Viel mehr als diese eine Nacht

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Küsst sie gerade wirklich Ryan Bateman, zärtlich und voller Verlangen? Nie hätte Tessa sich träumen lassen, dass ihr bester Freund sie so leidenschaftlich in seine Arme zieht. Doch nachdem der attraktive Single sie auf einem Wohltätigkeitsball ersteigert hat, ist sowieso nichts mehr, wie es war. Denn der Womanizer verwöhnt sie auf ihrem Wochenend-Trip nicht nur von Kopf bis Fuß, Ryan gibt ihr auch das Gefühl, die begehrenswerteste Frau der Welt zu sein. Warum denkt sie dann an Cinderella, deren Traum um Mitternacht zerplatzt?


  • Erscheinungstag 17.09.2019
  • Bandnummer 2099
  • ISBN / Artikelnummer 9783733725396
  • Seitenanzahl 144
  • E-Book Format ePub
  • E-Book sofort lieferbar

Leseprobe

1. KAPITEL

Verunsichert blickte Tessa Noble auf die Anordnung der Kugeln auf dem Billardtisch; sie war ratlos.

„Ich bin erledigt“, murmelte sie vor sich hin. Ein paarmal hatte sie zu stark gestoßen, vor allem aber war sie nicht richtig bei der Sache. So oder so: Sie würde verlieren.

Aber wie sollte sie sich auch aufs Poolspiel konzentrieren, wenn ihr bester Freund Ryan Bateman ein so eng anliegendes T-Shirt trug? Sein Sixpack, seine beeindruckenden Armmuskeln – alles zeichnete sich plastisch unter dem dünnen Stoff ab. Wäre das Shirt eine Nummer größer gewesen, hätte sie das alles nicht so deutlich gesehen, aber nein, er hatte sich ja unbedingt eines anziehen müssen, das eine Nummer zu klein war. War das vielleicht Absicht? Und dann dieser Anblick, wenn er sich über den Tisch beugte und sein fester, knackiger Hintern die hautengen Jeans fast sprengte …

Nein, kein Wunder, dass sie unter diesen Umständen wie eine blutige Anfängerin spielte!

„Keine Sorge, du bist noch lange nicht erledigt“, munterte Ryan sie auf. Seine Stimme war sonor und ein wenig rau; Tessa hätte ihm stundenlang zuhören können, auch wenn er nur das Telefonbuch vorgelesen hätte. Diese Stimme strahlte Sinnlichkeit und Selbstbewusstsein aus.

Tessa errötete; sie wusste selbst nicht, warum. Sie fühlte sich unsicher wie ein Schulmädchen bei seinem ersten Date.

„Ich weiß sowieso nicht, warum ihr eure Zeit mit Billardspielen verplempert, wenn ihr doch so viel schönere Sachen machen könntet“, flüsterte Gail Walker ihr anzüglich ins Ohr und nahm anschließend einen kräftigen Schluck Bier.

Tessa drückte ihrer Freundin den Ellenbogen leicht in die Rippen, aber die lachte nur. So war Gail eben – immer ein bisschen zu direkt, vor allem wenn sie mehr als einen Drink intus hatte.

Mit dem Queue in der Hand ging Tessa um den Billardtisch herum, während ihr Spielgegner Roy Jensen sich in Geduld übte. Schließlich seufzte sie und schüttelte den Kopf. „Es ist hoffnungslos“, sagte sie. „Ich weiß wirklich nicht, mit welchem Stoß ich mich hier noch aus der Affäre ziehen könnte. Falls du eine Lösung siehst – ich sehe sie nicht.“

Ryan kam näher zu ihr. Jede seiner Bewegungen hatte etwas Animalisches, etwas Raubtierhaftes. Gefährlich und doch verführerisch …

„Du unterschätzt dich, Tessa“, murmelte er. „Versuch dich zu konzentrieren. Blende alles aus, die Geräuschkulisse, deine Zweifel …“

Sie betrachtete die Poolkugeln, hielt den Kopf schief, biss sich auf die Unterlippe. „Nein, Ryan, egal von welcher Position aus – da gibt es nichts, was gelingen könnte.“

„Bist du sicher?“, fragte er. „Schau doch mal zur Vierer-Kugel.“ Die Kugel war zwischen zwei Kugeln ihres Gegners förmlich eingeklemmt.

„Hm, meinst du, das könnte gehen?“ Tessa nahm den Queue, stellte sich in Position, versuchte zu zielen.

Aber sie wagte den Stoß nicht.

„Nein, das kriege ich nicht hin.“ Sie wandte sich um und blickte Ryan an. „Du würdest es vielleicht schaffen – aber ich nicht.“

„Weil du zu angespannt bist. Und weil du falsch stehst.“ Ryan musterte sie einen Augenblick lang, dann umfasste er ihre Hüften mit beiden Händen und schob Tessa ein Stück zur Seite. „So, jetzt stehst du in einer Linie mit der Kugel. So kannst du besser zielen, du wirst sehen.“

Tessa versuchte sich auf die Billardkugel zu konzentrieren, aber es fiel ihr schwer, weil sie Ryans Hände auf ihrer Hüfte spürte. Er war ihr so nah, so verführerisch nah …

Sie riss sich zusammen und nahm die Kugel ins Visier. Unruhig bewegte sie den Queue vor und zurück, um das richtige Gefühl für den entscheidenden Stoß zu bekommen.

„Warte, Moment noch.“ Ryan beugte sich über sie. Er legte ihr einen Arm um die Hüfte und griff mit der anderen Hand nach dem Queue, einige Zentimeter über der Stelle, wo sie ihn festhielt. Gleichzeitig fixierte er mit den Augen die Billardkugel, wobei sein Gesicht nur Zentimeter von Tessas entfernt war. „Jetzt den Queue schön locker halten, nur nicht verkrampfen. Das ist jetzt Millimeterarbeit, da kommt es nicht auf Kraft an, sondern auf Gefühl. Also ganz entspannt sein. Versuch die weiße Kugel genau in der Mitte zu treffen, dann kann nichts schiefgehen. Alles klar?“

„Alles klar.“ Tessa nickte und konzentrierte sich. Sie atmete noch einmal tief durch, dann wagte sie den Stoß. Und sie traf die weiße Kugel tatsächlich genau in der Mitte. Irgendwie war es gar nicht so schwer gewesen.

Die weiße Kugel traf klackend auf die Vierer-Kugel, die daraufhin auf die Ecktasche zurollte, dann aber langsamer wurde, sodass es kurz so aussah, als würde sie direkt vor dem Abgrund stoppen. Aber dann hatte sie doch noch genug Schwung, um in der Ecktasche zu versinken.

„Jaaa!“, schrie Tessa triumphierend und klatschte Ryans erhobene Hand ab. „Du bist der Beste, Ryan! Wenn du mich nicht gecoacht hättest …“

Er winkte ab. „Nein, nein, das war ganz allein dein Werk. Ich habe dir höchstens ein bisschen psychologischen Beistand geleistet.“ Er zwinkerte ihr zu, und ihr wurde ganz heiß.

„Na, auf jeden Fall vielen Dank.“ Sie lächelte. „Ich weiß deine Hilfe wirklich zu schätzen.“

„Wofür hat man schließlich beste Freunde?“, fragte er schmunzelnd, griff nach seiner Bierflasche und nahm einen Schluck.

„Ich dachte, ich spiele gegen Tessa“, grummelte Roy Jensen. „Keiner hat mir gesagt, dass ihr euch allesamt gegen mich verschworen habt.“

„Jetzt stell dich mal nicht so an“, maßregelte Tessa ihren Billardgegner. „Ich höre ja auch regelmäßig weg, wenn wir Scrabble spielen und du die anderen um Buchstabierhilfe bittest.“

Roy murmelte etwas Unverständliches vor sich hin, während Tessa um den Tisch herumging und überlegte, wie sie weiter vorgehen sollte. Sie nahm die Zweier-Kugel ins Visier.

„Hey, Ryan.“ Lana, die Kellnerin, kam näher und strahlte ihn verführerisch an. „Ich schätze, du könntest noch ein Bier vertragen, stimmt’s?“

Diese Lana! Für Tessas Geschmack scharwenzelte sie viel zu oft um Ryan herum.

„Da sage ich nicht Nein.“ Ryan erwiderte Lanas Lächeln und nahm ihr die Flasche ab.

Tessa biss die Zähne zusammen. Das gefiel ihr nicht, das gefiel ihr ganz und gar nicht. Sie wandte sich ihrer Freundin zu und flüsterte so leise, dass weder Lana noch Ryan sie hören konnten: „Warum nimmt sie nicht einfach seinen Kopf und reibt ihn an ihren Silikonbrüsten, die sie sich von ihrem Exfreund hat spendieren lassen? So hätten sie es beide viel leichter.“

„Was sind denn das für Töne?“, fragte Gail grinsend. „Das hört sich ja so an, als wärst du eifersüchtig.“

„Eifersüchtig, pah!“, sagte Tessa empört. „Ryan und ich sind nur gute Freunde, das weißt du doch.“

„Ja, weiß ich“, erwiderte Gail. „Sehr, sehr gute Freunde. Aber jetzt mal ehrlich. Ihr seid beide ungeheuer attraktiv. Ist es denn wirklich keinem von euch bisher in den Sinn gekommen, dass ihr ein wunderbares Paar abgeben würdet?“

„Mir jedenfalls nicht. Und ihm auch nicht, soviel ich weiß.“ Tessa hielt den Queue fest und wagte ihren nächsten Stoß, lag aber erbärmlich weit daneben. Dieser Schuss war wesentlich weniger schwierig als der vorherige und hätte eigentlich klappen müssen, auch ohne Ryans Hilfe. Aber sie war einfach zu abgelenkt gewesen, weil sie Ryans Unterhaltung mit Lana mithören wollte.

„Na, für jemanden, der mit einem Mann nur gut befreundet ist, zeigst du aber auffällig viel Interesse an seinem Umgang. Vor allem, wenn er aus vollbusigen Serviererinnen besteht.“

Tessa warf ihrer Freundin einen bösen Blick zu.

Gail zuckte nur mit den Schultern. „Was ist denn? Du weißt doch, dass ich recht habe.“

Tessa ärgerte sich über Gails Worte – und auch darüber, dass ihr Billardgegner Roy ihre Ablenkung geschickt zu nutzen wusste. Mühelos versenkte er eine Kugel – und dann noch eine. Jetzt hatte er freie Sicht auf die schwarze Acht. Es würde ein Kinderspiel für ihn sein.

„Also gibst du es zu, oder was?“, bohrte Gail nach.

„Nein, ich bin nicht eifersüchtig auf Lana. Ich finde nur, er hätte was Besseres verdient. Er sollte nicht auf eine Sirene mit Dollarzeichen in den Augen hereinfallen. Die spekuliert doch hundertprozentig darauf, dass er ihr ihre nächsten Implantate finanziert – womöglich im Hintern.“

Gail lachte. „Aber warum sollte er jemandem einen falschen dicken Hintern finanzieren, wenn er doch ganz nah an einem echten dran ist?“ Sie musterte lächelnd Tessas ausgeprägte weibliche Rundungen.

Tessa wusste, dass sie recht kurvenreich war. Das hatte sie von ihrer Mutter geerbt. Aber sie wusste ebenfalls, das Ryan Bateman diese Rundungen kein bisschen beachtete. Denn für ihn war sie einfach jemand aus seiner Clique, quasi geschlechtslos, einer von den Jungs gewissermaßen. Ein bisschen mochte das allerdings auch Tessas Schuld sein, denn sie kleidete sich eher burschikos mit Jeans und karierten Hemden. Ihre weiblichen Reize herauszustellen war nicht ihre Sache.

Irgendwie wollte sie es so. Schlichte, praktische Kleidung passte einfach besser zu ihr.

„Verdammt!“ Wutentbrannt warf Roy seinen Queue zu Boden. Er hatte die schwarze Acht berührt.

Tessa lächelte triumphierend. „Das heißt, ich habe gewonnen!“

„Ja, aber nur, weil ich gepatzt habe“, stieß Roy zwischen zusammengebissenen Zähnen hervor. „Das ist kein Sieg, auf den du stolz sein solltest.“

„Gewonnen ist gewonnen, Roy.“ Tessa hielt ihm die flache Hand hin. „Und du weißt, wir haben um Geld gespielt. Wenn ich also um die Scheinchen bitten dürfte.“

Plötzlich tauchte Ryan neben ihr auf und legte ihr einen Arm um die Schultern. „Was, du hast gewonnen? Na, super, Tessa! Ich habe dir doch gleich gesagt, du schaffst es.“

„Wenigstens hat einer von uns beiden an meine Fähigkeiten geglaubt“, murmelte Tessa, während sie von Roy vier zerknitterte Fünf-Dollar-Scheine einkassierte.

„Ich habe immer an dich geglaubt und werde es immer tun“, versicherte er ihr strahlend und nahm einen Schluck Bier. Das ging ihr runter wie Öl und verursachte ein warmes Gefühl in ihrem Inneren.

Sie versuchte, diese Gefühle zu ignorieren. Seine Worte sollten sie nicht dermaßen erregen. Schließlich waren Ryan und sie nur gute Freunde, mehr nicht. Da waren sexuelle Empfindungen völlig fehl am Platz. Mochte Ryan auch noch so sexy und verführerisch sein …

Ryan hatte immer noch seinen Arm um Tessas Schultern gelegt. Eigentlich hätte er schon längst wieder loslassen sollen, aber merkwürdigerweise gefiel es ihm so. Sehr sogar.

„Lass gefälligst deine Hände von meiner Schwester.“ Tessas Bruder Tripp hatte die Bar betreten und funkelte Ryan zornig an.

„Tessa hat gerade deinen Angestellten Roy im Billard geschlagen.“ Ryan blieb, wo er war, und reagierte mit keinem Wort auf Tripps Drohung.

Eigentlich waren die drei seit Ewigkeiten gute Freunde, wobei Ryan Tessa näher stand als deren Bruder. Über die Jahre hatte ihre Freundschaft sich verfestigt. Dennoch, gelegentlich musste Ryan Tripp versichern, dass seine Beziehung zu Tessa wirklich nur platonisch war.

Was Beziehungen zum anderen Geschlecht anging, hatte Ryan nicht das glücklichste Händchen, das musste er zugeben. Doch er hatte sich damit abgefunden, vor allem seit vor über einem Jahr seine Verlobung mit Sabrina Calhoun geplatzt war. Ja, und was Tessa anging? Tripp hatte ihm deutlich gemacht – scherzhaft, aber im Kern doch ernst –, dass er Ryan ordentlich vermöbeln würde, falls er seiner Schwester je wehtäte.

Irgendwie hatte Ryan sogar Verständnis für Tripps Verhalten. Tessa hatte wirklich nur das Allerbeste verdient.

„Mein Schwesterchen hat gewonnen?“, fragte Tripp grinsend. „Gut gemacht, meine Kleine.“

„Danke, Tripp.“ Tessa entfernte sich sicherheitshalber einen Schritt von Ryan, und er ließ sie los.

Ryan trank sein Bier. Noch immer hatte er Tessas verführerischen Duft in der Nase.

„Du wirkst heute so zufrieden mit dir, großer Bruder“, sagte Tessa. „Ist irgendwas Besonderes passiert?“ Sie verschränkte die Arme vor der Brust, was ihre Brüste besonders gut zur Geltung brachte. Ryan versuchte nicht hinzuschauen, zumindest nicht zu auffällig. Teufel, sie war wirklich gut gebaut! Eigentlich hätte ihn das nicht kümmern sollen – schließlich waren sie nur beste Freunde –, aber verdammt, er war auch nur ein Mann!

Schnell wandte Ryan sich zu Tripp. „Fühlst du dich immer noch geschmeichelt, weil der Texas Cattleman’s Club dich eingeladen hat, bei der Wohltätigkeits-Junggesellenauktion mitzumachen?“

Tripp grinste zufrieden wie das Siegerferkel auf der jährlichen Landwirtschaftsausstellung. „Alexis Slade sagt, ich werde bestimmt einen großen Betrag einbringen.“

Ryan lächelte süffisant. „Gib du mal dein Urteil ab, Tessa. Was meinst du, was wird dein Brüderchen einbringen?“

„Oh, der ist bestimmt für vier oder fünf – wenn nicht sogar für sechs Dollar gut.“ Tessa, Ryan, Gail und Roy konnten sich vor Lachen kaum halten, was Tripp mächtig ärgerte.

Er verschränkte die Arme vor der Brust. „Ihr habt wohl heute Morgen alle einen Clown gefrühstückt, was? Sehr lustig, wirklich.“

„Ach, Mann, wir machen nur Spaß, das weißt du doch“, besänftigte Ryan ihn. Er schnappte sich einen Queue, denn er war am Billardtisch als Nächster an der Reihe. „Schließlich bin ich derjenige, der dich Alexis vorgeschlagen hat.“

„Du bist also schuld, dass sein Selbstbewusstsein jetzt bis zur Unerträglichkeit aufgeblasen ist?“, schalt Tessa Ryan scherzhaft.

„Ja, tut mir leid, diese Komplikation hatte ich nicht bedacht.“ Er lachte.

„Aber jetzt verrate mir mal, warum du dich nicht selbst zur Verfügung gestellt hast“, warf Gail ein. „So übel siehst du doch gar nicht aus.“ Sie konnte sich ein Grinsen nicht verkneifen.

Sie wollte ihn nur ein wenig auf die Schippe nehmen, es war kein ernsthafter Flirt. Obwohl man das bei Gail nie so hundertprozentig wusste.

Ryan zuckte mit den Schultern. „Sich auf einer Bühne zu präsentieren, damit ein paar verzweifelte Frauen auf einen bieten, das ist nicht so meins“, erklärte er. „Das hat für mich so was von einer Viehauktion.“ Entschuldigend blickte er Tripp an. „Ist nicht persönlich gemeint, Mann.“

„Ich nehme es auch nicht persönlich.“ Tripp grinste voller Selbstbewusstsein. „Ist ja nur deine unmaßgebliche Meinung. Ich werde es auf jeden Fall genießen, wenn attraktive Ladies sich um mich reißen.“

Tessa versetzte Ryan mit dem Ellenbogen einen spielerischen Stoß in die Rippen. „Verzweifelte Frauen? Pass gefälligst auf, was du sagst, Bateman. Wir sind alles andere als verzweifelt. Wir sind sozial engagierte Frauen, die nichts anderes als die Verbesserung unseres Gemeinwesens im Sinn haben.“

Einen Augenblick herrschte Stille, bis Tessa und Gail in schallendes Gelächter ausbrachen. Verträumt musterte Ryan sie. Er mochte ihr Lachen, er mochte eigentlich alles an ihr. Ihr lockiges dunkelbraunes Haar, ihre ebenmäßigen Gesichtszüge. Ihre Kurven, auch wenn sie sie meist unter weiter Kleidung versteckte.

„Ich muss deinen Mut bewundern.“ Ryan widmete seine Aufmerksamkeit nun Tripp, während er sich gleichzeitig fürs Billardspiel bereit machte. „Wenn diese beiden ein Indiz sind“ – mit einem Kopfnicken wies er auf Tessa und Gail – „werden die Frauen auf der Junggesellenauktion dich bei lebendigem Leibe verspeisen.“

„Darauf hoffe ich ja“, erwiderte Tripp lächelnd.

Ryan schüttelte den Kopf und traf dann mit dem Queue die weiße Kugel. Klackend stoben die anderen Kugeln auseinander, und eine niedrige und eine hohe verschwanden in den Taschen.

„Deine Wahl.“ Ryan nickte Tessa zu.

„Niedrig.“ Das kam nicht überraschend. Tessa nahm immer niedrige Kugeln, wenn sie die Wahl hatte. Sie wanderte um den Tisch herum, während sie überlegte, von wo aus sie am besten zielen konnte.

„Du weißt ja, dass ich dich nur ein bisschen hochnehmen wollte, Tripp“, sagte sie zu ihrem Bruder. „In Wirklichkeit finde ich es nämlich ganz schön mutig von dir, dich für die Auktion zur Verfügung zu stellen. Also ehrlich gesagt, mir wäre nicht wohl dabei, wenn ich wüsste, dass die Leute auf mich bieten können.“ Sie beugte sich über den Tisch und nahm die Zweier-Kugel ins Visier, bevor sie kurz zu ihrem Bruder hochblickte. „Nein, ehrlich, ich bin stolz auf dich. Denn das Geld, das du einbringen wirst, kommt ja zusammen mit den übrigen Einnahmen der Forschung gegen Bauchspeicheldrüsenkrebs zugute. Das ist wirklich eine gute Sache.“

Sie machte ihren ersten Stoß und versenkte die Kugel. Zufrieden lächelnd positionierte sie sich für den zweiten Stoß.

„Würdest du denn auf einen Junggesellen bieten?“, fragte Ryan, der wartete, bis er an der Reihe war.

Ihm war schon bewusst, dass Tessa bei der Junggesellenauktion anwesend sein würde, aber erst jetzt war ihm der Gedanke gekommen, dass ja auch sie möglicherweise mitbieten könnte.

Und der Gedanke, dass seine beste Freundin auf ein Date mit irgendeinem Typen gehen würde, für dessen Gesellschaft sie bezahlt hatte, gefiel ihm überhaupt nicht! Ja, er empfand so eine Art Beschützerinstinkt für sie. Und das war ja auch ganz natürlich. Er, Tripp und Tessa waren schon seit Kinderzeiten ständig zusammen. Sie waren wie eine Familie. Obwohl Tessa weniger wie eine kleine Schwester für ihn war – eher wie eine ganz schön scharfe Cousine, aber natürlich eine entfernte Cousine dritten oder vierten Grades vielleicht.

„Natürlich werde ich auf einen Junggesellen bieten.“ Sie versenkte eine weitere Billardkugel, ging um den Tisch herum und zuckte mit den Schultern. „Das ist doch schließlich der Sinn der Veranstaltung, oder?“

„Aber das verpflichtet dich persönlich zu nichts. Nicht jede Frau, die im Publikum sitzt, wird auch ein Gebot abgeben.“

„Ich schätze, von denen, die nicht verheiratet oder verlobt sind, bieten fast alle mit“, warf Gail ein. „Ryan Bateman, das hört sich ja fast so an, als ob du eifersüchtig wärst.“

„Mach dich doch nicht lächerlich.“ Er errötete. „Ich sorge mich nur um meine beste Freundin, wie es ein guter Freund tut. Tessa sollte sich nicht gezwungen fühlen, bei etwas mitzumachen, wobei sie sich möglicherweise unwohl fühlt.“

Tessa war lustig, schlau, und es machte eine Menge Spaß, mit ihr herumzuhängen. Aber er konnte sie sich schlecht bei einer Auktion vorstellen, wie sie Gebote auf Männer abgab, als wären sie Zuchtbullen bei einer Viehauktion.

„Es scheint mir einfach nicht typisch Tessa zu sein. Mehr wollte ich ja gar nicht sagen.“ Ihm war nicht wohl dabei, sich so verteidigen zu müssen.

„Sehr gut“, sagte Tessa. „Ich habe nämlich schon lange das Gefühl, ich sollte mal was anderes tun, was Unerwartetes. Irgendwie bin ich zu vorhersehbar geworden, zu langweilig.“

„Das nennt man auch verlässlich, und das würde ich zu den guten Eigenschaften zählen“, warf Ryan ein.

Es war doch alles gut so, wie es war. Er fand es gut, dass Tessa so zuverlässig war, dass sie sich in festen Bahnen bewegte, meistens jedenfalls. Das war ein guter Kontrapunkt zu seiner eigenen Spontaneität.

„Ich weiß, das sind keine schlechten Eigenschaften, aber in letzter Zeit fühle ich mich so, wie soll ich sagen, festgefahren. So als ob ich mal fünf gerade sein lassen sollte, als ob ich mal ein Risiko eingehen sollte. Nicht immer auf Nummer sicher gehen.“

Als sie seinen entsetzten Gesichtsausdruck sah, seufzte sie. „Keine Bange, Ryan. Es ist ja nicht so, als ob ich mir einen Toyboy kaufen würde.“

„Ich glaube, die Herren bevorzugen die Bezeichnung Escort-Mann“, warf Gail ein.

Ryan blickte Gail entsetzt an, woraufhin diese laut zu lachen begann. Er wandte sich lieber wieder Tessa zu, die gerade einen Billardstoß verrissen hatte.

„Weißt du schon, auf wen du bieten wirst?“

Tessa zuckte mit den Schultern. „Nein, keine Ahnung. Ich habe mir noch keinen Typen ausgesucht. Demnächst kommt das Programmheft raus, vielleicht treffe ich dann meine Wahl. Oder, wer weiß, vielleicht warte ich auch einfach bis zur Veranstaltung und schaue dann spontan, wer mir am besten gefällt.“

„Wer dir am besten gefällt oder wer dich am meisten anmacht?“, fragte Ryan. Mit den Händen umklammerte er seinen Billardstock.

Das gefiel ihm nicht. Das gefiel ihm überhaupt nicht!

2. KAPITEL

Tessa folgte dem Geräusch des mitleiderregenden Stöhnens, bis sie im Zimmer ihres Bruders landete.

„Tripp? Ist alles in Ordnung mit dir?“ Sie klopfte leicht an die halb geöffnete Schlafzimmertür.

„Nein!“ Wieder begann er zu stöhnen. „Ich fühle mich, als ob ich gleich den Löffel abgebe.“

Tessa betrat eilig sein Zimmer und bemerkte, dass er sich im angrenzenden Bad befand. Er umarmte die Toilette und war ganz grün im Gesicht.

„Hast du gestern zu viel getrunken?“

„Nein. Ich glaube, es liegt am Thunfischsandwich, das ich mir gestern auf dem Rückweg von Dallas an der Tanke gekauft habe.“

„Oh, Mann, Tripp. Wie oft habe ich dir das schon gesagt: Kein Tankstellenfraß mehr nach Mitternacht. Der ist dann nicht mehr frisch.“ Sie stemmte die Hände in die Hüften und blickte ihren Bruder vorwurfsvoll an, der aussah, als ob er sich jeden Moment erneut übergeben müsste.

Austin Charles Noble III. liebte Essen jeglicher Art fast so sehr, wie er seine Familie liebte. Und normalerweise hatte er einen robusten Magen, der so gut wie alles vertragen konnte. Diesmal musste er also etwas richtig Verdorbenes erwischt haben.

„Ich glaube, ich fahre dich lieber in die Notaufnahme.“

„Nein, nicht nötig, ich will nur ins Bett. Ein paar Stunden Schlaf, und ich bin wieder wie neu.“ Er zwang sich zu einem Lächeln, doch gleich darauf presste er sich wieder mit schmerzerfülltem Gesichtsausdruck die Hand auf den Magen und stöhnte. „Bis zur Junggesellenauktion geht’s mir garantiert wieder gut.“

„Ach, Mist, die Junggesellenauktion.“ Die war ja schon morgen Abend. Und so elend, wie Tripp heute aussah, war er bis dahin bestimmt noch nicht wieder fit. Er würde auf der Bühne wie ein Häuflein Elend aussehen, wenn er es überhaupt bis dorthin schaffte. Und die Mitleidsgebote würden sich wahrscheinlich maximal auf fünf Dollar belaufen.

„Komm, ich helfe dir zurück ins Bett.“ Tessa bückte sich, sodass ihr kraftloser Bruder einen Arm um sie legen konnte, und zog ihn hoch. Er war wackelig auf den Beinen, aber so schafften sie es zurück zum Bett. Als er darin lag, sammelte sie die Reste des Thunfischsandwiches, eine leere Bierflasche und ein paar andere Dinge zusammen.

„Ich brüh dir gleich einen Magentee auf“, sagte sie. „Aber falls es noch schlimmer wird, schleppe ich dich zum Arzt. Mom und Dad würden es mir nie verzeihen, wenn ich ihr Söhnchen an einer Lebensmittelvergiftung eingehen lasse, während sie im Urlaub sind.“

„Zumal ich Moms Liebling bin“, neckte Tripp sie mit schwacher Stimme. „Und mach dir wegen der Junggesellenauktion keine Sorgen, bis dahin bin ich wieder auf dem Damm. Ich bin ein Kämpfer, Schwesterchen. Nur wegen einer kleinen Magenverstimmung werde ich mir meinen großen Auftritt doch nicht entgehen lassen …“ Plötzlich hielt er sich die Hand vor den Mund, stürmte zurück ins Bad und knallte die Tür hinter sich zu.

Tessa schüttelte den Kopf. „Du bleibst heute und morgen schön im Bett, mein tapferer Kämpfer. Ich werde Roy anrufen; er und die anderen sollen deine Termine auf der Arbeit übernehmen. Und einen Ersatzmann für dich auf der Junggesellenauktion werde ich auch schon finden. Alexis wird Verständnis haben.“

„Du bist ein Schatz“, rief Tripp mit schwacher Stimme durch die Badezimmertür. Tessa verließ sein Zimmer, um sich um alles zu kümmern.

Tessa hatte sich um ihren kranken Bruder gekümmert, ihre Pflichten auf der Ranch erledigt und einen Teil von seinen dazu. Außerdem hatte sie den ganzen Tag über versucht, Ryan zu erreichen.

Zwar hatte er klar zu verstehen gegeben, dass er nichts davon hielt, sich auf der Junggesellenauktion zur Schau zu stellen. Dennoch fand sie, er wäre ideal als Ersatzmann für Tripp. Und weil es ja für einen guten Zweck war, hoffte sie, ihn noch überreden zu können. Vielleicht musste sie dafür nur ein wenig sein Ego streicheln. Wenn sie ihm versicherte, dass ein heißer Typ wie er bestimmt ein wahres Bietergefecht auslösen würde …

Natürlich würde sie es halb im Scherz sagen, aber sie fürchtete, dass dennoch viel Wahres daran war. Es gab in der Stadt genug Frauen, die gern mit Ryan flirteten. Der Gedanke gefiel ihr überhaupt nicht, dass diese Frauen – und womöglich auch noch die furchtbare Lana! – auf Ryan boten, als wäre er ein Zuchtbulle auf einer Viehauktion.

Vielleicht war es doch kein so schlauer Gedanke, Ryan als Ersatzmann für Tripp in Erwägung zu ziehen. Unruhig ging sie im Wohnzimmer auf und ab und überlegte, wer sonst noch infrage kommen könnte.

Das war schwierig, denn wer geeignet war, hatte sich entweder schon für die Auktion zur Verfügung gestellt oder Alexis und Rachel eine klare Absage erteilt.

Plötzlich blieb sie abrupt stehen. Ihr war eine Idee gekommen, die sie einerseits in freudige Erwartung versetzte, sie andererseits jedoch geradezu zum Zittern brachte.

Autor

Reese Ryan

Reese Ryan schreibt Liebesgeschichten, die nicht nur sexy und gefühlvoll sind, sondern in denen sie auch von kleineren Familiendramen erzählt. Reese ist im Mittleren Westen der Vereinigten Staaten geboren und aufgewachsen, ihre Familie hat aber auch Wurzeln in Tennessee.

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