Vielleicht im nächsten Jahr

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Als Millie den griechischen Multi-Millionär Leandro kennenlernt, folgt sie ihm auf seine Trauminsel im Mittelmeer - und in den siebten Himmel der Liebe. An Leandros Seite ist sie glücklich, doch dann wird ihre Schwester schwanger - und behauptet, dass das Baby von Leandro ist!


  • Erscheinungstag 07.05.2018
  • ISBN / Artikelnummer 9783733736057
  • Seitenanzahl 144
  • E-Book Format ePub
  • E-Book sofort lieferbar

Leseprobe

PROLOG

Silvester – Las Vegas, Nevada

Man hatte James gewarnt. Ryan Kilpatrick, langjähriger Freund und Anwaltskollege, hatte ihm geraten, an diesem Abend die Innenstadt zu meiden. An die zwanzigtausend Menschen hatten sich zwischen der Fremont Street und dem Las Vegas Boulevard versammelt.

Aber James hatte nicht widerstehen können. Obgleich er vom Hotelfenster aus einen guten Blick auf die Festivitäten hatte, reizte es ihn plötzlich, sich ins Getümmel zu stürzen.

Der Lärmpegel auf der Straße war ohrenbetäubend. Alle schienen gleichzeitig zu rufen. Das Feuerwerk sollte erst in einer halben Stunde beginnen, aber James konnte sich nicht vorstellen, wo hier noch Platz für eine einzige weitere Person sein sollte.

Polizisten durchstreiften das Gebiet. Viele Zuschauer trugen fantasievolle Kopfbedeckungen und bliesen auf Papiertröten, die sich bei jedem Pfiff ausrollten.

James blieb am Rand der Menge, aber er genoss das Ganze irgendwie, trotz des Krachs und des Durcheinanders. Wäre er jünger gewesen, hätte er vielleicht aktiv mitgemacht.

Mit achtunddreißig war er noch nicht alt, aber wenn man zu einer angesehenen Anwaltskanzlei gehörte, trug man keine Narrenkappen und blies auf Tröten. Für so einen Unsinn war James zu seriös. Aber Silvester im Hotelzimmer zu verbringen war nicht gerade reizvoll.

In ungeduldiger Erwartung des Feuerwerks begannen die Zuschauer zu singen. Und schon schoss eine Leuchtrakete vom Dach des Plaza Hotels in die Luft, und der nächtliche Himmel wurde von einem explodierenden Sternenregen erleuchtet. Die Menge johlte begeistert.

Trotz seines Bemühens, am Rande zu bleiben, wurde James immer mehr in die Mitte gedrängt. Zum Glück war er nicht klaustrophobisch veranlagt, denn die Menge drückte von allen Seiten. Woanders hätte er sich gewehrt, hier aber erstickte die Festfreude jeden Unmut.

In dem Moment sah er sie.

Sie versuchte vergeblich, aus der Menge hinauszukommen. James wusste nicht, was an ihr seine Aufmerksamkeit weckte, jedenfalls blieb sein Blick an ihr haften. Überall waren fröhliche Rufe und Gelächter zu hören. Aber die junge Frau teilte die Stimmung nicht. Sie schien überall sonst sein zu wollen als ausgerechnet hier.

Sie war zierlich und kämpfte vergeblich gegen den Strom an. Wie ein Lachs, der versucht, flussaufwärts zu schwimmen. Aber alle Anstrengung schien vergeblich.

Ohne es zu wollen, wurde James in ihre Richtung geschoben, und wenig später wurde sie gegen ihn gedrängt.

„Entschuldigen Sie bitte“, sagte er höflich.

Sie lächelte zaghaft. „Das war wohl eher meine Schuld.“

Ihre Schönheit fesselte ihn. Ihr leicht gewelltes, weiches braunes Haar reichte bis zu den Schultern, und nie hatte er dunklere, seelenvollere Augen gesehen. Allerdings schien darin ein Hauch von Schmerz zu liegen.

„Alles in Ordnung?“, fragte er höflich.

Sie nickte, sah aber so blass aus, dass er dachte, sie würde gleich in Ohnmacht fallen.

„Lassen Sie mich Ihnen helfen.“ Er spielte sonst eigentlich nicht den Ritter in schimmernder Rüstung, der junge Damen aus der Not befreite. Aber diesmal konnte er nicht anders. Sie nickte nur kurz.

„Wir sollten versuchen, hier herauszukommen.“

„Genau das versuche ich seit zwanzig Minuten“, sagte sie gequält.

James wusste nicht, ob er es besser könnte, aber er wollte es versuchen. Er nahm sie bei der Hand, umrundete ein sich leidenschaftlich küssendes Paar, zog sie an Teenagern mit quäkenden Tröten vorbei und stieß immer wieder gegen im Weg stehende Leute.

Vielleicht war es seine autoritäre Art, jedenfalls schaffte James es, aus der Menge herauszukommen. Sobald sie die Fremont Street hinter sich hatten, konnten sie wieder durchatmen.

James führte die junge Frau zu einem kleinen Park, wo sie zitternd auf eine Bank sank. Über ihnen sprühte das Feuerwerk.

„Ich danke Ihnen“, flüsterte sie.

„Möchten Sie darüber sprechen?“, fragte er.

„Nein, lieber nicht.“ Plötzlich brach sie in Tränen aus, bedeckte das Gesicht mit den Händen und bewegte sich schaukelnd vor und zurück.

James war zutiefst berührt und wusste nicht recht, was er tun sollte. So legte er nur den Arm um sie und drückte sie sanft an sich. Sie fühlte sich weich und warm an.

„Ich komme mir so albern vor“, brachte sie zwischen Schluchzern heraus. „Wie konnte ich nur so dumm sein?“

„Wir sind dem gegenüber, was wir nicht sehen wollen, oft blind“, sagte er mitfühlend.

„Ja … aber ich hätte es wissen müssen. Ich hätte ahnen müssen, dass da jemand anders war. Jetzt ergibt alles Sinn … Ich war so naiv.“

„So ist das manchmal“, murmelte er.

Sie richtete sich auf, und James reichte ihr ein Taschentuch, mit dem sie sich die Tränen abwischte.

„Tut mir leid“, flüsterte sie erstickt.

„Darüber zu sprechen hilft vielleicht.“

Sie zögerte kurz. „Ich habe ihn mit einer anderen Frau gesehen“, sagte sie gepresst. „Ich sollte mit ihm nach Weihnachten nach Las Vegas kommen, konnte aber keinen Urlaub bekommen. Also schlug ich ihm vor, allein zu fahren und sich zu amüsieren. Und dann … dann konnte ich doch schon heute Nachmittag weg und wollte ihn zu Silvester überraschen. So kam ich her. Und überraschte ihn tatsächlich.“

Und bekam den Schock ihres Lebens, dachte James.

„Ich habe sie im Bett überrascht.“ Ihre Worte waren kaum hörbar. „Ich rannte davon, er lief mir nach und versuchte zu erklären. Er trifft sich mit ihr seit einiger Zeit … und hatte nicht vor, sich in sie zu verlieben. Jedenfalls behauptet er das.“ Sie lachte bitter auf und hatte gleichzeitig Schluckauf.

„Waren Sie mit ihm verlobt?“ Er hatte den Diamantring an ihrer Linken entdeckt.

Sie nickte und folgte seinem Blick. Als sähe sie den Ring zum ersten Mal, riss sie ihn vom Finger und stopfte ihn in die Handtasche. „Jason wirkte in den letzten Monaten distanzierter, aber wir waren beide sehr beschäftigt. Ich hatte den Eindruck, als wäre er nicht gerade böse, dass ich keinen Urlaub bekam. Nun weiß ich, warum.“

Vermutlich war es besser, vor der Ehe festzustellen, dass dieser Jason gern die Blicke schweifen ließ, aber James wollte keine Plattheit von sich geben.

„Es ist nur so … ich liebe ihn.“ Sie zitterte unkontrolliert. „Ich möchte ihm die Augen auskratzen, weiß aber, dass ich ihn immer lieben werde.“

„Hoffen Sie darauf, die Sache wieder ins Lot zu bringen?“

Sie fuhr hoch. „Oh, nein! Es ist vorbei. Das habe ich ihm gesagt und meine es auch. Ich könnte ihm nie wieder vertrauen. Und wissen Sie was? Ich glaube, er war froh, als ich die Verlobung löste. Er will mich gar nicht mehr, er will sie!“ Sie zog die Schultern zusammen.

„Jetzt tut es sehr weh, aber mit der Zeit wird es besser werden.“ James drückte ihre Hand.

„Nein, das wird es nicht“, flüsterte sie. „Niemals.“

Einerseits gab James ihr Recht. Ein Teil seines Herzens würde immer Christy Manning gehören. Christy Franklin, wie sie jetzt hieß.

„Es wird etwa ein Jahr dauern“, sagte James, um sie zu trösten.

„Ich werde niemals über Jason hinwegkommen.“

„Das denken Sie jetzt, weil der Schmerz so heftig ist, aber er wird vergehen. Glauben Sie mir.“

Sie sah ihn an. „Sie haben damit Erfahrung?“

Er nickte. „Vor fünf Jahren brach die Frau, die ich liebte, unsere Verlobung.“ Er lachte gequält. „Da war dieses kleine Problem … Sie verliebte sich in einen anderen und heiratete den.“

„Das ist ja schrecklich“, sagte sie empört.

„Es ist nicht so schlimm, wie es sich anhört. Ihre Eltern waren gute Freunde von meinen, und mir ist jetzt klar, dass sie Christy zu einer Verlobung mit mir gedrängt hatten. Christy mochte mich und stimmte ihren Eltern zuliebe zu. Offenbar ahnte sie nicht, wie sehr ich sie liebte.“

„Lieben Sie sie noch immer?“

James mochte nicht lügen. „Ja, aber auf eine andere Weise.“

„Ich kann mir nicht vorstellen, Jason nicht mehr zu lieben.“ Sie wischte sich die Tränen von den Wangen, die im Mondlicht leicht glitzerten. „Übrigens sollte ich mich wohl vorstellen, nachdem ich an Ihrer Schulter geweint habe. Ich heiße Summer Lawton.“

„Mein Name ist James Wilkens.“

Summer senkte den Blick. „Ich wollte, ich könnte Ihnen glauben, dass ich in einem Jahr über Jason hinweg sein werde. Wissen Sie, wir sind seit fünf Jahren zusammen und waren die letzten sechs Monate verlobt. Mein ganzes Leben ist um ihn herum aufgebaut.“

Genauso war es James mit Christy gegangen.

„Wir waren kaum eine Woche getrennt“, fuhr Summer fort, „und ich fühlte mich schon so einsam, dass ich alle Anstrengungen unternahm, um nach Las Vegas zu kommen, damit wir heute Abend zusammen sein könnten.“

„Die ersten drei Monate sind die schlimmsten“, erklärte er und dachte an die Wochen nach seiner Trennung von Christy. „Beschäftigen Sie sich. Das Schlimmste ist, zu Hause zu bleiben und Trübsinn zu blasen, obgleich das genau das ist, was Sie am liebsten täten.“

„Sie verstehen mich nicht, ich liebe Jason wirklich.“

„Ich liebte Christy ebenfalls.“

„Für einen Mann ist das anders.“

„Tatsächlich? Ein Jahr“, wiederholte er. „Es wird ein Jahr dauern, dann haben Sie den Schmerz verarbeitet.“

Sie sah ihn zweifelnd an.

„Sie glauben mir nicht?“

„Nein, bei mir ist das anders. Sehen Sie, ich bin nicht der Typ, der sich leicht verliebt. Ich gab Jason alles, was ich zu geben habe. Und nun ist nichts mehr übrig, wofür es sich zu leben lohnt.“

„Wollen wir meine These überprüfen?“

„Und wie?“

„Wir treffen uns hier nächstes Jahr wieder, genau zu Silvester.“

„Hier? In diesem Park?“

„Richtig. Genau hier.“

„Zur selben Zeit, am selben Ort, im nächsten Jahr?“

„Zur selben Zeit, am selben Ort, im nächsten Jahr“, wiederholte er.

1. KAPITEL

Auf dem Weg zu ihrer Wohnung blätterte Summer eilig die Post durch. Der Brief von James war da, so wie er seit elf Monaten immer um den Ersten herum kam.

Er hatte keine Ahnung, wie sehr sie sich immer schon darauf freute. Der erste Brief kam kurz nachdem sie sich an diesem fatalen Silvesterabend kennen gelernt hatten und enthielt eigentlich nur eine höfliche Frage nach ihrem Befinden. Summer hatte nicht geantwortet, weil es ihr peinlich war, wie sie ihr Herz vor diesem Fremden geöffnet hatte.

Der zweite Brief war Anfang Februar gekommen. James hatte beschrieben, wie der erste Monat nach seiner Trennung von Christy gewesen war, wie der Schmerz sich noch verstärkt hatte, als er bereits dachte, er lasse nach. Seine Ehrlichkeit hatte Summer sehr berührt. Und wie sehr seine eigenen Ängste ihre widerspiegelten, war ihr fast unheimlich. Danach schrieb sie kurz zurück.

So hatte alles angefangen. James schrieb Anfang jeden Monats, und sie antwortete. Allmählich wurden die Briefe ausführlicher.

Seit sie James kennen gelernt hatte, war das Bedürfnis, ihn anzurufen, nur einmal aufgetaucht … am Tag, als Jason heiratete. Nicht die Frau, mit er damals in Las Vegas gewesen war, sondern eine, die er erst vor Kurzem getroffen hatte. Summer hatte sich schrecklich gefühlt und sich mit Videofilmen und einer Riesenportion Eiscreme in ihrer Wohnung verkrochen.

Sie riss James’ Brief auf und begann noch auf der Treppe zu lesen.

„Der Brief ist von deinem Juristenfreund, nicht?“, fragte Julie, ihre Mitbewohnerin, die in Shorts und Trägertop, barfuß und an einer Karotte kauend durch die Wohnung schlenderte.

Summer nickte und setzte sich in den Schaukelstuhl. „Er erinnert mich an unsere Abmachung“, erklärte sie und freute sich, dass er das nicht vergessen hatte.

„Eure Abmachung?“

„Ja … ihn zu Silvester in Las Vegas zu treffen.“

„Fliegst du hin?“

Das hatte Summer bislang nie in Frage gestellt. Vielleicht hätte sie das tun sollen? Schließlich war James eigentlich ein Fremder. Aber sie mochte ihn und fand ihn so sympathisch wie einen Lieblingsonkel.

„Wie ist er denn so?“, fragte Julie, die sich ihr gegenüber setzte. Die beiden kannten sich bereits von der Highschool, und Summer war für die unerschütterliche Freundschaft im vergangenen Jahr besonders dankbar gewesen.

„Er ist schon älter“, sagte Summer, „mindestens vierzig. Und ziemlich konservativ. Recht groß und durchtrainiert.“

„Sieht er gut aus?“

„Ehrlich gesagt, ich erinnere mich nicht.“

„Was?“, staunte Julie. „Ich weiß, dass du aufgeregt und all das warst, aber so etwas bemerkt man doch.“

„Er hat braune Haare – an den Schläfen leicht grau – und braune Augen. Ich glaube, er sieht eher vornehm als gut aus.“

„So wie du seine Briefe verschlingst, muss da doch etwas Romantisches laufen.“

Summer mochte James, aber nicht im romantischen Sinn. Er hatte ihr geholfen, die schlimmste Nacht ihres Lebens zu überstehen, und sie getröstet. „Wir haben eine Menge gemeinsam“, erklärte sie.

„Ich glaube, da ist mehr“, sagte Julie nachdenklich. „Du scheinst dich in ihn verliebt zu haben.“

Liebe? Nein, die hatte sie am letzten Silvester für alle Zeiten abgehakt. Vielleicht war es lächerlich, das zu glauben, aber ihre Gefühle hatten sich in den letzten Monaten nicht geändert.

James hatte es nie ausgesprochen, aber sie war sicher, dass es ihm nach Christy genauso ging. Bei ihm war es sechs Jahre her, und soweit Summer wusste, gab es seitdem niemand Bedeutenden in seinem Leben. Genauso wenig wie in ihrem.

Das hieß nicht, dass sie sich nie wieder mit einem Mann treffen wollte. Sie hatte sich sogar gleich danach wieder in die Szene gewagt – schon um James davon berichten zu können. Er hatte ihr Bemühen gelobt und von seinen eigenen Erfahrungen erzählt. Und das auf eine Art, die sie zum ersten Mal seit Monaten zum Lachen gebracht hatte.

„Wenn du James Silvester wieder triffst, wird sich alles ändern“, prophezeite Julie mit einem wissenden Lächeln.

„Wieso?“

„Du wirst ihn nicht mehr als den vornehmen älteren Mann mit dem warmen Herzen sehen“, antwortete Julie. „Vielleicht entdeckst du sogar, dass er weit mehr ist, als du erwartet hast.“

„Ich sagte dir doch, er muss an die Vierzig sein.“

„Na und?“

„Na ja … ich weiß nicht. Ich sehe ihn vor mir, wie er am Kaminfeuer sitzt, Pfeife raucht und sein treuer Hund ihm zu Füßen liegt.“

„Ein irischer Setter.“

„Bestimmt!“ Summer lachte. James war wunderbar, aber sie konnte sich nicht vorstellen, sich in ihn zu verlieben. Und als distinguierter Anwalt würde er nicht an einer Musical-Darstellerin interessiert sein. Im Showbusiness zu sein war nicht leicht, aber Summer liebte gerade die Anforderungen und das Aufregende daran.

„Vielleicht erlebst du ja eine Überraschung“, sagte Julie.

Summer musste zugeben, dass sie vor dem Treffen mit James nervös war. Sie erreichte den kleinen Park in Las Vegas eine Viertelstunde zu früh und wunderte sich, dass James bereits da war. Er saß auf derselben Bank, auf der sie vor einem Jahr gesessen hatten. Nun sah sie ihn mit neuen Augen.

Das Erste, was ihr auffiel, war, dass Julie recht hatte. Er war ganz anders, als sie ihn in Erinnerung hatte. Vornehm und gepflegt, das ja, aber gleichzeitig umwerfend gut aussehend. Nicht im herkömmlichen Sinn, sondern attraktiv auf eine Art, die Summer besonders ansprach.

Als er sie erblickte, erhob er sich. „Summer?“ Er schien ebenfalls überrascht zu sein.

„Hallo, James. Ich bin zu früh.“ Ihr war es peinlich, dass sie ihn so angestarrt hatte. „Ich bin immer zu früh. Ein Familienmerkmal.“

„Ich auch“, gestand er.

Summer hatte sich seit Wochen auf diesen Abend gefreut. Es gab so viel zu erzählen! Doch im Augenblick fiel ihr nichts Gescheites ein. „Auf den Straßen ist die Hölle los, und ich wollte nicht riskieren, zu spät zu kommen“, sagte sie, nur um irgendetwas zu sagen.

„Mir ging das genauso. Ich hoffe, es ist dir recht, dass ich einen Tisch in einem Restaurant reserviert habe.“ Sie hatten sich in ihren Briefen darauf geeinigt, sich zu duzen.

„Das ist mir recht.“ Sie setzte sich neben ihn.

„Nun …“ Auch er schien nicht recht zu wissen, wie er anfangen sollte. „Und wie geht es dir?“

Summer lachte. „Viel besser als im vergangenen Jahr um diese Zeit. Ich habe dir ja erzählt, dass Jason geheiratet hat, nicht wahr?“

„Ja, das hast du geschrieben.“

Summer war ein bisschen verlegen. Sie schuldete James mehr, als sie zurückgeben konnte. „Deine Briefe waren wie ein Geschenk vom Himmel“, sagte sie. „Besonders in den ersten Monaten. Ich weiß nicht, was ich ohne dich gemacht hätte.“

„Du hättest es genauso gut geschafft“, erwiderte er, als zweifelte er keinen Moment daran, dass sie sich von Jasons Verrat so oder so erholt hätte.

„Ich schulde dir so viel“, sagte sie. „An jedem Ersten des Monats bin ich zum Briefkasten gerast, weil ich wusste, dass dann Post von dir da war. Deine Briefe haben mir mehr geholfen, als du dir vielleicht vorstellen kannst.“

„Deine haben mir auch gefallen.“ Das beginnende Feuerwerk unterbrach ihr Gespräch für eine kurze Weile. „Möchtest du es dir nicht anschauen?“

Summer schüttelte den Kopf. „Liegt dir daran?“

Er lächelte. „Ehrlich gesagt, nein. Diese Menschenmassen im letzten Jahr waren ein bisschen viel.“

„Ich bin froh, dass du damals da warst. Du warst wie ein Schutzengel, den der Himmel mir zu Hilfe schickte.“

„Du hast mir auch geholfen.“

„Ich? Wieso?“

„Als ich deinen frischen Schmerz wahrnahm, wurde mir bewusst, wie weit ich Christys Verlust bereits überwunden hatte.“

„War es nicht schrecklich für dich zu erfahren, dass sie jemand anderen geheiratet hatte?“ Von der bevorstehenden Hochzeit von Jason zu hören war für sie am schlimmsten gewesen. Unter dem Vorwand, nett zu sein, hatten Menschen, die sie für ihre Freunde gehalten hatte, ihr mit Wonne alle Details der Hochzeit unterbreitet und alles, was sie über die Braut wussten. Und jede Kleinigkeit war wie ein Dolchstoß gewesen.

„Doch.“

James redet nicht um den Brei herum, dachte Summer. „Du warst sicher außer dir vor Zorn, nicht wahr?“ Wie jemand einen so netten Mann wie James derart behandeln konnte, war ihr unverständlich.

„Zuerst noch nicht, das kam erst später. Ich begann, Squash zu spielen, das half, die Aggressionen abzubauen. Aber für dich war es sicher auch schlimm, zu erfahren, dass Jason heiratete, nicht?“

Summer nickte. „Es kam mir so unfair vor, dass er glücklich war, während ich mich so verletzt fühlte. Wenn ich ihn hätte hassen können, wäre das der Moment gewesen.“

„Und jetzt?“

„Jetzt?“ Sie überlegte. „Ich hasse Jason nicht, aber ich liebe ihn auch nicht mehr so wie vor einem Jahr. Er war ein wichtiger Teil meines Lebens, und es kam mir leer vor ohne ihn.“

„Kommt es dir noch immer leer vor?“

„Kein bisschen! Ich bin zufrieden, James. Das hätte ich mir damals nicht vorstellen können.“

„Ich hatte also recht, es hat ein Jahr gedauert.“

Sie lachte. „Ja. Ich habe Jason überwunden und freue mich, dass wir heute Abend zusammen sind.“

„Für mich gibt es niemanden, mit dem ich Silvester lieber verbringen würde als mit dir.“ Er schaute auf die Uhr und stand auf. „Ich hoffe, du hast noch nichts gegessen.“

„Nein. Ich bin erst vor einer guten Stunde angekommen und sterbe vor Hunger.“ Sie war viel zu nervös gewesen, um Appetit zu haben.

James führte sie ins Four Queens Hotel und bahnte ihr einen Weg durch die Gäste, die um die Spieltische und die Slotmachines versammelt waren. Er hatte sie bei der Hand genommen, und Summer empfand die Berührung als sehr angenehm.

In Hugo’s Cellar, dem Restaurant im Kellergewölbe, wurden sie nach kurzem Warten an ihren Tisch geführt. Und es dauerte nicht lange, dass man ihnen die Speisekarte vorlegte. Warmes Kerzenlicht ließ den Raum festlich wirken. Der Lärm von draußen war hier nur gedämpft vernehmbar.

Sie aßen genussvoll, teilten sich eine Flasche Weißwein und ein kalorienreiches Dessert. Es wunderte Summer, dass sie sich so viel zu erzählen hatten. James fragte sie nach ihrem Job in Disneyland und schien sehr an ihrem Versuch, eine Schauspielkarriere aufzubauen, interessiert zu sein.

Als sie erfuhr, dass er erst vor Kurzem zum Richter für das oberste Gericht des Staates Washington gewählt worden war, bestand sie darauf, Champagner zum Feiern zu bestellen. „Das hättest du mir früher erzählen sollen“, rügte sie ihn.

„Das Amt ist nur für eine gewisse Zeit“, erklärte er. Es schien ihm unangenehm, Mittelpunkt des Gesprächs zu sein. „Ich bin gewählt worden, um Richter Killmars vertragliche Amtszeit zu durchlaufen, der aus gesundheitlichen Gründen in den Ruhestand ging.“

Summer vermutete, dass James ihr das nicht erzählt hätte, wenn sie nicht nach seinen Träumen und Hoffnungen gefragt hätte.

„Hast du vor, dich später für diese Position zu bewerben?“

„Ja“, gab er zögernd zu. „Aber die Vorwahlen sind erst im September und die Endwahl im November. Da gibt es keine Garantie.“

„Du wirst gewinnen“, sagte Summer überzeugt. „Sieh mich nicht so an. Ich kann mir nicht vorstellen, dass einer gegen dich stimmt.“

„Du tust meinem Selbstbewusstsein gut.“ Und mit leiser Stimme fügte er hinzu: „Fast zu gut.“

Kurz vor Mitternacht waren sie mit dem Essen fertig. Das neue Jahr stand kurz bevor. Es schien Summer fast unmöglich, dass der Abend mit James bereits zu Ende war. Sie bedauerte es.

Nachdem das Feuerwerk vorüber war, hatten sich die Straßen beträchtlich geleert. James und Summer standen gerade auf dem Fußweg unmittelbar vor dem Golden Nugget, als aus dem Kasino ein Jubelschrei ertönte.

„Es muss Mitternacht sein“, bemerkte James. „Frohes neues Jahr, Summer.“

„Frohes neues Jahr, James.“

Sie standen voreinander, und dann, als hätten sie den ganzen Abend darauf gewartet, näherten sie sich einander. Summer bemerkte, wie James’ Augen ganz dunkel wurden, ehe sie ihre Augen schloss. Sie wollte dies. Brauchte es.

Sie seufzte, als seine Lippen ihren Mund umschlossen.

2. KAPITEL

So unerfahren war Summer nicht, aber nach James’ Kuss war sie atemlos und musste sich an ihm festhalten. Das hatte sie nicht erwartet! Sie hatte eher an einen festen, aber kurzen Kuss gedacht und dass sie beide freundlich lachen und sich dann alles Gute wünschen würden.

Aber so war es ganz und gar nicht.

In dem Moment, als seine Lippen ihren Mund berührten, wurde ihr ganz flau zumute, und das erotische Spiel ihrer Zungen brachte Summer zum Zittern.

Der Schock über ihre Reaktion machte sie einen Moment bewegungslos. Sie hielt auch weiterhin an James fest, und im Wunsch, er möge sie wieder und wieder küssen, schmiegte sie sich sehnsüchtig an ihn.

Aber James ließ sie vorsichtig los. Summer ließ die Arme hängen und schaute ihn mit vor Verlegenheit gerötetem Gesicht an. Normalerweise reagierte sie nicht so auf einen Mann …

„Glückliches neues Jahr“, wiederholte James.

„Glückliches neues Jahr“, flüsterte sie.

James nahm ihre Hand, dann gingen sie los, ohne an ein Ziel zu denken. Summer war ganz durcheinander. Ob er wohl so ähnlich fühlte? Er wirkte ganz in sich gekehrt.

„Ich glaube, ich möchte es für heute genug sein lassen“, sagte er plötzlich und schaute auf die Uhr. Vermutlich war es ein Jahr her, seit er das letzte Mal bis nach Mitternacht aufgeblieben war. Er war so seriös und ordentlich! Dabei hatte der Abend ihm offensichtlich gefallen. Sie hatten geplaudert und gelacht … sie zumindest. Und James hatte gelächelt, was er nicht oft zu tun schien. Summer hatte sich dann jedes Mal wie beschenkt gefühlt …

Nun hatte sie alles ruiniert. Was James von ihr denken mochte! Worte der Entschuldigung kamen ihr in den Sinn, aber sie brachte sie nicht über die Lippen, ganz einfach, weil sie den Kuss nicht bereute. Sie hatte ihn genossen und hoffte, dass es James genauso gegangen war.

„Ich glaube, für mich auch“, sagte Summer. Sie wartete, hoffte vergeblich, er würde ein Treffen für den nächsten Tag vorschlagen. Und als sie das Four Queens erreichten, war sie ganz unglücklich.

„James“, sagte sie, als sie die Lobby durchquerten, sie musste sich jetzt entschuldigen, sonst würde sie es ewig bereuen. „Es tut mir leid. Ich … ich weiß nicht, was über mich kam. So verhalte ich mich sonst nicht … Ich kann mir vorstellen, was du über mich denkst, und …“

„Du?“ Er blieb vor dem Fahrstuhl stehen. „Ich fragte mich schon, was du über mich denkst, und kann nur auf Nachsicht hoffen.“

Auch im Fahrstuhl bat James sie nicht um ein erneutes Treffen. Summer wurde das Herz immer schwerer. Offenbar wollte er sie nicht wieder sehen. Sie verstand das. Ein hochgestellter Richter würde sich nicht mit einer Schauspielerin einlassen.

„Gute Nacht“, sagte sie fröhlich, als sie angekommen waren.

„Gute Nacht, Summer“, sagte er weich.

Würde er sie jetzt fragen? Nein. Entmutigt ging Summer in ihr Zimmer, setzte sich sogleich auf die Bettkante, um ihre Gedanken zu ordnen.

Als sie vor ein paar Tagen um eine Woche Urlaub bat, hatte sie nicht im Sinn gehabt, jede Minute mit James zu verbringen. Und auch er hatte es vermutlich genauso wenig vorgehabt. Sie schlüpfte aus den Schuhen. Wäre es nicht so spät, hätte sie Julie angerufen und ihr erzählt, dass sie recht gehabt habe. Ein Abend mit James hatte genügt, um ihn in einem völlig anderen Licht zu sehen. Der Kuss hatte sie davon überzeugt, dass er mehr als nur ein Freund war. Von James hing nun ab, was aus ihrer Beziehung werden würde.

Als das Telefon klingelte, hob sie sofort ab.

„Tut mir leid, dich zu stören.“

Sie seufzte erleichtert auf. „Hallo, James.“

„Ich habe einen Mietwagen. Hättest du Lust, morgen Früh mit mir zum Hoover Damm zu fahren?“

„Hör mal, ich habe zwar ein paar Tage Urlaub, erwarte aber nicht, dass du mir die ganze Zeit Gesellschaft leistest. Darum musst du dir keine Gedanken machen. Ich kann mich gut allein beschäftigen.“

„Ich verstehe.“

„Aber wenn du meine Gesellschaft willst, gut. Wenn nicht, kann ich das auch akzeptieren.“

Am anderen Ende der Leitung war es still.

„James, bist du noch da?“

„Ja. Bist du immer so direkt?“, fragte er nach einer Weile.

„Nein. Aber ich möchte, dass es keinerlei Missverständnisse zwischen uns gibt. Ich schätze deine Freundschaft und möchte nicht, dass sie durch Kleinigkeiten zerstört wird.“

„Das möchte ich auch nicht.“ Eine kleine Pause. „Verzeih mir, dass ich so schwer von Begriff bin, aber kommst du nun mit zum Hoover Damm oder nicht?“

Obgleich sie sich sehr über diese Einladung freute, fragte Summer doch noch vorsichtshalber: „Möchtest du wirklich, dass ich mitkomme?“

Autor

Debbie Macomber

Debbie Macomber...

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