Was muss ich tun, damit du mich liebst?

– oder –

 

Rückgabe möglich

Bis zu 14 Tage

Sicherheit

durch SSL-/TLS-Verschlüsselung

„Warum gehst du Dr. Lane aus dem Weg?“ Schwester Brielles ehrliche Antwort müsste lauten: Weil er mich verlassen hat, nicht weiß, dass er einen Sohn hat und es auch nicht erfahren soll! Was immer schwieriger wird, als Ross Lane beginnt, sie zum zweiten Mal zärtlich zu umwerben …


  • Erscheinungstag 26.06.2021
  • ISBN / Artikelnummer 9783751507325
  • Seitenanzahl 130
  • E-Book Format ePub
  • E-Book sofort lieferbar

Leseprobe

1. KAPITEL

Er hatte es wirklich komplett vermasselt.

Je länger Ross Lane die zierliche, blonde Krankenschwester in Behandlungsraum zwei ansah, desto deutlicher wurde es ihm.

Idiot.

Dummkopf.

Fünf Jahre war es jetzt her, und in letzter Zeit fragte er sich beinahe jeden Tag, wie sein Leben heute wohl aussehen würde, wenn er bei ihr geblieben wäre. Wenn er der Mann gewesen wäre, den Brielle Winton gebraucht hätte.

Schon seltsam, wie sich Perspektive und Prioritäten verändern konnten.

Unauffällig lehnte sich Ross gegen den Tresen der Schwesternstation in der Notaufnahme und tat so, als würde er das Rundschreiben lesen, das ihm jemand in die Hand gedrückt hatte. Doch eigentlich achtete er nur auf Brielle, auf jedes noch so kleine Detail.

Gerade lächelte sie den älteren Mann an, den sie an die Telemetrie zur Herzrhythmusuntersuchung anschloss. Die Grübchen, die ihren sinnlichen Mund betonten, verursachten bei Ross ein Ziehen tief in der Brust. Der Anblick weckte Erinnerungen.

Brielle arbeitete effizient weiter, lächelte oft und sprach mit sanfter, beruhigender Stimme mit den Patienten, ohne dabei zu bemerken, dass er sie mit seinen Blicken förmlich verschlang.

Sie war so nah.

Und doch so weit entfernt.

Wie hatte er sie nur verlassen und ihr das Herz brechen können?

Warum hatte er geglaubt, dass aus den Augen automatisch aus dem Sinn bedeutete?

Sie waren früher unzertrennlich gewesen, und er hatte das einfach weggeworfen. Warum sollte sie ihm vergeben, wenn er jetzt, fünf Jahre später, völlig unerwartet auftauchte?

In diesem Moment sah Brielle auf. Ihr freundliches Lächeln verblasste sofort, als sie ihn bemerkte. Ihr finsterer Blick sagte ihm deutlich, wo sie ihn hinwünschte, bevor sie sich wieder dem gebrechlichen Mann zuwandte, der auf dem Notaufnahmebett lag. Ihrem Patienten gegenüber ließ sie sich nichts anmerken. Eigentlich wunderte es Ross, dass der Herzmonitor des Mannes bei ihrem Lächeln nicht verrücktspielte.

Nur für ihn hatte Brielle kein Lächeln übrig.

Nicht einmal einen freundlichen Blick.

Wenn sie mit ihm sprach, dann nur, wenn es um Patienten ging.

Das konnte er ihr nicht einmal vorwerfen. Schließlich war es fast ausschließlich seine Schuld gewesen, dass ihre Beziehung schiefgegangen war.

Aber eben nur fast.

Sie beide hatten Fehler gemacht, nur waren seine größer gewesen.

Viel größer.

Nahezu riesig.

Hinter seinen Schläfen pulsierte ein heftiger Schmerz.

Dass er Brielle damals verlassen hatte, war die eine Sache, die er in seinem Leben am meisten bedauerte. Wenn er die Augen schloss, erfüllte Brielle seine Gedanken, dann wollte er sie in die Arme nehmen und festhalten, alles mit ihr teilen.

Vor fünf Jahren hatte er sie das letzte Mal berührt, doch noch immer wusste er genau, wie ihr Lachen klang, und wie sich ihre Hand in seiner anfühlte. Er erinnerte sich daran, wie sie beim Aufwachen aussah, und dass sie immer ein besonderes Lächeln für ihn gehabt hatte, egal, wie erschöpft sie gewesen war.

Seit er auf einem medizinischen Kongress vor Kurzem zufällig ihrem Bruder Vann in die Arme gelaufen war, musste er einfach wissen, ob ihm seine Erinnerung Streiche spielte.

Dabei hatte sein ehemaliger Freund kaum über Brielle gesprochen und jedes Mal das Thema gewechselt, wenn Ross sie erwähnte.

Nur einmal war er richtiggehend gesprächig geworden. Am letzten Abend des Kongresses hatte Ross nicht lockergelassen – und Vann hatte ihm schließlich mit einem Faustschlag die Nase gebrochen. Zudem hatte er ihn gewarnt, er sollte sich von seiner Schwester fernhalten, sonst würde er ihm nicht nur die Nase blutig schlagen.

Ross hatte sich nicht gewehrt. Denn er hatte es verdient. Schließlich war er damals gegangen und hatte seinen besten Freund und die Frau, nach der er verrückt gewesen war, verlassen. Ob Vann absichtlich erwähnt hatte, wo sie jetzt arbeitete?

Brielle bedeutete ihm noch immer viel. Also hatte er sich in seiner gutgehenden Gemeinschaftspraxis Urlaub genommen, um in der Notaufnahme, in der sie arbeitete, für drei Monate eine Ärztin im Mutterschaftsurlaub zu vertreten. Alles nur, um in ihrer Nähe zu sein.

Und dann?

Reichten drei Monate aus, um abzuschließen, was zwischen ihm und Brielle noch ungeklärt war?

Hatte sie ihm damals das Herz gestohlen, und er war nur zu blind gewesen, um es zu erkennen? War er zu jung und dumm gewesen, um zu wissen, was er aufgab? Verfolgte sie ihn in seinen Träumen, weil er sich schuldig fühlte?

Er musste es einfach herausfinden.

Denn jetzt war er bereit für eine feste Beziehung mit Kindern und all den Verrücktheiten, die dazugehörten.

In Boston war er mit einer wunderschönen, talentierten Ärztin zusammen gewesen. Er hatte sogar überlegt, Gwen einen Heiratsantrag zu machen, doch letztendlich hatte ihn etwas zurückgehalten.

Oder jemand.

Darum hatte er nach seiner Rückkehr von der Konferenz mit Gwen Schluss gemacht und sein derzeitiges Leben auf Eis gelegt, um seine Vergangenheit mit seiner Zukunft in Einklang zu bringen.

Ob es ihr nun passte oder nicht, die hübsche, zierliche Blondine, die ihn gerade erneut wütend anstarrte, war der Anfangspunkt für die nächste Phase in seinem Leben.

Auf die eine oder andere Art begann gerade seine Zukunft mit Brielle Winton.

Wenn sie es nur auch so sehen würde.

Wollte sie denn nicht ebenfalls klären, ob da noch etwas zwischen ihnen war?

Aber vielleicht hatte sie bereits mit ihm abgeschlossen, als er gegangen war. Wusste sie bereits, dass es richtig gewesen war, ihre Beziehung zu beenden? Vielleicht hatte sie festgestellt, dass ihre Gefühle für ihn nicht echt gewesen waren. Auf jeden Fall zeigte sie ihm gerade sehr deutlich, dass sie ihn hier nicht wollte.

Und sie konnte ziemlich stur sein, nur war das vorher nie ein Problem gewesen. Denn damals hatten sie immer dasselbe gewollt.

Fast immer.

Bis sie anfing, nur noch vom Heiraten zu sprechen. Daraufhin hatten sie sich immer öfter gestritten – und er hatte sich schließlich aus dem Staub gemacht.

Bereits vorher hatte er überlegt, die Stelle in Boston anzunehmen. Das war seine große Chance. Abzulehnen wäre dumm gewesen. Aber er hatte gezögert, und er wusste auch, warum. Wegen Brielle.

Ein Teil von ihm hatte es gehasst, dass ihre Beziehung seinen Karriereträumen im Weg stand. Plötzlich hatte er sich gefangen gefühlt, als würde sich eine Schlinge um seinen Hals legen und sich langsam zuziehen.

Jetzt bereute er seine panische Reaktion.

Aber er war verrückt, wenn er glaubte, dass sie ihm verzeihen würde.

Doch genau deshalb war er hier. Und er würde erst gehen, wenn er die Antworten bekommen hatte, die er brauchte, egal wie feindselig sie sich ihm gegenüber verhielt. Das beeindruckte ihn überhaupt nicht.

Wie um es zu beweisen, zwinkerte er ihr zu, kein bisschen überrascht, als sie ihn daraufhin noch finsterer ansah.

„Dr. Lane, in Behandlungsraum vier wartet eine Harnwegsinfektion, wenn Sie einen Blick darauf werfen wollen.“

Cindy Whiteds Worte holten ihn aus seinen Gedanken. Er sah die rundliche Krankenschwester an.

„Die Ergebnisse der Urinuntersuchung finden Sie zur Überprüfung im Computer.“

„Danke, ich komme sofort“, versicherte er ihr, wobei sich seine Aufmerksamkeit allein auf Brielle konzentrierte. Ihre Blicke trafen sich erneut, und wie jedes Mal, wenn er sie ansah, spürte er ein Stechen in der Brust.

War das Liebe? Scham? Bedauern? Oder waren es eher Schuldgefühle?

Er musste endlich wissen, welche Rolle Brielle in seiner Zukunft spielen würde. Je schneller, umso besser.

Die Reaktion seines Körpers, wenn er sie nur ansah, ließ keinen Zweifel daran, welche Rolle sie in seiner Gegenwart spielen sollte.

Seine Erinnerung hatte ihn nicht getrogen. Brielle war alles, woran er so gern zurückdachte – und noch mehr.

Wie sehr er sie wollte – in seinem Leben und in seinem Bett!

Sie reizte seine Sinne wie keine andere Frau. Ein Blick genügte, und er wollte sie am liebsten ins Arztzimmer ziehen, um ihren fantastischen Körper zu genießen.

Leider kam er nicht dazu, denn Behandlungsraum vier wartete. Ganz zu schweigen davon, dass sie ihm den Kopf abreißen würde, sollte er es versuchen.

Früher einmal hatte sie den Boden unter seinen Füßen angebetet. Jetzt schien sie ihm am liebsten ein sehr tiefes Grab schaufeln zu wollen.

Doch er wollte, dass Brielle ihn wieder mit leuchtenden Augen ansah, so wie früher. Sie sollte ihn genauso sehr wollen wie er sie. Er wollte mit ihr das Bett in Brand setzen und sehen, ob von dieser gewaltigen Anziehung zwischen ihnen noch etwas übrig war.

Doch im Moment hoffte er da wohl vergeblich auf ein Wunder.

Er straffte die Schultern und sah sie entschlossen an. Herausforderungen schreckten ihn nicht ab.

Gut, damals war es so gewesen. Aber diesen Fehler bereute er heute noch.

„Nichts gegen McDreamy und McSexy, aber bei Grey’s Anatomy wäre dieser Mann eindeutig McHottie.“ Um ihre Worte zu unterstreichen, fächelte sich Cindy dramatisch Luft zu.

Brielle ignorierte die Übertreibungen ihrer Freundin, wie schon seit McHotties Ankunft zu Beginn der Woche. Wenn Cindy wüsste, was hinter Ross’ attraktiver Fassade lauerte, würde sie nicht ständig von ihm schwärmen.

Dabei war er bestimmt kein schlechter Mensch, er hatte nur …

Nein, sie würde jetzt nicht an die Vergangenheit denken. Nicht schon wieder.

„Zu schade, dass er nur Augen für dich hat“, sprach Cindy weiter. Dass Brielle nicht darauf reagierte, störte sie nicht. „Denn ich hätte nichts gegen einen so heißen Typen.“

Brielle musste sich zwingen, nicht vom Computer aufzusehen, an dem sie gerade die letzten Untersuchungsergebnisse eines Patienten eingab. Sie würde nicht auf Cindys Kommentar reagieren. Sonst kam ihre Freundin vielleicht noch auf die Idee, sie mit Ross in den Vorratsraum zu sperren. Cindy drängte sie ständig dazu auszugehen, die angenehmen Seiten des Lebens zu genießen, wie sie das andere Geschlecht nannte. Doch Brielle hatte andere Prioritäten.

„Schau ihn dir nur mal an“, sagte Cindy leicht amüsiert.

Ich sehe jetzt nicht hoch, schwor sich Brielle. Ross schien sie in den letzten Tagen mit Blicken zu verfolgen, aber das war ihr egal.

„Ich zerfließe hier praktisch vor Sehnsucht nach seinen sinnlichen blauen Augen und seinem durchtrainierten Körper, aber bemerkt er das?“ Cindy seufzte theatralisch. „Nein, dafür sieht er dich an, als wärst du ein Dessert, das er unbedingt kosten muss. Als wärst du …“

„Du kannst ihn gern haben“, unterbrach Brielle sie, bevor ihre Freundin noch deutlicher werden konnte. Ihr Gesicht fühlte sich jetzt schon glühend heiß an.

„Weil?“

Auch ohne aufzusehen, wusste Brielle genau, wie Cindy sie gerade ansah. Eine Augenbraue war fragend hochgezogen, und ein wissendes Lächeln spielte um ihre Lippen. Denn sie hatte keine Ahnung, was passiert war.

Genau das liebte Brielle so an Bean’s Creek. Außer Vann und Samantha kannte niemand Ross. Als sie damals zurück nach Hause gezogen war, hatte sie daher keine mitleidigen Blicke ertragen müssen, weil sie von dem Mann verlassen worden war, der ihre ganze Welt gewesen war. Der sie im Stich gelassen hatte, als sie ihn am meisten gebraucht hätte. Zugegeben, er hatte nicht alles gewusst, aber sie hatte mehr als einmal versucht, es ihm zu sagen. Doch er hatte nicht zuhören wollen.

„Er ist nicht mein Typ“, sagte Brielle nun kühl.

„Süße“, spottete ihre Freundin und wedelte mit der Hand. „Den Mann findet jede heterosexuelle Frau heiß.“

Brielle drückte die Enter-Taste und lehnte sich in ihrem Stuhl zurück. „Ich nicht.“

„Warum nicht?“ Cindy ließ nicht locker.

Weil ich mit dem Thema durch bin und die Narben und das Kind als Beweis habe.

„Es ist einfach so.“

Nach einem kurzen Moment fragte Cindy sanft und ernst zugleich: „Weil er dich an den Dad deines Sohnes erinnert?“

Erschrocken blickte Brielle auf.

Das hätte sie nicht tun sollen. Denn jetzt sah sie sich einer neugierigen Cindy gegenüber, die sie viel zu eingehend musterte. Kein Wunder, wahrscheinlich wirkte sie wie ein im Scheinwerferlicht erstarrtes Reh.

„Warum fragst du das?“ Quietschte ihre Stimme?

„Ich bin deine beste Freundin“, erinnerte Cindy sie leicht beleidigt. „Außerdem bin ich nicht blind. Dr. Lanes Augen sind genauso außergewöhnlich blau wie die von Justice.“

„Viele Leute haben blaue Augen.“ Brielle bemühte sich, gelangweilt zu wirken, als wäre der bloße Gedanke verrückt. Dachte ihre Freundin im Ernst, dass sie diese Art Unterhaltung während der Arbeit führte, wenn Ross jeden Augenblick auftauchen konnte?

„Stimmt.“ Cindy zuckte die Schultern. „Ich dachte nur …“

„Hör auf damit.“

Überrascht zog Cindy erneut eine Augenbraue hoch und schüttelte den Kopf. „Na klar. Du denkst also, solche Kommentare von meiner viel zu ernsten und immer grübelnden Freundin machen mich überhaupt nicht neugierig.“

Sieht sie mich wirklich so? Viel zu ernst und grüblerisch?

Dabei hatte sie allen Grund, so zu sein. Brielle zuckte zusammen.

Ich muss mich zusammenreißen. Es sind nur drei Monate. Weniger als drei Monate.

Dann würde Ross Lane von der Bildfläche verschwinden, und sie sah ihn hoffentlich nie wieder.

Sie stockte.

Ross nie wiedersehen?

Das konnte sie sich nicht vorstellen, obwohl sie andererseits auch niemals geglaubt hätte, ihm überhaupt noch einmal zu begegnen. Schließlich hatte er ihr sehr deutlich gesagt, dass er nichts mehr mit ihr zu tun haben wollte. Dass sie ihn behinderte und er sein Leben leben wollte. Ohne sie.

Und das hatte er dann auch getan. Nur allzu schnell.

Trotzdem war er jetzt hier und brachte ihre Gefühle total durcheinander.

Genau wie Cindy, die weiter auf eine Erklärung wartete. Im nächsten Augenblick würde ihre Freundin wahrscheinlich die Hände in die Seiten stemmen und ungeduldig mit dem Fuß auftippen.

„Ach“, sagte Brielle langsam, in der Hoffnung, überzeugend zu klingen. „Ross Lane geht mir einfach auf die Nerven. Belassen wir es dabei. Bitte.“

Schließlich gab Cindy nach und zuckte die Schultern. „Gut. Aber nur für den Moment, und auch nur, weil dein Genervtheitsgrad gleich noch steigen wird.“

Brielle holte tief Luft.

Na wunderbar.

„Brielle, kann ich kurz mit dir sprechen?“

Eintausendeins. Eintausendzwei. Eintausenddrei.

Brielle zählte im Stillen immer weiter.

Ich schaffe das, ich kann ruhig und professionell sein.

Ross war nicht lästiger als eine nervige Fliege, die sie nicht in Ruhe ließ.

„Offensichtlich können Sie das“, sagte sie schnippisch.

Vielleicht sollte sie einem vorgesetzten Arzt gegenüber nicht so bissig sein, aber sie konnte nicht anders. Nicht so kurz nach Cindys Fragen über Justice.

Die Augen ihres Sohnes waren genauso blau wie Ross’ Augen. Justice hatte das gleiche kräftige Kinn und den gleichen Mund. Sein Gesichtsausdruck war dem von Ross manchmal so ähnlich, dass Brielle der Atem stockte und Erinnerungen sie wie ein Dolchstoß durchzuckten.

Justice sah so aus, wie Ross in seinem Alter ausgesehen haben musste. Nur war ihr Sohn zwei Monate zu früh geboren und etwas klein für sein Alter. Bei Ross mit seinen 1,88 Größe konnte sie sich nicht vorstellen, dass er jemals klein gewesen war.

„Ich räume Behandlungsraum eins auf“, verkündete Cindy, während sie sich noch einmal Luft zufächelte und Brielle grinsend zuflüsterte: „Heiß.“

Als sie allein an der Schwesternstation standen, seufzte Ross. „Wird das die ganze Zeit so sein, die ich hier bin?“

„Das?“ Sie tat so, als wüsste sie nicht, was er meinte.

„Dass du mich hasst.“

„Ich hasse dich nicht.“ Er sollte nur einfach wieder verschwinden, ohne ihr Leben noch weiter durcheinanderzubringen. Oder Justices Leben. Auf keinen Fall würde sie zulassen, dass Ross ihren Sohn so verletzte, wie er sie verletzt hatte.

„Gut zu wissen.“

„Lass es dir nicht zu Kopf steigen“, riet sie ihm. Sie wollte ihn nicht ermutigen, es fiel ihr jetzt schon schwer, emotional Distanz zu wahren. „Ich hasse dich vielleicht nicht, aber ich mag dich auch nicht.“

Ross grinste selbstbewusst. „Dann geh heute Abend mit mir essen, und wir arbeiten daran. Früher mochtest du vieles an mir. Soll ich dich daran erinnern?“

Brielle fühlte sich, als würde ihr jemand eine unsichtbare Hand um den Hals legen und zudrücken. Weil sie keinen Ton herausbrachte, schüttelte sie den Kopf.

„Warum nicht?“

Musste er das wirklich fragen? „Willst du eine schriftliche Abhandlung über die Gründe oder reicht die Top Ten?“, fauchte sie, als der Schock nachließ.

„Nein“, antwortete er und lehnte sich entspannt an den Tresen der Schwesternstation. Zu entspannt für ihren Geschmack. „Du sollst Ja sagen.“

„Nein.“

„Brielle.“

„Nein, Dr. Lane. Diese Unterhaltung ist sinnlos, weil es keinen Grund gibt, warum wir essen gehen sollten. Keinen einzigen.“

„Doch, den gibt es.“

Da war ein Unterton in seiner Stimme, der sie erschrocken aufsehen ließ. Misstrauisch musterte sie ihn. Er wirkte locker und entspannt, hob aber gleichzeitig entschlossen das Kinn.

Wusste er von Justice? Machte sie sich etwas vor, wenn sie dachte, er hatte keine Ahnung? Aber warum sollte er sonst hier sein?

„Und welcher Grund sollte das sein? Mir fällt nämlich keiner ein.“ Schließlich war er kaum eines Morgens aufgewacht und hatte sich gedacht: Hey, ich vermisse Brielle Winton. Was sie wohl so treibt? Vielleicht sollte ich für ein paar Monate einige Hundert Meilen weit wegziehen und ein bisschen nachforschen.

Aber warum war er sonst hier?

Hatte er ihr Geheimnis doch herausgefunden?

„Weil ich dich mag“, antwortete er, als wäre das vollkommen logisch.

Ihr Herz hämmerte wild in ihrer Brust, und sie umklammerte die Kante der Schwesternstation, um nicht den Halt zu verlieren. „Du kennst mich doch gar nicht.“

„Doch, natürlich.“ Er klang so unverschämt selbstsicher, dass sie frustriert aufschreien wollte. Dachte er etwa, sie hatte nur darauf gewartet, dass er zurückkam, um da weiterzumachen, wo sie aufgehört hatten?

„Früher hast du mich vielleicht einmal besser gekannt als irgendjemand sonst, aber das war einmal. Fünf Jahre sind eine lange Zeit. Ich habe mich verändert.“

Sein Blick streifte langsam über ihr Gesicht und dann tiefer, bis zu dem Punkt, wo der Tresen ihren Körper verdeckte. „Finde ich nicht.“

Am liebsten wollte sie die Arme vor der Brust verschränken, vor ihrem Bauch, ihren Hüften. „Tu nicht so, als würdest du mich kennen.“ Allein die Schwangerschaft und das Muttersein hatten sie verändert – ihren Körper, ihre Einstellung. Einfach alles. Justice hatte sie positiv verändert, im Gegensatz zu seinem Vater. „Ich bin ein völlig anderer Mensch mit anderen Prioritäten und anderen Träumen.“

Er kam um den Tresen herum zu ihr und musterte sie stumm, schien ihre Worte zu analysieren. „Wovon träumst du jetzt, Brielle?“ Seine Frage klang sanft, neugierig und beinahe flehend, als wollte er tatsächlich ihre geheimsten Sehnsüchte erfahren.

Als ob sie ihm das erzählen würde.

„Vor nicht allzu langer Zeit war ich die Hauptperson in deinen Träumen“, erinnerte er sie leise. Jetzt war nichts mehr von großspuriger Arroganz in seiner Stimme zu hören.

Und wieder schnürte es ihr den Hals zu.

„Das ist lange her. Wie ich schon sagte, ich habe mich verändert. Solange du hier bist, werde ich dich bei der Arbeit professionell höflich behandeln, aber alles andere zwischen uns ist längst vorbei.“ Und zwar seit fünf Jahren. Damals hatte er ihr Leben komplett umgekrempelt, als er ihre Beziehung beendet hatte und wegzog. „Auf deinen Wunsch hin, wie ich hinzufügen möchte.“

Schwang da Bitterkeit in ihrem Tonfall mit? Dabei bemühte sie sich um Gleichgültigkeit; er sollte nicht bemerken, dass er sie verletzt und noch immer Macht über sie hatte.

„Brielle …“

„Geht es um einen Patienten?“, unterbrach sie ihn ungeduldig. „Ansonsten lass mich einfach in Ruhe.“

Seufzend runzelte er die Stirn. „Wenn du es so möchtest.“

„Ja, möchte ich.“ Damit wandte sie sich wieder dem Computer zu und tat unbeteiligt, als wäre er ihr nicht viel zu nah. Als bedeutete er ihr nichts.

Nein, sie tat nicht nur so, er bedeutete ihr wirklich nichts.

Schon lange nicht mehr.

Und würde es nie wieder tun.

2. KAPITEL

Einfach nur froh, weil sich ihre Schicht dem Ende näherte, reichte Brielle einem älteren Patienten eine Spuckschale. „Nehmen Sie die, wenn Ihnen schlecht wird. Dr. Lane gibt Ihnen gleich etwas gegen die Übelkeit.“ Jemand betrat den Raum, und die Art, wie sich ihr Puls beschleunigte, verriet ihr, wer gekommen war. „Und da ist er auch schon.“

„Hallo, Mr Gardner, ich bin Dr. Lane“, stellte sich Ross vor, während er sich die Hände wusch. „Ich habe mir Ihre Laborwerte angesehen. Die gute Nachricht ist, dass Ihre Brustschmerzen nichts mit dem Herzen zu tun haben.“

„Und die schlechte?“, fragte der weißhaarige Mann mit der beginnenden Glatze. Sein Gesicht war schmerzverzerrt, und er umklammerte das weiße Baumwolllaken, das seinen schmächtigen Körper bedeckte.

Brielle musste sich zwingen, nicht beruhigend seine zitternde Hand zu halten, während er darauf wartete, was Ross ihm zu sagen hatte.

„Ihre Leberenzyme sind viel zu hoch, genauso wie ihre Amylase- und Lipasewerte“, sagte Ross, bevor er die Laborwerte genauer erläuterte und erklärte, wie sie die Symptome beeinflussten. „Ich überweise Sie wegen akuter Pankreatitis auf die entsprechende Station.“

Ruhig erklärte er dem Mann die Diagnose und die medizinischen Folgen. Obwohl sie wahrscheinlich nachsehen sollte, ob es neue Patienten gab, war Brielle fasziniert davon, wie Ross mit seinem Patienten umging.

Sie hatte immer gewusst, dass er ein fantastischer Arzt sein würde. Er besaß so eine beruhigende Art, eine Aura, die seinen Patienten vermittelte, dass alles gut werden und er sein Bestes tun würde.

Bei seinen Patienten mochte das sogar stimmen. Obwohl er erst so kurze Zeit in Bean’s Creek war, hatte er sich bereits den Respekt seiner Kollegen verdient. Über den attraktiven, neuen Arzt, der Cassidy Jenkins vertrat, konnte man nur Gutes sagen.

„Brielle, würden Sie dafür sorgen, dass ein Bett für Mr Gardner vorbereitet wird? Ich fülle solange die Einweisungspapiere aus.“ Er sah auf, während er noch einmal Mr Gardners Brust abhörte. „Oh, und geben Sie ihm bitte ein Antiemetikum, bevor er verlegt wird.“

Er nannte ihr das Medikament, die Dosierung und wie es verabreicht werden sollte.

Bitte.

Kein Wunder, dass ihn alle Kollegen für ein Geschenk Gottes an die Notaufnahme hielten. Wenn man das außergewöhnlich gute Aussehen des Mannes einmal beiseiteließ, wie viele Ärzte sagten schon Bitte und Danke? So beliebt Cassidy auch war, selbst sie war nicht gerade für ihre Höflichkeit bekannt.

Dabei wollte Brielle diese ältere Version des Mannes, den sie einmal aus ganzem Herzen geliebt hatte, gar nicht mögen. Sie konnte in Bezug auf Ross keine positiven Gedanken gebrauchen, egal welcher Art.

Sie wollte überhaupt nicht an Ross denken. Punkt.

Endlich riss sie sich von ihm los, nickte der Quelle ihres Ärgers zu und verließ den Behandlungsraum, um seine Anweisungen auszuführen. Sie hatte gerade die Spritze aufgezogen, als er hinter sie trat. Das war zu nah. Viel zu nah.

Sie drehte sich um, um ihm zu sagen, dass er zurücktreten und sie in Ruhe lassen sollte, aber das war ein Fehler.

Er stand sogar noch näher, als sie gedacht hatte. Sie berührten sich praktisch, und sie konnte das Verlangen in seinen blauen Augen sehen.

Wie gut erinnerte sie sich an dieses verlangende Flackern, diesen Blick, der sagte, dass er sie wollte. Bevor er abgehauen war, hatte sie bei diesem Blick gelächelt, genickt und dann dafür gesorgt, dass sie so schnell wie möglich allein waren.

Warum nur erinnerte sie sich an jeden Blick und jede Berührung von ihm?

Dummer Körper!

Ross sah so gut aus und roch fantastisch. Und sie würde wetten, dass er sich auch gut anfühlte. Sein schlanker Körper wirkte so trainiert wie immer. Vielleicht noch mehr als damals.

Mühsam rief sich Brielle das letzte Mal in Erinnerung, als sie ihn gesehen hatte … Ein paar Monate, nachdem er sie verlassen hatte, war sie zu ihm nach Boston gefahren.

Das Bild von ihm mit einer ihr unbekannten Frau kam ihr in den Sinn. Er hatte seine Lippen gar nicht von denen der blonden Fremden lösen können. Als er den Kuss beendet hatte, lächelte er die Frau an, legte einen Arm um sie und flüsterte ihr etwas ins Ohr, das sie zum Lachen brachte. Sie hatte ihm einen spielerischen Klaps auf den Oberarm gegeben.

Brielle dagegen hätte Ross damals am liebsten eine Ohrfeige verpasst. Und danach sich selbst, weil sie so dumm gewesen war zu glauben, es wäre richtig, nach Boston zu fliegen, um ihm von ihrer Schwangerschaft zu erzählen.

Autor

Janice Lynn

Janice Lynn hat einen Master in Krankenpflege von der Vanderbilt Universität und arbeitet in einer Familienpraxis. Sie lebt mit ihrem Ehemann, ihren 4 Kindern, einem Jack-Russell-Terrier und jeder Menge namenloser Wollmäuse zusammen, die von Anbeginn ihrer Autorenkarriere bei ihr eingezogen sind.

Mehr erfahren