Irische Hochzeit - 8. Kapitel

8. KAPITEL

Als ihr Mund ihn sanft berührte, wurde Patricks Verlangen übergroß. Der unschuldige Geschmack ihrer Lippen raubte ihm den Verstand. Er küsste sie voller Leidenschaft, wollte all die verbotene Süße kosten. Sein Verstand versuchte, ihn zu warnen, doch er hörte nicht darauf. Er wollte diese Frau, die ihn zum Wahnsinn trieb, küssen, um sie endlich aus seinen Gedanken zu vertreiben.

     Er presste den Mund auf den ihren und spürte, wie sie zitterte. Ein wenig zog er sich zurück und knabberte zärtlich an ihrer Unterlippe. Isabel öffnete ihre Lippen seiner Zunge.

     Patrick wollte sich nicht eingestehen, dass das, was er tat und fühlte, einem Liebesakt glich. Isabels Zunge berührte seine und er merkte, wie er hart wurde. In diesem Moment konnte er an nichts anderes denken, als seiner Frau die Kleider vom Leib zu reißen und sie hier im Boot zu lieben.

     Er küsste ihre Wange und die kleine, empfindliche Stelle hinter dem Ohr. Als er die seidige Haut zwischen Hals und Schulter küsste, kam ein unterdrückter Schrei von Isabels Lippen.

     „Patrick“, flüsterte sie. Er zwang sich, die Lippen von ihrer verführerisch weichen Haut zu lösen und küsste sie, um sie zum Schweigen zu bringen. Nichts sollte diesen Augenblick unterbrechen.

     Der Sonnenuntergang badete ihren Körper in goldenen Strahlen. Das Boot schaukelte im sanften Rhythmus der Wellen. Isabel ließe die Hand unter Patricks Tunika gleiten und streichelte seine Brust. Bei allen Göttern, sie ließ ihn fast seine Ehre vergessen. Und sie zu lieben wäre auch gar nicht so schlimm, dachte er. Er konnte sie später immer noch fortschicken, und sie konnte dann einen anderen heiraten.

     Doch wenn er ein Kind zeugte, wäre er auf immer an sie gebunden. Er durfte den Eid, sie nie ein Kind seines Blutes tragen zu lassen, nicht brechen. Wenn er dieser Versuchung erlag, konnte er genauso gut gleich alles den Normannen übergeben. Auf keinen Fall wollte er, dass sein Stamm ihnen in die Hände fiel und so verloren ging, wofür seine Landsleute gestorben waren. Wenn er Isabel ein Kind schenkte, bedeutete das, Edwin de Godred auch noch für seine Eroberung zu belohnen. Das konnte er nicht tun.

     „Es tut mir leid.“

     Isabels Lippen waren von seinem Kuss gerötet, und sie griff sich an den Hals, als hätte sie Angst vor ihm. Und das sollte sie auch. In diesem Augenblick war er kurz davor, die Beherrschung zu verlieren.

     „Ich hätte das nicht tun sollen“, flüsterte sie.

     „Nein, das hättest du nicht tun sollen.“

     Bei den harschen Worten schloss sie bestürzt die Augen. Er erkannte, dass er ihre Gefühle verletzt hatte, doch er konnte sich nicht dazu durchringen, sie zu trösten.

     Patrick warf einen Blick über die Schulter und sah, wie nahe sie dem Strand waren. Ohne nachzudenken, sprang er aus dem Boot. Das hüfttiefe Wasser brachte seine Lust zum Erlöschen. Zu Patricks Erleichterung ließen die eisigen Wellen augenblicklich sein Verlangen erkalten.

     Er zog das Boot an den Strand und half Isabel beim Aussteigen. Nachdem er das Fahrzeug so weit an den Strand gezogen hatte, dass die Flut es nicht erreichte, nahm er die beiden großen Vorratsbündel und schritt den Weg zum Ringwall hinauf.

     Isabel war an derselben Stelle stehen geblieben, an der er sie zurückgelassen hatte. Der Wind spielte mit ihren Haaren und bauschte den brat um ihre Schultern. Sie sah aus wie eine Göttin aus den uralten Geschichten, das Meer schien sie geboren zu haben. Erst als eine Welle beinah ihre Knöchel umspülte, trat sie vom Ufer weg.

     Patrick zwang sich, den Hügel hinauszusteigen und den rath zu betreten. Endlich erklangen hinter ihm ihre Schritte. Er ging zur Steinhütte, die sie letzte Nacht miteinander geteilt hatten, stieß die Tür auf und ließ die Vorratsbündel hinter dem Eingang auf die Erde fallen. Es brauchte Zeit, ein Feuer zu entzünden, doch es gelang ihm eine kleine Flamme zu entfachen und sie mit Zunder zu füttern. Zum Schluss fügte er das Stück Torf hinzu.

     Er hörte, wie sich die Tür schloss. Isabel stand im Eingang und beobachtete ihn. Ihr Haar schimmerte im schwachen Licht. Graziös trat sie ans Feuer.

     Bei allen Heiligen, er wusste nicht, wie er eine ganze Nacht mit ihr in seiner Reichweite ertragen sollte.

     „Was haben wir zu essen?“, fragte Isabel und kniete sich neben den Vorräten nieder.

     „Ich habe keine Ahnung, was Trahern eingepackt hat. Ich sagte ihm, er solle uns genug für zwei Wochen mitgeben.“

     Während sie die Bündel losschnürte, stand er am Feuer und wärmte sich. Einen Augenblick später hörte er, wie sie vor Freude aufschrie. Hatte Trahern ein Stück Hammelfleisch eingepackt? Oder gebratenes Geflügel?

     „Ein Kamm!“ Isabel zeigte ihre Beute mit einem Lächeln, als hätte man ihr einen Schatz geschenkt. An so einfache Bedürfnisse hatte Patrick überhaupt nicht gedacht. Er runzelte die Stirn. Seine Frau hielt den Kamm hoch, als hätte Trahern ihr einen Sack voll Gold geschickt.

     „Was ist mit dem Essen?“, fragte er.

     „Oh, es gibt Brot und getrocknete Äpfel. Auch etwas Fleisch.“ Ihre Augen leuchteten vor Freude. „Aber der Kamm! Allen Heiligen sei Dank!“

     Sie kniete sich neben das Feuer und zog den aus einem Hirschgeweih geschnitzten Kamm durch ihre Haare. Sanft entwirrte sie die Strähnen, wobei sie das Haar über ihre eine Schulter zog.

     Wie es sich wohl anfühlte, wenn man dieses Haar berührte? Vermutlich seidig, wie gesponnenes Sonnenlicht.

     Es fiel ihr bis auf die Hüften. Patrick stellte sich vor, wie sie auf der Matratze lag mit nichts bekleidet als ihrem Haar.

     Er betete, dass Trahern auch das Schachspiel eingepackt hatte. Sonst würde er heute Nacht noch einmal ins Wasser gehen müssen.

Der eisige Wind strich über seine nackte Brust, während Ruarc an seinen Lederfesseln zerrte. Bevan hatte ihn hier nackt bis zur Taille zurückgelassen. Vom Kampf gegen die Fesseln waren seine Handgelenke mit Blut verkrustet. Sein Gesicht schwoll immer mehr an, seine Lippen waren aufgeplatzt.

     Ihm war das alles egal. Doch er hatte Angst um seine Schwester. Vor einiger Zeit hatte Sosanna nach ihm gesehen. Zuerst hatte sie seinen Kopf berührt, dann seine Wange. Sie hatte den Kopf geschüttelt, als wollte sie ihn tadeln, und ihre Augen waren voll Trauer gewesen. Kurz darauf hatte sie den Ringwall verlassen.

     Ruarc hatte ihr hinterhergerufen, um sie aufzuhalten, aber sie tat, als hörte sie ihn nicht. Er hatte nach seinen Freunden geschrien, damit sie ihr folgten. Doch die hatten sich nicht um ihn gekümmert.

     Einer der Normannen, Sir Anselm, war Sosanna gefolgt. Críost, er musste von diesem verdammten Pfosten freikommen! Denn nach alledem, was er wusste, konnte der Hauptmann sehr wohl derjenige sein, der ihr das angetan hatte. Er durfte nicht zulassen, dass es erneut geschah.

     Er keuchte, als ein stechender Schmerz durch seinen Arm schoss. Durch seine Anstrengungen hatten sich die Fesseln nur noch enger zusammengezogen. Einige der Normannen sahen zu ihm her und redeten dann in ihrer ungewohnten Sprache miteinander.

     Ruarcs Stimme war heiser vom Schreien. Endlich trat Bevan aus der großen Halle und näherte sich dem Holzpfahl. Er streckte ihm einen Becher Met hin und hielt ihn so, dass Ruarc trinken konnte.

     „Meine Schwester“, brachte Ruarc mühsam hervor. „Sie ist weggegangen. Schicke jemanden hinter Sosanna her.“

     „Das ist bereits geschehen. Sie war mit einigen anderen Frauen auf den Feldern. Es geht ihr ganz gut.“

     Ruarc entspannte sich ein wenig. „Schicke eine der Frauen. Sie soll für mich bei ihr vorbeischauen.“

     Bevan nickte. „Ich werde Patrick von dem Kind erzählen.“ Seine Stimme klang rachsüchtig. „Wer werden herausbekommen, wer ihr das antat.“

     „Ich möchte ihn tot sehen.“

     „Ich kann deinen Wunsch verstehen. Wenn ich an deiner Stelle wäre, hätte ich das Gleiche getan.“

     Bevan holte ein Stück Brot hervor und schob es seinem Cousin in den Mund. „Iss. Und sagt Patrick nicht, dass ich dir etwas gegeben habe. Sonst werde ich morgen hier angebunden.“ Er grinste ihm zu und verschwand wieder in der großen Halle.

     Ruarc beugte den Kopf und wappnete sich gegen die lange Nacht, die vor ihm lag. Still betete er, seine Schwester möge wohlauf sein.

„Du bist dran.“ Patrick schob seinen Bauern vorwärts und wartete auf Isabel. Seine Frau saß ihm gegenüber. Zwischen ihnen stand ein niedriger Tisch. Konzentriert runzelte sie die Stirn.

     Patrick hatte die letzte Partie nur mit Mühe gewinnen können. Er konnte sich nicht erinnern, wann je er beim Schach so sehr hatte aufpassen müssen. Besonders, da sie ihn mit der Art, wie sie sich über den Tisch lehnte und dabei den Ansatz ihrer Brüste zeigte, sehr verwirrte.

     Was noch schlimmer war, er erinnerte sich daran, wie sie schmeckte. Sogar an ihren sinnlichen Duft, der ihn an Geißblatt erinnerte. Wäre sie eine Frau seines Stammes gewesen, er hätte die Nacht nicht damit verbracht, Schach mit ihr zu spielen. O nein, er hätte sie auf die weichen Felle gelegt und beobachtet, wie sie sich wand, während er sie liebte.

     „Schach.“

     Schach? Verdammt, sie hatte stattdessen den Turm bewegt. Patrick starrte wütend auf das Brett und brachte seine Königin auf einen sicheren Platz.

     Einige Züge später hatte Isabel das Spiel gewonnen. Ein Siegerlächeln spielte um ihre Lippen.

     „Möchtest du weiterspielen?“

     Er wollte spielen. Aber kein Schach. „Nein.“ Er stand auf, reckte sich und verdrängte die Gedanken an ihre verführerische Nähe. Die Verantwortung für seinen Stamm war wichtiger als die Verantwortung für seine Frau. Wieso war er bloß hergekommen? Anstatt bei seinen Männern zu bleiben, spielte er Schach mit Isabel. Und er hatte auch noch Spaß daran.

     Zum ersten Mal seit vielen Monden hatte er sich beim Spiel entspannt. Sie war ein würdiger Gegner und ihre erbarmungslose Art zu spielen forderte ihn heraus.

     Es gefiel ihm.

     Schuldbewusst schob er den Gedanken beiseite. Ihr Vater hatte seine Männer getötet, das Leben seiner Familie zerstört. Er verdiente es nicht, mit ihr beisammen zu sein, nicht, wenn er die Schande der Niederlage zu tragen hatte.

     Seine Beinlinge waren noch nicht ganz trocken. Deswegen stellte er sich nahe ans Feuer, das den würzigen Geruch brennenden Torfs verströmte.

     „Patrick?“, fragte Isabel. Ihre seidenweiche Stimme weckte in ihm Visionen, wie sie nackt vor ihm lag. Nicht sicher, was sie wollte, schloss er die Augen. Er hörte, wie sie hinter ihn trat. Sie legte die Hände auf seine Arme. Auch wenn es nur eine unschuldige Geste war, um seine Aufmerksamkeit zu wecken, entflammte sie ihn.

     Er unterdrückte ein Stöhnen. „Was willst du?“

     „Ich weiß es nicht. Aber wir – wir könnten reden“, stammelte sie. „Oder ich könnte uns einen Tee machen, wenn wir Kräuter haben.“ Mit den Fingerspitzen streichelte sie seine Arme, und selbst diese zarte Berührung steigerte seine Erregung. „Ich würde dich gerne besser kennenlernen.“

     „Besser nicht.“ Er verbarg sein Gesicht vor ihr und konnte sich kaum noch beherrschen. Viel zu lange war es her, dass er die süße Umarmung einer Frau genossen hatte. Er konnte schon nicht mehr klar denken.

     „Bleib mir fern, Isabel.“ Sie ließ die Hände sinken, und Patrick fuhr herum. „Ich habe dich jetzt etliche Nächte allein gelassen. Ich habe meine Grenzen.“

     Bei seinen offenen Worten wurde sie blass. War sie wirklich so unschuldig, dass sie nicht wusste, welche Gefühle sie bei ihm weckte, wenn sie ihn berührte?

     „Ich dachte, du würdest vielleicht gerne deine nassen Kleider ausziehen. Das muss doch unbequem sein.“

     Er sah sie scharf an. Was für ein Spiel trieb sie da mit ihm? Fragte sie ihn etwa, ob er das Bett mit ihr teilen wollte? Sie müsste doch wissen, dass das nicht der richtige Weg war.

     „Besser, ich behalte meine Kleider an.“ Und es wäre auch besser, die Hütte zu verlassen und die nächste Stunde im kalten Wasser zu verbringen. Seine Hose spannte, und er versuchte, diese unerwünschte Reaktion seines Körpers endlich zu meistern.

     „Ich bin deine Frau“, flüsterte sie. „Es ist nicht nötig, es meinetwegen unbequem zu haben.“ Sie zitterte und bedeckte die Brust mit den Armen.

     Du hast ja keine Ahnung, hätte er gerne gesagt. Sein Unbehagen hatte nichts mit der feuchten Wolle an seinem Leib zu tun. Eher etwas mit dem wilden Verlangen in seinem Innern, das gestillt werden wollte.

     „Wenn es dich stört, werde ich nicht hinschauen“, versprach sie.

     Da musste er lächeln. „Du wirst es müssen.“

     Isabel hatte Patrick noch nie zuvor lächeln sehen. Alle Heiligen, auf eine wilde Art sah er ja hübsch aus! Seine grauen Augen verdunkelten sich verheißungsvoll. Statt sie zu ängstigen, fühlte sie sich von ihm angezogen. Das schwache Licht des Feuers schuf eine wohlige Atmosphäre, und einen Augenblick lang wünschte sich Isabel, diesen Mann besser kennenzulernen.

     Er war ein Fremder, klug und voll stolzer Treue zu seinem Volk. Das bewunderte sie an ihm, sogar wenn sie sich über ihn ärgerte.

     Sie setzte sich auf einen Hocker, der aus einem kurzen Stück Stamm geschnitzt war und drehte ihm den Rücken zu. Schließlich musste sie gar nicht hinschauen. Sie wusste bereits, dass er kraftvolle, muskulöse Schenkel besaß. Und was den Rest betraf … vermutlich würde ihre Vorstellungskraft ihm nicht gerecht werden. Der Gedanke machte sie verlegen und ließ ihre Wangen erwartungsvoll erglühen.

     Die Strohmatratze raschelte unter seinem Gewicht. Isabel legte das Gesicht in die Hände. Schon vor Langem hatte er ihr gesagt, dass er nicht das Bett mit ihr teilen wollte. Und er hielt sein Wort.

     Sie wusste, dass von ihr erwartet wurde, ein Kind zu gebären. Und Patrick erschien ihr ganz und gar nicht mehr so abweisend. Er hatte ihren spontanen Kuss im Boot erwidert, hatte sie einen Blick auf die wilden Freuden erhaschen lassen, die sie beide erwarteten. Der Hunger in ihm hatte alle ihre Sinne in Aufruhr versetzt.

     Doch dann hatte er sich abrupt von ihr abgewandt, hatte es vorgezogen, durchs eisige Wasser zu waten, statt noch länger bei ihr zu bleiben. So sehr sie ihn auch begehrte, in diesem Augenblick wäre sie am liebsten vor Scham gestorben.

     Jetzt fragte sie sich, ob sie seine Reaktion vielleicht missverstanden hatte. Er wollte, dass sie ihm fernblieb, behauptete, auch er habe seine Grenzen. Vielleicht, weil er sie so begehrte wie sie ihn? Hielt er wegen eines falsch verstandenen Begriffs von Ehre Abstand zu ihr? Sie verstand einfach nicht, warum er wollte, dass sie Jungfrau blieb.

     Die unerträgliche Einsamkeit lastete auf ihr. Sie sehnte sich nach menschlicher Gesellschaft. Hinter ihr lag ihr nackter Ehemann und erwartete sie im Bett. Ihr Kleid fühlte sich schwer an, das grobe Gewebe kratzte auf ihrer Haut. Unter dem Kleid trug sie weiterhin ihr Hemd, auch wenn das hier bei den Frauen nicht üblich war.

     Konnte sie es wagen, sich Patrick anzubieten? Oder würde er sie wieder abweisen? Sie griff nach dem Krug mit Met und nahm einen langen Zug, um ihren Mut zu stärken. Du lieber Himmel, es hungerte sie nach seiner Berührung! Es war seltsam, dass sie nun solch ein Verlangen nach dem Mann empfand, den sie einmal gefürchtet hatte. Sie stand auf und drehte sich zu Patrick um. Er hatte ihr den nackten Rücken zugewandt. Beine und Gesäß bedeckte eine wollene Decke.

     Er hielt seinen Schwur, sie nicht anzurühren. Sie kannte den Grund dafür: Weil sie eine Normannin und Tochter seine Feindes war. Doch vielleicht begann er, seine Meinung zu ändern? Nach der Plänkelei im Wasser und dem Schachspiel schien er sie nicht mehr zu hassen.

     Wenn sie sich nun als seine Ehefrau zu ihm legte, würde er dann seiner Begierde – und ihrer – nachgeben?

     Sie betete um Mut. Hatte Patrick ihr erst einmal die Jungfräulichkeit genommen, würde der Handel mit ihrem Vater perfekt sein. Und sie fürchtete ihren Ehemann nicht länger.

     Ohne ein Wort streifte sie sich das Kleid über den Kopf und ließ es zu Boden fallen. Er sah es nicht, hatte sich immer noch abgewandt.

     Barfuß ging sie zur Liegestatt. Ihre Brustknospen rieben sich an dem Hemd. Ein unbeschreibliches Verlangen ließ sie sich aufrichten. Isabel holte tief Luft, dann zog sie das Hemd aus und stand nackt da. „Patrick?“

     „Was ist?“ Er rollte sich herum. Als er sie erblickte, sah sie den Hunger in seinen Augen. Isabel kniete sich auf die Matratze und legte die Hand auf sein schwarzes Haar. In seinen grauen Augen entdeckte sie Spuren von Blau und Grün.

     Er umfasste ihr Handgelenk und hielt es fest, sodass ihre Hand über seinem Gesicht schwebte. Die dunklen Bartstoppeln seiner unrasierten Wange kratzten an ihrer Handfläche. „Was tust du da, Isabel?“ Sie konnte seinen Atem auf ihrer Haut spüren.

     „In wenigen Wochen wird mein Vater den Beweis dafür fordern, dass ich keine Jungfrau mehr bin.“ Sein heißer Blick jagte ihr einen Schauer über den Rücken. „Ich möchte lieber jetzt diese Vereinbarung erfüllen.“

     Auch wenn er sie nicht berührte, ließ er keinen Blick von ihrer nackten Haut. Ein Muskel zuckte an seiner Wange, als versuchte er, sein Verlangen zu zügeln. „Du willst es nicht, Isabel“, sagte er mit leiser Stimme. „Und ich auch nicht.“

     Sie wusste nicht, was sie sagen sollte. So streifte sie sich hastig wieder das Hemd über. Heiße Tränen stiegen ihr in die Augen, doch bei Gott, sie würde nicht vor ihm in Tränen ausbrechen! Der Kuss zuvor hatte sie fälschlicherweise blind gemacht.

     Es war dumm von ihr zu denken, er könnte seine Meinung geändert haben. Wahrscheinlich fand er sie nicht anziehend. Verdammt sollte er sein.

     „Isabel“, sagte er, und seine Stimme klang rau vor Mitleid.

     „Nein. Sag nichts.“ Sie zog wieder das abscheuliche Kleid an und setzte sich so weit weg von ihm wie möglich. Zorn und Kränkung lasteten schwer auf ihr. Zweimal schon in dieser Nacht hatte sie sich vor ihm erniedrigt. Am liebsten hätte sie sich auf dem Boden zusammengerollt und einfach nur geweint. Bei den Gebeinen der Heiligen Petrus, wenn er sie denn nicht wollte, dann sollte es eben so sein.

     Sie hörte, wie er sich anzog, drehte sich aber nicht um. Kurz darauf spürte sie, dass er hinter ihr stand. Dann umfasste eine warme Hand ihr Kinn.

     Isabel schob ihn fort. „Lass mich allein. Du hast mir sehr deutlich gezeigt, dass du mich nicht willst.“

     Patrick widersprach nicht. Sein Schweigen machte aus ihrem Selbstvertrauen einen Scherbenhaufen. „Es ist besser so, a stór. Glaube mir.“

     „Kehr in deine Burg zurück“, sagte sie kalt. „Ich habe nicht den Wunsch, dich noch einmal zu sehen.“

In der Morgendämmerung saß Sir Anselm wartend auf seinem Pferd. Hoch oben auf der Klippe beobachtete er im Schutz der Bäume die junge Frau. Sie nannten sie Sosanna. Er hatte sie am Abend zuvor fortgehen sehen. Doch keine Stunde später war sie wieder nach Hause gekommen.

     Jetzt hatte sie erneut ihr Heim verlassen. Er wusste nicht, was sie dazu gebracht hatte, allein so weit zu gehen. Doch es bedeutete sicher nichts Gutes. Sein Instinkt riet ihm, sie nicht aus den Augen zu lassen.

     Er hatte den Zorn und die Sorge auf dem Gesicht des Iren gesehen. Und wenn er auch froh war zu sehen, dass Ruarc bestraft worden war, wollte er den Mann eigentlich ausgepeitscht wissen wegen seines Ungehorsams. Mehr als einer seiner Untergebenen hatte über Ruarcs Angriff gemurrt.

     Allerdings bemerkte Anselm auch die Angst des Mannes um seine Schwester. Deswegen war er dieser Sosanna ein zweites Mal gefolgt. Denn er spürte, dass sie etwas vorhatte.

     Er stieg aus dem Sattel und ging zu ihr. Sie stand dicht am Rande eines zerklüfteten Granitfelsens und starrte auf die dunklen schaumigen Wellen tief unten.

     „Seid gegrüßt“, sagte er zu ihr.

     Voll Panik blickte sie ihn mit weit aufgerissenen Augen an und trat einen Schritt näher an den Rand. Anselm hob die Hände und zeigte, dass er keine Waffen bei sich führte. „Ich will Euch nicht wehtun. Mein Name ist Sir Anselm Fitzwater.“

     Die Verwirrung in ihrem Gesicht erinnerte ihn daran, dass sie seine Sprache nicht verstand. Und er konnte auch kein Wort Irisch.

     Schützend legte sie die Hand auf ihren Bauch und machte noch einen Schritt. Anselm hätte am liebsten laut geflucht. Aus dieser Entfernung konnte er sie nicht daran hindern, über den Rand zu springen. Er bezweifelte nicht, dass Ruarc einen Krieg zwischen den beiden Lagern anzetteln würde, wenn die Frau sich umbrachte. König Patrick hatte strikten Befehl gegeben, den Frieden aufrecht zu erhalten. Doch die Chance auf Erfolg war nur sehr gering.

     Er riskierte sein Glück, setzte sich hin, rupfte einen Büschel Gras aus und drehte ihn spielerisch in der Hand. „Ich weiß, Ihr könnt mich nicht verstehen, aber ich wäre Euch dankbar, wenn Ihr von der Klippe da wegtreten würdet.“

     Die Frau erbleichte und warf wieder einen angstvollen Blick auf das Wasser hinunter.

     Anselm fuhr fort zu sprechen. Es war ein sanfter Strom von Worten, der von einem Thema zum anderen dahinplätscherte. Während er sprach, betrachtete er sie. Trotz des vernachlässigten Äußeren entdeckte er eine verblüffend hübsche Frau mit hohen Wangenknochen und Lippen, so rot wie reife Kirschen. Er versuchte, sich ihre frühere Schönheit vorzustellen.

     Die fortgeschrittene Schwangerschaft, die sich unter ihrem blauen Kleid abzeichnete, konnte der Grund für ihr Vorhaben sein. Doch Anselm glaubte nicht, dass ihr Stamm sie deswegen ausstoßen würde.

     Er wusste nicht, wie viel Zeit vergangen war, aber solange er sich ihr nicht näherte, schien sie weniger Angst vor ihm zu haben. Er winkte ihr, mit ihm zurückzugehen, sie hingegen schüttelte bloß den Kopf.

     „Ruarc“, erinnerte er sie und hielt die Hände hoch, als wären sie an den Handgelenken aneinandergefesselt. Bei der Erwähnung ihres Bruders wurde die Frau blass. Sie blickte zu den Klippen, und ihre ganze Haltung drückte Traurigkeit aus.

     „Kommt.“ Er ging auf die Baumgruppe zu und lockte sein Pferd zu sich. „Wollt Ihr reiten?“ Er versuchte sich ihr durch Gesten verständlich zu machen, doch Sosanna schüttelte den Kopf.

     „Wie Ihr wünscht.“ Anselm wartete, bis sie die ersten Schritte tat. Leise vor sich hin pfeifend, führte er sein Pferd am Zügel. Langsam und zögernd folgte sie ihm, immer noch auf große Distanz zwischen ihnen bedacht.

     Erst als sie weit genug von der Klippe entfernt war, atmete er erleichtert auf. Diese Frau strahlte etwas sehr Zerbrechliches aus, und wenn er auch ahnte, was man ihr angetan hatte, so wollte er nicht glauben, dass seine Männer dafür verantwortlich waren. Dazu waren sie zu gut gedrillt, zu diszipliniert.

     Er blickte hinter sich, um zu sehen, ob sie ihm noch folgte. Sosanna war stehen geblieben. Er erkannte das Entsetzen in ihren Augen. Anselm folgte ihrem Blick und erblickte eine kleine Gruppe seiner Männer, die sich im Waffengang übte.

     Einer der Berittenen kam auf ihn zu. Anselm hob rasch die Hände, um den Mann aufzuhalten.

     Es war zu spät. Sosanna wirbelte herum und begann zu laufen. Er fluchte, sprang aufs Pferd und trieb es zur Eile an.

     Wenige Augenblicke später stand die Frau am Rand der Klippe. Einen Herzschlag lang zögerte sie, bevor sie sprang.

     Anselm zügelte seinen Wallach und stieg hastig ab. Er warf einen Blick in den Abgrund und sah, wie sich Sosannas blaues Kleid auf dem Wasser blähte. Er dachte nicht lange nach, sondern sprang und tauchte in die eiskalte See. Das Wasser traf ihn mit der Wucht eines Steins. Gott sei Dank hatte er kein Kettenhemd an. Das Gewicht hätte ihn unter Wasser gezogen.

     Anselm schwamm zu Sosanna, die mit dem Gesicht nach untern im Wasser trieb. Er wusste nicht, ob sie noch am Leben war. Als er sie berührte, reagierte sie nicht. Atmete sie noch? Bemüht, sie über Wasser zu halten, kämpfte er sich ans Ufer.

     Sobald sie den Strand erreicht hatten, taumelte er über den Sand und legte die Frau nieder.

     „Atme!“, flehte er, während er ihr die Wangen rieb. Er wusste nicht, wie er sie retten sollte. Und, lieber Herr Jesus, wie war sie bleich! Leise murmelte er ein Gebet.

     Einen Moment später erhörte Gott sein Flehen. Hustend spuckte sie Wasser. Die Anstrengung ließ ihren zarten Körper erbeben.

     Anselm hielt ihr Haar zurück und streichelte ihr den Kopf, während sie keuchend um Atem rang. Selbst nachdem sie sich beruhigt hatte, hielt er sie fest. Ihm war, als wäre er derjenige gewesen, der fast ertrunken wäre.

     Die Frau schloss die Augen, und er hob sie hoch. Wenn er sie nach Laochre zurückbrachte, würde Ruarc davon Kenntnis bekommen. Die Wut des jungen Heißsporns würde jedem Frieden zwischen den beiden Lagern ein Ende machen. Er musste Sosanna helfen, doch nicht um diesen Preis.

     Anselm blickte sich um und entdeckte ein kleines Boot, das außer Reichweite des Wassers am Ufer lag. Und jetzt wusste er, wohin er sie bringen würde.

Vorheriger Artikel Irische Hochzeit - 9. Kapitel
Nächster Artikel Irische Hochzeit - 7. Kapitel