Unter glutroter Sonne

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Vier starke Männer kämpfen um die Liebe - Diana Palmers Erfolgssaga erstmals in einem Band!

Calhoun
Egal, mit wie vielen Männern Abby flirtet, ihr Herz gehört nur einem: Cal Ballenger. Dass gerade er ihr aus dem Weg gehen muss - früher war er ganz anders! Erst als er sie plötzlich leidenschaftlich küsst, beginnt Abby zu verstehen …

Justin
Justin ist noch immer verletzt, dass Shelby ihn damals verließ. Dennoch spürt er jetzt Mitleid, als sie wieder vor ihm steht: All ihre Träume von einst sind geplatzt. Kann er seinen Stolz überwinden und dem Glück eine zweite Chance geben?

Tyler
Die junge Rancherin Nell hat alles im Griff - nur ihre Gefühle nicht, seit der neue Verwalter Tyler für sie arbeitet. Dabei hatte sie sich doch geschworen, sich ein für alle Mal von Männern fernzuhalten!

Connal
In einer kleinen Kapelle erfüllt sich Pennies größter Wunsch: Sie wird C.C. Tremaynes Frau. Doch schon am Morgen nach der Hochzeit beginnt sie zu verstehen, dass mit einem "Ja" noch längst nicht alle Träume wahr werden …


  • Erscheinungstag 20.05.2015
  • ISBN / Artikelnummer 9783955764258
  • Seitenanzahl 480
  • E-Book Format ePub
  • E-Book sofort lieferbar

Leseprobe

Unter glutroter Sonne

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MIRA® TASCHENBUCH

MIRA® TASCHENBÜCHER

erscheinen in der HarperCollins Germany GmbH,

Valentinskamp 24, 20354 Hamburg

Copyright dieses eBooks © 2015 by MIRA Taschenbuch

in der HarperCollins Germany GmbH

Titel der nordamerikanischen Originalausgaben:

Calhoun

Copyright © 1988 by Diana Palmer

Übersetzt von: Astrid Pohlmann

Justin

Copyright © 1988 by Diana Palmer

Übersetzt von: Astrid Pohlmann

Tyler

Copyright © 1988 by Diana Palmer

Übersetzt von: Catharina Semeniuk

Connal

Copyright © 1990 Diana Palmer

Übersetzt von: Angelika Eisold-Viebing

erschienen bei: Silhouette Books, Toronto

Published by arrangement with

HARLEQUIN ENTERPRISES II B.V./S.àr.l.

Konzeption/Reihengestaltung: fredebold&partner gmbh, Köln

Covergestaltung: pecher und soiron, Köln

Redaktion: Mareike Müller

Titelabbildung: Thinkstock / Getty Images, München

Autorenfoto: © by Harlequin Enterprises S.A., Schweiz / Chris Stanford

ISBN eBook 978-3-95576-425-8

www.mira-taschenbuch.de

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eBook-Herstellung und Auslieferung:

readbox publishing, Dortmund

www.readbox.net

Diana Palmer

Calhoun

Roman

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1. KAPITEL

Abby schaff te es ir gendwie, in ihr Nacht ge wand aus silbrig glänzendem Satin zu schlüpfen. Doch als sie die Ränder am Halsausschnitt zusammenzuknüpfen versuchte, schienen ihr die Finger den Dienst versagen zu wollen, und so blieb das Oberteil über ihren vollen, festen Brüsten offen. Als sie dann am Spiegel vorüberging, betrachtete sie fasziniert ihr offenherziges, verwegenes Ebenbild, das ihr mit den verführerischen Rundungen ihres halb entblößten Busens und dem langen, in wirren Strähnen um ihr Gesicht herabfallendes Haar eine ungewohnte Aura von reifer Weiblichkeit verlieh. Da kicherte sie in ihrer Beschwipstheit über ihre ausschweifende Fantasie und ließ sich auf die blassrosa Tagesdecke ihres Himmelbetts sinken.

Das ganze Schlafzimmer war in rosa und weißen Tönen gehalten, aufgelockert durch blaue Zwischenakzente, und sie liebte es. Die Ballengers hatten sie die Wahl der Farben ganz nach ihrem Geschmack selbst treffen lassen; es waren sehr weibliche Farben, auch wenn sie selbst, Abigail Clark, nicht so ganz ihrem Ideal selbstbewusster Weiblichkeit entsprach. Ruhelos rutschte sie auf der Bettkante umher, und der Spitzenbesatz ihres Nachthemds ließ nun eine ihrer Brüste gänzlich frei. Die Augen fielen ihr zu. Was macht es schon, dachte sie noch, bevor der Schlaf sie übermannte, es kann mich ja doch niemand sehen.

Niemand außer Cal …

Calhoun Ballenger und sein älterer Bruder Justin hatten Abby zu sich genommen, als sie gerade fünfzehn geworden war, vor fast sechs Jahren. Sie wären ihre Stiefbrüder geworden, hätte es da nicht jenen tragischen Autounfall gegeben, bei dem der Vater der beiden Brüder und Abbys Mutter zwei Tage vor ihrer geplanten Hochzeit getötet worden waren. Andere Familienangehörige gab es nicht, und so hatte der damals sechsundzwanzigjährige Cal vorgeschlagen, dass er und Justin die Verantwortung für das todunglückliche junge Mädchen übernehmen. Und so geschah es auch, natürlich mit dem Segen des Gesetzes. Abby war seitdem von Rechts wegen Cals Mündel. Das Problem bestand nun, wenige Monate vor Abbys einundzwanzigstem Geburtstag, darin, dass Cal nicht wahrhaben wollte, dass sie inzwischen zu einer Frau herangereift war.

Um die Sache noch schlimmer zu machen, setzte Cal alles daran, sie vor der „bösen“ Welt zu schützen. Während der vergangenen vier Monate hatte er zudem eifersüchtig über alle männlichen Bekanntschaften gewacht, sodass es ihr fast unmöglich geworden war, wie andere junge Frauen ihres Alters Verabredungen zum Essen und Tanzen zu treffen. Die Art, wie er den Wachhund spielte, grenzte fast ans Lächerliche. Sein Bruder Justin lächelte nur selten, aber die Umstände, die Cal veranstaltete, brachten ihn nahe daran.

Abby fand das weniger amüsant. Sie war bis über beide Ohren in Cal verliebt, doch der große blonde Mann behandelte sie immer noch wie ein Kind. Trotz ihrer häufigen Versuche, Cal zu zeigen, dass sie eine Frau und kein kleines Mädchen mehr war, schien sie damit seinen Panzer nicht durchdringen zu können. So hatte sie erst gestern versucht, als Beweis ihres Erwachsenseins im Grand Theater von Jacobsville eine Show mit Männer-Striptease zu besuchen. Unter dem Vorwand, sich eine Kunstausstellung ansehen zu wollen, war sie Justin auf der Ranch entwischt, während Cal geschäftlich unterwegs war. Viele solcher Gelegenheiten, sich in einer Kleinstadt im südlichen Texas, im Dreieck zwischen San Antonio, Houston und Victoria gelegen, auf demonstrative Weise reif und emanzipiert zu zeigen, gab es ja nicht gerade, und wenn Cal Wind davon bekam, was wohl unausweichlich geschehen würde, dann musste er wohl anerkennen, dass sie nicht der naive Teenager war, für den er sie noch immer hielt.

Die Sache hatte nur einen Haken gehabt: Cal erwischte sie, gerade als sie ihre Eintrittskarte lösen wollte, nahm sie, obwohl sie sich heftig sträubte, einfach auf seine starken Arme und packte sie in den wartenden Wagen, mit dem er, anscheinend von bösen Ahnungen getrieben, auf dem Heimweg vorbeigekommen war.

Eine nachfolgende hitzige Diskussion hatte zu keinem greifbaren Ergebnis geführt, außer dass Abby wieder einmal damit drohte, von der Ranch wegzuziehen und sich zusammen mit ihrer um einige Jahre älteren und erfahrenen Freundin Misty eine gemeinsame sturmfreie Bude in der Stadt zu nehmen. Da diese Auseinandersetzung nach der Rückkehr auf die Ranch stattfand, wurde nicht nur Justin aus seiner Feierabendruhe aufgeschreckt. Auch die übrigen Haushaltsmitglieder in Gestalt von Maria und Lopez, dem älteren mexikanischen Ehepaar, deren Familie seit zwei Generationen in Küche und Garten beschäftigt war, wurden durch das Geschrei auf den Plan gerufen.

Und am heutigen Abend nun hatte sich Abby erneut in Schwierigkeiten gebracht, und wieder war es Cal gewesen, der sie in letzter Minute gerettet und auf die Ranch zurückgeschafft hatte.

Am Tag, im Büro der Rinderfarm, wo sie als Sekretärin für die Ballenger-Brüder tätig war, hatte sie sich bereits wieder maßlos über Cals Gehabe geärgert, als er meinte, sie vor der Zudringlichkeit eines Kunden bewahren zu müssen, der sie, auf zugegebenerweise recht anzügliche Weise, zum Essen einladen wollte. Als ob sie nicht selber imstande wäre, sich eines so durchsichtigen Antrags zu erwehren! So hatte sie denn aus lauter Trotz nach Feierabend Misty angerufen, ihr ihre Absicht mitgeteilt, gegen Cal und seine strenge Aufsicht zu rebellieren, und ihr vorgeschlagen, zu diesem Zweck dem neu eröffneten Tanzpalast in Jacobsville einen Besuch abzustatten. Misty hatte fröhlich eingewilligt.

Justin hatte nichts einzuwenden gehabt. Solange sie nichts „anstellte“, sollte Abby nur gehen, wohin sie wollte. Cal war nicht zu Hause, er hatte selbst eine Verabredung, vermutlich mit irgendeiner schönen Blondine.

Es war Freitagabend, und der Tanzpalast war gerammelt voll. Im Western-Stil gekleidete Männer tanzten mit Frauen in Jeans und Stiefeln zur Musik einer Country-Band. Abby nippte an einem Glas Gin Tonic, zu dem Misty sie überredet hatte, obwohl Abby nicht daran gewöhnt war, Alkohol zu trinken.

Später tauchte Tyler Jacobs auf, der Pferdezüchter, der zusammen mit seiner Schwester Shelby eine schwere Hypothek zu tragen hatte. Der Vater war im vergangenen Sommer gestorben und hatte nichts als Schulden hinterlassen. Nun liefen die jungen Jacobs-Geschwister Gefahr, alles, was in Generationen aufgebaut worden war, unwiederbringlich zu verlieren.

Tyler blieb einige Minuten, wunderte sich über Abbys Anwesenheit, erkundigte sich nach Cal und warnte sie vor weiterem Alkoholgenuss. Zwar konnte Misty ihn beschwichtigen, doch kaum war Tyler wieder zur Tür hinaus, als sich bei Abby durch ihre Sprache und ihre Worte: „Ich hasse alle Männer, und besonders hasse ich Cal!“, die ersten Anzeichen eines beschwipsten Zustands zeigten. Da eilte Misty hinter Tyler her, um ihn zurückzuholen. Vielleicht war seine Hilfe nötig, um Abby ins Auto zu verfrachten.

Während ihrer kurzen Abwesenheit machte sich ein betrunkener Cowboy vom Nachbartisch an Abby heran. Als sie ihm daraufhin ihren Drink über die Hose schüttete, wurde der Mann bösartig, und Abby wurde es echt mulmig zumute. Wer sollte ihr inmitten dieser Menge helfen? Am liebsten hätte sie losgeheult.

Doch da hatte der Spuk auch schon ein Ende. Plötzlich sprang Cal dazwischen, verteilte ein paar Ohrfeigen und schleppte Abby hinaus. Als er nach Hause gekommen war, hatte Justin ihm mitgeteilt, wo er Abby finden könne.

Nun packte er Abby in seinen Jaguar, nachdem er Misty und Tyler, die draußen warteten, noch einige unfreundliche Bemerkungen mit auf den Weg gegeben hatte, und kutschierte die seiner Obhut anvertraute junge Frau zur Ranch hinaus. Bis sie dort ankamen, war sein Zorn verflogen und hatte seiner Sorge Platz gemacht, was Abby nur zu ihren Eskapaden trieb. Und Abby hatte ihm entgegengehalten, dass er sie daran hindere, allein mit ihrem Problem fertig zu werden. Doch dies war nur die halbe Wahrheit, und Cal, der eine Nase für so etwas hatte, wusste das.

Cal musste sich auch eingestehen, dass er stärkere Gefühle für Abby hegte, als es einem Vormund gegenüber seinem Mündel zustand.

Doch davon hatte Abby natürlich keine Ahnung. Von Alkohol und Müdigkeit übermannt, hatte sie sich in ihr Schlafzimmer zurückgezogen.

Cal öffnete leise die Tür zu Abbys Schlafzimmer; ein Ausdruck der Sorge lag in seinen dunklen Augen. Da sah er etwas, das ihm schier den Atem verschlug.

Abby bekam kaum etwas davon mit, öffnete nicht einmal die Augen, als er den Raum betrat. Das war ihm nur recht, denn hätte er jetzt sprechen sollen, so wäre ihm wohl kaum ein klares Wort über die Lippen gekommen. Er hatte sich Abby bisher nie so recht als voll erblühte Frau vorgestellt, doch ihr Anblick, lediglich in diesen seidigen Hauch einer silbrigen Robe gehüllt, eine ihrer exquisiten Brüste vollständig bloßgelegt, der schlanke Körper in vorteilhafter Weise von hauchdünnem Stoff umhüllt – dieser Anblick jagte ihm das Blut wie heiße Lava durch die Adern.

Wie erstarrt blieb Cal unter der Tür stehen und sah sich zum ersten Mal der Tatsache gegenüber, dass Abby kein Kind mehr war. Und schlagartig wurde ihm dabei auch klar, wieso er in letzter Zeit so außer sich geraten war, sie so brüsk behandelte und in solch übertriebener Weise den Beschützer gespielt hatte.

Er begehrte sie!

Ohne nachzudenken, zog er die Tür hinter sich zu und trat näher an Abbys Bett heran. Welch verführerischer Anblick! Er musste die Zähne zusammenbeißen, während er auf ihre sinnliche Nacktheit hinabsah, der sie sich ja nicht einmal bewusst war.

Cal fragte sich, ob eine ihrer Männerbekanntschaften sie jemals in diesem Zustand gesehen hatte, und bei diesem Gedanken stieg eine mörderische Wut in ihm auf. Ein anderer Mann, der sie so sah, sie berührte, seinen Mund auf diese sanfte Schwellung setzte und nach jener Knospe suchte, die er mit dem warmen Druck seiner geöffneten Lippen zum Erblühen bringen konnte …

Er erschauerte. Nein, so nicht! „Abby“, sagte er mit einer Stimme, die rau vor Anspannung klang.

Abby regte sich, doch nur, um sich ein wenig zur anderen Seite zu drehen, mit der Folge, dass jetzt auch die andere Hälfte des Spitzenbesatzes nach unten fiel. Cal begannen beim Anblick ihrer rosigen Brüste mit den feinen malvenfarbigen Knospen wahrhaft die Knie zu zittern.

Dann entsprang seinen Lippen ein saftiger, wenn auch nur leise geknurrter Fluch, er zwang sich dazu, sich über die Schlafende zu beugen, den Stoff über ihren Brüsten zusammenzuziehen und die Bänder zu verknoten. Seine Hände zitterten. Glücklicherweise war Abby nicht in der Verfassung, Zeugin seiner Schwäche, seiner Verletzlichkeit zu wer den!

Sie stöhnte leicht, als seine harten Knöchel ihre Haut streiften, und bog im Schlaf den Rücken durch. Durch halb geöffnete Lippen stieß Cal den Atem aus. Ihre Haut war wie Samt und Seide, warm und sinnlich. Er knirschte mit den Zähnen, hob Abby hoch und stützte sie auf einem Knie ab, während er mit der freien Hand die Bettdecke zurückschlug.

Abby blinzelte und öffnete träge die Augen. Ein schwaches Lächeln überzog ihr Gesicht, als sie Cals grimmige Miene zu ergründen suchte. „Ich schlafe“, flüsterte sie und schmiegte sich an ihn. Ihr süßer Duft, der weiche Körper in seinen Armen, brachten ihn vollkommen durch einander.

„Tatsächlich?“ Cals Stimme klang tiefer, heiserer, als er es wollte. Er legte sie auf das Bettlaken und hielt ihren Kopf in seiner Hand, bis er ein Kissen daruntergezogen hatte. Sein Mund befand sich nur wenige Zentimeter über ihrem.

Abby hatte ihm die Arme um den Hals gelegt. Sanft löste er sie, und mit einem Gefühl der Erleichterung zog er ihr die Bettdecke bis zum Hals.

„Mich hat noch nie jemand zugedeckt“, murmelte sie im Halbschlaf.

„Eine Gute-Nacht-Geschichte gibt’s nicht“, erwiderte er in dem Versuch, die sinnliche Atmosphäre durch einen Scherz zu zerstören. Doch seine Stimme war wie eine Liebkosung. „Du bist noch zu jung für die paar, die ich kenne.“

„Das wird’s wohl sein. Für alles bin ich zu jung. Viel zu jung.“ Sie seufzte tief und schloss die Augen. „Oh Cal, ich wünschte, ich wäre blond …“

„Was soll denn das schon wieder heißen?“ Doch sie war bereits eingeschlafen. Nachdenklich sah er mit seinen dunklen Augen auf ihr leicht gerötetes Gesicht hinab. Nach einer Weile wandte er sich um, knipste das Licht aus und ging hinaus. Justin trat aus dem Wohnzimmer, als Cal die Treppe herunterkam.

„Hast du Abby nach Hause gebracht?“, fragte er seinen Bruder.

„Ja, sie schläft. Blau wie ein Veilchen“, setzte er mit einem nur mä-ßig amüsierten Lächeln hinzu. Seinen Stetson-Hut, Jackett und Weste hatte er bereits abgelegt.

Justin zog die Stirn in Falten. „Was ist geschehen? Deine Lippe ist aufgeplatzt.“

„Eine kleine Rempelei im örtlichen Tanzschuppen“, erwiderte Cal wegwerfend und nahm die Brandyflasche zur Hand, aus der er sich einen halben Schwenker voll eingoss. „Willst du auch einen?“

Justin schüttelte den Kopf und steckte sich stattdessen eine Zigarette an, ohne sich durch Cals missbilligenden Blick beeindrucken zu lassen.

„Was war denn der Anlass dafür?“

Cal nippte an seinem Brandy. „Abby. Misty Davies hatte sie in eine Tanzbar geschleppt.“

„Gestern eine Strip-Revue, heute eine Bar.“ Justin konzentrierte den Blick auf seine Zigarette. „Irgendwas frisst unserem Mädel an der Seele.“

„Ich weiß. Kann mir aber keinen Reim darauf machen. Auch gefällt mir die Rolle nicht, die Misty dabei spielt, aber damit kann ich Abby nicht kommen.“

Justin legte den Kopf schief, während er an seiner Zigarette zog. „Ich könnte mir vorstellen, dass sie Abby benutzt, um sich an dir zu rächen.“

„Na, das wäre doch wohl die Höhe!“ Scherzhaft hob er das Glas, bevor er den Inhalt hinunterschüttete. „Sie hat sich mit aller Macht an mich rangeschmissen und einen Korb von mir gekriegt. Wäre ja auch noch schöner gewesen, ausgerechnet Abbys beste Freundin zu verführen.“

„Misty hätte es wissen sollen. Ist Abby soweit in Ordnung?“

„Ich denke doch“, sagte Cal und verschwieg, dass er selbst sie zu Bett gebracht hatte und sie der Grund war, dass er jetzt trank, was selten vorkam. „Irgend so ein besoffener Kerl hat sie angemacht.“

Justin reckte sich jäh auf. „Und?“

„Ich habe ihm die Leviten gelesen.“

„Gut gemacht. Offensichtlich braucht sie einen Wachhund.“

„Dazu kann ich nur Amen sagen. Sollen wir’s ausknobeln?“

„Warum soll ich mich da noch einmischen? Du machst deine Sache doch recht gut“, sagte Justin mit der Andeutung eines Lächelns, das ihm jedoch verging, als er den bekümmerten Blick in den Augen seines jüngeren Bruders bemerkte. „Du hast doch wohl nicht vergessen, dass Abby in drei Monaten einundzwanzig wird? Ich glaube, sie ist schon auf der Suche nach einer gemeinsamen Wohnung mit Misty.“

Cals Miene verdüsterte sich. „Misty wird sie verderben. Ich will nicht, dass sie von einigen ihrer liebestollen Freunde als Hors d’œvre vernascht wird.“

Justin zog die Augenbrauen in die Höhe. Das klang so gar nicht nach Cal, und überhaupt schien Cal nicht mehr er selbst zu sein. „Abby ist unser Mündel“, erinnerte er seinen Bruder. „Sie ist nicht unser Eigentum. Wir haben nicht das Recht, über ihr Leben zu entschei den.“

Cal blitzte ihn an. „Was erwartest du von mir? Soll ich sie vielleicht von jedem betrunkenen Cowboy, der des Weges kommt, auflesen und vernaschen lassen?“

Er machte auf dem Absatz kehrt und verließ den Raum. Justin verzog seine schmalen Lippen und grinste in sich hinein.

2. KAPITEL

Abby erwachte am nächs ten Mor gen mit Kopf schmer zen und dem Gefühl drohenden Unheils. Sie setzte sich im Bett auf und griff sich an den Kopf. Es war sieben Uhr, und um halb neun musste sie mit der Arbeit beginnen. Das Frühstück stand bestimmt schon auf dem Tisch. Der Gedanke an Frühstück bereitete ihr Übelkeit.

Auf wackligen Beinen stelzte sie ins Badezimmer, wusch sich das Gesicht und putzte sich die Zähne. Danach fühlte sie sich schon viel besser. Als sie sich daranmachte, ihr Nachthemd abzustreifen, stellte sie fest, dass es am Hals zugebunden war. Seltsam. Sie war sicher, dass sie es offen gelassen hatte. Nun ja, dann musste sie es irgendwann vor Sonnenaufgang zugemacht haben und unter die Decke gekrochen sein.

Es war Samstag, doch auch heute gab es eine Menge zu tun. Das Vieh wollte wie an allen Tagen versorgt werden, und auch jede Menge Papierkram war zu erledigen. Abby hatte sich an die lange Arbeitswoche gewöhnt, es war ihr zur Routine geworden, samstags nicht freizuhaben. Manchmal konnte sie sich bereits mittags davonmachen, wenn sie etwas vorhatte, doch in den letzten Monaten war das kaum vorgekommen. Es dürstete sie danach, in Cals Nähe zu sein, und der verbrachte die meisten Wochenenden in seinem Betrieb.

Abby schlüpfte in ein blassgraues Kostüm, eine blaue Seidenbluse und zierliche Pumps. Sie steckte ihr Haar hoch und legte nur wenig Make-up auf. Nun, sie war zwar keine überwältigende Schönheit, das war sicher, aber ihre Würde wollte sie sich wenigstens bewahren. Wenn sie schon untergehen sollte, dann mit fliegenden Fahnen. Cal würde bestimmt mal wieder toben, und sie wollte verhindern, dass er sah, wie blass sie war.

Als sie herunterkam, saßen beide Ballenger-Brüder bei Tisch. Als sie zwischen ihnen Platz nahm, sah Cal sie mit einem seltsam brütenden Gesichtsausdruck an.

„Wird ja auch Zeit“, sagte er kurz angebunden. „Du siehst aus wie Braunbier mit Spucke. Geschieht dir ganz recht. Lass dich ja nicht noch einmal mit dieser Misty Davies in so einem unsäglichen Tanzschuppen erwischen!“

„Bitte, Cal, lass mich erst mal was zu mir nehmen“, sagte Abby leise. „Mir brummt der Schädel.“

„Kein Wunder“, schmetterte Cal zurück.

„Hör auf, an meinem Frühstückstisch zu stänkern“, forderte Justin ihn mit fester Stimme auf.

„Ich höre auf, wenn du aufhörst“, gab Cal in nicht weniger festem Ton zu rück.

„Ach, was soll’s“, stöhnte Justin und biss in eines von Marias knusprigen Bis kuits.

Normalerweise hätte Abby dieses Zwischenspiel amüsiert, doch jetzt war ihr nicht nach Lachen zumute. Sie nippte an schwarzem Kaffee und knabberte lustlos an einer lediglich mit Butter bestrichenen Scheibe Toast. Nach etwas Nahrhafterem stand ihr nicht der Sinn.

„Du solltest ein paar Aspirin schlucken, bevor du zur Arbeit gehst, Abby“, sagte Justin sanft.

Sie brachte ein Lächeln zu Stande. „Das werde ich. Schätze, Gin bekommt mir nicht recht.“

„Alkohol ist ungesund“, lautete Cals kurz gefasster Kommentar.

Justin hob die Brauen. „Und wieso hast du dann gestern Abend meine Brandyflasche geleert?“

Cal warf die Serviette auf den Tisch. „Ich fahre jetzt ins Büro.“

„Du könntest Abby mitnehmen“, schlug Justin mit einem seltsam berechnenden Ausdruck vor.

„Ich fahre nicht direkt zur Farm“, sagte Cal. Er wollte jetzt nicht mit Abby allein sein, nicht nach dem, was er in der vergangenen Nacht gesehen hatte. Er konnte sie kaum ansehen, ohne dass ihm wieder das Bild lebhaft vor Augen stand, wie sie da auf dem Bett gelegen hatte …

„Ich habe noch nicht zu Ende gefrühstückt“, warf Abby schnell ein. Es verletzte sie, dass Cal offenbar nichts an ihrer Begleitung lag. „Außerdem“, wandte sie sich mit einem schwachen Lächeln an Justin, „kann ich selber fahren. So viel habe ich nun auch wieder nicht getrunken.“

„Na klar“, höhnte Cal mit blitzenden Augen. „Darum sind dir ja auch, kaum dass du auf deinem Bett lagst, die Sinne geschwunden.“

Abby hielt den Atem an. Justin goss Sahne in seine zweite Tasse Kaffee und schenkte seine ganze Aufmerksamkeit dem kleinen Kännchen in seiner Hand. Und das war auch gut so, denn dadurch entging ihm, wie Abby mit dem schlagartig erhellten Wissen um das, was Cal in der Nacht zuvor erblickt hatte, zu ihm aufsah und ihre Befürchtungen in seinen plötzlich versteinerten Zügen bestätigt fand.

Abby fühlte, wie sie bis zu den Haarwurzeln errötete, und in ihrem Schreck warf sie fast ihre Tasse um. Also war sie auf dem Bett eingeschlafen, Cal hatte sie mit mehr oder weniger entblößtem Oberkörper vorgefunden, hatte ihre Brüste …

„Lass das Frühstück stehen. Auf geht’s“, sagte Cal unvermittelt und legte seine schlanke Hand auf die Lehne ihres Stuhles. „Ich liefere dich bei der Farm ab, bevor ich meiner Wege gehe. Du kannst so nicht fahren.“

Jetzt war auch Justin aufmerksam geworden, sein Blick, in dem offenkundige Neugier lag, schweifte von Abbys hochrotem Gesicht zu Cals gespannter Miene.

Dieser Blick war es, der Abby zu der Überzeugung brachte, dass Cal in diesem Falle das kleinere Übel war. Sie konnte Justin nicht erzählen, was geschehen war, doch wenn sie jetzt kein Fersengeld gab, dann hätte er es ihr innerhalb von zwei Minuten aus der Nase gezogen. Auch Cal musste das klar geworden sein.

Er nahm Abbys Arm und zerrte sie fast von ihrem Stuhl, schob sie mit einem kurzen, an seinen Bruder gerichteten „Bis dann“ vor sich her aus dem Zimmer.

„Mach mal ein bisschen langsam“, klagte sie, als er draußen zwei Stufen auf einmal nahm. „Meine Beine sind nicht lang genug, um mit dir Schritt zu halten, und außerdem platzt mir gleich der Kopf.“

„Lass ihn nur platzen“, knurrte Cal, ohne sie anzusehen. „Vielleicht vergeht dir dann die Lust auf solche Abenteuer.“

Abbys Blicke bohrten Löcher in Cals breiten Rücken, während sie ihm schweigend zu seinem Jaguar folgte und dann auf dem Beifahrersitz Platz nahm.

Cal ließ den Motor an und rangierte rückwärts, doch dann schlug er nicht die Straße zur Farm ein, sondern bog in einen Feldweg ab, der zwischen den eingezäunten Weiden hindurchführte. Auf einer Anhöhe stellte er den Motor ab.

Zuerst sagte er gar nichts. Er ließ seine sehnigen Hände auf dem Lenkrad ruhen und betrachtete sie schweigend, während Abby den Atem und ihre Nerven so weit zu beruhigen suchte, dass sie mit Cal sprechen konnte.

„Wie kannst du es wagen, ohne anzuklopfen in mein Zimmer zu kommen?“, flüsterte sie schließlich, und ihre Stimme klang heiser.

„Ich habe geklopft. Du hast es nur nicht gehört.“

Abby biss sich auf die Unterlippe und richtete den Blick auf die Weide, die jetzt im Februar gelblichbraun und trostlos wirkte.

„Abby, mach um Himmels willen kein Drama daraus“, sagte Cal leise. „Hätte ich dich lieber so liegen lassen sollen, wie du warst? Was wäre denn, wenn Justin gekommen wäre, um dich zu wecken? Oder Lopez?“

Abby schluckte. „Nun, ich schätze, sie hätten was zu sehen gekriegt“, sagte sie mit unsicherer Stimme. Nach einer Weile drehte sie sich mit brennend roten Wangen zu Cal herum und fragte in kläglichem Ton: „Cal … ich war doch nicht völlig entblößt, oder?“

Er sah ihr in die Augen und brachte es dann nicht mehr so recht fertig, seinen Blick von ihr abzuwenden. Sie war so bezaubernd!

Unwillkürlich streckte er die Hand nach ihr aus und berührte sie leicht unter dem Ohr. Seine Finger waren zart und erregend.

„Nein“, brachte er heraus und sah die Erleichterung in ihren Augen, als er ihr diese Lüge mit der aufrichtigsten Miene, zu der er fähig war, darbot. „Ich habe dich nur zugeschnürt und unter die Bettdecke gesteckt.“

Abby atmete erleichtert aus. „Ich danke dir.“

Cals Finger ruhten jetzt auf ihrer Wange. „Abby, hast du je einen Mann deine Brüste sehen lassen?“, fragte er plötzlich.

Auf eine solche Intimität war sie nicht vorbereitet. Sie senkte den Blick und versuchte ihres Atems Herr zu werden.

„Ist schon gut, Spatz“, schalt er sie sanft, „ich kann es mir denken.“

„Du darfst nicht so reden“, flüsterte Abby.

„Warum denn nicht?“ Cal hob ihr Kinn, sodass ihr erschrockener Blick dem seinen begegnete. „Du bist doch diejenige, die erwachsen werden will, nicht wahr? Wenn du willst, dass ich dich als Erwachsene behandle, Abby, dann musst du auch solche Gespräche in Kauf nehmen.“

Abby rutschte nervös auf ihrem Sitz umher. Sie fühlte sich so linkisch, dass es ans Lächerliche grenzte. Sie fürchtete seinem Blick zu begegnen, der erbarmungslos ihr Gesicht durchforschte, und knetete ihre Tasche zwischen den Händen.

„Bitte nicht“, flehte sie und schloss die Augen.

„Hast du ehrlich Angst vor mir?“, fragte er. Seine Stimme klang jetzt tiefer, seidiger.

Mit dem Zeigefinger berührte er ihren Mund, und Abby schrak regelrecht zusammen. Sie riss die Augen weit auf, in denen all ihre verborgenen Wünsche und Ängste klar und verletzlich zu Tage traten. Und da war es mit seiner Selbstbeherrschung vorbei. Sie dürstete ebenso nach ihm, wie es ihn danach verlangte, sie in die Arme zu schließen. War dies der Grund ihrer Unruhe der letzten Zeit, weil sie sich zu ihm hingezogen fühlte und dies zu verbergen suchte? Er musste es wissen.

Abby brachte keine Antwort heraus, ihr war, als versuche er ihr in die Seele zu schauen. „Ich habe keine Angst vor dir. Können wir nicht weiterfahren?“

„Was soll denn das Theater?“, flüsterte er und beugte sich zu ihr hinüber. Sein Mund war nur Zentimeter von ihrem entfernt. „Willst du es verdrängen? Willst du so tun, als sehntest du dich nicht nach meinen Lippen?“

Abbys Herz begann zu rasen. Wenn er mit dieser Tour nicht aufhörte, war sie rettungslos verloren. Vielleicht spielte er ja nur mit ihr Katz und Maus, und wenn er es nicht ernst mit ihr meinte, so würde sie das umbringen. Sie berührte seine Schulter, drückte versuchsweise die harten Muskeln unter dem weichen Anzugstoff. Ihre Finger zitterten, als sich ihr Blick mit seinem traf, und ihr Mund bebte vor Erregung.

Cal sah ihr fest in die Augen. Einen solchen Blick hatte Abby nie zuvor erlebt. Eine Intensität und eine solche Aufrichtigkeit lag darin, dass sich alles in ihr anspannte und ihr Herz raste. Sehr erwachsen, sehr aufschlussreich. Er wandte den Blick nicht von ihr ab, und mit seinen schlanken Fingern strich er an der Seite ihres Halses auf und ab, was sie gleichzeitig erregte und kitzelte. Sein harter Mund näherte sich ihren Lippen, er war so nah, dass sie seinen warmen Atem auf ihren geöffneten Lippen spürte, ja, ihn einatmete.

„Oh Cal …“, flüsterte sie erregt, und ihre Stimme brach, heiser vor Sehn sucht.

Abby hörte, wie er die Luft einsog, und spürte seine Hand unter ihrem langen Haar, eine kräftige warme Hand, mit der er ihren Nacken umfasste, um sie an sich zu ziehen.

„Das musste eines Tages so kommen, Kleines“, flüsterte Cal und war drauf und dran, dem Verlangen nachzugeben, das sich fieberartig in seinem Körper ausgebreitet hatte. „Ich will es so sehr, wie du es willst …“

Er kam noch näher, doch gerade als sich sein Mund auf ihren senken wollte und bevor er noch ihre feuchten, halb geöffneten Lippen berühren konnte, brachte sie das Geräusch eines nahenden Fahrzeugs blitzartig auseinan der.

Cal musste sich erst besinnen, wo er war. Er blickte in den Rückspiegel und erkannte einen der Ranchlastwagen, doch es dauerte eine Zeit lang, bis er ihn richtig registrierte. Das Atmen fiel ihm schwer, und er fühlte sich angespannt wie ein gestrafftes Seil.

Er sah zu Abby hinüber. Sie hatte sich in ihre Ecke zurückgezogen, und als er bemerkte, dass sie zitterte, wurde ihm schockartig bewusst, was er soeben hatte tun wollen. Verdammt, jetzt hatte sie ihn an die Angel gekriegt, ohne auch nur das Geringste dazu getan zu haben. Dies machte ihn wütend und ironischerweise ebenso die Tatsache, dass sie ihm so leicht nachgegeben hatte. Noch mehr erzürnte ihn, dass er kurz davor gestanden hatte, sie zu küssen. Er suchte keine Komplikationen, verdammt noch mal, und Abby war die größte Komplikation, die er sich vorstellen konnte. War sie so verwundbar, weil sie ihn begehrte, oder lediglich weil sie entdeckt hatte, dass sie eine Frau war und ein wenig experimentieren wollte?

„Fahren wir lieber zur Arbeit“, sagte Cal gepresst und startete den Jaguar. Er fuhr den Weg hinunter und winkte den Männern hinter sich zu. Er bog in den nächsten Weg ab, und kurz darauf gelangten sie bei der Farm an.

„Geh schon mal rein. Ich muss noch nach Jacobsville rüber und ein paar Minuten mit unseren Anwälten sprechen“, sagte er so kühl er konnte. Dies war zwar eine glatte Lüge, doch er brauchte ein wenig Zeit, um sich wieder zu fangen. Er war erregt wie ein junger Bursche nach seinem ersten Rendezvous, und langsam verging ihm wirklich sein Sinn für Humor. Auch wollte er Justin und seinen entlarvenden Fragen aus dem Weg gehen.

„In Ordnung“, erwiderte Abby mit versagender Stimme.

Cal sah sie prüfend an. Wenn sie so ins Büro ging, würde ihr die ganze Geschichte von jedem an den Augen abzulesen sein. „Nichts ist geschehen“, sagte er knapp. „Und nichts wird geschehen“, setzte er in kaltem Ton hinzu, „wenn du nicht aufhörst, mich wie ein liebeskrankes Mondkalb anzuglotzen!“

Ein Schluchzer entrang sich Abbys Kehle. Mit großen Augen suchte sie verletzt seinen Blick und senkte dann schnell die Lider. Sie öffnete den Wagenschlag, stieg aus und schloss ihn leise wieder. Dann richtete sie sich auf und schritt auf den Büroeingang zu, ohne sich noch einmal umzudrehen.

Beinahe wäre Cal ihr gefolgt. Er hatte nicht vorgehabt, Abby – ausgerechnet Abby! – solche Worte zu sagen, aber er war selbst nicht ganz bei Sinnen und fürchtete sich davor, was geschehen konnte, wenn sie ihn weiterhin auf diese Weise ansah. Er durfte sich doch nicht in sie verlieben.

Sie war ja noch ein Kind! Und obendrein sein Mündel. Doch während er sich dies noch sagte, stieg vor ihm wieder das Bild auf, das ihm keine Ruhe mehr ließ: Abby mit entblößten Brüsten auf ihrem Bett. Er stöhnte, legte den Gang ein und schoss mit quietschenden Reifen die Straße hinab.

Abby hatte später keine Ahnung, wie sie den Tag hinter sich gebracht hatte. Es war ihr unmöglich, so zu tun, als sei nichts geschehen, doch da Justin wusste, dass sie einen Kater hatte, verzichtete er darauf, sie wegen ihrer blassen Gesichtsfarbe und ihres ungewöhnlich stillen Verhaltens ins Kreuzverhör zu nehmen. Und Cal tauchte auch nicht wieder auf, das war ein Segen. Abby glaubte, ihm nach dem, was er zu ihr gesagt hatte, nicht mehr in die Augen blicken zu können.

„Du brauchst ein bisschen Ablenkung“, bemerkte Justin später am Tag, als der Büroschluss nicht mehr fern war. „Wie wär’s mit einem Steak in Houston? Ich bin mit einem Kunden und seiner Ehefrau verabredet, mit denen ich über einen neuen Auftrag sprechen soll, und ich möchte nur sehr ungern allein hinfahren.“

Er lächelte, und seine sanfte Zuneigung ließ Abby warm ums Herz werden. Justin war eben doch nicht der kalte Typ, für den die meisten Leute ihn hielten. Er war lediglich ein trauriger, einsamer Mann, der schon längst hätte heiraten und eine Schar Kinder um sich haben sollen.

„Das würde mir sehr gefallen“, entgegnete Abby aufrichtig, zumal sie auf diese Weise Cal aus dem Weg gehen konnte. Freilich war es Wochenende, und an den Samstagabenden war er sowieso meistens nicht zu Hause, doch viel besser war es, wenn sie sich seinetwegen gar nicht erst den Kopf zerbrechen musste.

„Gut“, sagte Justin und stand auf, „wir machen uns gegen sechs auf den Weg.“

Abby hatte ein taubenblaues Kleid an, dazu schwarze Accessoires und, weil es kalt geworden war, ihren blauen Blazermantel.

„Sehr hübsch“, stellte Justin lächelnd fest. Er selbst trug einen dunklen Anzug und machte einen eleganten und gediegenen Eindruck – wie immer bei den seltenen Gelegenheiten, wenn er sich in Schale warf.

„Das Kompliment kann ich nur zurückgeben“, erwiderte Abby. Sie drückte ihre Handtasche an sich und blickte ruhelos die Eingangshalle hinab.

„Er kommt nicht nach Hause“, beruhigte Justin sie, der ihren besorgten Blick aufgefangen hatte. „Ich nehme an, ihr beide seid mal wieder aneinander geraten?“

Abby seufzte. „So schlimm wie noch nie“, gestand sie, ohne weiter ins Einzelne gehen zu wollen. Sie sah zu Justin auf. „Cal benimmt sich in letzter Zeit so, als hasste er mich.“

Justin versuchte in ihren Augen zu lesen. „Und du weißt nicht, warum“, brummte er. „Warte nur ab, Abby. Rom wurde auch nicht an einem Tag erbaut.“

Abby blinzelte. „Ich verstehe nicht, was du meinst.“

Er lachte leise und nahm ihren Arm. „Macht nichts. Komm, lass uns ge hen.“

Houston ist eine große ausgedehnte Stadt in einer flachen Landschaft, doch es hat eine ganz persönliche Note. Abby fühlte sich hier wohl. Nachts erstrahlt es in einem Glanz wie zu Weihnachten, fand sie – überall glitzernde Lichter und Fröhlichkeit.

Justin führte sie in ein kleines, intimes Restaurant und machte sie dort mit dem Ehepaar Jones – Clare und Henry – bekannt. Sie besa-ßen eine kleine Ranch in Montana, auf der sie Kälber aufzogen. Das ältere Paar besaß viel Sinn für Humor, und Abby waren die beiden gleich sympathisch. Sie unterhielt sich mit Clare über Mode, während Justin und Henry ihre Geschäfte besprachen. Für Abby war es ein anregender Abend, bis sie einmal aufsah und auf der gemütlichen kleinen Tanzfläche ein bekanntes Gesicht entdeckte.

Cal! Abbys Augen weiteten sich. Sie folgte ihm mit den Blicken, bis er eine freie Stelle erreicht hatte. Dann sah sie die hinreißende Blondine, die seine Tanzpartnerin war. Er hielt die Frau, die mindestens ebenso alt war wie er, mit beiden Händen an der Taille umfasst, und sie schmiegte sich an ihn, als tanzten sie so seit Jahren miteinander. Wie Verliebte lächelten sie sich an.

Abby wurde ganz schlecht. Sie fühlte sich elend. Schlimmer hätte Cal sie nicht treffen können, selbst wenn er dieses Attentat jahrelang vorbereitet hätte. Und so kurze Zeit nach der beleidigenden Bemerkung, die doch erst wenige Stunden zurücklag, war dies der Todesstoß für sie. Genau auf diese Art von Frauen fährt Cal ab, so ging es Abby durch den Kopf. Glatt, schön, erfahren. Hier war nun eine seiner geheimnisvollen Gespielinnen, eine jener Frauen, die er niemals mit nach Hau se brach te.

„Was gibt’s denn, Abby?“, fragte Justin plötzlich. Doch bevor sie antworten konnte, folgte er ihrem Blick zur Tanzfläche, und gleich darauf glühte etwas Furcht erregendes, Gefährliches in seinen dunklen Augen auf.

„Ist das nicht Cal?“, rief Henry fröhlich. „So ein Zufall. Holen wir ihn doch gleich mal rüber, Justin, und sehen wir, was er von unserem Angebot hält.“ Bevor ihn jemand daran hindern konnte, war er bereits aufgestanden und steuerte auf die Tanzfläche zu.

„Mrs Jones, sollen wir uns die Nase pudern?“, fragte Abby mit einem schwachen, aber überzeugenden Lächeln.

„Aber ja doch, meine Liebe. Sie entschuldigen uns, Justin?“, fragte die weißhaarige Dame höflich und verließ, Abby in ihrem Kielwasser, den Tisch.

Im letzten Augenblick ergriff Justin Abby am Oberarm und zog sie zurück. „Dreh jetzt nicht durch“, sagte er ruhig. „Ich werde dich, sobald ich kann, hier rausschaffen. Willst du noch was trinken?“

Abby sah auf, durch sein unerwartetes Verständnis fast zu Tränen gerührt. „Könnte ich eine Piña colada mit nur wenig Rum haben?“, fragte sie.

„Ich werd’s bestellen. Und nun halt die Ohren steif.“

Abby sah ihn liebevoll an. „Danke, großer Bruder“, sagte sie in sanftem Ton.

Er grinste. „Jederzeit zu Diensten. Nun aber los.“

Als sie ihre Augen von Justin abwandte, begegnete sie Cals dunklem Blick. Sie nickte ihm zu und ging ohne offensichtliche Eile davon.

Als Abby zehn Minuten später mit Mrs Jones zurückkehrte, war Cal im Begriff, sich vom Tisch zu erheben. Die Blondine hing nach wie vor an seinem Arm. Er blickte zu Abby auf, sein Gesichtsausdruck war undurchdringlich, doch lag etwas darin, das Abby verstörte; sie würde es sich um keinen Preis anmerken lassen. Liebeskrankes Mondkalb, also wirklich! Sie würde es ihm schon zeigen!

Sie lächelte. „Hi, Cal!“, rief sie obenhin und schlüpfte auf den freien Platz neben Justin. „Ist es nicht hübsch hier? Justin meinte, ein Abend in der Stadt täte mir gut. War das nicht süß von ihm?“ Sie nahm einen großen Schluck von ihrer Piña colada. Erleichtert stellte sie fest, dass von Rum kaum etwas zu schmecken war und dass ihre Hand nicht zitterte und den katastrophalen Zustand ihrer Nerven verriet.

„Sie ist jetzt nämlich ein großes Mädchen“, erklärte Justin seinem Bruder, indem er sich in arroganter Manier zurücklehnte und Cal zu einer Entgegnung reizte. Sein kühles Lächeln und sein direkter kalter Blick verfehlten ihre Wirkung nicht, nicht einmal auf seinen Bruder.

Cal schien nicht gerade erfreut über die Andeutung, die in diesen Worten lag, zumal Justin dann noch seinen Arm um Abbys Schultern legte. In der Tat sah es einen Moment so aus, als wollte er aufspringen und seinen Bruder von Abby losschütteln.

„Ich bin müde“, seufzte da die Blondine und schmiegte ihr Gesicht an Cals Schulter. „Ich brauche meinen Schönheitsschlaf – irgendwann“, scherzte sie mit einem bedeutsamen Blick auf Cal, der mit starrer Miene dasaß.

Abby hob das Kinn und sah Cal gerade in die Augen. „Amüsier dich nur, großer Bruder“, sagte sie mit gezwungener Fröhlichkeit und brachte sogar ein Lächeln zu Stande. Zum Glück hatte sie Justin! Sie hob ihr Glas, nippte an ihrem Getränk und zwinkerte der Blondine zu, die sie, Abby, offenbar für eine Verwandte hielt, von der keine Gefahr zu erwarten war.

Cal bemühte sich, seine Stimme wieder zu finden. Der Anblick Abbys an der Seite seines Bruders machte ihm schwer zu schaffen, mit dieser Möglichkeit hatte er nicht einmal im Traum gerechnet. Und wenn Justin vielleicht auch kein Playboytyp war, so war er doch ein reifer, sehr männlicher Mann. Immerhin hatte sich sogar eine Schönheit wie Shelby Jacobs in ihn verliebt.

Cal hatte keineswegs vorgehabt, die Blondine auszuführen. Gemessen an den Gefühlen, die er für Abby hegte, war sie nur ein schwacher Ersatz, ein in jener Hinsicht platonischer zumal. Nicht einmal ein körperliches Verlangen verspürte er nach ihr; sie war nur jemand, mit dem er sich unterhalten und die Zeit totschlagen konnte, ohne dass dadurch sein Gefühlsleben strapaziert wurde.

Doch niemals hätte er gedacht, dass Abby ihn mit ihr erwischen würde. Diese Entwicklung ging ihm ans Mark, hatte ihn jetzt kopfscheu gemacht. Wie nahm Abby es auf? So sehr er sich auch Mühe gab, er konnte in ihren Zügen nicht den leisesten Anflug von Eifersucht erkennen. Sie hatte mehr Make-up als üblich aufgelegt, und das Kleid stand ihr ausgezeichnet. Sie sah einfach hinreißend aus. Ob Justin sich dessen bewusst war?

„Ich sagte, ich würde jetzt wirklich gern nach Hause gehen“, wiederholte die Blondine und lachte. „Tust du mir den Gefallen? Ich habe einen langen Tag hinter mir – ich bin Mannequin“, fügte sie zur Erklärung für die anderen hinzu, „und wir hatten heute Nachmittag eine Modenschau. Meine Füße bringen mich um, so unromantisch das auch klingen mag.“

„Natürlich“, sagte Cal beschwichtigend und nahm ihren Arm. „Wir sehen uns noch.“ Diese Worte waren an Justin gerichtet.

„Na klar doch“, brummte Justin mit einem spöttischen, ungläubigen Unterton und lächelte die Blondine an, die auch tatsächlich errötete.

Cal entging nicht, wie Abby auf diese Bemerkung reagierte. Sie senkte den Blick, doch ihre schlanke Hand, welche das Glas mit der Piña colada hielt, zitterte. Da wurde Cal ganz elend zumute, und am liebsten hätte er sie auf die Arme genommen und davongetragen, möglichst weit weg von Justin.

Doch Justins Arm lag immer noch um Abbys Schultern, und jetzt drückte er sie auch noch an sich. „Es kann später werden“, sagte Justin zu seinem Bruder. „Du brauchst nicht aufzubleiben, wenn du früher nach Hause kommst. Ich dachte, ich könnte mit Abby noch tanzen gehen“, setzte er mit funkelnden Augen und dem arroganten Lächeln hinzu, das Cal so hasste.

„Oh ja, das wäre schön“, ging Abby erfreut darauf ein.

Cal fühlte, wie sich seine Kehle zusammenschnürte. Auch er brachte ein Lächeln zu Stande, doch es wirkte gequält. „Gute Nacht, dann“, sagte er mit gepresster Stimme. Er hörte kaum hin, was die anderen ihm entgegneten, als er die Blondine aus dem Restaurant geleitete.

„Die Krise ist vorbei“, wandte sich Justin an Abby. „Sie sind weg.“

Abby sah auf, in ihren Augen standen Tränen. „Du weißt Bescheid, nicht wahr?“

„Wie du dich fühlst, meinst du?“ Er nickte. „Du darfst es dir nur nicht anmerken lassen, Kleines. Er muss sich eben noch die Hörner abstoßen, doch wenn er für dich das Gleiche fühlt wie du für ihn, dann wird er sich schon am Riemen reißen. Lass ihm nur Zeit, und hüte dich davor, ihm Zügel anlegen zu wollen.“

„Du weißt eine Menge über Männer“, sagte Abby und schnäuzte sich in ein Papiertaschentuch.

„Na, ich bin ja schließlich auch einer“, entgegnete er. „Jetzt trockne mal deine Augen, und dann nehmen wir den langen Weg nach Hause. Das wird ihn auf die Palme treiben. Schon der Gedanke, dass du mit mir ausgegangen bist, hat ihm schwer zu schaffen gemacht.“

„Wirk lich?“

Er musste über ihre verdutzte Miene lachen. „Wirklich. Kopf hoch, Mädel. Du bist jung. Du hast Zeit.“

„Und was tue ich in der Zwischenzeit? Er macht mich wahnsinnig.“

„Du könntest dich ja mal nach dieser Wohnung umsehen“, meinte Justin. „Ich sähe es zwar sehr ungern, wenn du von uns wegziehen würdest, doch letzten Endes dürfte dies wohl die einzig richtige Antwort sein.“

„Das ist schon abgemachte Sache.“ Abby wischte sich die Tränen aus den Augen. „Aber Cal hat was dagegen, dass ich mit Misty zusammenwohnen will.“

„Ich auch“, gab Justin aufrichtig zu. „Wusstest du, dass sie Cal angemacht und er ihr einen Korb gegeben hat?“

„Kann man denn niemandem mehr vertrauen?“, stöhnte Abby. „Ob es wohl auch Frauen gibt, die nicht hinter ihm her sind?“

„Doch, ein paar, da und dort“, scherzte Justin und zwinkerte ihr mit seinen dunklen Augen zu. „Ich finde, du solltest dir lieber bei irgendjemandem ein möbliertes Zimmer nehmen. Aber das liegt bei dir. Ich will dir nicht vorschreiben, was du zu tun und zu lassen hast. Du bist alt genug, um für dich selbst zu entscheiden.“

„Danke, Justin“, sagte Abby mit weicher Stimme und lächelte. „Du wirst eines Tages einen guten Ehemann für ein nettes Mädchen abgeben.“

Justins Ausdruck verhärtete sich, und der Humor schwand aus seinen Augen. „Diesen Fehler werde ich nicht begehen“, sagte er. „Ich habe bereits meine Lektion bezogen.“

„Du hast dich nie dafür interessiert, was Shelby dazu zu sagen hat“, erinnerte Abby ihn. „Cal meint, du hättest nichts davon hören wollen.“

„Sie hat alles gesagt, indem sie nur den Ring zurückgab. Und ich will nicht darüber reden.“ Seine Augen schossen warnende Blitze, als er sich erhob. „Ich rede mit niemandem über Shelby, nicht einmal mit dir.“

„Okay“, zog sich Abby zurück, „ich werde nicht weiter bohren.“

„Gehen wir“, sagte Justin und nahm die Rechnung auf. „Wir lassen uns noch zwei Stunden Zeit, bis wir nach Hause fahren, und ich hoffe, dass Cal inzwischen die Wände hochgeht.“

„Er wird wahrscheinlich gar nichts merken“, wandte Abby kläglich ein. „Sie war sehr hübsch.“

„Gutes Aussehen zählt nicht auf lange Sicht.“ Justin sah Abby in die Augen. „Hast du gemerkt, wie unangenehm es ihm war, dass du ihn mit der Blonden ertappt hast?“

Abby wandte sich ab. „Ich bin müde. Aber es war ein wundervolles Dinner. Ich danke dir.“

Justin hob eine Augenbraue. „Danke mir nicht. Der Genuss war ganz auf meiner Seite. Alle Mal besser als ein Abend vor der Glotze.“

Er lachte still in sich hinein.

Abby wollte ihn fragen, warum er nie mit Frauen ausging und ob er nach sechs Jahren Shelby Jacobs immer noch die Tür offen hielt. Cal hatte gemeint, dies sei der Fall, aber Justin war verschlossen wie eine Auster, wenn es um sein Privatleben ging. Und Abby wollte nicht tiefer in ihn dringen. Dazu war sie nicht mutig genug, nicht einmal mit einer Piña colada im Blut.

3. KAPITEL

Justin park te seinen schnittigen schwarzen Thunder bird in der Garage, und Abby war überrascht, dass Cals Jaguar bereits dort stand.

„Schau an, schau an“, brummte Justin und sah zu Abby hinüber. „Sieht aus, als wollte er mal früh schlafen gehen.“

„Vielleicht war er geschlaucht“, lautete Abbys kühle Diagnose.

Justin sagte nichts dazu, doch irgendetwas schien ihn köstlich zu amüsieren.

Cal war im Wohnzimmer, vor sich eine Brandyflasche. Er saß in Hemdsärmeln da, die er bis zu den Ellbogen aufgekrempelt hatte, und das Hemd stand vorn fast bis zum Bauchnabel offen. Abby musste sich zusammenreißen, um nicht ganz und gar hingerissen seinen breiten, muskulösen Brustkorb anzustarren. Er war der sinnlichste Mann, den sie je gekannt hatte, so stark und groß, dass allein sein Anblick sie ganz schwach machte.

„So, hast du sie endlich nach Hause gebracht“, schnauzte Cal seinen Bruder an. „Weißt du eigentlich, wie spät es ist?“

„Gewiss doch.“ Justin ließ sich nicht aus der Ruhe bringen. „Es ist zwei Uhr morgens.“

„Was habt ihr bis jetzt getrieben?“

Justin hob eine Augenbraue. „Ach, rumgefahren und so. Gute Nacht, Abby!“ Er zwinkerte ihr zu, bevor er sich umwandte und die Treppe hinaufging.

Abby war wie vom Blitz gerührt. Warum hatte Justin das nun wieder gesagt? In Cals Augen glitzerte Mordlust. Sie räusperte sich.

„Ich denke, ich gehe ebenfalls rauf.“ Sie wollte sich umdrehen, doch da wurde sie von einer großen warmen Hand am Arm gepackt und ins Wohnzimmer hineingezogen.

Cal knallte die Tür zu, und seine Brust hob und senkte sich schwer. Seine Augen waren nun ganz schwarz geworden, glitzernd, gefährlich, und sein sinnlicher Mund bildete einen dünnen grimmigen Strich.

„Wo wart ihr?“, herrschte er sie an. „Und was habt ihr getrieben? Justin ist siebenunddreißig und kein Knabe mehr.“

Sprachlos stand Abby ihm gegenüber. Der plötzliche Überfall hatte ihr momentan den Atem geraubt, aber dann gewann ihr Ärger die Ober hand.

„Die Blondine, mit der du aus warst, war auch nicht gerade ein Schulmädchen“, entgegnete sie ihm, so ruhig sie konnte, während ihr die Knie zitterten, sodass sie sich an die Tür lehnen musste, um sich abzustützen.

Cal zog die Augenbrauen zusammen. „Mein Privatleben geht dich nichts an“, sagte er vorsichtig abwehrend.

„Natürlich nicht“, stimmte Abby zu. „Du sagtest bereits, dass ich dich nicht wie ein liebeskrankes Mondkalb anhimmeln soll, und ich tue mein Bestes, das nicht zu tun.“ Es tat ihr in der Seele weh, diesen schmerzhaften, beleidigenden Ausdruck über die Lippen zu bringen.

Cal zuckte mit den Schultern, während er Abby ansah und den Blick rasch wieder abwandte, so, als ob ihm ihre Worte peinlich wären. „Justin ist zu alt für dich.“

„So ein Quatsch“, erwiderte Abby und hob das Kinn. „Du hast bis jetzt an jedem Mann was auszusetzen gehabt, mit dem ich ausgegangen bin, aber du kannst doch deinen eigenen Bruder nicht mies machen. Justin würde mir niemals wehtun, und das weißt du.“

Er wusste es, aber das half ihm auch nicht weiter. Der Gedanke an ein Verhältnis zwischen Abby und Justin bereitete ihm körperliche Schmerzen. „Ach, verdammt noch mal!“, platzte er heraus, ihm fehlten einfach die Worte.

Abby holte tief Atem, während ihr Herz Tango tanzte. „Warum sollte es dich interessieren, was ich treibe?“, sagte sie herausfordernd. „Und du bist mir gerade der Richtige, über andere Leute zu Gericht zu sitzen. Meine Güte, Cal, jedermann weiß doch, was für ein Playboy du bist!“

Cal starrte sie an und versuchte sein Temperament im Zaum zu halten. „Ich bin kein Playboy“, sagte er gepresst. „Gut, ich gehe ab und zu mit Frauen aus …“

„Jede Nacht“, erwiderte Abby. Sie wusste zwar, dass dies nicht ganz stimmte, doch für Haarspaltereien war sie einfach zu zornig. „Nicht dass es mir etwas ausmachen würde“, fügte sie mit einem kalten Lächeln hinzu. „Mir ist es egal, mit wem du ausgehst, solange du deine Nase nicht in meine Angelegenheit steckst. Ich jedenfalls treffe mich, mit wem ich will, und wenn dir das nicht gefällt, dann ist das dein Problem!“

Cal setzte zu einer entsprechenden Erwiderung an, doch bevor er die Worte herausbrachte, hatte sie bereits die Tür aufgerissen und stürmte die Treppe hinauf.

„Wenn du noch einmal bis zwei Uhr morgens wegbleibst, mit oder ohne Justin, renne ich mit dem Zaunpfahl hinter dir her!“, brüllte Cal ihr nach.

Verdammte Weiber! Cal hätte schreien mögen, wenn er daran dachte, wie sehr ihm Abby in der letzten Zeit zusetzte. Sie ruinierte sein Leben – ebenso wie sein Arbeitsleben. Nichts anderes kam ihm mehr in den Sinn als ihre verdammt hübschen Brüste …

Abby weinte sich in den Schlaf. Was für ein schrecklicher Abend war das gewesen! Und jedes Mal, wenn sie sich vorstellte, wie Cal dieses Mannequin küsste, wurde ihr noch übler. Sie hasste ihn, hasste jeden Knochen in seinem Leib, und ganz besonders hasste sie sein Besitz ergreifendes Gehabe. Sie musste einfach eine eigene Wohnung finden, musste weg von der Ranch, denn nach den Geschehnissen dieser Nacht erschien es ihr ein Ding der Unmöglichkeit, bis zu ihrem Geburtstag weiterhin unter einem Dach mit Cal zu bleiben.

Am nächsten Morgen schlief Abby erst einmal aus. Normalerweise ging sie Sonntagmorgens zur Kirche, doch diesmal drückte sie sich davor, denn sie wollte auf keinen Fall Cal begegnen.

Doch sie hätte sich keine Sorgen zu machen brauchen. Als sie schließlich zur Mittagszeit herunterkam, in Jeans und beigefarbenem Häkelpulli, das Haar zu einem Pferdeschwanz gebunden, war Cal nirgends in Sicht.

„Guten Morgen“, sagte Justin vom Kopf der Tafel her und lächelte leicht. „Wie ist es dir gestern Nacht noch ergangen?“

„Frag mich nicht“, stöhnte Abby. Sie setzte sich und sah nervös zur Tür. „Ist er da?“

Justin schüttelte den Kopf, schenkte sich Kaffee ein und reichte die Kanne an Abby weiter. „Er schläft noch.“ Das überraschte Abby, denn Cal war sonst ein Frühaufsteher. Jetzt brachte Justin sogar ein Grinsen zu Stande. „Was war denn los?“

„Er meint, ich hätte vor zwei Uhr morgens zu Hause zu sein, er selbst brauche das aber nicht“, sagte Abby ruhig. „Und du bist zu alt für mich“, setzte sie hinzu, wobei sie ihn schelmisch ansah.

Justin lachte in sich hinein. „Was sonst noch?“

„Der dreht noch völlig durch, Justin. Ich weiß nicht, was in der letzten Zeit in ihn gefahren ist. Sein Liebesleben kann es wohl nicht sein – das Mannequin schien ja völlig auf ihn abzufahren.“

Justin schien keine Antwort darauf zu wissen. Während er sich Sahne in den Kaffee goss, sagte er: „Ach, fast hätte ich’s vergessen. Misty hat angerufen. Sie sagte etwas von einer Wohnung, die sie sich heute mit dir ansehen will, wenn du Lust hast.“

„Ja, ich denke schon.“ Abby warf der Treppe, die nach oben führte, einen zornigen Blick zu.

„Du weißt, ich halte nicht viel davon, dass du mit Misty zusammen hausen willst“, sagte Justin in aufrichtiger Besorgnis. „Aber es ist deine Entschei dung.“

„Du bist ein netter Mensch, Justin.“

„Freut mich, dass du so eine gute Meinung von mir hast. Anscheinend hält mich mein Bruder für ein ebensolches Schlitzohr, wie er selber ist.“ Er gluckste.

„Gott sei Dank bist du das nicht“, seufzte Abby. „Einer in der Familie reicht mir!“

„Wenn du rausgehst, zieh dir lieber eine warme Jacke an“, warnte Justin. „Ich wollte nur die Zeitung reinholen und bin fast erfroren.“

Wieder seufzte Abby. „Und da heißt es, der Frühling stehe vor der Tür.“

Nach dem Frühstück rief Abby ihre Freundin Misty an und versprach ihr, sich sogleich auf den Weg zu machen. Dann ging sie auf ihr Zimmer, um ihre burgunderfarbene Velourjacke zu holen. Sie schloss gerade den letzten Knopf und wollte sich zum Gehen wenden, als sie in der offenen Tür Cal stehen sah, der sie mit brütendem Blick betrach tete.

Er hatte gerade geduscht und stand da mit entblößtem Oberkörper und nassen Haaren. Wieder einmal konnte Abby nicht umhin, seine männliche Schönheit zu bewundern, die sich in den kräftigen Muskeln, dem dichten blonden Haar, dem breiten Brustkorb und in seinen schmalen Hüften manifestierte. Cal lächelte nicht, und unter seinen dunklen Augen lagen schwere Ringe. Er sah genauso müde aus, wie Abby sich fühlte.

„Wohin gehst du?“, fragte er kalt.

„Wohnungen besichtigen“, antwortete Abby obenhin. „In gut zweieinhalb Monaten werde ich eine brauchen.“

„Was sagt Justin dazu?“ Cals Augen verengten sich in aufwallendem Är ger.

„Justin ist nicht derjenige, der mich in einen Käfig einsperren will.“ Abby war die ganze Angelegenheit leid, seinen ungerechtfertigten Zorn und sogar Justins Rolle als Cupido. „Sieh mal, Justin hat mich nur zum Essen ausgeführt. Er hat nicht irgendwo angehalten und mich zu verführen versucht. So einer ist er nicht, und du solltest dich schämen, so etwas von ihm zu denken. Justin ist wie ein Bruder für mich. Genau … wie du“, schloss sie und wandte die Augen ab. „Keinem von euch beiden bringe ich irgendwelche romantischen Gefühle entgegen.“

„Und das ist eine verdammte Lüge“, sagte Cal in kaltem Ton. Er drückte sich von der Tür ab, wobei er sie hinter sich zuschlug. Abbys erschrockener Blick richtete sich auf ihn, als er auf sie zukam. „Ich bin genauso wenig dein Bruder wie ich dein Großonkel bin.“

Abby wich vor ihm zurück. Sie stieß gegen einen Stuhl, stolperte und schaffte es gerade noch, an der Wand Halt zu finden. Cal sah gefährlich aus, und sie wusste nicht, wie sie sich seiner Temperaments-ausbrüche erwehren sollte.

Sie drückte sich gegen die kalte Wand. „Genau das erwartest du aber von mir“, sagte sie vorwurfsvoll. „Ich soll mich wie eine kleine Schwester aufführen, die dir nicht in die Quere kommt, die dir keine schönen Augen macht …“

„Mein Gott, ich weiß selbst nicht mehr, was ich eigentlich will“, knirschte Cal und stemmte seine Hände rechts und links neben Abbys Kopf an die Wand. So nah, so sinnlich, so männlich stand er vor ihr, dass ihr sein erregender männlicher Duft in die Nase stieg. Sie konnte die in der Morgensonne glänzenden winzigen goldenen Härchen auf seinem Brustkorb erkennen, ebenso wie das Glitzern seiner durchdringenden Augen, mit denen er sie unverwandt ansah.

„Cal, ich muss gehen“, sagte sie mit schwankender Stimme.

„Warum?“, fragte er.

Sie sah ihn atmen. Seine Brust hob und senkte sich schwer, als ob es ihn Mühe kostete, die Luft in die Lungen hinein- und wieder herauszupressen. Ihr ging es ebenso. Zu nahe war er ihr, und jeden Moment konnte ihre Verletzlichkeit zum Vorschein kommen. Sie hätte es nicht ertragen können, dass er ihre Schwäche sah und sich darüber lustig mach te.

„Hör auf.“ Abbys Stimme war nur noch ein heiseres Flüstern, und sie kniff die Augen zu. „Verdammt noch mal, nein … oh!“

Plötzlich presste er die Lippen auf ihre, sodass ihr das Herz zu stocken drohte. Es war kein sanfter Kuss, es war, als ob das Gefühl ihres weichen Körpers an seinem seine Wildheit herausforderte, seinen Hunger erweck te.

Und in der Tat hungerte ihn nach ihr. Er presste sich an sie, sodass seine Hüften und Schenkel sie voll berührten und sich seine Brust gegen den Stoff ihrer Jacke drückte. Die Jacke war ihm im Weg, er knöpfte sie auf, um ihre Brüste zu spüren. Er fühlte, wie sie keuchte, als sich ihre Brüste an ihn drückten, und die Wärme und Weichheit ihres Körpers entlockten ihm ein Stöhnen. Er zwang ihre Lippen auseinander, sog begierig an ihrer Unterlippe. Dies erregte ihn und steigerte seinen Hunger. Es verlangte ihn nach ihrem Mund, wie es ihm nach ihrem zarten, süßen jungen Körper verlangte. Er stieß seine Zunge hinein, spielte mit ihrer Zunge, und dabei stöhnte er und drückte sie mit seinem ganzen Gewicht gegen die Wand.

Abby hatte Angst. Mit so etwas „Erwachsenem“ hatte sie nicht gerechnet, und sie war noch nie von jemandem geküsst worden, der über ein nennenswertes Maß an Erfahrung verfügte. Cal hatte Erfahrung, und er küsste sie so, als wäre auch sie kein Neuling auf diesem Gebiet. Doch das war sie eben. Das Gefühl seines Körpers in solch einer intimen Umarmung war ihr peinlich, und das, was er mit seinem Mund vollführte, schockierte sie zutiefst. Aus Angst, die Beherrschung zu verlieren, stemmte sie ihre Hände gegen seine Brust.

„Nein!“, wimmerte sie.

Er nahm es kaum wahr. Seine Gedanken rasten, sein Körper durchlitt Qualen. Er schaffte es, den Kopf zu heben, um auf sie hinunterzusehen. Doch von der Leidenschaft und dem Entzücken, die er in ihren hellen Augen zu erblicken hoffte, war nichts zu erkennen. Ja, sie hatte sie weit aufgerissen, doch nicht vor Begierde, sondern … aus Angst!

Cal zog die Stirn in Falten. Ihre Hände lagen zwar auf seiner Brust, doch sie streichelten ihn nicht, sondern stießen ihn im Gegenteil sogar von sich. Und sie weinte.

„Abby“, flüsterte er sanft. „Mein Liebes …“

„Lass mich los“, schluchzte sie. „Lass mich doch los!“ Wieder versuchte sie ihn wegzuschieben, mit aller Kraft.

Cal stieß sich von der Wand ab und löste sich von Abby. Sie fühlte sich kalt und leer und ging an ihm vorbei, bis das halbe Zimmer zwischen ihnen lag. So also fühlte sich Leidenschaft an. Die Erinnerung daran ließ sie schaudern. Ihre Lippen schmerzten von dem heftigen Kuss, und auf den Brüsten spürte sie immer noch den Druck seines Brustkorbs. Er hatte nicht einmal den Versuch unternommen, sanft zu sein. Vorwurfsvoll sah sie ihn an, und ihre Augen glänzten von Tränen, als sie ihre Jacke vorn zusammenzog und erschauerte.

Cal fühlte sich, als wäre ein Hammer auf seinen Kopf niedergesaust. Ihre Reaktion war so ganz anders gewesen, als er erwartet hatte. Schon einmal hatte er Abby fast geküsst, und sie war willig auf ihn eingegangen. Doch jetzt sah sie aus, als hasste sie ihn.

„Du hast mir wehgetan!“, flüsterte sie bebend.

Cal fehlten die Worte. Besorgt blickte er sie an. War sie denn noch nie mit männlicher Leidenschaft in Berührung gekommen? War das möglich? Konnte eine Frau in diesen Tagen, in dieser Zeit noch so vollkommen unberührt sein?

„Bist du noch nie geküsst worden?“, fragte er sanft.

„Doch, natürlich“, entgegnete Abby steif. „Aber nicht … nicht so!“

Seine Augenbrauen schossen in die Höhe. Jetzt begann er allmählich zu verstehen. „Mein Gott“, sagte er heiser. „Abby, Erwachsene küssen so.“

„Dann will ich nicht erwachsen sein“, gab Abby errötend zurück. „Nicht wenn ich mich dafür so … zerquetschen lassen muss.“

Cal sah zu, wie sie sich umdrehte und das Zimmer verließ. Er fühlte sich unfähig, sie zurückzuhalten. Abbys Reaktion hatte ihn völlig aus dem Konzept gebracht. Er hatte erwartet, dass sie zumindest mit den Grundbegriffen der körperlichen Liebe vertraut sein würde, doch sie schien tatsächlich vollkommen unschuldig zu sein. Einen tiefen innigen Kuss, die sinnliche Berührung eines Männerkörpers hatte sie anscheinend noch nie erlebt.

Dies hätte Cal erfreuen sollen, doch die Tatsache, dass sie seine Leidenschaft als „Zerquetschen“ empfand, ließ keine Freude in ihm aufkommen. Hätte er sie doch damals dem betrunkenen Cowboy überlassen, dann wüsste sie jetzt, was es heißt, zerquetscht zu werden!

Abby stieg in ihren Sportwagen und drehte mit zitternden Fingern den Zündschlüssel. Wie hatte Cal ihr nur so wehtun können, wenn ihm etwas an ihr lag? So hatte er doch nur bewiesen, wie wenig sie ihm tatsächlich bedeutete, nur um sein eigenes Vergnügen war es ihm gegangen. Nun, dann sollte er doch zu seinen Blondinen zurückgehen, ihr sollte es recht sein. Sie konnte ihn jetzt nur noch hassen.

Misty wartete bereits, als Abby sie von dem im Kolonialstil erbauten Herrenhaus abholte, in dem sie mit ihren Eltern lebte. Sie stieg in Mistys kleinen Sportflitzer um und scherte sich nicht um den Fahrtwind, der ihr das Haar zerzauste. Vielleicht blies er ja auch ihre miese Stimmung weg. Sie liebte Cal doch – wie hatte er sie da so niederträchtig behandeln können? Aber sie musste jetzt tun, als sei nichts geschehen, damit Misty nicht anfing, Fragen zu stellen, die Abby nicht beantworten wollte.

In der Stadt stellten sie den Wagen ab und gingen zu der ersten Adresse auf Mistys Liste. Die Wohnung lag über einem Süßwarenladen, an einer Straßenecke gegenüber der Bank. Misty gefiel das Apartment nicht, denn es hatte nur ein Schlafzimmer, und Misty legte, wie sie sagte, wert auf ein ungestörtes Privatleben. Abby behielt diese Bemerkung – und was sie implizierte – im Hinterkopf und erklärte ihrerseits, dass ihr die Aussicht nicht gefalle. Außerdem läge die Wohnung zu nahe am Stadtzentrum, was besonders an den Wochenenden nächtlichen Verkehrslärm mit sich bringe.

Das zweite Angebot dagegen gefiel Abby annehmend. Es handelte sich um ein Zimmer in einem Privathaus, das einer Mrs Simpson gehörte, einer freundlichen, intelligenten und warmherzigen Frau. Dies passte nun Misty gar nicht in den Kram: Sie brauchte keine alte Ziege, die ihre Nase überall hineinsteckte. Abby kam nun schnell zu dem Schluss, dass Misty hauptsächlich an einer „sturmfreien“ Bude gelegen war, wo sie ungeniert Partys und sonstige Happenings abhalten konnte, und sie scheute sich davor, den Namen der Ballengers in solche Aktivitäten hineinziehen zu lassen.

„Ich nehme das Zimmer“, sagte sie zu Mrs Simpson, „wenn es Ihnen nichts ausmacht, nur mich anstatt uns beide zu nehmen, und wenn Sie es mit dem Einzug nicht allzu eilig haben. Es dauert bei mir noch ein paar Wochen …“

„Das passt mir gut, denn ich will sowieso für ein, zwei Wochen zu meiner Schwester fahren.“ Mrs Simpson setzte ein breites Lächeln auf, und ihre blauen Augen strahlten förmlich. „Ich bin entzückt, meine Liebe.“ Sie lehnte sich vor, während Misty noch oben herumlief und sich über den Mangel an Privatsphäre beklagte. „Ihre Freundin scheint ja wirklich sehr nett zu sein, aber wissen Sie, ich bin ja doch ziemlich altmodisch …“

„Ich genauso“, flüsterte Abby und legte den Finger auf die Lippen, als sie Misty die Treppe herunterkommen sah.

„Nein, tut mir leid, das sagt mir nicht zu“, seufzte Misty.

„Ich weiß, wie wir es machen“, strahlte Abby sie an. „Ich nehme dieses hier, und du nimmst das von vorhin. Das wird toll. Wir können uns besuchen und haben beide unser Privatleben.“

Misty hob eine Augenbraue. „Nun … das wäre vielleicht gar nicht so schlecht. Aber du sagtest doch, du wolltest mit mir zusammen wohnen.“

Mrs Simpson entschuldigte sich und bat Abby, sie wegen des Einzugsdatums später noch mal anzurufen.

Auf dem Weg zum Auto sagte Abby zu ihrer Freundin: „Sehen wir doch den Tatsachen ins Gesicht, Misty. Du willst Männer zu dir einladen, und Cal und Justin würden nur über mich herfallen, sobald sie Wind davon bekämen. Und es wäre dir ja sicher auch nicht recht, sie ständig auf deiner Fußmatte zu haben, oder?“

Misty tat so, als ob ihr schauderte. „Bist du verrückt? Cal mag ja angehen, aber Justin? Der versteht doch kein bisschen Spaß!“

Abby dachte daran, wie belustigt sich Justin über Cals Benehmen gezeigt hatte, doch sie nickte nur.

„Gehen wir Kaffee trinken“, schlug Misty vor. Sie fuhren ins Zentrum zurück und parkten neben der Bank. Kaum waren sie ausgestiegen, da kamen Tyler Jacobs und seine Schwester Shelby um die Ecke. Sie wirkten ernst, ja bedrückt.

Abby begrüßte sie. „Tyler, Shelby, wie geht’s?“

„Kein günstiger Zeitpunkt, danach zu fragen“, seufzte Shelby, brachte jedoch ein schwaches Lächeln zu Stande. Sie war ein Gedicht! Langes dunkles Haar umrahmte ihr elfengleiches Gesicht mit den grünen, glasklaren Augen. Ihr Mund war makellos, und sie war hoch gewachsen und schlank. Als Mannequin hätte sie Millionen verdient, doch ihre Eltern hatten von solch einem Beruf für ihre einzige Tochter nichts wissen wollen.

Tyler war seiner Schwester in vielem ähnlich. Er hatte dichtes dunkles, fast schwarzes Haar, einen dunklen Teint und die gleichen seltsam grünlichen Augen. Er war groß wie Cal, aber schlanker. Schlank wie eine Gerte, aber nicht weniger imposant. Er war kein schöner Mann, hatte jedoch Charakter, und die meisten Frauen fanden ihn unwiderstehlich.

Misty war entzückt, Tyler zu begegnen. „Schau da, schau da“, legte sie los. „Was für ein Zufall, euch hier zu treffen.“

„Hallo, Misty!“ Tyler rang sich ein Lächeln ab. „Du siehst blendend aus, wie immer. Was treibt euch denn beide an einem Sonntag in die Stadt?“

„Ursprünglich wollten wir uns nach einem gemeinsamen Apartment umsehen“, seufzte Abby. „Aber dann haben wir uns jede ein Einzelzimmer genommen, an entgegengesetzten Enden der Stadt. Ich miete mir bei einer Mrs Simpson eins, und Misty hat ein Zimmer mit Blick auf die Bank.“

„Gleich da drüben.“ Misty deutete zur anderen Seite der Straße. „Es muss zwar renoviert werden, aber darum kann ich mich kümmern.“

Abby grinste. „Darauf gehe ich jede Wette ein, dass du das kannst!“

„Kommt, wir laden euch zum Kaffee ein“, sagte Shelby. „Tyler braucht etwas Aufmunterung. Schon gestern hat uns ein schwerer Schlag getroffen, und heute haben wir noch eins obendrauf gekriegt.“

Abby sah zu Tyler auf. Er schien in sich gekehrt und mürrisch, was bei ihm eine Seltenheit war. „Das tut mir aber leid. Kann ich irgendwie helfen?“

„Nein, mein Püppchen“, brummte Tyler und strich ihr liebevoll über das Haar. „Danke für das Angebot. Wie geht’s Cal?“

Abby wandte die Augen ab. „Gut, nehme ich an. Er und Justin sind beide zu Hause.“

„Keine Schwierigkeiten, nachdem Cal dich neulich vom Tanzpalast nach Hause brachte?“, setzte Tyler nach, aber er wollte Abby eigentlich nur ein wenig necken.

„Nur die übliche Standpauke.“ Abby brachte ein zaghaftes Lächeln zu Stande, während sie alle vier die Straße hinuntergingen und in ein kleines Café einkehrten. Die Kellnerin brachte ihnen vier Tassen Kaffee und ein Kännchen mit Sahne.

Shelby warf Abby einen schelmischen Blick zu. „Du kleiner Teufel“, neckte sie sie.

„Ich wollte doch nur mal sehen, wie die andere Hälfte der Menschheit lebt“, verteidigte sich Abby.

„Und ich gab mein Bestes, dir dabei behilflich zu sein“, seufzte Misty. „Andererseits, war es nicht ein Glück, dass es Cal war und nicht Justin, der zu deiner Rettung kam? Cal nimmt die Dinge nicht so schwer.“

„In letzter Zeit schon“, widersprach Abby.

Nachdem Justins Name gefallen war, wirkte Shelby eigentümlich still und zurückgezogen. Sie tat Abby leid. Justin war nie darüber hinweggekommen, dass Shelby ihm den Korb gegeben hatte. Das würde er wohl auch nie, und Shelby musste sich dessen bewusst sein.

„Was treibt denn Justin so?“, fragte Tyler beiläufig – zu beiläufig, wie Abby fand.

„Er geht arbeiten, kommt nach Hause, geht arbeiten, kommt nach Hause …“, sagte Abby, während sie Zucker und Sahne in ihren Kaffee tat.

Misty gähnte. „Wie aufregend!“

„Er fühlt sich einsam, nehme ich an“, sagte Abby mit Vorbedacht.

„Er geht niemals aus.“

„Da ist er nicht der Einzige“, knurrte Tyler und warf Shelby einen Blick zu, der sie unruhig auf ihrem Sitz herumrutschen ließ.

„Was macht das Pferdegeschäft?“, lenkte Abby schnell vom Thema ab und trank ihren Kaffee.

„Ist wohl endgültig den Bach runtergegangen“, entgegnete Tyler mit schwerer Stimme. „Dad hat sich vor seinem Tod einige Fehlinvestitionen geleistet. Bisher war ich mit den Zahlungen nachgekommen, doch diesen Monat musste ich passen.“ Seine Miene verdüsterte sich. „Ich werde Geronimo verkaufen müssen.“

„Oh, Tyler, das tut mir aber leid.“ Abby zog eine Grimasse. „Das war doch dein Lieblingspferd.“

„Meines auch“, warf Shelby mit einem Seufzer ein. „Aber wenn wir ihn behalten, können wir Dads Schulden nicht abzahlen. Du willst ihn wohl nicht zufällig, Abby?“

„Ich bin leider keine gute Reiterin“, warf Misty ein.

„Falls ich Justin dazu überreden könnte, würde ich ihn schon gern haben“, sagte Abby mit sanfter Stimme.

„Danke, Abby, aber das wäre wohl keine gute Idee“, entgegnete Shelby. „Justin würde geradewegs durch die Decke gehen, wenn du ihn fragst.“

„Wie ’ne Rakete“, stimmte Tyler zu und grinste Abby an. „Nein, wir werden ihn über einen Händler anbieten. Es dürfte keine Schwierigkeit sein, ihn an den Mann zu bringen. Ich möchte nur sicher sein, dass er in gute Hände kommt, das ist alles. Manche Leute kaufen ein Pferd lediglich für Zuchtzwecke. Sie sehen auf Dollar und Cent, das Pferd selbst ist ihnen völlig egal.“

„Ich habe eine Kusine in Texas“, meldete sich Misty zu Wort, „die ganz allein eine Ranch führt. Es ist eine Pferde-Ranch. Sagt dir das was?“

Tyler lächelte. „Genug. Könntest du mich mit ihr bekannt machen?“

„Ich werde ihr deine Telefonnummer geben, wenn du nichts dagegen hast.“

„Fein.“

Lichtschein glänzte in Shelbys Haar, als sie die Tasse hob und ihren Kaffee austrank. Wieder einmal bewunderte Abby ihre elfengleiche Schönheit und fragte sich, was sie wohl an einem Mann wie Justin finden mochte, der weder schön noch ausgesprochen umgänglich war. Dann wieder musste Abby daran denken, wie nett es mit ihm in Houston gewesen war und wie er ihr Cal gegenüber beigestanden hatte. Wenn man sich in ihn verlieben könnte! Das Überraschende an der Sache war allerdings, dass er Shelby so einfach wieder hatte gehen lassen. Abby fühlte sich unbehaglich bei dem Gedanken, dass zwei Menschen an einem Tag so wahnsinnig verliebt ineinander sein konnten, und am nächsten Tag waren sie die erbittertsten Feinde. Die ewige Liebe gab es also nicht.

„Tyler, wir sollten jetzt gehen. Ich muss noch Barry Holman anrufen, wegen der Pfandbriefe und Obligationen, die wir verkaufen wollen“, sagte Shelby. Und an die anderen gewandt: „Es tut mir leid.

Ich wäre gern noch ein Weilchen geblieben. Man sieht sich so selten heutzutage, und ich fürchte, Justin würde sein Haus eher bis auf die Grundmauern niederbrennen, als dass er mich über seine Schwelle ließe, um euch einen Besuch abzustatten.“

Tyler seufzte. „Dass jemand einen Groll so lange Jahre bewahrt, ist mir noch nie begegnet, das ist schon mal sicher. Und dazu noch völlig ohne Grund.“

„Nein, Tyler.“ In Shelbys grünen Augen lag ein flehender Blick. „Bitte nicht. Wir dürfen Abby nicht gegen ihn einnehmen. Bring sie nicht in die Lage, dass sie ihn in Schutz nehmen muss.“

„Tut mir leid“, sagte Tyler, und seine Augen glitzerten vor unterdrücktem Zorn. Dann lächelte er Abby an. „Im Tanzsaal findet am Freitag ein Squaredance statt. Willst du mit mir hingehen?“

Abby zögerte. Justin würde gewiss an die Decke gehen, und daran, was Cal sagen oder tun könnte, wagte sie gar nicht zu denken. Er war in letzter Zeit so unberechenbar. Andererseits konnte sie dadurch, dass sie mit Tyler ausging, Cal beweisen, dass sie ihm keine schönen Augen mehr machte …

„Tu’s nicht“, flehte Shelby. „Merkst du denn nicht, dass dadurch alles nur noch schlimmer wird?

„Für wen?“, schmetterte Tyler zurück. „Könnte es denn für dich überhaupt noch schlimmer werden? Mein Gott, du lebst ja schon wie eine Non ne!“

Shelby legte die Serviette, mit der sie sich den Mund abgewischt hatte, mit fester Hand ab. „Wie ich lebe, geht außer mir niemanden etwas an.“ Sie stand auf. „Abby, Justin käme auf dich herab wie das Jüngste Gericht. Er ist nicht mehr der, der er einmal war, und ich möchte dich nicht im Kreuzfeuer sehen.“

„Ich habe keine Angst vor ihm, Shelby“, sagte Abby sanft. „Nicht viel, jedenfalls. Ich versuche mich von Cals Bevormundung zu befreien. In gewisser Weise würden Tyler und ich einander helfen.“

„Siehst du?“, sagte Tyler zu seiner Schwester. „Und du dachtest, ich wollte damit nur deinen Exverlobten zur Weißglut bringen.“

„Nun, tust du das etwa nicht?“, fragte Shelby herausfordernd.

Arrogant hob Tyler das Kinn. „Wer weiß?“

„Manchmal frage ich mich, ob Mom und Dad dich nicht unter einem Kohlblatt gefunden haben“, spottete Shelby.

„Kann gar nicht sein“, gab Misty zu bedenken und musterte Tyler von oben bis unten. „Dafür ist er viel zu groß.“

„Ätsch, angeschmiert“, sagte Tyler. Und flirtete in lässiger Weise mit Misty, wie er es mit den meisten Frauen tat. Aber Tyler war, ebenso wie Shelby, von Natur aus ein tiefgründiger Mensch, und falls es in seinem Leben eine bestimmte Frau gab, so wusste er allein darüber Bescheid. Bezüglich seines Liebeslebens war er sehr diskret.

„Früher hat Justin viel gelacht“, sagte Shelby, als sie mit Abby auf den Ausgang zusteuerte, während Misty sich mit Tyler unterhielt. „Er war nicht immer so hart und kalt und unnachgiebig. Das wurde er erst, als ich ihm den Ring zurückgab.“ Sie drückte ihre Handtasche an die Brust. „Abby, tu ihm nicht weh“, bat sie mit einem sanften Blick ihrer grünen Augen. „Und lass nicht zu, dass Tyler ihm wehtut. Er lässt sich nichts anmerken, aber er ist verletzlich …“

„Ich weiß“, sagte Abby mit weicher Stimme. Sie legte die Hand auf den Arm der größeren Frau, betroffen von dem Ausdruck in Shelbys Augen. Ja, auch sie ist verletzlich, dachte Abby und spürte, dass Shelby immer noch in Justin verliebt war, nach so langer Zeit … „Es tut mir leid, dass es mit euch nicht geklappt hat. Justin gibt sich überhaupt nicht mit Frauen ab. Wenn du wie eine Nonne lebst, so lebt er wie ein Mönch. Es gibt niemanden.“

Shelbys Unterlippe zitterte. Sie blickte weg und versuchte eine

Träne zurückzuhalten. „Ich danke dir“, brachte sie heiser heraus.

Abby wollte noch etwas sagen, aber die anderen warteten bereits ungeduldig. „Packen wir’s?“, rief sie Misty zu. „Ob du wenigstens auf dem Heimweg unter neunzig bleiben kannst? Ehrlich gesagt, ich glaube, dein Schlitten hat noch nie was von Geschwindigkeitsbegrenzung ge hört!“

„Ich bin eine gute Fahrerin“, verteidigte sich Misty. „Steig nur ein, dann zeig ich’s dir. Tschüss, Tyler. Shelby.“

„Ich hole dich also am Freitag um sechs Uhr ab“, sagte Tyler zu Abby. „Zieh dir was an, das Männer anmacht.“

Abby knickste. „Und du bringst am besten einen Baseballschläger mit, wenn du mich abholst. Und bete, dass Justin kein Verlängerungskabel für seine Kettensäge hat!“

„Du lässt dich da auf ein gefährliches Spiel ein, meine Liebe“, sagte Misty zu Abby, als sie davonfuhren. „Justin wird sauer sein, und er kann ganz schön wild werden, wenn ihn der Zorn packt.“

„Tyler ebenso. Aber keine Sorge, es wird schon nicht zu Handgreiflichkeiten kommen, darum werde ich mich kümmern.“

„Und was wird Cal dazu sagen?“ Misty warf Abby einen schnellen Seitenblick zu.

Abby fühlte, wie sie blass wurde. Wie ein Schauer überkam sie die Erinnerung an seinen zermalmenden Kuss, an die schreckliche Intimität seines Körpers. Sie schluckte. „Dem ist das doch völlig egal“, sagte sie in kaltem Ton.

„Warum tust du das überhaupt? Du ziehst doch aus. Genügt das nicht, um deine Unabhängigkeit unter Beweis zu stellen?“

„Nein.“ Abby lehnte sich in das Lederpolster zurück und schloss die Augen. „Aber mit Tyler auszugehen – das ist jetzt genau das Richtige.“

Misty seufzte und schüttelte den Kopf. „Ich werde in meinen Gebeten an dich denken. – Halt dich fest.“ Sie trat das Gaspedal durch, und Abby fragte sich, was wohl im „Guinness-Buch der Rekorde“ als höchste von einer wild gewordenen Blondine zu Lande in einem kleinen Sportwagen erreichte Geschwindigkeit eingetragen war. Wie hoch auch immer der Rekord, dachte Abby, während sie um ihr Leben bangte, Misty konnte ihn brechen, so viel war sicher.

4. KAPITEL

Cal war nicht da, als Abby nach Hause kam, und so verbrachte sie einen ungestörten Nachmittag vor dem Fernseher. Justin tauchte gegen Abend auf und erkundigte sich sofort nach Abbys Erfolg bei der Wohnungssuche. Er schien mit ihrer Wahl zufrieden.

Das Abendessen stand auf dem Tisch, und Justin und Abby wollten gerade zulangen, als Cal eintrat. Er sah abgehetzt und müde aus, ließ sich auf seinen Platz fallen und begann mit Justin eine Unterhaltung über geschäftliche Dinge, ohne Abby, die sich regelrecht ausgeschlossen fühlte, auch nur eines Blickes zu würdigen. Als Cal sich nach der zweiten Tasse Kaffee erhob, streifte er sie mit einem Ausdruck kaum verhüllten Zorns in seinen dunklen Augen, als hätte sie sich etwas zu Schulden kommen lassen. Merkte er denn überhaupt nicht, wie sehr er sie verletzt, welchen Schrecken er ihr eingejagt hatte?

„Hey“, sagte Justin aufmunternd, als sich die Haustür geöffnet und wieder geschlossen hatte. „Mach dir nichts draus, er ist den ganzen Tag schon so. Während du in der Stadt warst, tat er nichts anderes, als aus dem Fenster zu schauen und eine Zigarette nach der anderen zu rauchen. Er hörte mir nicht mal zu, als ich mit ihm reden wollte.“

„Cal hat doch vor Jahren das Rauchen aufgegeben!“

Justin zuckte mit den Schultern. „Ein Päckchen hat er bereits aufgeraucht. Du sagst mir immer nur, es sei alles in Ordnung zwischen euch, aber mein Brüderlein kommt mir noch ganz auf den Hund. Nun sag schon, was los ist, oder soll ich es aus ihm herausprügeln?“

Abby schluckte. Justins Ton ging ihr an die Nieren. Aber sie konnte ihm einfach nicht sagen, was Cal getan hatte. Justin war unberechenbar, und sie wollte nicht, dass er Cal für etwas, das sie schließlich – um ehrlich zu sein – teilweise selbst provoziert hatte, in die Mangel nahm.

Dann jedoch musste sie an das denken, was sie zu Cal gesagt hatte, nachdem er sie so stürmisch geküsst hatte, und da fiel es ihr wie Schuppen von den Augen: Sie hatte seinen Stolz verletzt! Je mehr sie darüber nachdachte, desto mieser kam sie sich vor. Monatelang hatte sie davon geträumt, dass er sie küssen würde, und als es dann soweit war, hatte sie sich von seiner Bulldog-Technik so sehr einschüchtern lassen, dass sie seinen Kuss nicht einmal erwidert hatte. Wie ein Kind hatte sie sich statt dessen aufgeführt.

„Nun?“, fragte Justin schließlich mit hochgezogener Augenbraue.

„Ich habe ihm ein paar schlimme Sachen ins Gesicht gesagt“, gab Abby schließlich zu. „Ich war eifersüchtig.“

„Und verletzt“, meinte Justin in seiner einfühlsamen Art.

„Und verletzt“, seufzte sie und sah ihn aus ihren blaugrauen Augen an. „Oh Justin, er hasst mich, und ich kann es ihm nicht einmal übel nehmen. Ich habe seinen Stolz so schwer verletzt, dass er bestimmt kein Wort mehr mit mir reden wird.“

„Eigentlich ist es ja unglaublich“, grübelte Justin, „dass er sich durch dich verletzt fühlen sollte. Jahrelang haben alle möglichen Frauen versucht, seinen dicken Panzer zu durchdringen, und keine hat es je geschafft.“

„Er hat lange Zeit die Verantwortung für mich getragen“, sagte Abby leise. „Ich nehme an, es fällt ihm schwer, sich davon zu lösen.“

„Vielleicht“, meinte Justin und zog an seiner Zigarette. „Vielleicht auch nicht. Er benimmt sich seltsam in letzter Zeit.“

„Vielleicht plagt ihn das Zipperlein oder so was“, scherzte Abby.

„Oder so was.“

Abby nippte an ihrem Kaffee, damit ihre Hände etwas zu tun hatten. Sie musste mit Justin über Freitagabend reden, und es wurde ihr erst jetzt so richtig bewusst, auf was für ein schwieriges Unterfangen sie sich da einließ.

„Justin, ich muss dir etwas sagen.“

Seine Augenbrauen hoben sich. „Das hört sich nach etwas Ernstem an“, erwiderte er mit einem schwachen Lächeln.

„Ist es auch. Und ich hoffe, du fällst nicht über mich her, wenn ich es dir gesagt habe.“

„Geht es um die Geschwister Jacobs?“

„Ja, leider“, seufzte Abby und sah in ihre Kaffeetasse, weil sich Justins Blick verdüsterte. „Tyler hat mich für Freitag zum Squaredance eingeladen, und ich habe angenommen.“ Sie biss die Zähne zusammen und wartete auf den Sturm, der gleich losbrechen würde. Als nichts passierte, sah sie auf. Justin musterte sie, schien aber nicht sonderlich verärgert. Schnell fuhr sie fort: „Er muss mich ja nicht hier abholen. Wir können uns im Tanzsaal treffen. Shelby wollte es ihm eigentlich ausreden, weil sie dich nicht aufregen will.“

Ein seltsamer Ausdruck überlief Justins Gesicht, dann senkte er den Blick auf das glühende Ende seiner Zigarette. „Ach, wirklich?“

„Sie wollte verhindern, dass Tyler irgendwelchen Ärger anzettelt“, sagte Abby mit weicher Stimme.

„Sechs Jahre ist es her“, sprach Justin nach einer Weile, und sein Gesicht strahlte eine seltsame Ruhe und Sanftheit aus. „Sechs lange, leere Jahre, in denen ich sie gehasst habe, die ganze Familie gehasst habe. Ich schätze, ich könnte sie weiterhin so hassen, bis wir alle tot sind. Aber das würde nichts ändern. Es ist alles vorbei und erledigt, das war es schon vor langer Zeit.“

„Sie ist reizend“, sagte Abby.

Justin zuckte zusammen, und in seinen dunklen Augen, seinen gespannten Zügen stand die Erinnerung an alte, aber nicht vergessene Zeiten. Roh drückte er seine Zigarette aus. „Tyler kann dich hier abholen“, sagte er abrupt und stand auf. „Ich werde ihm keinen Ärger machen.“

Abby sah auf, als er an ihr vorbeiging, und ließ den Blick nachdenklich wieder auf ihre Kaffeetasse sinken. „Sie lebt wie eine Nonne“, sagte sie zögernd. „Tyler sagt, sie ist seit Jahren nicht mehr ausgegangen.“

Justin schien den Bruchteil einer Sekunde innezuhalten, doch vielleicht war es auch nur Abbys Einbildung, denn er ging hinaus, ohne noch ein Wort zu sagen.

Wie schade, dachte Abby, dass Liebe solch eines plötzlichen Todes sterben konnte. Dabei hätte sie schwören mögen, dass Justin und Shelby nach sechs Jahren immer noch wahnsinnig ineinander verliebt waren. Was nur hatte Shelby getan, dass Justin sich so jäh gegen sie gewendet hatte?

Abby erhob sich und ging in ihr Zimmer hinauf. Es war viel zu früh, um ins Bett zu gehen, aber sie hatte keine Lust, Cal noch einmal zu begegnen und sich seinem bohrenden Blick auszusetzen.

Den Erinnerungen, denen sie in ihrem Zimmer ausgesetzt war, konnte sie jedoch nicht so leicht entrinnen. Leer starrte ihr die Stelle an der Wand entgegen, wo er sie festgehalten hatte. Schließlich schob sie kurzerhand ein Bücherregal davor, um nicht ständig an die Szene erinnert zu werden.

Die Woche über ging Abby wie gewohnt zur Arbeit, und Cal ebenso, nur mit dem Unterschied, dass es kein herzliches „Hallo“, kein Lächeln, kein scherzhaftes Grinsen gab. Dieser Cal ähnelte mehr und mehr seinem älteren Bruder. Der Spaß war ihm vergangen, was zurückblieb, war ein harter, Furcht erregender Geschäftsmann, der Abby entweder völlig ignorierte oder sie wegen irgendeiner Nachlässigkeit anschnauzte. Unmöglich, sich ihm zu nähern, geschweige denn, mit ihm zu reden.

So war denn Abby heilfroh, als Freitag war und der Feierabend näher rückte. Inzwischen war sie ein einziges Nervenbündel, und nur die Vorfreude auf den Squaredance hielt sie noch aufrecht. Wenigstens kam sie so aus dem Haus und konnte Cal für einige Stunden vergessen.

Inzwischen war ihr auch klar geworden, warum Cal in ihrem Schlafzimmer so aus der Rolle gefallen war. Nicht weil er wütend war oder sie bestrafen wollte. Er war aus der Rolle gefallen, weil er sich nach ihr verzehrte. Dessen war sie sich fast sicher, nachdem sie sich bei Misty diskret nach gewissen Verhaltensweisen von Männern erkundigt hatte. Cal hatte sie begehrt, und sie hatte durch ihre Reaktion seinen Stolz verletzt. Sie hätte heulen können, dass sie ihn endlich an der Angel gehabt hatte, ohne es überhaupt zu merken. Und jetzt war er gründlich kuriert, sodass er ihr aus dem Weg ging, als hätte sie eine ansteckende Krankheit. Glücklicherweise verfügte sie jetzt über ein Ausweichquartier. Abby hatte das Gefühl, dass sie es bald benötigen würde.

Zu Hause kostümierte sich Abby nach Texas-Art mit einem knöchellangen rot karierten Rock und einer weißen durchgeknöpften Bluse mit kurzen Ärmeln. Obwohl der März vor der Tür stand, war es immer noch kalt, sodass sie sich einen Mantel darüberzog. Tyler sollte sie um sechs Uhr abholen, und es war fast soweit, als sie mit schwingenden Haaren die Treppe hinunterschritt. Sie hatte nur wenig Make-up aufgelegt, gerade genug, um ihren Wangen einen zarten rosigen Glanz zu verleihen. Nie hatte sie sich glühender gewünscht, eine flotte Blondine zu sein oder sonstwie eine zweite Chance bei Cal zu bekommen. Typisch, dachte sie voller Bitterkeit, dass ich gleich beim ersten Versuch alles verderben musste. Warum nur hatte sie nicht mitgekriegt, dass es Leidenschaft war und nicht Zorn, was Cal zu seinem Ansturm verleitete? Warum hatte sie nicht abgewartet, damit er ihr auch seine Zärtlichkeit beweisen konnte? Dies hätte er doch sicherlich getan, wenn sie sich nicht so heftig zur Wehr gesetzt hätte.

Abby erreichte den Fuß der Treppe gerade in dem Moment, als Cal Tyler die Tür öffnete, denn Maria und Lopez hatten den Abend frei. Ihr Herz tat unwillkürlich einen Sprung beim Anblick seiner breiten Schultern, seines imposanten Körpers. Cal war so groß, dass er sogar Tyler überragte.

Abby war gespannt, ob Justin Cal Bescheid gesagt hatte, dass sie mit Tyler ausgehen wollte. Cal zog jetzt die Tür ganz auf und ließ den anderen eintreten.

Tyler in Jeans und rot kariertem Hemd, Halstuch und Cordjacke, war ganz der klassische Westernheld, von den schwarzen Stiefeln bis zum schwarzen Hut. Cal war ähnlich aufgemacht, nur dass sein Hemd blau war. Sie starrten einander scheinbar eine Ewigkeit an, bevor Cal das Schweigen brach.

„Justin sagte mir, du führst Abby aus. Du kannst im Wohnzimmer warten.“

„Danke“, erwiderte Tyler. Es klang ebenso steif wie Cals Aufforderung.

„Ich bin soweit“, rief Abby mit gekünstelter Fröhlichkeit, und ihr Lächeln wurde von Tyler erwidert. Zu Cal sah sie nicht hin, sie brachte es einfach nicht fertig. Ebenso gut hätte sie sich einen Dolchstoß mitten ins Herz versetzen können.

„Dann können wir ja gehen“, erwiderte Tyler. „Wisst ihr, wer heute Abend spielt? Ted Jones und seine Band. Du erinnerst dich doch an Ted, nicht wahr, Cal? Er war mit uns in der Abschlussklasse der Highschool.“

„Ich erinnere mich“, sagte Cal ruhig. In der Hand hielt er eine brennende Zigarette, und er wirkte auf Abby wie ein Fremder.

Da trat Justin aus seinem Arbeitszimmer. Er hielt inne, als er die drei in der Halle stehen sah. Er und Cal waren fast identisch gekleidet, und es kam äußerst selten vor, dass sich Justin an einem Freitagabend in Schale warf, es sei denn …

„Wo gehst du denn hin?“, fragte Abby den ältesten der drei Männer mit einem Lächeln.

„Zum Squaredance natürlich.“ Justin sah Tyler an. „Nicht um euch zu bespitzeln, falls du dich das fragen solltest“, setzte er mit einem kalten Lächeln hinzu. „Wir sind dort mit einem Geschäftspartner verabredet.“

Abbys Herz machte einen wilden Satz. Auch Cal war also mit von der Partie! Sogleich ärgerte sie sich über die Freude, die sie bei dem Gedanken heiß durchströmte, dass sie auf diese Weise vielleicht einige Minuten in seinen Armen liegen könnte.

Tyler musterte Justin mit einem wachsamen Blick. „Ihr trefft euch nicht zufällig mit Fred Harriman?“

Justin hob die Brauen. „Ja, warum?“

Tyler zog eine Grimasse. „Er hat soeben unsere Ranch gekauft.“

Cal hielt den Atem an. „Um Himmels willen, seid ihr etwa enteignet wor den?“

„Leider ja“, entgegnete Tyler mit einem Seufzer. „Seltsam, man denkt nie daran, dass einem so etwas zustoßen könnte. Ich hatte immer gehofft, den Schaden wiedergutmachen zu können, den Dad angerichtet hatte, aber es war zu spät. Na ja, immerhin ist nicht alles verloren. Wir haben immer noch zwei Hengste und das Haus sowie ein, zwei Morgen Land sind uns ebenfalls geblieben.“

„Wenn du Arbeit brauchst, so könnten wir dich auf der Rinderfarm unterbringen“, sagte Justin plötzlich. „Nicht aus Mildtätigkeit, verdammt noch mal“, setzte er hinzu, als er Tylers ungläubigen Blickes und des gefährlichen Glitzerns in seinen grünen Augen gewahr wurde. „Auch ohne dich zu mögen, weiß ich, wie gut du mit Rindern umgehen kannst.“

„Und das ist Tatsache“, stimmte Cal zu. „Die Tür steht dir offen.“

Abby stand dabei und war beeindruckt von so viel herber Männlichkeit um sich herum. Die drei waren wie aus einem Holz geschnitzt – große, starke Texaner. Plötzlich fühlte sie sich stolz, mit zweien von ihnen befreundet zu sein, mochte der Dritte im Bunde sie auch noch so sehr hassen.

„Vielen Dank für das Angebot“, sagte Tyler. Er sah Justin an. „Ich dachte, du gehst nicht zu Tanzveranstaltungen, weder privat noch geschäft lich.“

„Tu ich auch nicht. Aber Cal besäuft sich sinnlos, wenn ich nicht auf ihn aufpasse“, gab Justin schlagfertig zurück und grinste über Cals aufgebrach te Mie ne.

„Von wegen“, sagte Cal. „Ich erinnere mich an eine Nacht, als du dich so hast voll laufen lassen, dass ich dich zu Bett bringen musste.“

Justin spitzte die Lippen. „Wir alle verlieren mal den Kopf“, sagte er. „Nicht wahr, Abby?“ Er blickte erst sie, dann Cal an. Abby wurde über und über rot, und Cal machte auf dem Absatz kehrt und ging auf die Haustür zu, die er ohne ein weiteres Wort für die anderen offen hielt. Justin lächelte nur.

„Shelby kommt auch“, sagte Tyler zu Abby, als sie hinausgingen. „Es hat mich zwar einiges an Überredung gekostet, aber sie muss einfach mal unter die Leute kommen.“

Justin sagte kein Wort, aber wenn sein stiller, starrer Blick bedeutete, was Abby glaubte, dass er bedeutete, dann war er ganz Ohr. Sie fragte sich, wie viel Feuerwerk so ein Tanzsaal aushalten konnte. Von hinten schoss Cal mit den Augen wütende Blitze auf Abby und Tyler ab. Abby wäre sicher heiß geworden, hätte sie etwas davon bemerkt.

Im Tanzsaal ging es hoch her. Die Band der Jones Boys spielte einen mitreißenden Western-Medley, und die Tanzfläche war voll. Old Ben Joiner, die Fiedel in der Hand, machte den Zeremonienmeister, und seine Anweisungen, durch die er den Tanzenden vorgab, welche Schritte sie wann zu machen hatten, erhoben sich voll und klar über die Mu sik.

„Die Stimmung ist toll“, stellte Tyler fest, der mit Abby kurz nach Cal und Justin eingetroffen war. Die beiden Brüder saßen mit einem dritten Mann zusammen, der hier bemitleidenswert fehl am Platz wirkte.

„Ja, es ist nett hier. Was die zwei wohl mit Fred Harriman im Schilde führen?“, dachte Abby laut, während sie und Tyler sich einen Weg zu dem Tisch bahnten, den Shelby für sie frei hielt.

„Das müsstest du eigentlich besser wissen als ich“, entgegnete Tyler. „Aber ich könnte mir vorstellen, dass sie seine neu erworbenen Rinder durchfüttern sollen.“ Tyler sah, auf wen die großen, seelenvollen Augen seiner Schwester gerichtet waren. „Oje, sie hat es schwer erwischt“, raunte er Abby zu.

Abby bemerkte es ebenfalls und zupfte Tyler am Ärmel. „Justin geht auch niemals aus. Gibst du den beiden noch eine Chance?“

„Nicht nach dem, was sie in seinen Augen getan hat“, erwiderte Tyler gepresst. „Und darüber reden bringt uns auch nicht weiter.

Hallo, Schwesterherz“, sagte er jetzt mit erhobener Stimme, als er für Abby einen Stuhl zurückzog und dann selbst neben ihr Platz nahm.

„Hi“, sagte Shelby mit einem fröhlichen Lachen. „Abby, du siehst super aus.“

„Du ebenso.“ Abby seufzte. „Ich würde alles dafür geben, so hübsch zu sein wie du.“

„Ach, hör schon auf“, murmelte Shelby verlegen. Aber hübsch sah sie schon aus in ihrem grünen Westernkleid, dessen Farbton genau zu ihren Augen passte.

„Ich wünschte, die Dinge wären besser für euch gelaufen“, sagte Abby mitleidig.

„Ach, das wird schon wieder. Das Haus haben wir ja wenigstens noch, und wenn nächste Woche der Verkauf über die Bühne gegangen ist, wird auch das Gerede der Leute wieder verstummen.“ Shelby nippte an ihrem Ginger Ale. „Ich hoffe, es macht dir nichts aus, dass ich hier als drittes Rad …“

„Ach Quatsch“, sagte Abby. „Du weißt doch, dass Tyler und ich nur Freunde sind. Ich freue mich, dass du mit von der Partie bist, und dein Bruder sicher ebenso.“

Tyler lächelte, aber der Blick, den er Abby dabei zuwarf, war alles andere als platonisch.

„Komm, lass uns beim nächsten Mal mittanzen“, sagte er und zog Abby an der Hand hoch. „Shelby, bestellst du Abby und mir bitte je ein Ginger Ale?“

Sie grinste. „Na klar.“

Abby sah Tyler vorwurfsvoll an, als er sie durch die Menge der Tanzenden führte. „Ich kann auch einen Gin Tonic vertragen.“

„Nicht bei mir, Abby“, sagte Tyler mit fester Stimme und führte sie so, dass sie ihm gegenüberstand. „Ich trinke nicht, also trinkst du auch nicht.“

„Spielverderber!“, seufzte Abby.

Er gluckste. „Schäm dich. Du brauchst doch keinen Alkohol, um in Stimmung zu kommen.“

„Ich weiß. Aber ich wollte endlich mal als Erwachsene behandelt werden.“

„Na, gib die Hoffnung nicht auf“, sagte Tyler und legte ihr den Arm um die Taille. „Die Nacht ist ja noch jung.“

Abby lächelte. Sollte er ruhig ein wenig mit ihr flirten. Sie ließ sich von Tyler auf dem Tanzboden herumwirbeln, leichtfüßig und gekonnt führte er sie durch alle Drehungen und Wendungen, Vorwärts- und Rückwärtsschritte. Abby hatte großen Spaß an der Sache, bis ihr Blick zu dem Tisch hinüberschweifte, an dem Cal und Justin saßen. Justin konnte es nicht lassen, seine dunklen Augen immer wieder in Shelbys Richtung zu lenken, doch war Abby zu weit von ihm entfernt, um einen Gesichtsausdruck lesen zu können. Cal dagegen starrte mit einem giftigen Blick zu Abby und Tyler herüber, der dem Biss mehrerer Klapperschlangen Konkurrenz hätte machen können.

Die Eifersucht, die sie auf seinem Gesicht erkannte, ließ ihr Herz erbeben. Vielleicht gab es ja doch noch eine kleine Hoffnung. Der Gedanke hob ihre Stimmung beträchtlich, und sie begann zu lächeln, um dann in Lachen auszubrechen. Tyler bezog diesen Ausbruch von Heiterkeit fälschlicherweise auf sich, und auch Cal interpretierte ihn so. Als der Tanz zu Ende ging, stand Abby, ohne es zu ahnen, im Zentrum eines sich zusammenbrauenden Gewittersturms.

Der Sturm drohte loszubrechen, als Cal, den es krank machte, Abby und Tyler beim Tanzen zuzusehen, aufstand und zu Shelby hinüberging, um sie zum Tanz aufzufordern.

Shelby zögerte, denn auch Justin hatte gerade Anstalten gemacht, sich zu erheben, und er sah aus, als wäre er imstande, ganz allein einen Weltkrieg vom Zaun zu brechen.

„Es macht ihm nichts aus“, sagte Cal. „Du sitzt hier so allein und verlassen.“

„Oh, Cal, fang bitte keinen Streit an“, flehte sie.

„Aber nicht doch“, beschwichtigte er. „Nun komm und lass uns tanzen.“

Shelby gab nach, aber ihr hübsches Gesicht trug einen besorgten Ausdruck.

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