Irische Hochzeit - 19. Kapitel

19. KAPITEL

Ruarc stand im inneren Burghof und blickte über das Land. Die Normannen waren fort, und der gesamte Stamm der O’Phelans zog durch die Tore ein, ein triumphierendes Lächeln auf den Gesichtern.

     Etwas in ihm war wachsam. Er war König geworden, wie er es gehofft hatte, doch die Leute des MacEgan-Stammes hatten nicht an der Feier teilgenommen. Auch wenn die Normannen gegangen waren, wusste er, dass sie sie nicht zum letzten Mal gesehen hatten.

     Einige seiner Stammesgenossen gingen still in ihre Hütten, während die O’Phelans den Ringwall inspizierten. Seine Instinkte rieten ihm, vorsichtig zu sein. Auch wenn er der Heirat mit Meara zugestimmt hatte, hatte er doch nicht im Gegenzug Laochre übergeben. Die O’Phelans hingegen benahmen sich, als hätten sie die Herrschaft über das Land übernommen.

     „Deine Männer können heute Abend in den Quartieren der Normannen wohnen“, bot Ruarc an. „Die Hochzeit kann dann am Morgen stattfinden.“

     Meara O’Phelan schien ein hübsches, sanftes Mädchen zu sein. Er hatte sie bis jetzt kaum wahrgenommen, aber vermutlich würde sie eine angenehme Ehefrau abgeben.

     Er hielt nach seiner Schwester Ausschau, doch Sosanna war nicht unter den MacEgans. Er sprach mit einigen seines Stammes, nur eine hatte sie indes gesehen.

     „Sie ging mit König Patrick und den anderen nach Ennisleigh“, sagte die Frau.

     Ruarc wollte protestieren und sagen, dass Patrick nicht länger König war, er wusste jedoch, dass es sich kindisch anhören würde. „Wurde sie gezwungen, mitzugehen?“

     Die Frau schüttelte den Kopf. „Sie ging freiwillig.“

     Er wollte es nicht glauben. Sosanna ängstigte sich doch zu Tode vor den Normannen. Wieso sollte sie das sichere Laochre verlassen, nur um auf der Insel von ihnen umgeben zu sein? Unfassbar! Seine Instinkte sagten ihm, dass Sosanna in Gefahr war, besonders, wo Sir Anselm sie so eigenartig betrachtete.

     Und was das Kind betraf … Es fiel ihm schwer, seinen Neffen anzuschauen. Seine Schwester sollte jetzt glücklich verheiratet sein und keine verschreckte Frau, die den Willen zu sprechen verloren hatte.

     Er hatte ihr unbedingt helfen wollen und geglaubt, wenn die Normannen erst einmal fort wären, würde sie gesund werden. Und mit dem Stamm der O’Phelans, der jetzt mit dem Stamm der MacEgans vereint war, besaßen sie die Stärke, die ihnen zuvor gefehlt hatte.

     Donal O’Phelan sprach ruhig zu seinen Männern, und schließlich ging Ruarc zu ihm. „Wir sollten über die Invasion reden, von der Patrick sprach. Wenn Strongbows Heer im Anmarsch ist …“

     „Darüber werden wir uns drinnen unterhalten“, unterbrach ihn Donal. „Lass uns zusammen trinken und Pläne machen.“

     Als sie gemeinsam in die Große Halle gingen, standen an der gegenüberliegenden Seite die Sessel des Königs und der Königin. Das polierte Holz erschien Ruarc fremd, und plötzlich betrachtete er die Halle mit anderen Augen. Ein inneres Widerstreben packte ihn.

     Er hatte sich so nach der Königswürde gesehnt, hatte geglaubt, wenn er diese Position innehätte, könnte er sein Volk von den Normannen befreien. Er wollte die Macht haben, Entscheidungen zu treffen. Doch jetzt, da er sie hatte, fühlte er sich ihrer unwürdiger denn je. Was hatte er getan, indem er Patrick die Krone raubte? Er konnte sich des Gefühls nicht erwehren, dass das falsch gewesen war. Zögernd führte er Donal zu einem Platz nahe dem Sessel des Königs, auf den er sich selbst setzte.

     Donal O’Phelan gab einem Mann an der anderen Seite der Halle ein Zeichen, und dieser legte einen schweren hölzernen Riegel über die Tür.

     „Es ist nicht nötig, die Tür zu verriegeln“, protestierte Ruarc. „Uns droht keinerlei Gefahr von den Normannen.“

     Donal lächelte. „Nein. Nicht von den Normannen.“

     Ruarc überlief es kalt, als er den Stammesführer ansah. „Willst du uns drohen?“

     Donal lachte. „Es gibt keine Drohung. Du hast uns die Tore geöffnet. Und von euch gibt es so wenige, dass es für uns ein Leichtes ist, diese Burg zu erobern.“ Wie zu einem spöttischen Toast hob er seinen Pokal voll Met: „Auf den neuen König.“

     Ruarc griff nach seinem Schwert, aber da hatte er schon einen Dolch an der Kehle. Er umklammerte Donals Handgelenk, doch drei Männer hielten ihn fest.

     Verschwommen nahm er wahr, dass Klingen ihn trafen, während er kämpfte, um sich zu befreien. Sie zerrten ihn von dem Sessel und drückten sein Gesicht in den Schmutz, banden ihm die Hände auf den Rücken.

     Gott, was hatte er getan! Er hatte seinen König verraten und sein Volk, indem er einen feindlichen Stamm in die Burg holte. Wieso hatte er Donal O’Phelan vertraut? Blind vor Wut war er unfähig gewesen, etwas anderes zu sehen als seine Rache.

     „Bindet ihn in der Großen Halle, damit alle ihn sehen können. Im Morgengrauen wird er sterben.“

     Ruarc schloss die Augen. Blut rann ihm übers Gesicht. Er hatte dies hier verdient.

     Eine schlanke Gestalt tauchte in den Schatten der Halle unter. Als Ruarc den Kopf drehte, war sie verschwunden.

In der Nacht ließ Patrick einen Rat aus Inselbewohnern und Normannen zusammentreten. Trahern übersetzte. Die meiste Zeit des Abends hatten sie damit verbracht, darüber zu reden, was nun zu tun war. Sir Anselm schlug vor, die Burg zu belagern, während Annles Mann Brendan meinte, sie sollten besser abwarten.

     „Ruarc wird schon selbst für seine Absetzung sorgen“, behauptete Brendan. „Ihm fehlt die Erfahrung, um den Stamm zu leiten. Und die Königswürde ihm nicht offiziell übertragen.“

     „Sie brachten den Steinsessel“, überlegte Patrick, „aber sie benutzten ihn nicht. Warum?“

     „Weil sie nie vorhatten, ihn zum König zu krönen“, fiel Brendan ein. „Die O’Phelans wollen Laochre und seinen Besitz. Das gefällt mir nicht. Sie führen etwas im Schilde.“

     Patrick ließ alle ihre Meinungen sagen und sich frei dazu äußern, was jetzt zu tun wäre. Als es spät wurde und keine Entscheidung gefallen war, erklärte er die Diskussion für beendet. „Wir werden morgen in der Dämmerung weiterreden. Geht in eure Hütten zurück.“ Er wandte sich an die Inselbewohner. „Wir würden es begrüßen, wenn jemand von euch den Normannen, die einen Unterschlupf brauchen, sein Heim öffnen würde. Unser Turm hat nur wenig Raum.“

     Die Männer zögerten, doch als Annle ihrem Mann die Hand auf den Arm legte, gab Brendan nach. „Anselm und einige seiner Männer können mit uns kommen.“

     Nachdem er zugestimmt hatte, sprachen auch einige andere zögernd eine Einladung aus. Sie gingen in kleinen Gruppen, bis nur noch ein halbes Dutzend Familien in dem Turm blieben.

     Patrick drehte sich um und sah Isabel nahe der Tür zu ihrer Kammer stehen. Sie streckte einladend die Hand aus. „Es war eine lange Nacht für dich.“

     Er wünschte, er hätte die Distanz zwischen ihnen überbrücken und zu ihr gehen können. Doch wenn er es tat, würde er die Nacht damit verbringen, sie zu lieben, statt sich auf die Herausforderungen der kommenden Tage vorzubereiten.

     „Das war es.“ Er rührte sich nicht und ließ die Hände auf den Knien ruhen. „Geh in dein Gemach und schlafe.“

     „Was ist mit dir? Kommst du nicht zu mir?“

     Er schüttelte den Kopf. „Ich mache einen kleinen Spaziergang.“ Nach allem, was geschehen war, musste er einen klaren Kopf bekommen, um zu entscheiden, was zu tun war.

     „Soll ich mit dir kommen?“

     „Nein. Ich möchte lieber allein sein.“ Er stand auf und ging nach draußen. Die Nachtluft traf kalt auf seine Haut, und er zog den Mantel enger um sich. Die vertrauten Geräusche von Leuten, die sich unterhielten, vermischt mit Babygeschrei und Stöhnen von Paaren, die sich liebten, erfüllte die Luft ringsum. Auch wenn niemand mit ihm über den Verlust seiner Königswürde gesprochen hatte, vermutete er doch, dass sie untereinander ausgiebig darüber redeten.

     Als er noch den Rang innehatte, hatte er sich nie wie ein wahrer König gefühlt. Doch anstatt dass er sich jetzt fühlte, als wäre eine Bürde von ihm genommen, war die Anspannung nur noch größer geworden.

     Er gab sich die Schuld an der ganzen Situation. Schon vor langer Zeit hätte er Ruarc gegenüber durchgreifen müssen, denn sein Cousin konnte sich die größere Bedrohung nicht vorstellen, verstand nicht, wie gefährlich Strongbows Armee für sie alle werden konnte.

     Patrick wanderte am Wasser entlang. Die schwarze See schimmerte unter einem silbrigen Mond. Ein flackerndes Licht warf einen goldenen Schein aufs Wasser, und Patrick sah ein einzelnes Boot auf die Insel zukommen.

     Er kniff die Augen zusammen und fragte sich, wie irgendjemand in solch einer Dunkelheit ein Boot hatte finden können. Doch als die einzelne Gestalt sich dem Ufer näherte, erschien ein Lächeln auf seinem Gesicht. Es war sein jüngerer Bruder Connor MacEgan, der von seinen Reisen zurückkehrte.

     Die meiste Zeit seiner Kindheit hatte Connor bei Zieheltern in Banslieve, einige Tagesreisen von hier, verbracht. Sie hatten seine Rückkehr jeden Augenblick erwartet.

     Patrick hob die Hand und gab seinem Bruder Zeichen. Als Connor schließlich ans Ufer kam, half Patrick ihm erst, das Boot auf den Strand zu ziehen, bevor er ihn umarmte.

     „Es ist lange her“, begrüßte er ihn. Connor hatte jetzt die Größe und Statur eines Kriegers, auch wenn sein Gesicht dem noch nicht ganz entsprach. Mit seinen Haaren von der Farbe dunklen Goldes und seinen grauen Augen hatte Connor bei seinen seltenen Besuchen auf Laochre mehr als ein Mädchenherz erobert.

     „Ich komme gerade von Laochre“, gestand Connor. „Was ist dort geschehen?“

     Er lauschte konzentriert, als Patrick ihm die Ereignisse erklärte. Als er geendet hatte, fügte Connor hinzu: „Die O’Phelans haben Laochre bereits zu ihrem Besitz erklärt. Sie haben Ruarc gefangen genommen und wollen ihn im Morgengrauen hinrichten.“

     „Wie hast du das erfahren?“

     Connor zuckte die Achseln. „Ich weiß mich im Verborgenen zu halten.“

     Das war Patrick bekannt. Sogar als Kind hatte sein Bruder sich mehr als einmal an sie herangeschlichen. Wie ein stiller Geist konnte er sich für jeden unsichtbar machen.

     Die böse Nachricht ließ ihn wieder ernst werden. Auch wenn er seinen Cousin nicht mochte, Ruarc hatte es nicht verdient zu sterben. „Dann müssen wir ihn da rausholen.“

     Connors Aufmerksamkeit wurde abgelenkt, und Patrick bemerkte, dass Isabel auf einmal neben ihnen stand. Die Augen seines Bruders zeigten deutlich sein Interesse.

     „Das ist Isabel MacEgan, meine Frau“, sagte Patrick mit einem warnenden Unterton in der Stimme. Connors Charme konnte die Flügel eines Schmetterlings verzaubern, und er traute seinem Bruder bei Frauen nicht.

     „Das ist mein Bruder Connor“, stellte Patrick ihn vor.

     Isabel trat näher und streckte die Hand zum Gruß aus. Ein warmes Lächeln lag auf ihrem Gesicht. „Sei willkommen, Connor.“

     Auf Connors Gesicht machte sich ein verschmitztes Lächeln breit. Er hob Isabels Hand an die Lippen. „Es ist ein Vergnügen, dich kennenzulernen und eine Schande, dass mein Bruder dich mir bereits gestohlen hat.“

     Isabel errötete. Patrick nahm ihre Hand. Es war eine stumme Warnung an Connor, die Hände bei sich zu behalten.

     „Ich … äh … denke, ich schaue mal nach, ob es etwas zu essen gibt.“ Connor grinste und ging zum Ringwall.

     „Suche Trahern und Ewan. Wir werden gleich über Ruarc sprechen müssen.“

     „Ich glaube, Trahern hat … Gesellschaft heute Nacht.“ Connor zwinkerte Isabel zu.

     „Dann wecke ihn. Wir haben wichtigere Sorgen.“

     Connor verschwand in Richtung der Hütten. Als sie allein waren, sagte Isabel: „Du hast mich heute Nacht beiseitegeschoben. Ich möchte wissen, warum.“

     Was sollte er sagen? Sein Leben war zerstört, das Leben seines Volkes war in Gefahr und all das nur, weil er sie als seine Ehefrau hatte behalten wollen. Selbst seinem eigenen Bruder hatte er sie als eine MacEgan vorgestellt. Mehr als alles wünschte er sich, dass es wahr wäre. Er wollte, dass sie blieb, ihm Kinder schenkte und an seiner Seite erwachte.

     Doch es schien, als hätte Gott ihn verflucht. Er hatte kein Recht, mit ihr zusammen zu sein, nicht nach alledem, was geschehen war.

     „Ich kann dir keine Antwort darauf geben, Isabel.“

     „Fühlst du überhaupt etwas für mich?“

     Worte konnten die Gefühle nicht beschreiben, die sie in ihm weckte: Eifersucht, wenn Connor ihr zulächelte, Leidenschaft, wenn sie ihn küsste. Doch mehr als alles andere empfand er Bedauern.

     Er sah keine Möglichkeit, sie in seinem Stamm aufzunehmen. Und mit jedem Tag, der verging, verletzte er sie mehr. Das verdiente keine Frau. Das Beste war, sie gehen zu lassen.

     „Das darf ich nicht“, sagte er, und es war kaum mehr als ein Flüstern. Das war alles, was er ihr geben konnte. „So wie auch du nichts für mich empfinden solltest.“ Er starrte zum schwarzen Horizont. Nur das Schlagen der Wellen gegen den sandigen Strand brach die Stille.

     Isabel streckte die Hand aus, und bei der sanften Berührung an seiner Schulter trat er zur Seite. „Isabel, du hattest recht, was uns betrifft.“

     Sie zog die Hand zurück. Ihre Augen füllten sich mit Tränen. „Es gibt kein uns, Patrick. Es gibt nur dich und deinen Stamm. Und es gibt mich.“

     Er nickte und in seinem Innern stieg ein quälender Schmerz auf. In der Dunkelheit war ihr Gesicht nicht zu sehen. Doch er konnte ihren Schmerz spüren, als wäre er etwas Greifbares.

     „Was wirst du tun?“, flüsterte sie.

     „Meine Brüder und ich werden in ein paar Stunden nach Ruarc suchen.“

     Er hörte, wie sie scharf die Luft einsog. „Du hast doch nicht vor, ihn zu retten?“

     „Er ist einer von uns und von meinem Blut. Wir werden ihn nicht durch Feindeshand sterben lassen.“

     „Er hat dich verraten.“

     In ihrer Stimme lag eisiger Zorn. Patrick konnte nicht verstehen, wieso sie eine Rettungsaktion ablehnte. „Ruarc gehört zur Familie.“

     „Er wollte, dass du stirbst, Patrick“, warnte sie ihn. „Ich traue ihm nicht.“

     „Er wollte die Königswürde, nicht meinen Tod.“ Er trat an sie heran und nahm den süßen Duft des Geißblatts wahr. Es war, als bräuchte er ihre Nähe, selbst wenn es falsch war, sie zu berühren.

     „Wenn man dich gefangen nimmt …“ Sie sprach den Satz nicht zu Ende. Ihr Gesicht wurde blass, und sie krampfte die Hände ineinander. Und da traf ihn die Wahrheit wie ein Schlag. Sie machte sich Sorgen. Das hatte er nicht erwartet, und er wusste nicht, wie er darauf reagieren sollte. Er sah, dass sie ihn anblickte, als hätte er sie verletzt.

     Etwas warnte ihn davor, sie zu umarmen. Also hielt er sich zurück. „Ich darf mich wohl kaum einen kriegerischen König nennen, wenn ich nicht in mein eigenes Heim einbrechen und einen einzelnen Mann rausholen kann, oder?“

     „Geh nicht!“ Ihr Flehen zerriss ihm das Herz. Er spürte, dass es nicht das mangelnde Vertrauen in seine Fähigkeiten war, sondern die Angst vor dem, was ihm geschehen könnte.

     „Ich muss. Sein Leben steht auf dem Spiel.“ Er musste jetzt zu seinen Brüdern gehen, um Pläne zu schmieden. Doch es war ihm beinahe unmöglich, sich von Isabel loszureißen.

     „Ich habe kein gutes Gefühl dabei.“ Sie schlang die Arme um sich, als müsste sie sich vor bösen Geistern schützen.

     „Dann bete für uns.“ Er ging, ohne Lebewohl zu sagen, auch wenn es ihm schwerfiel. Er musste sie freigeben. Um ihres eigenen Glücks willen musste Isabel ohne Bedauern Eíreann verlassen.

Mit nur einer einzigen Fackel, die ihnen den Weg über den schmalen Kanal zeigte, ruderte er zusammen mit all seinen Brüdern nach Laochre. Selbst Ewan fuhr mit ihnen. Auch wenn Patrick gezögert hatte, seinen jüngsten Bruder mitzunehmen, so war Ewan doch der Kleinste und konnte an fast jedem vorbeischlüpfen.

     Sie hatten Pläne geschmiedet und beschlossen, die Dunkelheit zu ihrem Vorteil auszunutzen. Während sie über das Festland auf Laochre zugingen, verließen sie sich darauf, dass Instinkt und Vertrautheit mit der Umgebung sie leiten würden. Patrick ertappte sich dabei, dass er nach Ennisleigh zurückblickte. Seine Gedanken waren bei Isabel. Sie verdiente so viel mehr, als er geben konnte.

     Vor ihnen schimmerten winzige Lichtpunkte in der mitternächtlichen Dunkelheit. Dort lag die Burg, in die sie eindringen würden.

     „Wir könnten den unterirdischen Gang nehmen“, schlug Ewan vor. Der steinerne Gang führte unter dem Ringwall zu ihren Vorratslagern. Über eine Leiter würden sie in eine der Hütten gelangen.

     „Er wird schwer bewacht sein“, warnte Bevan. „Sie erwarten wahrscheinlich, dass wir von dort kommen.“

     „Was sollen wir dann tun?“, fragte Ewan. „Wir können nicht durch die Eingangstore gehen.“

     „Die meisten Männer schlafen“, sagte Patrick. „Es gibt da doch diesen zerbrochenen Teil der Palisade, den wir noch nicht ganz erneuert haben. Connor soll als Erster hineingehen und herausfinden, was sie mit Ruarc gemacht haben.“

     Er drehte sich zu Ewan um. „Du bleibst vor den Toren, wo niemand dich sehen kann. Wenn wir in einigen Stunden nicht zurück sind, bring Sir Anselm her.“

     Ewan verzog das Gesicht. „Ich möchte mit euch gehen.“ Es war ihm anzumerken, dass das ein schwerer Schlag für seine Ehre war. Nichts ärgerte den Jungen mehr, als zurückgelassen zu werden. Patrick nahm seinen kleinen Bruder bei der Schulter. „Hier wirst du mehr gebraucht, Junge. Sei unsere Augen und Ohren. Wenn etwas schief geht, bist du unsere einzige Hoffnung.“

     Das Gefühl, Verantwortung zu tragen, brachte Ewans Protest zum Verstummen. Er ließ die Schultern sinken. „Vermutlich.“

     „Gut.“ Patrick schlug ihm auf die Schultern. Auf sein Zeichen hin, ging Connor zu seinem Platz nahe des zerstörten Teils der Palisade. Patrick bedeutete seinen Brüdern, still zu sein. Die O’Phelans hatten nur wenige Wachen nahe den Toren postiert. Seltsamerweise war keiner vom MacEgan-Stamm zu sehen. Patrick richteten sich warnend die Nackenhaare auf. Sie waren zwar gekommen, um Ruarc zu retten, doch er spürte, dass seinem Volk größere Gefahren drohten.

     Er hätte die normannische Armee mitbringen, die Verteidigungsanlage stürmen und sie von dem feindlichen Stamm befreien können. Aber er wollte nicht riskieren, dass seine eigenen Männer bei der Schlacht getötet wurden. Es war zu gefährlich.

     Connor verschwand in dem Ringwall. Auch wenn Patrick seinem Bruder bedingungslos vertraute, gefiel es ihm nicht, dass er ihn einer Gefahr aussetzte. Bevan trat neben ihn. „Ich habe eine Idee, Patrick“, flüsterte er. „Wenn Trahern und ich durch den unterirdischen Gang gehen, können wir die anderen ablenken, während du und Connor Ruarc herausholt. Sie werden ihn nicht vermissen.“

     „Ihr könntet gefangen werden“, widersprach Patrick. „Das werde ich nicht erlauben.“

     Sein Bruder warf ihm einen wachsamen Blick zu. „Hältst du Trahern und mich für so unfähig? Wir können die O’Phelans so lang aufhalten, bis ihr draußen seid.“

     Selbst wenn es ein guter Plan war, zögerte Patrick. „Wenn ich ihn draußen habe, kommen wir und helfen euch.“

     „Lass uns herausfinden, was Connor weiß. Dann entscheiden wir.“

     Sie warteten lange in der Dunkelheit, bis eine schattenhafte Gestalt aus der Mauer auftauchte. Connor fand sie. Er senkte seine Stimme zu einem schwachen Flüstern. „Er wird im Turm gefangen gehalten, gefesselt und nackt. Donal O’Phelan und einige andere verspotten ihn.“

     „Ist er verletzt?“ Connor zuckte die Achseln. „Ich kann nicht sagen, was sie mit ihm gemacht haben.“

     „Wie schwierig wird es sein, ihn herauszubekommen?“, fragte Bevan.

     „Sehr. Doch es ist möglich, wenn wir sie ablenken können.“

     Patrick erklärte ihm Bevans Einfall, und Connor stimmte zu. „Wir haben nicht viel Zeit. Die Dämmerung bricht bald an.“

     Im stillen Einverständnis begaben sich die Männer auf ihre Plätze. Und Patrick betete, dass sie das alles heil überstehen würden.

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