Julia Herzensbrecher Band 65

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WOHIN DIE LEIDENSCHAFT UNS FÜHRT von CATHERINE MANN

„Wilde Hengste zähmen ist nicht einfach.“ Die dunkle Stimme jagt Nina einen Schauer über den Rücken. Das geht ja gut los! Keine halbe Stunde ist sie auf der Ranch und schon ist sie im Bann des sexy Cowboys. Dabei ahnt Nina nicht, dass Alex Besitzer der Ranch ist …

STARKE MÄNNER LIEBEN ZÄRTLICH von KAREN TEMPLETON-BERGER

Er will sie nur heiraten, weil sie schwanger ist? Das kommt für Thea überhaupt nicht infrage! Sie träumt von der großen Liebe – und will den freiheitsliebenden Rancher Johnny Griego davon überzeugen, dass auch starke Männer zärtliche Gefühle haben dürfen.

EINE BRAUT MUSS SICH ENTSCHEIDEN … von TERESA SOUTHWICK

Ein Bewerbungsgespräch in einem schmutzigen Hochzeitskleid? Das scheint Kate kein guter Start zu sein. Trotzdem gibt der gut aussehende Cabot ihr Arbeit auf seiner Ranch. Doch dann holt sie ihr altes Leben ein und Kate steht vor der Wahl: Will sie Glamour oder Familienglück?


  • Erscheinungstag 27.12.2025
  • Bandnummer 65
  • ISBN / Artikelnummer 0824250065
  • Seitenanzahl 400

Leseprobe

Catherine Mann, Karen Templeton, Teresa Southwick

JULIA HERZENSBRECHER BAND 65

Catherine Mann

1. KAPITEL

Nina Lowery stand einfach nicht auf Cowboys.

In dieser Hinsicht war es ein Vorteil, dass sie in Texas lebte. Da sie dort hauptsächlich von Cowboys umgeben war, bestand keine Gefahr, sich neu zu verlieben. Denn darauf war sie nach dem Scheitern ihrer Ehe ganz bestimmt nicht aus. Umso besser, dass sie auch beim einwöchigen Camp für ihren kleinen Sohn nicht über einen Mangel an Cowboys klagen konnte.

Sie befestigte ihr Namensschild an ihrer Bluse. Den Faltenrock und die Lederstiefel hatte sie sich extra fürs Camp gekauft. Sie kniete sich hin und reichte ihrem vierjährigen Sohn seine kleine Fransenweste, in die sein Name eingenäht war.

„Cody, du musst die hier tragen, damit jeder weiß, zu welcher Gruppe du gehörst. Wir wollen schließlich nicht, dass du verloren gehst, okay?“

Cody starrte stumm zu Boden, sodass Nina nur seinen blonden Scheitel sah. Immerhin hob er die Arme ein wenig, was Nina als Zustimmung deutete. Als sie ihm half, in die Weste zu schlüpfen, leistete er keinen Widerstand. Die Fransen der Lederweste schwangen bei jeder Bewegung hin und her. Ein Geruch nach Sommer und Heu lag in der Luft. Er vermischte sich mit dem süßen Duft nach kleinem Jungen, Schweiß und Ahornsirup. Zum Frühstück hatte es Pfannkuchen gegeben, so wie jeden Morgen.

Sie waren heute allerdings so spät dran gewesen, dass sie ihr Frühstück im Auto essen mussten. Cody hatte seine Pfannkuchen in eine Tasse mit Ahornsirup getunkt. Der Großteil davon war auf dem Autositz gelandet. Aber nachdem sie ihren Sohn schon um vier Uhr morgens hatte wecken müssen, um rechtzeitig von San Antonio nach Fort Worth zu kommen, hatte sie einfach nicht die Nerven für einen weiteren Tobsuchtsanfall gehabt. Denn Cody reagierte auf Störungen seiner täglichen Routine äußerst sensibel. Außerdem konnte man Autositze ja reinigen lassen.

Eine Ameisenplage im Wagen war wirklich nicht ihre größte Sorge.

Für ihren kleinen Jungen würde sie einfach alles tun. Ihm zuliebe war sie sogar bereit, für die nächsten sieben Tage in die fremde Welt aus Stiefeln und Sporen einzutauchen.

Vor ungefähr einem Monat hatten sie einen Ausflug zu einer Farm gemacht. Zu ihrer großen Verblüffung war Cody begeistert gewesen. Seine Augen hatten geleuchtet, so sehr hatten ihn die Pferde fasziniert. Danach hatte sich Nina fest vorgenommen, zur Pferdeexpertin zu werden. Alles was ihr half, die unsichtbare Mauer zu durchbrechen, die ihren autistischen Sohn umgab, war ihr willkommen.

Niemals hätte sie sich träumen lassen, dass es gerade die wilde, raue Welt der Cowboys sein könnte, die Cody anzog. Normalerweise reagierte er verstört, wenn zu viele Eindrücke auf ihn einprasselten. Dann schrie und weinte er nur noch und wiegte seinen kleinen Körper vor und zurück.

Aber hier schien es ihm zu gefallen. Er machte einen konzentrierten und zugleich entspannten Eindruck. So sah sie ihn normalerweise nur, wenn er zeichnete. Seine Bilder waren wunderschön. Alles konnte ihm als Leinwand dienen – Steine, Schuhkartons und gelegentlich auch Wände. Einmal hatte er die Wand in ihrem Flur mit einem Blumengemälde verziert, das in seinem Stil an Monet erinnerte.

Anscheinend besaß er auch ein besonderes Gespür für Pferde.

Sie hielt ihm seinen kleinen Cowboyhut hin und ließ ihn selbst entscheiden, ob er ihn nehmen wollte oder nicht. Stoffe waren ein schwieriges Thema. Manchmal konnte ein rauer Stoff eine Überreizung hervorrufen, besonders an Tagen, an denen er sowieso schon besonders vielen neuen Eindrücken ausgesetzt war. Und hier wimmelte es von Pferden und Menschen.

Nina trat einen Schritt zur Seite, um einem Vater auszuweichen, der seine kleine Tochter im Rollstuhl vor sich herschob. Die Kleine schwenkte die Arme durch die Luft und stieß einen Freudenschrei aus.

Zögerlich griff Cody nach seinem Mini-Stetson. In diesem Moment lief ein hochgewachsener Farmhelfer an ihnen vorbei. Fasziniert blickte Cody ihm nach. Dann setzte er den Hut auf, ein bisschen schräg, so wie er es bei dem jungen Mann gesehen hatte. Nina seufzte vor Erleichterung. Es war richtig gewesen herzukommen.

Das Cowboy-Sommercamp für Kinder mit besonderen Bedürfnissen war wie für ihren Sohn gemacht. Obwohl das Programm erst in diesem Sommer begonnen hatte, wurde es überall sehr gelobt. Die McNairs, eine wohlhabende Familie, der das Anwesen gehörte, hatte das HorsePower Cowkid Camp auf ihrer Ferienranch Hidden Gem eröffnet. Den Großteil ihres Umsatzes machten sie jedoch mit ihrem Schmuckunternehmen, das rustikale Stücke im Westernstil herstellte.

Cody spielte jetzt mit den Fransen an seiner Weste.

Nina hatte schon vor langer Zeit gelernt, keine überzogenen Erwartungen zu hegen. Es machte das Leben leichter, wenn man auch kleine Erfolge zu schätzen wusste, wie Codys Interesse an diesem Cowboy. Ein Pferd wieherte, und ihr Sohn lächelte. Das bedeutete ihr mehr als die tausend Umarmungen, die sie nie von ihm bekommen würde.

„Cody, komm, wir wollen uns umsehen und die Gegend erkunden. Uns bleiben noch ein paar Stunden, bevor das Programm losgeht.“ Sie hatte sich angewöhnt, eine Menge zu reden, um das Schweigen zu füllen. Ihr Sohn konnte zwar sprechen, tat es aber nur selten. Die Sprachtherapeuten hatten ihr geraten, keine Antworten von ihrem Sohn zu erwarten, sondern es eher als schöne Überraschung zu betrachten, wenn er sprach.

Cody streckte ihr die Hand hin. Es freute sie, denn es kam nicht oft vor, dass er freiwillig ihre Nähe suchte. Wie immer, wenn er es dann doch tat, wurde ihr warm ums Herz. Sie beschloss, dem Cowboy zu folgen. Auf diese Weise konnten sie die Farm kennenlernen. Wenn Cody ihn mochte, würde sie diesem breitschultrigen Cowboy bis ans Ende der Welt folgen.

Sie kamen an einigen anderen Familien vorbei. Nina versuchte nicht darauf zu achten, wie viele Kinder von beiden Elternteilen begleitet wurden.

Mehrere Ställe und Scheunen sowie einige Reitplätze und Pferdekoppeln befanden sich in fußläufiger Entfernung vom Hauptgebäude. Es war beeindruckend, ein riesiges Farmhaus mit zwei Seitenflügen. Einer der Flügel war für Urlauber gedacht, im anderen wohnte die Familie McNair. Über die Jahre hatte sich die Ranch von einem bescheidenen Bed and Breakfast zu einer richtigen Ferienranch mit einem großen Freizeitprogramm entwickelt. Man konnte reiten, den Wellnessbereich nutzen, Fischen gehen und Abenteuerausflüge unternehmen, aber auch Pokern lernen. Außerdem wurden auf Wunsch Feiern ausgerichtet, von Geburtstagen bis hin zu Hochzeiten.

Und jetzt gab es auch noch ein Sommercamp für Kinder mit besonderen Bedürfnissen.

Trotzdem wollte Nina sich nicht von dieser Familie beeindrucken lassen. Diesen Fehler hatte sie schon einmal gemacht. Damals hatte sie sich von der charmanten Art ihres Exmanns blenden lassen. Sie hatte von einem schönen Leben an der Seite dieses attraktiven Mannes geträumt. Alles war ihr wie ein Märchen vorgekommen. Deswegen hatte sie nur gesehen, was sie sehen wollte. Doch das Märchen war schnell vorbei gewesen. Und ihr Möchtegern-Prinz hatte sich als Kröte entpuppt.

Nina lief an einem Grüppchen Kinder vorbei, das einen Clown umringte. Der Clown verteilte Spielzeugpferde, und die Kinder schrien vor Begeisterung wild durcheinander.

„Ich möchte ein geflecktes Pony haben.“

„Bitte, bitte, das braune mit der Reiterin.“

„Ich mag das da vorne, das so schön funkelt am Sattel.“

Doch Codys Blick war noch immer fest auf den Cowboy gerichtet. Sie selbst kannte Männer in Lederhosen bislang nur aus der Rasierschaumwerbung. Sogar in Texas liefen sie einem nicht allzu häufig über den Weg. Die Lederhosen dieses Kerls jedoch wirkten staubig und abgenutzt. Offensichtlich trug er sie zur Arbeit. Das ist mal ein richtiger Kerl, dachte Nina, kein verwöhnter Krötenprinz wie ihr Exmann.

Sie konnte nicht leugnen, dass dieses ganze Cowboy-Ding doch einen gewissen Reiz hatte.

Mit einem geschmeidigen Satz schwang sich Codys Cowboy über einen Lattenzaun. Erstaunlicherweise rutschte ihm sein hellbrauner Stetson dabei nicht vom Kopf. Entschlossenen Schrittes lief er auf ein geschecktes Pferd zu, das mit geblähten Nüstern und scharrenden Hufen auf dem Sandplatz des Paddocks herumtänzelte. Offensichtlich war das Tier ganz und gar nicht mit dem Sattel auf seinem Rücken einverstanden. Es musterte den sich nähernden Mann argwöhnisch, trabte nervös hin und her, und die kräftigen Muskeln an seinen Hinterbacken zuckten.

Nina hörte, wie ihr Sohn neben ihr vor Aufregung nach Luft schnappte. Obwohl auch sie nervös war, trat sie näher an den Zaun.

Seit sie als Kind einmal heruntergefallen war, war sie keine große Pferdeliebhaberin mehr. Sie hatte ihre Lektion gelernt.

Der Mann vor ihr wirkte vollkommen ruhig, während er mit leiser Stimme auf das Tier einredete. Sanft strich er ihm über den Hals. Und dann, mit einem Satz, schwang er sich plötzlich auf den Rücken des Pferdes. Ninas Magen krampfte sich zusammen.

Das Pferd hatte die Ohren angelegt und zerrte heftig an den Zügeln. Nun war es wirklich sauer.

Cody zog seine Hand weg. Erst da wurde ihr klar, wie fest sie die Hand ihres Sohnes umklammert gehalten hatte. „Entschuldige, Liebling.“

„Oh-oh.“ Ihr Sohn trat noch näher an den Zaun. Wieder hatte sie Angst, diesmal um Cody. Er hatte kein Gespür für Gefahren.

Sie stellte sich neben ihn. „Cody wir müssen auf dieser Seite des Zauns bleiben. Wir dürfen den Mann nicht bei der Arbeit stören.“

„Okay …“ Ihr Sohn nickte, noch immer völlig gebannt.

Das Pferd bäumte sich auf, doch es gelang ihm nicht, seinen geschickten Reiter abzuwerfen. Lediglich der Stetson des Cowboys segelte zu Boden. Die Vormittagssonne schimmerte im dichten schwarzen Haar des Mannes.

Mit einem Mal war Nina neugierig, wie sich dieses Haar wohl anfühlte.

Was für ein absurder Gedanke. Sie erschrak über sich selbst mindestens ebenso sehr wie über das Geräusch der Hufe, die auf den Boden trommelten.

Sie hatte diese Begeisterung für Cowboys nie nachvollziehen können. Doch jetzt konnte sie den Blick nicht von diesem Mann wenden. Er schien komplett eins zu sein mit dem Pferd, ging mit den rasenden Bewegungen des Tieres mit, ohne sich von ihm beherrschen zu lassen. Instinktiv schien er die abrupten, unberechenbaren Sprünge vorauszuahnen. Nina konnte sich kaum vorstellen, wie viel Körperbeherrschung und Selbstdisziplin nötig waren, um dabei so entspannt auszusehen.

Sie selbst quälten ständig Ängste. Sie hatte Angst, dass sie sich als Alleinerziehende nicht gut genug um ihren Sohn kümmerte. Sie hatte Angst, wieder einem Mann zu vertrauen. Doch all das war nichts im Vergleich zu den Angstzuständen, die ihren Sohn oft heimsuchten.

Irgendwie hatte sie das Gefühl, dass der Cowboy diese Angst verstand. Dass er für sich selbst einen Weg gefunden hatte, sie zu überwinden. Kein Wunder, dass Cody so fasziniert war von dem Mann.

Sie war es auch.

Nina hatte keine Ahnung, wie lange sie dagestanden hatten, als das Pferd endlich in einen rastlosen Trott verfiel. Schnaubend lief es immer im Kreis. Erst jetzt merkte Nina, dass sie die ganze Zeit über den Atem angehalten hatte.

Cody kniete sich hin, hob den Hut des Mannes auf, der zu ihnen an den Zaun gerollt war, klopfte den Staub ab und reichte ihn ihm. „Mister. Ihr Stetson.“

Die Stimme ihres Sohnes klang ein bisschen heiser, vermutlich, weil er sie so selten benutzte. Der Cowboy sah sie an. Die Sonne schien ihm ins Gesicht, und er musste blinzeln.

Oh mein Gott.

Dieser Mann hätte einem Werbeplakat für einen Western entstiegen sein können. Mit seinen markanten, hohen Wangenknochen und seinem kantigen Kinn strahlte er eine kraftvolle Männlichkeit aus.

Er saß ab, führte das Pferd an den Zaun, und in Ninas Bauch begann es zu kribbeln. Sicher lag es am Pferd, das sie nervös machte. Das zumindest versuchte sie sich einzureden.

Na klar.

Der Cowboy beugte sich zu Cody herunter und nahm seinen Hut entgegen. „Danke, kleiner Mann.“ Seine tiefe Stimme erinnerte Nina an Southern Comfort auf Eis, samtig und gleichzeitig etwas rau. „Der Weste nach zu schließen, nimmst du an dem Sommercamp teil. Hast du Spaß?“

Cody nickte, sah ihm aber nicht in die Augen. „Es ist fan-tas-tisch.“

Ob der Mann begriff, was mit Cody los war? Immerhin musste er wissen, dass es sich um ein Camp für Kinder mit besonderen Bedürfnissen handelte.

Der Cowboy tätschelte den Hals des Pferdes. „Wie ich sehe, magst du Diamond Gem. Er ist ein gutes Pferd, aber ein bisschen zu groß für dich. Die Campleiterin wird euch erst mal auf Ponys reiten lassen. Und bevor du dich versiehst, bist du bereit für die großen Pferde.“

Cody zupfte aufgeregt an den Fransen seiner Weste und trat von einem Bein aufs andere.

„Danke“, sagte Nina. „Cody redet nicht viel. Aber er versteht jedes Wort.“

Der Mann sah sie direkt an. Seine Augen waren von einem kühlen, klaren Blau. Unwillkürlich lief ein Zittern durch ihren Körper. Musste dieser Cowboy so verdammt attraktiv und charismatisch sein?

Er lächelte, und in seiner Wange zeigte sich ein Grübchen. „Ich rede selbst nicht viel.“

Er hatte heute mehr Verständnis für Cody gezeigt als ihr Exmann in seinem ganzen Leben. Warren war charmant gewesen, und sie hatte sich blenden lassen von seinen großen Gesten und extravaganten Geschenken. Sie hatte fest daran geglaubt, mit ihm ihr Happy End gefunden zu haben, bis …

Warren war nichts weiter gewesen als ein oberflächliches, verwöhntes Muttersöhnchen mit zu viel Geld und zu wenig Ehrgeiz. Stets war er nur auf den nächsten Kick aus gewesen. Als bei ihrem Sohn Autismus diagnostiziert worden war, hatte er sich ganz schnell aus dem Staub gemacht. Und dann war er gestorben. Bei einem blödsinnigen Motorradunfall.

Cody scharrte mit seinen kleinen Stiefeln im Sand. Seine Lippen bewegten sich, während er immer wieder die Worte wiederholte: „Rodeo-Mann, Rodeo-Mann.“

Der Cowboy nickte. „Früher mal. Aber jetzt nicht mehr.“

Cody verstummte, und Nina überlegte fieberhaft, was sie sagen sollte. Natürlich nur, weil sie das Gespräch ihrem Sohn zuliebe am Laufen halten wollte. Nicht weil sie sich danach sehnte, seine raue Southern-Comfort-Stimme noch einmal zu hören. „Was machen Sie dann hier?“

„Das ist mein Job, Ma’am. Eigentlich war das gerade noch ziemlich harmlos.“ Der Cowboy schwang sich wieder auf sein Pferd, sodass sie seine muskulösen Oberschenkel direkt vor Augen hatte. Das Pferd schüttelte unwillig den Kopf und zerrte heftig an den Zügeln. „Diamond Gem und ich arbeiten erst seit ein paar Wochen zusammen.“

Das hier war harmlos?

„Vermissen Sie Ihre Tage beim Rodeo?“, fragte sie. Warren hatte stets darüber geklagt, wie langweilig das Leben nach der Hochzeit geworden war.

Der Cowboy kratzte sich am Kopf, bevor er seinen staubverkrusteten Hut aufsetzte. „Nein. Heutzutage arbeite ich lieber mit den Tieren zusammen, als den Leuten eine Show zu liefern.“

„Was heißt das, Sie arbeiten mit den Tieren zusammen?“

„Dieses Pferd wurde vom Tierschutz wegen Vernachlässigung aufgegriffen und …“ Er warf ihrem Sohn einen Blick zu. „Und aus anderen Gründen. Also lebt er jetzt bei uns. Er ist noch ziemlich grün hinter den Ohren und misstrauisch, aber wir haben schon Fortschritte gemacht.“

Also hatte er die Fähigkeiten, die er beim Rodeo erworben hatte, genutzt, um dem Pferd zu helfen. Gab er sich extra Mühe, um sie zu beeindrucken? Gehörte das zum Programm? „Das ist wirklich bemerkenswert“, sagte Nina. „Sie riskieren, sich ein paar Rippen zu brechen oder Schlimmeres, nur um diesem Pferd zu helfen.“

Es zuckte um seine Mundwinkel. Wieder erschien das Grübchen in seiner Wange. „Es macht mir auch Spaß …“ Sein Blick wanderte zu ihrem Namensschild. „Nina.“

Sie spürte ein Kribbeln auf der Haut, und ihr wurde ganz warm, als sie hörte, wie er ihren Namen aussprach. Was war eigentlich so schlimm daran, sich auf einen kleinen Flirt mit einem ganz normalen Kerl einzulassen? Es war ja kein Risiko dabei. Schließlich war sie nur eine Woche hier. Aber war er überhaupt interessiert an ihr? Oder bildete sie sich das nur ein?

Vielleicht waren die Angestellten ja darauf gedrillt, höflich und charmant zu den Gästen zu sein.

„Nun, meinem Sohn hat es auf jeden Fall Spaß gemacht, Ihnen zuzusehen. Vielen Dank. Wir sollten langsam auspacken, sonst verpassen wir den Lunch.“

„Das würde ich nicht wollen.“ Zum Abschied tippte er sich an die Hutkrempe. „Genießen Sie Ihre Zeit im HorsePower Cowkid Camp.“

Nina konnte nicht verhindern, dass sie errötete.

Zum ersten Mal seit Monaten spielte Alex McNair wieder mit dem Gedanken, mit einer Frau auszugehen. Seit sein Cousin Stone sich mit Johanna verlobt hatte, war sein Leben aus den Fugen geraten. Zumal Johanna die einzige Frau war, mit der er sich je eine Zukunft hatte vorstellen können. In der Zwischenzeit hatte er zwar einige One-Night-Stands gehabt. Aber im Grunde wusste er, dass ihn das nicht weiterbrachte.

Alex nahm Diamond Gem den Sattel vom Rücken und reichte ihn an den Stallburschen weiter. Das Pferd warf Alex über die Boxentür hinweg einen Seitenblick zu und gab ein langgezogenes Wiehern von sich. Normalerweise rieb er sein Pferd selbst trocken, aber seine Verantwortung für die Leitung der Hidden Gem Ranch ließ ihm nur wenig Zeit. Dabei liebte er es, im Sattel zu sitzen. Doch im Moment war sein akademischer Abschluss mehr gefragt als sein Gespür für Pferde.

Außerdem war er gleich mit seiner Großmutter zum Lunch verabredet. Das war ihm wichtiger als alles andere. Schließlich wusste er nicht, wie oft er noch die Gelegenheit haben würde, mit ihr zusammen zu sein. Seine Großmutter litt an einem inoperablen Hirntumor.

Mariah McNairs Tod würde eine riesige Lücke hinterlassen. Und es war seine Aufgabe, diese Lücke zu füllen. Deswegen war es vermutlich ein schlechter Zeitpunkt, um über eine neue Beziehung nachzudenken, selbst wenn es sich nur um eine kurze Affäre handelte. Aber diese Frau – Nina – ging ihm einfach nicht aus dem Kopf. Mit ihren roten Locken und der schönen kurvigen Figur war sie ihm sofort aufgefallen.

Und wie liebevoll sie mit ihrem Sohn umgegangen war.

Er hatte eine Weile gebraucht, um über Johanna hinwegzukommen. Aber er hatte keine Wahl gehabt. Schließlich würde Johanna nach der Hochzeit zur Familie gehören.

Und die Familie musste zusammenhalten, besonders jetzt, wo seine Großmutter im Sterben lag. Sie mussten sie unterstützen und dafür sorgen, dass das Unternehmen der McNairs die schwierige Phase des Übergangs heil überstand. Er wollte, dass seine Großmutter in Frieden sterben konnte.

Trotzdem konnte er nicht aufhören, an diese Frau zu denken – Nina. Er kannte noch nicht einmal ihren Nachnamen, Herrgott. Wo sie wohl lebte? Die Leute, die am Sommercamp teilnahmen, kamen aus allen Teilen des Landes. Aber die meisten stammten hier aus der Gegend.

Für seine Familie waren Entfernungen allerdings kein Thema, denn ihnen stand ein Privatjet zur Verfügung. Trotzdem konnte ihnen all das Geld, das sie besaßen, nicht die eine Sache kaufen, die sie sich am meisten wünschten.

Mariahs Genesung.

Alex lief auf den Familienflügel des imposanten Farmhauses zu, wo er sich mit seiner Großmutter auf der Veranda verabredet hatte.

Seine Stiefel knirschten auf dem Kiesweg. In der Ferne hörte man Kindergeschrei, und irgendwo spielte jemand auf einem Banjo. Alex ließ die Bäume hinter sich, auf die er als Kind geklettert war, und stieg die wenigen Stufen zur Veranda hoch.

Seine Großmutter saß bereits in ihrem Schaukelstuhl und erwartete ihn. Auf dem Tisch neben ihr standen ein Tablett mit Sandwiches und ein Krug Eistee.

Sein Magen krampfte sich zusammen bei dem Gedanken daran, dass dieser Schaukelstuhl bald leer sein würde.

Mariah trug, wie immer, Jeans und Stiefel. Doch die Kleider schlotterten an ihr. Auch ihr Haar war jetzt kürzer. Solange er zurückdenken konnte, hatte seine Großmutter ihr Haar in einem langen, geflochtenen Zopf getragen. Doch ein paar Monate zuvor hatte ein Blutgerinnsel behandelt werden müssen, das sich in ihrem Kopf gebildet hatte. Für die Operation hatte man ihr das Haar kurz geschoren.

Es war das erste Mal, dass die Krankheit seiner Großmutter für ihn wirklich real geworden war.

„Du bist pünktlich“, sagte sie. „Komm, nimm dir einen Teller, und setz dich zu mir, dann können wir reden.“

„Ich gehe kurz duschen. Dann komme ich gleich zu dir runter.“ Bei dem ganzen Schmutz, der an ihm klebte, war das wohl besser.

„Nein, das bisschen Dreck kann mir nichts anhaben. Außerdem habe ich dich schon dreckiger gesehen.“

„Das ist wahr.“ Er nahm seinen Hut ab und setzte sich in den Schaukelstuhl neben ihrem. Unruhig drehte er seinen Hut in den Händen. Unwillkürlich musste er an den kleinen Jungen von eben denken, der den Stetson für ihn aufgehoben hatte. „Wie fühlst du dich, Grandma? Hättest du gern mehr Eistee?“

Er griff nach dem Krug. Ein flüchtiger Blick auf ihren Teller verriet ihm, dass sie ihr Sandwich kaum angerührt hatte.

„Es geht mir gut, Alex. Vielen Dank. Ich genieße die Sonne, ein Glas Eistee und die Gesellschaft meines Enkelsohns. Alles ist in bester Ordnung.“

Doch er wusste, dass es nicht so war. Sie würde sterben. Und zwar schon sehr bald.

Er häufte Sandwiches auf seinen Teller, obwohl er nicht den geringsten Hunger verspürte. Sein Magen fühlte sich an, als wäre er mit Steinen gefüllt. „Danke für die Einladung zum Lunch. Heute geht es auf der Ranch ziemlich chaotisch zu. Das Camp hat gerade begonnen.“

„Stone hat uns mit seiner Entscheidung, dieses Camp zu eröffnen, alle überrascht“, sagte seine Großmutter und schüttelte nachdenklich den Kopf. „Ich dachte immer, er würde das Schmuckunternehmen übernehmen. Aber es ist gut so, wie es jetzt ist.“

Alex nickte. „Das stimmt.“

„Johanna hat ihm geholfen, seinen Weg im Leben zu finden, als sie ihm bei seiner Prüfung geholfen hat.“ Mariah stellte ihren unberührten Teller beiseite. „Alex, ich möchte mit dir nun über deine Prüfung sprechen.“

„Meine Prüfung?“ Die Steine in seinem Magen verwandelten sich in Eisklumpen. „Ich dachte, das Ganze wäre nur ein Manöver gewesen, um Stone und Johanna wieder zusammenzubringen.“

Zumindest hatte er das gehofft. Doch laut Mariah sollten ihre Enkel bei den Prüfungen beweisen, dass sie sich ihren Anteil am Besitz der McNairs verdient hatten. Und nach seinem Cousin Stone waren nun wohl er und seine Schwester Amie an der Reihe.

Ihm selbst bedeutete Geld nicht viel, doch das Land lag ihm am Herzen. Es war seine Heimat. Auf keinen Fall durfte sein Anteil irgendwelchen Betreibern von Massentourismusunternehmen in die Hände fallen.

„Nun, Alex, da hast du falsch gedacht“, riss ihn seine Großmutter aus seinen Gedanken. „Ich muss sichergehen, dass mein Besitz in guten Händen ist. Meine Enkelkinder sind alle so eigensinnig.“

„Das haben wir wohl von dir geerbt.“

„Das ist wahr.“ Sie lachte leise, doch im nächsten Moment bekamen ihre Augen einen wehmütigen Glanz. „Ihr seid mir ähnlicher als meine eigenen Kinder.“

Mariahs Tochter war drogensüchtig und hatte ihren Sohn – Stone – bei ihrer Mutter aufwachsen lassen. Mariahs Sohn – Alex’ Vater – wiederum verfügte über keinerlei Ehrgeiz. Sein einziger Lebensinhalt bestand darin, sein Vermögen zu verprassen und seiner Mutter aus dem Weg zu gehen.

Mariah hatte immer eine zentrale Rolle in Alex’ Leben gespielt. Das Verhältnis zu seiner Mutter hingegen war nie besonders herzlich gewesen.

Er, seine Zwillingsschwester Amie und Stone waren wie Geschwister auf der Hidden Gem Ranch aufgewachsen. Nach dem College hatten sie hart dafür gearbeitet, dass der Besitz der McNairs auch nach dem Tod ihres Großvaters profitabel blieb.

Jeder hatte eine bestimmte Aufgabe übernommen. Alex war zuständig für das Land der Familie – die Hidden Gem Ranch, auf der man auch Urlaub machen konnte. Bis vor Kurzem hatte Stone das Schmuckunternehmen der Familie geleitet. Diamonds in the Rough stellte hochwertige Schmuckstücke im typischen Westernstil her. Das Sortiment reichte von Rodeo-Gürtelschnallen über Cowboy-Krawatten bis hin zu Aztekenschmuck und war im ganzen Land sehr gefragt. Amie war als Schmuckdesignerin für einen Großteil der Entwürfe verantwortlich. Mittlerweile jedoch wurde das Unternehmen von einem neuen Geschäftsführer geleitet, den seine Großmutter angeheuert hatte.

Mariah nippte weiter an ihrem Eistee. Ihre schmalen, weißen Hände waren von blauen Venen durchzogen. „Zurück zum Thema. Ich habe mir für dich eine ganz besondere Prüfung einfallen lassen.“

Die verdammte Prüfung. Stone hatte seine bereits bestanden. Seine Großmutter hatte ihn beauftragt, zusammen mit Johanna ein gutes Zuhause für ihre Hunde zu finden. Danach hatte Stone – zu ihrer aller Überraschung – Johanna einen Heiratsantrag gemacht und seinen Job bei Diamonds in the Rough an den Nagel gehängt. Das Camp für Kinder war Stones Idee gewesen. Er hatte sein eigenes Geld in das Programm gesteckt.

Alex seufzte leise. „Ist das dein Ernst, Grandma? Du bestehst immer noch auf dieser Prüfung? Ich dachte, jetzt wo Stone freiwillig zurückgetreten ist, würdest du die Leitung Amie übertragen.“

„Und dir die Leitung der Ranch?“

Er schwieg. Er hatte seinen Schweiß und sein Herzblut in dieses Land gesteckt. Doch die Entscheidung lag bei seiner Großmutter.

Mariah stellte ihre Teetasse beiseite. „Alex, diese Prüfung ist ziemlich einfach. Wir haben einen Konkurrenten – Lowery Resorts, der über eine Kapitalgesellschaft Anteile am Unternehmen aufgekauft hat.“

In seinem Kopf schrillten sämtliche Alarmglocken los. Dafür war jetzt ein denkbar ungünstiger Zeitpunkt. Die Investoren waren ohnehin schon nervös wegen der Krankheit seiner Großmutter. Sie machten sich Sorgen, wie es mit den McNairs weitergehen sollte. „Ein Prozentsatz, der es Ihnen ermöglicht, das Unternehmen zu kontrollieren?“

„Noch nicht. Aber es gab in letzter Zeit viele Umbrüche. Erst meine Krankheit, dann Stones Rücktritt. Und sein Nachfolger ist noch neu. Manche der Investoren machen sich Sorgen. Wenn es Lowery Resorts gelingt, noch mehr Anteile zu erwerben, riskieren wir, dass sie unser Heim in einen Themenpark verwandeln.“

Wie zum Teufel hatte das nur geschehen können? Alex umklammerte die Lehnen seines Schaukelstuhls. Am liebsten hätte er laut losgebrüllt. Stattdessen sagt er ruhig: „Wie haben sie das angestellt?“

„Als sich meine Krankheit herumgesprochen hatte, haben sie sich die Ängste der Investoren zunutze gemacht. Ich hätte das kommen sehen sollen. Stattdessen habe ich auf alte Freundschaften vertraut. Ein schwerer Fehler.“

Er hätte es kommen sehen müssen. Wenn er nur ein bisschen über den Tellerrand geblickt hätte. „Wir können Stone bitten, seinen Posten als leitender Geschäftsführer wieder einzunehmen, bis die Krise mit Lowery Resorts überstanden ist.“

„Nein, das will er nicht. Außerdem muss sich die Firma unter der Führung des neuen Geschäftsführers Preston Armstrong stabilisieren. Der Vorstand und ich haben uns gemeinsam für Preston entschieden, weil wir an ihn glauben. Aber um das Vertrauen der Investoren zu gewinnen, brauchen wir Zeit. Deswegen musst du mir helfen.“

„Du musst keine Prüfung daraus machen.“ Er ergriff ihre Hand und drückte sie. „Sag mir einfach, was ich tun soll. Für dich und für die Familie.“

Lächelnd erwiderte sie seinen Händedruck. Doch ihr Blick war kühl und scharf. In diesem Moment sah sie wieder aus wie die taffe Geschäftsfrau, die sie einst gewesen war. „Es gibt eine Schwachstelle im Wertpapierbestand der Lowerys.“

„Und die soll ich ausnutzen?“

„Du musst die Lowerys davon überzeugen, uns einen großen Anteil der Aktien zurückzuverkaufen, die sie über verdeckte Transaktionen erworben haben. Dann übertrage ich meine Anteile an der Ranch sofort auf dich.“

Mit einer ungeduldigen Handbewegung wischte er ihre Worte beiseite. „Es geht mir nicht um meinen Gewinn, sondern um die Familie. Und ich werde nicht zulassen, dass unser Land in fremde Hände fällt.“

Sie nickte. „Da ist er wieder, dein alter Kampfgeist. Ich habe mich schon gefragt, wo er geblieben ist. Du wirkst immer so entspannt. Als ob dir nichts etwas ausmacht.“

Er sagte nichts dazu. Dieser Teil seiner Persönlichkeit hatte nichts mit mangelndem Kampfgeist zu tun.

„Die Lowerys werden Widerstand leisten, das muss dir klar sein. Du musst sehr vorsichtig vorgehen, wenn du ihr Vertrauen gewinnen und ihre Schwachstellen finden willst. Deswegen gebe ich dir eine kleine Hilfestellung.“

Er setzte sein Glas ab. „Wie meinst du das?“

„Besagte Aktienanteile befinden sich im Besitz des Enkelsohns der Lowerys. Seine verwitwete Mutter verwaltet seinen Besitz. Und sie muss klug investieren, um die Zukunft des Jungen zu sichern.“

Ein Kind? Und auch noch eine Witwe? Ein Schauer lief Alex über den Rücken. So fühlte er sich manchmal, wenn er kurz davor war, vom Pferd geworfen zu werden. „Was hast du getan, Grandma?“

„Ich habe Nachforschungen über die Lowerys angestellt. Dabei habe ich herausgefunden, dass ihr Enkel alles liebt, was mit Cowboys zu tun hat. Deswegen habe ich dafür gesorgt, dass der Mutter ein Werbeflyer für dieses Camp in die Hände fällt. So haben wir eine Chance, sie kennenzulernen, wenn sie nicht unter dem Einfluss ihrer Schwiegereltern steht.“

Oh, verdammt. Das konnte nicht wahr sein …

„Ich glaube, du hast sie schon kennengelernt. Und ihren Sohn.“ Mit ihrem mageren Zeigefinger deutete Mariah in Richtung des kleinen Reitplatzes. Offensichtlich hatte sie von der Veranda aus alles beobachtet.

Scheiße. Plötzlich wollte er überall anders sein, nur nicht hier mit seiner Großmutter.

Mariah fuhr fort: „Ich spreche von der hübschen rothaarigen Lady, die dir bei der Arbeit mit Diamond Gem zugesehen hat.“

2. KAPITEL

Die Sonne stand schon tief, als Nina an einem langen Holztisch in der Scheune Platz nahm, um mit den anderen Eltern zu Abend zu essen. Eine Countryband spielte Kinderlieder. Ein paar der kleineren Kinder, unter ihnen auch Cody, saßen am Bühnenrand und wiegten sich im Takt. Andere rannten klatschend über die Bühne.

Nina hatte den Morgen damit verbracht, ihre Koffer auszupacken. Im Anschluss hatte sie an der ersten Unterrichtsstunde ihres Sohnes teilgenommen. Die Kinder waren auf Ponys geritten und hatten danach gebastelt. Im Kunstkurs hatten sie Ledergürtel mit Schmucksteinen verziert. Auch die Erwachsenen hatten mitmachen dürfen. Nina berührte ihre neue Halskette, an der zahlreiche Anhänger mit Wildwest-Motiven baumelten.

Basteln und Zeichnen gehörten zu den Lieblingsbeschäftigungen ihres Sohnes, und Cody hatte viel Spaß gehabt. Er hatte seinen Gürtel mit unzähligen Halbedelsteinen beklebt, die er in einem raffinierten Muster angeordnet hatte. Sogar die Campleiterin war beeindruckt gewesen.

Cody und sie hatten schon lange nicht mehr so einen schönen Tag gehabt. Und dann war da noch der staubige Cowboy, den sie heute kennengelernt hatte und der ihr einfach nicht aus dem Kopf ging. Auch wenn er höchstwahrscheinlich keinen Gedanken mehr an sie verschwendete. Ohne es zu wollen, hielt sie immerzu nach ihm Ausschau.

Dabei kannte sie noch nicht einmal seinen Namen.

Sie nahm einen Bissen von ihrem Salat, der mit zarten Steakstreifen garniert war. Der Grill brach fast zusammen unter dem Gewicht von Fleisch, Kartoffeln und Maiskolben. Das war das Essen für die Erwachsenen. Sie fragte sich, wie die Teilnahmegebühr die anfallenden Kosten dieses Camps decken sollte. Die McNairs selbst oder ein paar ihrer wohlhabenden Freunde mussten noch etwas zuschießen. Ihre Schwiegereltern hielten auch immerzu nach Steuervorteilen Ausschau.

Sofort schämte sich Nina für den Gedanken. In letzter Zeit war sie so schrecklich zynisch geworden. Das lag ohne Zweifel an ihren Schwiegereltern. Es war schwer, Sympathie für Menschen aufzubringen, die lieber einen Scheck ausstellten, als sich mit ihrem eigenen Enkelsohn zu beschäftigen.

Wieder stiegen Zorn und Verbitterung in ihr auf. Dabei wollte sie ihre Zeit hier doch genießen! Sie schnitt sich ein Stück Steak ab und nahm einen Bissen.

Ein Schatten fiel auf sie.

„Hätten Sie gerne ein Dessert?“ Die vertraute, geschmeidige Southern-Comfort-Stimme umschmeichelte ihre Ohren.

Sie schluckte hastig herunter und legte die Gabel hin. Erst dann wandte sie sich um. Und da stand er, ihr staubiger Cowboy, mit einem Teller Dessert in der Hand – nur dass er nicht länger staubig war.

Statt Lederhose und Weste trug er nun saubere Jeans und ein kariertes Hemd mit hochgerollten Ärmeln. Dunkle Haare sprenkelten seine gebräunten Unterarme. Sehr männlich. Sie hatte ganz vergessen, wie verführerisch diese kleinen Dinge sein konnten.

„Oh, hallo noch einmal.“ Wie hatte sie je glauben können, dass sie nicht auf Cowboys stand?

„Nachtisch gefällig?“

Gewaltsam riss sie sich aus ihren Träumereien, bevor sie sich zum Narren machte. „Noch nicht, danke. Ich bin völlig gesättigt vom Abendessen. Ich hätte nie erwartet, dass das Essen so gut ist.“

Er setzte sich rittlings auf die Bank neben sie. „Was haben Sie denn erwartet?“

Er verströmte einen betörenden Duft – Aftershave mit einem Hauch Moschus. Auf einmal musste sie daran denken, wie lange es her war, dass sie das letzte Mal einen Mann in ihrem Leben gehabt hatte. Oder in ihrem Bett.

Sie zuckte die Achseln und stocherte mit der Gabel in den spärlichen Überresten ihres Salats herum. „Ich dachte, da das hier ein Sommercamp für kleine Kinder ist, würde die Küche ganz auf ihren Geschmack ausgerichtet sein. Es gab jedenfalls eine große Auswahl für meinen Sohn.“

„Wenn wir zufriedene Gäste haben wollen, müssen wir auch an die Eltern denken.“ Er nahm einen Löffel von seinem Cobbler – einem süßen Auflauf mit Blaubeeren und Vanilleeis – und sah sie dabei aus seinen funkelnden blauen Augen an. Magischen Augen …

Nina zitterte vor Erregung. Sie war nicht die einzige Frau, die auf ihn aufmerksam geworden war, stellte sie im nächsten Moment fest. Mehr als eine Mom schielte eifersüchtig in ihre Richtung.

„Nur zu wahr“, stammelte sie. „Nun, äh, danke, dass Sie nach uns gesehen haben.“ Ob das zum Kundenservice gehörte? Etwas in seinem Blick ließ sie daran zweifeln. „Ich kenne immer noch nicht Ihren Namen“, platzte sie heraus.

„Oh, das tut mir leid. Wie unhöflich von mir.“ Er streckte ihr die Hand hin. „Mein Name ist Alex.“

Sie ergriff seine Hand. Sie fühlte sich warm und männlich an. „Hallo, Alex. Ich weiß nicht, ob Sie sich erinnern, aber ich heiße Nina, und das ist mein Sohn Cody.“

„Ich erinnere mich“, erwiderte er schlicht. „Trotzdem nett, Sie beide kennenzulernen. Ganz offiziell, meine ich.“

Sie zog schnell ihre Hand weg. Es war besser, wenn er jetzt ging, bevor sie sich doch noch lächerlich machte. „Sie müssen müde sein nach einem harten Arbeitstag.“

„Ich verbringe gerne Zeit draußen. Es ist eine nette Abwechslung, wo ich die meiste Zeit am Schreibtisch hocke.“

Am Schreibtisch? Sie hatte angenommen … Nun, es gab sicher eine Menge Jobs auf einer Ranch. Sie holte tief Luft. Es fiel ihr nicht leicht, aber sie wollte von Anfang an offen zu ihm sein. „Mein Sohn ist Autist, falls Sie das noch nicht erraten haben.“

Normalerweise war dies der Punkt, wo die Leute einem versicherten, wie leid es ihnen tue, und ihr vom Freund eines Freundes erzählten, der ebenfalls ein autistisches Kind habe. Und dann suchten sie schleunigst das Weite. Deswegen war es wichtig, früh damit herauszurücken. Damit man die Spreu vom Weizen trennen konnte. Und es gab deutlich mehr Spreu als Weizen.

Alex rührte in seinem Eis und mischte Blaubeeren hinein. „Sie sind mir keine Erklärung schuldig.“

„Die meisten Leute sind neugierig. Und ich hatte das Gefühl, ich sollte es Ihnen sagen, bevor Cody das nächste Mal ausrastet. Es ist leichter, wenn die Leute verstehen, warum.“

„Dieses Sommercamp ist dazu da, es Ihnen leichter zu machen, nicht uns.“

Sie lächelte überrascht. „Dieser Ansatz ist seltener, als man meinen sollte.“

„Seit Stone das Camp gegründet hat, haben wir alle dazugelernt.“

„Dieser Ort ist unglaublich. Ich hatte heute so viel Spaß. Ich freue mich schon auf morgen.“

Er sah sie lächelnd an. „Sie klingen überrascht.“

„Ich hoffe, Sie kriegen das nicht in den falschen Hals. Aber ich bin nicht gerade ein Cowgirl.“

„Wirklich? Das hätte ich nie im Leben erraten“, erwiderte er trocken.

„Woran merkt man es?“

„Woran?“ Er wies auf ihre Füße. „Neue Stiefel.“

„Und ein neues Hemd.“ Sie spielte mit ihrem Kragen. „Ich möchte mich gern anpassen. Cody zuliebe. Aber anscheinend gelingt es mir nicht so gut, wie ich dachte.“

„Sie sind hier, weil Sie Ihrem Kind dabei helfen wollen, eigene Interessen zu entwickeln. Das ist gut, ganz egal, was Sie anhaben.“ Er sah ihr fest in die Augen, und ein Hitzestrom durchschoss ihren Körper.

Dann erhob er sich – sehr zu Ninas Bedauern. Sie wollte nicht, dass er ging. Das war natürlich albern. Schließlich würde sie nur eine Woche hier sein. Es war nicht so, als könnten sie etwas miteinander anfangen. Sie sollte sich lieber auf ihren Sohn konzentrieren.

Doch dann sah er ihr in die Augen, und ihr wurde schwindelig.

„Nina, es wäre wirklich eine Schande, wenn Sie sich diesen fantastischen Blaubeer-Cobbler entgehen ließen. Wie wäre es, wenn ich Ihnen heute Abend eine Portion vorbeibringe?“ Er lachte. „Aber bevor Sie mich für so eine Art Cowboy-Casanova halten – wir werden uns natürlich auf Ihrer Veranda aufhalten, damit Sie hören können, falls ihr Sohn aufwacht. Außerdem ist die Veranda von allen Seiten gut einsehbar, also besteht nicht die Gefahr, dass ich einen Annäherungsversuch starte.“

„Ist dieser Service im Preis mit inbegriffen?“

„Nein, Ma’am. Dieser Service ist speziell für Sie.“ Er tippte sich an die Hutkrempe. „Wir sehen uns heute Abend um neun.“

Alex hatte keine Ahnung, wie er Nina Lowery davon überzeugen sollte, ihm ihre Aktien zu verkaufen. Normalerweise hörte er immer auf sein Bauchgefühl. Doch diesmal sagte ihm sein Bauchgefühl nur, dass er mit ihr ins Bett gehen wollte … Oder wenigstens auf einen Spaziergang.

Was zum Teufel hatte sich seine Großmutter dabei gedacht, diese Frau mit ihrem autistischen Sohn unter falschen Voraussetzungen herzulocken? Man hätte das anders handhaben können. Doch dafür war es nun zu spät.

Beim Abendessen hatte er erwogen, sofort reinen Tisch zu machen. Doch dann hatte er das Leuchten in ihren Augen gesehen, als er sich zu ihr gesetzt hatte. Und kurz darauf waren sie auch schon ins Gespräch vertieft gewesen. Wenn er ihr jetzt die Wahrheit erzählte, würde sie dichtmachen. Das wäre schlecht für seine Großmutter und – offen gestanden – auch für ihn. Er wollte sie besser kennenlernen. Wenn er wusste, wie sie tickte, würde ihm vielleicht eine Möglichkeit einfallen, mit ihr ins Geschäft zu kommen.

Dass sie scheu war, hatte er sofort gemerkt. Sie erinnerte ihn an ein Pferd, das kurz davor war durchzugehen.

Nina wäre bestimmt nicht sonderlich erfreut darüber, mit einem Pferd verglichen zu werden. Doch sein Gespür für Tiere erwies sich auch im Umgang mit Menschen häufig als nützlich. In jedem Fall musste er behutsam vorgehen.

Trotzdem machte ihn das Treffen mit Nina nervös. Er hielt die abgedeckten Teller mit dem versprochenen Nachtisch etwas verkrampft in den Händen, als er sich den Blockhütten für die Gäste näherte.

Er hatte einen Blick in Ninas Anmeldungspapiere geworfen, um herauszufinden, wo sie wohnte. Es war Hütte Nummer acht. Die Grillen zirpten in der ansonsten stillen Nacht – so klang Texas im Sommer. Vom großen Farmhaus und den anderen Gästehütten her drang gedämpftes Geplauder. Einige Leute waren bereits zur Hochzeit seines Cousins angereist. Zusammen mit den Teilnehmern des Sommercamps würde es bis Freitag ziemlich voll werden.

Endlich hatte er Ninas Hütte erreicht. Der Anblick der zwei Schaukelstühle auf der Veranda erinnerte ihn an das Treffen mit seiner Großmutter.

Mit einem Mal überfielen ihn Schuldgefühle.

Seine Großmutter war immer so anständig und moralisch integer gewesen. Wie hatte sie sich nur einen so hinterhältigen Plan ausdenken können? Es ergab einfach keinen Sinn. War es etwa möglich, dass der Krebs ihr Urteilsvermögen beeinträchtigte? Die Ärzte hatten ihn in dieser Hinsicht zwar beruhigt, aber man konnte nie wissen.

Doch er würde es nie übers Herz bringen, sie für unmündig erklären zu lassen. So blieb ihm nichts anderes übrig, als mitzuspielen – zumindest fürs Erste.

Er erklomm die Stufen, die zur Hütte führten, und seine Stiefel hallten auf den Dielenbrettern. Mit den Fingerknöcheln klopfte er sacht an die Tür. Er wollte Ninas Sohn nicht wecken. Kurz darauf waren Schritte zu hören.

Die Tür ging auf, und Nina schlüpfte nach draußen. Auf diese Weise will sie wohl sichergehen, dass ich nicht hereinkomme, dachte Alex. Sie war definitiv ein scheues Geschöpf. Zu ihren Jeans und Stiefeln trug sie ein enges T-Shirt, das ihre Brüste betonte. Hallo stand in verschiedenen Sprachen darauf. Ihre roten Locken fielen ihr offen über die Schultern.

„Der Cobbler ist noch warm und das Eis noch kalt“, sagte Alex. „Wollen wir uns setzen?“

„Ja, gerne. Danke.“ Sie wies auf einen der beiden Schaukelstühle, doch ihr Blick war argwöhnisch. „Das hätten Sie nicht tun müssen.“

Er blieb stehen. „Wollen Sie, dass ich wieder gehe?“

Sie schüttelte den Kopf. „Nun sind Sie schon einmal hier. Ich hab Eistee gemacht.“

Alex stellte die Teller auf dem Tisch zwischen den beiden Schaukelstühlen ab.

„Eistee ist eins meiner Lieblingsgetränke, seit ich in den Süden gezogen bin.“ Nina drehte ihr Glas in den Händen. Dabei fielen ihm ihre langen schmalen Finger auf.

Er räusperte sich. „Was hat Sie nach Texas verschlagen?“

„Woher wissen Sie, dass ich in Texas wohne?“ Sie stellte ihr Getränk ab und griff nach dem Dessert.

„Ich habe es auf Ihrer Anmeldung gelesen.“

Sie zog eine schmale Augenbraue in die Höhe. „Finden Sie das korrekt?“

„Es ist zumindest nicht illegal. Aber ja, ich gebe zu, ich wollte mehr über Sie erfahren. Das will ich immer noch.“

„Okay, ich schätze, ich kann Ihnen verzeihen. Dieses eine Mal.“ Sie nahm einen Bissen von ihrem Cobbler und schloss die Augen, während sie einen genussvollen Seufzer ausstieß.

Sofort spürte er ein Kribbeln im Bauch.

„Ich habe Ihrer Anmeldung nicht viel entnehmen können, wenn es Sie tröstet. Nur, in welcher Hütte Sie wohnen. Den Rest wollte ich selbst herausfinden. Fühlen Sie sich wohl hier?“

„Alles ist perfekt“, sagte sie, während sie sich mit Appetit über ihren Kuchen hermachte.

„Das freut mich. Auf Hidden Gem geben wir uns alle Mühe, unseren Gästen eine authentische Erfahrung zu bieten, ohne dass sie dabei auf Bequemlichkeit verzichten müssen. Trotzdem ist es nur eine einfache Ferienranch, kein Themenpark oder Wellnesshotel.“ Obwohl er vorhin schon Nachtisch gegessen hatte, schlug er noch einmal zu. Es fühlte sich einfach so wunderbar intim an, hier mit ihr in der Dunkelheit zu sitzen und zu essen.

„Das macht für mich den Charme von Hidden Gem aus“, sagte Nina. „Es ist so friedlich hier. Das ist wichtig für meinen Sohn. In seinem Alltag prasseln ständig zu viele Eindrücke auf ihn ein.“

„Liegt das an seinem Autismus?“, fragte Alex.

Sie nickte. „Ihnen ist sicher aufgefallen, dass er nicht viel spricht. In der Vorschule ist er sehr gut, besonders in Bereichen, die ihn interessieren, wie Kunst oder Lesen. Obwohl er erst vier ist, liest er schon ganze Bücher. Es beruhigt ihn … Tut mir leid, ich langweile Sie.“

„Ganz im Gegenteil. Mir tut es leid, falls ich zu neugierig bin.“

„Das muss Ihnen nicht leidtun. Mir sind Leute, die Fragen stellen, viel lieber als solche, die von vorneherein glauben, sie wüssten alles.“ Der Teller ruhte auf ihrem Schoß. „Ich habe von Anfang an gewusst, dass etwas mit ihm nicht stimmt. Aber mein Exmann und seine Familie meinten, es wäre doch alles ganz normal. Dabei konnte Cody kaum sprechen und wollte nichts mit anderen Kindern zu tun haben … Irgendwann musste ich den Tatsachen ins Auge sehen und Hilfe für ihn suchen. Das hat mein Mann mir nie verziehen.“

Ihre Entschlossenheit beeindruckte Alex. Gleichzeitig wurde ihm klar, dass seine Großmutter den Schwierigkeitsgrad dieser Aufgabe unterschätzt hatte. Es würde verdammt schwer werden, diese Frau dazu zu bringen, sich von ihren Aktien zu trennen, solange sie nicht hundertprozentig davon überzeugt war, dass der Deal zu Codys Vorteil war. „Es tut mir leid, dass Sie von Codys Vater nicht die Unterstützung bekommen haben, die Sie verdient hätten.“

„Danke.“ In ihren grünen Augen las er eine Mischung aus Schmerz und Trotz. „Ich hatte keine Wahl. Ich musste für Codys Interessen kämpfen. Denn der Rest der Familie tat es nicht.“

„Was ist mit dem Vater?“, fragte er.

„Er hat Unterhalt gezahlt.“ Sie stellte ihren Teller zur Seite, als sei ihr plötzlich der Appetit vergangen. „Ansonsten wollte er nichts mit Cody zu tun haben.“

„Wollte? Vergangenheitsform?“

„Er ist kurz nach unserer Scheidung bei einem Motorradunfall ums Leben gekommen.“

Das Schweigen, das sich zwischen ihnen ausbreitete, fühlte sich geradezu erdrückend an. Alex räusperte sich. „Das tut mir leid.“ Seine Worte erschienen ihm unzureichend, wenn er an all das dachte, was sie verloren hatte. Nicht nur durch den Tod ihres Exmannes, sondern schon vorher.

„Ich möchte gerne glauben, dass er mit der Zeit gelernt hätte, seinen Sohn zu akzeptieren“, sagte Nina schließlich. Ihr rotes Haar glänzte im schwachen Licht der Veranda.

Dann schüttelte sie schnell den Kopf, als wollte sie den Gedanken loswerden, und griff wieder zu ihrem Löffel. „Genug davon. Es soll nicht so klingen, als sei mein Leben ein einziges Jammertal. Ich habe einen tollen Sohn, einen schönen, flexiblen Job und keine finanziellen Sorgen.“ Sie nahm etwas Eis auf ihren Löffel. „Erzählen Sie mir lieber von sich. Seit wann arbeiten Sie auf der Hidden Gem Ranch?“

„Meine Familie hat schon immer hier gelebt.“ Er konnte sich nicht vorstellen, irgendwo anders zu leben. Seit er in seiner Kindheit im ganzen Land herumgereist war, um seinen Eltern zuliebe an Rodeos teilzunehmen, blieb er am liebsten zu Hause. „Man könnte wohl sagen, ich genieße die Ruhe.“

„Also sind Sie ein richtiger Cowboy? Mit Rodeo und allem Drum und Dran?“

Dank seiner ehrgeizigen Mutter hatte er im Alter von achtzehn Jahren bereits eine steile Karriere hinter sich gehabt. Seine Mutter war ganz wild auf Wettbewerbe und Siege. Ihn hatte sie zum Rodeo geschickt, seine Zwillingsschwester Amie zu Misswahlen. „Diese Tage liegen lange hinter mir.“

„Warum haben Sie aufgehört?“

Er zuckte die Achseln. „Zu viele Knochen gebrochen.“

Nina schnappte nach Luft. „Wie schrecklich.“

„Das ist alles lange her. Kinderkram.“ Als Kind hatte er nicht gewagt, gegen seine Eltern aufzubegehren. Sobald der letzte Gips ab war, musste er wieder aufs Pferd. Manchmal hatte er die Wettbewerbe sogar genossen. Zumal es der einzige Weg gewesen war, die Anerkennung seiner Eltern zu erringen. Doch als sich sein Lieblingspferd während eines Wettbewerbs ein Bein gebrochen hatte und eingeschläfert werden musste, war seine Leidenschaft für Wettkämpfe endgültig erloschen.

Zeit, das Thema zu wechseln. „Was machen Sie in San Antonio?“

„Ich arbeite als Übersetzerin. Vor meiner Heirat habe ich in New York bei den Vereinten Nationen gearbeitet.“ Sie spielte mit dem Eiffelturm-Anhänger, der an ihrer schlichten Silberkette hing. „Mein Ehemann hat an der Börse gearbeitet. Wir sind ein Jahr miteinander ausgegangen, bevor wir geheiratet haben. Dann sind wir zurück in seinen Heimatstaat Texas gezogen …“ Sie zuckte die Achseln. „Jetzt übersetzte ich Romane.“

„Welche Sprachen?“

„Spanisch, Deutsch, Französisch.“

„Wow. Das ist beeindruckend.“

Sie zuckte die Achseln. „Sprache ist eben mein Ding, genau wie Pferde Ihres sind.“

Ganz schön ironisch, dachte er. Sprache war ihr Ding. Und doch hatte sie einen Sohn, der fast gar nicht sprach. „Sie sind wirklich eine Großstadtpflanze. Fehlt Ihnen Ihr Job?“

„Ich bereue nichts“, sagte sie und nahm einen weiteren Bissen von ihrem Cobbler. „Ich habe das Glück, einen Job zu haben, der es mir ermöglicht, zu Hause bei meinem Sohn zu bleiben.“

„Haben Sie Hilfe? Was ist mit Codys Großeltern?“

„Meine Eltern waren schon älter, als sie mich bekamen. Sie leben in einer Seniorenanlage in Arizona. Dafür kommen meine Schwiegereltern ständig mit neuen Vorschlägen, was man gegen Codys Krankheit unternehmen könnte. Entweder sie schwören auf irgendein mysteriöses Wundermittel, oder sie wollen ihn in ein Pflegeheim einweisen lassen.“

„Sie sollten Sie unterstützen.“ Bei dem mehrwöchigen Camp, das vor diesem stattgefunden hatte, hatte er gesehen, wie erschöpft viele Eltern waren.

„Wie gesagt“, fuhr Nina mit fester Stimme fort. „Ich habe keinen Grund zu klagen.“

„Okay, verstehe.“

Sie starrte einen Moment auf ihren Teller, dann blickte sie auf. „Bringen Sie Gästen öfter Nachtisch vorbei?“

Die Frage hatte in der Luft gelegen. Trotzdem wusste er nicht, was er darauf antworten sollte. Sicher, seine Großmutter hatte gewollt, dass er Zeit mit ihr verbrachte. Doch das hätte er so oder so getan.

„Sie sind die Erste“, erwiderte er wahrheitsgemäß.

„Oh“, stieß sie hervor. Der Wind zerzauste ihr Haar.

Er streckte die Hand aus, nahm eine Locke zwischen die Finger und schob sie ihr hinters Ohr. Sie sah ihn mit großen Augen an. Er spürte, dass sie noch immer misstrauisch war. Aber auch neugierig. Da war ein gewisses Funkeln in ihren Augen. Am liebsten hätte er sie jetzt geküsst. Doch das durfte er nicht. Er spielte ein gefährliches Spiel. Ein falscher Zug und er hatte seine Chance vertan.

Er erhob sich. „Ich sollte gehen. Morgen wird ein langer Tag.“

Sie stand ebenfalls auf. „Danke für den Nachtisch.“

„Gern geschehen.“

Alex hatte ihr nur einen Nachtisch vorbeigebracht.

Trotzdem war Nina völlig durcheinander. Und das wegen eines Mannes, den sie erst seit heute Morgen kannte. Ausgerechnet ein Cowboy!

Gott, das Ganze war so ein Klischee.

Nina stand in der Küche und stellte den Krug mit dem restlichen Eistee in den Kühlschrank. Sie wäre gerne ans Fenster getreten und hätte Alex nachgeblickt. Könnte sie ihre Gefühle doch allein auf körperliche Anziehung schieben! Doch sie hatte sich auch gut mit ihm unterhalten.

Wahrscheinlich war sie einfach ausgehungert nach der Gesellschaft Erwachsener. Die einzigen Erwachsenen, die sie regelmäßig zu Gesicht bekam, waren Codys Ärzte und Therapeuten. Oder die Eltern aus Codys Spielgruppe. Meistens machte ihr das nichts aus.

Diese Woche war für sie und Cody ein Geschenk. Sie ließ sich auf ihr breites Sofa fallen. Der Flickenteppich fühlte sich weich unter ihren Füßen an. Diese Hütte war gemütlich und gleichzeitig typisch texanisch eingerichtet.

Sie sollte endlich fertig auspacken und sich dann schlafen legen.

Ihr Koffer lag auf der Bank. Früher hatte sie ihn oft benutzt. Sie hatte ihn aufs College mitgenommen und nach New York. Ihr wurde schwindelig, wenn sie an all die Träume dachte, die sie damals gehabt hatte. Und an all die Länder, die sie so gerne bereist hätte.

Warren hatte ihr nach der Hochzeit neue Koffer gekauft, doch sie hatte es einfach nicht übers Herz gebracht, den alten wegzuwerfen. Nach ihrer Scheidung hatte sie ihr Designergepäck der Wohlfahrt gestiftet und ihren alten Koffer, den sie mit so vielen Zukunftsträumen in Verbindung brachte, wieder hervorgeholt. Ein Symbol dafür, dass sie vorhatte, sich ihre alten Träume zurückzuerobern.

Plötzlich riss das Klingeln des Handys sie aus ihren Gedanken. Sie kramte in ihrer Handtasche, die neben dem Couchtisch auf dem Boden lag. Vielleicht war es ja Alex. Immerhin konnte er auch ihre Telefonnummer auf dem Anmeldeformular gelesen haben.

Beim Anblick der Nummer auf dem Display stieß sie einen enttäuschten Seufzer aus. Gleichzeitig hatte sie ein schlechtes Gewissen. Sie sollte dankbar sein, einen Freund wie Reed zu haben. Sie und Reed hatten sich in einer Spielgruppe für Kinder mit besonderen Bedürfnissen kennengelernt. Er war ein netter Kerl, alleinerziehender Vater eines kleinen Mädchens mit Downsyndrom. Sein Partner hatte ihn verlassen, als klar wurde, wie anstrengend das Leben mit einem behinderten Kind sein konnte.

Reed und sie halfen einander, so gut sie konnten. Doch sie hatten beide alle Hände voll zu tun.

„Hallo, Reed.“ Nina legte die Füße auf den Kaffeetisch. „Du bist aber noch spät auf. Dabei musst du Wendy doch morgen früh zum Bus bringen.“

Reed betrieb ein Bistro. Wenn sie nicht zur Schule gehen musste, nahm er seine Tochter mit zur Arbeit. Die kleine Wendy liebte das geschäftige Treiben im Café und wickelte die Gäste mit ih...

Autor

Karen Templeton
<p>Manche Menschen wissen, sie sind zum Schreiben geboren. Bei Karen Templeton ließ diese Erkenntnis ein wenig auf sich warten … Davor hatte sie Gelegenheit, sehr viele verschiedene Dinge auszuprobieren, die ihr jetzt beim Schreiben zugutekommen. Und welche waren das? Zuerst, gleich nach der Schule, wollte sie Schauspielerin werden und schaffte...
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Teresa Southwick
<p>Teresa Southwick hat mehr als 40 Liebesromane geschrieben. Wie beliebt ihre Bücher sind, lässt sich an der Liste ihrer Auszeichnungen ablesen. So war sie z.B. zwei Mal für den Romantic Times Reviewer’s Choice Award nominiert, bevor sie ihn 2006 mit ihrem Titel „In Good Company“ gewann. 2003 war die Autorin...
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