Irische Hochzeit - 13. Kapitel

13. KAPITEL

Bei Sonnenuntergang kehrte Patrick zurück, um sie aus dem Gemach zu befreien. Isabel hatte kaum bemerkt, wie viel Zeit vergangen war, so sehr war sie in düsteren Gedanken versunken gewesen. Ihr ganzes Leben lang war sie daran gewöhnt, sich um andere zu kümmern. Alle in der Burg ihres Vaters, die Diener und das einfache Volk kannten sie. Isabel fühlte sich für ihr Wohlergehen verantwortlich.

     Hier aber war sie nur eine Bürde. Und ganz gleich, wie sehr sie sich auch bemühte, sich einen Platz zu erobern, ihr Gatte legte ihr auf Schritt und Tritt Hindernisse in den Weg. Ein Teil von ihr fragte sich, ob sie nicht aufgeben sollte.

     Während Patrick sich aufmachte, um mehr Vorräte für Ennisleigh zu beschaffen, ging Isabel quer durch den Ringwall zu den Normannen hinüber. Auf ihrem Weg studierte sie die Gesichter der Iren. Die meisten wandten sich ab und taten, als würden sie sie nicht sehen. Isabel straffte den Rücken und ließ sich ihre Enttäuschung nicht anmerken.

     Sir Anselm stand neben einer Gruppe von Recken, die sich im Kampf übten. Als er Isabel kommen sah, verbeugte er sich.

     „Königin Isabel.“

     Für Isabel hörte sich der Titel wie Spott an, doch sie widersprach nicht. „Kann ich Euch einen Augenblick sprechen?“

     „Natürlich.“

     Sie ging zum Torhaus und lehnte sich an die Wand. Über ihnen auf einer hölzernen Plattform saß Ewan MacEgan. Zweifellos lauschte er ihrem Gespräch.

     „Wieso habt Ihr Patrick MacEgan bei dem Überfall nicht geholfen?“

     Sir Anselm kreuzte die Arme vor der Brust und warf einen Blick zu den Iren hinüber. „Die MacEgans folgen ihrem eigenen Weg, meine Königin. Sie wollen nichts mit uns zu tun haben, und wir wollen ihnen auch nicht helfen.“ Sein Blick war steinern und gnadenlos.

     „Andauernd wollen sie uns provozieren“, fuhr er fort. „Meine Männer müssen immer auf der Hut sein vor einem Messer, das sich ihnen in den Rücken bohrt. Es ist besser, wenn jeder für sich bleibt.“

     Also hatte sich nichts geändert. „Möchtet Ihr nach England zurückkehren?“

     „Innerhalb einer Stunde würden meine Männer abziehen, käme der Befehl dazu.“

     „Und was ist mit Euch? Wollt Ihr auch gehen?“

     „Ob ich gehe oder bleibe spielt keine Rolle“, gestand er. „Mein Schwert gehört Lord Thornwyck. Doch unter meinen Männern gibt es welche, die sich nach ihren Frauen und Kindern sehnen.“

     „Und wenn ich nach denen schicken würde, würden Eure Männer dann hier ihr Heim aufbauen?“

     Mit einem traurigen Lächeln schüttelte Sir Anselm den Kopf. „Hier mitten unter den Iren würden sie nur um das Leben ihrer Frauen fürchten. Der Graben zwischen uns ist zu tief.“

     „Gibt es irgendeinen Weg, die Feindlichkeiten zu beenden?“, fragte sie.

     „Nein.“

     Auch wenn er vermutlich recht hatte, Isabel hasste den Gedanken, die Hoffnung aufzugeben. Innerhalb des Ringwalls konnte man die Wut der Iren mit Händen greifen. Die Männer kamen nicht über die verlorene Schlacht hinweg.

     Doch für Kinder würde es viel schwieriger sein, einander fernzubleiben. Ihre natürliche Neugier würde helfen, die beiden Seiten zusammenzuführen, wie widerstrebend das auch immer geschehen mochte.

     Ihr früherer Einfall, die Frauen und Kinder hierherzubringen, gefiel ihr immer besser. Selbst wenn die Männer nicht zusammenkommen wollten, die Frauen wollten es vielleicht. Je länger sie darüber nachdachte, desto besser hörte es sich an.

     Sie musterte jeden einzelnen der Leute, und als sie sah, dass Ewan immer noch lauschte, entspannte sie sich. Sie würde den Jungen bestechen, ihrem Vater eine Botschaft zu schicken. Mit ein wenig Glück würden Sir Anselm und seine Männer noch vor Ende des Sommers einen Grund haben, auch der irischen Seite gegenüber loyal zu sein.

Der Frühling ging in den Sommer über, und mit jedem Monat, der verging, verstand Isabel die Menschen um sich herum besser. Ihr Irisch war nicht mehr so erbärmlich, und sie wusste nun genug Wörter, um sich mit Annle über alltägliche Angelegenheiten zu unterhalten. Die Bewohner von Ennisleigh hatten sich nicht mit ihr angefreundet, doch zumindest schienen sie ihre Anwesenheit zu tolerieren.

     Heute regnete es in Strömen, und sie kauerte sich in der Burg ans Feuer. Vor vierzehn Tagen hatte sie die Inselbewohner davon überzeugen können, ihr beim Decken des Turmdaches zu helfen. Das erlaubte ihr, die Hütte zu verlassen, und sie hatte die Zeit damit verbracht, das Innere des Turms herzurichten.

     Zwar war die Große Halle nicht sehr groß, doch Isabel hatte frische Binsen ausgestreut und Annle überreden können, ihr einen der Webstühle in den Turm zu stellen. Außerdem hatte Trahern ihr bereits einen neuen Stuhl angefertigt, und Patrick wollte ihr bei nächster Gelegenheit einige Möbel aus Laochre bringen.

     Die gemütlichere Umgebung und der vertraute Klang des Webstuhls gaben ihrer Seele Frieden, auch wenn sie Patrick im vergangenen Monat nur ein- oder zweimal gesehen hatte.

     Denn seit der Nacht, in der sie fast ihre Unschuld verloren hätte, mied er sie. Sie versuchte, nicht daran zu denken. Schließlich waren sie übereingekommen, nach dem Besuch ihres Vaters getrennte Wege zu gehen.

     Doch irgendwie vermisste Isabel ihn. Und bei den kurzen Gelegenheiten, in denen sie einander sahen, betrachtete er sie stets mit einem merkwürdigen Ausdruck in den Augen. Als ob sie für ihn immer unerreichbar bliebe.

     Die Tür flog auf und Ewan stürzte herein. „Wir brauchen die Große Halle.“

     Isabel stand auf und legte die Wolle beiseite. „Warum?“

     Er trat von einem Fuß auf den anderen und tanzte beinahe vor Aufregung. „Trahern ist gekommen, um Geschichten zu erzählen. Aber er kann wegen des Regens den Versammlungsort nicht benutzen. Deswegen kommen sie hierher.“

     „Wer kommt?“

     „Die Inselbewohner. Trahern ist einer der besten Barden, und er kennt einige neue Geschichten. Die will er erzählen.“ Ewans schiefes Grinsen zeigte brüderlichen Stolz.

     Isabel wurde verlegen. „Aber ich habe nichts zu essen und zu trinken für sie.“ Es war das erste Mal seitdem sie nach Erin gekommen war, dass sie Gastgeberin einer Versammlung war, und sicher würden ihre Gäste ein Urteil über ihre Fähigkeiten in dieser Hinsicht fällen. Oder über ihre mangelnden Fähigkeiten.

     „Du musst mir helfen“, bedrängte sie Ewan. „Kehre nach Laochre zurück und hole Essen und ein Fass des besten Weins, den wir haben. Bring die Normannen dazu, dir zu helfen. Und schicke nach Sir Anselm und seinen Männern.“

     Ewan schüttelte den Kopf. „Das Essen kann ich besorgen, doch die Stammesgenossen werden die Normannen hier nicht haben wollen.“

     „Mir ist gleich, was sie wollen oder nicht. Das hier ist für beide eine Gelegenheit, eine unterhaltsame Nacht ohne jeden Kampf zu verbringen. Ich will sie hier haben, zusammen mit den Iren.“

     Man würde ein Fass Wein brauchen, um beide Seiten betrunken genug zu machen, die Gesellschaft der anderen zu ertragen. Doch wenn die Männer ihre Streitigkeiten beilegten, war es die Sache wert.

     „Eventuell brauchen wir auch zwei Fässer Wein“, korrigierte sie sich. Und betete zu den Heiligen, dass die Männer sich nicht gegenseitig bekämpfen würden.

     Isabel schob den Webstuhl beiseite und fing an aufzuräumen. „Wir haben nicht genügend Platz, damit alle sich setzen können. Heilige Mutter, was soll ich nur machen?“ Sie sprach leise mit sich selbst, während sie angestrengt nachdachte. Dann wirbelte sie herum. „Warum stehst du immer noch hier herum?“, sagte sie zu Ewan. „Lauf! Nicht lange, und sie werden hier sein.“

     Der Junge rannte nach draußen, und Isabel schürte das Feuer, legte mehr Torf auf, damit es wärmer wurde. Sie zündete Fackeln an und steckte sie in die eisernen Halter entlang den Wänden. Nicht lange, und der Raum erstrahlte in warmem Licht.

     Sie warf sich den brat über den Kopf und stürzte hinaus in den Regen. Jetzt brauchte sie Annle, um mehr Sitzgelegenheiten in die Halle zu bringen.

     Draußen strömte der Regen nieder. Isabel hämmerte an Annles Hütte. Ihr Mann Brendan ließ sie herein, und Isabel stolperte hinter dem großen, dünnen Iren her. Mit seiner ruhigen Art und seiner sanften Stimme war er einer der Wenigen, die sich ihr gegenüber freundlich zeigten.

     „Was ist los?“, fragte Annle. „Ist etwas geschehen?“

     „Ja, es ist etwas geschehen.“ Isabel sah sich in der kleinen Hütte um und zählte Stühle und Bänke. „Ich brauche Eure Hilfe, um genügend Stühle und Bänke zusammenzubekommen. Trahern kommt vom Festland herüber, um Geschichten zu erzählen.“

     Annle zuckte die Achseln. „Ich weiß. Wir werden uns in der Burg versammeln, so wie immer.“ Sie runzelte die Stirn. „Das heißt, wenn Ihr nichts dagegen habt.“

     „Natürlich nicht. Aber man kann sich nirgends hinsetzen.“ Aus einer dunklen Ecke tauchte Sosanna auf. Ihr helles Haar war über der Stirn geflochten, der Rest fiel ihr über die Schultern. Sie trug einen einfachen grünen léine mit einem cremefarbenen Überkleid, das sofort erkennen ließ, wie bald sie der Niederkunft entgegensah.

     „Wollt Ihr mir helfen?“, bat Isabel und sah dabei beide Frauen an. Sosanna lächelte zögernd und sah Annle an.

     „Es ist Euch wichtig, nicht wahr?“, fragte die Heilerin.

     Isabel nickte. „Ich muss genügend Bänke finden. Und ich habe nicht genug Essen und Trinken für die Leute. Es gibt auch keinerlei Schmuck für den Raum.“

     Isabel hätte am liebsten den Kopf in den Händen vergraben. Das war ihre erste und vielleicht einzige Gelegenheit, Gastgeberin des Stammes der MacEgan zu sein. Und selbst wenn die Leute sie nicht mehr zu verabscheuen schienen, so hießen sie sie doch auch nicht willkommen.

     „Wir machen das schon“, sagte Annle. Sie blieb ganz ruhig und freundlich. „Ihr solltet gehen und die anderen bitten, ihre Stühle und Bänke zu bringen. Und Essen.“

     Isabel zögerte. „Ich glaube, ich sollte diejenige sein, die für die Speisen sorgt.“

     „Es bleibt Euch keine Zeit mehr, genug vorzubereiten, und es wird auch nicht erwartet. Jeder wird etwas mitbringen, was alle sich dann teilen. Ihr werdet schon sehen. Geht und sprecht mit ihnen.“

     Lieber wäre Isabel in eine Löwenhöhle gegangen, aber sie wusste, dass Annle recht hatte. Sie musste die anderen um Hilfe bitten. Böse Erinnerungen an damals stiegen in ihr auf, als sie die Inselbewohner um eine Fackel gebeten und die sich nicht gerührt hatten. Würden sie sie auch dieses Mal fortschicken?

     Sie schluckte schwer. „Gut.“

     Von den normannischen Streitern sagte sie nichts. Es würde ihre Freundin nur böse machen. Beunruhigt fragte sie sich, ob es richtig gewesen war, Ewan zu bitten, die Männer hierherzuschicken.

     Annle umarmte Isabel und presste die Wange an ihre Wange. „Es wird herrlich werden.“

Isabel ging in ihrer Unterkunft auf und ab und wartete aufgeregt auf ihre Gäste. Die vergangenen Stunden hatten sie auf eine harte Probe gestellt. Auch wenn jeder Inselbewohner ihrer Bitte gelauscht hatte, hatten ihre Gesichter sie nicht willkommen geheißen. Es war, als wäre sie immer noch eine Fremde. Doch sie hatte all ihren Mut zusammengenommen und jeder der Hütten einen Besuch abgestattet.

     Jetzt stand sie am Eingang und sah, wie Ewan und die Inselbewohner sich mit den Fässern voll Wein abplagten. Von den Normannen war nichts zu sehen und auch nichts von ihrem Gatten. Isabels Stimmung sank. Sie hatte gehofft, sie würden dem Fest beiwohnen.

     Sie wollte, dass Patrick kam, wollte ihn noch einmal sehen. Obwohl er sich von ihr fernhielt, hatte er ihr alle vierzehn Tage Essensvorräte geschickt, und immer war ein Geschenk für sie dabei gewesen. Einmal sandte er einen Spiegel aus poliertem Silber, ein anderes Mal einen Seidenstoff von der gleichen Farbe wie ihr ruiniertes Hochzeitsgewand.

     Allesamt waren es Geschenke, die ein Mann einer Frau schicken mochte, um ihr den Hof zu machen. Doch das anrührendste Geschenk war eine grau-weiße Katze gewesen. Isabel nannte sie Duchess, und an vielen Tagen lag das Tier zusammengerollt auf ihrem Schoß und schnurrte leise.

     „Trinkt etwas Wein“, drängte Annle, nachdem die Männer die Fässer abgesetzt hatten. „Es gibt keinen Grund, sich Sorgen zu machen.“

     Isabel nahm den angebotenen Becher an und tat einen kräftigen Zug. Das würzige Aroma der Getränks wurde untermalt von einer angenehm-holzigen Note, und sie zwang sich zur Ruhe.

     Annles Mann und die anderen hatten sich zusammengetan, um einige niedrige Tische in die Halle zu bringen. Der Duft von gebratenem Wild vermischte sich mit dem Rauch der Torffeuer. Als ein Gast nach dem anderen kam, wurde noch mehr Essen auf die Tische gestellt. Gekochte Rüben, Karotten, Platten mit Lachs, Brotlaibe, und sogar ein Teller voll gekochter Gänse-Eier waren Teil des Festes.

     Isabel wurde es etwas leichter ums Herz, sobald sie feststellte, dass mehr als genug zu essen da war. Während die Leute Wein tranken und die Speisen genossen, setzte sie sich neben den Eingang. Die kühle Nachtluft und der Regen wehten herein, und Isabel rückte etwas von der Tür weg, um nicht nass zu werden.

     Fröhlicher Lärm erfüllte den Raum, und obwohl Isabel jetzt den größten Teil der Unterhaltung verstehen konnte, lehnte sie sich an die Wand zurück. Selbst nach dem sie nun schon eine Saison auf der Insel war, widerstrebte es ihr, sich zu ihnen zu gesellen. Schüchternheit hielt sie davon ab, sich mit den anderen zu unterhalten.

     „Wieso versteckst du dich hier im Dunkeln?“, fragte eine Stimme. Isabel drehte sich um und erblickte Patrick. Ihr Herz tat einen Sprung, und in Gedanken schalt sie sich dafür, dass sie sich wie ein liebeskrankes Mädchen fühlte. Aber es war schon so lange her, dass sie ihn das letzte Mal gesehen hatte.

     „Ich verstecke mich nicht.“ Sie wusste nicht, was er von ihr erwartete und rührte sich nicht.

     Sein schwarzes Haar war zurückgebunden, was äußerst wirkungsvoll die markanten Linien seines Gesichts betonte. Er trug eine tiefrote Tunika mit dunklem Besatz, und sein saphirblauer Mantel wurde an der Schulter von einer Smaragdbrosche gehalten. Auf dem Kopf trug Patrick einen leicht schief sitzenden Goldreif. Gold glänzte an seinen muskulösen Armen.

     „Heute Nacht siehst du wie ein König aus“, meinte sie.

     „Das erwartet man von mir.“

     Isabel stellte ihren Weinkelch beiseite und betrachtete ihn einen Moment lang. Sie streckte die Hand aus und rückte den Reif gerade. „So sieht es besser aus.“

     „Ich kenne keinen, der es wagen würde, so etwas zu tun.“

     „Ein König sollte keine schiefe Krone tragen.“

     „Man nennt sie minn óir.“ Er nahm ihre Hände von seinen Schläfen und hielt sie fest. Die Berührung seiner rauen Handflächen überraschte Isabel.

     Aus Angst, ihn anzusehen, schloss sie die Augen. Etwas Kaltes, Schweres legte sich um ihren Hals, und sie öffnete die Augen. „Was ist das?“

     „Ein Geschenk.“

     Sie streckte die Hand danach aus und berührte einen äußerst fein gearbeiteten Torques, der noch dazu mit Steinen besetzt war. „Das ist viel zu kostbar. Warum willst du mir das schenken?“

     Sein Blick wurde kühl. „Ich hatte ganz und gar nicht vor, es dir zu schenken. Doch als meine Braut hast du ein Recht darauf.“

     Sie schüttelte den Kopf. „Ich brauche keine Juwelen.“

     Er zuckte die Achseln. „Heute Morgen ist deine Mitgift aus Laochre angekommen. Sie wird unserem Volk sehr helfen. Das hier ist mein Dank dafür.“

     „Du könntest es verkaufen und noch mehr Vorräte erwerben.“

     „Es gehörte meiner Mutter“, war alles, was er darauf antwortete, und Isabel verstand, wieso er sich nicht für Geld davon trennen wollte. Das Gewicht des Schmucks verursachte ihr Unbehagen, denn sie fühlte sich nicht wert, ihn zu tragen. „Ich bin nicht ihre Königin, Patrick.“

     „Nein“, gab er zu. „Doch das ist meine Entschädigung an dich. Morgen werde ich dir das, was von deiner Mitgift und deinem Haushalt übrig ist, zu deinem Gebrauch hierherschicken.“

     Es wäre ihr lieber gewesen, man hätte alles nach Laochre gebracht, zum Wohnsitz ihres Gatten. Es erschien ihr seltsam, all die Sachen in einem Heim zu benutzen, das ihr gar nicht gehörte.

     Patrick deutete auf die Inselbewohner. „Annle erzählte mir, dieses Fest sei deine Idee gewesen.“

     „Ewan sagte, Trahern käme, um Geschichten zu erzählen.“ Sie fasste nach dem Torques und strich mit den Fingern über die feinen Verzierungen. „Ich wollte nicht, dass sich die Leute nicht willkommen fühlen.“

     „Du hast in dem rath viel getan. Er sieht beinahe so aus wie vor langer Zeit.“

     Isabel versuchte ein Lächeln, doch es gelang ihr nicht. Als Patrick die Hand ausstreckte, um ihr Haar zu berühren, zuckte sie zurück. „Was tust du da?“

     „Das hier gehört dir auch, als Teil deines Brautpreises.“ Er nahm ihr den Schleier ab und drückte ihr einen Silberreif auf den Kopf. Dabei wickelte er einige Strähnen darum, damit er nicht verrutschte. „Nimm meine Hand, wir gehen.“

     Isabel rührte sich nicht. Ohne Schleier fühlte sie sich den Blicken ausgesetzt, fast wie ein kleines Mädchen, das mit dem Schmuck seiner Schwester spielt und tut, als wäre es erwachsen. Außerdem ähnelte der Silberreif viel zu sehr einer Krone. Er gebührte einer Königin. „Ich kann das nicht tragen.“

     Er zuckte die Achseln. „Die Inselbewohner erwarten es von dir.“ Und damit schien die Sache für ihn erledigt.

     Er verstand nichts. Für ihn war es ein Stück Silber. Doch sie erinnerte der Reif an das, was sie nie sein würde – die Herrin seines Stammes. Sie hob die Hand, löste den Schmuck aus ihrem Haar und gab ihn ihm. „Nimm ihn. Ich will nicht vorgeben, was ich nicht bin.“

     Er sah sie bestürzt an, doch er nahm den Silberreif. „Wenn du es so wünschst. Aber er gehört dir trotzdem.“ Er verbarg ihn in einer Falte seines Mantels. Dann streckte er ihr die Hand entgegen. „Wir müssen unsere Gäste begrüßen.“

     Isabel zwang sich, seine Hand zu ergreifen. Seine Finger schlossen sich um die ihren, und er fügte hinzu: „Du hast Sir Anselm und einige seiner Männer für heute Abend eingeladen.“ In seiner Stimme schwang ein warnender Unterton mit. „Ewan berichtete mir von deiner Bitte.“

     Natürlich hatte der Junge das getan. Wenn man Ewan bat, ein Geheimnis zu bewahren, konnte man genauso gut die Sonne bitten, nicht zu scheinen.

     „Ja, ich bat sie, sich zu uns zu gesellen.“ Die Normannen brauchten eine Nacht, in der sie die Iren als Freunde und nicht als Feinde erleben konnten. „Ich dachte, sie würden sich über ein nächtliches Fest freuen.“ Sie sah ihn scharf an. „Willst du ihnen diese Gelegenheit verweigern?“

     Er zögerte mit der Antwort und betrachtete die Inselbewohner, die ihr Fest genossen. Isabel spürte die Wärme seiner Finger und versuchte, sich ihre Reaktion auf seine Berührung nicht anmerken zu lassen. Ihre Gefühle ihm gegenüber hatten sich keinesfalls beruhigt, seitdem er sie das letzte Mal angefasst hatte. Eher fühlte sie sich noch mehr zu ihm hingezogen.

     „Ich erlaube es“, sagte er schließlich. „Aber nur, weil es so wenige sind.“

     In diesem Moment betrat Trahern den Saal und begrüßte alle mit einem warmen Lächeln. Er zwinkerte Isabel zu, und Patrick geleitete sie zu dem kleinen Podest. Die Augen aller waren auf sie gerichtet, und einige flüsterten miteinander beim Anblick des Torques um ihren Hals. Auch wenn alle wussten, dass sie Patricks Frau war, stellte er sie hier doch zum ersten Mal der Öffentlichkeit als seine Gattin vor.

     „Mein Bruder Trahern ist heute Abend gekommen, um Geschichten zu erzählen“, hub Patrick an. „Wie wir alle wissen, redet er zu viel. Aber mit gutem Wein und gutem Essen werden wir uns seine Geschichten vielleicht anhören können.“

     Die Menge lächelte zustimmend. Isabel trat ein wenig zurück. Patrick fasste sie am Handgelenk und hinderte sie daran, sich zurückzuziehen. „Wie ich gehört habe, hat Lady Isabel die Vorbereitungen für dieses Fest getroffen. Wollt ihr sie nicht für ihre Gastfreundlichkeit ehren?“

     Tiefes Schweigen folgte seiner Frage. Im Hintergrund hob Annle grüßend ihren Holzbecher, die anderen folgten indes nicht ihrem Beispiel. Isabel errötete verlegen. Sie wünschte, Patrick hätte nicht die Aufmerksamkeit auf sie gelenkt.

     Patricks Blick wurde zornig. „Wenn ihr Isabel MacEgan schimpflich behandelt, so behandelt ihr euren König schimpflich.“ Daraufhin murmelten einige ein paar Dankesworte. Isabel wäre am liebsten im Boden versunken und hätte sich unter den Binsen versteckt. Ihr Gesicht brannte vor Scham ob dieser Kränkung.

     Patrick gab Trahern das Zeichen, mit seinen Geschichten zu beginnen. Einer der Männer ergriff eine runde, mit einer Ziegenhaut bespannte Trommel, um die Geschichte rhythmisch zu untermalen.

     Isabel nickte höflich und wollte sich hinter die Menge ihrer Gäste stehlen. Mit etwas Glück würde sie fliehen und der Aufmerksamkeit entkommen können.

     Doch Patrick ergriff ihr Handgelenk. „Du kannst nicht gehen“, sagte er. „Es ist deine Pflicht zu bleiben.“

     „Ich habe meine Pflicht getan“, flüsterte sie. „Hat es dir gefallen zu sehen, wie sie mich zurückstießen?“

     „Nein“, war seine aufrichtige Antwort. Er sah sehr wohl ihr betroffenes Gesicht. Irin oder Normannin, sie war eine Frau, die ihr Bestes versucht hatte, um ihnen einen festlichen Abend zu bieten. Für diesen Versuch verdiente sie Dank. „Aber deine Bemühungen sind nicht unbemerkt geblieben. Und es freut mich, dich Irisch sprechen zu hören. Ich kann nicht glauben, dass du es so schnell gelernt hast.“

     „Ich hatte keine Wahl. Sonst hätte ich mich mit dem Gras unterhalten müssen.“

     Sie leerte ihren Becher, und er füllte ihn erneut. „Es tut mir leid.“

     Während sie trank, betrachtete er ihr Gesicht. Ihr goldenes Haar schimmerte im Licht der Fackeln, und das Silber an ihrem Hals glänzte. Die tiefgründigen braunen Augen schienen die Hoffnung verloren zu haben. Die Art, wie seine Leute sie behandelten, gefiel ihm nicht, obwohl er es hatte kommen sehen.

     Was ihn betraf, so versuchte er, sie aus seinen Gedanken zu verdrängen. Aber jeden Tag ertappte er sich dabei, wie er zur Insel hinüberschaute und über Isabel nachdachte. Er hatte erwartet, dass sie ihr Leben spinnend und webend auf der Insel verbringen würde. Stattdessen hatte sie Irisch gelernt und die Heimstatt seines Großvaters wieder aufgebaut. Er legte die Hand auf ihren Rücken, und Isabel hielt den Atem an. Sie fing seinen Blick auf, und ihre Lippen öffneten sich ein wenig. Sie sah ihn an, den Blick voller Verlangen, gerade so, als erwiderte sie seine Gefühle. Auch wenn es nicht richtig war, er hatte sie vermisst.

     „Möchtest du etwas Wein?“, meinte sie.

     Er nahm ihren Becher und nippte daran. Isabel verzog den Mund. „Ich meinte damit nicht meinen Becher.“

     „Ich mag deinen.“

     Sie warf ihm einen warnenden Blick zu, doch das wirkte auf Patrick bloß wie eine willkommene Herausforderung. Gemeinsam lauschten sie Traherns Geschichte, und Patrick beobachtete, wie das Lachen ihr Gesicht weich werden ließ. Er griff nach ihrem Becher, um noch einen Schluck daraus zu nehmen, doch Isabel hielt ihn fest.

     „Willst du mit mir darum kämpfen?“, drohte sie im Scherz.

     „Vielleicht.“ Genau jetzt wollte er sie gerne nach draußen in den Regen ziehen und sie küssen, bis nichts mehr zwischen ihnen stünde. Stattdessen ließ er ihren Becher los und suchte sich einen eigenen. Er beobachtete sie aus einiger Entfernung. Das grüne Oberkleid und das blaue léine betonten ihre weiblichen Rundungen, der Stoff schmiegte sich eng an ihre Gestalt an. Doch ihm fiel auf, dass sie nur so tat, als lächelte sie, und dass sie sich ansonsten von den Leuten fernhielt. Und auch wenn sie vorgab, sich zu amüsieren, so schien sie die Wand der Gesellschaft anderer vorzuziehen. Das bekümmerte Patrick mehr als es sollte, denn dadurch erschien sie ihm weit fort zu sein.

     Patrick nahm einen tiefen Schluck Wein und zwang seine Aufmerksamkeit in eine andere Richtung. Eine Geschichte folgte der anderen, und wenn Trahern unterbrach, um sich an Wein und Essen zu erfreuen, griffen einige der Inselbewohner zu ihren Instrumenten. Der Klang von Harfe und bodhrán, einer Trommel, vermischten sich mit den Gesprächen der Leute.

     Schließlich erschienen die Normannen. Nur sechs Männer waren gekommen und Gott sei Dank trugen sie keine Rüstung. Die Iren bemerkten sie zuerst nicht, denn die Normannen hielten sich im Hintergrund. Isabel hob die Hand, um Sir Anselm zu begrüßen.

     Patrick wurde von Unruhe erfasst. Er wusste nicht, wie die Seinen reagieren würden, und er bezweifelte, dass sie betrunken genug waren, um die Normannen willkommen zu heißen. Noch vor Kurzem hätte er den Neuankömmlingen den Zutritt verweigert, wären da nicht zwei Gründe gewesen, die dagegensprachen. Sir Anselm hatte begonnen, seine Iren für den Kampf zu trainieren. Er machte aus Bauern Krieger. Patrick hatte das Ergebnis gesehen. Schon bald würden sie so weit sein, dass sie der normannischen Armee entgegentreten konnten.

     Und außerdem hatte die Anwesenheit der Normannen die Männer des Earl of Pembroke ferngehalten. Dutzende von Anführern im ganzen Land hatten ihr Leben verloren, nachdem ein normannischer Lord namens Raymond le Gros befohlen hatte, ihnen die Beine zu brechen und ihre Körper über die Klippen zu werfen.

     Patrick war einer der wenigen Könige, die dem entkommen waren. Und er wusste, das lag nur daran, dass der Feind innerhalb ihrer Mauern wohnte. Der Schatten des Todes war über sie hinweggezogen, und sein Volk ahnte nichts davon.

     Also hatte er eingewilligt, den Männern einen kurzen Moment des Feierns zu gewähren. Die Belohnung, bestehend aus gutem Wein und einem unterhaltsamen Abend, erschien angebracht, besonders deshalb, da es ja nur wenige Männer waren.

     Für viele war es der erste Besuch auf der Insel. Sie sahen nicht aus, als fühlten sie sich wohl, und Patrick fragte sich, ob Sir Anselm sie gezwungen hatte zu kommen. Isabel entschuldigte sich, um den Männern Becher mit Wein zu bringen, und da bemerkten die Iren die Normannen.

     „Was machen die hier?“, fragte einer auf Irisch. Sein vorwurfsvoller Blick traf Isabel. „Ennisleigh gehört uns. Sie haben kein Recht, hier zu sein.“

     Noch bevor Patrick antworten konnte, erhob sie die Stimme und sprach zu den Iren in deren eigener Sprache. „Sie sind meine Gäste. Das hier ist mein Heim, und alle sind darin willkommen.“

     „Das sagt sie, weil sie eine von ihnen ist“, bemerkte ein anderer.

     Isabel erbleichte und krampfte die Hände ineinander. „Ja, ich bin eine von ihnen. Aber ich lebe auch schon eine ganze Zeit lang auf dieser Insel. Und es ist mein Recht, einzuladen, wen immer ich gerne in meinem Heim sehen möchte.“

     Patrick beobachtete die Wirkung ihrer Worte. Einige der Männer und Frauen schien die Anwesenheit der Normannen nicht viel auszumachen, andere hingegen machten Anstalten zu gehen. Keiner von ihnen beugte das Knie vor Patrick, als sie über die Schwelle gingen, noch boten sie ihm den zu erwartenden Gruß. Er war ihr König, doch in ihren Augen war er jetzt noch tiefer gesunken.

     Es tat weh zu sehen, wie ihm die Freunde seiner Kindheit den Rücken zuwandten. Und er bemerkte, wie Isabel tapfer versuchte, die Tränen zurückzuhalten. Es war zwecklos zu glauben, die Männer könnten je zusammengebracht werden. Nie würden sie Verbündete sein, immer nur Feinde.

     Nur eine Handvoll der Inselbewohner blieben. Annle stand an Isabels Seite, während Sosanna sich im Dunkel hielt.

     Nachdem die anderen gegangen waren, wandte Patrick sich an das kleine Grüppchen Männer und Frauen. „Ich danke euch, dass ihr meine Gattin nicht beleidigt.“ Und er fragte Trahern: „Erzählst du uns noch eine Geschichte?“

     Isabel kam auf ihn zu. „Würdest du für die Männer meines Vaters übersetzen?“, fragte sie bittend. „Mein Irisch ist noch nicht gut genug.“

     Patrick hätte am liebsten Nein gesagt. Er wollte zurück nach Laochre und diesen schrecklichen Abend vergessen. Wieso versuchte sie es immer wieder? Den Normannen zu erlauben, Ennisleigh zu betreten, hatte sie die Unterstützung vieler Inselbewohner gekostet. Begriff sie denn nicht, wie hoffnungslos es war?

     Doch da legte sie die Hand in die seine. „Bitte.“ Sie flehte ihn weder an noch schmeichelte sie ihm, doch diese einfache Bitte von ihr ließ ihn schwach werden. Die Augen voller Hoffnung, blickte sie zu ihm auf.

     Er wusste, dass er nachgeben würde, und verfluchte sich für seine Schwäche.

     „Wenn du es wünschst, a stór.“

     Das warme Lächeln auf ihrem Gesicht war ehrlich gemeint. Sie legte ihm die Hand an die Wange, und er küsste sie wortlos.

     Isabel errötete. „Geh und setz dich zu deinem Bruder.“ Sie deutete auf Trahern, so als wüsste Patrick nicht, wo sein Bruder saß. „Ich – ich will dafür sorgen, dass die Männer Wein bekommen.“

     Es benötigte ein halbes Fass Wein, bis die Normannen endlich anfingen, den Abend zu genießen. Patrick übersetzte sechs Geschichten, und Isabel sorgte dafür, dass sein Becher stets gefüllt blieb. Er wusste nicht, wie viel er getrunken hatte, doch der Raum begann sich langsam zu drehen.

     Mit seinem Rausch war er allerdings nicht allein, denn mehr als ein Inselbewohner lehnte vom Wein benebelt an der Wand. Nach einiger Zeit bat einer der Normannen, die Trommel sehen zu dürfen. Annles Mann ergriff den glatten, eine Handspanne langen Trommelstock. Der Krieger grinste und versuchte, einen einfachen Rhythmus zu schlagen. Es hörte sich entsetzlich an, aber dann zeigte ihm einer der Inselbewohner, wie er den Trommelschlegel zu halten hatte, und schließlich lachten alle beide.

     Als die Fässer leer und auch kein Essen mehr da war, fielen die meisten der Männer und Frauen in der großen Halle zusammengerollt nebeneinander in Schlaf. Isabel gähnte und lehnte sich an einen der niedrigen Tische.

     Patrick beobachtete sie. Am liebsten hätte er sie in die Arme genommen und in ihr Gemach getragen. Mit schläfrigen Augen wandte sie sich dem Normannen auf dem Platz neben ihr zu und antwortete mit einem Lächeln auf etwas, was der Mann sagte.

     Bei diesem Anblick fühlte Patrick, wie ihm die Galle hochkam. Auch wenn der Mann nicht mehr getan hatte, als sich mit seiner Frau zu unterhalten, erinnerte ihn das an seinen Eid, Isabel dürfte sich einen anderen Ehemann wählen. Er stellte sich vor, wie ein anderer Mann sie umfing und ihr Kinder schenkte. Der Gedanke gefiel ihm nicht. Er gefiel ihm ganz und gar nicht.

     Er war nahe daran, den Normannen anzubrüllen, die Finger von seiner Frau zu lassen. Da trat Sosanna an die Harfe. Zusammen mit den anderen ging der Mann zu ihr. Sie war dabei sich hinzusetzen und die Harfe zwischen die Knie zu nehmen. Ihr praller, runder Bauch stieß an das goldbraune Holz. Dann ließen ihre Hände eine klagende Melodie erklingen.

     Patrick hatte sie seit über einem Jahr nicht mehr spielen gehört. Bei den Festen auf Laochre hatte Sosanna sich oft zu den anderen Musikanten gesellt und fröhliche Melodien gespielt, die Männer und Frauen tanzen ließen. Fast hatte Patrick vergessen, wie viel Freude sie ihnen auf ihren Zusammenkünften bereitet hatte. Als das Unglück über sie gekommen war, verlor sie mit ihrer Stimme auch ihre Musik.

     Das Lied war eine Klage, die alle verzauberte, die noch wach waren. Die anderen lauschten, doch es war Sir Anselm, der Patricks besondere Aufmerksamkeit erregte. Der Ritter sah Sosanna mit dem Blick eines Mannes an, der eine begehrenswerte Frau betrachtete.

     Patrick wollte vorerst nichts sagen, selbst wenn dabei nichts Gutes herauskommen konnte. Aber schließlich hatte Anselm Sosannas Leben gerettet, und vielleicht erklärte das sein besonderes Interesse an ihr.

     Als das Lied zu Ende war, erhob sich Isabel und trat zu Patrick. „Würde mir der König eine Audienz gewähren?“, fragte sie und machte dabei einen etwas stolpernden Hofknicks vor ihm. Ihr Gesicht war gerötet, ob vom Wein oder aus Verlegenheit, konnte Patrick nicht sagen.

     „Was ist dein Wunsch?“

     „Komm.“ Sie nahm seine Hand und führte ihn hinter eine hölzerne Trennwand, die ihr Schlafgemach vom übrigen Teil der Halle abtrennte. Patrick trat ein und ließ die Tierhaut niederfallen, welche die Öffnung verdeckte und ihnen eine gewisse Privatsphäre schenkte.

     Bevor er noch eine weitere Frage stellen konnte, schlang sie ihm die Arme um den Hals. „Ich möchte, dass du mich küsst.“

     „Das ist keine gute Idee, a stór.“ Trotzdem sehnte er sich danach, sie zu berühren, die Hände durch ihr seidiges Haar gleiten zu lassen und anzunehmen, was sie ihm darbot. Die unverhüllte Einladung entflammte seine Sinne und weckte in ihm den Wunsch, alles zu vergessen. Alles, außer Isabel.

     Sie schmiegte sich an ihn und rieb ihre Nase an seiner. Achtlos ließ sie ihren wollenen brat zu Boden fallen. Bei Gott, sie war schön, eine Feindin mit dem Gesicht eines Engels.

     „Jeder auf der Insel und auf dem Festland glaubt, dass wir Mann und Frau sind. Im Fleisch wie auch dem Namen nach.“

     „Aber wir sind es nicht.“ Halte dich fern von ihr, warnte ihn seine Vernunft.

     „Stimmt etwas nicht mit mir?“ Auch wenn sie es leichthin sagte, spürte er die Angst, die hinter den Worten lag. Die Frage war ehrlich gemeint. Er wusste nicht mehr, was er sagen sollte. Irgendwie war sie in das Leben seines Stammes eingedrungen, hatte dessen Sprache gelernt und Patricks Zweifel ins Wanken gebracht.

     War es vielleicht doch möglich, sie als seine Ehefrau zu behalten?

     Nein. Er hatte gesehen, wie die anderen Inselbewohner ihr den Rücken zuwandten. Sie sahen in ihr nicht die Frau, die sie war, nur die Normannin, die Tochter ihres Eroberers.

     So, wie auch er sie einst gesehen hatte.

     Er hielt den Atem an. Und als Isabel dann die Wange an seine schmiegte, hätte er alle anderen am liebsten zum Teufel geschickt und sie in sein Bett genommen. Er legte die Arme um sie und zog sie an sich.

     „Nein, an dir stimmt alles.“ Er wich ihr nicht aus, als sie ihn küsste. Stattdessen ließ er sie gewähren und war dankbar dafür, einmal nicht König sein zu müssen. Er schmeckte den Wein auf ihren Lippen, die berauschende Fülle dieser Frau, die zwischen ihm und seinem Stamm stand.

     Allen Konsequenzen zum Trotz wollte er bei ihr liegen. Sie war seine Frau, und schließlich konnte sie auch die körperlichen Freuden miteinander teilen, ohne ein Kind zu riskieren.

     Bei Lug, was hatte sie nur aus seiner Willenskraft gemacht? Er hielt sie nicht länger für eine Feindin. Und sie hatte sich so sehr bemüht, den Inselbewohnern ein richtiges Fest zu bieten. Die hingegen hatten sich einfach von ihr abgewandt. Aber Isabel verdiente ihren Respekt und ihre Bewunderung. Wie viele Frauen würden wohl so hart arbeiten, um die Sprache seines Stammes zu lernen und eine zerfallene Burg wieder aufzubauen?

     Im Geheimen musste er sich die Wahrheit eingestehen. Er wollte sie nicht aufgeben und schon gar nicht einem anderen Mann überlassen. Diese Frau sollte niemand anrühren oder ihr Kinder schenken – außer ihm selbst.

     Und das war das größte Problem von allen.

     Er strich mit den Lippen über ihre Schläfe. Es war, als würde er ihr sein Zeichen aufbrennen. „Ich darf nicht schwach werden, Isabel. Wir könnten ein Kind zeugen.“

     Unter ihren Händen konnte sie die Wärme seines Körpers spüren, und sie sehnte sich nach mehr. „Es gibt doch Wege, das zu verhindern, oder nicht?“

     Wieder Schweigen. Dann hob er ihr Gesicht, sodass sie ihn anschauen musste. Der finstere Zug um seinen Mund, die Wildheit seines nur mühsam gezügelten Verlangens raubten ihr fast die Sinne.

     „Eines Tages wirst du die Frau eines anderen sein“, erwiderte er. „Jemand anderer wird dich berühren.“ Er streifte ihr das Hemd von der Schulter und küsste ihre nackte Haut. Isabel bebte vor Verlangen.

     „Ich will keinen anderen Mann“, antwortete sie und hob ihm den Mund entgegen. „Ich möchte bei dir bleiben.“

     Sie hatte die Worte nicht laut aussprechen wollen, doch es war die Wahrheit. Hier wurde sie gebraucht wie noch nie zuvor. Hier gab es ein Ziel für sie, gab es die Hoffnung, Feinde miteinander zu vereinen.

     „Wenn ich nicht König wäre, gäbe es nichts, was dich mir nehmen könnte.“

     Und plötzlich erkannte Isabel die Wahrheit. Wenn er zwischen ihr und seinem Stamm wählen müsste, würde er immer die Pflicht wählen.

     „Du bist der König“, murmelte sie und berührte mit der Hand seine Stirn, wo der minn oír ruhte. „Und wirst es immer sein.“

     Sie löste sich von ihm, erfüllt von wildem Schmerz, weil sie ihn gehen ließ. Jeder fühlte tausendfach die Trauer des anderen.

     Noch lange nachdem Patrick gegangen war, starrte Isabel auf die Tür, durch die er verschwunden war. Und fragte sich, warum sie nur so töricht gewesen war, sich in einen Mann zu verlieben, den sie nie würde haben können.

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