Weil ich nur dich begehre

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Die Braut, die sich nicht traut: Sekunden vor dem Ja-Wort flieht Juliet aus der Kirche - lieber ein Skandal als eine lebenslange Lüge! Im Sommerhaus ihrer Familie will sie in Ruhe darüber nachdenken, was jetzt aus ihr werden soll. Aber mit der Ruhe ist es vorbei, als der Privatdetektiv Reid McCormack sie dort aufspürt. Denn Reid ist der Grund, warum Juliet die Hochzeit platzen ließ. Mit ihm hat sie eine verbotene Nacht der Leidenschaft erlebt, die nicht ohne Folgen geblieben ist. Sie liebt ihren Verlobten doch - warum weckt dann nur Reid diese heiße Lust in ihr?


  • Erscheinungstag 05.05.2015
  • Bandnummer 1870
  • ISBN / Artikelnummer 9783733721145
  • Seitenanzahl 144
  • E-Book Format ePub
  • E-Book sofort lieferbar

Leseprobe

1. KAPITEL

Gebannt starrte Juliet Zaccaro auf den Plastikstab, den sie in der Hand hielt. Ihre Finger zitterten.

Der Test versprach annähernd hundertprozentige Sicherheit. So stand es jedenfalls auf der Packung. Und das Testfeld war blau, fast schon blauer als blau, leuchtend wie eine Neonreklame. So kam es ihr jedenfalls vor.

Sie war schwanger!

Ihr Magen krampfte sich zusammen, sie bekam kaum noch Luft. Als ihre Knie unkontrolliert zu zittern begannen, setzte sie sich schnell auf den Toilettendeckel, um nicht den Halt zu verlieren.

Unvermittelt begann sie, hysterisch zu kichern, und es dauerte einige Minuten, bis sie sich wieder unter Kontrolle hatte.

Schwanger!

Heute war der Tag ihrer Hochzeit. Und hier saß sie nun, im Brautkleid, auf der Toilette in dem kleinen Gebäude neben der Kirche. In der Hand einen positiven Schwangerschaftstest. Sie betrachtete das nicht als gute Nachricht!

Sicher, sie hätte den Test schon vor ein paar Tagen machen können. Auf keinen Fall hätte sie warten sollen, bis sie perfekt geschminkt war und in dem wunderschönen Brautkleid steckte, das ihre Schwester Lily extra für sie entworfen und genäht hatte.

Sie hatte schon mehr als eine Woche die Symptome gehabt: plötzliches Schwindelgefühl, Kopfschmerzen und vor allem diese Übelkeit. Aber sie hatte alles auf die Aufregung vor der Hochzeit geschoben, um sich zu beruhigen. Ihre Panik davor, tatsächlich schwanger zu sein, war so groß gewesen, dass sie vor dem Test, vor der endgültigen Gewissheit, zurückgeschreckt war.

Doch dann hatte sie heute in den Spiegel geblickt, schon im Hochzeitskleid, und gestutzt. Plötzlich war ihr bewusst geworden: Ihre Wangen schimmerten nicht so rosig, weil sie in positivem Sinne aufgeregt war – sondern weil sie sich entsetzlich unwohl fühlte! Weil sie Angst hatte. Angst vor dem Jawort.

Und dann war noch ihre heimliche Befürchtung dazugekommen, schwanger zu sein. In diesem Moment war ihr klar geworden: Sie konnte nicht länger warten, sie musste den Test machen, jetzt, sofort, um Gewissheit zu haben.

Nun hielt sie das Ergebnis in den Händen. Doch umso mehr stellte sich die Frage, was sie jetzt tun sollte. Sie konnte wohl kaum an der Seite eines Mannes zum Altar schreiten, der höchstwahrscheinlich – Unsinn: garantiert – nicht der Vater ihres ungeborenen Kindes war.

Um Himmels willen, ein Kind. Sie war wirklich und wahrhaftig schwanger. Und das hieß: Es ging ab jetzt nicht mehr nur um sie. Welche Entscheidungen auch immer sie von nun an fällte, sie würden zwei Personen betreffen. Sie musste sich daran gewöhnen, wie eine Mutter zu denken. Und das Wohl ihres Kindes vor ihr eigenes zu stellen.

Ein zaghaftes Klopfen an der Toilettentür riss sie aus ihren Gedanken. Dann hörte sie von außen die flüsternde Stimme ihrer Schwester.

„Alles klar da drinnen?“, fragte Lily. „Es ist alles bereit für dich. Höchste Zeit, Mrs Harris zu werden.“

Die Sätze waren aufmunternd gemeint. Doch sie stürzten Juliet nur in noch tiefere Verzweiflung.

Konnte sie jetzt überhaupt noch Mrs Harris werden? Und vor allem: Sollte sie?

Sie atmete tief durch und rief: „Ich komme gleich. Nur ein, zwei Minuten noch.“

„Alles klar. Wir sind im Vorraum.“

Juliet wartete, bis sich die Schritte ihrer Schwester entfernten und sich die Außentür schloss. Dann zog sie sich mit Mühe am Waschbecken hoch und blickte in den Spiegel.

So schlecht sah sie doch gar nicht aus – falls die Hochzeitsgäste eine wandelnde Leiche als Braut erwarteten. Ja, sie war wirklich totenblass. Unter dem Lidschatten, dem Rouge und dem Lippenstift, liebevoll aufgetragen von ihrer anderen Schwester Zoe, wirkte sie wie eine weiß geschminkte Geisha.

Zum Glück hatte sie nicht geweint, sodass ihr Make-up nicht verlaufen war. Sie warf den Schwangerschaftstest in den kleinen Müllbehälter neben dem Waschbecken. Dann nahm sie das Gefäß hoch und schüttelte es ein paarmal kräftig durch. Sie wollte nicht, dass der Test obenauf lag. Falls jemand ihn zufällig fand, bräuchte er ja nur eins und eins zusammenzuzählen …

Sie riss sich zusammen und verließ die Toilette. Zum Glück war niemand in Sichtweite. Aus einiger Entfernung hörte sie die Stimmen ihrer Schwestern und ihres Vaters.

Ihr wurde bewusst, dass sie im wahrsten Sinne des Wortes an einem Scheidewege stand. Der Weg nach links würde sie in den Altarraum führen. Dann würde sie in wenigen Minuten zu den Klängen des Hochzeitsmarsches in ihr neues Leben als verheiratete Frau schreiten. Als nicht gerade glücklich verheiratete Frau.

Auch der Weg nach rechts würde in ein neues Leben führen, mit dem Unterschied, dass dieses Leben viel mehr Unsicherheit bot.

Das Herz schlug ihr bis zum Hals.

Links oder rechts? Sollte sie den Weg in die Ehe beschreiten, wie sie es Paul versprochen hatte, oder sollte sie alles hinwerfen und sich in eine ungewisse Zukunft stürzen?

Die Zeit schien stillzustehen. Die Zweifel zerrissen sie fast. Von Ferne hörte sie das Meer rauschen. Und dann tat sie, was sie tun musste.

Sie wandte sich nach rechts.

Und rannte, so schnell sie konnte.

2. KAPITEL

Drei Monate vorher …

Aus der Gegensprechanlage erklang ein lautes Summen.

„Mr McCormack, Juliet Zaccaro würde sie gerne sprechen. Sie steht neben mir.“

Reids Zeigefinger verharrte einen Moment über der Antworttaste. Er versuchte sich einzureden, dass das Gefühl, das ihn gerade durchzuckte, nur Überraschung war und nicht mehr. Überraschung, weil Juliet Zaccaro unangemeldet hier auftauchte.

Schließlich räusperte er sich, drückte den Antwortknopf und sagte: „Danke, Paula. Schicken Sie sie rein.“

Er legte die Unterlagen beiseite, an denen er gerade gearbeitet hatte, und schaute zur Tür, die sich langsam öffnete.

Und wieder, wie jedes Mal seit ihrem ersten Zusammentreffen, war er von Juliet Zaccaros Erscheinung, ihrer Schönheit, überwältigt.

Ein elegant geschnittenes, ebenmäßiges Gesicht, strahlend blaue Augen, honigblondes Haar, das sicher über ihre Schultern reichen würde, sollte sie es einmal offen tragen. Doch sie hatte es immer zusammengebunden und hochgesteckt.

Wie gerne hätte er sie einmal mit heruntergelassenen Haar betrachtet. Für den Anfang. Noch lieber hätte er sie einmal nackt gesehen, ohne diese Business-Kleidung, die sie immer trug.

Verflixt, der Gedanke allein genügte schon, um ihn vollständig zu erregen! Er erhob sich von seinem Schreibtisch, als sie den Raum betrat, und konnte nur hoffen, dass ihr seine Erregung verborgen blieb. Als sie an ihn herangetreten war, reichte er ihr die Hand. Nicht das erste Mal, dass sie sich die Hand gaben, dass er sie berührte.

Verdammt, Reid McCormack! Bleib gefällig professionell! Höflich zurückhaltend, so wie es sich für einen Detektiv gehört!

Allein ihre Hand für einen kurzen Augenblick zu halten, war ihm ein heimlicher Hochgenuss. Alles Weitere würde er sich verkneifen müssen.

Sie war jetzt schon ein paarmal hier in seinem Büro gewesen, und er konnte sich noch genau erinnern, was sie bei jedem ihrer Besuche getragen hatte. Heute war es ein schlichtes lavendelfarbenes Kleid, dazu etwas Goldschmuck.

Sie besaß ein wenig die Aura von Audrey Hepburn. Komisch, normalerweise stand er nicht auf diesen Stil. Für gewöhnlich waren ihm Frauen lieber, die ihre Sexualität offensiv präsentierten, die zeigten, was sie hatten, und nichts anbrennen ließen. Solche Damen, die nichts gegen eine heiße Kurzzeitaffäre einzuwenden hatten.

In diese Kategorie gehörte Juliet Zaccaro nicht. Da war er sich ziemlich sicher.

Warum hatte sie dennoch eine so große Wirkung auf ihn? Er hatte sofort eingewilligt, ihr zu helfen, als sie zum ersten Mal sein Büro betreten hatte. Dabei hätte er den Auftrag eigentlich ablehnen müssen, da es einen Interessenkonflikt gab: Er arbeitete schon an einem Fall für ihre Schwester Lily. Dennoch hatte er akzeptiert – und Juliet Zaccaro nie wieder aus seinen Gedanken verbannen können.

Oft hatte er sie unter dem Vorwand angerufen, sie auf den neuesten Stand zu bringen, obwohl es eigentlich gar nichts Aktuelles zu berichten gab – nur um ihre Stimme zu hören. Auch zu persönlichen Besprechungen hatte er sie öfter als nötig gebeten, um sie zu sehen.

Jetzt stand sie wieder vor ihm, diesmal völlig unverhofft. Er konnte sich nicht erklären, warum sie gekommen war. Ursprünglich hatte sie ihn engagiert, um ihre verschwundene Schwester zu finden. Doch die Sache war erledigt. Lily war aus Los Angeles zurückgekehrt und hatte ihrer Verwandtschaft erklärt, warum sie für ein paar Wochen fort gewesen war.

Zwar arbeitete er momentan noch an Lilys Auftrag, einem Fall von Ideendiebstahl in der Modebranche. Das Unternehmen Zaccaro Fashions gehörte allen drei Schwestern, also auch Juliet. Trotzdem sah Reid keinen Grund für ihr plötzliches Erscheinen.

Natürlich freute er sich darüber. Mehr als das, er war überglücklich. Nervös räusperte er sich und bot ihr einen Stuhl an. „Schön, Sie zu sehen, Miss Zaccaro. Aber ich muss gestehen, ich bin ein wenig überrascht. Hatten wir noch irgendetwas zu besprechen …?“

In seinen Gedanken nannte er sie immer „Juliet“, doch wenn er mit ihr sprach, blieb er beim förmlichen „Miss Zaccaro“. Das erinnerte ihn daran, Distanz zu wahren. Schließlich war sie eine Auftraggeberin – oder vielmehr: eine ehemalige Auftraggeberin –, und obendrein war sie verlobt, soweit er wusste.

Sie lächelte unsicher. Ihre Augen waren leicht gerötet. Hatte sie geweint …?

Vielleicht steckte sie in Schwierigkeiten, vielleicht brauchte sie in einer neuen Angelegenheit seine Hilfe. Nicht, dass er ihr etwas Schlechtes wünschte – um Himmels willen, ganz im Gegenteil! –, aber vielleicht würde er ja so die Möglichkeit bekommen, sie öfter zu sehen …

„Ich bin nur vorbeigekommen, um Ihnen Ihren Scheck zu bringen. Ihr Honorar.“

Schuldbewusst schlug er die Augen nieder. Ein Honorar hatte er sich beim besten Willen nicht verdient. Er hatte ja nicht ernsthaft etwas für sie getan, im Gegenteil, er hatte sie fast einen Monat lang an der Nase herumgeführt und hingehalten. Zwar nur in bester Absicht, weil er schon vorher den Auftrag ihrer Schwester angenommen hatte und in einem Interessenkonflikt stand, aber trotzdem. Eine Bezahlung für dieses Verhalten wäre wahrlich unverdient.

„Sie sind mir nichts mehr schuldig“, murmelte er. Im Gegenteil, er würde ihr auch ihre Anzahlung zurücküberweisen. Gleich wenn sie gegangen war, würde er sich darum kümmern.

„Natürlich bin ich Ihnen noch etwas schuldig“, erwiderte sie mit fester Stimme. „Ich habe Ihnen einen Auftrag erteilt, und Sie haben daran gearbeitet.“ Ein ironisches Lächeln umspielte ihre Lippen. „Jedenfalls im Rahmen Ihrer Möglichkeiten.“

„Ich habe Sie angelogen und Ihre Zeit vergeudet“, widersprach er. Himmel, er hasste sich für sein Verhalten!

„Ich kenne ja Ihre Beweggründe“, sagte Juliet. „Sie standen schon in Lilys Diensten. Sie wollten ihr helfen, unsere Firma zu retten. Wenn Sie nicht so getan hätten, als würden Sie in meinem Auftrag nach ihr suchen, hätte ich die Nachforschungen selbst in die Hand genommen. Und wer weiß, in welche Schwierigkeiten ich dadurch geraten wäre. Sie haben also durchaus ehrenwert gehandelt. Ich finde, unter den gegebenen Umständen hatten Sie keine andere Wahl.“

Verlegen murmelte er etwas vor sich hin. Sie stellte ihn in ein so positives Licht, dass es ihm entsetzlich peinlich war. Das hat er nun wirklich nicht verdient!

„Wie sehr wir Ihnen vertrauen, sehen Sie daran, dass wir Sie weiterbeschäftigen“, fuhr Juliet fort. „Sie arbeiten ja noch an Lilys Fall. Und da Sie zusätzlich in meinem Auftrag tätig geworden sind, sollen Sie auch dafür bezahlt werden. Jede Arbeit ist ihren Lohn wert.“

Sie öffnete ihre Handtasche, zog einen bereits ausgefüllten Scheck heraus, beugte sich vor und schob ihn über den Schreibtisch zu ihm hinüber.

Er wusste, er könnte noch tausendmal widersprechen, es würde nichts ändern. Sie würde darauf bestehen, dass er den Scheck annahm. Und ihn vor ihren Augen zu zerreißen – das erschien ihm als grob unhöflich. Also nahm er den Scheck entgegen, allerdings mit dem festen Vorsatz, ihn niemals einzulösen.

In diesem Moment bemerkte er die Blutergüsse. Kein dramatischer Anblick, nur ein paar leichte Verfärbung auf der Innenseite von Juliets Unterarm.

Einem normalen Betrachter wären sie wahrscheinlich nicht einmal aufgefallen, oder er hätte sie als unbedeutend abgetan. Schließlich passierte es jedem einmal, dass er sich irgendwo stieß und einen kleinen blauen Fleck davontrug.

Aber Reid war Detektiv und hatte mit seinen neununddreißig Jahren genug Berufserfahrung. Diese Flecken – die stammten eindeutig von Fingern. Jemand musste Juliet ziemlich brutal am Unterarm gepackt haben.

Am liebsten hätte er ihren Arm ergriffen und sich die blauen Flecken näher angesehen. Aber das ging natürlich nicht. Er musste diskret bleiben, unauffällig.

„Danke“, murmelte er und legte den Scheck in die oberste Schublade seines Schreibtisches. Dann faltete er die Hände und blickte Juliet tief in die Augen. „Darf ich Sie etwas fragen, Miss Zaccaro?“

Er war selbst überrascht, wie ruhig er klang, denn in seinem Inneren brodelte es.

„Natürlich, schießen Sie los. Und sagen Sie doch Juliet zu mir.“

Er redete nicht lange um den heißen Brei herum. „Wer ist so brutal mit Ihnen umgesprungen?“

Er war ein Experte darin, Körpersprache zu entschlüsseln. Doch in Juliets Fall hätten auch Anfängerkenntnisse gereicht. Sie erstarrte förmlich, wagte kaum zu atmen. Verschämt schlug sie die Augen nieder.

Dann lachte sie plötzlich nervös auf. „Ich … ich weiß überhaupt nicht, wovon Sie reden.“

Fest hielt er sie im Blick. „Oh doch, das wissen Sie. Diese blauen Flecken auf Ihrem Unterarm – die stammen von Fingern. Jemand muss Sie sehr fest gepackt haben. Wahrscheinlich ein Mann, der Intensität nach zu urteilen. War es vielleicht … Ihr Verlobter?“

Diese Vermutung lag nahe. Vielleicht handelte es sich um einen Fall von häuslicher Gewalt. Reid verspürte eine solche Wut, dass er Mühe hatte, sich zusammenzureißen.

„Theoretisch könnte es natürlich auch sein, dass Sie Kampfsport betreiben oder sich mit Ihren Schwestern um den letzten Ballen Chinaseide gebalgt haben“, sagte er in einem verzweifelten Anflug von bitterem Humor. „Aber das glaube ich nicht. Ich vermute eher, jemand behandelt Sie brutal.“

Tränen traten Juliet in die Augen. Wie gerne hätte er sie jetzt in die Arme geschlossen und getröstet! „Sagen Sie mir, was los ist, Juliet“, forderte er sie leise auf. „Bitte.“

Es war das Wort „bitte“, das alle Dämme brechen ließ. Juliet begann hemmungslos zu schluchzen.

Nachdem sie sich wieder etwas beruhigt hatte, vertraute sie sich ihm an.

„Es stimmt, es war Paul“, gab sie zu. „Ich weiß auch nicht, was in ihn gefahren ist. Er war immer so nett, so besonnen. Aber je näher der Hochzeitstermin rückt, desto mehr scheint er sich zu verändern. Er ist plötzlich so … so unduldsam. Beim kleinsten Anlass fährt er aus der Haut. Und immer wenn wir über die Zukunft reden – über unser berufliches Fortkommen, über unseren zukünftigen Wohnort –, wird er unglaublich wütend.“

„Warum?“

Juliet wischte sich die Tränen aus dem Gesicht. Es schien ihr gutzutun, endlich einmal über ihre Probleme reden zu können. „Er will, dass ich zurück zu ihm nach Connecticut ziehe, sobald wir verheiratet sind“, antwortete sie. „Dabei weiß er doch, dass mein Leben jetzt hier in New York stattfindet. Bei meinen Schwestern, bei unserer Firma. Zuerst war ihm das auch recht – den Eindruck hatte ich jedenfalls.“

Nach einer kurzen Pause sprach sie weiter: „Er hat mir den Heiratsantrag erst gemacht, nachdem ich nach New York gezogen war und unsere Firma gut lief. Er hat sogar gesagt, dass er stolz auf mich wäre und mir wünschte, dass ich mit meinen Handtaschen Erfolg hätte. Und er meinte, dass er überall arbeiten könnte.“

„Was ist er denn von Beruf?“

„Rechtsanwalt. Ich hatte gedacht, er würde sich einen Job bei einer New Yorker Kanzlei suchen und auch hierherziehen.“

Sie holte tief Luft. „Aber dann hat ihm die Kanzlei, bei der er angestellt ist, eine Teilhaberschaft angeboten. Seitdem ist alles anders. Er will immer noch, dass ich seine Frau werde – aber jetzt soll ich so ein Anwaltsweibchen sein. Eine Vorzeigegattin für einen erfolgreichen Mann. Brav an seiner Seite in Connecticut, immer für ihn da. Statt bei Zaccaro Fashions für mich selbst einzustehen, soll ich Dinnerpartys geben und Wohltätigkeitsveranstaltungen organisieren. Das wären alles Sachen, die seine Karriere vorantreiben könnten …“

Typisch. Reid hatte diesen Mann zwar nie kennengelernt, aber er schien ein selbstsüchtiger Mistkerl zu sein.

„Warum lösen Sie die Verlobung dann nicht einfach?“, fragte er.

Juliet blickte zu Boden. „Na ja, ich denke dann immer, es ist nur eine Phase, die er durchläuft. Vielleicht hat er in der Kanzlei grad ungewohnt viel Stress, weil er jetzt Teilhaber ist. Oder vielleicht macht ihn der Gedanke an unsere Hochzeit nervöser, als er zugeben will.“

Nun sah sie Reid tief in die Augen. „Er hat sich früher nie so aufgeführt. Ich kann das beurteilen. Wir kannten uns schon lange, Jahre, bevor wir ein Paar wurden, und er war immer rücksichtsvoll und fürsorglich. Vielleicht durchlebt er nur gerade eine schwierige Zeit. Irgendetwas, von dem ich nichts weiß.“

Nur mit Mühe konnte Reid sich zusammenreißen. „Für Gewalt gibt es keine Entschuldigung“, sagte er angespannt. „Egal wie wütend man ist, egal was man selber gerade durchmacht – so etwas darf einfach nicht passieren.“

Sie schüttelte protestierend den Kopf. Diese Reaktion kannte er schon. Er hatte sie immer wieder erlebt – bei Frauen, die sich von ihren Partnern mehr gefallen ließen, als gut für sie war.

„Er wollte mir ganz bestimmt nicht wehtun“, sagte sie. „Wir hatten nur einen kleinen Streit, und die Sache ist irgendwie eskaliert. Als ihm bewusst wurde, dass er überreagiert hatte, war es sofort vorbei. Ich bin mir ganz sicher, dass so was nie wieder passieren wird.“

Auch diese Erklärungsversuche, diese Entschuldigungen, waren typisch für misshandelte Frauen. Dies hier würde über kurz oder lang in einer Katastrophe enden, jeder neutrale Betrachter konnte es sehen. Aber es war ungeheuer schwer, solch eine Tatsache einer liebenden Frau klarzumachen, die verzweifelt an das Gute in ihrem zukünftigen Ehemann glauben wollte.

„Woher wollen Sie denn wissen, dass so etwas nie wieder passiert?“, fragte Reid und sah sie forschend an. „Wenn es einmal vorgekommen ist, besteht eine hohe Wahrscheinlichkeit, dass es bei diesem einen Mal nicht bleibt.“ Nach kurzem Nachdenken fügte er hinzu: „Möchten Sie vielleicht, dass ich einmal mit ihm rede …?“

Reid malte es sich aus. Das würde ein sehr lebhaftes Gespräch werden! Danach würde dieser Typ es nie mehr wagen, die Hand gegen Juliet oder irgendeine andere Frau zu erheben.

„Nein“, antwortete sie schnell und schüttelte den Kopf. „Vielen Dank, das ist wirklich nicht nötig. Er hat einen Fehler gemacht, einen einmaligen Fehler. Es liegt garantiert am Stress wegen der Hochzeit. Der macht uns noch ganz nervös. Aber alles wird gut.“

Sie nickte bekräftigend, wie um sich selbst von der Wahrheit ihrer Worte zu überzeugen. Reid wusste es zwar besser, aber ihm war klar, dass er mit seiner Meinung nicht zu ihr durchdringen würde. Im Moment jedenfalls nicht.

Das Einzige, was er derzeit tun konnte: sie wissen lassen, dass er im Notfall für sie da war. Dann nämlich, wenn sie endlich erkannte, dass ihr Verlobter mehr Mr Hyde als Dr Jekyll war.

Reid nahm es als gutes Zeichen, dass Juliet sich ihm überhaupt schon ein wenig geöffnet hatte. Höchstwahrscheinlich hatte sie ansonsten niemandem, nicht einmal ihren Schwestern, von Pauls Aggressivität erzählt. Aber er war bereit, ihr zu helfen, mit allen Mitteln, wenn nötig!

„Wo wollen Sie jetzt hin?“, fragte er unvermittelt.

Der plötzliche Themenwechsel überraschte sie. „Nach Hause.“

Reid kniff die Augen zusammen. „Ist Ihr Verlobter da?“

Er hatte die Frage heftig ausgestoßen, beinahe hasserfüllt, und das überraschte Juliet. „Nein“, antwortete sie leise. „Er ist auf dem Rückweg nach Connecticut.“

„Wissen Sie was? Ich bringe Sie nach Hause. Nur um sicherzugehen.“ Er erhob sich von seinem Schreibtisch, ohne auf ihre Antwort zu warten.

„Nein danke, das ist wirklich nicht nötig“, widersprach sie und stand ebenfalls auf.

Nachdem er den Schreibtisch umrundet hatte, ergriff er behutsam ihren Arm. „Bitte. Ich fühle mich einfach wohler, wenn ich weiß, dass Sie heil zu Hause angekommen sind.“

Sie dachte einen Augenblick nach, dann nickte sie. „Na schön, wenn Sie unbedingt wollen …“

Nachdem sie das Büro verlassen hatten, zog Reid die Tür zu und schloss ab. So machte er es immer, wenn er die Büroräume verließ. Zwar hatte er zu seinen Angestellten vollstes Vertrauen, aber in seinem Privatbüro lag jede Menge persönliches und teilweise höchst brisantes Material, und wie hieß es doch so schön: Vorsicht ist besser als Nachsicht.

„Ach, Paula“, sagte er zu seiner Privatsekretärin, als sie an ihrem Schreibtisch vorbeikamen, „nur damit du Bescheid weißt: Ich bin jetzt eine Zeit lang weg. Ich bringe Miss Zaccaro nach Hause.“

Falls Paula das ungewöhnlich fand, ließ sie es sich zumindest nicht anmerken. Sie nickte nur freundlich lächelnd und sagte: „In Ordnung.“

Sie stiegen in den Fahrstuhl ein und fuhren nach unten. Niemand sprach ein Wort. Erst als sie auf dem Weg zum Ausgang die Lobby des Gebäudes durchquerten, fragte Reid: „Sind Sie mit dem Auto gekommen?“

„Nein, mit dem Taxi.“

„Gut, dann nehmen wir meinen Wagen.“

Mit einem Blick auf die Uhr stellte Reid fest, dass es schon fast Mittag war. Vielleicht konnte er zwei Fliegen mit einer Klappe schlagen – essen gehen und gleichzeitig ein bisschen mehr Zeit mit der verführerischen Juliet herausschinden.

„Was halten Sie davon, wenn wir einen Happen essen gehen?“, fragte er, als sie schließlich vor seinem schwarzen Mercedes-Benz SLR McLaren standen. „Ich lade Sie ein.“

Juliet konnte sich gar nicht mehr erinnern, wann sie das letzte Mal chinesisches Essen zum Mitnehmen gehabt hatte. Eine Zeit lang hatten sie und ihre beiden Schwestern sich fast ausschließlich davon ernährt. Damals, als sie fast rund um die Uhr gearbeitet hatten. Es war die Anfangsphase von Zaccaro Fashions gewesen, kurz nachdem Lily den Grundstein für das Unternehmen gelegt hatte. Juliet und Zoe waren gerade erst mit eingestiegen.

Autor

Heidi Betts
Die Liebesaffäre der preisgekrönten Autorin Heidi Betts mit dem Romance-Genre begann schon in der Grundschule, als sie sich in Liebesromane anstatt in ihre Hausaufgaben vertiefte. Es dauerte nicht lange, bis sie den Entschluss fasste, eigene Romane zu schreiben. Ihr erstes Buch wurde vom Dorchester Verlag im Jahr 2000 veröffentlicht, gefolgt...
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