Irische Hochzeit - 12. Kapitel

12. KAPITEL

Erst spät in der Nacht, als er wusste, Isabel würde schlafen, kehrte Patrick in sein Schlafgemach zurück. Ihr Anblick, wie sie da zusammengerollt auf seinem Bett lag, weckte schmerzhaft das Verlangen in ihm. Ihr seidiges, goldenes Haar war zu Zöpfen geflochten, und sie trug immer noch diesen scheußlichen léine. Sie hatte sich halb in die Decke gewickelt. Ein nacktes Bein war zu sehen. Patrick wollte ihre Haut berühren, wollte spüren, wie sich diese langen Beine um seine Taille schlangen.

     Bei Lug, so etwas konnte er jetzt wirklich nicht brauchen. Es war ihm so einfach erschienen, sie nach Ennisleigh zu verbannen. Sie würde ihr Leben leben und er seines.

     Stattdessen hatte sie für seinen Stamm gekämpft. Er hatte ihr befohlen, fortzubleiben, doch sie hatte sich einen Bogen genommen und wie eine der Kriegerinnen aus alten Zeiten auf O’Phelan geschossen. Er hatte nicht geahnt, dass sie so geschickt im Bogenschießen war. Als er jetzt allerdings ihre Oberarme betrachtete, sah er die Muskeln, die von langer Übung mit dem Bogen herrührten. Sie hatte ganz bewusst auf den Anführer gezielt, um ihn zu verwunden, nicht um ihn zu töten. Und sie besaß genug Selbstvertrauen, um zwischen die Kämpfenden zu schießen, weil sie wusste, dass sie keinen von ihnen verletzen würde.

     Selten hatte ihn jemand so verblüfft. Nicht nur, dass sie ihnen den Sieg verschaffte, jetzt sprach sie auch noch irisch. Er hätte nie geglaubt, seine Sprache aus ihrem Mund zu vernehmen.

     Er setzte sich aufs Bett. Isabels Wärme war verlockend. Sie weckte in ihm den Wunsch, die Kleider abzulegen und Isabel an sich zu ziehen. Er wagte es nicht, neben ihr zu schlafen. Schon jetzt raubte sie ihm den klaren Verstand, ließ ihn überlegen, ob er nicht doch alle Bedenken fahren lassen sollte.

     Er würde seinen Schwur nicht brechen. Ganz gleich, wie sehr er sie auch begehrte, er durfte kein Kind riskieren.

     Patrick ließ sich auf einen Stuhl fallen und betrachtete im Mondlicht das Gesicht seiner Frau. Schlafend erschien sie nachdenklich und vertrauensvoll. Bei Gott, sie war schön! Vermutlich verdiente er diese Buße – er verdiente es, vor Begierde fast verrückt zu werden und sie doch nicht besitzen zu können. Wenn Uilliam noch lebte, hätte er nie ein Auge auf Isabel de Godred geworfen.

     Patrick schloss die Augen und lehnte sich zurück. Selbst jetzt konnte er noch nicht hier wohnen, ohne sich an seinen älteren Bruder zu erinnern. Während er das Schwert von der Hüfte löste, fragte er sich, ob er je ein wahrer König sein würde.

     Er beugte den Kopf und betete um die Weisheit und die Stärke, die ihm fehlten. Dann hob er den Blick zu Isabel und betete um Standhaftigkeit und die feste Entschlossenheit, sie nicht anzurühren.

     Denn schon bald würde er sie gehen lassen müssen.

Wenn irgendjemand entdeckte, was er vorhatte, dann bedeutete das seine Hinrichtung. Ruarc ritt schnell und trieb die Stute zu immer größerer Schnelligkeit an. Der Wind peitschte sein Gesicht und flüsterte ihm Warnungen zu. Er musste bald zurück sein, bevor einer merkte, dass er und das Pferd verschwunden waren.

     Wilde Kraft und nagende Angst durchpulsten ihn und steigerten seine Unruhe. Eigentlich war das hier das Letzte, was er tun wollte, doch es musste sein. Er konnte seinem eigenen König nicht länger trauen. Es war Patrick nicht gelungen, die Normannen aus der Burg zu halten, und deswegen hatte einer Ruarcs Schwester entehrt.

     Als er über die Grenze auf das Land der O’Phelans ritt, wurde er langsamer. Er war dazu erzogen worden, in ihnen einen feindlichen Stamm zu sehen, dem man nicht trauen konnte. Während eines Raubüberfalls hatte er oft Seite an Seite mit seinen Cousins gekämpft. Einige Narben bewiesen es, zusammen mit einigen frischen Schnitten aus jüngster Zeit.

     Doch jetzt brauchte er ihre Hilfe.

     Die Schuld lastete schwer auf seinem Herzen. Sosanna hatte versucht, sich das Leben zu nehmen, dafür trug er die Verantwortung. Er hätte für sie da sein müssen, hätte sie besser beschützen müssen. Sie war seine kleine Schwester, er musste für sie sorgen.

     Doch noch mehr als Bruder und Schwester waren sie Freunde gewesen, seitdem Sosanna von den Zieheltern zurückgekehrt war. Vor Jahren hatten sie einen Handel abgeschlossen. Sie würde ihm eine passende Frau aussuchen, und er hatte Uilliam MacEgan als Ehemann für sie gewinnen wollen. Am Ende hatte keiner von ihnen geheiratet. Nach der Schlacht konnte Ruarc nicht an Heirat denken, bevor er nicht jemanden gefunden hatte, der sich um Sosanna kümmerte.

     Sie hatte das Kind nicht während der normannischen Invasion empfangen. Nein, dieses Baby stammte vom letzten Winter, lange nach der erlittenen Niederlage. Aus ihrer Weigerung zu sprechen konnte er nur folgern, dass es einer der unter ihnen lebenden Normannen gewesen sein musste. Die ganzen letzten Monate hatte sie sich jeden Tag das Gesicht dieses Bastards anschauen müssen.

     Aber wer war es?

     Sie wollte ihm seine Frage nicht beantworten. Und so blieb ihm keine andere Wahl, als alle Normannen zu vertreiben.

     Es würde nicht leicht sein. König Patrick hatte eine von denen geheiratet. Críost, der Anführer der O’Phelans würde auf Rache sinnen, nach dem, was Lady Isabel ihm angetan hatte.

     Ruarc ritt vors Tor des Ringwalls und wartete. Er roch den beißenden Rauch der Kochfeuer, vermischt mit dem Gestank der Tiere. Nach einigen Augenblicken hatten die Männer der O’Phelans ihn erblickt, und einer von ihnen schoss einen Pfeil auf ihn ab. Ruarc hob den Schild und fing den Pfeil ab. Auch wenn er den Schuss für eine Warnung hielt, traute er ihnen doch zu, ihn auf der Stelle zu töten. Er betete, dass sein Besuch zu seinem Vorteil verlief und ihm nicht den Tod brachte.

     Mit erhobenem Schild und die offene Handfläche zeigend, ritt er mitten unter seine Feinde. Einige der Männer zogen die Waffen, doch Ruarc hielt den Blick unverwandt auf die Behausung des Anführers gerichtet. Er hatte nur sein Ziel vor Augen und ignorierte die Beleidigungen.

     Ein Mann erhob die Faust gegen ihn, woraufhin Ruarc ihn am Handgelenk packte. Er verstärkte den Griff und starrte den Mann dabei an. „Ich könnte dir das Handgelenk brechen, und dann könntest du nie wieder eine Waffe halten.“ Der Mann erbleichte und zog die Hand zurück. Ruarc hob die Stimme. „Ich bin gekommen, um mit eurem Anführer, Donal O’Phelan zu sprechen.“

     Einen Moment später öffnete sich die Tür zu einer großen, mit Stroh gedeckten Hütte. Der Anführer trug einen blauen Mantel, um seine Verletzung zu verbergen. Schwarze Augen blickten Ruarc voller Abneigung bohrend an. „Was willst du?“

     „Ich habe dir einen Vorschlag zu machen. Ich möchte mit dir unter vier Augen darüber sprechen.“

     „Du wirst es hier verkünden oder gar nicht. Ich bin mir sicher, dass dein Angebot für viele meiner Leute interessant ist.“

     Also gut. Ruarc sah den Anführer an. „Ich will, dass meinem Cousin die Macht genommen wird. Die Normannen sind in unseren rath eingedrungen, und wir haben nicht die Streitkräfte, sie zu vertreiben. Ich bin gekommen, dich um Hilfe zu bitten.“

     „Damit wir dich zum neuen König machen, nicht wahr?“

     Ruarc sagte nichts, denn es stimmte, ihm verlangte nach der Königswürde. Sie hätte ihm zufallen können, Patrick konnte jedoch geschickter mit dem Schwert umgehen. Seit der Krönung seines Cousins hatte Ruarc daher unermüdlich trainiert, er mochte nicht der Zweitbeste sein.

     Aber zumindest wusste er, was Stammestreue war. Er hätte nie in solch einen feigen Handel eingewilligt und eine Normannin geheiratet. „Wenn ich König von Laochre werde, verspreche ich dir Ländereien im Westen.“

     Die Augen O’Phelans nahmen einen verschlagenen Ausdruck an, während er das Angebot überdachte. „Dann komm rein. Vielleicht kann ich dir helfen.“

Isabel erwachte und wusste nicht, wo sie war. Sie blinzelte in die Sonne und etwas Weiches kitzelte ihre Nase.

     Die grauweiße Katze spazierte über ihre Brust und betrachtete sie, als fragte sie sich, wie ein Mensch dazu kam, ihr Bett zu besetzen. Isabel zauste den Kopf der Katze, den diese leise schnurrend gegen ihre Hand drückte. Dann legte sie sich auf Isabels Bauch und begann sich zu putzen.

     Isabel schob die Katze beiseite, stand auf und reckte sich. Sie erinnerte sich nicht daran, dass Patrick in das Gemach zurückgekehrt war. Es war lange her, seitdem sie in einem richtigen Bett gelegen hatte, und zum ersten Mal seit vielen Nächten hatte sie gut geschlafen.

     Auf dem Stuhl lag ein blauer Stoff. Isabel trat näher und sah, dass es ein neues Kleid war. Es besaß die Farbe des mitternächtlichen Himmels. Sie befühlte es. Das weiche, fein gewebte Leinen war etwas ganz anderes als die raue braune Wolle, die sie trug. Mit den langen, voluminösen Ärmeln und einem wadenlangen Rock ähnelte das léine ihren früheren Gewändern. Ein smaragdgrünes Oberkleid lag daneben.

     Voller Dankbarkeit musste sie lächeln. Auch wenn sie jeden Augenblick das Eintreffen ihrer Mitgift und ihrer Kleider erwartete, musste sie sich jetzt doch nicht länger wie eine Sklavin kleiden.

     Sie drehte sich zu der Katze um und fragte: „Was meinst du? Soll ich das alte Kleid verbrennen?“

     Die Katze schlug mit dem Schwanz und maunzte, bevor sie sich auf dem Kissen zu einem Schläfchen zusammenrollte.

     „Du hast recht. Ich sollte lieber warten, bis ich weiß, ob das neue Kleid auch wirklich für mich ist.“ Doch der Wunsch, endlich das raue braune léine loszuwerden, war stärker als jeder Zweifel. Sie streifte das Gewand und dann das zerlumpte Hemd ab. Nackt zog sie das mitternachtsblaue Kleid über den Kopf. Das Leinen schmiegte sich an ihre Haut. Mit geschlossenen Augen genoss Isabel diesen Luxus. Ohne Gürtel musste sie bei dem Oberkleid allerdings ein wenig improvisieren.

     Noch bevor sie damit fertig war, klopfte es an der Tür. Sie rief: „Herein.“

     Ihr Gatte trat ein. Heute trug er einfachere Kleidung, doch diese minderte nicht seine kraftvolle Ausstrahlung. Das schwarze Haar hatte er mit einem Lederband zusammengebunden, was seine markanten Gesichtszüge unterstrich. Isabel betrachtete seinen Mund und dachte daran, wie er sie geküsst hatte.

     Doch er sah sie an, als hätte er sie noch nie zuvor gesehen. Hatte sie vielleicht das Kleid falsch herum angezogen? Sie zupfte an dem Oberkleid und fragte sich, wie man es wohl zu tragen hatte.

     „Das léine steht dir gut“, sagte Patrick. Er schloss die Tür und schob den Riegel vor.

     „Ich danke dir dafür.“ Isabel wagte ein Lächeln, doch er erwiderte es nicht. Nach dem gestrigen Abend wusste sie nicht, was sie noch sagen sollte. Er hatte sie wie ein Ehemann behandelt und sie dann voll Verlangen zurückgelassen. Aber jetzt tat er so, als wäre nichts geschehen.

     „Wieso hast du mich gestern Abend in dieses Gemach gebracht?“, fragte sie.

     Er durchquerte den Raum und blieb vor ihr stehen. „Ich wollte nicht, dass du noch mehr Ärger machst. Und, wie ich schon sagte, ich will dich auch morgen noch hierlassen. Du wirst diesen Raum nicht verlassen.“

     Sie starrte ihn wütend an. „Warum legst du mich nicht gleich in Ketten?“

     „Gar kein so schlechter Gedanke.“

     Seine raue Stimme ließ Isabel erstarren. Sie stellte sich vor, ihre Arme wären gefesselt, während sein Mund über ihr nacktes Fleisch strich.

     Sie zitterte bei dem Gedanken. „Ich habe es nicht ernst gemeint.“

     Seine Mundwinkel gingen leicht nach oben. „Aber ich.“ Er ergriff rasch ihre Hände und hielt sie links und rechts von ihr fest. Isabels Haut erwärmte sich unter seiner Berührung, und sie schloss die Augen, um ihn nicht ansehen zu müssen.

     „Rühr mich nicht an. Nicht, wenn du diese Ehe beenden willst.“

     Als Antwort legte er ihr die Hand an die Wange und strich ihr dann durchs Haar. Es war eine langsame Folter, eine, die ihr den Willen nahm. Sie wollte ihm in die Arme sinken, seinen Mund auf dem ihren spüren. Ungeduldig kämpfte sie um ihre Beherrschung, versuchte, das wilde Verlangen in ihrem Innern zu ignorieren.

     „Was wirst du mit mir tun?“, gelang es ihr zu fragen.

     „Das habe ich noch nicht entschieden.“

     Sie umklammerte den Stoff des Kleides und kämpfte ihren Zorn nieder. Hatte er wirklich vor, sie hier für den Rest des Tages festzuhalten? Wenn sie gezwungen war, in diesen Mauern tatenlos ihre Zeit zu verbringen, würde sie verrückt werden.

     „Lass mich gehen“, flehte sie. „Wenn es sein muss, bring mich zurück nach Ennisleigh, aber zwinge mich nicht hierzubleiben.“

     „Ich habe ja gewollt, dass du auf Ennisleigh bleibst. Es war zu deiner Sicherheit, aber du hast nicht gehorcht.“

     „Ich gehorche nur den Befehlen nicht, mit denen ich nicht einverstanden bin.“

     Er murmelte einen Fluch. „Es geht hier nicht darum, die Wahl zu haben, Isabel. Es geht darum, dich in Sicherheit zu wissen.“

     „Du kannst nicht für die Sicherheit eines Menschen sorgen, indem du den Betreffenden einfach einsperrst“, sagte sie leise.

     Sie konnte diesen König, den sie geheiratet hatte, einfach nicht verstehen. Eine Mauer aus Verantwortung und Pflichtgefühl verbarg den Menschen. Nur dann und wann erhaschte sie einen Blick auf ihn. Er war ein Mann, der sich seiner Familie und seinem Stamm verschrieben hatte. Ein von einer dunklen Leidenschaft besessener Mann, die er kaum vor ihr zu verbergen vermochte.

     „Es ist meine Pflicht, dich zu beschützen. Dein Vater würde uns alle erschlagen, würde dir etwas zustoßen.“

     „Möglich. Doch nur, weil das ein Grund für einen Krieg wäre. Nicht, weil ihm etwas an mir liegt.“ Ein- oder zweimal war sie vom Schloss ihres Vaters davongelaufen. Die Ritter hatten sie zurückgebracht, Edwin de Godred hingegen hatte nicht einmal bemerkt, dass sie verschwunden gewesen war.

     Patrick antwortete nicht. Sein Gesicht zeigte keinerlei Gefühl, er schien ganz und gar der beherrschte Kämpfer. Isabel überlief es kalt bei seinem Schweigen. „Der Krieg zwischen dir und meinem Vater ist noch nicht vorbei, oder?“

     Er schüttelte langsam den Kopf. „Unsere Heirat hat ihn nur hinausgezögert. Aber unser Volk hat sich nicht ergeben. Wir werden unsere Freiheit nicht aufgeben.“

     „Tu das nicht“, flehte sie. „Deine Männer werden sterben, und zur Sühne wird mein Vater dein Leben fordern.“

     „Mein Leben gehört bereits meinem Stamm.“

     Isabel packte der Zorn, weil er daran dachte, sich zu opfern. „Dann bist du schon so gut wie tot. An nichts liegt dir mehr etwas.“

     Sie fühlte sich verletzt und schloss die Augen, damit Patrick ihre Tränen nicht sah. Wie kam sie dazu, an ihn wie an einen wahren Gatten zu denken? Tat er doch nichts anderes, als sie von sich zu stoßen.

     „Sie sind meine Familie, mein Blut.“

     Das Kinn in die Hand gestützt, beugte Isabel sich über den Tisch. Mit dem Finger fuhr sie die tiefen Furchen im Holz nach und wünschte sich, sie könnte Patrick verstehen. Draußen schoben sich Wolken vor die Sonne.

     Als sie wieder den Blick hob, sah sie die Entschlossenheit in seinen Augen. Und sie fragte sich, wie es wohl wäre, wenn ein Mann sie so lieben würde wie er seine Brüder und seinen Stamm liebte.

     „Sag mir eines“, meinte sie. „Wieso lebst du dein Leben für deinen Stamm und nicht für dich?“

     Sie wollte ihn provozieren, einen Hauch von Gefühl bei ihm entdecken. In seinem Blick war jedoch nur Leere. „Du weißt nichts von meinen Treuepflichten.“

     „Da hast du recht.“ Der Schmerz in ihrem Innern ließ ihre Stimme dumpf klingen. „Weil du mir nichts darüber sagen willst. Ich weiß überhaupt nichts über den Mann, den ich geheiratet habe. Alles, was ich weiß, ist, dass du mich nicht Teil deines Stammes werden lassen willst.“

     Was sie auch tat, er sah immer noch die Feindin in ihr. Und sie war es so müde, zu versuchen zu helfen, wo er seine Meinung über sie ohnehin nicht ändern wollte.

     Sie stand auf und schloss die Fensterläden, obwohl die Sonne fast verschwunden war. „Glaubst du, ich sehe ihr Leiden nicht? Und ich muss danebenstehen und so tun, als wäre nichts.“

     „Du kannst nicht helfen.“

     „Doch, ich kann. Und die Männer meines Vaters können es auch. Gib ihnen einen Grund, dir zu helfen, und sie werden es tun. Macht euren Meinungsverschiedenheiten ein Ende und tut euch zusammen.“

     „So einfach ist das nicht.“

     „Ist es doch. Lass sie Teil dieser Burg sein. Sie können nicht für etwas kämpfen, dass ihnen nichts bedeutet.“

     Sein Gesicht verhärtete sich. „Ich habe die Normannen bereits kennengelernt, Isabel. Sie haben mich zum König gemacht, indem sie meinem Bruder ihr Schwert ins Herz stießen. Ich sah Uilliam in der Schlacht sterben, und ich konnte nichts tun, um sie aufzuhalten.“ In seiner Stimme schwangen Schmerz und Wut mit.

     „Die Schlacht ist vorbei.“ Sie streckte die Hand nach ihm aus. „Aber du hast noch eine Chance, deinen Stamm zu retten. Bringe die Männer zusammen. Du verdoppeltest deine Streitmacht und hast die Männer, die du brauchst, um Laochre gegen deine Feinde zu verteidigen.“

     „Die Normannen unternahmen nichts, als die O’Phelans angriffen.“ Er schüttelte ablehnend den Kopf.

     Isabel ließ die Hand sinken. „Und hast du auch gesehen, wie deine Männer sie behandeln? Sie sprechen nicht mit den Normannen, noch bieten sie ihnen Gastfreundschaft an.“

     „Meine Männer sind der normannischen Sprache nicht mächtig“, erklärte er.

     „Deine Männer provozieren sie auch bei jeder Gelegenheit. An dem Tag, als ich zum ersten Mal nach Laochre kam, habe ich ihre Verletzungen und blauen Flecken gesehen. Ich kann gut verstehen, warum sie nicht für euch kämpfen wollen. Sie sind viel zu sehr damit beschäftigt, gegen euch zu kämpfen.“

     Mit klopfendem Herzen rutschte sie näher an ihn heran. „Aber wir könnten es ändern.“ Sie legte ihm die Hände auf die Schultern und fragte sich unwillkürlich, ob er sie von sich schieben würde. „Gestern war ich bereit, einen der O’Phelans zu töten, wenn es hätte sein müssen.“

     Er sah sie fest an. „Du hast noch nie zuvor einen Mann getötet.“

     „Nein. Aber ich könnte es.“

     „Würdest du für unseren Stamm einen deiner eigenen Leute erschlagen?“

     „Würdest du einen der Deinen erschlagen?“ Sie wartete die Antwort nicht ab. Bevor sie die Hände zurückziehen konnte, hatte er sie sich um die Taille gelegt. „Ich will nicht deine Feindin sein“, flüsterte sie, „und trotzdem behandelst du mich wie die anderen.“

     „Gestern Abend nicht.“ Er zog sie an sich. Liebkosend streichelte er ihren Rücken.

     In Isabel erwachte ein tiefes Verlangen, und sie senkte den Kopf. „Ich bin deine Frau, Patrick. Und ich versuche so gut ich kann, ein Mitglied deines Stammes zu werden.“

     Er umfasste ihr Kinn. Sie fühlte die Wärme seiner Hand auf ihrer Wange. „Du bist die anstrengendste Frau, die mir je über den Weg gelaufen ist.“

     „Dasselbe könnte ich von dir sagen.“

     In seinen Augen blitzte so etwas wie Vergnügen auf. „Ich bin keine Frau, a stór.“

     Isabel biss sich auf die Lippen. Als wüsste sie das nicht allzu gut! „Du weißt, was ich meine. Ein anstrengender Mann.“ Er ließ ein tiefes Lachen hören. Der volle Klang nahm Isabel gefangen. „Ich wusste gar nicht, dass du lachen kannst.“

     Er legte die Hand auf ihren Nacken und massierte sie sanft. Isabel hielt still. Seine Hand auf ihrer Haut, das Gefühl, sich hinzugeben – all das weckte in ihr das Verlangen, ihn zu küssen. „Ich kann vieles, Isabel.“

     „Was willst du von mir?“, fragte sie leise. Er war ihr so nah, und sie kämpfte gegen ihre Gefühle an. Er weckte in ihr den Wunsch nach mehr, auch wenn sie nicht wusste, was es war, wonach sie sich sehnte.

     „Ich weiß nur zu gut, was ich will“, sagte er mit rauer Stimme. „Doch es ist nicht das, was wir beide brauchen.“

     Jäh ließ er sie los. „Ich werde dich einige Tage lang nicht sehen. Morgen treffe ich Donal O’Phelan.“

     „Er versuchte, dich zu töten“, protestierte Isabel. Warum wollte er sein Leben riskieren, indem er sich mit seinem Feind traf? Plötzlich wurde ihr ganz kalt. Er würde diesen Anführer nicht aufsuchen, ginge es nicht um das, was sie getan hatte.

     „Ich schulde ihm corpe-dire, ein Blutgeld für seine Verletzungen. Ich werde das Blutgeld zahlen und den Frieden wiederherstellen.“

     Sie konnte nicht glauben, was er da sagte. Der König von Laochre wollte sich vor diesem Dieb erniedrigen? „Er versuchte, dir das Vieh zu stehlen! Er verdient keinen Frieden.“

     „Ich kann keinen Krieg mit den O’Phelans brauchen, genauso wenig wie mit den Normannen.“

     „Du suchst Frieden mit ihrem Anführer, aber nicht mit den Männern meines Vaters?“ Was war an ihren Leuten anders?

     „Die Normannen töteten unsere Männer. Das ist ein weit größeres Verbrechen als Viehdiebstahl.“

     Sie hatte geglaubt, es gäbe die Hoffnung, über die Eroberung hinwegzukommen. Doch das schien unmöglich zu sein. „Du willst die Vergangenheit nicht ruhen lassen, nicht wahr?“

     „Nein. Ich kann nicht.“ Er kreuzte die Arme vor der Brust. „Ich habe Nachricht erhalten, dass im Osten bei Ath-cliath noch mehr Invasionen stattgefunden haben.“

     Isabel sah ihn nicht an. Sie hatte Angst vor dem, was er im Begriff war zu sagen.

     „Über dreitausend Menschen wurden aus ihren Häusern vertrieben. Die Normannen nehmen die Anführer gefangen.“

     „Warum?“ Ihr wurde eiskalt bei dem Gedanken, jemand könnte Patrick gefangen nehmen.

     „Um sie hinzurichten.“

     „Und sie kommen hierher?“ Ihre Stimme zitterte. Sie musste nicht fragen, seine ernste Haltung war Antwort genug.

     Patrick nickte. „Ich erhielt die Nachricht, sie seien nicht mehr weit von Port-lairgi entfernt. Wenn wir überleben wollen, brauchen wir die Hilfe der O’Phelans.“

     „Und die Männer meines Vaters.“ Eiskalte Angst packte sie. In den neunzehn Jahren ihres Lebens hatte sie nie das Angesicht des Krieges sehen müssen. Doch sie zweifelte kein bisschen daran, dass ihr Überleben davon abhing, ob man die Männer zu einer Streitmacht zusammenschweißen konnte oder nicht.

     „Sie werden nie für uns kämpfen.“

     Isabel fürchtete, dass Patrick recht hatte. Jedenfalls würden sie nicht kämpfen, wenn seine Männer die Normannen weiterhin wie Feinde behandelten. „Wann erwartest du die Streitkräfte der Invasoren?“

     „Jeden Augenblick. Und meine Männer sind nicht vorbereitet.“ Er sah sie besorgt an. „Deswegen wollte ich, dass du auf Ennisleigh bleibst, weit weg von unseren Kämpfen.“

     Er griff nach ihrer Hand, und seine Stimme wurde weich, als er vorschlug: „Ich könnte dich fortschicken, weit weg von dem Blutvergießen.“ Auch wenn er ihr die Möglichkeit bot, der drohenden Schlacht zu entfliehen, wenn sie sie annahm würde das bedeuten, sich von den anderen abzuwenden. Deren Schicksal sollte aber auch das ihre sein. Isabel nahm seine Hand. „Ich leugne nicht, dass ich Angst habe. Doch mein Platz ist hier.“

     Er sah sie eindringlich an. „Eines Tages wirst du vielleicht deine eigene Burg besitzen und viele Söhne und Töchter haben. Und du wirst das alles hier vergessen.“

     Obwohl seine Worte ihr Sicherheit geben sollten, verletzten sie Isabel nur. Denn sie machten ihr schmerzlich klar, dass Patrick sie nie als seine Frau ansehen würde. Immer nur als eine Fremde, die er so schnell wie möglich loswerden wollte.

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