanden mit Ausdauer. Sie hat eine Dürreperiode aufzuarbeiten.“

In Gedanken vergleiche ich die Ausdauer meiner zwei bisherigen festen Freunde (beide wären bei jeder Sprint-Olympiade echt starke Goldmedaillenanwärter), während Carlie und Samantha sich die nächsten Minuten lang verschiedene Single-Männer ansehen und als ungeeignet abtun. Schließlich bleiben sie an einem dunkelhaarigen süßen Typen mit nettem Gesicht und markantem Kinn hängen. Er trägt Anzug und Krawatte, aber das kann genauso gut Zufall sein. Vielleicht hat Samantha ihn bei einem Begräbnis oder einer Hochzeit abgelichtet.

„Jack Turner.“ Samantha tippt aufs Display, und Jacks Bild wird größer. „Er ist Vizepräsident von irgendwas in einem Kasino. Achtundzwanzig, zurzeit Single, war nie verheiratet und hat ein eigenes Haus. Er soll echt gut darin sein, seiner Partnerin den Vortritt zu lassen. Ich mag Männer mit Manieren.“

Ich sehe mir sein Gesicht an. Er wirkt normal. Andererseits sind Samantha und ich schon seit sechs Uhr auf, weil wir heute eine Prinzessinnenfeier ganz in Lila für die vierjährige Tochter eines Blackjack-Croupiers ausgerichtet haben, der vor zwei Wochen das Trinkgeld seines Lebens bekommen und einen Teil davon in eine Traumparty für seine Tochter investiert hat. Möglicherweise kann ich also nicht mehr klar denken.

„Ist er nett?“

Carlie stupst mir in den Bauch. „Vertrau mir. Du willst Spaß und nichts Nettes.“

„Wieso kann er nicht beides sein? Ihr habt doch gesagt, ihr könntet mir einen Bad Boy mit einem Herzen aus Gold besorgen.“

„Leg die Messlatte für Jack nicht unerreichbar hoch.“

„Ich kenne nette Typen“, verkündete Samantha. Da sie schon zwei Hochzeiten und Scheidungen hinter sich hat und noch nicht mal dreißig ist, bin ich skeptisch.

Carlie greift nach dem Smartphone. „Nenn mir einen, bei dem du schon feuchte Höschen bekommst, wenn er bloß den Raum betritt. Evie braucht Feuer, keine Sparflamme.“

Verdammt. Eine von uns muss doch einen Typen kennen, der zu einem Date taugt und nett ist.

Samantha wedelt mit ihrem Smartphone vor mir herum. „Ich schreibe Jack gerade eine Nachricht. Wir können ja nächstes Wochenende zusammen ausgehen.“

Wenn heute Samstag ist, bleiben mir also noch mindestens sechs Nächte Zeit, meine Libido aufzuspüren. Irgendwo muss sie ja schließlich sein.

„Und erzähl mir nicht, dass du keine Zeit hast. Unsere Kundschaft ist zwischen drei und acht Jahren alt. Die feiert nach zehn Uhr abends keine Geburtstagspartys mehr. Also hast du frei und kannst was trinken gehen. Es gibt keine Ausrede, nicht auszugehen und Spaß zu haben. Lass dich einfach mal gehen und vergiss deine Pflichten für ein paar Stunden.“

Spaß.

Ich würde gern vorgeben, mich nur deshalb nicht mehr daran zu erinnern, wann ich das letzte Mal Spaß hatte, weil ich so hart arbeite und eine so clevere Geschäftsfrau bin.

Aber das wäre gelogen. Ich weiß genau, wann ich das letzte Mal einen draufgemacht habe, ausgegangen bin, getrunken, getanzt und einen Jungen geküsst habe. Ich war siebzehn und in der Highschool.

Leider hätte ich allerdings zu Hause auf Rocker aufpassen sollen, während unser Dad in „Geschäftsangelegenheiten“ für seinen Motorradclub unterwegs war. Echt ätzend, Teenager zu sein und babysitten zu müssen, während alle anderen ausgehen und feiern. Mein heimlicher Abgang durchs Fenster war richtig cool, bis zu dem Moment, als ich zurückkam und unser Haus in Blaulicht getaucht vorfand. Sie hatten unseren lieben alten Vater beim Waffenschmuggeln erwischt – und mich als Versagerin, die lieber Party macht, als auf ihren kleinen Bruder aufzupassen.

Das habe ich mir selbst zuzuschreiben.

Und ja, ich weiß, dass sich in den zehn Jahren seit dieser Nacht einiges geändert hat. Dass Rocker mir nicht die Schuld dafür gibt, dass er sechs Monate lang in Pflegefamilien zurechtkommen musste, bis ich endlich achtzehn war und den Richter überzeugen konnte, Rocker bei mir wohnen zu lassen. Sechs Monate, in denen ich mein Leben umgekrempelt, einen Job gefunden und alles richtig gemacht habe.

Rocker und ich reden nicht über unseren Vater oder die Nacht, die alles verändert hat. Einmal im Monat schicken wir einen Scheck ins Staatsgefängnis, wo unser lieber alter Vater fünfundzwanzig bis fünfzig Jahre absitzt, und er schickt uns eine Postkarte mit einem dahingekritzelten Danke. Auch an Weihnachten und Geburtstagen bekommen wir eine Karte. Im Großen und Ganzen blenden Rocker und ich unsere Kindheit einfach aus. Als etwas, das man nicht groß erwähnen muss – etwas, das wir einfach nur irgendwie durchgestanden haben auf unserem Weg zum einigermaßen zufriedenen, produktiven Erwachsenendasein.

Zumindest ich mache das so. Ich bin Geschäftsinhaberin und habe meinen Abschluss in Finanzwesen an der Universität von Nevada in Las Vegas schon halb in der Tasche. Ich besitze eine Hypothek, ein winziges Rentenkonto und genug Krempel, dass ich mir einen mittelgroßen Umzugswagen mieten musste, als ich in mein neues Haus gezogen bin. Es ist wunderbar und gleichzeitig erschreckend – ich stehe so kurz davor, uns endlich aus der endlosen Abfolge von schlechten Wohngegenden und miesen Straßen herauszuholen, in denen wir unser ganzes Leben lang gelebt haben, und das sollte ich feiern.

„Jack schreibt, er würde sich liebend gern mit dir treffen“, verkündet Samantha triumphierend.

„Okay“, antworte ich. „Ich mach’s.“

Während Samantha Jack einen halben Roman zurückschreibt und Carlie neben ihr vergnügt gackert, packe ich unsere Sachen zusammen. Ich muss auch die Campingstelle noch mal überprüfen, damit niemand irgendetwas hier vergisst. Ich bin gerade dabei, alles fertig zu machen, als ich vom See her ein leises Plopp höre, gefolgt von Carlies Kichern und Samanthas Fluchen. Na prima. Ich schätze, wir machen einen Zwischenstopp beim Apple-Laden.

2. KAPITEL

Rev

Ich bin kein Superheld. Und definitiv kein Traumprinz. Das verrät Ihnen allein schon mein Bike. Für mich gibt es nur die Harley Davidson – kein beschissenes weißes Ross weit und breit. Allerdings hat der Clubpräsident der Hard Riders dieses Memo offenbar ignoriert, als er mir das Kommando für die heutige Mission übertragen hat, denn die Frau vor dem Haus in der Second Street 837 ist wie eine Prinzessin angezogen, bis hin zum Krönchen. Obwohl die Diamanten garantiert falsch sind wie so vieles in Vegas, funkelt die Krone in der untergehenden Sonne. Ein heilloses Durcheinander von kleinen Mädchen in regenbogenfarbenen Kleidern tanzt um sie herum, redet, kreischt und veranstaltet einen Heidenlärm.

„Heilige Scheiße“, ertönt es von Vik über den Auspufflärm hinweg, als er auf seinem Bike an den Bordstein heranfährt. Ich stelle den Motor ab und folge ihm, unser beider Aufmerksamkeit ist auf den Tumult auf dem Rasen des heruntergekommenen Mietshauses gerichtet, heruntergekommen wie eine Nutte auf dem nicht weit entfernten Strip, die noch immer im Geschäft ist, auch wenn sie keine Spitzenpreise mehr erzielt. Es ist überwiegend eine Arbeitergegend, die übliche Mischung aus alleinerziehenden Müttern und Familien, bei denen billige Wohnungen immer heiß begehrt sind. Das Haus steht am Rand des Reviers des Hard Riders Motorradclubs, und vielleicht ist es an der Zeit, unser Gebiet zu vergrößern. Diesen Wohnblock unter unsere Fittiche zu nehmen und wieder für Ordnung zu sorgen.

Verdammt, die Idee gefällt mir.

Die Prinzessin sticht heraus. Die Nachbarn, die über dem Maschendrahtzaun lehnen und der Show zusehen, sind wegen der Hitze ziemlich zwanglos gekleidet, denn im August ist es in East Las Vegas heißer als in so ziemlich jedem anderen Höllenloch, das ich als US Navy SEAL kennengelernt habe. Das heutige Publikum trägt überwiegend Shorts und Tanktops. Die Prinzessin hingegen steckt in einem bauschigen gelben Kleid aus irgendeinem fluffigen Zeug. Der Stoff schwingt wie eine Glocke um ein wirklich hübsches Paar Beine, als sie sich auf einen … ja, was? … Drachen stürzt. Das Vieh ist ungefähr zwei Meter groß, leuchtend lila und besitzt einen Schwanz mit labberigen Stoffstacheln darauf. Die Prinzessin zaubert von irgendwoher ein gigantisches Plastikschwert herbei und geht zum Angriff über. Zwar gefällt mir ihre Entschlossenheit, die ihre Titten hüpfen lässt, aber vom Kämpfen hat sie nicht den geringsten Schimmer.

Als der Drache scheinbar tödlich verwundet auf dem Rasen zusammenbricht, wirbelt die Prinzessin herum und trägt irgendetwas vor, das ihr den Applaus ihrer Miniprinzessinnenschar einbringt. Ich kann ihr Gesicht nicht erkennen, was schade ist, weil nämlich schon ihre Rückenansicht verdammt spektakulär ist. Das Kleid ist bis zu ihrem Hintern ausgeschnitten, sodass ihre Wirbelsäule wie ein Küss-mich-genau-hier-Wegweiser aussieht, dem ich sofort folgen würde. Während ich sie beobachte, lösen sich ein paar Locken und wippen ihr um den Kopf und den Hals. Ich würde sie gern noch weiter aus all dem Zeug rausschälen, erst ihre Frisur lösen und dann ihr Kleid. Und nicht aufhören, bis sie meinen Namen schreit und in meinen Armen völlig die Kontrolle verliert.

„Showgirl?“, unterbricht Vik meine ungebetene Fantasie. Wir haben schon echt abgefahrenen Scheiß erlebt, aber das hier ist ungewohntes Terrain. Da die Prinzessin nicht mal den Ansatz ihrer Titten zeigt und das Kleid nicht kurz unter ihrem Arsch endet, sondern buchstäblich über das welke Gras schleift, bin ich sicher, dass sie nicht in irgendeiner Vegas-Show auf dem Strip arbeitet. Der zweite Hinweis ist ihr Publikum. Der dritte die riesige rosa- und lilafarbene Hüpfburg, die über das Dach des Hauses hinweg im Hinterhof zu sehen ist, und der ebenso übergroße Kuchen mit der Kerze in Form einer Fünf. Wir sind mitten in eine Geburtstagsparty geplatzt.

„Bist du sicher, dass die Adresse stimmt?“ Navis sind nicht unfehlbar, und vielleicht stehen wir hier ja gar nicht vor Eve Kents Arbeitsplatz.

Vik lehnt sich auf seinem Bike zurück und verschränkt die Arme vor der Brust, während er den Vorgarten betrachtet. Ein zufriedenes Grinsen klebt ihm im Gesicht – er genießt die Show ganz eindeutig, denn das erwachsene Publikum ist überwiegend weiblich. Schließlich ist das hier eine Kindergeburtstagsparty, und die kleinen Prinzessinnen werden selbstverständlich von ihren Müttern begleitet. Vik mag Frauen. Frauen mögen ihn. Was meistens darauf hinausläuft, dass Vik nackt in irgendeinem Bett seine neueste Bekanntschaft vögelt. Er mag zwar der Vizepräsident des Hard Riders Motorradclubs sein, aber wir alle ziehen ihn gehörig mit der Laufleistung seines Schwanzes auf.

Vik ist außerdem der Typ, der erst handelt und dann nachdenkt. Wenn Muschis beteiligt sind, macht Vik gern erst einen kleinen Umweg, bevor er zum Geschäftlichen kommt. Während er die Frauen auf dem Rasen abcheckt, checke ich mein Smartphone und stelle sicher, dass wir wirklich auf der richtigen Party sind.

„Wir können nicht einfach so da reinmarschieren und Forderungen stellen.“ Ich zähle kurz durch und komme auf fünfzehn potenzielle erwachsene Augenzeugen plus den Drachen und die kreischende Kinderschar. Da ist es auch egal, dass wir gar nichts Gesetzwidriges tun – noch nicht.

Wir sind zwar Arschlöcher, aber wir sind nicht kriminell. Biker zu sein, ist kein Verbrechen, auch wenn die Bullen manchmal so tun, als wär’s das doch. Es gibt keine Freikarten – man verdient sich seinen Platz im Hard Riders Motorradclub. Um mit den Hard Riders fahren zu dürfen, muss man beim Militär gewesen sein. Die meisten von uns sind Ex-SEALs oder waren beim Sondereinsatzkommando, aber es gibt ein paar Ausnahmen. Unser Revier ist East Las Vegas, aber im Gebiet von Vegas gibt es viele Motorradclubs, und die Verhältnisse sind angespannt. Der stetige Drogenfluss, den die in Los Angeles ansässigen Gangs wie die Hells Angels, die Mongols, die Crips und die Vagos kontrollieren, sorgt für zusätzliche Spannungen. Zu viele Spieler, zu kleines Spielfeld. Keine gute Kombination, und offenbar hat der Black Dogs Motorradclub es in letzter Zeit darauf abgesehen, uns auf die Nerven zu gehen.

Die Stadt der Sünde ist der Spielplatz der Nation, aber hier leben und arbeiten auch fast zwei Millionen Menschen, die einfach nur ein schönes Leben mit ihren Kindern führen wollen. Vierzigtausend anständige, schwer arbeitende Menschen in East Las Vegas und beinahe achtzehn Quadratkilometer aus Arbeiterwohnblöcken, Bars, Schnapsläden, Wechselstuben und einstöckigen Lehmziegel-Ranches mit Palmen und beschissenen Blumentöpfen mit Geranien im Vorgarten. Amerikanischer geht’s nicht.

Wir haben hier auch jede Menge Leute von der Nellis Air Force Base, Menschen, die es entweder dienstlich hierher verschlagen hat oder die einen Angehörigen auf der Base haben. Was der Hard Riders Motorradclub voll unterstützt. Das macht unsere Nachbarn sozusagen zu Brüdern ehrenhalber, auf die wir aufpassen, eben weil wir selbst gedient haben. Wir sind zwar eher Sünder als Heilige, aber wir halten unser Revier so gut es geht frei von den Drogen und der Gewalt.

Man wird erst „Prospect“, also Anwärter, und dann vollwertiges Mitglied und bekommt sein Abzeichen, das Club-Patch. Und das Clubtattoo. Unser Clubpräsident nennt es gern unseren Strichcode – Vik bezeichnet es scherzhaft als unser Verfallsdatum. Die Mitgliedschaft gilt, bis man stirbt, und wenn man irgendwas verkackt, räumt der Club den Mist auf. Die Einheimischen respektieren unsere Kluft und das Club-Patch. Wenn sie die Kluft unseres Clubs sehen, wissen sie, dass wir es ernst meinen, und gehen uns für gewöhnlich schleunigst aus dem Weg. Man ist uns gegenüber nicht respektlos.

Außer man ist Rocker Kent, Eve Kents kleiner Bruder, der mit dem Black Dogs Motorradclub fährt und vor Kurzem beschlossen hat, mit seinen Leuten illegale Waffen durch Hard-Riders-Revier zu schmuggeln. Er ist der Grund, weshalb wir hier sind. Der Idiot hat seinem genialen Plan noch eins draufgesetzt, indem er sich mit kolumbianischen Drogenkartellen eingelassen hat. Und das sind Probleme, die die Hard Riders im Keim ersticken wollen, sofern wir ihn lange genug zu fassen bekommen, um zu reden. Wir sind ja schließlich reife Erwachsene – wir bereden die Dinge. Erst dann kommen die Fäuste. Vielleicht müssen wir uns mit Eve behelfen. Wie es heißt, schaut ihr Bruder regelmäßig nach ihr.

Sie wäre eine echt geile Geisel.

„Glaubst du wirklich, sie weiß, wo Rocker steckt?“

Vik schwingt sich von seinem Bike und lehnt sich dagegen. „Warte noch eine Minute, dann fragen wir sie. Die Show ist gleich vorbei.“

Während die Dreikäsehochs der Lady mit dem Kuchen ins Haus hinterherlaufen, halte ich Ausschau nach Rocker. Laut einer Braut, die für Rockers Schwester arbeitet, hat er sich bei drei ihrer letzten vier Gigs blicken lassen. Er schleicht sich meistens leise rein, weil Eve offenbar ein Biker-Verbot verhängt hat. Da Vik der besagten Braut diese Information allerdings entlockt hat, nachdem er ihr den Verstand rausgevögelt hatte, ist es aber auch möglich, dass sie nur Unsinn gefaselt hat. Der Grund für die hohe Laufleistung von Viks Schwanz?

Mein Handy summt und lenkt mich von dem sich rasch leerenden Vorgarten ab.

Wie ist die Party?

Dieser Wichser.

„Sachs fragt an, was Sache ist.“

Vik nickt, den Blick fest auf eine Mutter in rosa Jogginghose, weißem Tanktop und Flipflops geheftet. Sie hat Kurven und sieht süßer aus als der Kuchen, den sich ihre Tochter gerade reinstopft, während sie im Haus verschwinden – und Vik hatte schon immer eine Vorliebe für Süßes. Mama sollte sich lieber vorsehen, sonst vernascht er sie.

Was gibt’s?

Gekreische ertönt aus dem Hinterhof, und die lila Burg wackelt vor und zurück, als wolle sie gleich abheben. Die Prinzessin und der Drache verschwinden im Haus. Ich werde langsam ungeduldig, da schreibt Sachs endlich zurück.

Gab wieder nen Drive-by. Bin auf dem Weg dahin. Heb mir ein Stück Kuchen auf.

Seit der Black Dogs Motorradclub mit den Kolumbianern ins Bett gehüpft ist, ist es auf unseren Straßen gefährlicher geworden. Das ist schon die zweite Drive-by-Schießerei in ebenso vielen Wochen. Jetzt muss endlich Schluss mit diesem Scheiß sein, und das lässt sich am besten über Rocker bewerkstelligen. Mir egal, ob er bei seinen Drogendealerkumpanen den Rücktritt einreicht oder ob die ihn für ihre Verluste geradestehen lassen, aber er wird keine Drogen oder Waffen mehr im Hard-Riders-Revier verschieben. Allerdings wird der gesamte Club nötig sein, um ihn kaltzustellen, ohne dass sich der ganze Scheiß zu einem ausgewachsenen Krieg entwickelt – und Sachs ist ziemlich aufbrausend. Er würde wahrscheinlich am liebsten die Verhandlungen mit den Fäusten führen.

Ich schreibe ihm zurück.

Warte auf Verstärkung.

„Machen wir Nägel mit Köpfen.“ Ich steige von meinem Bike. „Auftakt für den Club.“

Vik knurrt und winkt mich vorwärts. Ich mag ja vielleicht Witze über die Kinderparty reißen, aber wir wissen beide, dass ich für den Club alles tun würde. Genau wie Vik. So ist das bei uns – der Club und unsere Brüder kommen an erster Stelle.

Als ich die Einfahrt hinaufmarschiere, starren mich die noch übrigen, am Zaun lehnenden Zuschauer an, denn ein eins dreiundachtzig großer ehemaliger SEAL in Motorradstiefeln und einer Clubweste macht schon Eindruck. Ich bin im Club der Mann fürs Grobe. Ich sorge dafür, dass gewisse Dinge ins Rollen kommen und dass mit anderen Schluss ist. Wenn mein Clubpräsident etwas will, bin ich sein Mann – und im Augenblick will er Rocker dazu bringen, sich verdammt noch mal aus unserem Revier und dem Drogenhandel zurückzuziehen.

Da die Überwachung einer Kindergeburtstagsparty mich diesem Ziel kein bisschen näher bringt, muss ich einen anderen Weg finden, um an Rocker ranzukommen. Ich checke schnell noch mal das Haus ab, aber noch immer keine Spur von diesem Arschloch, und seine Nummer habe ich nicht. Aber ich wette, Evie weiß, wie sie ihren Bruder erreichen kann – und ich wette auch, dass ich sie dazu bewegen kann, ihr Wissen mit mir zu teilen.

Ich bin verdammt überzeugend.

Und heute ist mein Glückstag, denn es stellt sich heraus, dass ich ihr nicht mal ins Haus folgen muss. Sie kommt allein wieder raus und geht zu dem rosafarbenen Ungetüm, das am Bürgersteig parkt, wobei sie einen in flatternde Frischhaltefolie eingewickelten Kuchenteller balanciert. Sie sieht aus wie Weihnachten und die Zahnfee zusammen, mit einem Hauch von Tinkerbell und Pornostar. Okay. Letzteres ist vielleicht reine Fantasie meinerseits, weil sie in ihrer abgefahrenen Tüllaufmachung genauso zum Anbeißen aussieht wie Viks MILF. Sofern mich mein Glück nicht verlassen hat, verbirgt sich unter all dem Glitter keine kleine Schlampe.

3. KAPITEL

Eve

„Wo soll’s denn hingehen, Sonnenschein?“ Die tiefe Stimme kommt wie aus dem Nichts, und ich wirbele herum. Ich verliere das Gleichgewicht, stolpere prompt über mein Kleid und nehme Kurs auf den Asphalt.

Ein Arm legt sich blitzschnell um meine Taille und bewahrt mich davor, den Boden zu küssen. Der Kuchenteller wird mir aus den Händen genommen und neben mich auf den Boden gestellt. Hm. Der Arm spannt sich kurz etwas fester an, als wir nach vorn kippen, und es ist ein starker, muskulöser, tätowierter, verdammt angsteinflößender Arm. Wobei das Tattoo eigentlich gar nicht so übel ist. Jede Menge schwarze Tinte bedeckt die Haut zwischen seinem Ärmel und dem Handgelenk … Ist das ein Drache? Sieht aus, als hätte die Bestie vor, jeden zu fressen, der ihr zu nahe kommt.

Der Besitzer des Arms ist sonnengebräunt, und als ich Luft hole, atme ich Leder, Öl und noch etwas anderes ein. Dieses andere riecht nach Ärger, denn der Duft ist heiß und maskulin. Was mein Verstand nicht beschreiben kann, erkennt mein Körper, und meine Libido muckt auf und möchte unverzüglich in unser früheres Bad-Girl-Dasein zurückkehren. Auf der Stelle. Mein Prinzessinnenkostüm macht dem besten Keuschheitsgürtel Konkurrenz, weil es so dick ist und es damit fast unmöglich macht, den muskulösen Männerkörper, der sich gegen meinen Hintern presst, in all seinen Details zu spüren, aber ich gebe mir alle Mühe.

Vielleicht halluziniere ich ja, denn solche Männer gibt es doch gar nicht.

Ich kneife ihm fest in den Arm.

„Was soll der Scheiß?“, raunzt er mir beleidigt ins Ohr. Er ist offenbar doch real. Er stellt mich wieder auf die Füße und tritt zurück, wobei er mir etwa dreißig Zentimeter Freiraum lässt. Vielleicht sogar ganze fünfundvierzig.

Dieser Mann ist einfach wow. Ich lehne mich gegen das Wohnmobil.

Sein Gesicht ist noch viel besser als sein Arm. Er ist groß, muskulös und breitschultrig; Eigenschaften, mit denen die ersten Punkte meiner Sexwunschliste abgehakt wären. Er sieht eher rau als gut aus, mit kurzen, dunklen Haaren und kaltem, wachsamem Gesichtsausdruck, den er auch beibehält, als er kurz die Lage im Garten abcheckt. Beinahe militärisch. Allerdings würde der hiesige Luftwaffenstützpunkt so einen Bad Boy niemals aufnehmen. Er trägt eine Lederweste voller Abzeichen, ein dunkles T-Shirt und Jeans. Er hat zwar volltätowierte Arme, aber ich entdecke keine sichtbaren Piercings. Doch glauben Sie mir – er sieht auch ohne Metall schon nach Ärger aus.

Er stützt sich beiderseits meines Kopfes mit den Armen ab. Obwohl er mich gar nicht berührt, kommt es mir plötzlich so vor, als wären wir beide nackt und er hätte seinen Schwanz in mir. Unter anderen Umständen hätte ich vielleicht nicht einmal etwas dagegen. Da ich aber vor meiner zahlenden Kundschaft unbedingt den Schein wahren muss, strecke ich den Arm aus und drücke dezent gegen seine Brust. Das Wohnmobil schirmt uns zwar vor den Blicken der Partygäste ab, aber ich gehe lieber kein Risiko ein.

Er rührt sich keinen Zentimeter. „Ich muss deinen Bruder erreichen, Prinzessin.“

Unter erreichen kann man alles Mögliche verstehen. Doch wie auch immer man den Begriff definiert – der Mann ist nicht meinetwegen hier. Darüber sollte ich nicht enttäuscht sein, aber ich bin es.

„Sie sind ein Freund von Rocker?“

Sein Gesicht gibt nichts preis. „Es geht ums Geschäft.“

Ich gönne mir einen zweiten Blick auf seine Lederweste, das ausgeblichene T-Shirt, das sich an seine muskulöse Brust schmiegt, und die Stiefel. Gott. Die Stiefel. Diese Stiefel sind zum Wehtun gemacht, dafür, jemandem in den Hintern zu treten und ihm mit den Stahlkappenspitzen den eigenen Standpunkt klarzumachen. Und nur für den Fall, dass noch der geringste Zweifel daran bestehen sollte, wo dieser Mann auf der Gut/Böse-Skala einzuordnen ist: Er trägt eine Lederweste mit einem Clubabzeichen darauf. Was auch immer Rocker diesmal angestellt hat, er steckt bis zum Hals in der Klemme. Ihn da wieder rauszubekommen wird nicht einfach werden.

Also versuche ich trotz meines dringenden Bedürfnisses, den Kerl vom momentanen Hauptquartier von Perfectly Princess Parties wegzubekommen. So gut ich kann. „Ich weiß ja nicht mal, wie Sie heißen.“

„Rev. Sag ihm, Rev sucht ihn.“

Ich glaube, mir bleibt eine Minute lang der Mund offen stehen, denn Rev sieht belustigt aus. Was ist das überhaupt für ein Name?

Weil man einen Mann das schlecht fragen kann, entscheide ich mich für das Offensichtliche. „Wieso?“

„Clubangelegenheiten“, antwortet er knapp.

Anders ausgedrückt? Penisangelegenheiten. Heißt also: Geht mich nichts an. Ich liebe meinen Bruder, aber er ist echt total ignorant, wenn es um Gesetze oder Jungskram gegen Mädchenkram geht. Ich versuche, mich unter Revs Arm durchzuducken, aber der Mann folgt meiner Bewegung mühelos. Mist. Nicht mehr lange, und irgendjemand bekommt was mit.

„Wenn ich ihm sage, dass Sie ihn suchen, verschwinden Sie dann?“ Rocker eine Warnung zukommen zu lassen, dass Ärger im Verzug ist, scheint im Moment meine beste Option zu sein, um zwei Fliegen mit einer Klappe zu schlagen. Als Rev nickt, greife ich in mein Mieder und versuche, das Grinsen auszublenden, das sich langsam auf seinem Gesicht ausbreitet, während ich mein Handy aus seinem Versteck fische. Was haben Männer nur immer mit Möpsen? Er bewegt sich nicht von der Stelle und schenkt mir keinen Zentimeter mehr Platz, was mir das Wählen erschwert.

„Was gibt’s?“ Wunder, oh Wunder, Rocker geht tatsächlich beim zweiten Klingeln ran.

„Hier ist ein Freund von dir, der deine Nummer haben will“, sage ich vorsichtig.

„Okay.“ Den lauten Hintergrundgeräuschen nach zu urteilen, ist Rocker irgendwo in einer Bar.

„Er sagt, er heißt Rev.“

Während mein Bruder das erst mal schweigend verdaut, rückt Rev noch näher und streicht mir mit einem Finger übers Ohr. Er riecht gut, auch wenn es mir im Augenblick lieber wäre, wenn ich keine heimliche Schwäche für Leder und Männer hätte. Außerdem, wie kommt er dazu, mich einfach anzufassen? Ich schüttle den Kopf, als wäre er eine lästige Stechmücke, aber er lässt die Finger einfach zu meiner Wange wandern und spielt dann mit meinem Haar, als wäre ich sein Spielzeug. Mit seinen langen Fingern löst er einen Knoten aus einer Strähne und streicht sie glatt. Ich gebe ihm mit meiner freien Hand einen Klaps auf die Finger, und er grinst.

Prompt wird Rockers brüderlicher Instinkt wach. „Steht er gerade neben dir?“

„Näher geht’s fast nicht“, erwidere ich.

„Rev ist kein netter Kerl“, sagt er gedehnt. „Und ich will ihn nicht in deiner Nähe haben.“

Der nicht nette Teil dieses Mannes ist wahrscheinlich dreißig Zentimeter lang und befindet sich direkt hinter dem Reißverschluss seiner Jeans. Ich mustere Rev von Kopf bis Fuß oder zumindest so weit ich kann, denn der Mann hält mich noch immer an der Wand meines Wohnmobils gefangen. Irgendwie fällt es mir schwer, deswegen empört zu sein. Im Moment genieße ich es, seinen großen, muskulösen Körper an meinem zu spüren. Es ist viel zu lange her, dass mich jemand auch nur im Arm gehalten hat.

„Gut zu wissen, aber ich glaube, er will trotzdem mit dir reden.“

„Das will er definitiv, Prinzessin.“ Rev nimmt mir das Handy aus der Hand. Während ich versuche, mir darüber klar zu werden, wie ich das finde, beratschlagen er und Rocker über ein mögliches Treffen. Rev lässt mich währenddessen keine Sekunde lang aus dem Blick, eine Hand noch immer neben meinem Gesicht, in der anderen mein Handy. Der Mann ist wirklich multitaskingfähig, denn seine Finger streicheln weiterhin meine Wange und jagen mir kleine Schauer über den Rücken.

Wieso stehe ich hier und überlasse ihm die Regie? Weil es dir gefällt, flüstert mein ungezogenes Ich (oder vielmehr: Es kreischt vergnügt in meinem Kopf vor sich hin). Verdammt. Ich greife nach Revs Handgelenk, als er das Gespräch beendet. Ich kann noch immer nicht sagen, ob er und Rocker Freunde sind, ob Rocker ihm Geld schuldet (was übel wäre) oder ob es zwischen den beiden um etwas völlig anderes geht (was noch schlimmer wäre). Aber irgendetwas ist da. Irgendetwas ist da ganz eindeutig.

„Geben Sie mir mein Handy zurück.“

Sein Gesicht zeigt nicht den Hauch einer Emotion. „Hast du irgendwo in diesem Kleid einen Stift versteckt, Sonnenschein?“

Verdammt. Dieser stählerne Blick sollte mich eigentlich nicht antörnen. Doch diese verruchte Stimme in mir lässt sich nicht kampflos unterkriegen. Sie findet, wir sollten uns über ihn hermachen. Gleich hier auf dem vertrockneten, stacheligen Rasen wäre es diesem Flittchen recht.

„Nennen Sie mich nicht Sonnenschein.“

Er zuckt mit den Schultern. „Du bist schließlich diejenige im gelben Kleid.“

„Berufsrisiko.“ Mit einem Ruck ziehe ich mir eine Visitenkarte aus dem Dekolleté und klatsche sie ihm in die leere Hand. Mag vielleicht nicht der eleganteste Zug sein, aber sein Gesichtsausdruck ist Gold wert. Natürlich sind Geburtstagspartys für Zwei- bis Fünfjährige nicht sein Metier. Er kennt sich zweifellos besser mit Körperverletzung und Mord aus.

„Sie suchen eine Prinzessin als Highlight für Ihre nächste Party? Bei mir sind Sie richtig. Vierzig verschiedene Ballkleider voller Glitzersteinchen, Feenflügel, Krönchen und genug falsche Glaspantoffel, um einen kompletten Schönheitswettbewerb auszustaffieren – da ist der Spaß garantiert. Versprochen.“

Er gibt einen kehligen Laut von sich. Ich kann nicht sagen, ob er mich auslacht oder ob ich den großen, bösen Biker tatsächlich schockiert habe. „Seit wann haben Prinzessinnen Flügel?“

„Eine richtige Prinzessin kann auch fliegen“, kläre ich ihn auf. Im Gegensatz zu ihm kenne ich mich hervorragend mit fünfjährigen Mädchen aus und habe gelernt, dass Feenprinzessinnen das Maß aller Dinge sind. Also habe ich mich meiner Marktnachfrage angepasst – außerdem mag auch ich Flügel und Glitzersteinchen.

Diesmal prustet er ganz eindeutig. „Warum fliegst du nicht kurz in dein Wohnmobil und holst einen Stift?“

Über diese „Bitte“ brauche ich nicht groß nachzudenken. Der Mann muss eindeutig an seinen Manieren arbeiten.

Ich rühre mich nicht. „Rocker ist nicht gerade Ihr größter Fan.“

Er knurrt und sieht wieder zu meinem Handy. „Er sorgt sich um deine Sicherheit. Du solltest auf ihn hören.“

„Eine Sache sollten Sie über mich wissen“, sage ich.

„Und das wäre, Evie?“

„Ich lasse mich nicht gern herumkommandieren.“

Er zwinkert mir doch tatsächlich zu. „Ich wette, im Bett siehst du das anders.“

Ich sollte ihm echt keine runterhauen, wenn im Garten hinter uns eine Geburtstagsparty im Gang ist, aber der Drang ist beinahe überwältigend. Dieser Mann hat keinen Funken Anstand. „Wissen Sie überhaupt, wie beleidigend Sie sind?“

Er zuckt mit den Schultern und tippt kurz etwas in mein Handy, bevor er mir wieder in die Augen sieht. Gott, Anstand mag der Mann ja wirklich nicht haben, aber dafür hat er wunderschöne Augen. „Hab dir meine Nummer eingespeichert.“

Ähm. Klar doch. Ich greife nach meinem Handy, aber er hält es gerade so weit weg, dass ich nicht rankomme. „Falls ich meine Meinung übers Herumkommandieren ändere, rufe ich Sie ganz bestimmt an.“

„Ich dachte, wir könnten uns vielleicht mal treffen“, sagt er.

„Sie wollen ein Date mit mir?“

„Wir leben in einem freien Land – du musst ja nicht Ja sagen. Ich dachte nur, vielleicht hättest du mal Lust auf eine Fahrt auf meinem Bike oder einen Drink.“

Er will. Mich. Auf seinem Bike mitnehmen. Das muss ich erst mal verarbeiten. Mit diesem Fremden irgendwohin zu fahren wäre völlig verrückt.

Einen Freund hat er auch dabei, noch so ein Typ, dem ich noch nie begegnet bin. Als ich Rev über die Schulter spähe, grinst der Kerl mich langsam an und wackelt kurz mit den Fingern. Er sieht auf jeden Fall gut aus, aber ich bevorzuge Mister Groß-Dunkel-und-Unwirsch.

Ich sehe Rev aus zusammengekniffenen Augen an. „Es liegt am Kleid, nicht wahr?“

Er versucht nicht mal, seine Belustigung zu verbergen. „Glaubst du, ich stehe auf Glitzerscheiß?“

Kein Mann auf der Welt sieht rauer und wilder aus als Rev. Ich überlege gerade, wie ich ihm das mit höflichen Worten sagen könnte, als er mir das Handy wieder ins Kleid steckt, bevor ich auch nur einen entrüsteten Ton von mir geben kann. Mit den Fingerrücken streift er über den Ansatz meiner Brüste, es ist wie eine verheißungsvolle Einladung.

Ich muss vorsichtiger sein. Dem ansteigenden Kreischpegel aus dem hinteren Garten nach zu urteilen, ist das Kuchenessen vorbei, und die Party nähert sich ihrem Ende, sodass bald die ersten Mütter mit ihren aufgedrehten Sprösslingen auf dem Weg zu ihren Autos an meinem Wohnmobil vorbeikommen werden. Die Prinzessin in einer nicht jugendfreien Umarmung mit einem Biker zu sehen wäre schlecht für mein Geschäft. Man kann kein unanständiges Luder sein und gleichzeitig seinen Lebensunterhalt mit dem Ausrichten von Kindergeburtstagspartys verdienen. Die Mütter würden mich umbringen. Zum Glück können die keine Gedanken lesen. Von außen betrachtet bin ich einfach nur die perfekte Partyprinzessin. Mit Rev irgendwohin zu fahren wäre beruflicher Selbstmord.

Prompt meldet sich mein verruchtes Ich zu Wort. Aber nur, wenn du erwischt wirst.

„Ich lasse mich nicht mit Bikern ein.“

Ganz kurz verändert sich Revs Gesichtsausdruck. „Ich werde dir nichts tun. Versprochen.“

„Dann sind Sie kein Axtmörder?“

Er greift in seine Tasche und zieht sein Portemonnaie heraus, das mit einer Silberkette an seinem Gürtel befestigt ist. Wortlos klappt er es auf und hält es mir hin, sodass ich seinen Führerschein lesen kann. Darunter befindet sich auch noch ein Militärausweis, so eine Karte, mit der man Zutritt zur Nellis Air Force Base hat.

„Sie heißen gar nicht Rev.“ Laut dem laminierten Stück Plastik des Staates Nevada heißt er Jaxon Brady.

„Bikername“, sagt er knapp.

Ich sehe wieder auf den Führerschein. In vier Wochen wird er dreiunddreißig. Aber vermutlich wird er keine Prinzessinnenparty buchen.

„Wow.“ Ich gebe ihm seine Brieftasche zurück. „Sie waren bei der Navy?“

Er nickt, als wäre das keine große Sache. „SEAL. Bei mir wärst du sicher.“

Small Talk ist nicht gerade sein Ding. Oder Verhandeln, höflich Fragen oder Schmeicheln. Aber ich habe schon immer meinem Instinkt vertraut, und der steht im Moment voll und ganz hinter Rev Brady. Ist absolut, total, zu hundert Prozent damit einverstanden, auf das Bike dieses Mannes zu steigen und mit ihm davonzubrausen. Irgendwohin. Wohin auch immer er will. Er ist groß und stark und verführerisch. Er hat für unser Land gekämpft und die Menschen beschützt.

Wie verdorben kann er schon sein?

Sofort meldet sich die kleine Stimme in meinem Kopf. Wie verdorben hättest du ihn denn gern?

Ich sollte dieser Stimme dringend einen Knebel verpassen.

„Überleg’s dir“, sagt er, dann dreht er sich um und schlendert zu seinem Bike. Ich stehe da, starre ihm die ganze Zeit auf den Hintern und frage mich, wieso mich seine Art nicht stört. Er ist nicht Mr. Familieneigenheim-mit-Garten, und er verspricht auch kein „und sie lebten glücklich bis an ihr Ende“, aber der Mann hat einen Wahnsinnsarsch, und ich bin einsam. Ich muss dringend öfter unter Leute und unbedingt endlich noch mal mit jemandem ausgehen.

Jemand anderem.

Irgendjemand anderem.

In meiner Zukunft sind definitiv keine Biker vorgesehen.

4. KAPITEL

Eve

Die Jahrmarktsmusik dröhnt mir durch jede Faser meines Körpers, und ich verliere mich im Rhythmus. Ich liebe es einfach, auf dem Strip auszugehen, mich dafür aufzubrezeln und die stampfenden, heißen Rhythmen in den Clubs zu spüren. Auf der Tanzfläche ist jeder gleich, Teil derselben sich bewegenden, sich drehenden Masse. Auf dem Strip endet man zwangsläufig immer in einer so dicht gedrängten Menge, dass man gar nicht erkennen kann, wer wirklich tanzen kann und wer einfach nur begeistert herumzappelt. Genau das brauche ich.

Im Gegensatz zu dem, was ich tagsüber bei der Arbeit anhabe, reicht mir mein Kleid heute Abend nur gerade eben so bis unter den Hintern. Es ist pink, ärmellos und mit Pailletten bedeckt, und wann immer das Licht auf mich fällt, erhelle ich den ganzen Raum. Übertrieben? Auf jeden Fall. Mädchenhaft bis zum Gehtnichtmehr? Aber so was von! Der erste Zwischenstopp an unserem heutigen Mädelsabend ist das Circus Circus Hotel, und Samantha und ich waren schon auf dem Jahrmarkt am Midway und sind zwei Runden Achterbahn gefahren. Ich bin barfuß, weil ich meine Schuhe ausgezogen habe, sobald wir uns einen Tisch gesichert hatten, und im Moment ist ganz offiziell Spaßhaben angesagt. Und da ich normalerweise nichts als meine Arbeit kenne, tut es gut, mal ein bisschen Freizeit zu haben. Heute Abend kann ich ausgelassen sein und das Leben genießen.

Ich könnte zum Beispiel mit dem Mann anfangen, der gerade auf unseren Tisch zusteuert. Er sieht gut aus, ist wirklich nett und hat es tatsächlich geschafft, eine Cocktail-Kellnerin mit einem Tablett voller Drinks aufzutreiben.

Jack. Sein Name ist Jack. Entweder bin ich zu alt oder zu müde – irgendeinen Grund muss es ja geben –, denn ich muss den Drang unterdrücken, mir seinen Namen auf die Hand zu schreiben, damit ich ihn nicht vergesse. Ich hatte gehofft, er würde mich mehr vom Hocker hauen.

„Ich hab doch gesagt, in echt ist er noch süßer“, brüstet sich Samantha, die mitbekommen hat, wie ich Jack beobachte. Anders als so viele Kerle in Dating-Apps sieht er tatsächlich so aus wie auf dem Bild, das ich mir am See auf dem Smartphone ausgesucht hatte. Wie sich herausgestellt hat, haben die vergangenen sechs Tage nicht gereicht, um meine Libido wiederzufinden. Ich habe mir ein paar Dates mit mir selbst in meinem Bett gegönnt, aber ein paar selbst verursachte Orgasmen haben meine Lust auf ein bisschen Zweieraction auch nicht gesteigert.

Jack ist ein gut aussehender Kerl und wirklich zuvorkommend. Er ist Vizepräsident von irgendwas in einem der Kasinos, was bedeutet, dass er nicht nur hübsch anzusehen ist, sondern auch gut verdient und Gratisdrinks bekommt. Der Mann ist definitiv eine gute Partie und damit genau das, was ich suche.

Mir ist völlig egal, ob Jack unseren Tisch je wiederfindet. Auf dem Papier ist er so perfekt, und trotzdem funkt es zwischen uns kein bisschen. Da ist nichts, kein wundervolles Knistern, keine Chemie. Ich sollte mich mehr bemühen. Verdammt, die Funken zwischen diesem Biker und mir hätten einen ganzen Waldbrand oder irgendeine andere alles verzehrende Feuersbrunst entfachen können. Ich muss meiner Libido mal ordentlich ins Gewissen reden. Keine Biker. 

„Ich wusste nicht, was du magst“, lässt sich mein Mr. Perfekt-auf-dem-Papier vernehmen, nachdem sie die Drinks auf unseren Tisch gestellt hat. „Darum habe ich dir verschiedene Drinks mitgebracht. Du kannst sie gern alle kosten oder dir einfach ein Bier nehmen.“

Gott. Wie aufmerksam ist das denn?

Ich greife nach dem erstbesten. Das Zeug ist halb gefroren und süß, irgendeine Art Slush für Erwachsene. Okay. Ich will tanzen, mich an Jack reiben und entdecken, dass er mein Mr. Right ist. Ich bin so was von bereit für ein Ende wie im Märchen. Heiraten, eine Familie gründen, alles richtig machen. Jack erfüllt alle Kriterien. Er ist absolut perfekt. Ich kippe die ersten zwei Fingerbreit meines Drinks hinunter und versuche zu ignorieren, dass er viel zu süß schmeckt.

Jack legt mir den Arm um die Schultern und zieht mich an seine Seite. Er greift nach dem Bier, und einen langen Augenblick stehen wir da wie ein Pärchen. Es kommt mir vor, als wären wir schon seit zehn Jahren verheiratet.

Lauf weg, flüstert mein verruchtes Ich.

Ich stelle mich taub.

„Lass uns tanzen.“ Ich löse mich von ihm. Er lässt sich von mir in die Mitte der Tanzfläche ziehen und folgt mir wie selbstverständlich. Vielleicht ist das ein Zeichen, dass ich in ihm einen Mann gefunden habe, der sich auch mal etwas sagen lässt. Jack erweist sich sogar als ganz passabler Tänzer. Wir tanzen zu ein paar schnelleren Songs und wiegen uns langsam auf der Stelle, als die Band zu einer romantischen Nummer übergeht. Es ist perfekt. Doch als die Band danach wieder zu einem schnelleren Song ansetzt, winde ich mich aus seinen Armen.

Autor

Anne Marsh
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JC Harroway
JC Harroway beschreibt sich selbst als "liebesromansüchtig". Für ihre Autorinnenkarierre gab sie sogar ihren Job im medizinischen Bereich auf. Und sie hat es nie bereut. Sie ist geradezu besessen von Happy Ends und dem Endorphinrausch, den sie verursachen. Die Autorin lebt und schreibt in Neuseeland.
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