Julia Winterträume Band 17

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HEIßE KÜSSE IM TIEFEN SCHNEE von CATHY WILLIAMS
Die rothaarige Milly ist eigentlich gar nicht Lucas Romeros Typ. Doch dass sie ihn bei ihrer Begegnung in seiner französischen Luxuslodge spontan für einen einfachen Skilehrer hält, übt einen ungeahnt prickelnden Reiz auf den attraktiven Milliardär aus …

WIE EIN STERN IN DUNKLER NACHT von HEATHER GRAHAM
Hell leuchten die Sterne über den verschneiten Bergen, als Jason die aparte Cary zum ersten Mal küsst. Aber was wird sein, wenn der Winterurlaub vorbei ist und sie in den Alltag zurückkehren müssen?

DAS ERSTE FEST MIT DIR von DIANA PALMER
Ein gemütliches Weihnachtsfest im verschneiten Montana – für Jennie klingt es einfach perfekt. Sie hat ein Stück Land geerbt, gleich neben der Farm von Rancher Tate Hollister. Dessen Annäherungsversuche jedoch weist sie scheu zurück. Viel zu lang war sie allein …


  • Erscheinungstag 01.11.2022
  • Bandnummer 17
  • ISBN / Artikelnummer 9783751512213
  • Seitenanzahl 128
  • E-Book Format ePub
  • E-Book sofort lieferbar

Leseprobe

Cathy Williams, Heather Graham, Diana Palmer

JULIA WINTERTRÄUME BAND 17

1. KAPITEL

„Amelia? Ist da Amelia Mayfield?“

Milly presste sich pflichtschuldig ihr Handy ans Ohr, wobei sie es bereits bereute, das Gespräch überhaupt angenommen zu haben. Wie viele Verhaltensmaßregeln wollte Sandra King ihr eigentlich noch erteilen?

Sie hatte einen Job als Chalet-Girl, was bedeutete, zwei Wochen lang für eine vierköpfige Familie in deren Urlaub zu kochen und den Haushalt zu führen. So kompliziert war das nicht! Und es war schließlich nicht so, dass Milly so etwas noch nie gemacht hätte.

„Ja.“ Seufzend blickte sie nach draußen auf die leuchtend weiße Schneelandschaft. Es war herrlich gewesen, hierher zu reisen – und eine wunderbare Möglichkeit, den Kopf freizubekommen und ihre deprimierende Situation zumindest für eine Weile zu vergessen.

In einer knappen halben Stunde würde Milly das Chalet erreichen, doch sie hätte nichts dagegen gehabt, noch etwas länger unterwegs zu sein. Schließlich war sie für das letzte Stück des Weges von einem Chauffeur abgeholt worden und saß gerade äußerst stilvoll auf dem Rücksitz eines SUV …

„Sie sind nicht an Ihr Telefon gegangen.“ Die Stimme am anderen Ende der Leitung war scharf und anklagend. Milly hatte sofort ein genaues Bild von Sandra King vor Augen: das glänzende blonde Haar ordentlich mit einem Haarreif nach hinten gesteckt und ungeduldig mit perfekt manikürten Fingernägeln auf der Schreibtischplatte herumtrommelnd.

Sandra hatte Milly für diesen Job nicht einmal, sondern gleich dreimal interviewt. Es war fast, als wäre es unter ihrer Würde, den Job an sie zu vergeben. Ausgerechnet an die kleine, mollige, rothaarige Milly, wo sie doch weit geeignetere Kandidatinnen im Angebot hatte: Mädchen mit Oxford-Akzent, affektiertem Lachen und einem ordentlichen Haarreif im blonden Haar.

Aber die Señora hatte eine einfache, bodenständige Haushaltshilfe gewollt. Kein Flittchen mit Flausen im Kopf, das sich womöglich noch erdreistete, mit ihrem Ehemann zu flirten.

Neugierig zu erfahren, was das für Leute waren, für die sie da arbeiten sollte, hatte Milly nach ihrem ersten Bewerbungsgespräch natürlich sofort im Internet recherchiert. Der Ehemann der Señora war übergewichtig, Mitte fünfzig, mit Halbglatze. Das Einzige, was ihn für eine junge Frau anziehend machen könnte, war wohl sein Geld.

„Tut mir leid, Sandra …“ Milly grinste, weil sie wusste, dass Sandra es nicht leiden konnte, wenn man sie beim Vornamen nannte. Sie wollte mit „Ms King“ oder „Skipper“ angeredet werden. Bis auf Milly benutzten tatsächlich sämtliche Mädchen der exklusiven Agentur den albernen Spitznamen „Skipper“ für Sandra. Wahrscheinlich hatten sie früher alle zusammen das gleiche noble Eliteinternat besucht …

„Hier draußen ist fast kein Netz, außerdem ist mein Akku gleich leer.“ Was zwar nicht ganz der Wahrheit entsprach. Aber Milly brauchte keine weitere Liste verbotener Lebensmittel und Gerichte, die sie bei dieser sehr besonderen Familie keinesfalls auf den Tisch bringen durfte. Sie brauchte auch nicht noch mehr Kleidervorschriften und Sprachregelungen! Es reichte. Wirklich.

Milly hatte noch nie von einer Familie gehört, die dermaßen pingelig war! Aber sie beklagte sich nicht. Immerhin zahlten sie gut – sehr gut sogar –, und sie bekam durch den Job Abstand von Robbie, Emily und ihrem großen Kummer.

Bis eben hatte sie es geschafft, ihren Exverlobten, ihre beste Freundin und ihre geplatzte Verlobung zu verdrängen, aber jetzt war schlagartig alles wieder da. Das Selbstmitleid trieb ihr die Tränen in die Augen. Sie blinzelte heftig. Ihre Freundinnen hatten versucht, sie damit zu trösten, dass die Zeit alle Wunden heile. Aber sie hatten Robbie sowieso nie gemocht und konnten gar nicht genug schlechte Eigenschaften aufzählen, die er angeblich hatte.

„Das ändert nichts daran, dass ich Sie bedauerlicherweise informieren muss, dass der Auftrag storniert wurde.“

Es dauerte ein paar Sekunden, bis diese Nachricht bei Milly ankam.

„Haben Sie gehört, was ich gesagt habe, Amelia?“

„Das soll jetzt ein Witz sein, oder? Bitte sagen Sie, dass das ein Witz ist.“ Obwohl das höchst unwahrscheinlich war, weil Sandra King so ungefähr die humorloseste Person war, die man sich nur vorstellen konnte.

„Ich mache keine Witze“, sagte die andere Frau denn auch prompt. „Die Familie Ramos hat in letzter Minute abgesagt. Wenn Sie früher ans Telefon gegangen wären, hätten Sie sich die lange Fahrt ersparen können.“

„Warum? Warum haben sie abgesagt?“ Milly sah es schon vor sich, wie sie sich heimlich wieder in das Haus schlich, das sie und Emily immer noch zusammen bewohnten. Sie würde riskieren, ihrer ehemals besten Freundin in die Arme zu laufen! Die gerade dabei war, ihre Sachen zu packen für ihr neues Leben in Amerika – mit Robbie. Allein bei der Vorstellung wurde Milly ganz elend.

„Eins der Kinder hat Windpocken bekommen.“

„Aber ich bin doch gleich da.“ Milly hatte Mühe, nicht loszuheulen.

Sie hatten den niedrigsten Ortsteil des eleganten Wintersportorts Courchevel bereits hinter sich gelassen und fuhren jetzt weiter bergauf. Auf den unteren Hängen tummelten sich die Pauschaltouristen, doch weiter oben in den Bergen lag die Welt der Superreichen: versteckt liegende Chalets mit atemberaubender Aussicht, Hubschrauberlandeplätze, geheizte Indoor-Swimmingpools, Saunen, Schwitzhütten und Dampfbäder.

Vom anderen Ende der Leitung kam ein Stoßseufzer. „Tja, dann müssen Sie dem Fahrer eben sagen, dass er umkehren soll. Für den zeitlichen Aufwand erhalten Sie selbstverständlich eine Entschädigung.“

„Aber kann ich nicht wenigstens hier übernachten? Es wird gleich dunkel, und ich bin wirklich völlig geschafft von der langen Fahrt. Einen Schlüssel für das Haus habe ich ja, und ich verspreche, es morgen in einwandfreiem Zustand zu verlassen. Ich muss unbedingt schlafen, Sandra.“

Das durfte doch einfach nicht wahr sein, dass das einzig Positive, was sich in den vergangenen albtraumhaften zwei Wochen abgezeichnet hatte, jetzt dahin war. Nur weil eins der Bälger dieser abstoßend reichen Familie die Windpocken hatte. Wieder wurde sie von Selbstmitleid fast überwältigt.

„Das wäre extrem unkorrekt, Amelia.“

„Genauso unkorrekt wie die Tatsache, dass mein Job hier in letzter Minute storniert wird, obwohl ich nur noch fünf Minuten von dem Chalet entfernt bin. Nach einer achtstündigen Anreise.“

Inzwischen war das Chalet in Sichtweite gekommen. Es war so beindruckend, dass Milly vor lauter Bewunderung für ein paar Sekunden alle deprimierenden Gedanken vergaß.

So wie es sich da aus dem strahlend weißen Schneefeld erhob, dominierte es die gesamte Umgebung. Es war absolut riesig, die größte und beeindruckendste Skilodge, die Milly in ihrem Leben je gesehen hatte!

„Nun, ich fürchte, dann bleibt uns nichts anderes übrig“, gab Sandra schroff zurück. „Aber um Himmels willen, Amelia, gehen Sie gefälligst an Ihr Telefon, wenn es klingelt. Und fassen Sie bloß nichts an. Legen Sie sich einfach irgendwo hin und schlafen Sie ein paar Stunden. Und wenn Sie morgen früh das Haus verlassen, passen Sie gut auf, dass niemand Sie sieht.“

Milly verzog das Gesicht, als die Verbindung abrupt abbrach. Sie reckte den Hals, um das Anwesen besser sehen zu können, während sie näherkamen. Kurz darauf waren sie auch schon da.

„Äh …“ Sie räusperte sich. Sie hoffte, dass der Fahrer, der sie am Flughafen Chambéry in gebrochenem Englisch begrüßt und seitdem geschwiegen hatte, sie wenigstens ungefähr verstand.

„Oui, Mademoiselle?“

Milly suchte im Rückspiegel seinen Blick. „Also, es gibt da eine kleine Veränderung …“

„Was denn?“

Sie atmete erleichtert auf. Wenigstens war sie nicht gezwungen, ihre arg begrenzten französischen Sprachkenntnisse hervorzukramen, um dem Chauffeur die Situation zu erklären. Sie informierte ihn in knappen Worten und bat ihn, sie am nächsten Tag auf Kosten der Agentur wieder zurück zum Flughafen zu bringen.

Der Fahrer reagierte gelassen. Höflich trug er Millys Koffer bis zum Eingang und wartete im Auto, bis sie aufgeschlossen hatte. Erst dann fuhr er weg.

In der Lodge war es kuschelig warm – und atemberaubend schön. Das Haus war ein Wunder an moderner Architektur. Das Erdgeschoss bestand aus einem riesigen offenen Wohnbereich, in dessen Mitte ein ultramoderner Hightech-Kamin prangte. Jenseits davon hatte man Einblick in eine große Küche, und dahinter schien es sogar noch weiterzugehen. Am beeindruckendsten fand Milly jedoch die grandiose Aussicht über das Tal, die die vom Boden bis zur Decke reichenden Panoramafenster boten.

Milly schaute hinaus auf die strahlend weiße Schneelandschaft, über der sich jetzt rasch die Dunkelheit herabsenkte. Es war bis jetzt eine tolle Skisaison gewesen, mit Schnee in rauen Mengen.

Aus reiner Neugier beschloss sie, einen kleinen Rundgang zu machen. Auch wenn sie nicht vorhatte, länger zu bleiben, sprach doch bestimmt nichts dagegen, sich ein wenig umzusehen, oder? Ihr eigenes Zuhause war klein und schäbig, mehr als vier Leute in der Sitzecke verursachten bereits einen Verkehrsstau. Warum also sollte sie sich nicht das Vergnügen gönnen, sich für einen Moment auszumalen, hier die Dame des Hauses zu sein?

Sie inspizierte alles gründlich, bewunderte die sparsame, aber höchst edle Möblierung. Noch nie in ihrem Leben hatte sie so viel Chrom, Glas und Leder unter einem Dach gesehen. Die Küche war nicht minder beeindruckend. Schwarze Granittresen, ein Tisch aus gehämmertem Metall, außerdem eine Ansammlung modernster Küchengeräte, bei deren Anblick sie am liebsten sofort mit dem Kochen losgelegt hätte.

Sie fuhr mit der Hand über die glänzenden Oberflächen, berührte ein paar blitzblanke Pfannen, die nicht den Eindruck erweckten, schon jemals benutzt worden zu sein. Beim Blick in den Kühlschrank sah sie, dass er gut gefüllt war. Ein Weinregal aus Metall beherbergte, den Etiketten nach zu urteilen, eine große Anzahl ausgesucht edler Weine.

Ganz in Anspruch genommen von dem, was sie da sah, entging ihr völlig, dass sich ihr von hinten jemand näherte.

„Darf man erfahren, wer Sie sind?“

Die tiefe kalte Stimme riss Milly unsanft aus ihren Träumereien, in denen sie sich als Hausherrin gesehen hatte. Mit Herzklopfen fuhr sie herum.

Es dauerte einen Moment, bis sie begriff, dass ein Fremder im Haus war. Und sie sich wohl besser nach irgendeiner Art Waffe umsehen sollte, um sich im Notfall verteidigen zu können.

Weil der Mann möglicherweise … gefährlich war.

Ihr Kopf wurde ganz leer. Sie vergaß, erschrocken zu sein … oder gar panisch. Sie hielt sich allein – und unbefugt – in einer Ferienvilla auf, die vollgestopft war mit Wertgegenständen. Der hochgewachsene Mann vor ihr war wahrscheinlich ein Einbrecher, dem sie in die Quere gekommen war. Jedermann wusste, was Leuten blühte, die einen Einbrecher auf frischer Tat ertappten.

Aber, du lieber Gott, hatte sie schon jemals einen so atemberaubend gut aussehenden Mann gesehen?

Pechschwarzes Haar, ein klein wenig länger, als es der Konvention entsprach, rahmte ein Gesicht ein, das einfach perfekt war. Ein großer sinnlicher Mund, fein gemeißelte Gesichtszüge und Augen, dunkel und unergründlich wie die Nacht. Er trug Jeans und T-Shirt und war barfuß.

Ein Einbrecher, der sich auf nackten Sohlen mit dem Tafelsilber davonmachte? Das war ungewöhnlich. Wahrscheinlich hatte er die Schuhe ausgezogen, um sich unbemerkt anschleichen zu können.

„Dasselbe könnte ich Sie fragen.“ Sie versuchte, ruhig und energisch zu klingen. Eine Frau, die sich nicht einschüchtern ließ. „Und wagen Sie es nicht, auch nur einen einzigen Schritt näherzukommen, sonst …“ Dummerweise befand sich ihr Handy im Rucksack, der auf dem Küchentresen lag. Es war wirklich zum Heulen, aber wer hätte sich auch nur eine einzige Sekunde so eine Situation ausmalen können?

Der Mann dachte gar nicht daran, ihren Befehl zu befolgen, und machte zwei Schritte auf sie zu. Sie wich zurück. Als Milly den Tresen im Rücken spürte, wirbelte sie herum und bewaffnete sich mit dem erstbesten Gegenstand, der ihr in die Hand fiel. Was zufällig der Wasserkessel war, ein Kunstwerk aus Glas, das nicht einmal dazu taugte, um eine Fliege zu erschlagen. Geschweige denn einen starken durchtrainierten Mann, der jetzt mit seelenruhig vor der Brust verschränkten Armen nur noch einen Meter von ihr entfernt stand.

„Was ist sonst? Sagen Sie jetzt bitte nicht, dass Sie vorhaben, mir dieses Dings da über den Kopf zu hauen.“

„Ich will sofort wissen, was Sie hier zu suchen haben, sonst … sonst rufe ich die Polizei.“

So hatte sich Lucas den Abend nicht vorgestellt. Eigentlich sollte er gar nicht hier sein. Er hatte das Haus Freunden seiner Mutter überlassen, die ihren Aufenthalt jedoch in letzter Minute abgesagt hatten. Deshalb hatte er beschlossen, die Gelegenheit zu nutzen und selbst ein paar ruhige Tage hier zu verbringen.

In erster Linie, um wenigstens vorübergehend seiner Mutter zu entkommen, die ihn in letzter Zeit zunehmend nervte. Weil sie die fixe Idee entwickelt hatte, dass er endlich heiraten sollte. Sie hatte vor drei Monaten einen leichten Schlaganfall erlitten, den sie zum Glück recht gut überstanden hatte. Das Problem war jetzt nur, dass sie dabei an ihre Sterblichkeit erinnert worden war, wie sie ständig betonte. Deshalb war das Einzige, was sie sich für ihr restliches Leben noch wünschte, ein Enkelkind.

Aber das war zu viel verlangt, wie Lucas sich, wenn er ehrlich sein wollte, eingestehen musste. Auch wenn er nicht vorhatte, das seiner Mutter zu sagen, denn immerhin war er ihr einziger Sohn. Stattdessen hatte er sie von einem Spezialisten zum anderen gefahren, lauter Koryphäen, die ihr bestätigten, dass sie sich noch lange bester Gesundheit erfreuen würde. Was ihrer Sehnsucht nach einem Enkelkind jedoch keinen Abbruch tat.

Hinzu kam, dass seine letzte Freundin einfach nicht akzeptieren wollte, dass er sich von ihr getrennt hatte. Unter diesen Umständen waren ihm ein paar Tage im Schnee als eine gute Idee erschienen.

Doch irgendwie schienen Ruhe und Frieden in weite Ferne gerückt zu sein. Immerhin schaute er jetzt ziemlich genervt auf eine Übergeschnappte, die mit seinem Wasserkessel herumfuchtelte und drohte, die Polizei zu rufen.

Eine kleine Furie mit einer wilden roten Mähne, die sich offenbar einbildete, einen Einbrecher vor sich zu haben. Lachhaft.

„Glauben Sie allen Ernstes, es mit mir aufnehmen zu können?“ Blitzschnell streckte er die Hand aus, um ihr die Furcht einflößende gläserne Waffe zu entwinden. „Aber bevor ich jetzt die Polizei rufe und Sie rauswerfen lasse, wüsste ich doch ganz gern, was Sie hier eigentlich zu suchen haben.“

Des Wasserkessels beraubt, reckte Milly trotzig das Kinn. „Sie machen mir keine Angst, falls das Ihre Absicht sein sollte.“

„Ich habe es noch nie darauf angelegt, Frauen zu erschrecken.“

Dem Mann sickerte der Sexappeal aus jeder Pore. Widerlich. Wie sollte sie sich konzentrieren, wenn er sie aus Augen fixierte, die schwarz waren wie die Nacht? Wie sollte sie da überlegen?

„Ich arbeite hier“, brach Milly das Schweigen, unfähig, ihren Blick von ihm loszureißen. Sie spürte, wie ihr auf der Oberlippe der Schweiß ausbrach.

Er hob fragend eine Augenbraue. Sie starrte ihn finster an, während sie sich fragte, was bei ihr wohl als Nächstes schiefgehen mochte. Wie konnte das Leben innerhalb kürzester Zeit dermaßen aus der Bahn geraten? Sie hatte hier zur Ruhe kommen und neue Kraft schöpfen wollen. Sie hätte jetzt eigentlich in dieser famosen Küche herumwerkeln sollen, um für diese ebenso famose Familie eine ganz besonders gesunde Mahlzeit zuzubereiten. Stattdessen lieferte sie sich mit diesem Adonis, der sich aufführte wie ein Neandertaler, einen Stellungskrieg mit Blicken.

„Ach ja?“

„Ja“, sagte sie wütend. „Obwohl ich nicht wüsste, was Sie das angeht. Ich arbeite für die nächsten vierzehn Tage als Chalet-Girl für die Familie Ramos. Sie müsste eigentlich jeden Moment eintreffen …“

„Ah … ein Chalet-Girl. Und warum fällt es mir schwer, das zu glauben? Vielleicht weil ich weiß, dass Alberto und Julia gar nicht kommen?“ Er schlenderte hinüber zum Kühlschrank, um eine Flasche Mineralwasser herauszuholen, aus der er trank, ohne sie aus den Augen zu lassen.

„Oh.“ Also doch kein Einbrecher? Und warum sagte er das nicht gleich? „Also, wenn Sie jetzt erwarten, dass ich mich dafür entschuldige, dass …“

„Dass Sie mit dem Wasserkessel auf mich losgegangen sind?“

„Dann irren Sie sich gewaltig. Ich weiß nicht, was Sie hier suchen, aber Sie sollten nicht so herumschleichen. Außerdem frage ich mich, warum Sie mir nicht gesagt haben, dass Sie die Eigentümer kennen.“ Plötzlich kam ihr ein Gedanke. „Oder hat man Sie auch hängen lassen?“

„Wie bitte?“

„Also, mich haben sie definitiv hängen gelassen“, erklärte Milly düster. Nachdem sich herausgestellt hatte, dass sie keiner unmittelbaren körperlichen Bedrohung ausgesetzt war, atmete sie ruhiger. Trotzdem achtete sie darauf, den Abstand zwischen sich und dem Adonis beizubehalten, der immer noch am Kühlschrank stand. Und einen seltsamen Effekt auf ihr Nervensystem hatte.

Seine Beine waren lang und muskulös, wie sie registrierte, während sie sich auf einen der High-Tech-Leder-und-Chrom-Stühle am Tisch setzte. Bestens durchtrainiert, wie sein ganzer Körper.

Als ihr mit Verspätung bewusst wurde, dass er irgendetwas gesagt hatte, runzelte sie die Stirn.

„Oh, nein, nicht Sie jetzt auch noch.“ Sie stöhnte, weil sich aus dem Ende seines Satzes schließen ließ, dass er auf das Offensichtliche hingewiesen hatte. Nämlich, was sie überhaupt hier zu suchen hatte, wo doch der Job storniert worden war. „Es reicht, dass Sandra mir die Hölle heißgemacht hat, weil ich nicht ans Telefon gegangen bin. Ich glaube nicht, dass ich mir jetzt von Ihnen denselben Sermon ein zweites Mal anhören will. Aber was machen Sie eigentlich hier? Sind Sie von der Agentur nicht informiert worden, dass Sie gar nicht erst zu kommen brauchen?“

Lucas fühlte sich wie durch die Mangel gedreht. Diese Frau redete und redete und fuhr sich dabei ständig mit den Fingern durch ihre rote Mähne, die ihr fast bis zur Taille reichte.

„Agentur?“

„Sandra leitet die Agentur, für die ich arbeite. In London.“ Als sie ihn genauer musterte, spürte sie, wie ihr die Verlegenheitsröte in die Wangen kroch. Er hatte etwas aufregend Exotisches, aber sein Englisch, in dem nur ein Hauch von Akzent mitschwang, war perfekt.

„Ich sollte für die Familie Ramos kochen und die Kinder hüten.“ Plötzlich fiel ihr ein, dass er das Ehepaar beim Vornamen genannt hatte. Sandra hatte ihr eingeschärft, die beiden grundsätzlich nur mit Nachnamen anzureden und immer daran zu denken, dass sie nicht auf Augenhöhe waren. Woran sich wieder einmal zeigte, wie unterschiedlich solche Agenturen arbeiteten. Pech für sie, dass sie bei der versnobten Sandra gelandet war. „Wofür hat man Sie denn eingestellt? Nein, die Frage müssen Sie mir jetzt nicht beantworten.“

„Nein? Muss ich nicht?“ Faszinierend. Sie war wie von einem anderen Stern. Lucas war daran gewöhnt, dass ihn die Frauen anhimmelten. Auf Schritt und Tritt versuchte man, ihm jeden Wunsch von den Augen abzulesen. Alle Welt redete ihm grundsätzlich nach dem Mund. Nicht genug damit, dass er aus einer reichen Familie stammte, hatte er selbst auch noch einiges dazu getan, seinen Reichtum zu mehren. Er hatte es bis ganz nach oben geschafft und war daran gewöhnt, dass die ganze Welt nach seiner Pfeife tanzte.

„Raten Sie mal“, sagte er.

„Also, ich schätze … Sie sind der Skilehrer.“ Milly entdeckte, dass diese überraschende Wendung der Ereignisse einen wohltuenden Effekt auf ihre Niedergeschlagenheit hatte. Robby, Emily und die Horrorstory, zu der sich ihr Leben entwickelt hatte, war in den Hintergrund gerückt, seit dieser Adonis auf der Bildfläche erschienen war.

„Der Skilehrer“, wiederholte er ungläubig.

„Ja, Sie sehen aus wie ein Skilehrer“, sagte Milly nachdenklich.

„Darf ich das als Kompliment auffassen?“

„Wenn Sie möchten.“ Sie trat hastig einen Schritt zurück. Fast automatisch und nur falls er auf dumme Ideen kommen sollte. „Ist es nicht Wahnsinn, wie die Reichen so leben?“, wechselte sie eilig das Thema. Dabei beobachtete sie, dass er die leere Mineralwasserflasche einfach auf dem Tresen abstellte. Dann setzte er sich lässig auf den Küchentisch. Mit dem Fuß zog er einen zweiten Stuhl hervor, den er als Fußstütze benutzte.

„Ja, wirklich erstaunlich“, pflichtete Lucas ihr bei.

„Ich meine, haben Sie sich schon mal umgesehen? Das ist ja die reinste Villa. Kaum zu glauben, dass das nur ein Ferienhaus sein soll.“

„Geld beeindruckt Sie, wie?“ Lucas dachte an die Apartments und Villen, die er, über den ganzen Erdball verstreut, sein Eigen nannte. Er besaß sogar auf einer exklusiven Karibikinsel eine Villa, aber dort war er schon seit zwei Jahren nicht mehr gewesen.

Milly lehnte am Tisch, stützte ihr Kinn in ihre Hand und musterte ihn. Was für Augen, dachte sie müßig, und was für Wimpern – lang, dunkel und dicht. Außerdem strahlte er unübersehbar eine gewisse Arroganz aus. Von der sie eigentlich total abgetörnt sein müsste, weil Robbie, dieser Schuft, ja auch ziemlich arrogant gewesen war. Obwohl die Arroganz, die von diesem Adonis hier ausging, irgendwie anders war … schon allein wie cool er da auf dem Küchentisch saß …

„Eigentlich nicht“, gestand sie. „Ich meine, verstehen Sie mich nicht falsch, Geld zu haben ist natürlich toll. Ich wünschte mir, ich hätte mehr.“ Vor allem, weil ich momentan keinen Job habe, in den ich zurückkehren kann. „Aber ich habe schon als Kind gelernt, dass es im Leben Wichtigeres gibt als Geld. Als ich acht war, kamen meine Eltern bei einem Autounfall ums Leben, und ich wuchs bei meiner Großmutter auf. Da gab es nicht viel Geld, doch es hat mich nie gestört …“

Sie unterbrach sich und seufzte. „Sagen Sie ruhig, wenn ich zu viel rede. Das passiert manchmal. Aber jetzt, wo ich weiß, dass Sie kein Einbrecher sind, ist es irgendwie nett, dass noch jemand da ist. Ich meine, ich fahre natürlich gleich morgen früh, aber … okay, genug von mir. Haben Sie schon früher für die Familie Ramos gearbeitet? Ich meine, immerhin nennen Sie die Leute beim Vornamen …“

Beim Gedanken an Alberto und Julia Ramos unterdrückte Lucas ein verächtliches Schnauben. Alberto war für seinen Vater tätig gewesen, und nach dessen Tod hatte Lucas Skrupel gehabt, den Mann zu entlassen. Obwohl er schlicht unfähig war. In Lucas’ Augen waren beide, Alberto und Julia Ramos, ein echtes Ärgernis, aber seine Mutter war die Patentante von einem ihrer Kinder.

„Wir sind vom Thema abgekommen“, sagte er ausweichend.

„Es interessiert mich trotzdem.“

„Warum?“

Milly lachte, und es fühlte sich an wie das erste richtige Lachen seit sehr langer Zeit. Nun, mindestens seit zwei Wochen, obwohl sie vielleicht ein oder zwei Mal mit ihren Freundinnen gelacht hatte. Aus schierer Verzweiflung wahrscheinlich …

„Weil Sie Ihre Füße auf den Stuhl und diese leere Flasche einfach auf den Tresen gestellt haben. Sandra hat mir eingeschärft, dass ich auf keinen Fall irgendein Zeichen meiner Anwesenheit hinterlassen darf. Am besten sollte ich wahrscheinlich auch noch alle Oberflächen abwischen, damit sie nicht irgendwo meine Fingerabdrücke finden.“

„Sie haben ein schönes Lachen“, hörte Lucas sich zu seiner eigenen Überraschung sagen. Aber es stimmte. Sie hatte wirklich ein schönes Lachen. Tief und voll, ein Lachen, bei dem er am liebsten mitgelacht hätte.

Und wenn er sie ansah …

Sein erster Eindruck hatte sich rasch verflüchtigt. Ja, klein war sie wirklich, kaum über eins sechzig wahrscheinlich. Aber ihre Haut war glatt wie Seide, und ihre Augen hatten das strahlendste Blau, das ihm jemals untergekommen war. Und beim Lachen zeigte sie Grübchen.

Milly spürte, dass sie knallrot wurde.

Seit ihrer geplatzten Verlobung war ihr Selbstbewusstsein im Keller, aber mit seinem Kompliment fühlte sie sich plötzlich großartig. Auch wenn es nur um ihr Lachen ging, was bei genauerem Hinsehen ja eigentlich gar kein richtiges Kompliment war. Dafür kam es immerhin von diesem Adonis …

„Es muss toll sein, ein Skilehrer zu sein“, bemerkte sie mit heißem Gesicht. „Soll ich Ihnen mal was verraten? Ich meine, es ist kein großes Geheimnis oder so …“

„Ja, unbedingt, verraten Sie es mir, auch wenn es kein großes Geheimnis ist oder so.“ Himmel, dieser improvisierte Kurzurlaub entpuppte sich immer mehr als eine völlig unvermutete riesengroße Ablenkung.

„Früher habe ich davon geträumt, profimäßig Ski zu fahren, mit fünfzehn, genau gesagt. Doch um da hinzukommen, reichte bei uns zu Hause leider das Geld nicht, deshalb habe ich den Traum schnell wieder begraben. Auf jeden Fall war die Gelegenheit, hier vielleicht auch mal Skifahren zu können, der Grund dafür, dass ich mich auf diesen Job hier beworben habe.“

Das war der Moment, in dem ihr ihre Situation wieder zu Bewusstsein kam. Es traf sie wie ein Schwall eisiger Luft: Kein Job, keine zwei Wochen freie Kost und Logis, kein Verdienst, geschweige denn ab und zu Skifahren. „Aber jetzt …“, fuhr sie ernüchtert fort. „Na ja, so ist eben das Leben. Ich habe in letzter Zeit sowieso ständig Pech, da brauche ich mich eigentlich nicht zu wundern.“

Sie lächelte und musste tief graben, um irgendwo wenigstens einen kleinen Rest ihrer Frohnatur zu finden. „Hey, ich weiß ja noch nicht mal Ihren Namen. Ich heiße Amelia, für meine Freunde Milly.“ Sie streckte ihm die Hand hin, und als er sie nahm, zuckte sie zusammen, als ob sie einen Stromschlag erhalten hätte.

„Ich bin … Lucas.“ Der Skilehrer. Wie erfrischend, in Gesellschaft einer Frau zu sein, die nicht wusste, wer er war. Die nicht affektiert kicherte und darauf aus war, ihn einzufangen. „Und ich denke, das Problem mit dem Job, der Ihnen durch die Lappen gegangen ist, können wir ganz einfach klären.“

2. KAPITEL

Es handelte sich um eine reine Bauchentscheidung, die Lucas da getroffen hatte, aber wer sagte denn, dass er nicht gelegentlich spontan sein konnte? Es war bekannt, dass es manchmal wahre Wunder bewirkte, die Dinge auch mal aus einem anderen Blickwinkel zu betrachten.

Jetzt würde er die Welt eben mit den Augen eines Skilehrers sehen. Und sich ein paar Tage die Zeit mit dieser jungen Frau auf den Skipisten vertreiben. Was sprach eigentlich dagegen?

Höchstens, dass sie nicht sein Typ war. Er war auf Brünette abonniert, groß, überschlank und langbeinig, aus gutem Haus wie er selbst und vor allem wohlhabend. Weil es nichts Schlimmeres gab als Frauen, die sich nur für sein Geld interessierten. Aber diese Milly hatte irgendetwas …

Erst in diesem Moment sah er, dass sie ihn perplex anstarrte.

„Wie bitte?“ Milly glaubte ihren Ohren nicht trauen zu können. Sollte das jetzt ein Witz sein, oder was? Gut möglich, dass er der Skilehrer der Familie Ramos war, aber was hatte so ein Skilehrer ansonsten schon zu melden? Gar nichts wahrscheinlich.

„Aber erst sollten wir vielleicht etwas essen.“

„Essen?“

„Ja, das hatte ich vor.“ Anfangs hatte Lucas erwogen, sich wie gewohnt aus einem Fünfsterne-Hotel einen Koch raufkommen zu lassen, doch für zwei Tage lohnte der Aufwand nicht. Außerdem hatte die Familie Ramos wahrscheinlich vor ihrer geplanten Ankunft den Kühlschrank auffüllen lassen.

„Na, Sie haben vielleicht Nerven. Ich meine, Sie können sich doch hier nicht einfach nach Lust und Laune bedienen und vielleicht sogar noch den teuren Wein trinken. Haben Sie sich mal die Flaschen im Weinregal angesehen? Die kosten ein Vermögen.“

Lucas war bereits auf dem Weg zum Kühlschrank.

„Brot … Käse, alles da, wir brauchen also nicht zu verhungern“, sagte er mit Blick in den Innenraum. „Und bestimmt gibt es irgendwo auch noch Salat.“

Milly sprang auf. „Ich kann … also … ich könnte uns etwas kochen, wenn Sie möchten … wenn Sie sicher sind. Immerhin gehört Kochen zu meinen Aufgaben hier.“

Lucas lächelte sie an. Wieder verspürte sie diesen Stromschlag.

Hatte sie bei Robbie, dem Dreckskerl, jemals etwas Ähnliches gespürt? Im Moment konnte sie sich gar nicht daran erinnern …

Lucas machte den Kühlschrank zu, nahm einen teuren Wein aus dem Regal und öffnete die Flasche in aller Seelenruhe.

Sich von einer Frau bekochen zu lassen, hatte er bisher stets zu verhindern gewusst. Geschäftiges Topfgeklapper in der Küche gab es bei ihm nicht. Aber unter diesen Umständen war das natürlich etwas anderes.

„Ich bin nämlich gelernte Köchin, müssen Sie wissen.“ Milly grinste und ging ebenfalls zum Kühlschrank, um einen Blick hineinzuwerfen. Dabei hatte sie das Gefühl, dass „Skipper“ Sandra ihr höchst missbilligend über die Schulter schaute und fragte, was sie hier zum Teufel eigentlich machte.

„Verhinderte Profi-Skifahrerin, gelernte Köchin, was sind Sie eigentlich noch alles?“

„Sie machen sich lustig über mich.“ Sie wurde rot, als ihre Blicke sich begegneten. „Es ist mir ausgesprochen unangenehm, hier in den Schränken herumzukramen, aber irgendetwas müssen wir schließlich essen. Ich meine, ich kann mir nicht vorstellen, dass Sandra will, dass ich verhungere …“

„Diese Sandra scheint ja wirklich ein richtiger Tyrann zu sein.“ Lucas machte den Weg frei, damit sie sich aus dem Kühlschrank und den Hängeschränken bedienen konnte. Er fragte sich, was sie mit dem ganzen Zeug anstellen wollte. Er selbst hatte keinen blassen Schimmer vom Kochen. Ihm reichte es, den Toaster zu bedienen oder sich eine Scheibe Brot abzuschneiden. Im schlimmsten Fall eine Dose zu öffnen und den Inhalt in eine Pfanne zu schütten.

„Das kann man wohl sagen.“ Sie legte immer noch Sachen zurecht, während sie nicht müde wurde zu betonen, wie unangenehm es ihr sei, sich an fremdem Eigentum zu vergreifen. Wohl für den Fall, dass er später behauptete, sie hätte sich hier wie zu Hause gefühlt. „Wollen Sie mir helfen?“ Sie warf ihm über die Schulter einen Blick zu. Er lehnte müßig mit einem Glas Rotwein in der Hand am Tresen.

„In der Küche ziehe ich die Zuschauerrolle vor“, erklärte er. Und von seinem Standort aus hatte er alles bestens im Blick. Statt der dicken Strickjacke trug sie jetzt nur ein langärmeliges T-Shirt, das sich eng an einen Körper schmiegte, der eine echte Augenweide war.

„Wenn Sie helfen, geht es schneller.“

„Ich habe Zeit. Sie wollten mir eben von Sandra, der Tyrannin, erzählen.“

„Ich musste für diesen Job drei Interviews über mich ergehen lassen, soll man das glauben? Drei! Die Familie Ramos ist dermaßen pingelig, so was habe ich noch nicht erlebt. Oh Verzeihung, Sie sind ja der Skilehrer. Sie kennen sie ja vielleicht noch von einer anderen Seite.“ Sie seufzte und schluckte schwer, als sie an das wohlgeordnete Leben dachte, das ihr in ihrer momentanen Situation gerade recht gekommen wäre. In ihrem Unglück.

Obwohl sie seltsamerweise das Gefühl hatte, dass sie gar nicht so unglücklich war, wie sie eigentlich sein sollte.

Gedemütigt, ja. Das Gefühl, gedemütigt worden zu sein, erreichte elf von zehn Punkten auf der Demütigungsskala. Obwohl es jetzt zum Glück nicht mehr ganz so krass war wie am Anfang. Vielleicht weil ihre wohlmeinenden Freundinnen nicht mehr ständig auf Zehenspitzen um sie herumschlichen, als ob sie kurz vor einem Nervenzusammenbruch wäre.

Aber unglücklich?

Die Geschenke hatten sie zurückgegeben. Ihr ungetragenes Hochzeitskleid hatte Milly zum Verkauf ins Internet gestellt, weil sich das Geschäft geweigert hatte, es zurückzunehmen. Die Trauung in der kleinen Kirche in Sunningdale, wo seine Eltern lebten, war abgesagt worden. Aber sie hatte keinen Kloß im Hals, wenn sie an das alles dachte.

Den Kloß spürte sie erst, wenn sie sich an die Träume erinnerte, die sie im Zusammenhang mit diesem Mann gehabt hatte. Mit diesem Mann, der sie so schnöde sitzen gelassen hatte.

„Von einer anderen Seite? Wohl kaum.“ Lucas erinnerte sich, als er das Paar zuletzt im Haus seiner Mutter in Argentinien gesehen hatte. Wo sich Julia Ramos den ganzen Abend über Leute den Mund zerrissen hatte, die ihrer Meinung nach weniger wert waren als sie selbst.

Im Vergleich dazu hatte sich seine Mutter trotz ihres großen Reichtums doch eine gehörige Portion Normalität bewahrt. Erfreulicherweise.

„Alberto und Julia Ramos sind keine besonders vielschichtigen Persönlichkeiten, das kann man wohl sagen. Sie haben Geld, und das wollen sie der Welt zeigen, egal ob es irgendwen interessiert.“

„Sie Ärmster.“ Milly bedachte ihn mit einem mitfühlenden Blick. „Muss ja ganz schön öde sein, für solche Leute zu arbeiten.“ Sie fuhr fort, Gemüse zu schnippeln, und er zog sich einen Barhocker heran, um ihr bei der Arbeit besser zusehen zu können. Inzwischen hatte sie es aufgegeben, sich über die Freiheiten zu empören, die er sich herausnahm. Vielleicht war er es ja so gewohnt.

„Aber“, fuhr sie fort, während sie sich auf die Zwiebel, die vor ihr auf einem Brett lag, zu konzentrieren versuchte. Gleichzeitig bemühte sie sich, die Tatsache auszublenden, dass ihr jedes Mal ein wenig schwindlig wurde, wenn er sie mit seinen dunklen Augen betrachtete. „Wir müssen alle irgendwie unseren Lebensunterhalt verdienen, auch wenn uns die Art, wie wir das tun, manchmal nicht passt. Und was machen Sie, wenn Sie nicht als Skilehrer arbeiten?“

„Dies und das.“

Milly hakte nicht nach. Vielleicht war ihm die Frage ja unangenehm, weil der Beruf als Skilehrer wahrscheinlich nicht allzu viele Aufstiegsmöglichkeiten bot. Und er wirkte ehrgeizig.

„Warum arbeiten Sie als Chalet-Girl, wenn Sie Köchin sind?“ Er schaute auf ihr Glas. „Sie trinken Ihren Wein ja gar nicht. Das ist ein exzellenter Jahrgang.“

„Hoffentlich bekommen Sie keine Schwierigkeiten, weil Sie diese Flasche aufgemacht haben.“ Sie war mit ihren Vorbereitungen fertig und trocknete sich die Hände an einem Küchentuch ab. Mit dem Weinglas in der Hand folgte sie ihm in den offenen Wohnraum. Dort boten die Panoramafenster einen spektakulären Blick auf die verschneiten Berge, über denen sich die Dunkelheit herabsenkte.

„Ich bekomme nie Schwierigkeiten“, sagte Lucas, während sie sich zu ihm auf die weiße Couch gesellte. Oh je, wenn da Rotweinflecken draufkommen …

Sie setzte sich unbehaglich ganz vorn auf den Rand und umfasste das Weinglas fest.

„Sie bekommen nie Schwierigkeiten … wirklich nie? Das klingt ganz schön arrogant.“ Aber auch seltsam erregend.

„Ich gestehe, dass ich durchaus arrogant sein kann“, sagte Lucas, während er, ohne sie aus den Augen zu lassen, einen Schluck von seinem Wein trank.

„Das ist eine schlechte Angewohnheit.“

„Betrüblich. Haben Sie auch welche?“

„Was welche?“ Ihr Glas war schon leer. Wie konnte das passieren?

„Schlechte Angewohnheiten!“ Nicht rot, entschied Lucas versonnen. Ihr Haar war nicht rot, sondern leuchtend kastanienbraun, durchzogen von helleren Strähnen.

„Ich falle auf Schufte rein. Genau gesagt, bin ich darauf spezialisiert. Mit meinem ersten Freund vor drei Jahren war ich drei Monate zusammen. Dann stellte sich heraus, dass er eine Freundin hatte, die im Ausland ein freiwilliges ökologisches Jahr machte.“

„Die Welt ist voll von Schuften“, murmelte Lucas. Er selbst machte den Frauen, mit denen er etwas anfing, von Anfang an klar, dass ein Ring am Finger nicht Teil des Spiels war. Und wenn sie es sich in den Kopf setzten, daran etwas ändern zu wollen, erinnerte er sie in aller Deutlichkeit an die Spielregeln.

„Stimmt.“

„Und Freund Nummer zwei?“

„Freund Nummer zwei war eigentlich mein Verlobter.“ Sie starrte in ihr leeres Glas und überlegte, ob es ratsam war, noch etwas zu trinken. Sie hatte keine Lust, morgen in verkatertem Zustand nach London zurückzufahren. Sie warf Lucas einen Blick zu, der sich lässig entspannt auf dem Ledersofa zurücklehnte.

„Ihr Verlobter?“

Milly streckte ihm die Hand hin. „Was sehen Sie?“

Lucas beugte sich vor. „Eine auffallend hübsche Hand.“

Er schaute sie an, fasziniert von der anmutigen Röte in ihren Wangen.

„Es ist eine Hand ohne Verlobungsring“, sagte sie traurig. „Genau jetzt, in diesem Moment, könnte ich eine verheiratete Frau sein.“

„Ahh …“

„Stattdessen sitze ich hier, trinke Wein, der mir nicht gehört – was sich möglicherweise noch bitter rächen wird –, und schütte einem wildfremden Mann mein Herz aus.“

„Manchmal sind Fremde die besten Zuhörer.“

„Sie wirken nicht wie jemand, der sich bei anderen Leuten ausweint.“

„Es ist zumindest nichts, was ich jemals bewusst gepflegt hätte. Erzählen Sie mir mehr von diesem Exverlobten.“

„Das interessiert Sie doch nicht wirklich.“ Unvorstellbar, dass ihm jemals etwas Ähnliches passiert sein könnte.

„Sie faszinieren mich“, murmelte Lucas und streckte die Hand nach der Weinflasche aus, die er auf einem gläsernen Beistelltisch deponiert hatte. Milly bemerkte, dass die Flasche einen Ring hinterlassen hatte, und nahm sich vor, die Glasplatte vor dem Schlafengehen ordentlich abzuwischen.

„Wirklich?“ Jetzt fühlte sie sich langsam doch ein bisschen geschmeichelt.

„Ja, wirklich“, sagte Lucas ernst. „So jemand wie Sie ist mir noch nie begegnet. Jemand, der so … unverkrampft und offen ist.“

„Oh.“ Ernüchtert schaute Milly ihn an. „Das ist wohl eine freundliche Umschreibung dafür, dass ich zu viel rede.“

„Und Sie haben wunderschönes Haar.“

Er flirtete doch nicht etwa mit ihr? Milly ermahnte sich zur Vorsicht. Skilehrer waren bekannt dafür, dass sie mit jeder Frau über zwanzig ins Bett gingen, oder?

Sie warf ihm einen argwöhnischen Blick zu, während Lucas sich ausmalte, wie es sich anfühlen mochte, mit den Fingern durch dieses wunderschöne Haar zu streichen.

„Wie hieß denn Ihr Ex?“

„Robert“, erwiderte Milly seufzend. Sie nippte nur noch an ihrem Glas, um nicht morgen die unangenehmen Folgen spüren zu müssen.

„Und was hat Robert sich zuschulden kommen lassen?“

„Er hat mich mit meiner besten Freundin – und Mitbewohnerin – betrogen. Wie sich am Ende herausstellte, hat er mir nur einen Heiratsantrag gemacht, um die Erwartungen seiner Eltern zu erfüllen. Sie haben ihn bedrängt, eine Familie zu gründen, und da kam ich gerade recht. Aber er hat es nicht für sich, sondern für seine Eltern getan. So was muss ja schiefgehen.“

Sie seufzte und trank noch einen Schluck Wein, diesmal einen größeren. „Und jetzt … tja, was soll ich sagen? Fakt ist, dass meine Freundin jetzt das Leben leben wird, das ich mir für mich erträumt habe.“

„Ach, wissen Sie, so einem Mistkerl würde ich an Ihrer Stelle keine Träne nachweinen.“

Milly lachte. Da war was dran. Vielleicht hatte er ja mit wenigen Worten genau den Punkt getroffen, anders als ihre Freundinnen, die sie ohne Ende bemitleidet hatten.

„Wollen Sie jetzt vielleicht mal nachsehen, was Ihr Essen macht?“ Lucas war schon aufgestanden. Er reckte sich ausgiebig, während Milly versuchte, nicht mit offenem Mund auf die Muskeln zu schauen, die sich unter seinen Kleidern abzeichneten.

„Das gestohlene Essen.“

„Und ich sehe unterdessen mal zu, was ich wegen dieses Jobs, den man Ihnen unter den Füßen weggezogen hat, tun kann.“

Milly hatte sein Versprechen zwar nicht vergessen, jedoch beschlossen, es nicht mehr zu erwähnen. Die Leute sagten öfter so Sachen, die sie im selben Moment wieder vergaßen. Manchmal hatte sie sich sogar schon selbst bei diesem Vergehen ertappt.

Gedankenverloren betrachtete Lucas ihren knackigen Po, als sie an ihm vorbei in die Küche ging, während er zurückblieb, um zu telefonieren. Innerhalb kürzester Zeit hatte er mehr über ihr Leben erfahren, als er über jede andere Frau, die er kannte, wusste. Allerdings wäre er vorher auch nie auf die Idee gekommen, eine Frau zu ermuntern, ihm ihr Herz auszuschütten.

Als erstes rief er seine Mutter an, um ihr mitzuteilen, dass er sich entschlossen hatte, etwas länger zu bleiben als geplant. Mit seinem zweiten Anruf informierte er Alberto, dass dieses Chalet-Girl eingetroffen sei und soeben erst erfahren habe, dass es ohne Job dastand. Und dass man die junge Frau jetzt unmöglich ohne Bezahlung einfach wieder nach Hause schicken könne. Alberto, in Lucas’ Augen sowieso völlig überbezahlt, verstand den Wink mit dem Zaunpfahl sofort. Das nutzte Lucas, um ihm weiterhin aufzutragen, die Agentur anzurufen und dort Bescheid zu sagen, dass sie noch eine Weile hierbleiben würde.

Als er wieder in die Küche kam, war Milly eben dabei, zwei Teller, voll beladen mit dampfender Pasta, auf den Tisch zu stellen.

„Alles klar.“

Alles klar? Was meinte er damit? Er konnte das Blaue vom Himmel herunter lügen, warum sollte sie ihm glauben? Zögernd setzte sie sich an den Küchentisch und schluckte schwer.

„Sie dürfen ruhig etwas erfreuter dreinschauen.“ Lucas, der sich ebenfalls gesetzt hatte, nahm seine Portion mit Appetit in Angriff. Die Pasta schmeckte köstlich.

„Na ja …“ Sie konnte nicht anders, sie musste einfach nachfragen. „Wie haben Sie das hingekriegt? Ich meine, wenn Sie sagen alles klar …“

„Sie wären überrascht, was ich alles kann, wenn ich mir ein wenig Mühe gebe. Also, Sie bekommen für die zwei Wochen die volle Bezahlung. Selbst wenn Sie beschließen sollten, morgen abzureisen. Aber das müssen Sie nicht, Sie können auch hierbleiben.“

Milly fiel vor Überraschung die Kinnlade herunter. Er grinste.

„Sie sind beeindruckt, geben Sie es zu.“

„Wow. Sie scheinen bei den Ramos’ ja einen gewaltigen Stein im Brett zu haben.“ Ihr schoss ein Gedanke durch den Kopf. Als Milly spürte, dass sie rot wurde, beugte sie sich eilig über ihren Teller und begann zu essen.

„Was haben Sie eben gedacht?“, wollte Lucas wissen.

„Warum fragen Sie?“

„Vielleicht, weil Sie plötzlich knallrot geworden sind? Oder weil man in Ihrem Gesicht lesen kann wie in einem offenen Buch? Suchen Sie es sich aus. Das Essen schmeckt übrigens köstlich. Wäre da nicht das rote Haar, könnte man auf die Idee kommen, dass Sie italienisches Blut in den Adern haben.“

„Mein Haar ist kastanienbraun, nicht rot“, widersprach Milly automatisch, immer noch auf ihren Teller starrend.

„Sie lenken ab, Milly-mit-dem-kastanienbraunen-nicht-roten-Haar.“

„Na ja, Sie hören das vielleicht nicht gern.“

Lucas tat sich noch eine Portion auf und schenkte sich Wein nach. Stille trat ein. Ausgedehnte Stille. Am Ende aber rettete er Milly doch vor ihrer quälenden Unentschlossenheit.

„Na los, trauen Sie sich schon“, sagte er, überzeugt davon, dass sie sich sowieso nicht traute. Niemand wagte es, ihm unangenehme Wahrheiten ins Gesicht zu sagen.

„Sie sind wirklich ganz schön arrogant“, bemerkte Milly, was er mit einem umwerfenden Lächeln honorierte, das sie für einen Moment außer Gefecht setzte. „Nun, ich habe mich nur gefragt, ob dieser Einfluss, über den Sie offenbar verfügen, etwas damit zu tun haben könnte, dass Sie mit Mrs Ramos schlafen.“ Sie sprudelte den Satz ohne Luft zu holen hervor und wartete mit angehaltenem Atem auf eine Antwort.

Ein paar Sekunden glaubte Lucas, sich verhört zu haben. Und dann wusste er nicht, ob er empört, belustigt oder ungläubig sein sollte.

„Na ja …“, sagte sie gedehnt und befeuchtete sich nervös mit der Zungenspitze die Lippen. „Das ist doch nicht abwegig, oder?“

„Und in was für einer Welt wäre das so, wenn ich fragen darf?“

„Aber warum sollte mich jemand für eine Leistung bezahlen, die ich gar nicht erbringe?“

„Skilehrer verfügen manchmal auf vielerlei Ebenen über Einfluss“, gab Lucas vage zurück. „Ich habe Alberto mehr als einmal geholfen, deshalb ist er jetzt froh, sich endlich einmal revanchieren zu können. Davon abgesehen sind verheiratete Frauen für mich tabu.“

„Was Sie nicht sagen.“

„Erzählen Sie mir nicht, dass Sie alle Skilehrer für Ehebrecher halten.“

„Auf jeden Fall haben Skilehrer den Ruf, ziemlich … forsch zu sein.“ Erleichtert war sie trotzdem. „Aber egal. Ich hätte da nur noch ein kleines Problem …“

„Sie wollen immer alles ganz genau wissen, stimmt’s?“

„Nun, ich pflege normalerweise nicht mit einem Menschen unter einem Dach zu wohnen, den ich nicht kenne.“

Diesmal war Lucas aufrichtig empört. Er warf die Hände in die Luft und lehnte sich in seinen Stuhl zurück. „Dann bin ich für Sie also nicht nur ein Weiberheld, sondern auch noch ein Perverser.“

„Nein!“, kreischte Milly. Aber bis jetzt war ja noch nicht einmal klar, ob er tatsächlich telefoniert hatte. Vielleicht war er ja doch ein Einbrecher! Einer, der beschlossen hatte, sich erst einmal ordentlich den Bauch vollzuschlagen, bevor er sich daranmachte, das Tafelsilber einzusacken.

„Woher soll ich wissen, dass Sie wirklich mit Mr. Ramos gesprochen haben?“

„Weil ich es Ihnen eben gesagt habe.“ Lucas, nicht daran gewöhnt, dass seine Aussagen angezweifelt wurden, fand die Unterhaltung immer surrealer. „Ich kann es beweisen.“

„Ach ja?“ Sie warf ihm einen misstrauischen Blick zu. Was hatte dieser Typ bloß an sich? Rein gefühlsmäßig wäre sie bereit, ihm jedes Wort zu glauben, selbst wenn es noch so absurd erschiene. Wenn er zum Himmel deuten und behaupten würde, dass da oben Raumschiffe schwebten, würde sie wahrscheinlich sofort die kleinen grünen Männchen suchen.

Lucas wählte auf seinem Smartphone eine Nummer. Einen Moment später sagte er schnell irgendetwas auf Spanisch, bevor er das Telefon auf den Tisch legte und den Ton laut stellte. Anschließend lehnte er sich zurück und bat Alberto, auf Englisch zu wiederholen, was sie eben besprochen hatten. Er hörte mit hinter dem Kopf gefalteten Händen zu, ohne den Blick von ihrem Gesicht zu nehmen. Was bei näherer Betrachtung ein äußerst anziehendes Gesicht war … Viel anziehender, als gut für ihn war.

Unterdessen gab Alberto genau das von sich, was er von sich geben sollte. Ja, selbstverständlich konnte sie bleiben. Bei voller Bezahlung. No hay problema. Von den vorhandenen Lebensmitteln und Getränken durfte sie sich jederzeit bedienen, niemand erwartete von ihr, dass sie irgendetwas ersetzte. Auch der Wein stand zu ihrer freien Verfügung. Putzen war nicht erforderlich. Das würde zu einem späteren Zeitpunkt von einem Reinigungsdienst nachgeholt werden. Alberto versprach, ihr das vereinbarte Entgelt direkt auf ihr Konto zu überweisen, plus einer Aufwandspauschale für die Unannehmlichkeiten, die ihr entstanden waren. Sie sollte ihm bitte nur die Kontoverbindung mitteilen.

„Ich fühle mich schrecklich“, brachte Milly mühsam heraus, nachdem Alberto sich noch einmal entschuldigt, ihr einen angenehmen Aufenthalt gewünscht und aufgelegt hatte.

„Sie fühlen sich schrecklich? Aber warum das denn? Sie sollten sich freuen. Sie brauchen noch nicht nach London zurückkehren, wo Sie riskieren würden, Ihrer reizenden ‚besten Freundin‘ und Ihrem Ex in die Arme zu laufen. Ich finde, besser hätten Sie es gar nicht treffen können, aber Sie schauen drein, als ob man Ihnen die Butter vom Brot geklaut hätte.“

„Ich habe über den armen Mr. Ramos nicht gerade nett gesprochen, stimmt’s?“

„Ist das meine Schuld?“

„Ich habe voreilige Schlüsse gezogen. Ich dachte, dass … dass sie eine unglaublich verwöhnte, divenhafte Familie sind. Diese Essensliste, die ich bekommen hatte, einfach unfassbar, da brauchte jeder seine Extrawurst. Und auch sonst gab es noch tausend absurde Vorschriften, aber jetzt …“

Sie unterbrach sich und kramte in ihrem Rucksack nach ihrem Handy, um Alberto eine Mail mit den gewünschten Bankverbindungsdaten zu schicken.

„Aber jetzt verhält er sich wirklich sehr anständig, das muss ich schon sagen.“ In Rekordzeit pingte ihr Handy, und als sie nachschaute, sah sie die Bestätigung, dass er ihr das Geld auf ihr Konto überwiesen hatte. „Nach dieser Enttäuschung mit Robbie ist es nett festzustellen, dass es auf der Welt immer noch ein paar anständige Menschen gibt.“

Lucas hatte seine eigene Meinung über Alberto und seine absurden Vorschriften, aber die behielt er für sich. Weitere kostenlose Aufenthalte in der Lodge konnte sich die Familie Ramos abschminken, soviel stand für ihn fest. Ungeachtet der familiären Verbindungen. „Dann machen Sie also doch noch einen Luftsprung vor Freude? Ach so, ich habe ja ganz vergessen, dass Sie mich für einen Perversen halten.“

„Nein, das tue ich nicht.“ Milly seufzte, während sie sich fragte, wie sie überhaupt auf so eine Idee hatte kommen können.

„Na, da fällt mir aber ein Stein vom Herzen.“

„Ich finde, wir sollten hier aufräumen und schlafen gehen“, sagte sie, während sie aufstand. Die Achterbahnfahrt, ihr Leben genannt, schleuderte sie immer noch wild herum. Es würde wohl noch einen Moment dauern, ehe sie sich wieder sortiert hatte.

„Aufräumen?“

„Abwaschen.“ Sie deutete auf das benutzte Geschirr. „Auch wenn Sie nicht kochen können, spricht nichts dagegen, dass Sie mithelfen, die Küche in Ordnung zu bringen. Dafür bin ich nicht allein zuständig. Wir haben beide zu dieser Unordnung beigetragen.“

Lucas stand reichlich perplex mit vor der Brust verschränkten Armen da. Dass er Geschirr spülen sollte, hatte noch niemand von ihm verlangt. Nichtsdestotrotz begann er brav den Tisch abzuräumen. Während Milly immer noch laut mit sich haderte, weil sie über Alberto und seine Familie so unfreundlich gesprochen hatte.

Irgendwie schien ihr Gewissen hyperaktiv zu sein.

„Okay“, fiel er ihr schließlich ins Wort. „Ich habe verstanden. Obwohl ich dazusagen muss, dass Sie nicht das Geringste über Alberto wissen“, fuhr er düster fort. „Aber das brauchen wir jetzt nicht zu vertiefen.“ Er lehnte sich gegen den Küchentresen und verschränkte wieder die Arme vor der Brust. Offenbar war er der Meinung, dass er seinen Beitrag zum Aufräumen der Küche bereits geleistet hatte. Immerhin war es ihm gelungen, zwei Teller und ein Glas vom Tisch in die Spüle zu stellen.

„Lassen Sie uns einfach die Lobhudeleien über die Familie Ramos beenden. Ich will auch ein paar Tage bleiben, und wir könnten uns zum Beispiel darüber unterhalten, welche Abfahrten wir nehmen.“ Sie war eine fähige Person, und so wie er sie einschätzte, konnte sie bestimmt auch gut Ski fahren. Ohne allzu übertrieben auf ihr Outfit zu achten, was normalerweise für seine Begleiterinnen das Wichtigste war.

Er war sich sicher, dass sie zusammen eine Menge Spaß haben würden, er, der Skilehrer, und sie, das Chalet-Girl. Wer konnte schon wissen, was sich aus dieser kurzen zufälligen Begegnung noch alles entwickelte. In seinem strikt durchorganisierten Leben hatte die Aussicht auf das Unbekannte etwas Prickelndes.

Er lächelte, als er bemerkte, wie sie errötend den Blick senkte.

Ja, hierherzukommen war definitiv die richtige Entscheidung gewesen.

3. KAPITEL

„Ach, da fällt mir noch etwas ein“, sagte Milly.

Das Geschirr war abgewaschen und weggeräumt, hauptsächlich von Milly, während Lucas sich entspannt hatte. Zum Ausgleich dafür machte er sich jetzt an der offenbar hoch komplizierten Espressomaschine zu schaffen. Nachdem er endlich im Schweiße seines Angesichts ein Ergebnis produziert hatte, wollte Milly den Espresso nicht ablehnen, obwohl sie dann wahrscheinlich nicht schlafen konnte. Ihr war noch nie jemand begegnet, der sich in der Küche so ungeschickt anstellte wie er. Oder so desinteressiert.

Autor

Cathy Williams

Cathy Willams glaubt fest daran, dass man praktisch alles erreichen kann, wenn man nur lang und hart genug dafür arbeitet. Sie selbst ist das beste Beispiel: Bevor sie vor elf Jahren ihre erste Romance schrieb, wusste sie nur wenig über deren Inhalte und fast nichts über die verschiedenen Schreibtechniken. Aber...

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