Wilde Leidenschaft einer schottischen Lady

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Sie muss den wertvollen Dolch ihres Clans zurückbekommen! An nichts anderes kann die schöne Schottin Cecelia mehr denken. Doch der zukünftige Richter Alexander Sloane hat ein ähnliches Ziel. Ständig gerät sie mit ihm aneinander! Als plötzlich Gefahr auf den Straßen Londons lauert, muss Cecelia ausgerechnet bei ihm Schutz suchen. Alexanders Nähe bringt ihr Herz zum Rasen und vernebelt ihr die Sinne. Und auch er scheint sie nicht nur als Konkurrentin zu begreifen … Kann daraus mehr erwachsen als nur wilde Leidenschaft?


  • Erscheinungstag 02.12.2023
  • Bandnummer 156
  • ISBN / Artikelnummer 0840230156
  • Seitenanzahl 384

Leseprobe

Gina Conkle

Gina Conkle schreibt sinnliche, in der georgianischen Ära angesiedelte Liebesromane. Ihre erfrischende Art, das Genre des historischen Liebesromans mit originellen Dialogen und erotischem Prickeln zu würzen, macht ihre Bücher so beliebt. Ihre Schriftstellerkarriere begann in Südkalifornien, und trotz des vielen Sonnenscheins begeistert sie sich mehr für Bücher als für den Strand und zieht Steinburgen solchen aus Sand vor.

1. KAPITEL

September 1753

Recht und Unordnung kamen im Gerichtssaal in der Bow Street auf geniale Art und Weise zusammen. Hier spielte sich ein Theater der menschlichen Natur ab, das Händler und alte Mütterchen gleichermaßen anzog. Sie drängten sich auf der Empore und kauten Klatschgeschichten durch, als wären es Süßigkeiten. Das Gericht war ihr Zirkus und die Angeklagten die Artisten. Alle zusammen bildeten einen bunt zusammengewürfelten Menschenhaufen.

Abgesehen von ihr. Der gescheiten Blondine.

Sie schmückte die Empore mit Seide und Sinnlichkeit. Eine Frau, die von niemandem begleitet wurde und ihre Lippen in einem herausfordernden Rotton geschminkt trug. Ihr verhaltenes Lächeln war hohe Kunst und ihre Klugheit eine Sonate. Sie verstand jedes einzelne Wortspiel des Amtsrichters, sofern ihr melodisches Lachen als Beweis gelten durfte. Mr. Fielding war im Grunde seines Herzens Schriftsteller. Wofür waren die sonst gut, von geistreichen Bemerkungen abgesehen? Allerdings musste man bei der Sache bleiben, um alle zu verstehen. Die Zuschauer im Gerichtssaal kratzten sich angesichts von Fieldings zackigen Bemerkungen manchmal ratlos am Kopf. Die Blondine nicht. Sie machte sich Notizen, eine interessante Angewohnheit. Und er, Alexander Sloane, Sekretär des Sekretärs des Duke of Newcastle (was für ein ausufernder Titel!), nahm Notiz von ihr.

Die elegante Frau machte seine Aufgabe – einem plötzlichen Geldfluss in die Bow Street auf den Grund zu gehen – weniger trostlos.

Fielding hielt ihn für ein Ärgernis; die Streifenbeamten für einen Spion.

Er war beides.

In einer solchen Funktion machte man sich nicht gerade beliebt.

Er brach auf, nachdem das Gerichtsverfahren beendet war, um sich in sein Zimmer im Gasthaus White Hart in der King Street zurückzuziehen und sich dort seiner zweiten Aufgabe zu widmen – dem Studium geheimnisvoller Unterlagen der Jakobiten. Er wollte sich ein Abendessen und ein Bier gönnen, während er zur Unterhaltung verwischte Auflistungen und verschlüsselte Eintragungen zu entschlüsseln versuchte. Mit beiden Aufgaben war er einen oder zwei Monate lang beschäftigt, je nachdem, was dem Herzog als Nächstes in den Sinn kam. Da er direkt an Seine Gnaden berichtete, durfte er sich keine Fehler erlauben.

Er genoss die Herausforderung, während er durch die Korridore im Gericht in der Bow Street lief. Genauigkeit lag ihm im Blut. Die Welt, wie sie war, war immer kompliziert, aber in Zahlen fand man die Wahrheit in ihrer reinsten Form, und sie zu ordnen war ihm eine ungetrübte Freude.

Ehe er sich auf den Weg in die Bow Street gemacht hatte, hatte ihm der Herzog die Unterlagen der Jakobiten übergeben. „Sorgen Sie hier für Ordnung, Mr. Sloane, dann können wir über Ihre Ernennung sprechen.“

Das Schatzkammergericht. Richter an einem Finanzgericht zu sein, und zwar als Baron Sloane.

Diese Stellung machte aus ihm kein Mitglied des Hochadels, aber der jahrhundertealte Ehrentitel beschleunigte seinen Schritt, als er jetzt durch einen der Öffentlichkeit verschlossenen Eingang ein Reich aus Leder und Talglichtern betrat. Fieldings Büro. Das Register der Bow Street wartete neben einer Wachslache auf dem Schreibtisch auf den Richter. Auf dem Buch lag eine zusammengefaltete Ausgabe des Covent-Garden Journal.

Er schob das Buch vom Schreibtisch, ging mit langen Schritten zurück zur Tür und streckte die Hand nach der Klinke aus.

„Mr. Sloane. Nach Ihnen habe ich gesucht.“

Alexander ließ die Hand sinken, drehte sich um wartete gespannt, wie es sich für den Diener eines Herzogs gehörte. Die Augen des Richters funkelten kritisch prüfend. Fielding schloss die Haupttür, sodass der Lärm verstummte, den das Publikum draußen vor der Tür machte.

Die Stille … sie hatte etwas Grauenvolles.

Fielding wollte ihn sonst nie unter vier Augen sprechen.

„Womit darf ich Ihnen behilflich sein?“

Der Richter humpelte mit seinen von der Gicht angegriffenen Füßen an ihm vorbei. „Ich habe eine Aufgabe für Sie.“

„Eine weitere Liste von Aufwendungen?“

„Nein, Sie müssen eine Frau verfolgen.“

„Eine Frau?“

„Ja, so ein Wesen in Röcken. Zwei Arme, zwei Beine, zwei Brüste. Normalerweise hält man sie für das zarte Geschlecht.“

„Das ist mir bekannt“, sagte Alexander trocken.

Der Richter ließ sich auf seinem Stuhl nieder. Dabei bauschte sich seine schwarze Robe um ihn auf. „Die Aufgabe ist ganz einfach. Halten Sie Abstand, führen Sie täglich ein genaues Protokoll darüber, wo die Dame sich aufhält, und teilen Sie mir persönlich mit, was Sie herausgefunden haben.“ Fieldings Blick ging durch ihn hindurch wie eine Klinge. „Aber es darf niemand etwas davon erfahren.“

Nicht einmal der Herzog. Diese Mahnung schwang in seinen Worten mit und hing wie ein glänzendes Schwert über Alexanders Kopf. Er spürte eiskalt, dass er so oder so verraten und verkauft war.

Er drückte das Register mit dem Arm fester an seinen Körper. „Ich nehme an, bei der fraglichen Dame handelt es sich nicht um eine gewöhnliche Londoner Verbrecherin.“

„Sie ist weder gewöhnlich noch eine Verbrecherin. Sie ist allerdings als Sympathisantin der Jakobiten bekannt.“

„Ein skurriler Haufen.“

Er musste an die Unterlangen der Jakobiten mit ihren abstrusen Codenamen denken. Lady Rosa war einer, Lord Blau ein anderer. Der Aufstand von 45 war vor sieben Jahren zu Ende gegangen. Alle Rebellen, die den Krieg überlebt hatten, waren erschossen oder gehängt worden, sofern sie nicht geflohen waren. Nur die unverfrorensten – oder dümmsten – von ihnen würden in London Ärger machen. Aber er war so oder so nicht der Richtige, um sie aufzuspüren.

„Ihr Vertrauen ehrt mich, Sir, aber ich bin kein Ermittlungsbeamter.“

„Deswegen sind Sie ja genau der Richtige für diese Aufgabe.“ Fielding wühlte in seinen Akten. „Miss MacDonald kennt sie alle … wahrscheinlich besser als deren Mütter“, murmelte er mit krächzender Stimme. Um seine Gesundheit stand es nicht gerade gut.

Der Richter glich eher einer alternden Krähe als einem Mann. Krähen waren eiskalte Kreaturen, ebenso gerissen wie zerstörerisch. Sie sammelten alles ein, was glitzerte, um ihr Revier zu markieren und um von sich abzulenken. Vielleicht wollte Fielding ihn deswegen nicht um sich haben. Die Bow Street war von Korruption durchzogen, was der zweite Grund war, weshalb er hier war. Seit Neuestem hieß es, der Richter schreibe Artikel unter einem Pseudonym, um einen Meinungskrieg zwischen dem Covent-Garden Journal und anderen Zeitungen anzuzetteln, der dabei helfen sollte, seine Bücher besser zu verkaufen.

Das war zwar nicht ungesetzlich, aber auch nicht gerade anständig.

„Sir, meine Aufgabe hier ist es, Ihre Verwendung der Mittel der Krone zu überwachen.“

„Für Recht und Ordnung, Mr. Sloane.“ Fielding war laut geworden vor rechtschaffener Empörung. „Und es ist immer das Beste für die Gerechtigkeit, wenn man ihr selbst zur Geltung verhilft.“

Alexander marschierte auf den Schreibtisch zu. „Ich muss energisch widersprechen. Ich diene –“

„Widersprechen Sie, so viel Sie wollen, aber stellen Sie sich einmal vor, wie zufrieden Seine Gnaden sein wird, wenn ich ihm erzähle, was für gute Arbeit Sie für die Krone geleistet haben.“ Fielding schlug einen Aktendeckel auf und blätterte in den Seiten herum. „Vielleicht verkürzt das den Weg bis zu Ihrer nächsten Stellung.“

Richter am Schatzkammergericht. Wut flammte in ihm auf angesichts der Klemme, in der er sich befand und der Krähe in der schwarzen Robe, die ihn dort festhielt.

„Das ist Erpressung.“

„Es geht darum, eine Frau zu beobachten. Wie schwer kann das schon sein?“

„Ich habe etwas gegen Ihre Methoden.“

Fielding wirkte ungerührt, um seine Augen bildeten sich ebenso viele Falten wie in seiner Robe. Wahrscheinlich sah seine Seele genauso aus. Auf seinem Tisch herrschte ein Durcheinander aus Registern, Akten bekannter Verbrecher und Verdächtiger. Der Makel, der der letzteren Gruppe anhaftete, war ein wunder Punkt für Alexander. Reines Hörensagen reichte aus, damit ein Mensch in diesen Büchern landete. Wenn ein Name einmal dort stand, wurden gnadenlos und akribisch Informationen zusammengetragen, um die Schuld dieses Menschen zu untermauern. Die Regale waren mit Akten vollgestopft, und in allen befanden sich hastige Skizzen neben Listen von Gewohnheiten, besonderen Merkmalen und bekannten Mittätern.

Fielding schob ihm eine dieser Akten zu.

„Erstatten Sie mir einmal wöchentlich Bericht über ihre Aktivitäten, und wenn es an der Zeit ist, berichte ich dem Herzog von Ihrer ausgezeichneten Arbeit.“

Alexander erwiderte den eiskalten Blick des Richters. „Und wonach soll ich suchen? Wenn die Frau keine Verbrecherin ist, warum hat sie dann eine Akte bei Ihnen?“

„Ach ja, meine Akten.“ Fielding griff nach einer Feder und sagte dann schnell: „Dass Sie etwas gegen meine Methoden haben, ist ja jetzt geklärt. Falls sich meine Annahmen hinsichtlich dieser Frau unbegründet sein sollten, ist das hier gleichzeitig die Chance für Sie, zu beweisen, dass ich falschliege.“

Die Falle war wirklich sauber gestellt.

Alexander senkte den Blick auf die Akte und trommelte dabei mit den Fingern auf dem Registerbuch herum. Feine Gesichtszüge sahen ihm von der aufgeschlagenen Seite entgegen. Die kluge Blondine. Ihr Name war Miss Cecelia MacDonald. Der Zeichner hatte sie gut getroffen. Eine pfeilgerade Nase mit zarten Nüstern, funkelnde Augen und ein neckischer Blick. Sie war ein Farbklecks in einer grauen Stadt, ein Abenteuer, das auf ihn wartete. Weiter unten war ihr Dekolleté mit den kleinen Brüsten zu sehen. Sein Blick blieb an dieser faszinierenden Einbuchtung hängen, während er überlegte, was der Zeichner wohl weggelassen hatte.

„Ich wüsste nicht, was ich mit dieser Frau anfangen soll“, seufzte Alexander. Du lieber Gott, sein Geist hatte ihn verlassen. „Oder anders. Ich weiß, was ich mit einer Frau anfangen soll. Aber das …“, er zeigte mit einer weitschweifigen Geste auf das Blatt „... ist eine heikle Angelegenheit.“

„An Miss MacDonald ist überhaupt nichts heikel. Sie ist eine Frau von zweifelhaftem Ruf.“

„Zweifelhaft?“

„Eine Frau, die, wie ich erfahren habe, jeden Mann für sich einnimmt, den sie möchte, aber unter dem Deckmantel der Tugendhaftigkeit, und deswegen genau das ist, von dem jeder weiß, dass sie es ist, was sie aber niemand nennt.“

„Es gibt kein Gesetz gegen zweifelhafte Tugend.“

„Ordnung ist die Basis jeder guten Gesellschaft, und Zweideutigkeiten sind ein Instrument des Teufels.“ Fielding tauchte seine Feder mit einem entschiedenen Klicken ins Tintenfass. „Das sollten Sie lieber nicht vergessen.“

Alexander berührte die skurrile Zeichnung mit den Fingern, Schwindel kroch ihm in die Knochen. In London gab es eine dünne Schicht von Vertreterinnen des schönen Geschlechts, die sich nicht den Regeln der Sittsamkeit unterwerfen wollten. Frauen, die keine Rücksicht auf ihre Familie nehmen mussten. Frauen, die mehr Fragen als Antworten hinterließen, was sie zu einer Provokation machte, und in der Bow Street hielt man Miss MacDonald für eine von ihnen.

Eine Frau mit gewissen Freiheiten.

Vor dem Fenster des Richters wippten bunte Hauben und gestärkte Dreispitze auf und ab. Mäntel wurden im kühlen Septemberwind zusammengerafft, und darüber sah man lächelnde Gesichter. Einige von ihnen waren auf dem Weg zu Heim und Herd, während andere auf der Suche nach den ausschweifenden Vergnügungen von Covent Garden waren. Alexander war ein ehrgeiziger Mensch und hatte mit seinen neunundzwanzig Jahren schon viel erreicht; er würde noch einiges mehr erreichen, ehe er die Bow Street schließlich verließ. Er ließ sich keine Zeit für fragwürdige Vergnügungen.

„Da ist sie“, sagte Fielding. „Ihr Jagdobjekt.“

Alexander wurde nicht von Pflichtgefühl getrieben, sondern von der Versuchung.

Kühle Luft strömte herein, als seine Haut die Scheibe berührte. Das Fenster war eine dünne Barriere zwischen ihm und dem Schauspiel des Lebens auf der Straße. Miss MacDonald glitzerte wie ein Diamant im Staub. Ihr einnehmendes Lächeln war ein Geschenk für zwei Männer, die ihr auf dem Fuße folgten. Nach ihren Schuhen und Mänteln zu urteilen waren sie Händler. Wie interessant ihre Welt war. Schönheit und Charme prägten ihre Visitenkarte.

Was schadete es schon, ihr eine Weile zu folgen?

Hinter ihm spiegelte sich eine wässrige Version von Fielding in der Fensterscheibe, den Kopf mit der Perücke vorgebeugt und mit einer Feder in der Hand, die mit wütender Eile über das Papier kratzte.

„Mr. Sloane …“

„Ja?“

„Ich möchte Sie erst am nächsten Mittwoch wieder hier in meinen Diensträumen sehen.“ Die Feder kratzte weiter. „Und wenn es so weit ist, sollten Sie etwas interessantes zu berichten haben.“

Alexander sah sein eigenes grimmiges Lächeln in der Scheibe. Fielding hatte ihn sauber in die Ecke gedrängt. Er konnte dem Richter seine Bitte nicht abschlagen, aber wenn er sein Blatt richtig spielte, konnte es gut für ihn ausgehen. Sehr gut.

Draußen lachte Miss MacDonald, und der leise Klang rief nach ihm.

Er konnte eine Woche lang Ermittlungen über sie anstellen. Auf die Jagd nach ihr gehen.

Die Haare an seinen Armen richteten sich auf. Das war ... animalisch. Er war der Jäger und sie seine Beute.

„Lassen Sie das Registerbuch hier“, brummte Fielding. „Das brauchen Sie nicht.“

Alexander hielt den Blick immer noch auf die Welt vor dem Fenster gerichtet, während das Register irgendwie auf dem Tisch landete. Seine bezaubernde Beute setzte ihre Kapuze auf, eine sanfte Zurückweisung ihres männlichen Publikums.

Erregung brannte in seinen Adern. Die Jagd hatte begonnen.

2. KAPITEL

Fletchers Geschäft für Korsetts und Miederwaren war ein Tempel weiblicher Sinnlichkeit. Die Wände waren rot und weiß gestreift, die weißen Regale fein angeschlagen, und ehrfürchtige Kundinnen waren in einer Wolke von Rosenwasserduft auf der Suche nach göttlicher Unterwäsche. Frauen mit bescheidenen Mitteln kamen täglich in das Geschäft und gaben ihr schwerverdientes Silbergeld für Fletchers Kreationen aus.

Cecelia zwirbelte ein hübsches rosafarbenes Band, mit dem ein rabenschwarzes Mieder geschnürt wurde.

Ein Hauch von Weiblichkeit, dieses Band. Es verwandelte das Kleidungsstück vollkommen.

Schlichte Mieder aus Leinen waren groß in Mode, die Uniform von Hausmädchen, alten Damen, Händler- und Schneiderfrauen, Haushälterinnen und so weiter. Es war eine Farce, an der die Schwestern Fletcher, Mary und Margaret, dringend etwas ändern wollten.

Huren trugen leuchtende Mieder, und Damen der höchsten gesellschaftlichen Kreise trugen bunte Korsetts – was hatte das zu bedeuten?

Cecelia lächelte spöttisch. Eine Frage, die ein andermal beantwortet werden musste.

Sie suchte sich einen Platz am Schaufenster. Auf einer Seite der Auslage waren Mieder in allen Regenbogenfarben ausgebreitet, flankiert von passenden Strümpfen auf der anderen Seite. Sie nahm ein zinnoberrotes Mieder in die Hand.

„Cecelia.“ Mary Fletcher kam auf sie zu und streckte die Arme aus, um sie zu begrüßen.

„Nicht.“ Sie machte einen förmlichen Knicks.

Mary hob fragend die Augenbrauen und tat es ihr gleich. „Warum knicksen wir?“

„Weil ich verfolgt werde.“

Mary hatte sofort verstanden. Sie war eine anmutige Schönheit von neunundzwanzig Jahren, und ihre intelligenten grauen Augen passten sich an das doppelte Spiel an wie die Augen von Katzen an die Dunkelheit. Sie verschränkte sittsam die Hände und spielte die aufmerksame Ladeninhaberin. Sie ließ Cecelia nur für den Bruchteil einer Sekunde aus den Augen, um auf die Straße vor dem Schaufenster hinauszusehen.

„Der Mann auf der anderen Straßenseite“, sagte Mary.

„Woher willst du das wissen?“

„Weil sich kein Mann so sehr für einen Kerzengießer interessiert.“

Cecelia kicherte, während sie eine Naht betrachtete. „Sehr aufmerksam, nicht wahr? Man könnte meinen, dass er in diesem Fenster auf der Jagd nach dem heiligen Gral ist.“

„Nur dass er dich jagt.“

Ihr Magen bebte. Mary sprach ihre Warnung in einem gehobenen Edinburgher Akzent aus, bei dem jedes Wort im Rachen noch einmal umgedreht zu werden schien. Ihr Akzent war weich wie Whisky, während Cecelia sich Mühe gab, ihren eigenen loszuwerden. Ein Edinburgher Zungenschlag hatte nicht dieselbe Wirkung wie der von den Äußeren Hebriden. Von den Äußeren Hebriden kamen mehr Aufständische als aus Edinburgh. Mary hatte andere Ansichten. Sie hatte den Aufstand unterstützt, und in den Jahren seit der Kapitulation war die Frau auf Pflichterfüllung und harte Arbeit aus wie andere auf Wein und Ausschweifungen. Aber sie hatte nicht unrecht. Das hier war eine ernste Sache. Cecelia war nicht bei der Sache gewesen, ihre Gedanken waren ziellos umhergewandert, die ganze Droschkenfahrt von der Bow Street hier herüber. Sie hatte nicht einmal gewusst, wo sie war, als der Kutscher vor Marys Geschäft in der White Cross Street angehalten hatte.

Das Mieder hing in ihren Händen herab. „Ich stehe heute ein wenig neben mir.“

„Das tust du schon, seitdem Anne nach Schottland gefahren ist.“

Anne, Anne, Anne. Die Frau besaß die Kraft und die Vernunft, die sie zur Hüterin ihrer noch in den Kinderschuhen steckenden Gemeinschaft machten, und war ihre liebste Freundin. In den zwei Wochen seit Annes Abreise war Cecelia zur faktischen Anführerin ihrer Gemeinschaft geworden, was sie einengte wie ein schlecht sitzender Schuh. Sie war zwar ein geselliges Wesen, aber sie folgte oft ihren persönlichen Vorstellungen, um ihren eigenen, unverwechselbaren Weg gehen zu können.

„Ich weiß etwas, das dir wieder Farbe ins Gesicht zaubert“, sagte Mary. „Es gibt Neuigkeiten vom sgian dubh.“

Sie war sofort hellwach. „Was für Neuigkeiten?“

Der sgian dubh, der überlieferte zeremonielle Dolch der MacDonalds von Clanranald, war verloren gegangen, nachdem Cumberlands Männer das Haus des Clanchiefs in Arisaig geplündert hatten. Das war nach der Kapitulation im Frühling 46 passiert. Der Überlieferung nach war das Messer ein Geschenk der Römer an einen Krieger der MacDonalds gewesen. Jahrhundertelang hatten die Chiefs von Clanranald ihn auf den jährlichen Zusammenkünften des Clans benutzt. Er war mehr ein Andenken als eine Waffe, aber ein Symbol ihres Stolzes. Den sgian dubh wiederzufinden war eigentlich sogar der Hauptgrund für ihre Reise nach London gewesen.

Mary machte sich an der Auslage im Schaufenster zu schaffen. „Wo er liegt, wird in einem Schriftstück erklärt, dass ich dir geben –“

„Ein Schriftstück?“, zischte sie. „Was denkst du dir denn?“

Die Glocke über der Ladentür läutete. Eine ältere Dame kam herein. Sie riss vor Freude die Augen auf, als sie die farbenfrohe Auslage sah. „Guten Tag Miss Fletcher. Was für wunderschöne Farben. Ich habe das alles schon von der anderen Straßenseite aus gesehen und musste sie mir einfach aus der Nähe ansehen.“

„Vielen Dank, Mrs. Rimsby.“

Mrs. Rimsby zwängte sich zwischen Mary und Cecelia. „Sie haben noch eine Stunde lang geöffnet, nicht wahr?“

„Für Sie bleibt mein Geschäft so lange geöffnet, wie es nötig ist, Mrs. Rimsby“, sagte Mary.

Cecelia sah wütend den Rücken der Frau an.

Die Matrone berührte die Mieder mit ihren fleischigen Fingern. „So extravagante Farben. Und absolut erschwinglich.“

Cecelia hob sie alle auf. „Warum gehen Sie nicht in die Umkleidekabine und probieren sie an?“

„Aber das sind Ausstellungsstücke“, prustete Mrs. Rimsby.

„Dann halten Sie sie eben an und überlegen sich, welche Farbe Mr. Rimsby gefallen würde.“ Cecelia drückte Mrs. Rimsby die Mieder in die Hand und zwinkerte ihr zu. „Am besten überlegen Sie sich, welche Farbe Ihnen zusagt. Es gibt nichts besseres für das eheliche Feuer als eine glückliche Frau.“

Und nichts schlug anständige Damen schneller in die Flucht als die Andeutung sexueller Vereinigung.

Mrs. Rimsby sah sie mit offenem Mund an, während Mary sie durch den Laden führte und beruhigend sagte: „Meine Schwester zeigt Ihnen die Umkleidekabine. Sie wird Ihnen den Spiegel halten und dann können Sie sich ganz in Ruhe überlegen, welche Farbe Ihnen am besten steht.“

Cecelia war fuchsteufelswild. Ein Schriftstück!

Sie waren sich alle einig gewesen – keine belastenden Papiere, nicht, das eine Spur bildete, die zu ihnen führen konnte. Nicht nachdem sie der Countess of Denton im letzten Monat jakobitisches Gold gestohlen hatten. Cecelias Liga schottischer Frauen hatte sich nach der Kapitulation von 46 zusammengefunden, um unauffällig das Gold und den sgian dubh zu finden und zurückzuholen, die ihrem Clan gestohlen worden waren.

Die Countess of Denton hingegen sah die Sache ganz anders.

Die boshafte Frau konnte das Verbrechen nicht anzeigen; die Krone war nämlich ebenfalls hinter dem verlorenen Schatz der Jakobiten her. Aber das hielt sie nicht davon ab, ihren Männern zu befehlen, Annes Haus zu plündern (das leer gewesen war) und Annes Lagerhaus niederzubrennen (das nicht leer gewesen war). Der größte Teil der Liga hatte es nur wenige Stunden vorher um Haaresbreite geschafft, London zu verlassen. Nachdem die Frauen in die Stadt zurückgekehrt waren, mussten sie noch vorsichtiger sein als vorher.

Und heute wurde Cecelia von einem Mann verfolgt.

Allerdings konnte es viele Gründe dafür geben, dass ein Mann ihr folgte.

Sie streckte die Hand nach den smaragdgrünen Strümpfen aus und hielt sie ins Licht, das durchs Schaufenster fiel. Er war immer noch da, stand im Schatten der Markise vor der Kerzengießerei und hatte den Dreispitz tief ins Gesicht gezogen. Das Vorderteil seines Huts war langgezogen – der Hut eines Jägers. Wie passend. Ihr Jäger trug einen flaschengrünen Rock mit Messingknöpfen und schlichten, breiten Manschetten. Seine breiten Lederschuhe waren unauffällig. Die polierten Knöpfe allerdings nicht. Ihr Verfolger hatte Geld.

Was ihn schwer einzuordnen machte. Nichts an ihm wies ihn als Verbrecher aus.

Allerdings auch nichts als Verehrer. Er war ein echtes Rätsel, der Mann in grün.

Sie legte die smaragdgrünen Strümpfe wieder hin und nahm stattdessen ein hellgelbes Paar in die Hand. Als sie sie entrollte, sah sie, wie der Hut auf der anderen Straßenseite ein Stückchen angehoben wurde.

„Du magst also blasse Farben, ja?“

„Führst du Selbstgespräche?“ Mary schob sich neben sie und fing an, die Auslage neu zu ordnen.

„Ich stecke einen Köder an meinen Haken.“

„Der Mann, der dich verfolgt, ist kein Fisch.“

„Mit so anziehenden Waden hoffentlich nicht.“ Sie ließ die gelben Strümpfe sinken.

„Du bist unverbesserlich“, sagte Mary mit rollenden R.

„Und du, Liebes, hilfst mir dabei, herauszufinden, welche Farbe mein Freund auf der anderen Straßenseite bevorzugt –“ Sie streichelte ein dekadent rosafarbenes Paar Strümpfe. „Währenddessen kannst du mir vom sgian dubh und den Schriftstücken erzählen, die nichts in deinem Geschäft verloren haben.“

„Schriftstücke, die wir annehmen mussten, wenn wir unsere Mission erfolgreich zu Ende bringen wollen.“ Marys Stimme klang eisenhart, als sie ein weißes Paar Strümpfe aus dem Stapel hervorzog. „Probier’s mal mit denen.“

Sie nahm sie, aber der Dreispitz senkte sich. Ihr geheimnisvoller Jäger holte einen Bleistift und ein Notizbuch hervor und schlug es auf. Seine Spitzenmanschetten wippten an den Gelenken seiner langfingrigen, männlichen Hände. Ihr Blick blieb an ihnen hängen.

Waren seine Berührungen weich? Oder fest?

„Die weißen interessieren ihn nicht“, sagte sie.

„Versuch es mal mit den scharlachroten … Man sollte mich allerdings auspeitschen, weil ich bei deinem Spiel mitmache.“

„Passen sie zu meinen Lippen?“ Sie lächelte und hielt die Strümpfe an ihre Wange.

„Allerdings.“ Mary faltete sittsam die Hände. „Deine kokette Vorstellung hat seine Aufmerksamkeit erregt.“

Auf der anderen Straßenseite wurde der Bleistift ganz still gehalten. Der Kopf ihres Jägers hob sich kaum merklich, aber dann wurde ihr die Sicht von zwei vorbeifahrenden Droschken versperrt.

Cecelia schlüpfte mit der Hand in einen Strumpf und betrachtete das Gewebe. „Erzähl mir, was du herausgefunden hast.“

Mary hielt den Blick wieder auf die Auslage gerichtet, ihr Gesicht war die beflissene Maske einer Ladeninhaberin. Seitdem sie in die Stadt gekommen waren, war die Täuschung eine Kunstform geworden, die sie im Dienste ihres Doppellebens vervollkommnet hatten.

„Einer von Cumberlands Männern hat den sgian dubh an Sir Hans Sloane verkauft“, sagte Mary mit leiser Stimme.

„Der Arzt und Sammler, der letzten Januar gestorben ist?“

„Genau der. Offensichtlich ist der sgian dubh in seinem Haus in Bloomsbury aufbewahrt worden. Er hat die ganze Zeit in einer Kiste gelegen.“

Sie schnaubte ungläubig. „Der erklärt, warum niemand wusste, wo er geblieben war.“

„Er hat alles der Krone hinterlassen, damit es in ein öffentliches Museum kommt. Das stand in der Zeitung.“

„Damit ist Clanranalds sgian dubh zu einer Kuriosität geworden, die von allen beglotzt werden kann.“

„Eine von achtzigtausend Kuriositäten, soweit ich verstanden habe. Man kann nicht einmal alles ausstellen, wenn man zwei Häuser gleichzeitig benutzt.“ Marys Stimme nahm einen höheren Tonfall an. „Kannst du dir das vorstellen?“

Sie riss sich den Strumpf vom Arm. „Wie soll ich in dieser Masse einen einzelnen Dolch finden?“

Mary lächelte zurückhaltend. „Du schleichst dich in das Haus des verstorbenen Herrn Doktor und gehst eine Kiste nach der anderen durch?“

„Wer ist hier unverbesserlich?“

Mary nahm indigoblaue Strümpfe in die Hand.

„Die nicht“, sagte Cecelia. „Die himmelblauen, wenn du nichts dagegen hast.“

Mary wühlte in dem Stapel herum. „Margaret ist irgendwie an die Inventarlisten und das Protokoll von der letzten Sitzung der Museumskuratoren herangekommen.“

„Besticht die süße Margaret etwa Beamte?“

„Sie freundet sich mit ihnen an. Dazu braucht sie keine Bestechung.“

Vor dem Fenster gingen Menschen vorbei, die Einkäufe machten. Die Nachtwache war auf ihrem Rundgang die White Cross Street entlang und zündete die Laternen an. Ihr Jäger hatte das Schaufenster des Kerzengießers verlassen und lehnte jetzt mit verschränkten Armen an einem Laternenpfahl, während er mit der Nachtwache plauderte. Sein Hut saß noch immer tief vor seinem Gesicht.

Aufregung blubberte in ihr. Er hatte ihren Köder geschluckt und seinen eigenen ausgeworfen.

Seinen vollen Anblick. Groß, schlank, selbstbewusst. Seine Körperhaltung war eine Botschaft: Ich beobachte, wie Sie mich beobachten.

Sie lächelte. Ihr Jäger wusste, wie man jemanden anstacheln konnte.

Wie aufregend – ein intelligenter Gegner. Besser als ein stämmiger Hafenarbeiter, der keinen geraden Satz herausbekam. Aber sie würde ihrem Jäger ins Gesicht sehen müssen, um herauszufinden, was er vorhatte. Das Böse konzentrierte sich im Blick.

Mary stand neben ihr und rollte Strümpfe zusammen. „Lies sie dir durch, einverstanden?“

„Was durchlesen?“

„Das Sitzungsprotokoll und die Inventarlisten.“ Marys Stimme war voll strenger Geduld.

Cecelia richtete den Blick zögernd auf die strahlend blauen Strümpfe, die sie in die Hand gedrückt bekam. Sie nahm sie, und Wolle umschmeichelte ihre Finger.

„Es sind über vierzig Kuratoren dabei gewesen“, sagte Mary. „Alle hatten so viel dazu zu sagen, was mit der Hinterlassenschaft des Herrn Doktor passieren soll, dass man damit ganze Bücher füllen könnte.“

„Eine fesselnde Lektüre, ganz bestimmt.“

Ihr Blick wanderte zu den grünen Ärmeln hinüber, die sich an muskulöse Arme schmiegten. Sie sah hinab auf seine kräftigen Schenkel. Ein schöner Anblick, aber London war voll von gut gebauten Männern. Das dort war nichts Besonderes und dennoch … sein überschatteter Blick war durchdringend. Eine ruhige Selbstgewissheit bei ihrem Jäger. Er war ein Mann, der sich auf die Kunst der Zwischentöne verstand.

Ein federleichtes Gespür für seine Gegenwart kitzelte sie.

„Cecelia.“ Marys Stimme durchschnitt ihre Benommenheit.

Langsam kam sie wieder zu sich, die Sorge in Marys Gesicht irritierte sie.

„Einer der Kuratoren ist der Earl of Swynford, der Bruder der Countess of Denton.“

„Eine mächtige Familie, die ihre Finger überall im Spiel hat. Das hat nichts zu bedeuten.“

„Oder es hat alles zu bedeuten.“ Mary rollte die Strümpfe mit hastigen Bewegungen wieder auf. „Ich kann mich doch darauf verlassen, dass du bei der Sache bist, wenn du dir die Unterlagen ansiehst?“

„Aber natürlich.“ Vage und pflichtgemäß, das war genug.

Was fast niemand über Aufstände wusste: Sie erforderten vorsichtige Mühe und die war nicht immer von Erfolg gekrönt. Anne hätte sich voller Begeisterung den Schriftstücken gewidmet, um detaillierte Informationen zu sammeln. Cecelia hingegen konnte sich hundert andere Dinge vorstellen, mit denen sie ihren Abend lieber verbracht hätte.

Marys Blick wurde weicher. „Ich weiß, dass das ohne Anne nicht einfach ist, aber wir brauchen dich. Du kennst die Stadt von uns allen am besten.“

Und genau da lag das Problem. Es war leicht, sich in London auszukennen. Eine selbstlose Anführerin zu sein aber nicht. Dafür brauchte man einen weiteren Blickwinkel und Rücksicht auf andere. Aber die Notwendigkeit war eine strenge Lehrmeisterin – eine typische Bemerkung von Anne, bei dem sie vor Rührung lächeln musste.

„Machst du dir keine Sorgen wegen …“ Mary führte den Satz nicht zu Ende und zeigte stattdessen mit einem Kopfnicken auf den Mann auf der anderen Straßenseite.

„Meinen Jäger? Nein.“ Cecelia entrollte Strümpfe, die so blau waren wie ein Vogelei. „Oder vielleicht ist er ein Fisch, der gefangen werden will.“

Er stieß sich von dem Laternenpfahl ab und sein Hut rutschte dabei nach oben.

Sie öffnete die Lippen vom berauschenden Effekt drängenden Interesses. Sie ließ alle Vorsicht fallen und sah ihn offen an. Seine Augen waren kaum zu erkennen, aber es war leicht, ihre Wärme und Neugier zu spüren. Ein Mann, der von Nahem betrachten wollte. Sie nahm was sie bekommen konnte – einen Blick auf seine Nasenspitze, einen geraden Mund und ein Nachmittagsschatten an seinem Kinn.

Vielversprechende Eigenschaften.

Sie ließ die Strümpfe fallen und beugte sich vor, um sie aufzuheben. Ihr kaum vorhandenes Dekolleté spiegelte sich in der Fensterscheibe. Zwischen ihre mageren Brüsten hatte sie ein Medaillon gesteckt. Sie berührte das Band, an dem es hing, und fuhr mit dem Finger die schwarze Seide entlang von ihrem Hals zu ihrem Mieder.

Ihr Beobachter verzog den Mund zu einem schiefen Lächeln. Staubkörnchen tanzten wie verzaubert im Abendlicht. Einlullend, verschwiegen. Auf der anderen Straßenseite hob ihr Jäger langsam die Finger und legte sie an seine Hutkrempe.

Sie atmete erstaunt aus, sodass die Scheibe beschlug.

Er grüßte ihr Dekolleté!

„Ein Gentleman, der gerne flirtet“, sagte sie tonlos.

Wie köstlich.

In ihren Gliedern glühte es vor Begeisterung. Sie ließ eine Hand an ihrem Stecker hinabgleiten, dessen weiche Seide sich sinnlich anfühlte, als sie ihn berührte – bis eine Droschke vor den Laden gerollt kam. Dieselbe Droschke, die sie vor Fletchers Geschäft für Korsetts und Miederwaren abgesetzt hatte, war zurückgekommen, um sie vor Sonnenuntergang abzuholen. Der Kutscher entdeckte sie im Schaufenster und tippte sich an den Hut.

Sie richtete sich auf. „Mr. Munro ist da. Ich muss gehen.“

„Vergiss unser Treffen nicht, morgen am späten Vormittag.“

„Als ob ich das vergessen könnte. Ich nehme diese hier.“ Sie gab Mary die himmelblauen Strümpfe und schnappte sich außerdem noch das zinnoberrote Paar. „Die hier auch. Und passende Mieder. In Seide, falls du so etwas hast.“

Die Ausstellungsstücke im Laden würden ihr mit Leichtigkeit passen.

„Und die Strumpfhalter, möchtest du die in derselben Farbe haben?“, fragte Mary. „Oder lieber ein Kontrastton?“

Sie wedelte mit der Hand. „Such du für mich aus.“

Mary entfernte sich mit hurtig klappernden Absätzen. Sie würde mit einem Päckchen wiederkommen, das in braunes Papier eingewickelt und mit Zwirn verschnürt war. Für die Kunden in der White Cross Street gab es keine eleganten Schachteln. Aber zwischen den Miedern und Strümpfen würde Mary Fletcher einen Stapel Unterlagen verstauen.

Cecelia zupfte ihre Handschuhe zurecht und rief sich selbst zur Vernunft. Vor ihr lag eine Nacht, in der sie Inventarlisten und Sitzungsprotokolle durchgehen musste. In diesen Schriftstücken konnte sie dann hoffentlich Gelegenheiten ausfindig machen. Mit gnadenloser Kleinarbeit hatten sie sich bereits etwas von dem jakobitischen Gold zurückgeholt. Dieselbe Beharrlichkeit würde ihnen auch dabei helfen, sich den sgian dubh zurückzuholen.

Ihre Rebellion war kein eitles, ruhmreiches Unterfangen, sondern eher ein praktisches. Zu retten, was von ihrem Clan noch übrig war, Heime und Herdstätten wieder aufzubauen, den Stolz von Clanranald wiederzuerwecken. Mit sorgfältiger Arbeit kam man zu Ergebnissen oder indem man die richtigen Leute bestach, niemals mit roher Gewalt.

Sie schüttelte sich vor Abscheu. Gewalt war die Sprache von Soldaten und raubeinigen Hafenarbeitern. Aber was war mit ihrem geheimnisvollen Jäger? Gehörte er zu dieser Sippe?

Sie versuchte, um die wartende Droschke herum zu sehen.

Der Gentleman in grün war verschwunden.

3. KAPITEL

Swan Lane war ein gottverlassener, kalter Ort. Geisterhafter Nebel umgab Miss MacDonalds Steinhaus und ihre leer stehenden Stallungen. Die feuchte Kälte ließ ihn bis auf die Knochen frieren und verwandelte seinen Atem in kleine Wölkchen. Er hauchte in seine eisigen Hände, um sie zu wärmen, und versuchte zu begreifen, was an diesem Tag alles passiert war.

Nichts passte zusammen. Die letzten Eintragungen in seinem Notizbuch ergaben eine lange Liste uninteressanter Feststellungen.

Bescheidenes, gepflegtes Zuhause. Sauberes Pflaster. Ordentlich beschnittener Efeu. Keine Pferde im Stall.

Abgesehen von ihrer Zofe, die auch als Dienstmädchen fungierte, war Miss MacDonald allein zu Hause. Er hatte stundenlang darauf gewartet, dass die Schottin das Haus verließ und etwas, irgendetwas Interessantes tat. Verbrecher liebten die Dunkelheit. Doch Miss MacDonald blieb hinter halb zugezogenen Gardinen zu Hause.

Sie ging im oberen Stockwerk auf und ab, immer vor ihrem Fenster hin und her.

Er zog seine Jacke zu. Ihm fehlten Mantel und Handschuhe. Wenn er es nicht so eilig gehabt hätte, Fieldings Büroräume zu verlassen, wäre er besser vorbereitet gewesen. Sein Abendessen bestand aus einem Stück lauwarmer Fleischpastete, die er bei einem Straßenhändler gekauft hatte, während er zu Fuß den nicht gerade kurzen Weg von der White Cross Street in die Swan Lane gegangen war. Er wusste, wo sie wohnte, weil sich diese Information in Fieldings Akte befand, genau wie der Vorname ihres Dienstmädchens.

Vorhin hatte er in der Swan Lane und der schmalen Gasse hinter ihr herumgestöbert, um die Informationen, die er bislang hatte, zusammenzubringen.

Und … gar nichts.

Was sollte er Fielding berichten?

Sympathisantin der Jakobiten wiegelt durch Einkäufe zu einem Aufstand auf.

Der erste Tag war nicht gerade vielversprechend.

Der Nebel legte sich wie ein Teppich auf Miss MacDonalds engen Innenhof. Er stand hinter der Ecke ihrer Stallungen und hielt den Blick starr auf den vertikalen Lichtstreifen zwischen ihren Gardinen gerichtet. Hinter ihm standen drei Fässer, die überprüft werden mussten – seine letzte Aufgabe für heute. Er würde sie sich genauer ansehen, sobald er sicher war, dass Miss MacDonald sich für den Rest des Abends zu Hause zurückgezogen hatte, was der Fall zu sein schien.

Ein Vorhang flatterte. Miss MacDonald blieb vor dem Fenster stehen. Sie trug weiß gerüschte Nachtkleider, hatte ihr Haar geöffnet und tippte sich mit den Stiel einer Schreibfeder an die Lippen. Er musterte sie mit zusammengekniffenen Augen, ja, sie hatte Schriftstücke in der Hand.

Er nahm Bleistift und Notizbuch und schrieb: Miss MacDonald hat den Abend mit Lesen verbracht.

Er hielt mit der Bleistiftspitze auf der Seite inne. Schamgefühl ließ ihn nicht los. „Gefährlich, wenn Menschen lesen“, murmelte er trocken.

Er ergänzte den Eintrag um ich bin ein mieser Gentleman, weil ich sie beobachte, und setzte mit Nachdruck einen Punkt. Aber er war noch nicht fertig. Sein Bleistift wurde zu einem Werkzeug, mit dem er ehrlich loswerden konnte, was in seinem Kopf vorging.

Bei genauerem Hinsehen hat Miss MacDonald einen breiten Mund, nicht weiter erwähnenswerte Lippen und (nach ihrem mageren Mieder zu urteilen) kleine Brüste. Und dünne Arme. Sie ist blond mit üppigen Locken, ihr Haar ist ganz und gar natürlich (nach der Menge zu urteilen, die ihr zu dieser späten Stunde über die Schultern fällt). Die Frau ist ein Widerspruch in sich. Attraktiv, aber keine Schönheit. Sie scheint von einer unschuldigen Freundlichkeit zu sein, obwohl die Männer sich um sie scharen, als wüssten sie, dass sie dort etwas anderes erwartet. Man könnte meinen, dass sie ihr zu Willen sind. Die Droschke, die sie in die White Cross Street gebracht hat, ist kurz vor Sonnenuntergang zurückgekommen, um sie nach Hause zu bringen. Seit wann machen Londoner Droschkenkutscher so etwas?

Kann Miss MacDonald sich die Männer gefügig machen?

Die bisherigen Beweise scheinen darauf hinzudeuten, dass sie es in der Tat kann. Ich bin das beste Beispiel dafür (den eingefrorenen Schenkeln nach zu urteilen, mit denen ich hinter ihrem Stall stehe). Sie ist die Verkörperung einer fleischlichen Aufforderung. Vielleicht liegt es daran, wie sie sich in den Hüften wiegt. Ich muss annehmen, dass Miss MacDonald die Menschen um sie herum verhext.

Er zögerte bei einer bemerkenswerten Tatsache, die nicht in Fieldings Akte aufgeführt war.

Miss MacDonald verfügt über keine bekannte Einkommensquelle. Woher bezieht sie ihre finanziellen Mittel? Dieser Frage muss weiter nachgegangen werden.

Nachdem er den letzten Satz geschrieben hatte, war er bereit, diese Dummheiten hinter sich zu lassen. Der Amtsrichter hatte ihn gebeten, im zu berichten, was er herausgefunden hatte. Das bedeutete nicht, dass er alles laut vorlesen musste. Außerdem hatte Fielding nicht gesagt, wie viele Stunden am Tag er dieser fruchtlosen Aufgabe widmen musste.

„Es gibt nichts zu berichten“, flüsterte er und klappte sein Notizbuch mit einem Knall zu.

Er brauchte nur noch diese drei Fässer zu überprüfen. Wenn er sich beeilte, konnte er sich noch vor Mitternacht ins Bett legen.

Er schlich weiter in den Stall hinein und wartete, bis seine Augen sich an die Dunkelheit gewöhnt hatten. Das kleine Gebäude war für eine leichte Kutsche und ein Pferd ausgelegt, aber zwischen diesen Steinmauern hatte seit einiger Zeit kein Tier gelebt. Staubige Spinnweben hingen von den Deckenbalken. In einer Ecke lag ein Haufen schimmliges Stroh. Es stank nach dem Fluss und nach Bier, ein Geruch, der in der Nähe der hüfthohen Fässer an der zum Fluss hin zeigenden Wand am stärksten war. Der Gestank war eine Leistung für sich. Zwischen der Themse und den windschiefen Gebäuden auf der London Bridge war Bier das süßeste Parfüm.

Was die Frage aufwarf, warum die elegante Miss MacDonald in einem einfachen Haus an der Themse wohnte. Und dann auch noch im langweiligen Dowgate.

Er sank auf ein Knie und tastete nach dem mittleren Fass. An der breitesten Stelle war Mermaid-Brauerei eingebrannt. Das M und das B kunstvoll geschwungen und mit einem Meerjungfrauenschwanz unter dem Schriftzug. In der Nacht blieb der Rest des Fabelwesens verborgen, aber mit dem Daumen konnte er geschwungene Linien erfühlen, die das Haar sein mussten. Er fuhr mit den Händen über das gebundene Holz und fand weder Staub noch Spinnweben.

Saubere Fässer? In einem schmutzigen Stall?

Er sah wieder zu dem Lichtstreifen hinüber, der Miss MacDonalds Fenster war. Sie konnte im Leben kein Fass Bier von dieser Größe austrinken, geschweige denn drei.

Miss MacDonald nippte … Wein? Brandy? Champagner, wenn sie in vornehmeren Häusern eingeladen war?

Bedeutungslose Fragen. Was die Frau sich in ihren hübschen Mund schüttete, machte keinen Unterschied.

Er stand auf und wurde von einem Gefühl der Richtigkeit erfasst. Von König und Krone und der Heiligkeit des Bündnisses. Vielleicht war das hier eine Spur, der zu folgen sich lohnte. Er schnappte sich Notizbuch und Bleistift. In die Mitte einer leeren Seite schrieb er Mermaid-Brauerei und fügte ein Fragezeichen hinzu – seine zweite verwirrende Frage, was diese Frau betraf.

Die Aufregung fuhr ihm in die Adern, er zog seine Jacke aus, legte sie auf ein anderes Fass und stopfte das Notizbuch und den Bleistift zwischen die wollenen Falten. Er wollte seine neue Jacke nicht schmutzig machen. Allerdings war die feuchte Nachtluft brutal.

Vorsichtig hob er den ersten Deckel an und stellte ihn an die Seite. Im Inneren des Fasses war es pechschwarz.

Er steckte eine Hand hinein. Leer.

Der Geruch von Bier vermischt mit etwas metallischem stach ihm in die Nase.

Er wackelte an dem Fass, um der Sache auf den Grund zu gehen. Ein raues Klicken war die Antwort.

Was auch immer Miss MacDonald hier versteckt hatte, befand sich auf dem Boden.

Er konnte das Fass unmöglich umkippen – das machte viel zu viel Lärm. Er beugte sich vor und streifte mit dem Oberkörper das gebogene Holz. Schon wieder ein metallisches Klicken. Er beugte sich weiter vor und packte den eisenbeschlagenen Rand des Fasses mit einer Hand. Dabei fiel ihm der Hut vom Kopf. Er stellte sich auf die Zehenspitzen und streckte die Hand nach dem Grund aus.

Mit den Fingerspitzen berührte er raues Metall.

„Was zum Teufel –“

„Das dachte ich auch gerade“, sagte eine amüsierte weibliche Stimme.

Er stöhnte, und seine Verzweiflung hallte in dem Fass wider. Kopfüber mit hochgerecktem Hintern war er nicht gerade in der besten Position.

„Sind Sie verletzt, Sir?“, fragte die Stimme, während eine zweite zu kichern begann.

„Nur mein Stolz.“

Er richtete sich langsam wieder auf.

„Nicht. Bewegen.“ Das Klicken fuhr ihm durch Mark und Bein. „Wenn sie auch nur einen Mucks machen, schieße ich Ihnen in Ihren hübschen Hintern.“

Kalte Schweißtropfen bildeten sich an seinem Haaransatz. Das Klicken kam vom Hahn einer Pistole, die gespannt worden war. Verteufelt schwer zu sagen mit dem Kopf in einem Fass, aber er hatte das Geräusch oft genug gehört.

„Wer sind Sie, Sir?“

Eine gebieterische weibliche Stimme. Mit Sicherheit die Frau, die die Pistole auf ihn gerichtet hielt.

„Ich bin Mr. Alexander Sloane.“

„Aus …?“

„London.“ Ein paar Minuten stand er nun schon auf dem Kopf, das Blut rauschte in seinem Schädel und dröhnte in seinen Ohren. „Wenn es Ihnen recht ist … der Druck in meinem Kopf. Ich würde dieses Gespräch lieber aufrecht stehend führen.“

„Daran hätten Sie denken sollen, bevor Sie in meinem Stall den Hintern in die Luft strecken, Mr. Sloane.“

Das Blut pulsierte wütend hinter seinen Augen, während er gedämpftes Flüstern von Frauenstimmen hörte. Na wunderbar. Eine Zusammenkunft aus zwei Frauen überlegte, was sie mit ihm machen sollten.

„Legen Sie beide Hände auf den Rand des Fasses, so, dass ich sie sehen kann.“ Die Stimme klang höflich, aber entschieden.

Er legte beide Hände auf den Rand und hielt den Kopf gesenkt. So also sollte er Miss MacDonald kennenlernen, kopfüber und mit dem Hintern zuerst, ein Notizbuch voller ungeheuerlicher Bemerkungen über sie dabei. Zum Glück gab es nichts, das eine Verbindung zwischen ihm und der Bow Street herstellte. Mit ein wenig Glück würden sie über das Notizbuch hinwegsehen und die Nachtwache rufen.

„Jenny, seine Jacke“, sagte die Dame.

Er hörte das Geräusch von Schritten, und feine Wolle aus Northumberland streifte das Fass neben ihm.

„Sowas. Er hat ein kleines Buch dabei –“, sie unterbrach sich und dem Schweigen folgte unheilverkündend das Umblättern von Seiten. „Und er hat alles Mögliche über Sie aufgeschrieben, Miss.“

„Geben Sie es mir.“

Er ließ sich hängen und verwarf seinen sie werden sich nicht um das Buch kümmern-Plan, um einen anderen zu schmieden. Die Swan Lane befand sich in Dowgate, Sir William Calvert war der Stadtrat. Wenn er dem Wächter ein Münze in die Hand drückte, würde der dafür sorgen, dass der Stadtrat eine Nachricht bekam: Bitte informieren Sie Bow Street umgehend darüber, dass Mr. Alexander Sloane inhaftiert wurde. Bis zum Morgen konnte Fielding alles Nötige für seine Freilassung arrangieren und eingesehen haben, wie dumm es war, den Buchhalter des Herzogs als Ermittlungsbeamten einsetzen zu wollen. Es würde ihn nur seinen Stolz kosten und eine kalte Nacht im Gefängnis.

Irgendwann konnte er diese Geschichte seinem Bruder beim Bier erzählen und sie würden beide darüber lachen. Irgendwann …

„Fesseln Sie ihn, Jenny.“

„Das ist nicht nötig.“ Seine Stimme hallte im Fass wider. „Ich bin unbewaffnet und ich will Ihnen nichts tun.“

„Sie sind mit Stift und Papier bewaffnet, Sir. Das ist tödlich genug für mich.“

Eine interessante Antwort. Er hätte darüber gegrübelt, aber er wurde von einer Hand am Arm gepackt und aufgerichtet. Der Druck zwischen seinen Ohren ließ nach, als das Blut schnell herausströmte, sodass er sich ein wenig schwindelig fühlte. Er lehnte sich an das Fass, um sich abzustützen und stellte fest, dass die Hand, die ihn führte, Jenny gehörte.

Sie sah ihn wütend an wie eine Medusa mit Lockenwicklern. „Machen Sie keine Dummheiten. Ich habe ein Messer.“

„Bestimmt nicht. Ich gebe Ihnen mein Wort.“

Woraufhin Jenny herzhaft fluchte und ihm die Hände unsanft auf den Rücken drehte.

Mit großen Augen sah er Miss MacDonald auf dem Hof stehen. Nebelschwaden kräuselten sich um ihre Füße. Sie stellte sich der schneidenden Herbstluft in einem weißen Hemd, einem dünnen Mantel aus demselben Stoff, den sie nicht zugebunden hatte, und einem Schwall von offenem Haar. Ihre festen Brustspitzen und das Licht einer Lampe über der Tür, in dem er ihren zitternden Körper sehen konnte, sagten ihm, dass sie fror.

Sein Blick wanderte weiter nach unten.

Ein flammender Blitzschlag durchfuhr ihn.

War das, was er sah, der Schatten … dort?

Seine Gedanken lösten sich in Rauch auf. Heiße Lust ließ seine Lenden erbeben, hungrig und unzweideutig, ein Zeichen, dass er aus Fleisch und Blut war, ein Mann, den man verführen konnte, ein Mann, der kurz davor stand, seine Seele an die Göttin von Swan Lane zu verkaufen, obwohl sie einen schneidenden Blick und eine polierte Pistole auf ihn gerichtet hielt.

Die Schottin sah ihn grimmig an, als ob sie keine Gefangenen machte.

Wie grimmig genau sie war wollte ein lüsterner Teil von ihm gerne herausfinden. Mit dem Blick zeichnete er unverfroren ein gefährliches Dreieck – eine lustvolle Linie von einer Brust zur anderen und hinunter zu der Andeutung von Gold zwischen ihren Beinen. Beinen, die zitterten.

„Sie frieren. Sie sollten meine Jacke anziehen.“

Seine Stimme war so heiser und sinnlich, dass er sie selbst kaum wiedererkannte.

Sie neigte den blond gekrönten Kopf zur Seite, als hätten seine Worte eine ganz neue Entwicklung gebracht.

„Sie sind ein echter Gentleman, aber ich wohne gleich hier.“

Hinter seinem Rücken wurden ihm die Handgelenke mit einem breiten, glatten Band zusammengebunden. Ihm lief ein Schauer über den Rücken. Miss MacDonald ließ ihn mit Seide fesseln.

„Fertig, Miss.“ Jenny zog noch einmal an dem Knoten. „Soll ich ihn in den Stall stecken und an den Füßen fesseln?“

Von den Lippen der Göttin von Swan Land stiegen kleine Wölkchen auf. Ihr prüfender Blick wanderte über ihn wie eine neugierige Berührung.

„Nein. Bringen Sie ihn her.“

Aufwieglerische Worte. Er hätte für den Stall plädieren sollen, ein Plan, gegen den seine Füße sich wehrten. Sein ganzer Körper wollte der Schottin nahe sein und trug ihn vorwärts, bis er nur noch eine Armeslänge Abstand von ihr hatte. Eine Art Waffenstillstand. Er betrachtete ihre Gesichtszüge, verglich sie in Gedanken mit Fieldings Akte, während sie seine Jacke betrachtete, die das Dienstmädchen oder die Zofe sich über den Arm gelegt hatte.

Ihr blonden Augenbrauen zogen sich verunsichert zusammen. „Sind Sie heute in der White Cross Street gewesen?“

Er zögerte. Wer A sagt muss auch B sagen.

„War ich.“

Ein zögerndes Lächeln breitete sich auf ihren bebenden Lippen aus. „Und bevor Sie gegangen sind, haben Sie da …“

„Ihr Dekolleté gegrüßt? Ja, das habe ich.“ Rohe Lust ließ seine Worte heiser klingen.

Wie sie die Lippen verzog, das macht etwas mit ihm.

„Wir sind einander sehr seltsam vorgestellt worden.“

„Denkwürdig auf jeden Fall.“ Seine Stimme klang vor Belustigung wie ein Reibeisen.

In der Nacht sah Miss MacDonalds makellose Haut genauso schön aus wie bei Tageslicht. Ihr Selbstvertrauen war ebenso anziehend, etwas, das auf der Zeichnung aus der Bow Street nicht zur Geltung kam. Er hätte mit Vergnügen darüber debattiert, welche ihrer Qualitäten – Selbstvertrauen oder Attraktivität – die größere war, aber die Frau, die eine Pistole auf ihn gerichtet hielt, wollte über ihn sprechen.

„Und wer sagt mir, dass Sie wirklich Mr. Alexander Sloane aus London sind?“

Der Singsang in ihrer Stimme klang verhalten amüsiert. Von allen Fragen, die sie ihm hätte stellen können, war diese seltsam tröstlich und praktisch.

„In meiner rechten Westentasche habe ich einen Scheck von der Bank von England, auf dem bereits mein Name aufgedruckt ist.“

Jenny streckte den Arm aus, um ihn zu holen. Miss MacDonald sah ihm in die Augen.

„Nein. Ich mache das.“

Im Laternenlicht wirkte ihr blondes Haar fedrig und lebendig. Sie kam einen halben Schritt näher. Dabei umfing ihn ein weicher Rosenwasserduft, der beinahe unschuldig und sanft war. Eine nebelfeuchte Locke klebte an ihrer Wange. Das war nicht das Parfüm einer sinnlichen Göttin.

Im Geiste machte er sich ein doppeltes Bild von ihr. Tagsüber die weltläufige junge Frau. Nachts ein Mädchen vom Dorf, das in London gefangen war. Als Miss MacDonald die Hand in seine Tasche steckte, kam sie ihm sehr nahe. Eine Frau, die seine Standhaftigkeit auf die Probe stellte und neugierig war, was sie herausfinden würde. Er stand stocksteif da, wie es sich für den Diener eines Herzogs gehörte, hielt den Blick starr über ihren Kopf gerichtet und genoss den angenehmen Schauer, der ihren Fingern in seiner Tasche folgte.

Sie faltete den Scheck auseinander, den papiernen Beweis, dass er ein wohlhabender Mann war, ein verantwortungsvoller Bürger und dass das alles hier nur ein schreckliches Missverständnis war. Aber Miss MacDonald sah das anders. Sie las schnell und stopfte den Scheck dann zurück in seine Westentasche, ihr Blick verriet nichts.

„Wir sollten erst einmal ins Haus gehen, nicht wahr?“

Miss MacDonald raffte ihre dünnen weißen Leinenkleider zusammen und eilte zur Tür. Dabei leuchteten ihre Fußsohlen rosa und weiß.

Sie wollte ihn im Haus haben?

Ein Mann hätte leicht drinnen oder draußen darauf warten können, dass der Nachtwächter ihn abführte, aber im dem schmalen Raum zwischen dem Platz, wo er stand, und der Tür, fasste er einen neuen Plan. Er würde zusammennehmen, was ihm von seinem Verstand geblieben war und ihn benutzen, so viele Informationen über Miss MacDonald und ihre Zofe Jenny sammeln wie er konnte. Und einen weiten Bogen um die Lust machen.

4. KAPITEL

Ihr Haus war klein, vier Zimmer insgesamt, wenn man die vollgestopfte Spülküche nicht mitzählte, in der sich Jenny häuslich eingerichtet hatte. Es war leicht, sich hier im Dunkeln zurechtzufinden und Mr. Sloanes geschmeidige Bewegungen umso interessanter. Die schiefen Treppenstufen knarrten unter der Last seiner und ihrer Schritte, als Mr. Sloane zögernd nach oben voranging.

„Sie können mich freilassen. Es ist kein Schaden entstanden“, sagte er über die Schulter hinweg.

Sie drückte ihm die Pistole ins Kreuz. „Das werden wir noch sehen.“

Es gab einen Grund, warum Mr. Sloane in ihrem Haus war. Sie hatte ein dringendes Bedürfnis – ihren Gentleman und Jäger in vollem Licht zu sehen. Herauszufinden, was er vorhatte. Ihn kennenzulernen. Seine erschreckende Direktheit hätte er sich wie einen Orden an die Brust heften können. Es war faszinierend, wie wenig ausweichend er sich verhielt. Ebenso faszinierend wie sein Rücken. Feste Pomuskeln, die sich unter schwarzem Wollstoff abzeichneten. Starke Arme und Schultern, die allerdings nicht schwer und massiv wirkten. So schlank und fest wie er war, sah Mr. Sloane aus, als würde er regelmäßig sprinten. Oder als wäre er ein Mann, der zu Fuß auf die Jagd ging.

„Die Tür auf der linken Seite“, sagte sie, als sie oben an der schmalen Treppe angekommen waren.

Mr. Sloane betrat ihre Schlafkammer und blieb mitten im Raum stehen, das rosafarbene Band, mit dem seine Handgelenke gefesselt waren, schaukelte. Sie rieb sich die Arme, um sich aufzuwärmen, während Mr. Sloane seelenruhig eine Runde drehte und den Raum in Augenschein nahm. Im Schein eines prasselnden Feuers und der acht Kerzen war zu sehen, wie vollgestopft der Schrank mit Kleidern war und dass das Bett ungemacht war. Ihre Matratze und ihre Decken waren kostspielig, schneeweiße Wolken der Bequemlichkeit – ideal, um einen neugierigen Mann anzulocken. Auf jeden Fall besser, als in einem Schaufenster hübsche Strümpfe hochzuhalten.

Sie presste ungeduldig die nackten Zehen in den Boden. Sie wollte ihn in vollem Licht sehen.

Nachdem seine Inspektion abgeschlossen war, wandte sich Mr. Sloane ihr zu. Im matten Schein des Feuers sah sie die klaren Linien und offenen Züge seines Gesichts. Tagsüber war er ein Mann, den man mit zum Tee zu seiner Tante nehmen konnte; nachts einer, den man küssen und mit dem man im Bett lachen wollte. Ein vornehmer Gentleman, der für sie völlig unerreichbar war. Diese Erkenntnis tat weh wie ein Tritt in die Rippen. Sie hatte sich zu lange mit Männern herumgetrieben, die sich auf einem schmalen Grat zwischen richtig und falsch bewegten, aber Mr. Sloane war keiner von ihnen.

Es versengte wie, wie gut er war. Er war ein Mann, der irgendwann einer Dame von ausgezeichneter Stellung den Hof machen würde, nicht der Tochter eines jakobitischen Rebellen.

„Mr. Sloane.“ Sein Name kam ihr leicht über die Lippen, warm und duftend.

„Miss MacDonald.“

Seine Verbeugung war herzlich, seine Stimme sinnlich.

Er sah sie mit wunderschönen, aufrichtigen Augen an, die eher bronzefarben als braun waren. Kristallklar und einnehmend. Sie sprühten vor Lebendigkeit. Am hellsten leuchtete jedoch die Klugheit in ihnen. Sie war seine Visitenkarte und seine Waffe. Sie konnte sich selbst etwas vormachen und sagen, dass Mr. Sloane ganz passabel aussah, aber ihr wild pochendes Herz war anderer Meinung. Genau wie ihre Brustspitzen. Diese spitzen, verräterischen Dinger.

Dieses Mal sah Mr. Sloane ihr in die Augen, nicht auf ihre Brustspitzen wie draußen, als er ihren Körper mit Blicken verschlungen hatte.

„Das ist Ihre Schlafkammer.“

„Was Sie wissen müssten, nachdem Sie mich beobachtet haben.“

Sein Lächeln war leutselig wie das aller gut situierten Männer. „Ich habe mich gerade nicht wie ein Gentleman verhalten.“ Dann: „Woher wissen Sie das?“

Seine erste Reaktion war ihm anerzogen worden; die zweite war aufrichtig. Er war ein Mann, der Antworten auf seine Fragen haben wollte, sie aber nicht fordern würde. Vielleicht ein zweitältester Bruder? Aber nicht aus dem Hochadel. Manchmal waren die Erben von Arroganz ganz und gar durchdrungen. Die, die sie kannte, hätten sich nicht einmal dazu herabgelassen, eine Mätresse hier in Dowgate unterzubringen. Sie vertraute Mr. Sloane, ein Instinkt, den sie über die Jahre entwickelt hatte, da sie viele Männer kennengelernt hatte. Ihre Hand schien schon Bescheid zu wissen, denn sie hielt die Pistole nachlässig an ihrer Seite, der Lauf zeigte dabei auf den Boden, als ob sie es nicht erwarten könne, von ihrer Last befreit zu werden. Es war schon verblüffend, wie schnell der Körper spürte, wofür der Geist noch Minuten, wenn nicht Stunden oder Tage brauchen würde, es zu begreifen.

„Die kalte Luft hat Sie verraten“, sagte sie. „Sie haben geschnauft wie ein Drache und da ich keine Tiere, weder sagenhafte noch andere, halte, wusste ich, dass jemand in meinem Stall sein muss.“

Er senkte den Kopf, um ein jungenhaftes Lächeln zu verbergen. Der Schein des Feuers streichelte sein dichtes, kastanienbraunes Haar und einen stumpf geschnittenen Zopf, der bis auf seinen makellosen Kragen reichte.

„Ich bin ein Bewunderer, Miss MacDonald. Ich bin doch sicher nicht der erste Mann, der Ihnen nachsteigt.“

Sie lächelte spröde. Wie enttäuschend, nachdem sie so gute Fortschritte gemacht hatten.

„Das glaube ich Ihnen nicht.“

„Welchen Teil?“

Seine Stimme klang noch immer rauchig vor Lust, aber auch herausfordernd. Ungeheuerlicher Kerl. Auf jeden Fall ein zweitältester Bruder. Die mussten sich alles erarbeiten, und Mr. Sloane musterte sie, als ob er nichts gegen einen geistigen Schlagabtausch hätte. Ein noch jüngerer Bruder hätte sich auf seinen Charme verlassen.

„Ihre Motive sind mir sehr suspekt“, sagte sie schließlich und zeigte mit ausgestrecktem Arm auf zwei Sessel vor dem Kamin. „Bitte setzen Sie sich doch, Mr. Sloane.“

Er ging mit gefesselten Händen vorsichtig auf den lederbezogenen Sessel mit hoher Lehne zu, während sie am Waschtisch ein Tuch nass machte.

„Das ist meiner.“

„Verzeihung.“ Er drehte sich in dem engen Raum um und ließ sich auf den viereckigen Holzsessel fallen, der ihm gegenüber stand. Er spannte die Arme an, als wolle er seine Fesseln überprüfen. „Ist Ihr Mädchen auf dem Weg zum Nachtwächter?“

Sie wrang das Tuch aus. „Niemand hier ruft nach dem Nachtwächter.“

„Nein?“ Sein einer Mundw...

Autor

Gina Conkle
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